Schöpfungsverantwortung - Diakonie Österreich

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Argumentarium
                                                                                                                                Nr. 8

Schöpfungsverantwortung
Im Klimaschutz muss es jetzt zu einem          tet es eine völkerrechtlich bindende         gelöst werden können. Die Internatio-
echten Kurswechsel kommen! Seit zehn           Grundlage, Regierungen in die Verant-        nalisierung der Probleme verlangt als
Jahren wird nicht nur vom Klimawandel,         wortung zu nehmen, ihren Versprechen         Antwort die Internationalisierung der
sondern von einer Klimakrise gespro-           auch nachzukommen.                           Problembearbeitung. Am 25. Septem-
chen. Mehrere Länder haben einen Kli-          Globale Klimaveränderungen haben             ber 2015 verabschiedete die Vollver-
manotstand bzw. eine Klimanotlage              soziale Folgen, die sich auch in der EU      sammlung der Vereinten Nationen 17
(climate emergency) ausgerufen, um             und in Österreich zeigen. Um nur einige      >> Sustainable Development Goals
weitere Aktionen zur Bekämpfung des            zu nennen: Laut Europäischer Kommis-         (SDG‘s), die „Ziele für nachhaltige Ent-
Klimawandels mir höchster Priorität um-        sion gibt es jährlich 400.000 vorzeitige     wicklung“. Ein erfülltes menschliches
setzen zu können. Im November 2019             Todesfälle aufgrund der Umweltver-           Leben ist in Zukunft nur durch nachhal-
hat auch das Europäische Parlament             schmutzung, 90.000 Todesfälle infolge        tige Entwicklung zu erreichen.
den Klimanotstand ausgerufen.                  extremer Hitzewellen, bei einem wei-         Auch Einrichtungen von Kirche und
Für die Wirtschaft ist das Wachstum            teren Temperaturanstieg ist in der EU        Diakonie verbrauchen Ressourcen
entscheidend. Die Notwendigkeit ei-            mit zusätzlichen 600.000 Asylanträgen        und produzieren CO2-Ausstoß. Kli-
nes dynamischen Wachstums wird mit             pro Jahr zu rechnen. Noch schlimmer          mafreundliche Mobilität, nachhaltige
den positiven sozialen Konsequenzen            sind die globalen Folgen. Millionen von      Lebensmittel und ökologischer Ener-
begründet. Aber angesichts des Aus-            Menschen sind betroffen von Über-            gieverbrauch bei Gebäuden sind Fra-
maßes von schädlichen Emissionen,              schwemmungen in Flussgebieten und            gestellungen, in denen Kirche und
steigendem Ressourcen- und Energie-            Küstengebieten, ein rasanter Anstieg         Diakonie in ihrer ökologischen und so-
verbrauch, Zerstörung der Ökosysteme           von Lebensmittelpreisen und Wasser-          zialen >> Schöpfungsverantwortung für
und Verlust der Biodiversität wird deut-       preisen vergrößert Armut und Unge-           die „eine Welt“ konkret gefordert sind.
lich, dass eine Steigerung der Lebens-         rechtigkeit unter den Menschen, vor          Ziel dieses Argumentariums ist, der Be-
qualität für alle Menschen auf diese Wei-      allem in vulnerablen Gruppen. Nicht          deutung eines nachhaltigen Handelns
se nicht erreicht wird. Es müssen andere       zu handeln bedeutet einen „brutalen          und Klimagerechtigkeit für diakonische
Wege gesucht werden. Laut der Euro-            Akt der Ungerechtigkeit gegenüber            und kirchliche Praxis nachzugehen und
päischen Kommission sind bewusste              armen und zukünftigen Generationen“.         dafür ethische und theologische Argu-
und grundsätzliche Klimaschutzmaß-             Eine sozial-ökologische Transformation       mente vorzulegen. Die Begriffe „Klima-
nahmen auch aus wirtschaftlicher Sicht         und Klimagerechtigkeit gehört also zur       wandel“ und „Klimakrise“ werden dabei
notwendig.                                     Schöpfungsbewahrung. [>> Klimage-            nebeneinander verwendet. Während
Auf der UN-Klimakonferenz in Paris             rechtigkeit]                                 die Bezeichnung „Klimakrise“ mit Recht
2015 wurde ein Klimaabkommen be-               Globale Klimaänderung hat globale            die Dramatik der Veränderung mehr
schlossen, das die Begrenzung der              Konsequenzen. Global denkende Ver-           betont als die Bezeichnung „Klimawan-
globalen Erwärmung auf deutlich unter          antwortung ist daher notwendig. Auch         del“, kann die Rede von einer Krise zu-
2 °C, möglichst 1,5 °C im Vergleich zu         wenn im Moment manche Regionen               gleich den falschen Eindruck erwecken,
vorindustriellen Levels vorsieht. Im Pa-       weniger stark betroffen sind als andere,     dass es sich nur um ein vorübergehen-
riser Klimaabkommen erkennt die Welt-          betrifft die Frage der Schöpfungsbe-         des Phänomen handelt. Beide Begriffe
gemeinschaft ihre gemeinsame Verant-           wahrung, Nachhaltigkeit und Klimage-         haben daher ihre Berechtigung.
wortung an, sowohl die Klimarisiken zu         rechtigkeit jeden Menschen persönlich.       Das Argumentarium fokussiert zum
verringern als auch den armen Staaten          Daher muss die global denkende Ver-          einen auf die evangelische Begrün-
finanziell zu helfen. Sie sollen wirtschaft-   antwortung bei jeder Person ansetzen.        dung für Umweltethik, indem es auf
lich von der Umstellung auf erneuerbare        Zugleich gilt aber, dass die Probleme        das Verhältnis von Natur und Schöp-
Energien und ressourcenschonendes              des Klimawandels nicht individuell und       fung einerseits und das Verhältnis
Wirtschaften profitieren. Vor allem bie-       auch nicht von Nationalstaaten alleine       von Umwelt und Mensch andererseits

                                                                                          IöThEIöThE
                                                                                                 Argumentarium
                                                                                                     Argumentarium
                                                                                                               Nr. 8 Nr.
                                                                                                                     (2021)
                                                                                                                         8 (2021) 1   1
eingeht [>> Schöpfung und Natur,           Ungleichheit und Klimagerechtigkeit         mit der Umwelt und einer transformie-
>> Mensch und Umwelt], zum ande-           [>> Schöpfungsverantwortung]. Als           renden Solidarität in der Diakonie und
ren richtet es den Blick insbesonde-       konkretes Beispiel für einen verant-        Kirche wird die >> Klimakollekte vorge-
re auf die Verknüpfung von sozialer        wortlichen und liebevolleren Umgang         stellt.

