SC|MStudies in Communication | Media - ESSAY - Nomos eLibrary

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SC|M                                 Studies in Communication | Media

                                              ESSAY

                 Risiken und Nebenwirkungen des Internets
                      für die politische Kommunikation

                      Risks and Side Effects of the Internet
                          for Political Communication

                                       Wolfgang Donsbach

SCM, 0. Jg., 1/2011, S. 119-129
                      https://doi.org/10.5771/2192-4007-2011-1-119, am 29.11.2021, 12:31:32
                           Open Access –              - http://www.nomos-elibrary.de/agb
Wolfgang Donsbach: Technische Universität Dresden, Institut für Kommunikationswissen-
schaft; Kontakt: wolfgang.donsbach(at)tu-dresden.de

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                  https://doi.org/10.5771/2192-4007-2011-1-119, am 29.11.2021, 12:31:32
                       Open Access –              - http://www.nomos-elibrary.de/agb
ESSAY

Risiken und Nebenwirkungen des Internets für die politische
Kommunikation
Ein Essay
Risks and Side Effects of the Internet for Political Communication
An Essay

Wolfgang Donsbach

Abstract: This short essay observes some general trends concerning the internet’s impact
on political communication – based around notions of what we might expect from the
citizens, media and political actors in a democratic society. It focuses on three central ques-
tions: 1) What kind of significance did the internet gain over recent years? 2) What kind of
changes will current trends in communication carry for political cognition? 3) What sort
of modification will the culture of communication experience? The essay argues in favor
for a hard-nosed view on recent developments that concentrates on the functions of jour-
nalism and intermediate institutions, rather than normative expectations regarding a „new
public sphere“.

In einem neuen Online-Journal (Herz-                         Die „strengen Regeln wissenschaftli-
lichen Glückwunsch zur ersten Num-                        cher Methodik“ zu vernachlässigen,
mer!) darf man doch hoffentlich schon                     fällt einem Wissenschaftler zwar
mal Wikipedia zitieren! Ein Essay ist                     schwerer als einem Verteidigungsminis-
„eine geistreiche Abhandlung, in der                      ter, aber er freut sich, wenn er mal
wissenschaftliche, kulturelle oder ge-                    nicht jeden Satz darauf prüfen muss,
sellschaftliche Phänomene betrachtet                      ob man ihn schreiben kann – und ob
                                                          ihn nicht vielleicht schon ein Kollege
werden. Im Mittelpunkt steht die per-
                                                          so oder ähnlich geschrieben hat. Auch
sönliche Auseinandersetzung des Au-
                                                          die „persönliche Auseinandersetzung“
tors mit seinem jeweiligen Thema. Die
                                                          mit dem Thema ist eine eher willkom-
Kriterien streng wissenschaftlicher Me-                   mene Erwartung, wenn man ansonsten
thodik können dabei vernachlässigt                        in das Korsett der wertfreien Wissen-
werden.“ (http://de.wikipedia.org/wiki/                   schaft gezwängt ist. Auch wenn man
essay) Dagegen ist natürlich Kritik                       dieses Korsett freiwillig gewählt hat
höchst erwünscht und geradezu der                         (das nach Popper einzig unumgängli-
Maßstab dafür, ob dieses Ziel erreicht                    che Werturteil in einer ansonsten wert-
wurde.                                                    freien Wissenschaft), juckt es gerade in

