Schwebungen und Schwingungen - Schriftlicher Teil der künstlerischen Diplomarbeit Eingereicht von Felix Dennhardt - Angewandte
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Schwebungen und Schwingungen Schriftlicher Teil der künstlerischen Diplomarbeit Eingereicht von Felix Dennhardt an der Universität für angewandte Kunst Wien im Diplomstudium Medienkunst/ Studienzweig Digitale Kunst im Sommersemester 2021 Betreuung: Univ.-Prof.Mag.a art. Ruth Schnell Mitbetreuung: AProf. Mag.a art. Rini Tandon Sen. Art. DI Nicolaj Kirisits Associate Prof. Mag. art. Martin Kusch
Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 3 2. Beschreibung der Arbeit 4 2.1. Erleben von Raum 2.2. Klang 2.3. Material und Form 3. Arbeitsprozess 7 4. Kontextualisierung 8 4.1. Alvin Lucier und Long String Instruments 4.2. László Moholy-Nagy, Iannis Xenakis, Minimal Music und Gegenwart 5. bisherige Arbeiten 9 5.1. Arbeitsweise/ künstlerischer Einfluss 6. Abbildungen 11 7. Literaturverzeichnis 24 8. Abbildungsverzeichnis 25 9. Dank 26 2
1. Einleitung Die Arbeit Schwebungen und Schwingungen entstand ausgehend von der Faszination für die Kräfte, die Klaviersaiten zum Klingen bringen. In der Rauminstallation werden diese Kräfte exponiert und skulptural und akustisch erfahrbar gemacht, angeregt von der Idee, dass der Klang im Raum stehen soll, als unsichtbares, aber spürbares Element. Bestehend aus sechs Meter langen Stahlbögen, die von einem elektromagnetischen Mechanismus gesteuert werden, erzeugt die dreiteilige Klangskulptur eine sich ständig verändernde Klanglandschaft. Schwebungen und Schwingungen ist eine Rauminstallation, die für Klang und Raum sensibilisiert und die aufeinandertreffenden Kräfte spürbar macht. 3
2. Beschreibung der Arbeit Schwebungen und Schwingungen besteht aus 3 Stahlbögen, mit einer Länge von jeweils 6 Metern und unterschiedlichen Biegegraden. (Abb.1) Zwischen jedem Bogen ist eine Klaviersaite gespannt, die durch einen elektromagnetischen Mechanismus in ständiger Vibration ist und so einen permanenten Klang erzeugt. Die Größe bzw. Sehne des Bogens gibt seinen Frequenzumfang vor, dazu ist die Saite mit einem motorisierten Stimmwirbel verbunden, der die Tonhöhe der jeweiligen Saite sehr langsam, aber ununterbrochen verändert. Dadurch entsteht eine sich ständig verändernde Klanglandschaft, die durch die Überlagerung ihrer eigenen Frequenzen immer wieder musikalische Schwebungen erzeugt. In der Arbeit Schwebungen und Schwingungen geht es um das Zusammenspiel von Material, Klang und Raum in all seiner Simplizität und Mächtigkeit. Der Klang spielt eine wichtige Rolle dabei, den Raum zu erfassen. Die Bewegung des Betrachters gibt ein Gefühl für die Größe, Architektur und all die Schattierungen des Raumes. Die drei Bögen evozieren in ihrer Form was wir hören und helfen dem Betrachter dabei, den Raum zu erfassen. Auf die Elemente Raum, Klang, Form und Materialität möchte ich im Folgenden näher eingehen: 2.1. Erleben von Raum Ein wichtiger Teil meiner Arbeit ist, die Betrachter für den Raum, der sie umgibt, zu sensibilisieren. Der Raum ist eine abstrakte Vorstellung, dem wir in seiner Länge, Breite und Höhe ein mathematisches Ordnungsmodell gegeben haben. 