    Sustainable Development Goals, SDGs
    Am 25. September 2015 verabschiedete die Vollver-            die Nachhaltigkeit sind SDGs wie sauberes Wasser und
    sammlung der UNO (UN-Resolution A/RES70/1) die „Ziele        Sanitäreinrichtungen (Ziel 6), bezahlbare und saubere
    für nachhaltige Entwicklung“ (Sustainable Development        Energie (7), nachhaltige Städte und Gemeinden (11),
    Goals, SDGs). Insgesamt 17 Ziele und 169 Unterziele          nachhaltiger Konsum und Produktion (12), Maßnahmen
    (die sog. „Zielvorgaben“) sowie Indikatoren und Refe-        zum Klimaschutz (13) von größter Bedeutung.
    renzdaten sind Bestandteil der Agenda und „zeigen, wie       Diese Ziele beruhen auf der Grundüberzeugung, dass ein
    umfassend und ambitioniert diese neue universelle Agen-      Wachstum der Ökonomie nicht ohne Ökologie geschehen
    da ist. Sie sollen auf den Millenniums-Entwicklungszielen    kann. Es braucht ein Umdenken und andere Verhaltens-
    aufbauen und vollenden, was diese nicht erreicht haben“      weisen, die sich am Wohl (well-being) aller Menschen ori-
    (Zitat aus der Präambel). Idealerweise führt das Durch-      entieren. Nach SDG 13 sind „umgehend Maßnahmen zur
    laufen der Entwicklungsstadien dazu, dass in einem letz-     Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen
    ten Schritt die überall wahrnehmbaren Ungleichheiten,        zu ergreifen“, wozu die Verbesserung der „Aufklärung und
    die durch unterschiedliche Möglichkeiten zu Zugang, zur      Sensibilisierung sowie die personellen und institutionellen
    Nutzung und zur Teilhabe an Ergebnissen und Erträgen         Kapazitäten im Bereich der Abschwächung des Klima-
    entstehen, abgebaut werden können. Regierungen aller         wandels, der Klimaanpassung, der Reduzierung der Kli-
    Welt haben sich bereits zu diesen Zielen verpflichtet. Für   maauswirkungen sowie der Frühwarnung“ dient.

Schöpfung und                              also für den Glauben kein Zufallspro-       Ziel oder ein gewünschter dauerhafter
                                           dukt.                                       Zustand für den Menschen und alle Mit-
Natur                                      Laut der Erzählung am Beginn der Bi-        geschöpfe wie Tiere und Pflanzen. Die
                                           bel [>> Schöpfung in der Bibel] ist die     Schöpfung hat einen „inneren Wert“,
Wenn über Schöpfung gesprochen             geschaffene Welt „sehr gut“ (Gen 1,31).     der unabhängig ist vom Menschen.
wird, erinnern sich viele Menschen an      Die Schöpfung wird dort als komplex         [>> innerer Wert – instrumentaler Wert]
das biblische Votum „Macht Euch die        und vielfältig beschrieben, geordnet        Die Menschheit lebt in der Gemein-
Erde untertan“ (Gen 1, 28). Oft wird der   und stabil, zugleich schön und lebens-      schaft mit den Mitgeschöpfen (in erster
Vorwurf erhoben, die Kirchen sind (mit)    förderlich. In früheren Zeiten wurde ver-   Linie Tiere und Pflanzen). Für ein gutes
verantwortlich für die Beherrschung        sucht, aus der Ordnung und Schönheit        und gelungenes Leben ist diese Mitge-
und Ausbeutung der Natur. Anderer-         des Kosmos die Existenz Gottes zu           schöpflichkeit ethisch zu gestalten. [>>
seits haben die Kirchen schon vor 30       beweisen. Auch wenn das heute durch         Mensch und Umwelt]
Jahren den Schutz der Umwelt auf ihre      die Entwicklungen in Philosophie, Na-
Agenda gesetzt und sich dafür im Zuge      turwissenschaft und Theologie nicht         Innerer Wert –
des „Konziliaren Prozesses für Gerech-     mehr geschieht, kann der Schöpfungs-        instrumentaler Wert
tigkeit, Frieden und Bewahrung der         glaube die unmittelbare Freude am           Einer der Pioniere der frühen Natur-
Schöpfung“ eingesetzt.                     Seienden wie auch die Neugierde, die        schutzbewegung, Aldo Leopold, un-
Der Glaube, dass die Welt eine gute        Komplexität des Kosmos zu erforschen        terschied bereits 1949 zwischen einem
Schöpfung Gottes ist, gehört zu den        und zu verstehen, wecken. Zugleich          „instrumentalen Wert“ (instrumental
christlichen Grundüberzeugungen. Der       stellt sich die Frage nach einem richti-    value) und einem „eigentümlichen/in-
erste Artikel des christlichen Glaubens-   gen Umgang mit der guten Umwelt.            neren Wert“ (intrinsic value) der Natur.
bekenntnisses spricht von Gott als dem     Leiblichkeit und Körperlichkeit gehö-       Mit dem „instrumentalen Wert“ wird der
„Schöpfer des Himmels und der Erde“.       ren zur Schöpfung und haben ihren           Wert und die Bedeutung der Natur für
Das heißt zunächst: Die Schöpfung          eigenen Wert sowohl beim Menschen           den Menschen (z.B. in ökonomischer
ist nicht Gott. Der Schöpfungsglaube       als auch bei allen Organismen der Bio-      Hinsicht) bezeichnet. Der „eigentümli-
meint keine Vergöttlichung der Natur.      sphäre. Nicht nur der Mensch braucht        che/innere Wert“ der Natur ist von dem
Gott hat die Welt in Zeit und Raum aus     eine geordnete und funktionieren-           Wert für den Menschen unabhängig.
dem Nichts (creatio ex nihilo) geschaf-    de Umwelt, um gut leben zu können.          Für Leopold haben lebende Kreaturen
fen als ein Akt der freien Liebe Gottes,   Schmerz, Stress und Angst dienen als        und ganze Ökosysteme einen „inneren
die ohne Bedingungen und Vorausset-        Hilfe zum Schutz des Lebens, wenn es        Wert“, d.h. sie sind des Respekts und
zungen ist (Weish. 11, 25). Die Welt ist   in Gefahr ist. Sie sind aber nicht das      der Liebe würdig. Ihr Wert ist nicht er-

