Schneegestöber am Schilthorn

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Bericht Inferno-Triathlon

Schneegestöber am Schilthorn
"Das Schwimmen findet nicht statt, der Thuner See ist zu kalt, nur 13 - 15 Grad, das ist zu gefährlich. Wir
machen stattdessen einen 3 Kilometer langen Lauf".

Ich stehe gerade mit meiner Vereinskameradin Christina, die den Halbmarathon laufen wird, in der
Warteschlange bei der Startnummernausgabe in Oberhofen und glaube, nicht richtig zu hören! Hab ich das
Schwitzerdütsch falsch verstanden? Ein neben mir stehender Schweizer bestätigt: ich habe richtig gehört.
Den Organisatoren ist das Risiko zu groß, dass einige Teilnehmer im Wasser kollabieren. Ich bedauere das
einerseits sehr, denn ich hatte mich im Schwimmen gut vorbereitet gefühlt. Andererseits hatte der See
auch optisch eine Kälte ausgestrahlt, und mir war nicht besonders wohl gewesen bei dem Gedanken, dort
schwimmen zu müssen. Dann kommt mir der Gedanke: 3 km Laufen sind zeitlich deutlich kürzer als 3 km
Schwimmen! Das verbessert meine Chancen, durchzukommen. Diese Kalkulation werfe ich aber gleich
wieder über Bord, als ich erfahre, dass der Lauf eine dreiviertel Stunde später als der übliche Schwimmstart
gestartet wird. Letztendlich hätte mir das kaum was gebracht, denn ich hatte mir für das Schwimmen eine
Zeit von ca. 1:05 ausgerechnet.

Prolog

Ich hatte mich im Februar diesen Jahres zur Teilnahme am Inferno entschlossen, obwohl ich
verhältnismäßig wenig gelaufen war. Er stand schon lange ganz oben auf meiner Wunschliste. Die Zahlen
waren beeindruckend: 3,1km Schwimmen, 97km Radfahren mit 2145 Hm, 35km Mtbiken mit 1180 Hm
und, als Highlight, der Lauf zum Schilthorn mit 2175 Hm.

Ende 2011 hatte ich beim Elbaman massive Probleme mit dem rechten Großzehgelenk bekommen. Die
niederschmetternde Diagnose: beginnende Arthrose. Ein Jahr Laufpause brachte keine durchschlagende
Besserung, so dass ich mich Ende August 2012 in einer „Jetzt erst recht“ -Reaktion entschied, im September
einen Halbmarathon zu laufen. Während des Trainings darauf handelte ich mir einen Meniskusschaden ein
(„Innenmeniskushinterhornabriss“) am rechten Knie, als Folge einer Überlastung bei einem schnellen Lauf
(lakonischer Kommentar des Orthopäden, mit deutlichem Hinweis, auf mein Alter:“ degenerativ, hab ich
auch schon hinter mir“…). Ok, mit 57 Jahren sollte man etwas kürzer treten....Danach folgte ein Versuch
konservativer Therapie mit Schonung und langsamem Aufbau über ein Jahr lang. Wegen immer wieder
auftretender Probleme hatte ich mich im November 2013 zur OP entschlossen, das abgerissene Teil wurde
entfernt. 3 Wochen später konnte ich schon wieder vorsichtig das Lauftraining aufnehmen. Mit Blick auf
das Profil der Laufstrecke, das einige knieschonende Wandereinlagen bergauf realistisch erscheinen ließ,
hatte ich mich dann für den Inferno angemeldet. Ich hoffte darauf, dass meine langjährige Trainings- und
Wettkampferfahrung (Triathlon seit 1987) und viele Langstreckenradfahrten (Brevets, von 200 bis 600km)
mich durchbringen würden. Das Großzehgelenk machte sich zwar wieder bemerkbar, aber nicht gravierend.
Allerdings konnte ich das Knie erst ab April voll belasten. Das Schwimm- und Radtraining ging gut. So
konnte ich dann an den Start gehen, mit viel zu wenig Training für eine gute Platzierung, aber mir ging es
nur ums Durchkommen. Ich hatte realisiert, dass die Uhr für mich, was solche Herausforderungen angeht,
am ablaufen war. Schließlich lag auch mein Gewicht ca. 4 kg über dem in meinen besten Wettkampfzeiten.
Bier, Rotwein und gutes Essen hatten ihre Spuren hinterlassen….