                                                                                               121
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Essay

den normrelevanten Sozialwissenschaf-                   Jahre, dann fokussieren die Beiträge
ten, auch einmal normativ argumentie-                   wiederum das alte Thema von Walter
ren zu können – und damit das zu tun,                   Lippmann (1922), nämlich die Frage,
was René König uns verboten hat,                        wie groß das Delta ist zwischen den
nämlich das Werturteil zum Inhalt der                   Idealvorstellungen einer Demokratie
wissenschaftlichen Aussage zu machen.                   und der tatsächlichen Performanz ihrer
Ganz problematisch für den Verfasser                    Akteure. Auch wenn man natürlich
ist natürlich das Gebot, in seinem Es-                  gleich mit dem Generalverdacht kom-
say „geistreich“ zu sein. Ich ziehe mich                men kann, die Vergangenheit werde
auf den Standpunkt zurück, dass dies                    idealisiert, um die Gegenwart umso
jeder Leser anders definiert und emp-                   einfacher an den Pranger stellen zu
findet und man diesbezüglich wenigs-                    können (ein Trick, den man gerade Ha-
ten hier und da einen Treffer beim Pu-                  bermas immer vorgeworfen hat), ist es
blikum landet.                                          für die Sozialwissenschaften nötig,
   Dieser Beitrag basiert also anders als               nach den Absetzungsbewegungen der
meine üblichen Arbeiten weniger auf                     Realität vom Ideal zu suchen. Dies
originären empirischen Daten. Statt-                    müsste auch dann Anlass zu wissen-
dessen gebe ich hier einige Beobach-                    schaftlicher Aktivität sein, wenn man
tungen wieder, die zum Teil auf empiri-                 davon ausgehen muss, dass das Ideal
sche Ergebnissen (eigenen und noch                      selbst nie zu erreichen ist. Insofern soll-
mehr fremden), überwiegend aber auf                     te in jedem von uns ein Stück
allgemeinen Beobachtungen über die                      Habermas’schen Denkens stecken,
Veränderungen der politischen Kom-                      auch wenn man nicht der Kritischen
munikation in Zeiten des Internets ba-                  Theorie angehört.
sieren. Meine drei Kernfragen in die-                      Allerdings sind Habermas und seine
sem Essay sind für mich auch so etwas                   Schüler, und das ist ein direkte Folge
wie meine forschungsleitenden Fragen                    des kritisch-theoretischen Gedankenge-
für die Zukunft: 1) Welche Bedeutung                    bäudes, meist auf einem Augen blind,
hat das Internet für die politische                     weil sie nur die strukturellen Voraus-
Kommunikation? 2) Welche Verände-                       setzungen der Demokratie im Blick ha-
rungen bringen die gegenwärtigen                        ben und nicht die Performanz ihrer
Trends im Kommunikationsverhalten                       Akteure, zumindest nicht der Bürger.
hinsichtlich der politischen Kognitio-                  Letztere werden meist als Opfer der
nen? 3) Welche gesamtgesellschaftli-                    Umstände, bestenfalls als abhängige
chen Veränderungen hinsichtlich der                     Variable der Systemvoraussetzungen
Kommunikationskultur kann es ge-                        gesehen (vgl. Donsbach & Obermüller,
ben?                                                    2010). Es darf aber erlaubt sein zu fra-
   Letztlich dreht sich dabei alles um                  gen, was die Bürger mit den ihnen zur
die Frage, wie viel und was wir von                     Verfügung stehenden Ressourcen, auch
Bürgern, Medien und politischen Ak-                     denen im Internet, Sinnvolles anfangen.
teuren in einer Demokratie – und da-
mit vom politischen System insgesamt
– erwarten können. Betrachtet man die
Veröffentlichungen und Konferenzthe-
men im Bereich der politischen Kom-
munikationsforschung der letzten zehn

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                  https://doi.org/10.5771/2192-4007-2011-1-119, am 29.11.2021, 12:31:32
                       Open Access –              - http://www.nomos-elibrary.de/agb
Donsbach | Risiken und Nebenwirkungen des Internets für die politische Kommunikation

