SACHBERICHT 2020 - Sozius Hilfen Berlin gUG
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SACHBERICHT 2020 Interventionsteam der Jugendhilfe für minderjährige „KOMT, Schwellen- und Intensivtäter*innen“ von 10 bis 17 Jahre Bezirksübergreifend tätig Berichtszeitraum 01.01.2020- 31.12.2020 1
Inhaltsverzeichnis Allgemeine Angaben zum Angebot ......................................................................................................... 3 Vorbemerkung ........................................................................................................................................ 4 2.1. Berliner Zahlen ..................................................................................................................................... 5 2.2. Jugendkriminalität ............................................................................................................................... 6 Daten und Fakten / Statistische Angaben ............................................................................................... 9 3.1. Anfragen .............................................................................................................................................. 9 3.2. Fallverteilung und Nutzungsgrad ......................................................................................................... 9 3.3. Altersstruktur und Herkunft ............................................................................................................... 11 3.4. Anzahl der Straftaten vor Beginn der Betreuung ............................................................................... 13 3.5. Umsetzung der Projektziele................................................................................................................ 17 Erfahrungen und Erkenntnisse in der Arbeit mit unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten - Ursachen und Bedingungsfaktoren delinquenten Verhaltens ........................................................................................ 23 4.1. Fluchtursachen ................................................................................................................................... 23 4.2. Rahmenbedingungen der Integration (Rechtsstatus, Bildung, Wohnen) ........................................... 24 4.3. Bezüge zur Herkunftsfamilie bzw. Herkunftsland und Kultur ............................................................. 26 4.4. Aspekte der Familienzusammenführung/ Familiennachzug .............................................................. 26 4.5. Delinquenz/Freundeskreis .................................................................................................................. 27 4.6. Wohnperspektive und Betreuungsform ............................................................................................. 28 Die Folgen der Corona-Pandemie für die Zielgruppe ............................................................................. 29 5.1. Psychosoziale Situation ...................................................................................................................... 29 5.2. Bildung und Ausbildung ..................................................................................................................... 31 5.3. Gewalt und Delinquenz ...................................................................................................................... 33 5.4. Zusammenfassung/ Fazit ................................................................................................................... 34 Schlusswort ........................................................................................................................................... 36 2
Allgemeine Angaben zum Angebot Träger: Sozius Hilfen Berlin gUG Mühlenstr. 8a, 14167 Berlin Geschäftsführung: Frau Funda Peker Rechtsform: gUG - Gemeinnützige Unternehmergesellschaft mit beschränkter Haftung Ansprechpartnerin in Frau Funda Peker fachlicher Hinsicht: Tel.: 030 62900895 Email: info@sozius-hilfen-berlin.de Bürostandort des Angebots: SToP Mecklenburgische Str. 20 10713 Berlin Email : stop@sozius-hilfen-berlin.de Mitarbeiter*innen: Frau Funda Peker (Leitung) Herr Mohamed El Ghabra (stellv. Leitung) Frau Ghinwa El Hassan Herr Ahmad Alsheikh Herr Wladimir Polyak Herr Marof Yaghoubi Frau Pinar Can Frau Fatemeh Naderi Frau Valentina Bär Herr Mile Murgoski Herr Ali Yildirim 3
Vorbemerkung Delinquentes und deviantes Verhalten von Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist in der öffentlichen Diskussion ein brisantes Dauerthema, das professionelles Handeln gesellschaftlicher Akteure, u.a. Sozialer Arbeit, erfordert. Vor dem Hintergrund andauernder Jugendkriminalität entstehen im öffentlichen Diskurs viele offene Fragen, zu denen Antworten in unterschiedlichen Wissenschaften wie der Soziologie, der Psychologie, usw. gesucht werden. Zur Erklärung der Jugendkriminalität greifen beispielsweise Kriminalitätstheorien auf gesellschaftliche Bedingungen zurück und nehmen damit sowohl das Individuum, als auch die Einflüsse aus der Umwelt in den Blick. In soziologisch–sozialisatorischer Hinsicht haben wir es mit einer migrationsunspezifischen, jedoch milieuspezifischen Problematik bestimmter Berliner Bezirke zu tun. Neben einem bestimmten Erziehungs-Stil (Non-Verbalität, Gewalt als Mittel der Erziehung etc.) wirkt hier insbesondere ein defizitäres, habituelles Dispositions-System, welches transgenerational weitergegeben wird. Dieses Dispositions-System beinhaltet u.a. gewisse non-urbane, Temperaments- und Charaktereigenschaften betreffende, subkulturelle, emotional- perzeptive Faktoren, die eine deutliche Diskrepanz zu hiesigen administrativ-pädagogischen, rational strukturierten gesellschaftlichen Systemen (Schule, Jugendamt, Jobcenter etc.) darstellen. Es handelt sich hier um eine unterbewusste Codierung, welche auf Emotionen, persönlichen Beziehungen zum Menschen und Flexibilität basierenden Herangehens- und Rezeptionsweise gründet, welche es den Betroffenen vielfach per se unmöglich macht, sich auf herkömmliche Weise dem hiesigen Hilfesystem zu nähern und sich in einer existentiell- perzeptiven Parallelität sozialer Realitäten und Dispositionen offenbart. Desweiteren seien hier migrationsspezifische, transgenerationale Traumata (Bürgerkrieg, Vertreibung, ethnische Verfolgung etc.) angeführt, welche sich nicht nur psychopathologisch und erziehungsrelevant im täglichen, häuslichen Miteinander der Familien bemerkbar machen, sondern ebenfalls in einer nonchalanten, angstfreien Einstellung in Bezug auf das bundesdeutsche repressive System (Weisungen, Inhaftierung, Polizei-Apparat etc.). dieses nämlich wird, im Vergleich zum Herkunftsland und in der Rezeption der Betroffenen, als vergleichbar zivilisiert und erträglich angesehen und nicht unbedingt als Barriere 4
