Schwebungen und Schwingungen - Schriftlicher Teil der künstlerischen Diplomarbeit Eingereicht von Felix Dennhardt - Angewandte

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Schwebungen und Schwingungen - Schriftlicher Teil der künstlerischen Diplomarbeit Eingereicht von Felix Dennhardt - Angewandte
Schwebungen und Schwingungen
               Schriftlicher Teil der künstlerischen Diplomarbeit

                       Eingereicht von Felix Dennhardt

an der Universität für angewandte Kunst Wien im Diplomstudium Medienkunst/
Studienzweig Digitale Kunst im Sommersemester 2021

                                 Betreuung:
                      Univ.-Prof.Mag.a art. Ruth Schnell
                                Mitbetreuung:
                        AProf. Mag.a art. Rini Tandon
                         Sen. Art. DI Nicolaj Kirisits
                    Associate Prof. Mag. art. Martin Kusch
Schwebungen und Schwingungen - Schriftlicher Teil der künstlerischen Diplomarbeit Eingereicht von Felix Dennhardt - Angewandte
Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung                                      3
2. Beschreibung der Arbeit                         4
   2.1. Erleben von Raum
   2.2. Klang
   2.3. Material und Form
3. Arbeitsprozess                                  7
4. Kontextualisierung                              8
   4.1. Alvin Lucier und Long String Instruments
   4.2. László Moholy-Nagy, Iannis Xenakis,
        Minimal Music und Gegenwart
5. bisherige Arbeiten                              9
   5.1. Arbeitsweise/ künstlerischer Einfluss
6. Abbildungen                                     11
7. Literaturverzeichnis                            24
8. Abbildungsverzeichnis                           25
9. Dank                                            26

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Schwebungen und Schwingungen - Schriftlicher Teil der künstlerischen Diplomarbeit Eingereicht von Felix Dennhardt - Angewandte
1. Einleitung

Die Arbeit Schwebungen und Schwingungen entstand ausgehend von der Faszination für die
Kräfte, die Klaviersaiten zum Klingen bringen. In der Rauminstallation werden diese Kräfte
exponiert und skulptural und akustisch erfahrbar gemacht, angeregt von der Idee, dass der Klang
im Raum stehen soll, als unsichtbares, aber spürbares Element.
Bestehend aus sechs Meter langen Stahlbögen, die von einem elektromagnetischen Mechanismus
gesteuert werden, erzeugt die dreiteilige Klangskulptur eine sich ständig verändernde
Klanglandschaft. Schwebungen und Schwingungen ist eine Rauminstallation, die für Klang und
Raum sensibilisiert und die aufeinandertreffenden Kräfte spürbar macht.

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Schwebungen und Schwingungen - Schriftlicher Teil der künstlerischen Diplomarbeit Eingereicht von Felix Dennhardt - Angewandte
2. Beschreibung der Arbeit

Schwebungen und Schwingungen besteht aus 3 Stahlbögen, mit einer Länge von jeweils 6
Metern und unterschiedlichen Biegegraden. (Abb.1) Zwischen jedem Bogen ist eine Klaviersaite
gespannt, die durch einen elektromagnetischen Mechanismus in ständiger Vibration ist und so
einen permanenten Klang erzeugt. Die Größe bzw. Sehne des Bogens gibt seinen
Frequenzumfang vor, dazu ist die Saite mit einem motorisierten Stimmwirbel verbunden, der die
Tonhöhe der jeweiligen Saite sehr langsam, aber ununterbrochen verändert. Dadurch entsteht
eine sich ständig verändernde Klanglandschaft, die durch die Überlagerung ihrer eigenen
Frequenzen immer wieder musikalische Schwebungen erzeugt.