1 Dieses Ordnungsmodell wird durch den Klang gesprengt. Gleichzeitig ist der Raum ein großes Versprechen. Das Raumerlebnis ist sehr stark mit unserer Erfahrung verknüpft. Die These zur „predictive mind“ beschreibt, wie die Erfahrung unser Erleben beeinflusst. Nicht umsonst steckt im englischen „experience“ in gewisser Weise beides, die Erfahrung und das Erlebnis. Wir gehen voreingenommen in Räume, versuchen sie unterbewusst vorherzusehen. 2 In künstlerischen Räumen geht es mir darum aus dem Erlebnis, eine aufmerksame Erfahrung zu machen. Der Inhalt eines Raumes hilft ihn zu deuten, und jede BetrachterIn stellt eine eigene Verbindung zu ihm her. Mich interessiert das Potenzial eines Raumes oder des Umraumes zur BetrachterIn. Casey O’Callaghan beschreibt als Klangerlebnis, über Zeit vibrierende Objekte in einem dadurch irritierten Umraum. Ausgehend von seiner event theory ist die Rolle von Zeit beim Hören, analog zu der vom Raum beim Sehen. 3 In Schwebungen und Schwingungen versuche ich durch die endlose Vibration der Saiten eine räumliche Erfahrbarkeit von Klang zu erzeugen, die zu einer subjektiven Erfahrung der BetrachterIn führt. 1 (Köster, Der Raum im Raum, 2015) 2 (Roepstorff, 2019) 3 (O'Callaghan, Sounds: A philosophical Theory, 2007) 4
2.2. Klang Thaddeus Cahill erfand 1897 das Telharmonium, (Abb.2) das erste elektrische Klavier, noch ohne Verstärker, 1934 abgelöst von der Hammond Orgel. 4 Die Idee ist auch dort, dass durch einen elektromagnetischen Mechanismus eine Frequenz bzw. ein Sinuston erzeugt werden kann. Wenn man nun aber verschiedene Sinustöne übereinanderlegt, entsteht Klang, samt all seiner Obertöne. Das ist dasselbe Prinzip, das in elektronischen Musikinstrumenten wie Synthesizern als additive Synthese eingesetzt wird. Der Klang wird durch seine harmonischen Teiltöne erzeugt. Für die Arbeit Schwebungen und Schwingungen verwende ich einen ähnlichen Mechanismus. Als Klangerzeuger dient ein E-Bow, ein elektromagnetischer Tonabnehmer, der wie ein Violinbogen eine endlose Schwingung erzeugt und üblicherweise bei elektrischen Gitarren eingesetzt wird. Alle 3 Bögen werden mit einem solchen E-Bow angesteuert und verändern währenddessen über eine motorisierte Stimmwirbel ihre Tonhöhe. Dadurch erzeugen alle 3 Bögen eine Klanglandschaft, die immer wieder zwischen Harmonien und Schwebungen changiert. Als Schwebungen bezeichnet man in der Musik Schwingungen, die sich in ihrer Frequenz nur wenig unterscheiden. Die Obertonschwingungen eines Instrumentes erzeugen solche Schwingungen, die die Klangfarbe ausmachen. In meiner Installation bewirkt die motorisierte Stimmwirbel, dass die Saite sich in ihrer Schwingung ständig neu einpendelt. Durch die Überlagerung dieser Frequenzen entstehen ständige Schwebungen, die den Eindruck ergeben, dass der Ton in langsamer oder schneller Abfolge lauter oder leiser wird. Über ein Arduino Board wird die Bewegung des Motors, der die Stimmwirbel in Bewegung setzt, digital gesteuert. Bei den Bewegungen des Motors bin ich erstmal nach einer einfachen formalen kompositorischen Struktur vorgegangen, die vorwiegend von Vertretern der Minimal Music angewendet wurde. In seiner 1972 entstandenen Arbeit Clapping (for two performers) nutzt Steve Reich die Phasenverschiebung, also das stetige Verschieben von 2 identischen Takten