2       IöThE Argumentarium Nr. 8 (2021)
Schöpfung in der Bibel
   Im Alten Testament kommen die Schöpfungsaussagen                 gesamte Menschengeschlecht geht auf ein erstes Paar
   an vielen Stellen, z.B. in den Psalmen (insb. Ps 8, Ps 104),     zurück, Mann und Frau bilden eine Einheit.
   im Jesajabuch (Jes 40, 12-31) oder inder Weisheitslitera-        Laut Gen 1,28 sollen die Menschen „fruchtbar sein, die
   tur vor. Die bekanntesten und wirkungsgeschichtlich be-          Erde füllen und sie sich untertan machen und über die
   deutendsten „Schöpfungsberichte“ stehen in den ersten            Tiere herrschen“. (Nebenbemerkung: Die Tötung der Tie-
   zwei Kapiteln der Bibel (Genesis 1 und 2). Der zweite            re zum Zwecke der Nahrung folgt erst nach der Sintflut
   Schöpfungsbericht (Gen 2) ist älter, es entstand im 10.          im Gen 9,2.) Gen 2,15 spricht über die Pflege und Be-
   Jh. v.Ch. und beinhaltet mythologische Elemente. Auch            wahrung des Gartens Eden und Gen 2,20 über die Be-
   wenn die Texte durch vier Jahrhunderte getrennt sind,            nennung der Tiere. Anstatt von einem Herrschaftsmandat
   stimmen sie sachlich überein. Sie beschreiben keine Fak-         wäre hier besser von einem Kulturmandat zu sprechen:
   ten, sondern bieten Erklärungen aus einer theologischen          Bewahrung und Verwaltung des Anvertrauten.
   Perspektive und bedingt vom Wissen der jeweiligen Zeit.          Für die christliche Einstellung zur Schöpfung ist eine Stel-
   Das ist insbesondere im Kontext der Diskussion mit den           le im Römerbrief des Paulus im Neuen Testament wichtig
   Naturwissenschaften wichtig. Die Kerngedanken in Gen             (Röm 8,19-22). Auch hier wird die Perspektive vom Men-
   1 sind folgende: Alles außer Gott hatte einen Anfang.            schen auf die ganze Kreatur erweitert. Die Rechtfertigung
   Gott hat das anfängliche Chaos durch ausgestaltende              des Menschen führt zu einer neuen Einstellung zur Kre-
   Schöpfungsakte in sechs Tagen geordnet: materielle               atur. Als Kinder Gottes und Vorboten der neuen Schöp-
   Welt, Leben auf der Erde, die Erschaffung des Menschen           fung (Röm 8,29, 2Kor 5,17-18) setzen die Christen und
   als Gottes „Ebenbild“. Von der Schöpfung her ist alles           Christinnen ihre Leiber zum Werkzeug der Verherrlichung
   „gut“. Die Kernaussagen von Gen 2 sind: Der Mensch               der Schöpfung ein, die zunächst in der Linderung und
   ist die Vereinigung eines Leibes und der Geistseele. Das         Vermeidung des leidvollen Sterbens sichtbar wird.

setzbar. Leopold entwickelte die konse-        lichen „inneren“ Wert der Biosphäre re-     hat samt allen Kreaturen“ und das alles
quentialistische Regel: „Eine Handlung         spektieren, werden sie sich selbst und      „aus lauter väterlicher, göttlicher Güte
ist richtig, wenn dabei die Integrität, Sta-   auch ihren eigenen Wert erkennen. Ein       und Barmherzigkeit, ohn all mein Ver-
bilität und Schönheit der biotischen Ge-       von Respekt, Liebe und Verantwortung        dienst und Würdigkeit“. D.h. niemand
meinschaft erhalten bleibt.“ Abgekürzt         geprägter Umgang mit der Umwelt hat         lebt für sich allein. Jeder Mensch ist als
kann man das auf die Formel bringen:           einen moralischen Wert.                     relationales Wesen auf ein Leben in der
„Nutzen, nicht zerstören!“ („Use it, not                                                   Gemeinschaft der Mitgeschöpfe ange-
destroy it!“)                                                                              wiesen und diese Gemeinschaft wird
Leopolds Gedanken wurden weiterent-            Mensch und                                  dem Menschen aus Gnade (unverdient)
wickelt. Der Theologe Holmes Rolston                                                       und Liebe (um ein gutes Leben führen
hat seit 1975 eine „Ethik der Umwelt“
                                               Umwelt                                      zu können) gegeben. Luther geht es um
(Environmental Ethics) entworfen, die                                                      einen Glauben, der die Schöpfung nicht
weiter ging als traditionelle ethische Sys-    Über Schöpfungserhaltung kann aus           als eine ferne Geschichte und abstrakte
teme. Der Mensch ist die einzige „mora-        theologischer Sicht in zweifacher Weise     Konstruktion sieht, sondern Gottes kre-
lische Lebensart“ auf diesem Planeten,         gesprochen werden:                          ative Kraft individuell bei sich (am gan-
aber im Verhältnis zu anderen Erden-           Einerseits meint Schöpfungserhaltung        zen Menschen samt seiner „Mit-Welt“)
bewohnern und zur Umwelt benimmt er            Gottes andauernde Kreativität (creatio      wahrnimmt und ihr vertraut. Der eigen-
sich egoistisch. Eine „Ethik der Umwelt“       continua). Im Glauben an die andauern-      tümliche Wert „meiner“ Person „samt al-
muss daher eine anthropozentrische             de Erhaltung der Schöpfung durch Gott       ler Kreatur“ wird im Zuspruch der Liebe
Ethik [>> Kasten Anthropozentrik-Bio-          geht es um die Gottes Treue zur Welt und    Gottes begründet.
zentrik] durchbrechen und sich auf den         zu den Einzelgeschöpfen. Diese Treue        Andererseits erhält Gott die Schöpfung
Wert der Spezies und Ökosysteme kon-           hat nicht mit dem Ende des Schöpfungs-      auch durch das bewahrende und nach-
zentrieren. Spezies haben intrinsischen        werkes am siebenten Tag (Gen 1,1-2,4)       haltige Handeln der Menschen. Schöp-
Wert und sind generell wertvoller als          aufgehört. Jedes Geschöpf – also auch       fungsbewahrung, die das „samt allen
einzelne Organismen. Der Verlust einer         jede einzelne Person – ist eine einmalige   Kreaturen“ im Blick hat, handelt so,
Tierart ist zutiefst respektlos gegenüber      und neue Schöpfung. Sie bleibt ständig      dass auch andere Menschen gerecht
den biologischen Prozessen, die das            auf Gott verwiesen und eingebunden          und die ganze Kreatur als anvertraute
Vorkommen eines lebendigen Organis-            in die Beziehungsgemeinschaft zu den        Gabe behandelt werden. „Bewahrung
mus erst möglich machen. Natürliche            Mitgeschöpfen. In einprägsamer Weise        meint dabei den Einsatz für lebenser-
Prozesse verdienen Respekt in ihrer            hat das Martin Luther in seinem „Klei-      möglichende und lebensfördernde Be-
Bedeutung für alles organische Leben.          nen Katechismus“ (1529) formuliert.         dingungen für Menschen, aber auch für
Darin liegt ihr intrinsischer Wert.            An die Schöpfung zu glauben, heißt zu       Natur und Tiere“ (so die „Grundsätze
Nur wenn Menschen diesen eigentüm-             glauben, dass „mich Gott geschaffen         der Diakonie Eine Welt“). Soziales, ge-