In der Arbeit Schwebungen und Schwingungen geht es um das Zusammenspiel von Material,
Klang und Raum in all seiner Simplizität und Mächtigkeit. Der Klang spielt eine wichtige Rolle
dabei, den Raum zu erfassen. Die Bewegung des Betrachters gibt ein Gefühl für die Größe,
Architektur und all die Schattierungen des Raumes. Die drei Bögen evozieren in ihrer Form was
wir hören und helfen dem Betrachter dabei, den Raum zu erfassen. Auf die Elemente Raum,
Klang, Form und Materialität möchte ich im Folgenden näher eingehen:

        2.1. Erleben von Raum

Ein wichtiger Teil meiner Arbeit ist, die Betrachter für den Raum, der sie umgibt, zu
sensibilisieren. Der Raum ist eine abstrakte Vorstellung, dem wir in seiner Länge, Breite und
Höhe ein mathematisches Ordnungsmodell gegeben haben. 1 Dieses Ordnungsmodell wird durch
den Klang gesprengt. Gleichzeitig ist der Raum ein großes Versprechen. Das Raumerlebnis ist
sehr stark mit unserer Erfahrung verknüpft. Die These zur „predictive mind“ beschreibt, wie die
Erfahrung unser Erleben beeinflusst. Nicht umsonst steckt im englischen „experience“ in
gewisser Weise beides, die Erfahrung und das Erlebnis. Wir gehen voreingenommen in Räume,
versuchen sie unterbewusst vorherzusehen. 2 In künstlerischen Räumen geht es mir darum aus
dem Erlebnis, eine aufmerksame Erfahrung zu machen. Der Inhalt eines Raumes hilft ihn zu
deuten, und jede BetrachterIn stellt eine eigene Verbindung zu ihm her. Mich interessiert das
Potenzial eines Raumes oder des Umraumes zur BetrachterIn.
Casey O’Callaghan beschreibt als Klangerlebnis, über Zeit vibrierende Objekte in einem dadurch
irritierten Umraum. Ausgehend von seiner event theory ist die Rolle von Zeit beim Hören, analog
zu der vom Raum beim Sehen. 3 In Schwebungen und Schwingungen versuche ich durch die
endlose Vibration der Saiten eine räumliche Erfahrbarkeit von Klang zu erzeugen, die zu einer
subjektiven Erfahrung der BetrachterIn führt.

1
  (Köster, Der Raum im Raum, 2015)
2
  (Roepstorff, 2019)
3
  (O'Callaghan, Sounds: A philosophical Theory, 2007)

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2.2. Klang

Thaddeus Cahill erfand 1897 das Telharmonium, (Abb.2) das erste elektrische Klavier, noch
ohne Verstärker, 1934 abgelöst von der Hammond Orgel. 4
Die Idee ist auch dort, dass durch einen elektromagnetischen Mechanismus eine Frequenz bzw.
ein Sinuston erzeugt werden kann. Wenn man nun aber verschiedene Sinustöne
übereinanderlegt, entsteht Klang, samt all seiner Obertöne. Das ist dasselbe Prinzip, das in
elektronischen Musikinstrumenten wie Synthesizern als additive Synthese eingesetzt wird. Der
Klang wird durch seine harmonischen Teiltöne erzeugt.
Für die Arbeit Schwebungen und Schwingungen verwende ich einen ähnlichen Mechanismus.
Als Klangerzeuger dient ein E-Bow, ein elektromagnetischer Tonabnehmer, der wie ein
Violinbogen eine endlose Schwingung erzeugt und üblicherweise bei elektrischen Gitarren
eingesetzt wird.
Alle 3 Bögen werden mit einem solchen E-Bow angesteuert und verändern währenddessen über
eine motorisierte Stimmwirbel ihre Tonhöhe. Dadurch erzeugen alle 3 Bögen eine
Klanglandschaft, die immer wieder zwischen Harmonien und Schwebungen changiert. Als
Schwebungen bezeichnet man in der Musik Schwingungen, die sich in ihrer Frequenz nur wenig
unterscheiden. Die Obertonschwingungen eines Instrumentes erzeugen solche Schwingungen,
die die Klangfarbe ausmachen. In meiner Installation bewirkt die motorisierte Stimmwirbel, dass
die Saite sich in ihrer Schwingung ständig neu einpendelt. Durch die Überlagerung dieser
Frequenzen entstehen ständige Schwebungen, die den Eindruck ergeben, dass der Ton in
langsamer oder schneller Abfolge lauter oder leiser wird.