Der Infernotriathlon hat ein 17-jährige Tradition. Absolut spektakulär ist das Ziel am Schilthorn: auf 2970
Meter Höhe, mit einem Restaurant, was sich dreht, Ort eines James-Bond-Films. Dazu eine sehr schöne
Region, mit der berüchtigten Eiger Nordwand, auch Mordwand genannt, Mönch und Jungfrau, einer
uralten Zahnradbahn. Ich hatte dort den einen oder anderen Skiurlaub verbracht und die Bergwelt
genossen.
Die Logistik des Inferno stellt eine Herausforderung dar, nicht nur für den Veranstalter, sondern auch für
den Triathleten: Man muss das Rennrad, das Bike und die Laufsachen an verschiedenen Orten deponieren,
was um die zwei Stunden Zeit kostet. Wenn einem hinterher noch einfällt, was man vergessen hat
mitzunehmen, hat man ein Problem…

                           Nach dem Besuch der Wechselzonen fahren Christina und ich zur
                           Wettkampfbesprechung: mit der Gondelbahn hoch zum auf 1600m
                           gelegenen Mürren. Dort erfahren wir, dass es am Schilthorn am Abend
                           „etwas Wind und eventuell auch ein paar Schneeflocken bei Temperaturen
                           etwas unter null Grad“ geben soll. Warme Kleidung ist also oben angesagt!
                           Christina, die den Halbmarathon aufs Schilthorn mitmacht (ebenfalls knapp
                           2175 Höhenmeter!) und ich besprechen das Ganze am Abend auf dem
Campingplatz in Thun nochmal. Sie startet später als ich und ist natürlich auch früher oben.

Der Wettkampf:

Am Morgen um 7 Uhr 15 stehe ich in Thun am Start. Christina hatte mich zur Fähre gebracht, die alle
Teilnehmer über den See zum Laufstart geschippert hatte. Es hat schlappe 11 Grad, aber wir müssen ja
nicht schwimmen...Nach dem Startschuss laufen die meisten in einem meiner Ansicht nach viel zu hohen
Tempo los! Zudem geht es auch gleich steil bergauf in den Ort. Ich sehe mich schnell an drittletzter
Position, nur zwei andere Triathleten sind kurz hinter mir! Ich beherrsche mich und laufe mein Tempo
weiter. Bei km zwei muss ich dann fast loslachen: Stau in einer Unterführung! Das schnelle Loslaufen hat
also nichts gebracht! Nach kurzer Gehpassage geht’s weiter im gleichen Tempo, und nach 18 Minuten
erreiche ich die Wechselzone. Die ist ziemlich übersichtlich, weil die meisten schon weg sind: ich finde mein
Rad schnell. Da ich in den Radklamotten gelaufen bin, ist nur Schuhwechsel und Helm aufziehen angesagt.
Ich realisiere, dass mein Vorsprung auf das Zeitlimit ca. eine dreiviertel Stunde beträgt! Kurz nach dem
Radstart auf einer Höhe von knapp 600m geht’s gleich bergauf, in Wellen bis nach Sundgraben, 1202m
hoch gelegen. Zwischenzeitlich helfe ich einer Yolanda (die Namen stehen auf den Startnummern) noch bei
einem Kettenklemmer; die Kette ist nur mit roher Gewalt zwischen dem kleinsten Ritzel und der
Hinterbaustrebe des Rennrades rauszuziehen. Wenn das nur nicht einen Rahmenschaden gibt... Es läuft
                           gut bei mir. Ich hatte meinem schwereren Titanrad, welches ich für Touren und
                           Langstreckenfahrten nutze, den Vorzug gegeben wegen der besseren
                           Bergübersetzung (vorne ein 32er Kettenblatt, hinten ein 34er Ritzel). Oben
                           herrscht Nebel, worüber ich sehr enttäuscht bin. Nach einer rasanten Abfahrt
                           kommt, wie in der Ausschreibung ersichtlich, das 35km lange Flachstück
                           zwischen Unterseen und Meiringen am See entlang. Extra dafür habe ich, auf Rat
                           von Jochen, einem Vereinskameraden, der dort schon mal teilgenommen hatte,
                           einen Triathlonaufsatz montiert, und der bewährt sich! Es läuft sehr gut, und ich
                           ärgere mich nur über die vielen Windschattenfahrer, die trotz Verbot in größeren
                           Gruppen an mir vorbeifahren. Ich hoffe, den Abstand auf das Zeitlimit deutlich zu
                           vergrößern.