1.   E-Democracy: die unerfüllte                       präsentativen Durchschnitt der Bevöl-
     Hoffnung                                          kerung ab 14 Jahren hatten 62 Prozent
                                                       von den zwei wichtigsten Nachrichten
Meine erste forschungsleitende Frage                   des Vortages erfahren – bestimmt
betrifft die Bedeutung des Internets für               durch ein zehnköpfiges Expertenpanel
die politische Kommunikation. Sie ist                  aus Chefredakteuren, Politologen und
eine rein deskriptiv-empirische Frage.                 Kommunikationswissenschaftlern –,
Maßstab sind hierfür am besten die Er-                 davon sieben Prozent durch das Inter-
wartungen, die man vor etwa zehn bis                   net. Bezogen auf die Gesamtbevölke-
15 Jahren mit der so genannten E-De-                   rung bleiben hier – weil noch konkre-
mocracy verbunden hat. Sie betrafen                    ter gefragt wurde – ganze vier Prozent
ein Mehr an direkten demokratischen                    übrig. Für neun von zehn Befragten
Entscheidungen, einen intensiveren,                    war die Quelle immer noch ein klassi-
das heißt mehr Menschen einbeziehen-                   sches Medium. Geht man in der Infor-
den politischen Diskurs und eine stär-                 mations-Kaskade noch weiter und
kere Responsivität der Regierung (vgl.                 fragt nach der möglichen Quelle für
Zittel, 2008). Nichts davon ist bisher                 zusätzliche Informationen zu den
in nennenswertem Maße eingetreten.                     wichtigsten Themen, dann ändert sich
   Alle bisher vorliegenden Befunde                    nicht viel an den Relationen. Wenn das
zeigen aber, dass die Nutzung des In-                  Internet die Quelle für Informationen
ternets und die Wahrnehmung seiner                     war, dann – so kann man erfreut fest-
Möglichkeiten für politische Partizipa-                stellen – waren es ganz überwiegend
tion (und sei es auch nur die passive                  die Web-Auftritte der professionellen
Nutzung von Inhalten) äußerst gering                   Medien. Ein einziger von 1 800 Befrag-
und hinsichtlich der aktiven Eigen-Be-                 ten (0,006 Prozent!) nannte einen Blog
teiligung sogar eher rückläufig sind.                  als Informationsquelle über die wich-
Nach der ARD/ZDF-Onlinestudie                          tigsten Tagesthemen. Die Tatsache,
2010 gaben 58 Prozent der Online-                      dass in den USA das Internet als Nach-
Nutzer an, das Internet für politische                 richtenquelle sogar die traditionelle Ta-
Informationen und Nachrichten zu                       geszeitung überholt hat, liegt überwie-
nutzen (van Eimeren & Frees, 2010).                    gend      daran,     dass   dort      das
Fragt man aber konkret, über welches                   Nachrichteninteresse noch tiefer ge-
Medium man sich „gestern“ (Stich-                      sunken ist als bei uns (Pew Research
tagsfrage) über „das aktuelle Gesche-                  Center for the People and the Press,
hen“ informiert hat, dann sehen die                    2008).
Zahlen plötzlich ganz anders aus: Von                     Die aktive Eigenbeteiligung am
den 61 Prozent der unter 30-Jährigen,                  Nachrichtenfluss („Nachrichten“ hier
die das überhaupt (angeblich) taten,                   in einem sehr weiten Sinne verstanden)
nannten 15 Prozent das Internet. Bezo-                 ist noch geringer und sogar rückläufig.
gen auf alle bleiben ganze neun Pro-                   Die ARD/ZDF-Onlinestudie ermittelte,
zent übrig (Allensbacher Markt- und                    dass von den Nutzern mit eigenem
Webeträgeranalyse, 2008).                              Profil in einer privaten Community ge-
   Das passt zu den ersten Befunden                    rade einmal 54 Prozent mindestens
unseres      laufenden   DFG-Projekts                  einmal im Monat „Beiträge und Kom-
„Nachrichtennutzung und Nachrich-                      mentare innerhalb der Community
tenwissen junger Menschen“. Im re-                     schreiben“ und sechs Prozent eigene

                                                                                            123
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                        Open Access –              - http://www.nomos-elibrary.de/agb
Essay