Über ein Arduino Board wird die Bewegung des Motors, der die Stimmwirbel in Bewegung
setzt, digital gesteuert. Bei den Bewegungen des Motors bin ich erstmal nach einer einfachen
formalen kompositorischen Struktur vorgegangen, die vorwiegend von Vertretern der Minimal
Music angewendet wurde. In seiner 1972 entstandenen Arbeit Clapping (for two performers)
nutzt Steve Reich die Phasenverschiebung, also das stetige Verschieben von 2 identischen
Takten bzw. „klatschenden“ Stimmen zueinander, um eine kompositorische Struktur zu schaffen,
die sich stetig verändert und doch einem repetitiven Muster folgt.
In Schwebungen und Schwingungen folgt die Komposition der 3 Bögen einem ähnlichen
Konzept. Sie alle folgen den gleichen Bewegungsabläufen des Motors, der die Tonhöhe
verändert, jedoch mit unterschiedlichen zeitlichen Abfolgen.
Zu den Klängen der Klaviersaiten mischen sich immer wieder klangliche Artefakte, die durch die
Elektronik, sowie Materialität der drei skulpturalen Bogenelemente entstehen und wiederum auf
die Kräfte verweisen, die das Material zum Schwingen bringen. Im Unterschied zur
rhythmischen Präzision der minimal music, spiele ich bewusst mit der Eigenschwingung des
Materials. Dadurch erzeugen die Bogenelemente unvorhersehbare Schwingungen, die wiederum
auf ihre eigene Beschaffenheit zurückführen.
Die digitale Ansteuerung der Motorik erlaubt mir außerdem, eine sich unendlich verändernde
Klanglandschaft zu schaffen.

4
    (Kringiel, 672 Tasten, 336 Regler, 200 Tonnen schwer, 2017)

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2.3. Material und Form

Der Rahmen eines Konzertflügels wird mit ca. 20 Tonnen belastet. Diese Kräfte haben mich
interessiert. Welche Form bringt eine Klaviersaite unter Spannung und was lässt sie klingen? Die
Klaviersaiten in ihrer heutigen Form sind ein Hightech Produkt. Anders als die Hammerklaviere
und Cembalos auf denen Mozart spielte, werden sie aufwändig hergestellt und erzeugen eine
Reihe von Obertönen, die aus einem einfachen Klang ein Schallereignis werden lassen. 5
Per Bloland hinterfragt in seiner Arbeit über das electromagnetically prepared piano,6 wie die
Grenzen zwischen elektronischer und akustischer Musik verschwimmen, wenn der Klang über
einen Elektromagneten generiert wird, statt über eine Lautsprechermembran über ein Instrument
wiedergegeben wird. Das Instrument zeichnet sich über eine individuelle Klangfarbe aus. So
definiert sich mein Klang über die Form der 3 Bögen.
Für lange Zeit unterschieden Philosophen in primäre (Größe, Form etc.) und sekundäre (Klang,
Farbe etc.) Eigenschaften.7 Also Eigenschaften, die unabhängig von der BetrachterIn bestehen
und die im Kopf der BetrachterIn entstehen. Es ist die Farbe einer Tür, oder der Klang eines
Vogels. Eigenschaften verändern sich, die Farbe des Autos kann übermalt werden, wohingegen
sich der Klang nur in seiner Qualität verändern kann. Solange das Objekt seiner Erzeugung
besteht, verändert der Klang über Zeit nur seinen Charakter, bleibt jedoch immer bestehen. In
Schwebungen und Schwingungen besteht der endlose Klang durch die ständige Veränderung des
Materials.

