Selbstversuch mit Hundefutter - PLANUNG

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Selbstversuch mit Hundefutter - PLANUNG
PLANUNG

Im Dialog zum Projekterfolg

Selbstversuch mit Hundefutter
Operation misslungen. Patient lebt. So lautet das Fazit eines eher ungewöhnlichen Projekts, in dem Ralf Westphal viel
über Anforderungen, Qualitätssicherung und Vorgehensweisen gelernt hat.

   Auf einen Blick
                                          S
                                                 ein eigenes Hundefutter zu essen („to        und Beratung an einem Softwareprojekt selbst
                                                 eat one’s own dogfood“) ist eine Metho­      anwenden. Dadurch versprach ich mir unmit­
   Ralf Westphal (www.ralfw.de)                  de, um schnell Feedback zu den eigenen       telbareres Feedback als durch die Beobachtung
   ist freier Softwaretechnologie­        Produkten zu bekommen und dabei auch noch           von anderen, die danach vorgehen.
   vermittler im Bereich .NET-Soft-       Glaubwürdigkeit aufzubauen. Wenn Sie hören,
   ware­architektur. Er arbeitet als      dass Microsoft, Telerik oder JetBrains intern mit   Das Projekt
   Fach­autor, Coach/Berater und als                                                          Eigentlich bin ich selbst ja nicht im Projekt­
                                          der selbst entwickelten Software arbeiten, steigt
   Referent auf Entwickler­events.
                                          Ihre Bereitschaft, sich auch dar­auf einzulassen.   geschäft tätig, sondern ich helfe als Trainer
   Ralf Westphal ist Mitbegründer
                                             Wer ein Angebot macht – sei das etwas Greif­     und Berater Teams bei ihren Projekten. Des­
   des Professional Developer
   College (www.prodevcollege.de)         bares wie ein Rasierapparat, etwas Flüchtiges       halb musste ich etwas suchen, um ein Projekt
   und Microsoft Visual Developer         wie eine Dienstleistung oder etwas Virtuelles wie   zu finden, das ich selbst durchführen konnte.
   Solution Architect MVP.                Software –, der stellt im Grunde eine Hypothese     Schließlich aber bot sich über meinen Kontakt
                                          auf. Die lautet: „Mein Angebot ist nützlich.“       zu Professional Organizer Andrea Kaden (Abbil-
   Inhalt                                    Ein Unternehmen ist mithin ein Forschungs­       dung 1) von Zeitgewinn Hamburg [2] eine pas­
                                          labor, das Experimente durchführt. Versuchs­        sende Gelegenheit.
   ▸ F aktura-Lösung mit Excel
                                          feld ist der Markt, Versuchskaninchen zur              Sie war bei ihrem Kunden Tischlermeister
     und Dropbox soll verbessert
     werden.                              Überprüfung der Hypothese sind die Kunden.          Florian Staeter [3] (Abbildung 2) unter anderem
   ▸ S cheitern an API-Problemen         Nehmen sie die Produktangebote des Unter­           mit dem ­Streamlining der Rechnungslegung
     und ungenauen Anforderungen.         nehmens an? Wie vertragen sie sie? Kommen           betraut. Der hatte bisher die Aufträge der Haus­
   ▸ S chlussendlich Erfolg durch        sie wieder für mehr?                                verwaltungen, für die er arbeitet, ganz tradi­
     Nutzen für den Kunden.                  Dogfooding ist durch diese Brille betrachtet     tionell fakturiert und versank dadurch in Pa­
                                          ein Selbstversuch. Statt andere zu Versuchska­      pierbergen.
   d npCode                              ninchen zu machen, testet der Forscher seine           Die zu vermeiden war Andrea Kadens erstes
   A1205Kolumne                           Hypothese an sich selbst.                           Ziel gewesen. Dazu hatte sie mit einfachsten
                                             So einen Selbstversuch habe ich neulich un­      Mitteln einen Workflow mit Excel und Drop­
                                          ternommen. Ich wollte meinen Ansatz Spinning        box [4] aufgesetzt. Etwas vereinfacht sah der
                                          für agiles Vorgehen [1] außerhalb von Seminar       so aus :

[Abb. 1] Projektvermittlerin Andrea Kaden
von Zeitgewinn Hamburg.