Nach dem Flachstück wartet eine lange Steigung mit gut 1400 Höhenmetern auf uns: es geht auf die 1960m
hoch gelegene große Scheidegg. Sie wird für mich zur Tortur: trotz Bergübersetzung muss ich häufig
drücken und bei einer sehr steilen Rampe Slalom fahren! Etliche Fahrer schieben hier. Meine Muskulatur ist
total überlastet. Irgendwann kurbelt ein Mitfahrer locker an mir vorbei: der hat wohl eine noch bessere
Übersetzung! Zwischen den Fahrern auf der kleinen und engen Straße fahren immer wieder vereinzelt
Autos, die nur an breiteren Stellen überholen können, eine teilweise ziemlich chaotische Situation. Meine
linke Wade protestiert zeitweise gegen die ungewohnte Belastung, hört aber irgendwann wieder auf zu
meckern. Irgendwie komme ich, nach einer gefühlten Ewigkeit und natürlich wieder im Nebel, trotzdem
hoch, und danach geht’s in eine steile, enge, mit Schlaglöchern durchsetzte und damit gefährliche Abfahrt.
Bei der Besprechung war noch davor gewarnt worden, mit dem Hinweis, bei entgegenkommenden
Linienbussen abzusteigen und an den Straßenrand zu treten! Zum Glück kommt mir keiner entgegen. Der
Abfahrtspaß hält sich aber arg in Grenzen. Als ich in die Wechselzone zum Mountainbiken komme, muss ich
entsetzt feststellen, dass ich aufs Zeitlimit keine Zeit gewonnen, sondern sogar einige Minuten verloren
habe! Das entmutigt mich sehr, denn das Rennradfahren ist meine beste Disziplin. Ich habe den Glauben
ans Durchkommen fast schon verloren und denke nur daran, wenigstens bis
nach Mürren laufen zu können. In der Wechselzone in Grindelwald finde ich
mein Bike auch ziemlich schnell...Ich schiebe es Richtung Ausgang und realisiere,
dass ich keine Trinkflasche am Rad habe. Ich hatte sie vom Rennrad
übernehmen wollen, das war mir aber kurz zuvor von freundlichen Helfern
abgenommen worden. Zum Glück gibt es in der Wechselzone eine Verpflegung.
Ich frage nach einer Wasserflasche und bekomme sogleich eine. Gleich bei der
Weiterfahrt nehme ich einen Schluck: Da ist tatsächlich nur Wasser drin. Ich
hoffe auf die nächste Verpflegungsstelle. Es geht ebenfalls gleich wieder bergan,
und hier läuft es besser, die Übersetzung passt. Nach einigen 100 Höhenmetern
und Bangen kommt endlich eine Verpflegung in Sicht, und ich lasse mir Isostar nachfüllen. Danach macht es
fast schon Spaß, sich locker kurbelnd hochzuschrauben, auf überwiegend Teerbelag. Es geht Richtung
kleine Scheidegg, auf 2060m gelegen. Ich ärgere mich etwas über mich selbst: hier hätte ich mit 4 Bar
Luftdruck fahren können statt mit zweieinhalb! Ich hatte vergessen, Jochen nach dem Belag zu fragen.
Später sehe ich auch prompt, wie ein Fahrer für die Bergabfahrt Luft aus seinen Reifen lässt. Falls ich hier
nochmal mitmache….. Die letzten 500m Meter sind, wie bei der Besprechung angekündigt, zum Fahren für
fast alle Teilnehmer zu steil. Bis auf einen Staffelfahrer steigen alle ab und schieben. Oben ziehe ich mir
lange Handschuhe über die Radhandschuhe, denn es ist kalt und wieder sehr neblig. Danach kommt (aus
meiner Sicht…) das Sahnestück des Inferno: die Abfahrt mit von 2060m Höhe auf 795m nach
Lauterbrunnen. Anfangs auf einem Schotterweg, der nach einigen Kilometern in einen Singletrail mündet.