Videos hochladen. Da 39 Prozent ein                     als das Aufkommen täglicher Leser-
solches Profil haben, verringern sich                   briefe bei deutschen Tageszeitungen.
diese Zahlen auf 21 bzw. zwei Prozent                   Die Autoren ziehen daher den Schluss,
der Bevölkerung. Und: Hier geht es um                   dass die Internetangebote der Parteien
Aktivitäten jeglicher Art. Politik dürfte               vermutlich kaum eine messbare Wir-
dabei eine kaum messbare Größe sein.                    kung auf die Wahlentscheidung hatten
   Schauen wir auf Youtube, dann ist                    und setzen deren Funktion mit den
es realistisch anzunehmen, dass der                     Parteizeitungen des frühen 19. Jahr-
Anteil der „Prosumer“ von User-Gene-                    hunderts gleich. „Die Resonanz in den
rated-Online-Videos (UGOV) im poli-                     Sozialen Netzwerken und in den Foren
tischen Bereich selbst bei weiter Defini-               wurde allenfalls ansatzweise den Krite-
tion deutlich unter einem Prozent liegt.                rien gerecht, die man an einen politi-
Betrachtet man den bei Youtube mit 4                    schen Diskurs anlegen muss.“ Sie ver-
Prozent ausgewiesenen Anteil des Be-                    muten, dass sich die politisch
reichs „Nachrichten und Politik“,                       Uninteressierten im Internet noch
dann findet sich dort nur wenig, was                    leichter den politischen Inhalten entzie-
mit politischen Inhalten, geschweige                    hen können als in den traditionellen
denn mit politischen Nachrichten im                     Medien (Kepplinger & Podschuweit,
engeren Sinne etwas zu tun hat. Am                      2011, i. Druck).
22. März 2011 war trotz der Vorgänge                       Mit diesen Daten will ich nicht in
in Japan und Libyen der Tod von Eis-                    Frage stellen, dass politische Kommu-
bär Knut der absolute Renner unter                      nikation online ein erhebliches Poten-
den 25 erstgelisteten Beiträgen. Hinzu                  zial bietet und auch für die Kommuni-
kommt, dass die Web 2.0-Eigen-Aktivi-                   kationswissenschaft ein wichtiges
täten nach der jüngsten ARD/ZDF-On-                     Untersuchungsfeld ist. Aber noch gilt
linestudie eher rückläufig sind. Ob dies                die Faustregel: Wenn eine Nachricht
am Ende des Neuigkeitseffekts liegt                     nicht in den traditionellen Medien
oder an der Erfahrung, dass sich die ei-                kommt, dann bleibt sie irrelevant. Et-
genen Kommunikate ohne Resonanz                         was anderes ist es mit der Bedeutung
im Nirwana des Cyberspace verlieren,                    von Twitter & Co. für den professio-
muss noch geklärt werden.                               nellen Journalismus. Die sozialen Netz-
   Auch die Studie von Kepplinger und                   werke haben sich gerade in unfreien
Podschuweit (2011) über die interakti-                  Systemen zu einer wichtigen Ressource
ven Webseiten der Parteien im Bundes-                   bei der Themenfindung und Recherche
tagswahlkampf 2009 zeigte vernach-                      erwiesen. Bei weltweit 140 Millionen
lässigbare Aktivitäten. Das gilt sowohl                 täglich versandten Twitter-Meldungen
hinsichtlich der Anzahl der Nutzer die-                 muss ja irgendwann auch etwas Wich-
ser Seiten im Vergleich zu denen der                    tiges dabei sein. Man kann nur hoffen,
Webseiten etablierter Medien, als auch                  dass die professionellen Journalisten
hinsichtlich der Parteien-Channels auf                  bei den richtigen Leuten zu den Twit-
Youtube und der aktiven Teilnehmer                      ter-Followern gehören, sonst ver-
an Parteienforen. Ein Ergebnis heraus-                  schwenden sie viel Zeit, die für echte
gegriffen: Im offenen Forum der Grü-                    Recherche aufgewendet werden muss.
nen gab es im Schnitt acht Beiträge pro
Tag. Das ist selbst für alle Parteien zu-
sammen genommen deutlich weniger

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                  https://doi.org/10.5771/2192-4007-2011-1-119, am 29.11.2021, 12:31:32
                       Open Access –              - http://www.nomos-elibrary.de/agb
Donsbach | Risiken und Nebenwirkungen des Internets für die politische Kommunikation