wahrgenommen. In diesem Kontext sei das Jugendstrafrecht erwähnt, welches ausdrücklich kein Strafrecht ist. Im Zentrum steht der Erziehungsgedanke. In ihm geht es darum: Diskriminierung zu vermeiden, die Kooperation mit den Eltern zu suchen und vor allem darum, erneuten Straftaten entgegenwirken, ohne eben dabei die jeweiligen konkreten Lebensverhältnisse aus dem Blick zu verlieren. 1„Denn nicht Sühne der gesellschaftlichen Schuld, sondern Erziehung ist Absicht der gesetzlichen Intervention im Jugendstrafrecht.“ 2.1. Berliner Zahlen Der Anteil der nichtdeutschen Tatverdächtigen zu allen Straftaten ohne ausländerrechtliche Verstöße erhöhte sich von 39,5% auf 39,9%; der Anteil der in Berlin wohnenden Tatverdächtigen sank von 73,7% auf 73,2%. Die Tatverdächtigenbelastungszahl (Tatverdächtige je 100.000 Einwohner und Einwohnerinnen) sowohl der deutschen, als auch der nichtdeutschen Tatverdächtigen mit Wohnsitz in Berlin ist die niedrigste im Zehnjahresvergleich. Die polizeiliche Kriminalstatistik Berlin 2019 geht von einer „Abnahme der Anzahl der Tatverdächtigen unter 21 Jahren um 437 auf 24.764 Personen bei rückläufigem Anteil von 18,1%“ aus. Es kann dort festgestellt werden: „Die Tatverdächtigenbelastungszahl junger Leute verringerte sich.“ Dennoch muss festgestellt werden: „Leichte Zunahme der Jugendgruppengewalt insgesamt (2.190 Fälle, +32 Fälle, +1,5%), dabei deutlicher Anstieg der Raubtaten (von 555 auf 709 Fälle, +27,7%) und ebenso deutlicher Rückgang der Sachbeschädigungen (von 424 auf 309 Fälle, -27,1%). Zunahme der Anzahl registrierter Opfer um 1.691 auf 82.954 sowie der Bevölkerungsgefährdungszahl von 2.182 auf 2.210. In einem Fachvortrag vom Berliner Präventionstag (2014) führte der Soziologe Dr. Dirk Baier unter dem Stichwort Desorganisation aus: „Die strukturell durch eine hohe Arbeitslosigkeit, hohe Armut, hohe Bewohnerfluktuation und hohe ethnische Heterogenität gekennzeichneten 1 vgl. Heinz 1996, S. 101; Walter 2001, S. 38; Walter 1995, S. 25; Rössner 1996, S. 344-348. 5
Gebiete werden auf Grund der bestehenden Normen- und Werteheterogenität auch als sozial desorganisiert bezeichnet. Die Überlegungen der Theorie der Desorganisation lassen sich dementsprechend wie folgt zusammenfassen: ▪ Desorganisierte Stadtteile sind durch Armut, ethnische Heterogenität und Bewohnerfluktuation gekennzeichnet. ▪ Dies führt dazu, dass keine von allen Bewohnern geteilte Normen und Werte existieren. In Subgruppen werden auch abweichende Normen und Werte aufrechterhalten. ▪ Die Heterogenität führt dazu, dass zwischen den Menschen keine starken Bindungen bestehen. Das Interesse am Anderen fällt gering aus, ebenso die Bereitschaft intervenierend einzugreifen, wenn es zu delinquentem Verhalten kommt. 2.2. Jugendkriminalität Über einen Anstieg der Jugendkriminalität besteht gemessen an unterschiedlichen Zählweisen nach wie vor keine vollständige Einigkeit, jedoch war seit 1950 phasenweise ein stetiger Anstieg zu verzeichnen. In diesem Zusammenhang wurde, hinsichtlich unserer Zielgruppe, vor 10 Jahren in der Studie Jukrim2020 prognostiziert: „In marginalisierten Multiproblemmilieus könnte der Anteil von hoch kriminalitätsbelasteten Jugendlichen mit einer Tendenz zu schwerer und biographisch verfestigter Delinquenz wachsen. Hier wird eine zentrale Herausforderung für den polizeilichen und gesellschaftlichen Umgang mit Jugendkriminalität gesehen.“ „Jugendkriminalität wird auch im kommenden Jahrzehnt in erster Linie weit verbreitete Delinquenz geringer Schwere und überwiegend episodischen Charakters sein und sich in den meisten Fällen nicht zu kriminellen Karrieren verfestigen.“ „Der in Frage stehende Zeitraum bis zum Jahr 2020 wird nach Ansicht der Experten voraussichtlich durch wachsende soziale Ungleichheit, zurückgehende Finanzmittel der öffentlichen Haushalte, insbesondere der Kommunen, und abnehmenden privaten Wohlstand gekennzeichnet sein. In Folge dieser Entwicklungen könnte der Anteil von 6
Jugendlichen, die unter ungünstigen Sozialisationsbedingungen aufwachsen, steigen und es besteht die Gefahr, dass sich insbesondere in Großstädten Tendenzen zu einer sozialräumlichen und ethnischen Segregation verstärken. In marginalisierten Multiproblemmilieus könnte der Anteil von hoch kriminalitätsbelasteten Jugendlichen mit einer Tendenz zu schwerer und biographisch verfestigter Delinquenz wachsen. Hier wird eine zentrale Herausforderung für den polizeilichen und gesellschaftlichen Umgang mit Jugendkriminalität gesehen.“ Die bereits 2010 erhobene Prognose war im Rückblick weitgehend zutreffend. Soziale Arbeit als ein soziales und funktionierendes System versucht - im Hinblick auf Theorien und Wissenschaftsforschung - realistische und messbare Handlungsinstrumente zur Bewältigung der Jugendkriminalität zu entwickeln. Zu diesen Handlungsoptionen leisten u.a. präventive Unterstützungsmaßnahmen einen wichtigen Beitrag. SToP ist ein Interventionsangebot der Jugendhilfe mit offensivem Charakter. Es richtet sich an Kinder und Jugendliche von 10 bis 17 Jahren, deutscher und nichtdeutscher Herkunft und unbegleitete minderjährige Geflüchtete, die mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten sind und an deren Familien. Ziel des Angebots ist es, unter anderem, weitere Straffälligkeit zu verhindern und eine mögliche kriminelle Laufbahn abzuwenden. Zu diesem Zweck werden die teilnehmenden Kinder und Jugendlichen bis zu sechs Monate intensiv begleitet und betreut. Zentrale Interventionen sind aufsuchende Sozialarbeit, die Miteinbeziehung von Eltern und Familien bzw. Vormündern und die Vermittlung zwischen den am Hilfeprozess beteiligten Institutionen. Vor dem Hintergrund unserer langjährigen Erfahrungen in der Arbeit an den Schnittstellen zwischen Familie, Jugendhilfe, Schule und Polizei im Rahmen der ambulanten Krisenintervention und der anhaltenden öffentlichen und fachlichen Diskussion über den Umgang mit minderjährigen Mehrfach-, Schwellen-, und Intensivtäter*innen wurde SToP als konkreter und innovativer Beitrag der Jugendhilfe von Sozius Hilfen Berlin gUG, in Zusammenarbeit mit der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie, angeboten.Die Ursachen für delinquentes Verhalten sind sehr komplexer Natur, letztendlich aber im „Versagen“ der Sozialisationsinstanzen, in einer mangelhaften Integration und einem unzureichenden Zugang zu bzw. einer unzureichenden Inanspruchnahme von frühzeitigen Hilfe- und Unterstützungsmöglichkeiten durch staatliche Institutionen (Schule, Jugendhilfe) 7