Dort muss ich anfangs ein kurzes Stück von 20m über eine völlig verwurzelte Passage schieben, der Rest ist
fahrbar und macht saumäßig Spaß! Ich hatte mir im Vorfeld ein Video angeschaut und war darauf
vorbereitet. Mein Abfahrtstraining auf den Downhillstrecken im Freiburger Raum (Für Einheimische: der
Borderlinetrail) hat doch etwas gebracht! Ich sehe einige Teilnehmer schieben, vermutlich Nordlichter. Die
linke Hand ist zeitweise fast steif vor Kälte, aber das bekomme ich auch irgendwie hin...Nach der Abfahrt
geht es nochmal 5km auf Asphalt leicht bergan, dann kommt die nächste Wechselzone in Sicht. Ich schaue
auf meine Zeitkalkulation und werde fast schon euphorisch: ich habe eine zusätzliche halbe Stunde auf das
Zeitlimit herausgefahren! Boah, dann könnte es doch noch klappen mit der Zielankunft! Ich habe jetzt ein
Zeitpolster von ca. 1h 15 Minuten zum Besenwagen!! Ohne Eile ziehe ich mich um und laufe dann los. Es
geht zuerst leicht bergab und, trotz der schon über 3000 Höhenmeter in den Beinen, supergut, ich muss
mich bremsen, um nicht zu überzocken. Der Lauf führt durch Lauterbrunnen, danach geht’s auf der
Halbmarathonstrecke bergauf. Anfangs ist die Steigung moderat. Ich sehe schon die ersten Teilnehmer
wandern und beschließe, bis zu dem 12km entfernten Mürren auf 1600m durchzulaufen. Eine Illusion!
Nach ca. 3km überholt mich in einer steileren Passage ein zügig wandernder Staffelteilnehmer und ich
realisiere, dass es auf den steileren Passagen wenig bringt, zu laufen. Jetzt gehe auch ich zumindest
zeitweise. Nach 4km geht es einen sehr steilen und wurzeligen Wanderweg bergauf und ich sehe ein Schild:
Mürren 1h:40! Das gilt für Wanderer, aber ich bin ja inzwischen selber einer. Und ich kenne diese Angaben:
bei flottem Wandern war ich immer ca. 20% schneller. Ich schaue auf die Uhr, sehe das Zeitlimit in einer
Stunde stehen, rechne nach und komme zu dem Schluss, dass das nicht reichen wird! Die Enttäuschung ist
riesengroß. Ich wandere weiter, inzwischen ziemlich übermüdet und auch völlig frustriert. Nach zwei Km
wird die Strecke flach. So schnell will ich nun doch nicht aufgeben und ich laufe wieder los, anfangs etwas
schwerfällig, mit der Zeit jedoch besser. Eine Staffelteilnehmerin überholt mich und kommentiert meinen
Laufstil: das sieht ja noch ziemlich locker aus! Ich widerspreche und merke an, dass ich es wohl nicht
schaffen werde. Ihr folgender Kommentar muntert mich wieder auf. Sie hatte kurz hinter mir mit einer
Infernoerfahrenen Triathletin gesprochen, die den Kommentar „jetzt habe ich den Inferno im Sack“!
abgegeben hatte! „und die sah bei Weitem nicht so locker aus wir du“! (oder hat sie“ gut“ gesagt?;-)) Das
baut mich total auf!( Es gab sehr viele aufmunternde Kommentare und gute Wünsche von Staffelläufern,
was enorm motivierend war) Ich laufe weiter. Mürren, das nächste Ziel, will einfach nicht in Sicht kommen,
dafür eine Kontrollstelle. Dort lese ich wieder: Mürren 40 Minuten! Und ich habe nur noch 30 Minuten Zeit!
Ich erhöhe das Tempo noch etwas, soweit das überhaupt möglich ist. Um viertel vor 6 erreiche ich Mürren,
eine viertel Stunde vor dem Zeitlimit. Ich habe auf diesem Stück fast eine Stunde verloren!! Christina steht
da, macht ein Photo und muntert mich auf.