                                                                                            IöThE Argumentarium Nr. 8 (2021)       3
rechtes und nachhaltiges Handeln ist         um so mehr Leiden für alles Lebende          (und andere Völker) zu bezwingen und
eine freie und dankbare Antwort auf die      wird es geben.                               zu erobern. Die katastrophalen Auswir-
Gabe der „Mit-Welt“ und des Lebens           Laut der Bibel ist der Mensch zum            kungen sind heute deutlich zu sehen.
„für mich“.                                  „Bilde Gottes“ (imago Dei) geschaffen        Analog zur Liebe Gottes, aus der die
                                             (Gen 1,27). D.h., die Menschen haben         Schöpfung kommt, und angesichts der
Schöpfung des Menschen                       eine geistig-geistliche Offenheit, die die   Berufung der Menschen, an der guten
Die Menschlichkeit des Menschen ent-         Grenzen der Welt übersteigt. Menschen        Schöpfung teilzuhaben, wäre es zu-
faltet sich auch in seiner Beziehung zur     gestalten die Welt und schaffen neue         treffender, von einem „Sorge-Mandat“
Umwelt. Dabei zeigt sich eine Span-          kulturelle Leistungen. Weil die Welt ge-     zu sprechen. Papst Franziskus sprach
nung: Der Mensch ist „ein Teil der Na-       ordnet und der Kosmos verstehbar ist,        in der Enzyklika Laudato si (2015) von
tur“ und steht zugleich „der Natur ge-       ist es möglich, die Kultur als Technik       der „Kultur der Achtsamkeit“ (Laudato
genüber“.                                    und Wissenschaft rational zu entfalten       si, 231). Darin sind die Bewahrung und
In der Bibel ist – bildlich gesagt – der     und auch in die Ordnung des Kosmos           Förderung der Umwelt inbegriffen. Die
Mensch (hebräisch ādām) von der Erde         einzufügen. Diese Rationalität verlangt      Menschen als „Haushalter Gottes“ sol-
                                                                                          len sich um die Schöpfung so kümmern,

«       Ich bin das Leben, das leben will, inmitten vom Leben, das
        leben will.
                                                                                   «      als wäre die Welt Gottes „eigene Woh-
                                                                                          nung“. (Das ist der Hintergrund für eine
                                                                                          christliche Ökologie: Im Griechischen
        Albert Schweitzer                                                                 heißt „oikos“ Haus, Haushalt und alles
                                                                                          was dazu gehört. „Logos“ bedeutet
(ādāmah) genommen (Gen 2,7). D.h.,           einen respektvollen und verantwortli-        Wort oder die Angelegenheit, um die es
der Mensch ist ein „Erdwesen“, ein „Erd-     chen Umgang bei der Gestaltung der           geht. „Ökologie“ nimmt also Bezug auf
ling“ und so ein untrennbarer Teil dieser    Welt.                                        den ganzen „Haushalt“ – der Umwelt
Welt. In der leiblichen Bedürftigkeit und    Jahrhundertelang wurde missverständ-         und der Menschen.)
Notwendigkeit der Integrität des Kör-        lich Gen 1,28 („macht euch die Erde          Mensch als imago Dei nimmt die persön-
pers fürs Überleben ist Mensch den           untertan“) als uneingeschränktes „Herr-      liche Verantwortung für die Bewahrung
nichtmenschlichen Lebewesen gleich.          schaftsmandat“ über die Natur gedeu-         der Mitgeschöpfe in der Entsprechung
Die Menschheit braucht eine lebensför-       tet. Seit der Moderne wurden Tiere als       zu Gott (Verantwortung als solidarische
derliche Umwelt, um leben zu können.         Sachen (res extensa) behandelt, der          Fürsorge) und gleichzeitig vor Gott (Ver-
Je mehr die Erde unbewohnbar wird,           „Wille zur Macht“ führte dazu, die Natur     antwortung als Rechenschaft).

    Anthropozentrik – Biozentrik
    In der Umweltethik wird über Anthropozentrik im Gegen-         „Ich bin das Leben, das leben will, inmitten von Leben,
    satz zur Biozentrik diskutiert. Nach dem Anthropozent-         das leben will.“). Andere Lebewesen dürfen nur geschä-
    rismus hat der Mensch eine Sonderstellung im Kosmos            digt oder gar getötet werden, wenn es unvermeidlich ist.
    als „Krone der Schöpfung“ oder „Maß aller Dinge“. Tiere,       Eine biozentrische Ethik fordert dazu auf, das Leiden von
    Pflanzen und unbelebte Materie haben keinen eigenstän-         Tieren zu verhindern und die Vernichtung der Natur zu
    digen/inneren Wert. Der moralische Anthropozentrismus          unterlassen. Die Argumente dafür werden außerhalb der
    setzt in der ethischen Diskussion den Menschen als das         Sphäre der Nützlichkeit und Verwertbarkeit für den Men-
    wichtigste Element einer Ethik. Natur, Tierschutz, resp.       schen gesucht. Biozentrik zielt auf eine Transformation
    Umweltschutz wird nur um der Menschen willen wichtig.          des Lebensstils nach dem Motto: „Ein lebendiger Baum
    Biozentrik hingegen verlangt Respekt und „Ehrfurcht vor        muss mehr Wert haben als ein gefällter Baum!“
    dem Leben“ (so Albert Schweitzer und seine Prämisse:

Die „Ökologische Sünde“                      ob auch ökologische Sünden als „Sün-         Gott, Mitmenschen und von sich selbst.
Es ist offensichtlich, dass die Klimakrise   den gegen unser gemeinsames Haus“            Sündig ist der „in sich verkrümmte
neben anderen Ursachen im Kern die           in den Katholischen Katechismus auf-         Mensch“ (Martin Luther). Aus evan-
Folge menschlichen Handelns ist. An-         genommen werden sollen. Wie sieht die        gelischer Sicht ist eine „ökologische
gesichts von Ausbeutung, Zerstörung          evangelische Position dazu aus?              Sünde“ daher nicht nur ein schädlicher
und Verschwendung wird gern über die         Wenn aus evangelischer Sicht über            Umgang mit der Umwelt. Es ist die da-
„ökologische Sünde“ oder „Umweltsün-         Sünde gesprochen wird, geht es weni-         hinterliegende verantwortungslose und
den“ des Menschen gesprochen. Papst          ger um einzelne Taten, die als Sünden        egozentrische Einstellung, die sich als
Franziskus hat im Jahr 2019 angekün-         bezeichnet werden, sondern um eine           Verweigerung der Verantwortung für
digt, dass die katholische Kirche prüfe,     tief eingewurzelte Entfremdung von           alles Mitgeschaffene bezeichnen lässt.