oder Sozialen Dienstleistern (Beratungsstellen, Förderangebote, Freizeiteinrichtungen etc.) zu suchen. Delinquente Kinder und Jugendliche haben in der Regel komplexe Probleme. Zur Überwindung dieser benötigen die Kinder und Jugendlichen sowie deren Eltern/Personensorgeberechtigten komplexe Hilfe- und Unterstützungsangebote seitens der Jugendhilfe, Schule und des Gemeinwesens. Nur durch ein kooperierendes, vernetztes und abgestimmtes Handeln können Verzögerungen bei der Implementierung einer notwendigen, passgenauen Hilfe vermieden werden, so dass die Chance besteht, „kriminelle Karrieren“ von Kindern und Jugendlichen frühzeitig zu stoppen und eine Manifestierung delinquenten Verhaltens zu verhindern. Sozius Hilfen Berlin gUG möchte mit SToP einen Beitrag dazu leisten, dass aus den problematischen Kindern und Jugendlichen von heute nicht die Schwellen- und Intensivtäter*innen von morgen werden. Die Zielstellungen, die mit SToP realisiert werden sollen, sind: ▪ Vermeidung bzw. Minimierung weiterer Straftaten. ▪ Aktivierung/Reaktivierung der Verantwortungsübernahme der Eltern/Familien für die Erziehung, Bildung und Förderung ihrer Kinder. ▪ Zugang zu und Implementierung von Hilfe- und Unterstützungsangeboten im sozialen Raum durch die Institutionen Schule, Jugendhilfe, aber auch die Community und die Migrationsverbände sowohl für die Kinder und Jugendlichen als auch für die Eltern. ▪ institutions- und professionsübergreifendes, abgestimmtes Handeln im Einzelfall SToP als Angebot der Jugendhilfe setzt dabei auf eine Gehstruktur als Arbeitsprinzip (Sofortintervention in der Familie und familiennahem Umfeld), auf einen muttersprachlichen und interkulturellen Zugang, auf fachliches Know-how und eine institutions- und professionsübergreifende Zusammenarbeit/Kooperation und Vernetzung. SToP wird mit Mitteln des Landes Berlin durch eine Zuwendungsfinanzierung gefördert und durch die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie fachlich begleitet. SToP wird seit Dezember 2019 unter neuer Trägerschaft (Sozius Hilfen Berlin gUG) angeboten und ist 8
berlinweit tätig. Nun ist es an der Zeit über die bisherigen Erfahrungen, Erkenntnisse und Ergebnisse unserer Arbeit zu reflektieren, die Hindernisse und Stolpersteine zu benennen, zu analysieren und daraus Schlussfolgerungen für die weitere Arbeit von SToP zu ziehen. Mit dem vorliegenden Sachbericht haben wir die wichtigsten Ergebnisse der bisherigen Arbeit von SToP zusammengefasst. Daten und Fakten / Statistische Angaben Zunächst wollen wir Ihnen einen Überblick über einige Eckdaten, sowie Nutzungsgrad, Inanspruchnahme durch die Bezirke, Altersstruktur, Herkunft und die Quantität, der von den Kindern und Jugendlichen begangenen Straftaten geben. 3.1. Anfragen Im Zeitraum vom 01.01.2020 bis zum 31.12.2020 gab es insgesamt 59 Aufträge, davon wurden 59 Kinder und Jugendliche (25 im Modul 1 und 34 im Modul 2) durch das SToP Angebot aufgenommen und betreut. Der Zugang zu SToP erfolgte, entlang mit den Bezirken bereits 2009 abgestimmten Verfahren zur Aufnahme, sowie der Absprache vom 20. Januar 2017 mit der Senatsverwaltung Bildung, Jugend und Familie bzgl. der unbegleiteten Minderjährigen Geflüchteten. Die Mehrheit der Aufträge, bei denen es zu einer erfolgreichen Betreuung kam, erging im Jahr 2020 mit 10 Fällen über die Sozialpädagogischen Dienste Neukölln. Darauf folgten 9 Aufträge über die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie, bei denen es auch zu einer erfolgreichen Betreuung kam. Über Aufträge durch die Jugendgerichtshilfe und Regionalen Sozialpädagogischen Dienste Friedrichshain-Kreuzberg, Lichtenberg und Tempelhof-Schöneberg betreuten wir in 22 Fällen Kinder und Jugendliche. Zudem wurden 18 Jugendliche aus den Bezirken Mitte, Marzahn-Hellersdorf, Pankow, Steglitz-Zehlendorf und Spandau durch SToP betreut. 3.2. Fallverteilung und Nutzungsgrad Die Fallverteilung ergibt eine verstärkte Nutzung des SToP Angebots durch die Regionalen Sozialpädagogischen Dienste Neukölln, Friedrichshain-Kreuzberg und die Senatsverwaltung für Jugend, Bildung und Familie. 9
Regionale Zuordnung der Jugendlichen 12 10 Anzahl Fälle je Bezirk 10 9 9 8 8 6 6 5 4 4 3 2 2 2 1 0 Abbildung 1 Die Abbildung 1 zeigt die Verteilung der Fälle auf die 11 Bezirke Somit befanden sich im Jahr 2020 insgesamt 59 Kinder und Jugendliche in der Betreuung durch SToP. Geschlechterverteilung der betreuten Jugendlichen 70 59 Anzahl der Jugendlichen 60 50 40 30 20 10 0 0 männlich weiblich Abbildung 2 Wie die Abbildung 2 zeigt, waren 59 der betreuten Kinder und Jugendliche männlich. Darunter waren insgesamt 30 unbegleitete minderjährige Geflüchtete. 10
3.3. Altersstruktur und Herkunft Die Altersstruktur der uns zugewiesenen Kinder und Jugendlichen variiert zwischen 7 und 18 Jahren. Alter 7 8 12 13 14 15 16 17 18 Anzahl 1 1 2 7 6 12 11 17 2 Jugendliche Tabelle 1 Durch SToP wurden 2020 Kinder/Jugendliche im Alter von 7-18 Jahren betreut, wobei die Mehrheit davon, durch den erheblichen Anstieg der Fallzahlen der unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten, mit insgesamt 30 Fällen in der Altersgruppe 12 -17 Jahre liegt. Altersstruktur 18 17 16 14 Anzahl der Klienten 12 12 11 10 8 7 6 6 4 2 2 2 1 1 0 7 8 12 13 14 15 16 17 18 Alter Abbildung 3 Die Familien der Kinder und Jugendlichen stammen in der Mehrheit aus afrikanischen und arabischsprachigen Ländern, jedoch auch aus russisch- und Dari/Farsisprachigen Ländern. 11
Herkunftsländer 8 7 7 6 6 6 6 5 5 5 4 Anzahl der Fälle 4 3 3 3 3 2 2 2 1 1 1 1 1 1 1 1 0 Tunesien Deutsch/Palästinisch Afghanistan Irak Algerien Marokko Ukraine Syrien Deutsch Bosnisch/Deutsch Deutsch/Kasachisch Deutsch/Libanesisch Russland Türkisch/Deutsch Türkisch/Bulgarisch Vietnamesisch Tschetschenien Palästina Deutsch/Russisch Nationalitäten Abbildung 4 30 unbegleitete minderjährige Geflüchtete aus 9 verschiedenen Herkunftsländern: Unbegleitete minderjährige Geflüchtete 8 7 7 6 Afghanistan 6 5 Algerien 5 Marokko Anzahl 4 3 3 Tunesien 3 Ukraine 2 2 2 Russland 1 1 1 Syrien 0 Vietnam Palästina Abbildung 5 Des Weiteren wurden 29 Kinder und Jugendliche betreut, davon 26 mit Migrationshintergrund. 12
Migrationshintergrund 1 2 1 6 Tschechisch 3 Syrisch 1 Ukrainisch 6 Algerisch 3 Vietnamesisch Afghanisch Marrokanisch 5 3 Türkisch Bulgarisch Tunesisch 1 Russisch 3 7 Kasachisch Libanesisch Bosnisch 6 2 Irakisch 5 Abbildung 6 3.4. Anzahl der Straftaten vor Beginn der Betreuung Zur Zielgruppe von SToP zählen kiezorientierte Mehrfachtäter ebenso wie Schwellen- und Intensivtäter*innen und minderjährige, unbegleitete Geflüchtete. Die Anzahl der Straftaten, die die Kinder und Jugendlichen vor der Betreuung begangen haben schwankt je Fall zwischen 0 und 30. In der Einzelübersicht sieht dies wie folgt aus: Straftaten vor dem Betreuungszeitraum Anzahl 0 1 2 3 4 5 6 7 8 10 12 15 18 30 Straftaten Anzahl 9 5 1 1 9 9 2 2 5 9 0 5 1 1 Jugendliche Tabelle 2 13
Anzahl Anzahl 0 2 4 6 8 10 12 14 16 0 5 10 15 20 25 30 35 Abbildung Abbildung 7 2 F.A. M.R. B.A. 10 10 Z.N. 0 0 I.B. 15 G.A. 15 R.M. 4 5 C.S. D.Y. 8 10 K.W E.H. 1 S.T. 10 Z.N. 7 A.M. 5 N.I. 10 H.B. 4 5 L.M. G.M. 1 P.A. 15 Ö.M. 18 E.A. 0 B.M. 4 G.A. 10 F.A. S.T. 8 10 10 K.P. S.T. 1 S.T. 15 G.A. A.F. 4 G.A. 8 8 A.F. 1 30 K.S. A.A. 3 Klienten anonymisiert Klienten anonymisiert H.G. 5 K.I. 6 M.A. 0 N.N. 5 S.N. 4 Straftaten vor der Betreuung Straftaten vor der Betreuung G.A. W.I. 4 4 1 K.S. C.S. 5 I.H. 4 K.B. 8 I.A. 7 H.S. 14 10 E.H. 5 0 A.R. D.Y. 6 M.A. 4 K.B. N.I. 0 N.N. 5 5 L.M. 0 A.A. 15 Ö.M. 0 0 Ö.M. B.M.