Die Stahlbögen evozieren in einer Kräftebalance mit den Klaviersaiten zu stehen und zeigen in
ihrer leichten Vibration, den subtilen Ursprung des Klanges. Gleichzeitig erzeugen sie einen
Resonanzkörper, der durch Kontaktmikrofone verstärkt wird.
Angesteuert werden die motorisierten Stimmwirbel über digitale Signale. Obwohl es eine
kompositorische Struktur gibt, ist der Klang immer ein Resultat der digitalen und analogen
Elemente und verfügt über die unvorhersehbare Selbstständigkeit eines Apparatus.

Die Parabel als konstruktive Form in der Architektur schafft in seiner Simplizität eine archaische
Form, gleichzeitig spiegelt die Form der Klangobjekte einen Satz wieder, den ich während
meiner Arbeit mit Robert Wilson immer wieder hörte: „there are only two kinds of lines –
straight lines and curved lines“ . In gewisser Weise wollte er damit sagen, dass eine Linie immer
eine klare Formensprache haben sollte – die Gerade steht im Kontrast zur Kurve. So wie jede
Bewegung eine Gegenbewegung haben sollte, jede Kraft eine Gegenkraft. Erst dann entsteht eine
„isometrische“ Spannung.
Gleichzeitig stellte sich der Bogen als statisch optimale Form heraus, um dem Zug der
Klaviersaite entgegenzuwirken.

5
  (Klaviersaiten - ein High-Tech Produkt, 2007)
6
  (Bloland)
7
  (Cox, 2011)

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3. Arbeitsprozess

Mit der Rauminstallation Schwebungen und Schwingungen habe ich versucht, die Kräfte, die
Klaviersaiten zum Klingen bringen, räumlich und klanglich erfahrbar zu machen. Es entstanden
einige Entwürfe zu aufwendigen Stahlkonstruktionen im Raum, sowie einfache Stahlrahmen, die
dem Zug der Saite standhalten sollten. Meist Entstehen zuerst Zeichnung, dann einige digitale
Modelle, dann der Prototyp. (Abb.3-4)
Die Stahlrahmen behielten trotz ihres enormen Gewichts nicht ihre Form und waren nicht in der
Lage einen stabilen Klang zu erzeugen.
Die Auseinandersetzung mit Alvin Luciers Arbeit und dem Bespielen von Saiten durch
Elektromagneten führte mich zu einem Klavierbauer, um die Beschaffenheit von Saiten zu
erforschen.
Die Saitenstärke spielt eine wichtige Rolle bei der Interaktion mit dem Elektromagnet. Die
schweren tiefen Basssaiten, sowie die hohen unter großer Spannung befindlichen Saiten
erzeugen den schwächsten Klang. Die mittleren Höhen erzeugten ein breites Frequenzspektrum.
Die Schwebungen, die durch die sich langsam verändernde Motorik entstanden, stellten sich als
Aspekt heraus, den ich versuche hervorzuheben.
Im Laufe der Materialtests wurde klar, dass die Form des Bogens als Ausgangspunkt zu meiner
Rauminstallation dienen sollte. Die Parabelform der Bögen, samt all ihrer Bezugspunkte zur
Akustik, sowie statischen Vorteile spiegelt vor allem den Moment der Spannung am besten
wider. (Abb.5)

Am längsten dauerten die Versuche zu Übersetzungsmöglichkeiten für die Stimmwirbel, welche
die Tonhöhe der einzelnen Saiten verändern. Die Schwierigkeit lag darin, eine Motorik zu
finden, die mit großem Kraftaufwand zurechtkommt und präzise ansteuerbar ist, ohne dass dieser
dabei zu laut wird. Die Versuche führten letztendlich zu einer einfachen Gewindekonstruktion,
mit abgekoppeltem Motor, die sich zurücknimmt, jedoch den Charakter eines Apparatus
transportiert. (Abb.6)

Der Lichthof der Universität für angewandte Kunst Wien stellte sich auf Grund seiner Kubatur
und Atmosphäre, sowie von Tests zum Hall des Lichthofes als besonders passend heraus.
Die sphärischen Klänge der Installation haben dort die Chance, sich zu entfalten und die
weitläufigen Räumlichkeiten einzunehmen.
Außerdem erlaubt mir die Mobilität der drei Bögen in verschiedenen Anordnungsmustern
unterschiedliche Klangerlebnisse zu erzeugen.