4       IöThE Argumentarium Nr. 8 (2021)
Die Rede von der Sünde im Bereich           Wofür also steht die Verantwortung bei         „Langfrist-Perspektive“ der Menschheit
der Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit        der Schöpfungsbewahrung? Sie steht             ein. Seit Juli 2019 unterstützt die Anlie-
hat also ihre Bedeutung darin, dass sie     für Menschen, die selbst von der Kli-          gen dieser globalen Umweltbewegung
anregt, über die Gründe des menschli-       makrise betroffen sind, und die sich           in Österreich auch die interreligiöse Be-
chen Handelns intensiver nachzuden-         für andere Lebewesen und für künftige          wegung „Religions for Future“ und auch
ken. Das ist insbesondere dann sinnvoll,    Generationen verantwortlich wissen.            die Evangelische Kirche.
wenn es darum geht, die Herzen der
Menschen für ein bewusstes positives        Verantwortung für künftige                     Verantwortung für andere
Denken und Handeln zu gewinnen. Eine        Generationen                                   Lebewesen
evangelische Position vermeidet mora-       Die Begründung der Verantwortung für           Wie kann verantwortungsethisch für an-
lisierende Schuldzuweisungen an den         künftige Generationen ist am schwie-           dere Lebewesen argumentiert werden?
Einzelnen, demaskiert aber die tief ein-    rigsten. Denn wie können wir für etwas         Unter der Vielfalt der Argumente ist die
gewurzelte Verkehrung menschlicher          verantwortlich sein, was es noch nicht         Ethik von Richard Niebuhr (1894-1962)
Beziehungen, die sich zu übermächti-        gibt oder nur hypotetisch geben wird?          einprägsam. Niebuhr, Professor für Ethik
gen „Strukturen der Sünde“ entwickeln       Eine Antwort auf diese Einwände bietet         an der Yale Universität, hat eine „Ethik
(Christof Gestrich). In unserer komple-     die Verantwortungsethik von Hans Jo-           der Antwort“ (Ethics of Response) ent-
xen Gesellschaft sind Verantwortung         nas (1903-1993) in seinem Werk „Das            faltet. Ihre Leitfrage ist nicht „Was ist
und damit auch Schuld oft schon in          Prinzip Verantwortung. Versuch einer           richtig?“ oder „Was ist das Gute?“, son-
sogenannten Sachzwängen verfestigt.
In dem Fall braucht es die Umkehr vie-
                                            « Handle so, dass die Wirkungen Deiner Handlung verträglich sind mit
ler (metanoia), um solche Strukturen zu
überwinden. Es geht um die Gesamtheit
                                                 der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.
                                                 Hans Jonas
                                                                                                                                    «
von menschlicher Gestaltungsmacht,
persönlichen Handlungsmöglichkeiten,
politischen Forderungen und Verände-        Ethik für die technologische Zivilisa-         dern „Was ist das Passende“ (what is
rungen in Einrichtungen und Organi-         tion“ (1979). Im Gegensatz zu früher           the fitting)? Die „Ethik der Antwort“ geht
sationen im Sinne einer umfassenden         ist der Mensch heute in der Lage, mit          davon aus, dass der Mensch im Dialog
schöpfungsorientierten Verantwortung.       der Technik die ganze Welt zu zerstö-          mit anderen Lebewesen steht und seine
                                            ren. Die Menschheit hat kein Recht auf         Handlungen unter dem Gesichtspunkt
                                            kollektiven Selbstmord, sie ist mora-          des Passenden oder Unpassenden (fit-
Schöpfungs-                                 lisch zum Dasein verpflichtet. Weil die        tingness or unfittingness) betrachtet.
                                            Menschheit mit ihrem Handeln bereits           Niebuhr meint: „Wenn wir unsere Be-
verantwortung                               heute ihre Zukunft aufs Spiel setzt und        ziehung mit der Natur als eine Konver-
                                            darum weiß, steht sie in der Verantwor-        sation zwischen Menschen und Natur
Im Zuge der Emanzipation des Men-           tung. In Anlehnung an Immanuel Kants           verstehen, so müssen wir aufmerksam
schen von äußeren Autoritäten wurde         „Kategorischen Imperativ“ formulierte          darauf sein, was die Natur sagt, damit
der Begriff der Verantwortung in der        Jonas einen „Ökologischen Imperativ“:          wir passend antworten können“. Die star-
ethischen Diskussion des 20. Jahrhun-       „Handle so, dass die Wirkungen dei-            ke Seite seiner Ökotheologie und Ethik
dert fruchtbar gemacht (M. Weber, E.        ner Handlung verträglich sind mit der          besteht darin, dass die Wahrnehmung
Levinas, J. P Sartre, K. O. Apel, H. Jo-    Permanenz echten menschlichen Le-              der Abhängigkeiten, Beziehungen und
nas, P. Ricoeur, J. Derrida, E. Balibar).   bens auf Erden.“ Solche Verantwortung          dem gegenseitigen Aufeinander-Ange-
Zugleich ist im Bereich des Rechts ein      richtet sich auch auf die menschenwür-         wiesensein alles Geschaffenen sich an
Wandel geschehen. Bis zum 19. Jahr-         digen Lebensmöglichkeiten der kom-             konkreten Orten und an konkreten He-
hundert stand vor allem die subjektive      menden Generationen.                           rausforderungen orientiert. Mit Niebuhr
Verantwortung und Schuld im Vorder-         Ähnlich fasst die UNO die nachhaltige          können wir also fragen: Was ist gerade in
grund. Im 20. Jh. entfaltete sich mehr      Entwicklung in ihrem Zukunftsbericht           meinem Kontext die passende Antwort,
die sogenannte objektive Verantwortung      „Unsere gemeinsame Zukunft“. Es geht           die good-for-ness meiner Handlungen
(objektive Zurechnung), die sich auf den    um eine Entwicklung, die die Bedürfnis-        im Blick auf die Natur?
materialen Aspekt (den entstandenen         se der Gegenwart erfüllt, „ohne zu ris-
Schaden) konzentriert, mit dem Ziel, die    kieren, dass künftige Generationen ihre        Verantwortung für
Opfer zu entschädigen. Ähnlich betont       eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen          benachteiligte Menschen
die Verantwortungsethik der zweiten         können“ (UNO 1987/WCED 1987, S. 8).            „Ethik der Verantwortung“ spricht auch
Hälfte des 20. Jahrhunderts die Verant-     Auch die Proteste der „Fridays for             über Verantwortung als Haftung und
wortung prospektivisch als Fürsorge für     Future“-Bewegung richten sich gegen            Fürsorge für Menschen, die von dem
andere und als Selbstverpflichtung, im      eine „Kurzfrist-Zivilisation“ und fordern      Klimawandel am schlimmsten betroffen
Interesse der anderen Verantwortung zu      eine Entschleunigung der Wirtschaft.           werden (vulnerable Gruppen). Wenn
übernehmen. Es entspricht der evange-       Statt unersättlichem Wachstum auf Kos-         Menschen, die die geringste Schuld
lischen ethischen Tradition, in Freiheit    ten der Umwelt und künftiger Generatio-        an den steigenden Temperaturen und
Verantwortung zu übernehmen.                nen setzt sich „Fridays for Future“ für eine   dem steigenden Meeresspiegel ha-