bzw. „klatschenden“ Stimmen zueinander, um eine kompositorische Struktur zu schaffen, die sich stetig verändert und doch einem repetitiven Muster folgt. In Schwebungen und Schwingungen folgt die Komposition der 3 Bögen einem ähnlichen Konzept. Sie alle folgen den gleichen Bewegungsabläufen des Motors, der die Tonhöhe verändert, jedoch mit unterschiedlichen zeitlichen Abfolgen. Zu den Klängen der Klaviersaiten mischen sich immer wieder klangliche Artefakte, die durch die Elektronik, sowie Materialität der drei skulpturalen Bogenelemente entstehen und wiederum auf die Kräfte verweisen, die das Material zum Schwingen bringen. Im Unterschied zur rhythmischen Präzision der minimal music, spiele ich bewusst mit der Eigenschwingung des Materials. Dadurch erzeugen die Bogenelemente unvorhersehbare Schwingungen, die wiederum auf ihre eigene Beschaffenheit zurückführen. Die digitale Ansteuerung der Motorik erlaubt mir außerdem, eine sich unendlich verändernde Klanglandschaft zu schaffen. 4 (Kringiel, 672 Tasten, 336 Regler, 200 Tonnen schwer, 2017) 5
2.3. Material und Form Der Rahmen eines Konzertflügels wird mit ca. 20 Tonnen belastet. Diese Kräfte haben mich interessiert. Welche Form bringt eine Klaviersaite unter Spannung und was lässt sie klingen? Die Klaviersaiten in ihrer heutigen Form sind ein Hightech Produkt. Anders als die Hammerklaviere und Cembalos auf denen Mozart spielte, werden sie aufwändig hergestellt und erzeugen eine Reihe von Obertönen, die aus einem einfachen Klang ein Schallereignis werden lassen. 5 Per Bloland hinterfragt in seiner Arbeit über das electromagnetically prepared piano,6 wie die Grenzen zwischen elektronischer und akustischer Musik verschwimmen, wenn der Klang über einen Elektromagneten generiert wird, statt über eine Lautsprechermembran über ein Instrument wiedergegeben wird. Das Instrument zeichnet sich über eine individuelle Klangfarbe aus. So definiert sich mein Klang über die Form der 3 Bögen. Für lange Zeit unterschieden Philosophen in primäre (Größe, Form etc.) und sekundäre (Klang, Farbe etc.) Eigenschaften.7 Also Eigenschaften, die unabhängig von der BetrachterIn bestehen und die im Kopf der BetrachterIn entstehen. Es ist die Farbe einer Tür, oder der Klang eines Vogels. Eigenschaften verändern sich, die Farbe des Autos kann übermalt werden, wohingegen sich der Klang nur in seiner Qualität verändern kann. Solange das Objekt seiner Erzeugung besteht, verändert der Klang über Zeit nur seinen Charakter, bleibt jedoch immer bestehen. In Schwebungen und Schwingungen besteht der endlose Klang durch die ständige Veränderung des Materials. Die Stahlbögen evozieren in einer Kräftebalance mit den Klaviersaiten zu stehen und zeigen in ihrer leichten Vibration, den subtilen Ursprung des Klanges. Gleichzeitig erzeugen sie einen Resonanzkörper, der durch Kontaktmikrofone verstärkt wird. Angesteuert werden die motorisierten Stimmwirbel über digitale Signale. Obwohl es eine kompositorische Struktur gibt, ist der Klang immer ein Resultat der digitalen und analogen Elemente und verfügt über die unvorhersehbare Selbstständigkeit eines Apparatus. Die Parabel als konstruktive Form in der Architektur schafft in seiner Simplizität eine archaische Form, gleichzeitig spiegelt die Form