[Abb. 2] Kunde Tischlermeister Staeter.

100                                                                                                                  5.2012 www.dotnetpro.de
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                                                                                                                              [Abb. 3] Die
                                                                                                                              MS-Access-
                                                                                                                              Lösung.

                                                                                                                              [Abb. 4]
                                                                                                                              Florian
                                                                                                                              Staeter bei
                                                                                                                              der Faktu-
                                                                                                                              rierung mit
                                                                                                                              der Access-
                                                                                                                              Lösung.

1. Als PDF per E-Mail eingehende Aufträ­      weiter zu verbessern. Tischler Staeter war
    ge in einem Dropbox-Ordner ablegen.        dafür offen. Er hatte Blut geleckt, was die
2. PDF-Auftrag in der Excel-Tabelle Offene    Vereinfachung seiner Abrechnung durch
    Aufträge erfassen.                         einen Softwareeinsatz anging.
3. Offene Aufträge terminieren.                  Die bisherige Lösung wollte ich aller­
4. Nach Erledigung die Aufträge in die Ex­    dings nicht umkrempeln und durch eine
    cel-Tabelle Erledigte Aufträge verschie­   neu entwickelte .NET-Faktura-Anwen­           tet sind die Erfahrungen. Zu wenige Kennt­
    ben und Angaben zu verbrauchtem Ma­        dung ersetzen. Nein, Bekanntes und Be­        nisse habe ich von Excels-Objektmodell
    terial, Zeit, Fahrtkosten ergänzen.        währtes sollte erhalten bleiben; Überflüs­    und dem Deployment von .NET-Add-ins.
5. Erledigte Aufträge abrechnen durch Ko­     siges und Lästiges sollte gestutzt werden.
    pieren der Daten in eine Excel-Tabelle     Konkret bedeutet das:                         Die Ausführung
    Rechnung. Je Auftrag eine Rechnung         ◼	Excel als Frontend/Erfassungswerkzeug­     Dieser Artikel würde kaum lohnen, wenn
    schreiben.                                    sollte erhalten bleiben. Damit kam         dann alles glattgegangen wäre. Schöne
6. Zahlungseingänge pflegen in Excel-Ta­         Tischler Staeter gut zurecht.              Ideen hatte ich – nur leider kollidierten sie
    belle Erledigte Aufträge.                  ◼	Datendopplungen durch Kopieren soll­       mit der Realität. Das heißt nicht, ich hät­
                                                  ten entfallen.                             te sie nicht umsetzen können. Aber eine
   Wenn Sie das lesen, sträuben sich Ihnen     ◼	Übersichtslisten, die in Auszügen auch     Kursabweichung schien am Ende ange­
natürlich die Haare ob der ganzen Kopie­          den Auftraggebern geschickt wurden,        messener. Mit .NET habe ich mich eine
rerei. Ich habe auch mit den Augen gerollt.       und Rechnungen sollten auf Knopf­          Zeit lang geplagt. Die Bibliotheken für den
Aber ich habe dann ganz schnell etwas ge­         druck erstellt werden können.              Zugriff auf Excel waren mir am Ende aber
lernt: Es kommt nicht auf Eleganz an, son­                                                   zu umständlich. Die eine machte Proble­
dern auf Schnelligkeit und Nutzen.                Als Lösung schwebten mir kleine .NET-      me mit Datumswerten in Zellen, die an­
   Andrea Kaden hat ihrem Kunden aus           Batchprogramme vor, die mit den Excel-        dere konnte nur .xls-Dateien statt .xlsx.
dem Stand mit Standardwerkzeugen, die          Daten arbeiten. Sie würden eventuell          Dazu kam die unschöne Fummelei mit
zur Hand waren, eine große Erleichterung       noch nötige Kopieroperationen überneh­        den Schemata der Excel-Dateien.
verschafft. Sie hat auf eine Verbesserung      men und Ausdrucke anfertigen.                    Von Excel abzurücken schien aller­
statt auf eine ultimative Lösung gesetzt;         Das klang ideal für meinen Zweck: Da       dings nicht möglich. Denn aufgrund des
relative Vereinfachung statt maximaler         war ein williger Kunde. Die Anforderun­       Erfolgs der bisherigen Lösung wünschte
Einfachheit. Nach Aussage von Tischler         gen lagen auf der Hand. Die Technologie       sich Tischler Staeter die Möglichkeit der
Stae­ter hat sie ihm mit dem kleinen Pro­      war mir bekannt.                              Datenerfassung auf dem iPad. Das schien
zess ermöglicht, das Auftragsvolumen,             Programmierung mit Visual Basic for        mit Dropbox und Office2 HD [5] kein Pro­
das er pro Woche schafft, deutlich zu stei­    Applications ( VBA) beziehungsweise           blem; das Frontend wäre wie beim PC ei­
gern. Rechnungen schreiben wurde für           .NET-Add-ins für Excel wären auch mög­        ne Tabellenkalkulation. iOS-Programmie­
ihn von einer Last zu einer Lust.              lich gewesen, doch davor bin ich zurück­      rung bliebe mir erspart.
   Diese Situation fand ich vor und hat­       geschreckt. Zu lange ist mein Kontakt mit        Die technischen Misserfolge und ande­
te die Idee, sie durch etwas .NET-Magie        VBA her und dementsprechend eingeros­         re Verpflichtungen zogen dann die Um­