                                                                                            IöThE Argumentarium Nr. 8 (2021)       5
ben, am meisten unter den Folgen            Wirtschaftens schnell zu vollziehen). (R.   Vermeiden, reduzieren,
der Klimakrise leiden, wohingegen           Brand, Th. Hirsch). Evangelische Ethik      kompensieren
Menschen, die als größte Verursacher        denkt Gerechtigkeit von den Menschen        In diesem Rahmen ist es deutlich, dass
der Klimakrise über die meisten Res-        in Notlagen her als gerechte Teilhabe,      die Klimakrise mit sozialer Ungleich-
sourcen verfügen, um sich gegen die         damit die Menschen gleichermaßen            heit lokal wie global verbunden ist. Die
Folgen abzusichern, entsteht Klimaun-       befähigt sind, ihre Fähigkeiten zu be-      Forderung nach sozialer Gerechtigkeit
gerechtigkeit. „Der Mechanismus der         friedigen. [>> Argumentarium Nr. 5]         und die Herausforderungen des Klima-
Internalisierung von Vorteilen, sowie       Klimagerechtes Handeln verbindet die        wandels verbinden sich im ethischen
der Externalisierung von Nachteilen         Bemühungen um den Schutz der Erde           Handeln nach dem Prinzip der Kli-
strukturiert Gesellschaften in Gewinner     mit der Verantwortung für die Folgen,       magerechtigkeit. Deshalb gilt: vermei-
und Verlierer“ (Wolfgang Sachs).            die die Ärmsten treffen.                    den – reduzieren – kompensieren!
In der Perspektive der intra-generati-      Dazu, was zu verantworten ist, gibt es      Bereiche, wo sich nachhaltiges Han-
onellen Gerechtigkeit beschäftigt sich      mehrere Indikatoren. Laut US Ministeri-     deln immer mehr durchsetzt, um den
Klimagerechtigkeit gerade mit dem Pro-      um für Umwelt sind CO2-Emmissionen          CO2-Fußabdruck zu senken sind:
blem der ungleichen sozialen (oben und      in den letzten 50 Jahren um 90% gestie-      ●● Energiesystem: Förderung und
unten in einer Gesellschaft) oder räumli-   gen, wobei 78% davon die Emissionen             Nutzung alternativer, erneuerba-
chen (zwischen Zentren und Peripherie,      von fossilenl Treibstoffen und die In-          rer Energien; Energiesparen; ge-
Nord und Süd) Verteilung der Vorteile       dustrie ausmachen. Die Daten aus dem            zielte Beschaffung von Geräten,
und Nachteile vom Natur- und Umwelt-        deutschen Umweltbundesamt belegen,              die weniger Energie verbrauchen;
verbrauch.                                  dass z.B. im Jahr 2019 die Reichsten            Erhöhung der Energieeffizienz von
                                            der Weltbevölkerung (10 %) ganze                Gebäuden beim Bauen und Sanie-
Klimagerechtigkeit                          49 % der Emissionen verursachten, da-           ren.
Klimagerechtigkeit ist in der Debatte       gegen 50 % der Weltbevölkerung nicht         ●● Mobilität: nachhaltige und intelli-
um die CO2-Einsparungen ganz wich-          mehr als 3 %. Laut den Daten der Welt-          gente Mobilität; neue Organisation
tig. „Klimagerechtigkeit“ bedeutet, je-     bank verbraucht der globale Norden              von Transport; Einführung umwelt-
dem Menschen auf der Erde gleiche           fast drei Mal mehr Strom als der Süden.         freundlicherer, kostengünstigerer
Nutzungsrechte an der Atmosphäre            Laut UNDP-2020 Report steigt die Zahl           und gesünderer Formen des Ver-
zuzugestehen, wobei die Gesamtbe-           der Tage mit extremem Wetter in den             kehrs.
lastung der Atmosphäre mit Treibh-          ärmsten Ländern bis zum Jahr 2100 um         ●● Landwirtschaft und Lebensmittel-
ausgasen so zu begrenzen ist, dass          100 Tage. Wenn das Abkommen von                 konsum: gezielte Unterstützung von
die mittlere globale Erwärmung auf          Paris voll implementiert würde, würde           Biolandbau in der Region; „Vom
maximal 2° Celsius beschränkt bleibt.       die Zahl um Hälfte sinken.                      Hof auf den Tisch“ – ein gesünde-
„Klimagerechtigkeit“ drängt auf ge-         Das Global Footprint Network benützt            res und nachhaltigeres Lebensmit-
meinsame Verantwortung für das >>           den „Ökologischen Fußabdruck“ als               telsystem; Änderung der Ernäh-
Vermeiden, reduzieren, kompensieren         einen komplexen Nachhaltigkeitsindi-            rungsgewohnheiten (z.B. durch
bei CO2-Emmissionen.                        kator, der zeigt, wie viel Natur die Men-       Fleischverzicht oder zumindest Re-
Klimagerechtigkeit verlangt Teilhabe-       schen noch haben und wie viel Natur             duktion); Bekämpfung der Lebens-
gerechtigkeit an den Umweltgütern           verbraucht wird. Es werden alle natür-          mittelverschwendung; Erhaltung
(verteilende Gerechtigkeit) und eine        lichen Rohstoffe berechnet, die zum             und Schutz der Biodiversität.
besondere Verantwortung der Verur-          Essen, Wohnen, Reisen etc. verbraucht        ●● Kostenwahrheit: Änderung der An-
sacher, Schäden des von ihnen bereits       werden, wie auch die Ressourcen, die            rechnung aller Kosten, samt der
verursachten Klimawandels auszuglei-        die Natur braucht, um menschliche               Schäden an Umwelt und Gesund-
chen (ausgleichende Gerechtigkeit).         Abfälle abzubauen (z.B. Wälder, um              heit auf die Transportpreise und
Klimagerechtigkeit hat drei Aspekte: 1.     das CO2 zu binden). Das Ergebnis der            eine nachhaltige Besteuerung des
Teilen von Lasten (burden sharing, d.h.     Berechnung hilft der Politik, die öffent-       Verkehrs auf der Grundlage der
wer trägt welche Lasten der notwen-         lichen Investitionen in Projekte effizi-        CO2-Emissionen; umweltgerechte
digen Emissionsminderung sowie der          ent einzusetzen, den Organisationen,            Haushaltsplanung, um Partner zum
notwendigen Anpassung), 2. Teilen von       ihre Nachhaltigkeit zu verbessern, und          Handeln zu bewegen und die Ver-
Risiken (risk sharing, d.h. ein gerechtes   den einzelnen Personen, ihren „Fußab-           gleichbarkeit von Maßnahmen und
internationales Teilen von Risiken zwi-     druck“ auf den Planeten zu verstehen            Strategien zu gewährleisten; kreis-
schen den Hauptemittenten einerseits        und nach Möglichkeit zu verkleinern.            lauforientiertes Wirtschaften im Sin-
und den am verletzbarsten Ländern           Mithilfe des ökologischen Fußabdrucks           ne der „drei W“ der „Erd-Charta“:
andererseits), 3. Teilen von Chancen        berechnet die Organisation Global               Weniger, Wiederverwenden, Wie-
(opportunity sharing, d.h. Anreize zu       Footprint Network auch den „Earth               derverwerten; Null-Schadstoff-Ziel
setzen, Chancen für die Transformation      Overshoot Day“. Demnach hat die                 für eine schadstofffreie Umwelt,
von der Ära des stark ressourcenver-        Menschheit die Ressourcen, welche               etwa in der Vermeidung von Plas-
brauchenden und kohlenstoffintensiven       die Natur in einem Jahr wiederherstel-          tikmüll im Sinn der „Strategie für
Wachstums in eine Ära des ressour-          len kann, im Jahr 2020 bereits in knapp         Kunststoffe“ (erlassen von der Eu-
ceneffizienten und kohlenstoffarmen         acht Monaten verbraucht.                        ropäischen Kommission 2018).