2. Verlust an Validität?                               nicht wundern: dass es zu Umvertei-
                                                       lungen am Markt kommt, dass die
Das bringt mich zur viel wichtigeren                   Menschen für die Produkte nicht mehr
Unterscheidung als der zwischen tradi-                 zahlen wollen und dass Journalismus
tionellen Medien und dem Internet,                     seine Konturen verliert. So ist es kaum
nämlich der zwischen Journalismus                      verwunderlich, dass heute für die Hälf-
und Para- oder Non-Journalismus –                      te der 18 bis 24 Jahre alten Deutschen
und damit zur Frage der politischen                    ein Blogger ein Journalist ist (Dons-
Kognitionen. Jeder kennt „Me-too“-                     bach, Rentsch, Schielicke, & Degen,
Produkte, die im Phänotyp das Gleiche                  2009, S. 120).
anbieten, aber im Kern meist von ge-                      Leider ist dies nur zum Teil ein
ringerer Qualität sind. Die Koreaner                   Branchenproblem, das man aus ge-
machen es mit deutschen Autos, die                     samtgesellschaftlicher Perspektive ver-
Anzeigenblätter mit den Abonnement-                    nachlässigen könnte. Die Folgen der
zeitungen und Tausende von Webseiten                   veränderten Nutzungsmuster bestehen
mit spiegel-online oder faz.net. Aller-                vor allem darin, dass die Produkte des
dings war es noch nie so leicht, die                   professionellen Journalismus immer
Profis zu imitieren, wie im Internet.                  weniger nachgefragt werden. Barn-
Woher die Information stammt, wie                      hurst und Owen (2008, S. 2557) defi-
gut sie geprüft wurde, wie ausgewogen                  nieren die Funktion des Journalismus
sie ist – all das kann, muss aber nicht                lapidar, aber auf den Punkt gebracht:
eine Rolle spielen, um es wie eine                     „distinguishing intelligence from gos-
Nachricht aussehen zu lassen. Wenn al-                 sip“. Betrachtet man sich die Entwick-
les optisch mehr oder weniger gleich                   lungen der Inhalte im Internet, dann
daher kommt: Woher soll der Nutzer                     muss man zu der Erkenntnis kommen,
noch wissen, hinter welcher Website                    dass es gerade die „Gerüchte“ sind, die
ein professionelles Medium steckt, das                 an Bedeutung gewinnen. Der frühere
mit viel Aufwand die richtigen und                     Direktor des Nieman-Instituts an der
wichtigen Nachrichten recherchiert                     Harvard University, Bill Kovach,
hat, und hinter welcher ein verblende-                 drückte die Sorge so aus: “Each day
ter Blogger oder ein Unternehmen, die                  that passes swells the number of peo-
einem etwas verkaufen wollen – sei es                  ple who join this tech-savvy generation
ein Ideologie oder ein Produkt.                        accustomed to receiving and communi-
    Als Folge erleben wir derzeit drama-               cating what they want, when, where,
tische Verluste von Markenkernen,                      how and from whom they want it. The
nämlich denen der etablierten Medien.                  question is whether those who contrib-
Sie haben geglaubt, dem Internetan-                    ute to this new universe of voices have
sturm am besten Paroli bieten zu kön-                  the time, the motivation, and the skills
nen, wenn sie sich an die Spitze der Be-               this task requires” (Kovach, 2006, S.
wegung setzen. Keine Zeitung, kein                     39). Seine Forderung: Wir benötigen
Rundfunkmedium ohne Blog und Fa-                       einen “new journalism of verification”.
cebook und Twitter – alles Journalis-                     Wenn die Nachfrage nach professio-
mus, oder was? Wenn die Profi-Journa-                  nellem Journalismus sinkt und zuneh-
listen so tun, als gehörten die Amateure               mend para-journalistische oder nicht-
oder die PR-Treibenden zur Familie,                    journalistische Quellen eine Rolle
dann dürfen sie sich über drei Dinge                   spielen, dann steigt die Wahrscheinlich-

                                                                                           125
                   https://doi.org/10.5771/2192-4007-2011-1-119, am 29.11.2021, 12:31:32
                        Open Access –              - http://www.nomos-elibrary.de/agb
Essay