Straftaten innerhalb des Betreuungszeitraums Anhand folgender Auflistung kann man erkennen, dass die Straftaten im Verlauf der Betreuung erheblich zurückgegangen sind. (75% sind nicht mehr straffällig geworden) Anzahl 0 1 2 3 4 5 Straftaten Anzahl 44 11 1 2 0 1 Jugendliche Tabelle 3 Straftaten während der Betreuung 6 5 5 4 Anzahl 3 2 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 I.B. D.Y. G.A. I.H. D.Y. L.M. Ö.M. B.M. M.R. R.M. A.F. A.F. A.A. S.N. W.I. P.A. E.A. H.G. I.A. B.A. E.H. E.H. A.M. H.B. G.M. M.A. C.S. M.A. N.I. S.T. S.T. S.T. S.T. Klienten anonymisiert Abbildung 9 Straftaten während der Betreuung 3,5 3 3 3 2,5 2 Anzahl 2 1,5 1 1 1 0,5 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 L.M. B.M. K.P. F.A. G.A. Ö.M. F.A. G.A. G.A. N.N. G.A. K.B. K.B. N.N. A.A. Ö.M. K.W K.I. A.R. H.S. Z.N. C.S. Z.N. N.I. K.S. K.S. Klienten anonymisiert Abbildung 10 15
35 Straftaten vor und während der Betreuung 30 30 Vor der Betreuung Während der Betreuung 25 Anzahl der Straftaten 20 18 15 15 15 10 10 10 10 10 10 8 8 8 7 6 6 5 5 5 5 5 5 5 5 4 4 4 4 3 2 1 11 1 1 1 11 1 1 1 1 0 00 00 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 00 0 I.B. Ö.M. R.M. D.Y. G.A. I.H. D.Y. L.M. B.M. M.R. A.F. A.F. A.A. S.N. W.I. B.A. P.A. E.A. H.G. E.H. I.A. E.H. A.M. H.B. G.M. M.A. C.S. M.A. N.I. S.T. S.T. S.T. S.T. Klienten anonymisiert Abbildung 11 16 Straftaten vor und während der Betreuung 15 15 15 Vor der Betreuung Während der Betreuung 14 12 10 10 10 Anzahl der Straftaten 8 8 8 7 6 5 5 5 4 4 4 4 4 4 3 2 2 1 1 1 1 0 0 0 0 0 00 0 0 0 0 0 00 0 0 0 00 0 00 00 00 0 L.M. G.A. Ö.M. K.P. G.A. G.A. N.N. G.A. K.B. K.B. N.N. A.A. Ö.M. K.W B.M. F.A. K.I. H.S. A.R. C.S. K.S. K.S. Z.N. N.I. Klienten anonymisiert Abbildung 12 16
3.5. Umsetzung der Projektziele Ziel 1: Der Jugendliche wird während der Betreuungszeit nicht wieder straffällig bzw. die Straffälligkeit wird in Quantität, Qualität und Intensität reduziert. Gemäß den Abfragen bei den zuständigen Sachbearbeitern der Polizei und der Jugendgerichtshilfen konnten die Zielvorgaben erreicht werden. So wurden 44 von insgesamt 59 Klienten innerhalb des Betreuungszeitraumes garnicht straffällig (siehe Tabelle 2 und 3 sowie Abbildung 7 bis 12). Somit wurden 75 % der von SToP betreuten Kinder und Jugendlichen nicht mehr straffällig. Bei den übrigen Jugendlichen war ein starker Rückgang der Straffälligkeit in Quantität und Qualität zu verzeichnen. Zu Betreuungsbeginn lag die Zahl der insgesamt begangenen Straftaten bei 385. Während der Betreuungszeit konnte die Anzahl der Straftaten auf insgesamt 24 reduziert werden. Daraus ergibt sich insgesamt ein Rückgang der Straftaten um 94%. Zur Förderung der Zusammenarbeit mit der Polizei, gab es einen Informationsaustausch mit dem täterorientierten Präventionsprojekt der Neuköllner Polizei. Im Rahmen dieses Polizeiprojektes werden zur Vermeidung von Straftaten Kinder und Jugendliche mit Gefährdungspotential aus der polizeilichen Datenbank ermittelt und gemeinsam mit den Sorgeberechtigten bzw. Vormündern zu Gesprächen geladen. Durch das Gespräch und die folgende erkennungsdienstliche Behandlung sollen die Kinder und Jugendlichen, die am Anfang einer „Straftäterkarriere“ stehen bzw. stehen könnten, von weiteren Straftaten abgeschreckt werden. Ziel 2: Der Jugendliche wird in eigener Sache vereinbarungsfähig. Die angesetzten Termine wurden zu mindestens 82% eingehalten. Die individuell vereinbarten Zielsetzungen mit den Jugendlichen und deren Familien in Deutschland wurden zu mindestens 75% eingehalten und umgesetzt. Im Betreuungsverlauf ist es von Wichtigkeit, dass die Kinder/Jugendlichen nicht nur die Termine mit den SToP Mitarbeiter*innen einhalten. Die Kinder/Jugendlichen werden darin unterstützt, ihre Termine selbst zu managen. Getroffene Absprachen, Termine und Verbindlichkeiten sollen von den Kindern/Jugendlichen weitestgehend selbstständig eingehalten bzw. wahrgenommen werden. Hilfreich war hier u.a. die Übung und Nutzung von digitalen Kalendern auf den Smartphones, in dem die Kinder/Jugendlichen (unter Anleitung) lernen ihre Termine 17
selbstständig einzutragen nach Wichtigkeit zu ordnen und bei der Planung von Terminen die Wegezeiten zu berücksichtigen. Zudem war uns wichtig, dass die Kinder/Jugendlichen lernen, sich bei notwendigen Terminverschiebungen telefonisch vorab zu entschuldigen und selbstständig einen neuen Termin zu verabreden. In Zahlen lässt sich die Vereinbarungsfähigkeit wie folgt ausdrücken: Im Berichtszeitraum wurden je nach Einzelfall zwischen 2 und 35 Termine vergeben. Dies hing zum einen von der notwendigen Intensität der Betreuung und zum anderen vom Betreuungszeitraum der Einzelfälle ab. Von den insgesamt 951 vergebenen Terminen wurden 782 Termine von den Kindern/Jugendlichen eingehalten. Die Einhaltung der Termine liegt im Einzelfall bei bis zu 100%. Die Anzahl der mit den Klienten getroffen Zielsetzungen lag zwischen 1- 3. Auch hier ist die Zahl abhängig vom Einzelfall. Insgesamt wurden zwischen den SToP Mitarbeiter*innen und den Kindern/Jugendlichen 109 Zielsetzungen vereinbart, von denen 82 umgesetzt wurden. Daraus resultiert eine Quote von 75%. Fasst man die Ergebnisse der Termineinhaltung und die Umsetzung der getroffenen Zielsetzungen zusammen, ergibt sich eine Quote von 79% in der Vereinbarungsfähigkeit. Ziel 3: Es erfolgt eine Elternaktivierung. Die Eltern(-teile) – sofern vorhanden - werden in jedem Hilfeverlauf/-prozess mit einbezogen. So wurden in knapp 59 % der Fallverläufe, also in 35 von 59 Fällen, sowohl mündliche als auch schriftliche Zielvereinbarungen getroffen. Dabei waren von diesen 35 Jugendlichen 6 unbegleitete minderjährige Geflüchtete, deren Familien sich außerhalb von Deutschland aufhalten. Diese werden von den fallzuständigen Kollegen*innen zeitnah überprüft und ggf. modifiziert. Im Berichtszeitraum wurden zwischen den Eltern und den SToP Mitarbeiter*innen zwischen 1-3 Vereinbarungen getroffen. Insgesamt belief sich die Zahl der getroffenen Vereinbarungen auf 40, von denen 33, also 83%, umgesetzt wurden. Seitens des Jugendamts wurden den Eltern 40 unterstützende Maßnahmen angeboten, von denen 37 bereitwillig angenommen wurden. Diese beiden Indikatoren ergeben eine Elternaktivierungsquote von 93%. Die Familien nehmen die positiven Veränderungen ihrer Kinder, wie z.B. vermehrte Reflektion- und Empathiefähigkeit, Einhaltung der mit den Eltern vereinbarten Regeln (Betreuungsvertrag), regelmäßiger Schulbesuch usw. wahr und unterstützen zunehmend 18