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4. Kontextualisierung

       4.1. Alvin Lucier und Long String Music

Die meisten Long String Instruments funktionieren nach den antiken Erkenntnissen von
Pythagoras zum Monochord. (Abb.7) In seiner Entdeckung in der Schmiede soll er mehrere
Hämmer mit unterschiedlichem Gewicht gleichzeitig aufgeschlagen haben, was zu wohligen
Klängen führte- der Aufbau eines Intervalles. Daraufhin hat er Experimente am Monochord
durchgeführt. Beim Monochord definiert die Länge der Saite, sowie das Gewicht, welches über
einen Steg an der Saite befestigt ist, die Höhe des Klanges.
Bei den Long String Instruments, geht es darum eine lange Saite in Vibration zu bringen und in
ihre unvorhersehbaren Bewegungen einzugreifen.
Alvin Lucier hat diese Technik 1977 für seine Rauminstallation Music on a Long Thin Wire
benutzt.8 (Abb.8) Eine einzelne Klaviersaite wird einige Meter durch einen Raum gespannt, über
einen Hufeisenmagnet in unvorhersehbare Schwingung gebracht und über Lautsprecher
verstärkt. In den 1980er Jahren gab es einige Experimente, die sich seiner Technik bedienten.
Ellen Fullman nutzt ihre Hand, mit der sie entlang der Saiten durch den Raum streicht.9 (Abb.9)
George Smits und Paul Panhuysen nutzen eine ähnliche Methode und interagieren mit
resonierenden Objekten entlang der langen Saiten. 10
Für die Arbeit Schwebungen und Schwingungen war mir wichtig, ein in sich geschlossenes
System zu schaffen, das über die Qualitäten einer Rauminstallation verfügt und über eine
Stimmwirbel eine breite Klanglandschaft erzeugen kann. Mehr als ein künstlerisch-
physikalisches Experiment interessiert mich dabei das Zusammenspiel von Klang, Form und
Raum - das individuelle Erlebnis der BetrachterIn. Außerdem schaffe ich es durch die digitale
Ansteuerung der motorisierten Stimmwirbel eine unendliche Klanglandschaft zu erzeugen.
Robert Morris zeigt in seiner wegweisenden Arbeit, Box with the sound of it´s own making wie
Klang und Objekt unzertrennbar werden. Eine Holzbox aus der ihr eigener Produktionsprozess
tönt und so der Prozess im Werk offengelegt wird.11 In Schwebungen und Schwingungen geht es
um den Prozess der Tonerzeugung, der offengelegt wird. Die Entstehung des Klanges wird
sowohl akustisch als auch visuell erfahrbar gemacht.

       4.2.    László Moholy-Nagy, Iannis Xenakis, Minimal Music und Gegenwart

Mich interessiert der überraschende Effekt den Max Neuhaus mit seinen Klängen an
unverhofften Orten schafft, jedoch ist mir in meinen Rauminstallationen die visuelle Ebene und
räumliche Auseinandersetzung von ebenso großer Bedeutung wie die Klangliche.
László Moholy-Nagy hat bereits in den 1920er Jahren mit seinem Light-Space-Modulator, wie
auch mit der Arbeit Mechanische Exzentrik (1925) Klangraumskulpturen gebaut und Partituren
entwickelt, die sich genau damit beschäftigen - das Auge hilft uns zu hören. (Abb.10, Abb.11)

8
  (Lucier, 2007)
9
  (Beaumont-Thomas, 2016)
10
   (www.zkm.de, 2021)
11
   (Morris, 2021)