keit, dass der Anteil von geprüftem                    Twitter & Co. geschrieben habe: Als
Wissen an allem Wissen der Bürger                      Rohmaterial für Journalismus eine tol-
tendenziell sinkt. Damit kann die Ge-                  le Ergänzung, insbesondere im Hin-
sellschaft letztlich auch irrationaler                 blick auf andere Quellen und Blick-
und in gewisser Weise auch ideologi-                   winkel – aber eben auch nicht mehr.
scher werden, zumindest aber ober-
flächlicher. Wir brauchen daher Quali-                 3. Weimar 2.0?
tätsjournalismus, wir brauchen die
Leute, die uns die Gerüchte vom Hals                   Die veränderte Kommunikationsum-
halten und das Wichtige und Richtige                   welt kann noch einen weiteren und
(im Sinne des Geprüften) ausgraben.                    zwar einen makrosoziologischen Effekt
Oder mit Miriam Meckels Worten:                        haben: dass auch der Anteil an gemein-
„Wir brauchen Menschen, die vom                        samem Wissen an allem Wissen der
Schreibtisch aufstehen und sich vom                    Bürger sinkt. Das bezeichne ich als
Computer lösen, um zu beobachten,                      „Weimarisierung“, weil auch damals
was in der Welt geschieht. Wir brau-                   die Gesellschaft in viele kleine Commu-
chen Menschen, die unter Recherche                     nities (man nannte sie noch nicht so…)
mehr als die Begriffseingabe in eine                   zerfiel, die kaum noch gemeinsame Für-
Suchmaschine verstehen.“ (FAZ vom                      wahrhaltungen zu den Gesprächsthe-
12. Mai 2009)                                          men aufwiesen. Wer den Völkischen
   In seiner Gesamtheit wird durch das                 Beobachter las, hatte eine ganz andere
Internet trotz all seiner segensreichen                Weltsicht, ganz andere Informationen
Möglichkeiten das Angebot an politi-                   und Argumente parat als der Leser der
schen Informationen aber gerade weni-                  Roten Fahne. Nun steht unsere heutige
ger professionell. Eine US-amerikani-                  Gesellschaft nicht vor der Gefahr einer
sche Studie von Maier (2010)                           zunehmenden Radikalisierung. Sie inte-
analysierte über 13 000 Berichte von                   ressiert sich eher nur noch für die Din-
nationalen und regionalen Tageszeitun-                 ge, die sie selbst betreffen, was Uwe
gen und Web-Anbietern (CNN.com,                        Volkmann (2010) die „Privatisierung
Yahoo-News, NBC.com, Google-News                       der Demokratie“ nennt.
und AOL-News). Die Webangebote                            Aber wahrscheinlich haben wir es
hatten zwar im Durchschnitt mehr Be-                   mit zwei Teilen der Gesellschaft zu tun,
richte als die gedruckten Produkte, wa-                bei denen auf unterschiedlichem Ni-
ren aber durchschnittlich halb so lang,                veau ähnliche Prozesse ablaufen: Die
wurden überwiegend aus Agenturen                       politisch Interessierten und die Uninte-
gespeist und waren mehr meinungs- als                  ressierten besuchen zwar ganz unter-
sachbetont. Ähnliches fand Quandt                      schiedliche Webseiten, aber sie werden
(2008) für Deutschland. Vergleicht                     beide selektiver! Während die einen,
man die Webseiten professioneller Ta-                  überspitzt ausgedrückt, nur noch die
geszeitungen mit denen von Bürger-                     Seiten ihrer Partei ansehen, gehen die
journalisten und Bloggern, dann sind                   anderen nur noch auf die ihrer Helden
Letztere weit davon entfernt, ein Subs-                in jeweils anderen Bereichen der Popu-
titut für die Online-Auftritte der pro-                lärkultur und der Warenwelt. Das wird
fessionellen Medien darzustellen (Lacy,                auch leichter gemacht, denn die Web-
Duffy, Riffe, Thorson, & Fleming,                      Auftritte im Internet sind – soweit es
2010). Auch hier gilt, was ich über                    die nicht-professionellen Medienhäuser