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PLANUNG Im Dialog zum Projekterfolg

setzung meiner Ideen zeitlich sehr in die
Länge. Von Spinning keine Spur. Dabei
war das doch der eigentliche Anlass für
das Projekt.
   Am Ende musste es kommen, wie es
immer kommt: Der Druck, nein, eher das
schlechte Gewissen wurde so groß, dass
irgendwie einfach eine Lösung hermuss­
te. In meiner Verzweiflung griff ich dann
zur bewährten Allzweckwaffe MS Access.
Und siehe da, eine Lösung war in zwei Ta­
gen gezaubert (Abbildung 3).
   Ohne viel Brimborium kann Tischler
Staeter damit nun seine Aufträge faktu­
rieren und bekommt sogar eine kleine
betriebswirtschaftliche Auswertung. Der
Aufwand ist gegenüber der Excel-Lösung
noch einmal drastisch gesunken.
   Der Umgang mit der Access-Datenbank           [Abb. 5] Dem Kunden Nutzen liefern mit einer Lösung.
ist recht krude. Es gibt keine besonderen
Formulare und keinen zusammenfas­
senden Anwendungsdialog. Auch meine
Access-Kenntnisse waren eingerostet. Ich
habe mich durchgewurschtelt. Zum Glück
hat das gereicht. Die Lösung ist gut genug,
das heißt wieder nur eine relative Verbes­
serung, kein Optimum.
   Tischler Staeter ist damit sehr zufrie­
den (Abbildung 4). Und schon stellen sich
Wünsche ein. Einige werde ich noch mit
der Access-Datenbank realisieren. Der
sinnvollste nächste Schritt besteht jedoch
in der Auswahl einer Standardsoftware.
Jetzt ist Tischler Staeter dafür bereit. Hätte
Andrea Kaden ihm dazu gleich am Anfang
geraten, wäre das wahrscheinlich ein zu
großer Schritt gewesen. So aber konnten
alle Beteiligten in kleinen Schritten ler­
nen. Und zu jedem Schritt gehörte und            [Abb. 6] Dem Kunden mit einer Folge von Lösungen Nutzen liefern.
gehört eine andere Lösung. Die Lösungen
wachsen sozusagen mit.
   Für Tischler Staeter ist das Projekt da­
mit ein Erfolg. Mein Ziel habe ich hinge­
gen nicht erreicht. Zeit für eine Reflexion.

Lessons learned
Besser wird es nur, wenn man sich genau
anschaut, was schiefgegangen ist – und
das beim nächsten Mal versucht zu ver­
meiden. Deliberate practice.
   Nach außen ist nicht viel schiefgegan­
gen. Tischler Staeter ist pragmatisch. Den
interessiert am Ende nicht, ob ich eine
Lösung mit .NET gestrickt habe oder mit
MS Access. Hauptsache, sie ist nützlich.
Und das ist sie.
   Gegenüber meinem eigenen Anspruch
bin ich allerdings zurückgeblieben. Ich
habe im Spinning-Modus arbeiten wollen
– aber es ist ganz anders gekommen. War­         [Abb. 7] Schneller mehr Nutzen mit verschiedenen Lösungen.