                               Ich realisiere, dass es oben kalt werden wird, ziehe die Regenjacke über und die
                               Radhandschuhe an. Die kurze Radhose, Armlinge und Radtrikot sowie
                               Windweste behalte ich an, dazu steige ich von den Laufschuhen auf Goretex-
                               Crossschuhe um, mit denen ich auch schon oft gewandert bin. Beim Umziehen
                               bekomme ich doch tatsächlich einen Krampf in der rechten Wade: sowas
                               passiert mir sehr selten. Mir ist klar, dass der Rest komplett erwandert werden
                               muss: 1300 Hm auf 8 km! Bei km 21, der sogenannten Schilthorntraverse, ist
                               nochmal eine Kontrolle und ich hoffe, sie vor dem Zeitlimit zu erreichen. Zuerst
                               ist die Steigung moderat, dann aber kommt ein extrem steiles Teilstück. Ich
                               kann mir nicht vorstellen, dass hier noch jemand läuft, aber die Spitze macht
                               das anscheinend wirklich. Ich unterstütze meine Beine durch Auflegen der
                               Hände auf die Oberschenkel. Andere verschränken die Hände hinter dem
Rücken oder stemmen sie in die Hüfte. So hat jeder seinen eigenen Wanderstil...Inzwischen sind wir wieder
im Nebel, der heute den ganzen Tag ab ca. 1800m Höhe eingesetzt hatte. Unter und über mir sind
schemenhaft einzelne Gestalten zu erkennen. Durch die zunehmend dünnere Luft erhöht sich meine
Atemfrequenz deutlich. Ich trinke jetzt fast nur noch, nach Essen ist mir nicht zumute. An der nächsten
Verpflegung anscheinend etwas zuviel auf einmal, denn mein Magen rebelliert. Ich kenne das von den
Ultratriathlons her, wo ich oft wegen Magenproblemen gehen musste. Ich trinke jetzt weniger, bemerke
aber dann, dass das zu wenig ist. Zum Glück bekomme ich an der nächsten Verpflegungsstelle auf
Nachfrage eine Wasserflasche gereicht, die ich mit Cola und Wasser fülle und schluckweise zu mir nehme.
So geht es dann besser. Bei der nächsten Verpflegung kommt ein Sanitäter auf mich zu und fragt nach, wie
es mir geht. "Alles klar", antworte ich. Natürlich ist nicht alles klar, das sieht er auch, ich bin aber nicht völlig
fertig. Er lässt mich durch. Es beginnt zu regnen! Irgendwann taucht dann im Regen und Nebel die letzte
Kontrollstelle auf. Ein Blick auf die Uhr: ich bin eine Minute hinter dem Zeitlimit!! Ein fragender Blick von
mir: Der Ordner lässt mich, wie auch einige Nachkommende, durch. In der Ferne höre ich schon die
Ansagen vom Schilthornsprecher, der im Nebel und in der aufkommenden Dunkelheit unsichtbar ist: eine
gespenstische, aber gleichzeitig auch aufmunternde Situation. Es geht nochmal kurz bergab, dann beginnt
die Felsenkletterei und Schneetreiben setzt ein. Der Wind ist teilweise sehr stark. Ich habe mir jetzt wieder
ein zweites Paar Handschuhe über die Radhandschuhe gezogen, was die Kletterei im kalten Fels sehr
erleichtert. Bei der letzten Verpflegung steht ein junger Typ rum und feuert alle lautstark und wortreich an.
Im normalen Leben würde ich denken: was für ein Labersack!! Aber hier steht er richtig! Alles eine Frage
der Sichtweise... Inzwischen realisiere ich, dass ich durchkommen werde. Leicht fröstelnd erreiche ich die
letzte spektakuläre Passage, ein ca. 1m schmaler Grad, beidseits durch Stoffgitter gesichert: der
Schilthorngrat. Rechts und links nur Nebel, ansonsten nichts! Wer hier nicht schwindelfrei ist, bekommt
Probleme, denke ich. Es stehen auch hier Helfer herum. Die machen heute einen sehr anstrengenden
Job!!!Dann beginnt der letzte Akt: ein steiler Aufstieg zur Schilthorngaststätte. Euphorisch überhole ich
zwei Mitläufer, die fast schon apathisch Schritt vor Schritt setzen. Mir geht es nicht um eine bessere
Platzierung, das wäre ja lächerlich, ich will einfach in die Wärme der Gaststätte. Trotzdem mache ich jetzt
einige kurze Verschnaufpausen: ich möchte noch ein klein wenig den Zugang zum Schildhorn genießen, in
der Gewissheit, dass ich es schaffen werde. Irgendwo steht nochmal ein Fotograf herum, dick eingepackt,
und macht Bilder. Ich frage ihn scherzhaft , ob er nicht schon am erfrieren ist. Seine Antwort geht im Wind
unter. Kurz danach lässt der Wind nach; wir steigen die letzten Meter im Windschatten des Schilthorns auf.
Das Schneetreiben bleibt. Ein kurzer Blick nach oben: die Plattform der Gaststätte kommt durch den Nebel
in Sicht. Noch ein paar Schritte über eine Treppe und einige Meter auf der Plattform, dann bin ich oben!!!
Der Zielbogen ist im Schneetreiben und im Nebel fast nicht zu
erkennen! Ich bin zu erschöpft , um mich gleich hier zu freuen,
sondern nur erleichtert und glücklich, es geschafft zu haben!