der Klangobjekte einen Satz wieder, den ich während meiner Arbeit mit Robert Wilson immer wieder hörte: „there are only two kinds of lines – straight lines and curved lines“ . In gewisser Weise wollte er damit sagen, dass eine Linie immer eine klare Formensprache haben sollte – die Gerade steht im Kontrast zur Kurve. So wie jede Bewegung eine Gegenbewegung haben sollte, jede Kraft eine Gegenkraft. Erst dann entsteht eine „isometrische“ Spannung. Gleichzeitig stellte sich der Bogen als statisch optimale Form heraus, um dem Zug der Klaviersaite entgegenzuwirken. 5 (Klaviersaiten - ein High-Tech Produkt, 2007) 6 (Bloland) 7 (Cox, 2011) 6
3. Arbeitsprozess Mit der Rauminstallation Schwebungen und Schwingungen habe ich versucht, die Kräfte, die Klaviersaiten zum Klingen bringen, räumlich und klanglich erfahrbar zu machen. Es entstanden einige Entwürfe zu aufwendigen Stahlkonstruktionen im Raum, sowie einfache Stahlrahmen, die dem Zug der Saite standhalten sollten. Meist Entstehen zuerst Zeichnung, dann einige digitale Modelle, dann der Prototyp. (Abb.3-4) Die Stahlrahmen behielten trotz ihres enormen Gewichts nicht ihre Form und waren nicht in der Lage einen stabilen Klang zu erzeugen. Die Auseinandersetzung mit Alvin Luciers Arbeit und dem Bespielen von Saiten durch Elektromagneten führte mich zu einem Klavierbauer, um die Beschaffenheit von Saiten zu erforschen. Die Saitenstärke spielt eine wichtige Rolle bei der Interaktion mit dem Elektromagnet. Die schweren tiefen Basssaiten, sowie die hohen unter großer Spannung befindlichen Saiten erzeugen den schwächsten Klang. Die mittleren Höhen erzeugten ein breites Frequenzspektrum. Die Schwebungen, die durch die sich langsam verändernde Motorik entstanden, stellten sich als Aspekt heraus, den ich versuche hervorzuheben. Im Laufe der Materialtests wurde klar, dass die Form des Bogens als Ausgangspunkt zu meiner Rauminstallation dienen sollte. Die Parabelform der Bögen, samt all ihrer Bezugspunkte zur Akustik, sowie statischen Vorteile spiegelt vor allem den Moment der Spannung am besten wider. (Abb.5) Am längsten dauerten die Versuche zu Übersetzungsmöglichkeiten für die Stimmwirbel, welche die Tonhöhe der einzelnen Saiten verändern. Die Schwierigkeit lag darin, eine Motorik zu finden, die mit großem Kraftaufwand zurechtkommt und präzise ansteuerbar ist, ohne dass dieser dabei zu laut wird. Die Versuche führten letztendlich zu einer einfachen Gewindekonstruktion, mit abgekoppeltem Motor, die sich zurücknimmt, jedoch den Charakter eines Apparatus transportiert. (Abb.6) Der Lichthof der Universität für angewandte Kunst Wien stellte sich auf Grund seiner Kubatur und Atmosphäre, sowie von Tests zum Hall des Lichthofes als besonders passend heraus. Die sphärischen Klänge der Installation haben dort die Chance, sich zu entfalten und die weitläufigen Räumlichkeiten einzunehmen. Außerdem erlaubt mir die Mobilität der drei Bögen in verschiedenen Anordnungsmustern unterschiedliche Klangerlebnisse zu erzeugen. 7