6      IöThE Argumentarium Nr. 8 (2021)
Träger der Verantwortung                      Seite. Es muss auch um die transfor-       zung dieser Forderungen beschlos-
Bei Schöpfungsbewahrung werden                mierende Solidarität gehen, um einen       sen.
drei Ebenen des ethischen Handelns            Strukturwandel hin zu einer ökosozi-       Ethisch ist aber geboten, nicht erst
unterschieden: der Einzelne (Indivi-          alen Politik und Wirtschaftsordnung.       unter dem Zwang der gesetzlichen Re-
dualethik), Organisationen wie Kirche         Das Klimavolksbegehren, das Kirche         gelungen zu handeln, sondern in freier
und Diakonie (Organisationsethik), die        und Diakonie unterstützt haben, hat        Gesinnung die Verantwortung für den
Politik national wie international (Sozial-   die vielfältigen Maßnahmen für einen       eigenen ökologischen Fußabdruck,
ethik). Es führt nicht weiter, persönliche    Fahrplan zur Klimaneutralität 2040         aber auch für den CO2 Verbrauch in
Verhaltensänderung und politische             in Forderungen gegossen. Verstärkt         den Pfarrgemeinden und diakonischen
Maßnahmen gegeneinander auszu-                durch knapp 400.000 Unterschriften         Organisationen, zu übernehmen und
spielen. Es braucht vielmehr beides:          von BürgerInnen fordern die InitiatorIn-   die eigene Lebensweise zu ändern.
Politische Maßnahmen, aber auch ak-           nen von der Politik eine rasche Umset-     Die Diakonie als Organisation nimmt
tives Engagement der Bürger und Bür-          zung 1. eines Rechts auf Klimaschutz       die Advocacy (Anwaltschaft, Interes-
gerinnen. Siehe dazu die Forderungen          in der Verfassung, 2. eines verbind-       sensvertretung) für die Benachteiligten
des Klima-Volksbegehrens vom 22. bis          lichen, wissenschaftlich fundierten        wahr, damit eine gerechte Teilhabe an
29. Juni 2020 in Österreich.                  CO2-Budgets im Klimaschutzgesetz,          den Ressourcen dieser Welt und an ge-
Nachhaltigkeitsziele können nicht nur         3. Kostenwahrheit und eine ökosoziale      sunder Umwelt ermöglicht wird. Diako-
durch Marktmechanismen erreicht               Steuerreform, 4. Nachhaltige Mobilität     nie als Player gibt zugleich ein Beispiel
werden. Emissionshandel oder Be-              und Energie. Am 09. März 2021 wurde        im Einsatz für eine gerechte Teilhabe.
steuerung des Konsums ist nur eine            im Umweltausschuss die Teilumset-          [>> Beispiele aus der Diakonie]

   Der evangelische Beitrag
   Für die Evangelischen Kirchen in Österreich gehört die          Kirchen in Österreich (Evangelische Kirche A.B., Evange-
   Sorge um die Bewahrung der Schöpfung zu den zentralen           lische Kirche H.B., Evangelisch-methodistische Kirche),
   Aufgaben. Die Zukunftsverantwortung für eine nachhalti-         die in der Diakonie seit vielen Jahren zusammenarbeiten,
   ge, umwelt- und generationengerechte Politik, eine Ver-         den Pariser Klimazielen verpflichtet.
   pflichtung, die Erde auch für nachfolgende Generationen         2015 wurde die Evangelische Kirche A.B. als erste Kirche
   lebenswert zu bewahren, gehört zum Auftrag der Kirche.          Österreichs „klimaaktiv-Partnerin“. Im selben Jahr trat die
   Die „Zweite Europäische Ökumenische Versammlung“                Evangelische Kirche A und H.B. der „Klima-Kollekte“ bei.
   fand 1997 in Graz statt. Von hier ist das Europäische           Im Jahre 2018 wurde ein Nachhaltigkeitsleitfaden „Chanc/
   Christliche Umweltnetz (European Christian Environ-             ge. Auf dem Weg zur zukunftsfähigen Pfarrgemeinde“ ver-
   mental Network, ECEN) ausgegangen. Der „Konziliare              öffentlicht. Auf allen Ebenen der evangelischen Kirchen
   Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der            in Österreich arbeiten ehrenamtlich Umweltbeauftragte,
   Schöpfung“ verbindet die Idee einer von der Basis ge-           ein „Projektteam Klimaschutzkonzept“ der Evangelischen
   prägten verbindlichen ökumenisch-ethischen Meinungs-            Kirche A.u.H.B. in Österreich wurde 2019 eingesetzt, mit
   bildung mit den Versuchen, die globalen ethischen Fra-          dem Ziel ein Klimaschutzkonzept zu entwickeln, um 2040
   gestellungen in den Gemeinden zu verwurzeln und die             klimaneutral zu werden. Kirchen und Religionsgemein-
   Handlungsimpulse lokal umzusetzen.                              schaften haben sich gemeinsam mit „Fridays for Future“
   Im Juni 2016 hat der „Lutherische Weltbund“ alle Mit-           2020 für einen entschlosseneren Einsatz zur Erreichung
   gliedskirchen zur Einführung und Umsetzung der SDGs             der Klimaziele ausgesprochen, wie auch das Klimavolks-
   aufgerufen. In dieselbe Richtung hat sich die „Weltge-          begehren 2020 unterstützt. Für 2022 ist ein kirchliches
   meinschaft Reformierter Kirchen“ und der „Weltrat Me-           Themenschwerpunktjahr zur Bewahrung der Schöpfung
   thodistischer Kirchen“ positioniert. In dieser weltweiten       ausgerufen.
   Verbundenheit wissen sich auch die drei evangelischen