(Da die Fotografen inzwischen geflüchtet sind, gibt es leider
auch kein Zielfoto)

Einschub von Christina

Warten und zittern in Mürren

                                     Frisch geduscht und mit einem Teller Pasta vor mir, saß ich nach
                                     meinem Halbmarathon in Mürren im Festzelt und überlegte wie ich die
                                     Zeit totschlagen konnte bis Chris endlich hier durchläuft.

                                     Es war bereits bei meinem Wettkampf zum Schilthorn, kurz zuvor,
                                     empfindlich kalt und der Nebel so dicht gewesen, dass ich teilweise nur
                                     wenige Meter weit sehen konnte.

Ein Blick auf die Uhr: 15:15 Uhr. War Chris schon durch? Hatte ich ihn verpasst? Da fiel mir ein, dass die
meisten Wettkämpfe heute live im Internet verfolgt werden können. Zum Glück war der Empfang hier oben
auf 1600 m recht gut und so klickte ich mich sofort mit meinem Handy durch die vielen Seiten des Inferno-
Veranstalters. Irgendwann entdeckte ich dann auch die Seite mit den verschiedenen Durchgangstationen für
die Zwischenzeiten. Als ich Chris Namen endlich gefunden hatte, war er nach etwas mehr als 8 Stunden in
Stechelberg (vom Mountainbike auf die Laufstrecke) über die Matte gelaufen. Ich rechnete hoch, dass er
also auf dem Weg nach Mürren sein müsste. Das Wetter wurde immer schlechter und auch kälter. Trotz
warmer Fleecejacke und Schal stand ich nun, leicht fröstelnd, an der Strecke und wartete auf die
nachfolgenden Athleten. Um ca.15:40 Uhr entdeckte ich ihn mit leicht angestrengtem Gesicht. Ein kurzes
Foto und ein paar ermahnende Worte bezüglich des recht anstrengenden, letzten Teilstücks später, war er
bereits wieder im Nebel verschwunden.

Jetzt war mir klar, dass ich noch etwas Zeit in Mürren totschlagen musste. Ich setzte mich auf eine Couch im
Empfangsbereich des Sportcenters und rechnete weiter hoch, wie viel Zeit Chris noch zur Verfügung hatte.
Die nächste und letzte Durchgangsstation war entscheidend für sein Durchkommen und Chris lag sehr
knapp in der Zeit. In diesem Fall nur 18 Minuten vor dem Zeitlimit. An der Wand hing ein Monitor, ähnlich
wie die Geräte in den Wartezimmern von Ärzten. Eine Webcam zeigte gerade aktuelle Bilder vom Schilthorn
und ich blickte wie gebannt auf die Wetterlage und die Temperaturanzeige. Es waren tatsächlich
Minusgrade da oben! Und der Nebel nahm weiter zu. So verbrachte ich dann die nächste Stunde damit,
gleichzeitig das Livebild der Webcam und den Liveticker von Chris im Internet zu verfolgen. Nach einer
gefühlten Ewigkeit wechselte die Anzeige seiner letzter Durchgangszeit in Mürren auf die aktuelle Zeit bei
der Schilthorntraverse. Ich war irritiert: Die grüne 18 wechselte auf eine rote 1! Was hatte das zu bedeuten?
War Chris ausgeschieden? Langsam wurde ich nervös, zumal das Wetter auf dem Schilthorn sich immer
weiter verschlechterte. Die Webcam zeigte den Zielbereich im dichten Nebel. Ankommende Athleten wurden
mittlerweile mit Rettungsfolien empfangen und sofort ins Warme geführt. Eigentlich wollte ich mit der
Gondel zum Schilthorn fahren, um Chris in Empfang zu nehmen (wenn ich mir sicher war, dass er
durchkommt). Mit unseren Startnummern konnten wir aber lediglich vom Schilthorn über Mürren zurück ins
Tal fahren, aber nicht wieder hoch und runter. Also erkundigte ich mich nach dem Fahrpreis: 77 Schweizer
(Ausbeuter-) Franken!!! Nachdem ich mich wieder von diesem Schockzustand erholt hatte, ging ich zurück
zur Couch und ließ das Vorhaben aufgrund von absolutem Wucher sofort wieder fallen. Es tat mir schon leid,
dass ich dann keine Fotos von Chris machen konnte, aber er hat nachträglich ebenfalls über diesen
unverschämten Preis nur den Kopf geschüttelt.
Ich durchforstete die Internetseiten des Veranstalters weiter und entdeckte eine Seite mit einem Liveticker,,
der sich sofort änderte, sobald ein Athlet über die Zielmatte am Schilthorn lief. Auf dieser Seite waren nicht
mehr so viel Teilnehmer aufgelistet, denn sie verschwanden sofort von der Liste wenn sie im Ziel
angekommen waren. Chris war noch auf der Liste, und ich beruhigt. Nach ein paar Minuten allerdings war
er verschwunden und tauchte auch nicht mehr auf. Ich wurde immer unruhiger. Ist er raus genommen
worden? Hat er freiwillig aufgehört? Ich holte mir im Verpflegungszelt ein Bier und schaute wie gebannt auf
die Anzeige, aber Chris tauchte einfach nicht mehr auf. Irgendwann wurde die Nervosität dann aber so groß,
dass ich jemanden von den Helfern ansprach. Ich wollte wissen, wer mir mit der Zeitnahme Auskunft geben
kann, da ich einen Teilnehmer vermisste. Die Helfer waren alle sehr hilfsbereit und einer von ihnen führte
mich zu einem VW-Bus, in dem ein Mitarbeiter vor einigen Laptops saß. Da ich die Startnummer von Chris
im Kopf hatte, konnte mir der Mann sofort auch eine beruhigende Antwort geben: „Der Teilnehmer ist noch
gut dabei und befindet sich in bester Gesellschaft“. Damit meinte er wohl noch ein paar andere
Leidensgenossen, die sich jetzt bei einsetzendem Schneetreiben, Temperaturen deutlich unter null Grad, und
steilen und felsigen Kletterpassagen auf dem letzten Abschnitt kurz unterhalb vom Schilthorn befanden.