4. Kontextualisierung 4.1. Alvin Lucier und Long String Music Die meisten Long String Instruments funktionieren nach den antiken Erkenntnissen von Pythagoras zum Monochord. (Abb.7) In seiner Entdeckung in der Schmiede soll er mehrere Hämmer mit unterschiedlichem Gewicht gleichzeitig aufgeschlagen haben, was zu wohligen Klängen führte- der Aufbau eines Intervalles. Daraufhin hat er Experimente am Monochord durchgeführt. Beim Monochord definiert die Länge der Saite, sowie das Gewicht, welches über einen Steg an der Saite befestigt ist, die Höhe des Klanges. Bei den Long String Instruments, geht es darum eine lange Saite in Vibration zu bringen und in ihre unvorhersehbaren Bewegungen einzugreifen. Alvin Lucier hat diese Technik 1977 für seine Rauminstallation Music on a Long Thin Wire benutzt.8 (Abb.8) Eine einzelne Klaviersaite wird einige Meter durch einen Raum gespannt, über einen Hufeisenmagnet in unvorhersehbare Schwingung gebracht und über Lautsprecher verstärkt. In den 1980er Jahren gab es einige Experimente, die sich seiner Technik bedienten. Ellen Fullman nutzt ihre Hand, mit der sie entlang der Saiten durch den Raum streicht.9 (Abb.9) George Smits und Paul Panhuysen nutzen eine ähnliche Methode und interagieren mit resonierenden Objekten entlang der langen Saiten. 10 Für die Arbeit Schwebungen und Schwingungen war mir wichtig, ein in sich geschlossenes System zu schaffen, das über die Qualitäten einer Rauminstallation verfügt und über eine Stimmwirbel eine breite Klanglandschaft erzeugen kann. Mehr als ein künstlerisch- physikalisches Experiment interessiert mich dabei das Zusammenspiel von Klang, Form und Raum - das individuelle Erlebnis der BetrachterIn. Außerdem schaffe ich es durch die digitale Ansteuerung der motorisierten Stimmwirbel eine unendliche Klanglandschaft zu erzeugen. Robert Morris zeigt in seiner wegweisenden Arbeit, Box with the sound of it´s own making wie Klang und Objekt unzertrennbar werden. Eine Holzbox aus der ihr eigener Produktionsprozess tönt und so der Prozess im Werk offengelegt wird.11 In Schwebungen und Schwingungen geht es um den Prozess der Tonerzeugung, der offengelegt wird. Die Entstehung des Klanges wird sowohl akustisch als auch visuell erfahrbar gemacht. 4.2. László Moholy-Nagy, Iannis Xenakis, Minimal Music und Gegenwart Mich interessiert der überraschende Effekt den Max Neuhaus mit seinen Klängen an unverhofften Orten schafft, jedoch ist mir in meinen Rauminstallationen die visuelle Ebene und räumliche Auseinandersetzung von ebenso großer Bedeutung wie die Klangliche. László Moholy-Nagy hat bereits in den 1920er Jahren mit seinem Light-Space-Modulator, wie auch mit der Arbeit Mechanische Exzentrik (1925) Klangraumskulpturen gebaut und Partituren entwickelt, die sich genau damit beschäftigen - das Auge hilft uns zu hören. (Abb.10, Abb.11) 8 (Lucier, 2007) 9 (Beaumont-Thomas, 2016) 10 (www.zkm.de, 2021) 11 (Morris, 2021) 8
Auch die Wirkung von Steve Reichs Inszenierungen Pendulum oder Drumming sind ein gutes Beispiel dafür (Abb.12). Dass Architektur und die Bewegungsfreiheit der Betrachter auch zum wesentlichen Teil der Klangrezeption gehören, wird auch in den nach strengen mathematischen Mustern angeordneten Kompostionen und Inszenierungen von Iannis Xenakis klar und hat sich bis heute in der zeitgenössischen Kunst etabliert. Mit dem räumlich-elektronischen Environment Poème électronique, das er zusammen mit Edgar Varèse und Le Corbusier für den Phillips Pavillon bei der Expo 1958 in Brüssel entwickelte, setzte