Klima-Kollekte                                Klimagerechtigkeit und Armutsbe-           Darüber hinaus ist die Klima-Kollekte
Seit 2019 wird die Klima-Kollekte als         kämpfung. Das Angebot der Klima-           ein CO2-Kompensationsfond christli-
ökumenische Initiative von einer Ar-          Kollekte umfasst die Berechnung            cher Kirchen, über den jeder Mensch,
beitsgemeinschaft der Diakonie Ös-            der CO2- Emissionen, die Beratung          jede Organisation und jede Gemeinde
terreich, Evangelischer Kirche A. und.        zu Reduktionsmöglichkeiten und Bil-        unvermeidliche Emissionen aus Strom-
H.B. in Österreich, Horizont3000 und          dungs- und Informationsmaterialien         und Wärmenergie, Reisen sowie Pa-
der Bischofskonferenz in Österreich           (die interaktive „Klima-Waage“, Leitfä-    pier- und Druckerzeugnissen kompen-
getragen. Sie sehen die Kompen-               den, Unterstützung der Kommunikati-        sieren kann. Mit einem CO2-Rechner
sation als wirksames Instrument der           on der klimafreundlichen Aktivitäten).     wird ein Betrag errechnet, der durch

                                                                                          IöThE Argumentarium Nr. 8 (2021)       7
die Klima-Kollekte in zertifizierte Kli-            nachhaltige Entwicklungsperspektiven                  effiziente Kocher in Indien und Kenia,
maschutzprojekte in den Bereichen                   ermöglichen – zudem verringern sie                    energieeffiziente Kochstellen und sau-
erneuerbare Energien und Energie-
effizienz in Ländern des globalen Sü-
dens investiert wird. Für jede Tonne
CO2-Emmission werden als Kompen-
                                                   «        Vermeidbare CO2 Emissionen sollten wir vermeiden, unvermeid-

sation 23 Euro berechnet.
Damit werden zertifizierte, qualitativ
                                                            bare können z.B. über die Klima-Kollekte freiwillig kompensiert
                                                            werden.                                                                                 «
                                                            Michael Bubik
hochwertige Entwicklungsprojekte in
Ländern des globalen Südens finan-
ziert und mit der lokale Bevölkerung                den CO2-Ausstoß und schützen so das                   beres Trinkwasser in Ruanda, Solarlam-
vor Ort umgesetzt. Diese Projekte min-              Klima. Die Kompensationszahlungen                     pen in Indien u.a.m. Seit der Gründung
dern die Armut vor Ort, in dem sie Frau-            fließen in Projekte wie z.B. erneuerbare              der Klima-Kollekte im Jahr 2011 wurden
en stärken, Gesundheit schützen und                 Energien mit Biogas in Indien, energie-               über 200.000 Tonnen CO2 kompensiert.

    Zum Weiterlesen
    Archer, David; Rahmstorf Stefan, The climate crisis: An introductory guide to climate change, Cambridge 2010
    Brand, Richart; Hirsch, Thomas. Was heißt Klimagerechtigkeit? Vom Prinzip zur politischen Praxis, download:
    https://klima-kollekte.at/fileadmin/user_upload/Brand-Hirsch-Klimagerechtigkeit.pdf
    Boff, Leonardo, Über-Lebenswichtig, Grünewald 2016.
    Europäische Kommission, Was geschieht, wenn wir nicht handeln?, download:
    https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/fs_19_6715
    Evangelischen Kirchen in Österreich: https://www.schoepfung.at/site/home/aktuelles
    Gestrich, Christof, Systematisch-theologische Überlegungen zum Begriff der Sünde, Tübingen 2003, S. 177-198.
    Global Reporting Initiative (GRI), UN Global Compact, The World Business Council for Sustainable Development (WBCSD),
    download: https://www.globalcompact.de/wAssets/docs/Sustainable-Development-Goals/Publikationen/SDG-Compass/
    SDG-Compass_German.pdf
    Klima-Kollekte: https://klima-kollekte.at
    Kromp-Kolb, Helga; Formayer, Herbert, „+2Grad. Warum wird uns für die Rettung der Wert erwärmen sollten“.
    Wien-Graz 2018.
    Projekte Brot für die Welt: https://www.brot-fuer-die-welt.at/themen/hunger-ernaehrung/projekte/.
    Projekt Gartenhof Waiern in Feldkirchen: https://www.diakonie-delatour.at/gartenhof.
    Sachs, Wolfgang, Ökologie und Menschenrechte. Wuppertal Papers, 131/2003, download:
    https://epub.wupperinst.org/frontdoor/deliver/index/docId/1732/file/WP131.pdf
    Scoville, Judith N., Fitting Ethics for the Land: H. Richard Niebuhr´s Ethics of Responsibility and Ecology.
    The Journal of Religious Ethics 30/2 (2002), S. 207-229.

Impressum:
IöThE Argumentarium Nr. 8/2021
Medieninhaber: Institut für öffentliche Theologie und Ethik der Diakonie
Herausgeber: Dr. Michael Bünker
Autor: Prof. Lubomir Batka, Dr. theol.
Redaktionskontakt: ethik@diakonie.at, Grafik: Elisabeth Frischengruber, Druck: Friedrich Druck & Medien

Mit der Publikationsreihe „Argumentarium“ greift das IöThE gesellschaftlich virulente ethische Fragen auf, stellt Diskurse und Argumente vor und kom-
mentiert sie aus evangelischer Perspektive. Das Argumentarium will Orientierung bieten und zur persönlichen ethischen Meinungsbildung anregen.

Bisher erschienen: Sterbehilfe (Nr. 1/2015), Demenz (Nr. 2/2016), Flucht und Asyl (Nr. 3/2017), Fortpflanzungsmedizin und Behinderung
(Nr. 4/2017), Was ist eigentlich gerecht? (Nr. 5/2018), Menschenrechte und Soziale Arbeit (Nr. 6/2019), Ethische Konflikte in Zeiten von Corona (Nr.
7/2020).

    http://ethik.diakonie.at

8        IöThE Argumentarium Nr. 8 (2021)
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