126                                                                                      SCM, 0. Jg., 1/2011
                 https://doi.org/10.5771/2192-4007-2011-1-119, am 29.11.2021, 12:31:32
                      Open Access –              - http://www.nomos-elibrary.de/agb
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betrifft – auch parteiischer. Baum und                 rade darin, ‚unter sich‘ zu sein und sich
Groehling (2008, S. 361): „Our find-                   gegenseitig Meldungen und Kommen-
ings suggest that if […] hearing both                  tare zuzuschieben oder auf solche zu
sides of the story helps Americans                     verweisen, die der eigenen Meinung
make better decisions, the increased re-               oder der der Gruppe entsprechen.
liance of many politically attentive                        Die Softwares der sozialen Netzwer-
Americans on partisan sites such as                    ke tun ein Übriges. Spiegel-Online be-
Daily Kos and Free Republic could po-                  richtete jüngst von einer Beobachtung
tentially pose a significant challenge to              des Aktivisten Eli Pariser, der feststellte,
American democracy […]. Regardless                     dass ihm Facebook immer häufiger Ar-
of their normative implications, our                   gumente der Gegenseite vorenthielt.
findings offer a striking validation for               Das Programm setzte bestimmte Filter
those who complain about one-sided                     ein, die auf der vorhergehenden Nut-
coverage of politics in the so-called                  zung basieren. Die Folge: Was der Nut-
blogosphere.”                                          zer erhält, wird immer einseitiger, ‚mo-
   Aber nicht nur die Angebote, auch                   re-of-the-same‘. Der Verfasser des
die Nutzung wird selektiver. Die Ame-                  Spiegel-Beitrags beobachtet das gleiche
rikaner wenden sich, zumindest sofern                  Phänomen für Twitter. Man sieht minu-
sie politisch interessiert sind und eine               tiös, was das eigene Umfeld zu sagen
Parteipräferenz haben, immer häufiger                  hat. „Und doch wirkt die vom selbstge-
solchen Quellen zu, die ihren bereits                  wählten Twitter-Umfeld gelieferte Sicht
bestehenden Ansichten entsprechen.                     auf die Welt verzerrt, wenn man sie ein-
Die Theorie der selektiven Zuwendung                   mal mit dem Smalltalk in der U-Bahn,
erlebt ein Revival! Iyengar und Hahn                   der Kneipe oder den Kommentaren auf
(2009) belegen dies eindrucksvoll für                  einer beliebigen Nachrichtenseite im
Fox-News und CNN/NPR („red me-                         Netz vergleicht. Zumindest in meinem
dia, blue media“). Offensichtlich eignet               Twitter-Umfeld gilt Karl-Theodor zu
sich die Architektur der Webseiten                     Guttenberg als unerträglich. Das sehen
ganz besonders für selektive Zuwen-                    einige Menschen anders, und unabhän-
dung entsprechend der Dissonanztheo-                   gig davon, was man nun darüber
rie (Meffert, Chung, Joiner, Waks, &                   denkt: Es ist erstaunlich, wie wenig ab-
Garst, 2006; Westerwick & Meng,                        weichende Meinung zu diesem und
2009). Während dies mediale Auftritte                  ­anderen Themen ich in meinem Twit-
betrifft, ist die Gefahr, nur noch mit                  ter- und Facebook-Umfeld lese.“ Spie-
den Ansichten aus dem eigenen Spren-                    gel-Autor Konrad Lischka (2011)
gel konfrontiert zu werden, bei den so-                 ­fordert die Kommunikationswissen-
zialen Netzwerken noch einmal um ein                     schaftler auf, einmal zu untersuchen,
Vielfaches größer. Ein Viertel der On-                   wie sich in dieser Situation zunehmend
line-Nutzer ab 14 Jahren nutzt mindes-                   Schweigespiralen bilden und die Men-
tens einmal wöchentlich Gesprächsfo-                     schen sich angesichts der Homogenität
ren, Newsgroups und Chats, 32                            in den sozialen Netzwerken viel häufi-
Prozent Online-Communities. Bei den                      ger in der Minderheit fühlen.
Jugendlichen und jungen Erwachsenen                         Neben dem Verlust an Validität ist
sind es entsprechend mehr (van Eime-                     also die wahrscheinlich größte Gefahr
ren & Frees 2010). Das Merkmal sol-                      der neuen Kommunikationsstrukturen
cher sozialen Netzwerke besteht ja ge-                   und -inhalte, dass sie zu einem Verlust