er Maßstäbe für das räumliche Erlebbarmachen von Klangkunst.12 (Abb.13) Von der räumlichen Anordnung von Lautsprechern bei Bernhard Leitner bis zu den motorisierten Klangräumen des Schweizer Künstlers Zimoun. Die unendlichen repetitiven Klanginstallationen von Zimoun zeigen, welche Möglichkeiten heute über digitale Kompositionsstrategien entstehen. (Abb.14) Gleichzeitig nutzt er das Material, um seinen Soundinstallationen ein Eigenleben zu geben. Auch in Schwebungen und Schwingungen ist die Kompositionsstruktur nur ein Gerüst, anhand von dem das Material eine eigene Klanglichkeit entwickeln kann. Die Idee, dass der Klang im Raum steht wie das Licht, verarbeitet Klaus Lang in seiner Komposition für die Kirchenorgel, Tönendes Licht. Er schafft es durch seine atmosphärischen Klänge, sowohl den Klang greifbar zu machen, als auch den Raum neu zu erleben. 13 Inspiriert von Konzepten wie Poème électronique suche ich vermehrt die Zusammenarbeit mit Künstlern und Künstlerinnen unterschiedlicher Disziplinen. Ich bin davon überzeugt, dass man dabei dem Unbekannten, dem Potenzial einer Idee, am Nähesten kommt. 5. Bisherige Arbeiten Arbeitsweise/ künstlerischer Einfluss Bevor ich meine Arbeiten in meine Formensprachen verwandle, bin ich meist getrieben von der großen Neugierde an einer Thematik oder Materialität. Das spiegelt sich in den verschiedensten Medienformen wider, in denen sich die Arbeit schlussendlich präsentiert. Wichtig bleibt dabei die Auseinandersetzung mit dem Raum. Das subtile Zusammenspiel von Raum und BetrachterIn, das intim sein kann oder konfrontativ. In den kinetischen Rauminstallationen Copperwaves (2017), sowie Acoustical Cubism (2019), (Abb.15) bewegen sich zueinander angeordnete Stangen im Raum, anhand der Klänge ihrer Umgebung. Es entsteht eine Live Interaktion zwischen der Arbeit und den Betrachtern, die sich nicht sofort erschließt und doch Spannung schafft. Für die Installation Symphonie der Neustadt (2018), die zusammen mit Raphael Haider für das Entwicklungsgebiet Aspern-Seestadt entstanden ist, werden lokale Baustellen-Klänge in kymatische Klangbilder auf der Wasseroberfläche übersetzt, auch hier geht es um die Wirkung der Elemente Raum, Klang und Bild aufeinander. Die Neugierde bedingt als Werkzeug meine Wahrnehmung. Die Videoarbeit Crosswalks (2018) spielt mit filmischen Mitteln mit der Anonymität der Großstadt. Heute liest sie sich wie ein 12 (Föllner, 2021) 13 (Klaus Lang, 2020) 9
Kommentar zum „Social Distancing“. Ich merke sehr stark, wie sich mein eigener Bezug zu meinen Arbeiten mit der Zeit verändert, mir manche Arbeiten immer näher wachsen, andere an Bedeutung verlieren. Die Frage, wie sehr die Arbeiten mit der Zeit, in der sie entstanden sind in Bezug stehen, ob sie stärker werden, wenn sie eine gewisse Zeitlosigkeit besitzen und was die Dauer der Produktion für eine Rolle spielt, hat mich auch in der Produktion der Diplomarbeit beschäftigt. Die Idee zu Schwebungen und Schwingungen entwickelte ich vor Ausbruch der Pandemie, entstanden und fertiggestellt wurde sie währenddessen. Eine große Liebe habe ich für das absurde Theater. In der Installation Ein Kubikmeter Besitzstörung (2018) habe ich einen Gerichtsprozess, der gegen mich angestrengt wurde, ad absurdum geführt. Ich