Mit dieser guten Nachricht ging ich zurück ins Warme und entdeckte nach einiger Zeit auch Chris Namen
wieder im Liveticker. Auf dem Schilthorn wurde es mittlerweile immer dunkler und kälter. Die Helfer hatten
anscheinend eine ganze Menge damit zu tun, die im Minutentakt ankommenden Athleten mit
Rettungsdecken zu versorgen. Die Webcam zeigte wirklich spektakuläre Bilder. Ich wusste selber, wie
anstrengend und steil die letzten beiden Kilometer zum Gipfel sind. Dazu kommt dann noch die Höhe von
knapp 3000m!

In Mürren fingen die Helfer derweil an, alles abzubauen und ich zog mich in die warme Halle zurück, wo
noch ein paar letzte Teilnehmer die kostenlosen Massagen in Anspruch nahmen.

Um ca. 20:15 Uhr war es dann endlich so weit: Chris hatte die Ziellinie auf dem Schilthorn überquert.
Endlich! Super!

Mir war aber auch klar, dass ich in Mürren noch einige Zeit warten muss, bis Chris hier endlich eintrifft. Aber
wenigstens war er nicht erfroren...

Epikrise

Schnell verschwinde ich in der Gaststätte, wo mein Rucksack mit trockenen Kleidern wartet, und ziehe mich
um. Ein kleines Ärgernis: das Finishershirt gibt es nur noch in Größe S! Ich ziehe die Dinger ja fast nie an,
aber dieses Shirt vielleicht doch mal?...Eine warme Bouillon tut sehr gut, mehr brauche ich vorläufig nicht.
Eine Rettungsdecke, die mir angeboten wird, nehme ich noch nicht in Anspruch. Ein Triathlet, der kurz nach
mir ins Ziel gekommen ist und den ich vom Wettkampf her kenne, drückt mir stumm die Hand. Mehr gibt es
nicht zu sagen. Nach dem Umziehen realisiere ich, dass dieser Triathlet sich auf den Rücken legt und
Schüttelfrost bekommt. Er wird mit Rettungsdecken zugedeckt. Ich gehe in einen Nebenraum und trinke
noch eine Bouillon. Nach Rückkehr realisiere ich, das inzwischen ein zweiter Sportler mit Schüttelfrost am
Boden liegt und zugedeckt wird. Bei diesem Anblick bekomme auch ich zumindest Zähneklappern. Ich
suche Christina und finde sie nicht. Vermutlich war es ihr hier oben zu kalt, und wir hatten für diesen Fall
                                            ausgemacht, dass sie unten in Mürren bleiben würde. Nachdem
                                            ich mich noch etwas aufgewärmt habe, suche ich die Bahn
                                            hinunter nach Mürren. Ich laufe zur Station, friere natürlich
                                            wieder leicht und warte auf die Gondel. Im Gang kauere ich
                                            mich hin, um Wärme zu sparen. Sofort kommt ein sehr
                                            freundliche Dame auf mich zu (eine Samariterin, bei uns nennt
                                            man sowas Sanitäterin, aber in diesem Fall passt das besser) und
                                            fragt mich, ob ich noch eine Isolierdecke bräuchte, sie hätte noch
                                            eine! Ich nehme sie dankend an. In Mürren angekommen finde
ich nach längerer Suche Christina. Auf die angebotene Dusche vor Ort verzichte ich, ich will so schnell wie
möglich runter ins Tal. Christina fährt mich auf den Campingplatz. Dort dusche ich und genehmige mir noch
ein Bier. Christina, die gut durch den Halbmarathon gekommen ist, hat mir hinterher erzählt, dass die
Temperaturanzeigeder Webcam in Mürren für das Schilthorn zeitweise deutlich unter 0 Grad angezeigt
hatte!