aktiver den Hilfeprozess. Dies führt zu einer verbesserten Zusammenarbeit zwischen den SToP Mitarbeiter*innen und den Eltern und nicht zuletzt zu einer Wiederübernahme der Erziehungsverantwortung für ihre Kinder. Die meisten Eltern wirken gegenüber Hilfeangeboten von außen aufgeschlossener. Dies geht einher mit einer sich verändernden Haltung der Eltern gegenüber staatlichen Institutionen (z.B. Schule, Jugendamt, JGH). Diese werden nicht mehr als bedrohlich und ausschließlich sanktionierend erlebt, da gewisse Blockaden und Vorurteile seitens der SToP Mitarbeiter*innen durch intensive Beratungsgespräche beseitigt werden. Die Familien bemühen sich zunehmend aktiver um eine Veränderung im Erziehungsverhalten durch das Aufstellen klarer Regeln und Grenzsetzungen. Sie bemühen sich um eine konsequentere Umsetzung. Die meisten Eltern nehmen die Bedürfnisse ihrer Kinder verbessert wahr, motivieren und unterstützen die Kinder/Jugendlichen und nutzen die Hilfs- und Unterstützungsangebote, die ihnen angeboten werden. In 24 Fällen, mit unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten, konnte kein Kontakt aufgenommen und somit keine Zielsetzungen zu den Eltern außerhalb von Deutschland vereinbart werden. Ziel 4: In der Fallarbeit wird das im Stadtteil vorhandene Netzwerk als zusätzliche Ressource genutzt. Die regelmäßige Teilnahme in bestehenden Gremien ermöglicht den SToP Mitarbeiter*innen den Austausch unter dem Kolleg*innen mit ähnlicher Zielgruppe. Die Kinder/Jugendlichen und deren Familien, werden, unter Berücksichtigung ihrer, jeweils individuellen Bedürfnisse, an kostenlose Angebote ihres Sozialraums/Stadtteils weitervermittelt. Zum Kennenlerntermin werden diese in der Regel begleitet. Im Rahmen der Netzwerkarbeit, Ressourcenerschließung und -aktivierung für die praktische Fallarbeit gab es Kontakte zu unterschiedlichen Anbietern und Projekten aus den Bereichen: ▪ Hausaufgabenhilfe (Kindertreff Dellbrücke e.V.) ▪ Deutschkurse (Karame e.V.) ▪ Interkulturell – Aktiv e.V. ▪ NBB (Jugendberatungshaus Neukölln) ▪ ABW (Ausbildungswerk Kreuzberg e.V.) 19
▪ Wohnwerkstatt - Ausbildung e.V. ▪ Arrivo Berlin (Internationales JugendKunst- und Kulturhaus Schlesische27) ▪ Schildkröte gGmbH (Jugendberufshilfe – Projekt StartpunktB) ▪ Beratungsstellen (Beratungszentrum AWO, Südost Europa BBIW, BGI) Asylberatung bei LaGeSo, BBZ – KOMMIT e.V.) ▪ Beratungsstelle (AWO Berlin Spree – Wuhle e.V. Schuldner und Insolvenz- Beratung) ▪ AWO – Vormundschaften ▪ Gesundheit (St. Joseph Krankenhaus, Vivantes Klinikum Neukölln und Friedrichshain, DRK, Berliner Drogennotdienst und Therapiezentrum „Alte Wäscherei“ und Praxen für Kinder und Jugendpsychiatrie) ▪ Jugendsozialarbeit (Outreach) „Plantage“, Nachbarschaftshäuser ▪ JGG-Träger (Täter-Opfer-Ausgleich, Jugendwerkstatt „Stattknast“ Nachbarschaftszentrum-Suppenküche Lichtenrade e.V. Abenteuerspielplatz Humboldthain) ▪ Migration (Projekte, Verbände) ▪ SV Stahl Schöneweide e.V. (Boxverein) ▪ Vista Integrative Suchberatung ▪ Drogennotdienst. Im gesamten Berichtszeitraum wurden über 79 Kontakte zu verschiedenen Anbietern des jeweiligen Sozialraums/Stadtteils hergestellt, welche in eine Weitervermittlung der Kinder/Jugendlichen mündete. Ziel 5: Jeder Jugendliche wird in ein zusätzliches Angebot der Migrantenorganisationen eingebunden. Es gelang uns einen geringen Anteil von 10% der Kinder und Jugendlichen in Angebote der Migrantenorganisationen zu vermitteln. Was die Kooperation und die Vernetzung mit den Migrationsverbänden angeht, so lässt sich eine positive, kollegiale Zusammenarbeit mit SToP feststellen. Jedoch muss eingeräumt werden, dass die Akzeptanz gegenüber den Angeboten der Verbände auf Seiten der Personensorgeberechtigten größer zu sein scheint als bei den Jugendlichen (Generationen- Konflikt etc.), so dass sich die Angebote im Bereich der Hilfen für Familien gegenüber den individualpädagogischen Hilfen (z.B. 20
Hausaufgabenhilfe, Jugendfreizeitangeboten etc.) als wirksamer zeigen. Dies liegt zum großen Teil daran, dass sich die Jugendlichen von den Angeboten nicht angesprochen fühlen, bzw. sich nicht mit ihnen identifizieren können. Trotz vorhandener Angebote von sozialen Dienstleistern und Akteuren, werden diese nicht bzw. nicht ausreichend in Anspruch genommen. Vorgezogen werden lieber Orte, wo sie sich dem pädagogischen Einfluss entziehen können. Hier kommen Shisha Cafés, Internet Cafés und Imbissbuden als mögliche Treffpunkte/ Begegnungsorte in Frage. Nicht unüblich sind Straßenzüge, an denen sich mehrere Betreiber von Spielautomaten und Wettbüros niedergelassen haben und Jugendlichen den Zugang zu diesen Geräten gewähren. Diese/r Punkt/ Vorgabe der Zielvereinbarung sollte erneut thematisiert werden. Im Rahmen der Anbindung in ein zusätzliches Angebot der Migrantenorganisationen gab es Kontakte mit folgenden Einrichtungen: ▪ DAUG e.V. (Deutsch-Arabische Unabhängige Gemeinde) ▪ Magdalena Caritas Kinder- und Jugendzentrum ▪ Karame e.V. ▪ Daz (deutsch arabisches Zentrum für Bildung und Integration) ▪ Afrika Haus e.V. (Verein der afrikanischen Communities) ▪ Joliba- Interkulturelles Netzwerk in Berlin e.V. ▪ Türkisch-Deutsches Zentrum e. V. ▪ Anne-Frank-Haus Ziel 6: Das Projekt betreut jährlich 63 Klienten im Modul 1 und Modul 2 Die Zielvorgabe bezogen auf die Quantität der zu betreuenden Klienten (63 Klienten im Modul 1 und 2) im Jahr konnte nicht erreicht werden. Diese Zielvorgabe wurde bei Modul 1 (25 Fälle) zu ca. 39 % erzielt und bei Modul 2 (34 Fälle) zu ca. 53 %. In qualitativer Hinsicht wurde hingegen ein ausgesprochen erhöhter Interventionsbedarf festgestellt. Diese ist zum einen auf die spezifischen Bedarfe der betreuten Kinder und Jugendlichen, und zum anderen auf die Folgen der Kontaktbeschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie zurückzuführen. Dementsprechend wurde durch die SToP Mitarbeiter*innen eine deutlich 21