wurde angeklagt einen Kubikmeter Müll meines Nachbarns, der sich in meiner Wohnung befand, entsorgt zu haben, nachdem mein Nachbar dies verweigerte. Er klagte daraufhin auf Besitzstörung. Es folgten viele Stunden vor Gericht... Den Müll beanspruchte er allerdings nie wieder, ich habe ihn ausgestellt. Der Richterspruch ist in der Installation zu hören. Auch meine Videoarbeit Is this the real life? (2017) spielt auf humorvoll, absurde Weise mit der Umdeutung von Klang im Film. Zu der berühmten stummen Tennisszene aus Antonionis Klassiker Blow Up (1966) entstand eine Komposition von mir. Eine besondere Inspiration finde ich durch Künstler der 60er Jahre von der Gruppe ZERO, dem Light and Space Movement, wie auch den Künstlern von Experiments of Arts and Technology. Sie alle verbindet einen erlebbaren, medienübergreifenden Zugang zur Kunst zu schaffen. Ihre Arbeiten sind schwer zu dokumentieren, schwer zu beschreiben. Manche Künstler verweigerten sogar die zweidimensionale Dokumentation ihrer Arbeiten. Und genau das ist die Qualität dieser Arbeiten. Sie lassen sich nur erleben. Ähnlich wie Laszlo Moholy-Nagy einige Zeit zuvor, hat Robert Wilson einen wichtigen Einfluss auf mich gehabt. Er schafft es, Raum und Klang poetisch zusammenzuführen und immer wieder neu zu hinterfragen. Dabei kreiert er auch humorvolle, unerklärliche und absurde Momente. In einem Brief des Surrealisten Louis Aragon an Andre Breton schreibt dieser über Wilson: ‘what we others, who fathered surrealism, what we dreamed it might become after us, beyond us.’ 14Im Sommer 2019 hatte ich eine Artist Residency in Robert Wilsons Watermill Center in New York und habe dort die Arbeit Graustufen / 4 bit realisiert. Infolgedessen hat Wilson mich in die Vorbereitung einiger Produktionen involviert, unter anderem zu Mozarts Der Messias, eine Co- Produktion der Mozartwoche und Salzburger Festspiele. In dieser Zeit entwickelte ich eine Idee, die ich choreographisch zusammen mit dem Solotänzer der Produktion Alexis Fousekis umsetzte. Die 2 Kanal Videoinstallation DIALEXIS, (2020) (Abb.16) beschäftigt sich mit Distanz und Nähe zwischen realem und filmischem Raum. Meine installativen Arbeiten sind geprägt von klar defnierten Formen, die sich ihren eigentlichen Funktionen entziehen. Ich bemühe mich dabei mit Sehgewohnheiten zu brechen und für Raum zu sensibilisieren. Das zeigt sich auch in der Soundinstallation Détour (2021) (Abb.17), in der ein Ofenrohr in unendlichen Windungen zum Resonanzkörper seines eigenen Klanges wird. 14 (Aragon, An Open Letter to Andre Breton from Louis Aragon on Robert Wilson’s Deafman Glance, 1976) 10
Abbildungen Abb. 1 - Schwebungen und Schwingungen (c) Verena Tscherner Abb. 1.1 - Schwebungen und Schwingungen (c) Verena Tscherner 11
Abb. 2 - Telharmonium 12
Abb. 3 Abb. 3.1 13
Abb. 4 Abb. 4.1 14
Abb. 4.2 Abb. 4.3 15
Abb. 4.4 Abb.5 16
Abb. 5.1 Abb.5.2 17
Abb. 6 Abb. 7 - Monochord Pythagoras 18
Abb. 8 Alvin Lucier - Music on a Long thin Wire Abb. 9 Ellen Fullman 19
Abb. 10 L. Moholy-Nagy - Mechanische Exzentrik 20
Abb. 11 L. Moholy-Nagy - Light Space Modulator Abb.12 Steve Reich - Pendulum Abb. 13 Poème électronique - Xenakis, Le Corbusier, Varèse 21
Abb. 14 Zimoun Abb. 15 Acoustical Cubism 22