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Auch die Wirkung von Steve Reichs Inszenierungen Pendulum oder Drumming sind ein gutes
Beispiel dafür (Abb.12). Dass Architektur und die Bewegungsfreiheit der Betrachter auch zum
wesentlichen Teil der Klangrezeption gehören, wird auch in den nach strengen mathematischen
Mustern angeordneten Kompostionen und Inszenierungen von Iannis Xenakis klar und hat sich
bis heute in der zeitgenössischen Kunst etabliert. Mit dem räumlich-elektronischen Environment
Poème électronique, das er zusammen mit Edgar Varèse und Le Corbusier für den Phillips
Pavillon bei der Expo 1958 in Brüssel entwickelte, setzte er Maßstäbe für das räumliche
Erlebbarmachen von Klangkunst.12 (Abb.13) Von der räumlichen Anordnung von Lautsprechern
bei Bernhard Leitner bis zu den motorisierten Klangräumen des Schweizer Künstlers Zimoun.
Die unendlichen repetitiven Klanginstallationen von Zimoun zeigen, welche Möglichkeiten
heute über digitale Kompositionsstrategien entstehen. (Abb.14) Gleichzeitig nutzt er das
Material, um seinen Soundinstallationen ein Eigenleben zu geben. Auch in Schwebungen und
Schwingungen ist die Kompositionsstruktur nur ein Gerüst, anhand von dem das Material eine
eigene Klanglichkeit entwickeln kann.
Die Idee, dass der Klang im Raum steht wie das Licht, verarbeitet Klaus Lang in seiner
Komposition für die Kirchenorgel, Tönendes Licht. Er schafft es durch seine atmosphärischen
Klänge, sowohl den Klang greifbar zu machen, als auch den Raum neu zu erleben. 13
Inspiriert von Konzepten wie Poème électronique suche ich vermehrt die Zusammenarbeit mit
Künstlern und Künstlerinnen unterschiedlicher Disziplinen. Ich bin davon überzeugt, dass man
dabei dem Unbekannten, dem Potenzial einer Idee, am Nähesten kommt.

5. Bisherige Arbeiten

Arbeitsweise/ künstlerischer Einfluss

Bevor ich meine Arbeiten in meine Formensprachen verwandle, bin ich meist getrieben von der
großen Neugierde an einer Thematik oder Materialität. Das spiegelt sich in den verschiedensten
Medienformen wider, in denen sich die Arbeit schlussendlich präsentiert. Wichtig bleibt dabei
die Auseinandersetzung mit dem Raum. Das subtile Zusammenspiel von Raum und BetrachterIn,
das intim sein kann oder konfrontativ.

In den kinetischen Rauminstallationen Copperwaves (2017), sowie Acoustical Cubism (2019),
(Abb.15) bewegen sich zueinander angeordnete Stangen im Raum, anhand der Klänge ihrer
Umgebung. Es entsteht eine Live Interaktion zwischen der Arbeit und den Betrachtern, die sich
nicht sofort erschließt und doch Spannung schafft. Für die Installation Symphonie der Neustadt
(2018), die zusammen mit Raphael Haider für das Entwicklungsgebiet Aspern-Seestadt
entstanden ist, werden lokale Baustellen-Klänge in kymatische Klangbilder auf der
Wasseroberfläche übersetzt, auch hier geht es um die Wirkung der Elemente Raum, Klang und
Bild aufeinander.
Die Neugierde bedingt als Werkzeug meine Wahrnehmung. Die Videoarbeit Crosswalks (2018)
spielt mit filmischen Mitteln mit der Anonymität der Großstadt. Heute liest sie sich wie ein

12
     (Föllner, 2021)
13
     (Klaus Lang, 2020)