intensivere Betreuung und Begleitung der Klienten und ihrer Familien gewährleistet, um insbesondere die psychosozialen Folgen der Kontaktbeschränkungen entsprechend aufzufangen und ihnen entgegenzuwirken (siehe Punkte 5). Eine Plattform für eine regelmäßige Öffentlichkeitsarbeit/Werbung, im Sinne einer aktiveren Nutzung des SToP Angebots, konnte aufgrund der Kontaktbeschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie nur bedingt eingerichtet werden: ▪ Die regelmäßigen Fallbesprechungen, Fallkonferenzen und Fallabschlussgespräche mit dem fallzuständigen Mitarbeiter*innen der Sozialpädagogischen Dienste und der Jugendgerichtshilfe im Einzelfall konnten unter Einhaltung der Schutzmaßnahmen gewähreistet werden. ▪ Die Auswertungsrunde im Rahmen des Qualitätsdialoges konnte allerdings in der gewohnten Form nicht stattfinden. ▪ Die Vorstellungsrunden in Dienstberatungen der RSD in den einzelnen Regionen sowie des Jugendnotdienstes waren nicht möglich. Aufgrund der Kontaktbeschränkungen mussten wir auf traditionelle bzw. digitale Maßnahmen zur Öffentlichkeitsarbeit/Werbung umstellen. Die Mitarbeiter*innen in den Jugendgerichtshilfen und Regionalen Sozialpädagogischen Diensten wurden über das Weiterbestehen und Fortführung des Angebots postalisch, telefonisch und per E-Mails regelmäßig informiert. Hierfür wurden Informationen zum Angebot (z.B. Eltern- und Fachflyer, Auftragsbögen und eine Homepage) zur Verfügung gestellt. Diese Maßnahmen konnten im Laufe des Jahres zu einer weiteren Nutzung/Inanspruchnahme des Angebots und somit zu einem relativ kontinuierlichen Anstieg der Fallzahlen führen. Von den insgesamt 59 Fällen, die im Berichtszeitraum betreut wurden, konnten 57 (97%) mit Erfolg abgeschlossen werden. In 13 (22%) Fällen wurden keine weiterführenden HZE Maßnahmen eingeleitet. In 44 (75%) Fällen wurden HZE Maßnahmen installiert. Bei 2 Fällen (3%) kam es zum Abbruch der Betreuung, aufgrund einer langfristigen Inhaftierung oder Nichterreichbarkeit. 22
Erfahrungen und Erkenntnisse in der Arbeit mit unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten - Ursachen und Bedingungsfaktoren delinquenten Verhaltens In der bisherigen Arbeit mit unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten, die vor allem strafrechtlich in Erscheinung getreten sind, ließen sich in Bezug auf delinquentes Verhalten einige Erkenntnisse aus der SToP- Arbeit herauskristallisieren. In dieser Darlegung gehen wir auf die jeweiligen Herkunftsgebiete, deren Lebenswirklichkeit und Bezüge zu Heimatland und Aufnahmeland, den Rahmenbedingungen und den uns berichteten Lebensumständen, sowie der Delinquenz der von uns betreuten minderjährigen unbegleiteten Geflüchteten ein. 4.1. Fluchtursachen Familiäre und ökonomische Ursachen spielen besonders für unbegleitete minderjährige Geflüchtete aus Nordafrika eine wichtige Rolle (Armut, innerfamiliäre Gewalt, Scheidung der Eltern, massiver sozialer Erfolgsdruck, fehlende Zukunftsperspektiven). Oftmals haben sie im eigenen Land schon auf der Straße gelebt bzw. sind gewissermaßen straßensozialisiert, haben bereits dort autonome Überlebensstrategien erlernt und waren bereits in anderen europäischen Ländern, ehe sie nach Deutschland kamen. Ebenso trifft dies für unbegleitete minderjährige Geflüchtete aus dem Libanon zu. Für unbegleitete minderjährige Geflüchtete aus Syrien und dem Irak spielen darüber hinaus anhaltende Konflikte und Bürgerkriege die wesentliche Rolle. Die Familien leben in Syrien, dem Irak oder in der Türkei. Sie haben das Fluchtbegehren unterstützt, zum Schutz ihrer Kinder und in der Hoffnung auf Familiennachzug. Unbegleitete minderjährige aus Russland stammen aus verschiedenen Ecken der ehemaligen Sowjetunion. Sie kommen überwiegend wegen familiärer Gewalt, Perspektivlosigkeit und Abenteuerlust nach Deutschland. Bei unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten aus Vietnam spielt die Perspektivlosigkeit im eigenen Land eine besondere Rolle. Kinder und Jugendliche aus sozialschwachen Verhältnissen werden nach Deutschland, oft zwecks 23
Arbeitsausbeutung, eingeschleust. Meistens handelt es sich um Refinanzierung bzw. Rückzahlung der Fluchtkosten und finanzielle Unterstützung von Angehörigen. 4.2. Rahmenbedingungen der Integration (Rechtsstatus, Bildung, Wohnen) In der Arbeit mit unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten zeigte unsere Erfahrung deutlich, dass eine unsichere Bleibeperspektive die Entwicklung einer positiven Zukunftsperspektive erheblich erschwert. Beklagt werden für einige Rechtsvorschriften weitgehend unbestimmte Rechtsbegriffe die erhebliche Interpretationsspielräume ermöglichen. Die unsichere Aufenthaltsperspektive lässt sich vor allem in der Erteilung von Kettenduldungen bzw. lang andauernden und noch nicht abgeschlossenen aufenthalts- und asylrechtlichen Verfahren zeigen. Nahezu durchweg treffen die unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten auf strukturelle Hürden jeweiliger Handlungsmaximen der Behörden. So bedarf es vor einer Ausbildungsaufnahme einer entsprechenden Genehmigung durch die Ausländerbehörde. Sie unterliegt anspruchsvollen bzw. für die jungen Menschen restriktiven Anforderungen, die es für sie zu erfüllen gilt. Ausschlussgründe sind z.B. auch bestimmte Straftaten. Ebenso unterliegt der Zugang zum Arbeitsmarkt restriktiven Rahmenbedingungen wie z.B. Beschäftigungsverbot für bestimmte Zielgruppen. Es fehlt weitgehend an individueller Unterstützung. Damit gehen geringe Chancen des beruflichen Einstiegs und der beruflichen Perspektive einher. Verbunden mit dem Rechtsstatus bleibt auch die Wohnperspektive beschränkt. Damit verbunden spielt die Betreuungsform auch keine unwesentliche Rolle. Die Möglichkeit, am kulturellen und sozialen Leben teilzuhaben, wird ebenso massiv eingeschränkt, sowie die aktive Teilhabe in der Gesellschaft. Hierbei zeigen die Jugendlichen außerdem unterschiedliche Verhaltensauffälligkeiten (fehlende intrinsische Motivation, Schuldistanz, depressive Stimmungsschwankungen, aggressiv- oppositionelles Trotzverhalten/dissoziale Verhaltensweisen z.B. Lügen, Diebstähle, gelegentliche körperliche oder verbale Auseinandersetzungen und delinquentes Verhalten). Gemessen an den Lebensverhältnissen und Lebenswelten, in denen sich die Minderjährigen befinden, ist die schulische Lernmotivation und auch der Bildungsgrad bei dieser Zielgruppe begrenzt. Mithin spielen physische und psychische Krankheiten eine beträchtliche Rolle, was Lern- und Explorationsverhalten betrifft. 24