Abb. 16 Dialexis (c) Anton Posch Abb. 17 Détour (c) Philipp Pess 23
Literaturverzeichnis Aragon, L. (1976). An Open Letter to Andre Breton from Louis Aragon on Robert Wilson’s Deafman Glance. Performing Arts Journal, MIT Press. Beaumont-Thomas, B. (2016). Ellen Furman: how to play a 100ft stringed instrument. The Guardian. Bloland, P. (n.d.). The electromagnetically-prepared piano and its compositional implications. Stanford Univeristy Music. Cox, C. (2011). Beyond Representation and Signification: Toward a sonic Materialism. Journal of visual culture, 156. Föllner, G. (2021, Mai 16). www.medienkunstnetz.de. Retrieved from http://www.medienkunstnetz.de/werke/poeme-electronique/bilder/3/ Köster, T. (2015). Der Raum im Raum. Schirn Magazin. Klaus Lang, W. S. (Performer). (2020, November 11). Klaus Lang: tönendes licht. Stephansdom, Wien. Klaviersaiten - ein High-Tech Produkt. (2007, Februar 2). Neue Zürcher Zeitung. Kringiel, D. (2017). 672 Tasten, 336 Regler, 200 Tonnen schwer. Der Spiegel. Lucier, A. (2007, November). reflections on process in sound. (L. K. Wilson, Interviewer) Morris, R. (2021, Mai 16). Box with the Sound of its own making. https://www.metmuseum.org/art/collection/search/689665. 1961. Retrieved from https://www.metmuseum.org/art/collection/search/689665 O'Callaghan, C. (2007). Sounds: A philosophical Theory. OUP Oxford. Roepstorff, A. (2019). Experience. In M. Godfrey, Olafur Eliasson: in real life (pp. 154-156). London: Tate Modern Publishing. www.zkm.de. (2021, Mai 16). Retrieved from https://zkm.de/de/veranstaltung/2018/06/paul- panhuysen-long-string-installations 24
Abbildungsverzeichnis: Abb.1: Schwebungen und Schwingungen, Felix Dennhardt, Foto: Verena Tscherner, 2021 Abb.2: Telharmonium, https://www.spiegel.de/geschichte/erster-synthesizer-der-welt-das-200- tonnen-telharmonium-a-1154581.html (besucht am 10.6.2021) Abb.3: Skizzen, Felix Dennhardt, 2020 Abb.4: Digitale Modelle, Felix Dennhardt, 2021 Abb.5: Modelle, Felix Dennhardt, 2020/2021 Abb.6: Modelle, Felix Dennhardt, 2021 Abb.7: Franchinus Gaffurius Theorica Musicae Milan, 1492 Abb.8: Alvin Lucier, 1977 http://socks-studio.com/2016/07/12/music-on-a-long-thin-wire-by- alvin-lucier-1977/ (besucht am 12.6.2021) Abb.9: Ellen Fullman, https://liquidarchitecture.org.au/artists/ellen-fullman (besucht am 12.6.2021) Abb.10: Partiturskizze zu einer mechanischen exzentrik., László Moholy-Nagy, 1925. Abb.11: light space modulator, László Moholy-Nagy, 1930 Abb.12: Bruce Nauman, and Michael Snow performing Steve Reich`s Pendulum Music, Foto: Richard Landry, 1969 Abb.13: «Poème électronique» Philips Pavilion, Le Corbusier; Iannis Xenakis; Edgard Varèse , Foto: Hans de Boer, 1958 Abb.14: Zimoun, 2019 Abb.15: Acoustical Cubism, © Felix Dennhardt, 2019 Abb.16: Dialexis, Felix Dennhardt, Foto: Anton Posch, 2020 Abb.17: Détour, Felix Dennhardt, Philipp Pess, 2021 25
Dank an die DiplombetreuerInnen Univ.-Prof.Mag.a art. Ruth Schnell AProf. Mag.a art. Rini Tandon Sen. Art. DI Nicolaj Kirisits Associate Prof. Mag. art. Martin Kusch VAss. Mag. phil. Veronika Schnell sowie Univ. Lekt. Thomas Felder Ing. Stefan Fischer Hanna Kulvicki Gernot Nitsch Luca Sabot & die Metallwerkstatt der Universität für angewandte Kunst 26
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