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Schwebungen und Schwingungen - Schriftlicher Teil der künstlerischen Diplomarbeit Eingereicht von Felix Dennhardt - Angewandte
Kommentar zum „Social Distancing“. Ich merke sehr stark, wie sich mein eigener Bezug zu
meinen Arbeiten mit der Zeit verändert, mir manche Arbeiten immer näher wachsen, andere an
Bedeutung verlieren. Die Frage, wie sehr die Arbeiten mit der Zeit, in der sie entstanden sind in
Bezug stehen, ob sie stärker werden, wenn sie eine gewisse Zeitlosigkeit besitzen und was die
Dauer der Produktion für eine Rolle spielt, hat mich auch in der Produktion der Diplomarbeit
beschäftigt. Die Idee zu Schwebungen und Schwingungen entwickelte ich vor Ausbruch der
Pandemie, entstanden und fertiggestellt wurde sie währenddessen.

Eine große Liebe habe ich für das absurde Theater. In der Installation Ein Kubikmeter
Besitzstörung (2018) habe ich einen Gerichtsprozess, der gegen mich angestrengt wurde, ad
absurdum geführt. Ich wurde angeklagt einen Kubikmeter Müll meines Nachbarns, der sich in
meiner Wohnung befand, entsorgt zu haben, nachdem mein Nachbar dies verweigerte. Er klagte
daraufhin auf Besitzstörung. Es folgten viele Stunden vor Gericht... Den Müll beanspruchte er
allerdings nie wieder, ich habe ihn ausgestellt. Der Richterspruch ist in der Installation zu hören.
Auch meine Videoarbeit Is this the real life? (2017) spielt auf humorvoll, absurde Weise mit der
Umdeutung von Klang im Film. Zu der berühmten stummen Tennisszene aus Antonionis
Klassiker Blow Up (1966) entstand eine Komposition von mir.

Eine besondere Inspiration finde ich durch Künstler der 60er Jahre von der Gruppe ZERO, dem
Light and Space Movement, wie auch den Künstlern von Experiments of Arts and Technology.
Sie alle verbindet einen erlebbaren, medienübergreifenden Zugang zur Kunst zu schaffen. Ihre
Arbeiten sind schwer zu dokumentieren, schwer zu beschreiben. Manche Künstler verweigerten
sogar die zweidimensionale Dokumentation ihrer Arbeiten. Und genau das ist die Qualität dieser
Arbeiten. Sie lassen sich nur erleben.
Ähnlich wie Laszlo Moholy-Nagy einige Zeit zuvor, hat Robert Wilson einen wichtigen Einfluss
auf mich gehabt. Er schafft es, Raum und Klang poetisch zusammenzuführen und immer wieder
neu zu hinterfragen. Dabei kreiert er auch humorvolle, unerklärliche und absurde Momente. In
einem Brief des Surrealisten Louis Aragon an Andre Breton schreibt dieser über Wilson: ‘what
we others, who fathered surrealism, what we dreamed it might become after us, beyond us.’ 14Im
Sommer 2019 hatte ich eine Artist Residency in Robert Wilsons Watermill Center in New York
und habe dort die Arbeit Graustufen / 4 bit realisiert. Infolgedessen hat Wilson mich in die
Vorbereitung einiger Produktionen involviert, unter anderem zu Mozarts Der Messias, eine Co-
Produktion der Mozartwoche und Salzburger Festspiele. In dieser Zeit entwickelte ich eine Idee,
die ich choreographisch zusammen mit dem Solotänzer der Produktion Alexis Fousekis
umsetzte. Die 2 Kanal Videoinstallation DIALEXIS, (2020) (Abb.16) beschäftigt sich mit
Distanz und Nähe zwischen realem und filmischem Raum.

Meine installativen Arbeiten sind geprägt von klar defnierten Formen, die sich ihren eigentlichen
Funktionen entziehen. Ich bemühe mich dabei mit Sehgewohnheiten zu brechen und für Raum
zu sensibilisieren. Das zeigt sich auch in der Soundinstallation Détour (2021) (Abb.17), in der
ein Ofenrohr in unendlichen Windungen zum Resonanzkörper seines eigenen Klanges wird.