Auffallend in der Arbeit mit dieser Zielgruppe ist der in vielen Fällen enge Zusammenhang zwischen dissozial-kriminellem Verhalten (Symptom) und einer psycho-pathologischen und/oder medizinischen Begleitproblematik. Speziell zu benennen seien hier Suchterkrankungen (größtenteils Spiel- und/oder Cannabissucht), Psychosen (Posttraumatische Belastungsstörungen, Schizophrenie, Depressionen etc.) und/oder neurologische Erkrankungen. Auf der Grundlage der Anomietheorie2 und der 3 Marginalisierungsthese scheinen diese Belastungsfaktoren das Delinquenzsrisiko bei den Betroffenen zu erhöhen. Betrachtet man deren Deliktstrukturen (Beschaffungskriminalität, organisierte Kriminalität, Rohheitsdelikte, Drogenkonsum und- Verkauf, Absatzhehlerei usw.) und den Aspekt der unsicheren Bleibeperspektive, zeigt sich hierbei ein signifikanter Zusammenhang. Demzufolge scheint der sozioökonomische Aspekt das Delinquenzsrisiko bei Jugendlichen ohne Bleibeperspektive erheblich zu erhöhen, da dieser für sie die rechtliche und soziale Anerkennung impliziert. Viele Jugendliche bemängeln außerdem das Fehlen von verlässlichen Informationen über den Stand und Aussichten ihres eigenen asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahrens. Mit destruktiven Verhaltensmustern versuchen sie dann ihrem Frust demonstrativ Ausdruck zu verleihen (z.B. Verweigerung des Schulbesuches, Missachtung des Regelwerkes, aggressives und delinquentes Verhalten). Um die Wahrscheinlichkeit delinquenten Verhaltens - im Hinblick auf die unsichere Bleibeperspektive - reduzieren zu können, zeigte sich, dass die intensive pädagogische Reflexion auf das Verhalten der Jugendlichen eine positive Auswirkung hatte. Durch informativ-transparente aufenthaltsrechtliche Beratungssettings, das Aufzeigen von Handlungsmöglichkeiten und die Entwicklung realistischer Zukunftsperspektiven, kann eine vertrauensvolle und tragfähige Zusammenarbeit mit den Jugendlichen gelingen, auf deren Grundlage bestimmte 2 „Grundgedanke der Anomietheorie nach Robert K. Merton ist, dass die meisten Menschen nach der Erreichung kulturell anerkannter Ziele streben. Ein Zustand der Anomie entwickelt sich demnach, wenn der Zugang zu diesen Zielen ganzen Menschengruppen oder Individuen versperrt bleibt. Die Folge ist ein abweichendes Verhalten, welches sich durch Rebellion, Rückzug, Fundamentalismus u.ä. auszeichnet. Kriminalität resultiert überwiegend aus diesen Intentionen.“ www.Soztheo.de (stand:25.01.2021) 3 „Marginalisierung bezeichnet einen Prozess, durch den Menschen bezüglich zentraler Werte und Einflussmöglichkeiten in einer Gesellschaft benachteiligt und so zu so genannt marginalen Personen, zu gesellschaftlichen Außenseitern werden. Insbesondere wurde der Begriff für Individuen verwendet, die zwischen verschiedenen Kulturen stehen und mit unterschiedlichsten Rollenerwartungen konfrontiert sind, die eine Identitätsbildung erschweren und auch zu innerpsychischen Konflikten führen können. Im Vergleich zu neueren Begriffen wie Ausschluss oder Exklusion betont der Begriff Marginalisierung graduelle Integrationsunterschiede und die Verantwortung des ausschließenden Sozialsystems.“ www.sozialeswissen.de (stand:25.01.2021) 25
Veränderungsprozesse (z.B. regelmäßiger Schulbesuch, Drogen – und straffreie Lebensführung) erzielt werden können. 4.3. Bezüge zur Herkunftsfamilie bzw. Herkunftsland und Kultur Die Erfahrung zeigt, dass der Bindung zu den Herkunftsfamilien eine zentrale Bedeutung beizumessen ist. Hier wurde beobachtet, dass viele unbegleitete minderjährige Geflüchtete einen engen Kontakt zu den eigenen Herkunftsfamilien pflegen und dadurch eine starke familiäre und kulturelle Bindung vorhanden ist. Der Kontakt gestaltet sich vor allem über die modernen Kommunikationswege (z.B. WhatsApp, Facebook, Skype usw.). Trotz fehlender familiärer Unterstützung ist die Bindung zu den Herkunftsfamilien von zentraler Bedeutung und nicht losgelöst von kultureller Bindung. Entsprechend besteht ein mehr oder weniger enger Kontakt. Gleichzeitig bestehen auch Verpflichtungen gegenüber der Familie, denen die Minderjährigen in ihrem Bewusstsein nachzukommen haben, so etwa die Familie finanziell zu unterstützen, die Kosten für die Flucht auszugleichen und Arbeit und Geld zu erlangen, um den Familiennachzug zu ermöglichen. Eine große Rolle spielen Loyalitätsverpflichtungen verbunden mit Loyalitätskonflikten und dem Streben Gesichtsverlust zu vermeiden. Daraus ergeben sich Belastungen, eingebunden in kulturelle Traditionen und Denkstrukturen (Konsequenzen s.u.). Diese kulturell behafteten Denkstrukturen führen bei vielen betroffenen Jugendlichen nicht selten zu erheblichen Verhaltensproblemen (aggressives, delinquentes und dissoziales Verhalten, Depression, Identitätskonflikte usw.). Um auf diese Problematik adäquat zu reagieren hat es sich als hilfreich erwiesen, die Belastungsfaktoren zu berücksichtigen, die sich aus dem familiären Umfeld ergeben und die damit verbundenen kulturellen Aspekte in der pädagogischen Arbeit mit delinquenten Jugendlichen, von großer Bedeutung sind. Dies trägt demzufolge zu einer ressourcen- und lösungsorientierten Problembewältigung bei. 4.4. Aspekte der Familienzusammenführung/ Familiennachzug Unsere Erfahrung in der Arbeit mit unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten zeigte, dass sich der Familiennachzug auch als deutlicher Belastungsfaktor herausstellte. Das traf insbesondere auf unbegleitete minderjährige Geflüchtete zu, denen ein subsidiärer Schutz und/oder die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurden. Unsere Erfahrung zeigte in diesem 26