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um? Was kann ich daraus für mich und für        als man denkt, ist wirklich, wirklich ge­        Excel-Dropbox-Kombination implemen­
Sie lernen? Hier meine Erkenntnisse in          setzt. Das oberste Gebot lautet mithin, bei      tiert. Die ist nicht ultimativ vollständig,
loser Reihenfolge. Ich fange einfach mal        jeder Aussage zu fragen: „Ist das tatsäch­       aber hat schon großen Nutzen gebracht.
irgendwo an:                                    lich so? Woher weißt du/wissen Sie, dass            Während diese Lösung in Betrieb war,
                                                es so ist?“ Das gilt für Aussagen anderer        habe ich Lösung 2 mit MS Access aufge­
1. Unsicherheiten ausräumen                     wie für meine eigenen. Und es gilt auch          setzt. Die ist immer noch nicht ultimativ
und explorieren                                 für alles, was man vorfindet. Denn was da        vollständig, aber liefert einen größeren
Ich war mir zu früh zu sicher, schon ei­        ist, ist sozusagen eine implizite Aussage :      Nutzen als Lösung 1. Auf die baut sie al­
ne Lösung zu haben. So ein bisschen mit         So ist es und sollte auch so sein.               lerdings eben nicht auf. Das war mein
Excel-Dateien hantieren, sollte mit .NET           Softwareentwicklung ist mithin zu­            erster Gedanke, ich wollte etwas aus Lö­
doch kein Problem sein. Aber woher hat­         nächst einmal eine Kunst des Hinterfra­          sung 1 retten. Wie sich herausstellte, war
te ich meine Sicherheit? Sie hat sich als       gens. Das macht sie ja auch für Kunden so        es aber einfacher, eine ganz neue Lösung
Illusion herausgestellt. Nicht, dass es gar     unangenehm. Wer will schon ständig und           zu entwickeln.
nicht funktionieren würde, was ich mir          alles hinterfragt bekommen? Aber es hilft           Lösung 3 steht nun in den Startlöchern.
ausgedacht hatte – doch auch ich hatte          nichts. Fragen müssen sein, noch mehr            Während Lösung 2 in Betrieb ist, eruiert
mir nur einen gewissen Gesamtaufwand            Fragen müssen sein, wenn nicht unnötig           Andrea Kaden entspannt, wie der Nutzen
zugestanden, der schnell überschritten          Aufwand betrieben werden soll.                   noch weiter gesteigert werden könnte
wurde, weil ich mit Excel-APIs herum­              Und Exploration muss sein. Wenn Fra­          (Lösung 3).
experimentieren musste.                         gen Unsicherheiten oder Freiheitsgrade              Das Schöne bei diesem Vorgehen ist, dass
   Vermeintliche Sicherheiten lauern über­      aufdecken, dann sollten die erkundet             von Lösung zu Lösung ganz fundamental
all. Glaubenssätze, mit denen man in ein        werden, bevor man sich entscheidet. Das          gelernt werden kann. Es gibt keinen Lock-
Projekt startet. Vorurteile, vorgefasste        braucht auch Zeit, doch die ist gut ange­        in durch schon geschaffene Fakten.
Meinungen, Überzeugungen oder auch              legt. Exploration kostet weniger, als sich          Andererseits bedingt dieses Vorgehen
nur durch Extrapolation und vom Hören­          in eine Sackgasse zu verrennen oder erst         natürlich, dass zeitweise zwei Lösungen
sagen Angenommenes.                             Suboptimales zu liefern und dann später          in Benutzung sind. Das ist eine größe­
   Ich hatte geglaubt, der Excel-Dateizu­       nachzubessern.                                   re Belastung für die Anwender. Und es
griff sei ganz einfach. Fehlanzeige. Ich                                                         leistet Dateninkonsistenz Vorschub. Wie