14
     (Aragon, An Open Letter to Andre Breton from Louis Aragon on Robert Wilson’s Deafman Glance, 1976)

                                                                                                          10
Abbildungen

              Abb. 1 - Schwebungen und Schwingungen (c) Verena Tscherner

          Abb. 1.1 - Schwebungen und Schwingungen (c) Verena Tscherner

                                                                           11
Abb. 2 - Telharmonium

                        12
Abb. 3

Abb. 3.1

                    13
Abb. 4

Abb. 4.1

           14
Abb. 4.2

Abb. 4.3

                      15
Abb. 4.4

Abb.5

           16
Abb. 5.1

Abb.5.2

           17
Abb. 6

         Abb. 7 - Monochord Pythagoras

                                         18
Abb. 8 Alvin Lucier - Music on a Long thin Wire

Abb. 9 Ellen Fullman

                                                  19
Abb. 10 L. Moholy-Nagy - Mechanische Exzentrik

                                                 20
Abb. 11 L. Moholy-Nagy - Light Space Modulator

Abb.12 Steve Reich - Pendulum

Abb. 13 Poème électronique - Xenakis,
Le Corbusier, Varèse

                                                 21
Abb. 14 Zimoun

       Abb. 15 Acoustical Cubism

                                   22
Abb. 16 Dialexis (c) Anton Posch

           Abb. 17 Détour (c) Philipp Pess

                                             23
Literaturverzeichnis
Aragon, L. (1976). An Open Letter to Andre Breton from Louis Aragon on Robert Wilson’s
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Abbildungsverzeichnis:
Abb.1: Schwebungen und Schwingungen, Felix Dennhardt, Foto: Verena Tscherner, 2021
Abb.2: Telharmonium, https://www.spiegel.de/geschichte/erster-synthesizer-der-welt-das-200-
tonnen-telharmonium-a-1154581.html (besucht am 10.6.2021)
Abb.3: Skizzen, Felix Dennhardt, 2020
Abb.4: Digitale Modelle, Felix Dennhardt, 2021
Abb.5: Modelle, Felix Dennhardt, 2020/2021
Abb.6: Modelle, Felix Dennhardt, 2021
Abb.7: Franchinus Gaffurius Theorica Musicae Milan, 1492
Abb.8: Alvin Lucier, 1977 http://socks-studio.com/2016/07/12/music-on-a-long-thin-wire-by-
alvin-lucier-1977/ (besucht am 12.6.2021)
Abb.9: Ellen Fullman, https://liquidarchitecture.org.au/artists/ellen-fullman (besucht am
12.6.2021)
Abb.10: Partiturskizze zu einer mechanischen exzentrik., László Moholy-Nagy, 1925.
Abb.11: light space modulator, László Moholy-Nagy, 1930
Abb.12: Bruce Nauman, and Michael Snow performing Steve Reich`s Pendulum Music,
Foto: Richard Landry, 1969
Abb.13: «Poème électronique» Philips Pavilion, Le Corbusier; Iannis Xenakis; Edgard Varèse ,
Foto: Hans de Boer, 1958
Abb.14: Zimoun, 2019
Abb.15: Acoustical Cubism, © Felix Dennhardt, 2019
Abb.16: Dialexis, Felix Dennhardt, Foto: Anton Posch, 2020
Abb.17: Détour, Felix Dennhardt, Philipp Pess, 2021

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Dank an die DiplombetreuerInnen

           Univ.-Prof.Mag.a art. Ruth Schnell
             AProf. Mag.a art. Rini Tandon
              Sen. Art. DI Nicolaj Kirisits
         Associate Prof. Mag. art. Martin Kusch
          VAss. Mag. phil. Veronika Schnell

                          sowie

               Univ. Lekt. Thomas Felder
                   Ing. Stefan Fischer
                     Hanna Kulvicki
                      Gernot Nitsch
                        Luca Sabot
& die Metallwerkstatt der Universität für angewandte Kunst

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