Zusammenhang, dass Kinder und Jugendliche mit diesem Aufenthaltsstatus erheblichem Druck durch die Eltern ausgesetzt waren. Dieser Belastungsfaktor führte bei den Kindern und Jugendlichen zu unterschiedlichen weiter oben bereits genannten Verhaltensauffälligkeiten. Die Berücksichtigung und Bearbeitung dieses Aspektes in der Arbeit mit dieser Zielgruppe wirkten sich, unseren Erkenntnissen nach, positiv auf ihre psychische Stabilität aus. Ebenfalls stellten wir fest, dass der gelungene Familiennachzug eine positive Auswirkung auf die Delinquenz und somit einen gewaltpräventiven Charakter hat. 4.5. Delinquenz/Freundeskreis Bei der Betrachtung der einzelnen Herkunftsgruppen lässt sich die Prävalenzrate der Delinquenzsbelastung in den verschiedenen Deliktsbereichen maßgeblich variieren. Schwerpunktmäßig liegen die Delikte im Bereich des Drogenhandelns, verbunden mit Drogenmissbrauch, Eigentums- und Gewaltdelikten unterschiedlicher Intensität, Art und Umfang, sowie Abhängigkeitsverhältnisse zum kriminellen Milieu. Es reicht vom Drogenhandel zum Eigenkonsum bis hin zu organisiertem Drogenhandel auf unterer Vertriebsebene. Einen überproportionalen Anteil im Drogenhandel nehmen Minderjährige aus dem Libanon ein, gemessen z.B. an Minderjährigen aus Nordafrika und Syrien. Ein weiterer Deliktschwerpunkt sind bei Minderjährigen aus Nordafrika Eigentumsdelikte, (Diebstahl begehrter Waren zwischen Kosmetik, Kleidung, Lebensmittel und Handys in Kaufhäusern, Supermärkten und auf der Straße). Minderjährige aus dem Libanon geraten ohne Eigenkapital oftmals in die Fänge der Drogenmafia, kommen gezielt zum Drogenhandel nach Berlin und stehen in mehr oder weniger enger Verbindung mit der kurdisch-libanesischen Drogenmafia. Sie bewegen sich in organisierten kriminellen Strukturen kulturellen bzw. familiären Milieus. Bei der Zielgruppe der minderjährigen unbegleiteten aus Russland herrschen regelrechte Auftragsstrukturen. Sie handeln im Auftrag, sind bereits im Heimatland angeworben oder werden später in Deutschland geworben. Die Jugendlichen werden direkt von dem Auftraggeber angesprochen. In der Regel handelt es sich um Erwachsene tschetschenischer Abstammung, die sich vor allem in Berlin Mitte aufhalten und immer in kleinen Gruppen auftreten. Inwieweit eine „Arbeitsverpflichtung“ besteht, ggf. unter Androhung von Gewalt, 27
darüber kann keine valide Aussage getroffen werden. Auf Grundlage langjähriger Erfahrungen konnten wir beobachten, dass die Vernetzung und Anbindung in kriminelle Strukturen, die Anhäufung von Peers mit schlechten Angewohnheiten mit sich bringt. Konkret bedeutet dies, dass die Jugendlichen aus den betreuten Herkunftsgruppen sich in delinquenten Freundeskreisen bewegen, welche sich in den kriminellen Handlungen gegenseitig begünstigen. Im Gegensatz zu gleichaltrigen aus anderen Ländern treten Kinder und Jugendliche aus dem Vietnam kaum strafrechtlich in Erscheinung. Wahrscheinlich müssen sie sich an strengere Regeln von Schleusern halten, um die Wahrscheinlichkeit, ins Visier der Ermittlungsbehörden zu geraten, massiv zu reduzieren. Infolgedessen gelten sie in ihrem Wohl als besonders gefährdet und bedürfen daher einer besonderen Aufmerksamkeit der Kinder und Jugendhilfe. Der Freundeskreis scheint im Allgemeinen zwar durchmischt zu sein, in spezifischen Fällen lässt sich jedoch auch eine einseitige Tendenz beobachten. Besonders Menschen aus Nordafrika sind mit ihrem kulturellen Milieu stark vernetzt. Während Jugendliche aus dem Libanon, Syrien und Irak einen multikulturellen Freundeskreis aufweisen, ist bei Jugendlichen aus dem Vietnam eine Konzentration auf den eigenen Kulturkreisen zu beobachten. Die delinquenten Jugendlichen aus den betrachteten Herkunftsländern weisen vor allem eine dysfunktionale Tagesstruktur auf. Sie sind nicht selten schuldistanziert und gehen kaum einer sinnvollen Freizeitgestaltung nach. Für pädagogische Freizeitaktivitäten sind sie schwer zu motivieren. Vielmehr treffen sie sich an Drogenumschlagplätzen wie z.B. Kottbusser Tor, Warschauer Straße, Alexanderplatz, Hermannplatz usw., um entweder Drogen zu verkaufen, zu konsumieren oder aber auch gemeinsame Diebstahlsdelikte (z.B. Taschendiebstähle) zu begehen. Insgesamt zeigt unsere Erfahrung, dass der delinquente Freundeskreis einen erheblichen Einfluss auf das Verhalten der von uns betreuten Jugendlichen und damit auf die pädagogische Arbeit mit dieser Zielgruppe hat. 4.6. Wohnperspektive und Betreuungsform In der Arbeit mit unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten kommt der Klärung der Wohnperspektive und der damit verbundenen Betreuungsform eine entscheidende Rolle zuteil. In unserer Praxis zeigt sich, dass unbegleitete minderjährige Geflüchtete, die aufgrund spezifischer migrations- und sozialisationsbedingter Rahmenbedingungen für die 28
pädagogische Arbeit schwer zugänglich sind, sich mit subjektiv erheblichen Schwierigkeiten konfrontiert sehen. Oft müssen sie Jugendhilfeeinrichtungen wechseln, da sie dort pädagogisch nicht erreicht werden können. Diese Situation führt zu einer dauerhaften Destabilisierung ihrer Lebenssituation, die mit einer äußerst enormen Belastung für die Betroffenen verbunden ist. Außerdem zeigt unsere Erfahrung, dass delinquente unbegleitete minderjährige Geflüchtete in Jugendhilfeeinrichtungen untergebracht werden, die oft ihren individuellen und persönlichen Ressourcen nicht entsprechen bzw. diese nicht berücksichtigt werden. Dadurch fühlen sich die betroffenen Jugendlichen in ihren Fähigkeiten – z.B. selbstständige und eigenverantwortliche Lebensführung – massiv eingeschränkt. Dieser Umstand führt nicht selten zu Interessenkonflikten zwischen den betroffenen Jugendlichen und dem helfenden System. Die Folgen der Corona-Pandemie für die Zielgruppe Die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen stellen für unsere Zielgruppe eine erhebliche Herausforderung dar. Aufgrund ihrer besonderen Lebenslagen sind sie als eine entwicklungsbedingte vulnerable Bevölkerungsgruppe von den Eindämmungsmaßnahmen besonders betroffen. In diesem Zusammenhang haben wir in der Arbeit mit dieser Zielgruppe einige Erkenntnisse gewonnen. Diese werden im Fokus der Übersichtlichkeit und der Relevanz für die sozialpädagogische Intervention in folgenden Bereichen eingeteilt: 5.1. Psychosoziale Situation Die psychosoziale Situation der Zielgruppe hat sich seit Pandemiebeginn enorm verschlechtert. Das trifft insbesondere auf Kinder und Jugendliche sowie ihre Eltern aus sozialschwachen Verhältnissen, darunter auch Geflüchtete, zu. In diesem Zusammenhang zeigt unsere Erfahrung, dass die Schließung von Betreuungs- und Bildungseinrichtungen für Eltern und Kinder eine extreme psychische Belastung darstellte. Der Verlust von gewohnten Tagesstrukturen, Kontaktabbrüche zu außerhäuslichen Bindungspersonen und eigenständiges Lernen Zuhause stellten sie vor neue Herausforderungen. Mit Blick auf die Unterstützung ihrer Kinder im schulischen Bereich, stoßen sie oft an ihre Belastungsgrenzen. Außerdem stiegen die emotionalen Anforderungen an die Eltern, ihren 29
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