Fazit:

Wie hat es Andreas Herrmann, ein Brevetfahrer aus Tübingen, in seinem Bericht ausgedrückt: mehr
Grenzerfahrung und Naturerlebnis geht nicht! Er hat recht!

Was den Stellenwert des Inferno in meiner langen Triathlon- "Karriere" angeht: das ist nur mit dem Trans-
Suiss-Triathlon vergleichbar, den ich 1999 mitgemacht habe!

Zwei Tage danach: Wie schnell man doch Anstrengung und negative Eindrücke vergisst! Ich überlege mir,
vielleicht in zwei Jahren nochmal zu starten, dann aber mit deutlich mehr Trainingskilometern. Und
hoffentlich bei gutem Wetter! Das Landschaftserlebnis musste ich mir leider entgehen lassen, was sehr
schade war.

Ich war der fünftälteste Finisher: man wird nicht jünger....

Statistik und allgemeine Infos für eventuelle Nachahmer
Zur Verpflegung: Ich habe überwiegend flüssige Energie zu mir genommen, zumeist in Form von Isostar
und warmer Boullion, dazu einige Bananen, 2 Riegel, ein "Butterweckli" und, wie in Skilanglaufkreisen
üblich: Schokolade!!!

Männer: 338 Starter, 314 Finisher

Frauen: 50 Starterinnen, 46 Finisherinnen

Trainingsaufwand ab Januar 2014:

S: 89km

Rennrad: 3727km

MTBike:; 854 km

Laufen: 435 km

Skilanglaufen: 52km

Kraft-Stabi-Training: insgesamt 20 Stunden, meist ein halbe Stunde pro Einheit

Stundenzahl: knapp 10h pro Woche

Spezialtrainingseinheiten:

einige Brevets (Langstreckenradfahrten) von 200 bis 400km,

Das Radrennen Trondheim - Oslo (540km)

ein Berglauf (Tote-Mann-Berglauf in Oberried) mit 850 Höhenmetern, eine Bergwanderung mit 800
Höhenmetern mit schwerem Rucksack

Mit dem Mountainbike viel Kraftausdauer am Berg und Bergab Singletrails
Schwimmen: viele Langstrecke von 2-3km am Stück, mit eingebauten Intervallen und Technik

Tabelle Zeit- und Platzierungsanalyse:

                 Bestzeit      Eigene Zeit     %-Abstand       Platzierung     Platzierung    Vorsprung
                                               zur Bestzeit    Disziplin       im             zum Zeitlimit
                                                                               Starterfeld
1. Lauf          10:24 min     18:22 min       77              336             336            0:45
Rennrad          3h:24         5h:04           49              328             330            0:40
Mtbike           1h:35         2:41            69              294             323            1:15
Laufen           2:56          4:57            69              273             306            0:18
gesamt           8h:09         13h             60              306                            0:15

Erläuterungen:

Der prozentuale Abstand zum schnellsten Triathlet in der Einzeldisziplin ist ein relativ objektives Maß der
Leistung. Die Platzierungen sind es nicht, wie man sieht: Auf dem Rennrad war der prozentuale Abstand
zum schnellsten Radfahrer am geringsten, während die Platzierung die Zweitschlechteste war. Der
vermutliche Grund: Viele haben wohl auf dem Rennrad überzockt. Erstaunlicherweise war meine Leistung
im Laufen so gut wie auf dem Mountainbike, trotz der wenigen Laufkilometer in der Vorbereitung.
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