                                                                                               127
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Essay

an Öffentlichkeit führen. Öffentlich-                   man das Erreichte bewahren und mit
keit kann es nämlich nur dort geben,                    den neuen Kommunikationsmöglich-
wo man sich erstens auch für Dinge in-                  keiten sinnvoll weiterentwickeln kann.
teressiert, die einen selbst und die eige-              Dies ist nur im ersten Schritt – nämlich
nen Interessen nicht direkt betreffen,                  dem Bekenntnis zu einer pluralisti-
und wo es zweitens eine zumindest in                    schen und möglichst rationalen Demo-
Teilen gemeinsame kognitive Plattform                   kratie – eine normative Entscheidung.
gibt. Das war bisher die spezifische                    Dazu gehört aber die Erkenntnis, dass
Leistung der professionellen Medien,                    ein Bürger, der täglich seine persönli-
und deshalb hält Jarren (2008, S. 329)                  che Meinung in einem Blog kundtut,
sie auch für „unverzichtbare Instituti-                 noch lange kein Journalist ist, sondern
on unserer Gesellschaften“, denn sie                    (möglicherweise) etwas Brauchbares
„[…] ermöglichen in spezifischer Weise                  liefert, das uns die Profis aufbereiten.
die Interaktionsprozesse zwischen In-                   Deren Aufgabe wird natürlich dadurch
formationsanbietern und Rezipienten,                    nicht leichter.
sie regeln die Austauschprozesse gesell-                   Meine dritte, oben behandelte Fra-
schaftsweit, für alle Gesellschaftsmit-                 ge, lässt sich vielleicht wirklich nur
glieder sichtbar und verbindlich“.                      normativ beantworten, es sei denn
                                                        man ist gewillt, sich auf langfristige
4. Fazit                                                Quasi-Experimente über die Verände-
                                                        rung politischer Systeme einzulassen.
Man muss aufpassen, nicht als der
                                                        Ich halte eine Demokratie, in der sich
kommunikationswissenschaftliche Hei-
                                                        die kognitive Polarisierung der Staats-
zer auf der E-Democracy-Lok zu er-
scheinen, dem die jüngeren Kollegen,                    bürger in Grenzen hält, für besser als
wenn überhaupt, dann nur noch aus                       eine, in der die verschiedenen Mei-
geriatrischen Gründen mit Wohlwollen                    nungsgruppen zunehmend auseinan-
(oder Mitleid?) begegnen. Deshalb                       derdriften. Auch das ist übrigens schon
noch einmal zum Schluss: Es geht nicht                  seit einigen Jahren ein Thema der poli-
darum, vor den dramatischen und teil-                   tischen     Kommunikationsforschung,
weise großartigen Veränderungen, die                    vorrangig in den USA und bereits in
uns das Internet auch in der politischen                Ansätzen empirisch untersucht (Iyen-
Kommunikation gebracht hat, die Au-                     gar & Hahn, 2009; Mutz, 2006). Die
gen zu verschließen. Es geht darum, die                 offenen Forschungsfragen liegen auch
stattfindenden Veränderungen nüch-                      für uns auf der Straße – beste Voraus-
tern (das heißt ohne normatives Pa-                     setzungen für ein internationales E-
thos) und die möglichen Zukunftsent-                    Journal des Fachs.
wicklungen auch kritisch (das heißt
nicht nur hinsichtlich ihres demokrati-                 Literatur
schen Potenzials) zu sehen. Und es geht
für uns Kommunikationswissenschaft-                     Barnhurst, K. G., & Owens, J. (2008):
ler vor allem darum, die spezifische                       Journalism. In The International Ency-
Funktion der Journalisten und ihrer In-                    clopedia of Communication (Vol. 6, S.
stitutionen (der Intermediäre) zu er-                      2557-2569). Malden: Wiley-Blackwell.
kennen. Daraus folgt dann der For-                      Baum, M. A., & Groehling, T. (2008). New
schungsauftrag zu untersuchen, wie                         media and the polarization of American

128                                                                                       SCM, 0. Jg., 1/2011
                  https://doi.org/10.5771/2192-4007-2011-1-119, am 29.11.2021, 12:31:32
                       Open Access –              - http://www.nomos-elibrary.de/agb
Donsbach | Risiken und Nebenwirkungen des Internets für die politische Kommunikation

    political discourse. Political Communi-              Maier, S. (2010). Newspapers offer more
    cation, 25, 345–365.                                     news than do major online sites. News-
Donsbach, W. Rentsch, M., Schielicke, A.-                    paper Research Journal, 31, 6-19.
    M., & Degen, S. (2009). Entzauberung                 Meckel, M. (12. Mai 2009). In der Grotte
    eines Berufs. Was die Deutschen vom                      der Erinnerung. Frankfurter Allgemeine
    Journalismus erwarten und wie sie                        Zeitung, S. 35.
    enttäuscht werden. Konstanz: UVK                     Meffert, M. F., Chung, S., Joiner, A. J.,
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