hatte geglaubt, Excel zu erhalten sei wirk­     2. Zügig Nutzen liefern                          sich aber herausstellte, war der Gewinn
lich wichtig, weil Tischler Staeter sich so     Meine zweite Erkenntnis scheint im Wi­           durch größere Flexibilität höher als der
daran gewöhnt hatte. Fehlanzeige. Ich           derspruch zur ersten zu stehen. Sie lautet:      Verlust durch die Fallstricke des Parallel­
hatte geglaubt, das iPad als zusätzliches       Dem Kunden sollte schnell Nutzen gelie­          betriebs. Wir waren einfach nicht durch
Frontend sei unverrückbar gesetzt und           fert werden. Nicht lange nach der perfek­        die Grenzen eines Lösungswerkzeugs ein­
dringend zu unterstützen. Fehlanzeige.          ten Lösung suchen, sondern zügig einen           geschränkt.
   Diese Annahmen und andere haben              ersten Schritt tun und dann einen nächs­            Andrea Kaden und ich konnten auf diese
mich viel Kraft gekostet und die Realisie­      ten und so weiter.                               Weise schneller mehr Nutzen liefern, wie
rung verzögert. Durch den Frust mit den            Das ist ganz im Sinne agilen Denkens          uns scheint (Abbildung 7). Und wir konn­
Excel-APIs ist nicht mal eine Teillösung        im Allgemeinen und auch auf der Linie            ten auf dem Weg Gelerntes berücksichti­
auf die Straße gekommen; ich habe im­           von Spinning. Warum also diese Beto­             gen; Tischler Staeter musste sich ja auch
mer wieder die Arbeit aufgeschoben, weil        nung? Weil ich diese Erkenntnis nicht            erst mal einfinden beim Umstieg auf eine
sie einfach nicht den Erfolg gebracht hat,      auf Fortschritte innerhalb einer Lösung          softwaregestützte Faktura. Statt einer One-
den ich mir vorgestellt hatte.                  beziehe, sondern auf Fortschritt mit ver­        Size-fits-all-Lösung gab es also eine wach­
   Dass Office2 HD auf dem iPad wirk­           schiedenen Lösungen.                             sende und sich wandelnde Lösungsfolge.
lich ein gutes Frontend abgeben würde,             Als Lösung bezeichne ich hier eine
schien mir irgendwann auch nicht mehr           Sammlung von Werkzeugen und Prozes­              3. Der Kunde muss ziehen
sicher. War es wirklich so eine gute Idee,      sen, um einen Nutzen herzustellen. Der           Im Zentrum des Spinning steht die hohe
überhaupt mit verschiedenen Devices             liegt bei Tischler Staeter darin, seine Fak­     Drehzahl von einer Iteration pro Tag. Je­
auf Excel-Dateien zu arbeiten? Oder wäre        tura schneller durchzuführen.                    den Tag ein wenig Nutzen liefern. Ziel des
Google Docs besser? Aber wie darauf aus            Normalerweise ist das Ziel, den Nutzen­       Projekts war, das zu (er)leben. Und genau
.NET zugreifen? Dieses Gedankenkarus­           einmalig mit einer Lösung möglichst              das ist nicht passiert. In diesem Sinn war
sell hat mich stumm gemacht und für             komplett herzustellen. Das geschieht             das Projekt ein Misserfolg.
weitere Verzögerung gesorgt.                    dann im Rahmen einer S-Kurve, bei der              Ich glaube allerdings, etwas retten zu
   Im Nachhinein zeigt sich, dass ich mich      der Nutzen über die Zeit wächst, je voll­        können, indem ich nach der Ursache fra­
selbst unter Druck gesetzt habe. Mein An­       ständiger sie wird (Abbildung 5). Die Ent­       ge. Warum hatten meine Iterationen keine
spruch war, sicher zu sein als Dienstleister.   wicklung der Kurve wird zwar iterativ vor­       solch hohe Frequenz? Warum hat sich die
War mein Job nicht, sofort eine Lösung zu       angetrieben. Doch es gibt eben nur eine          Realisierung über Wochen gestreckt, ohne
haben? Sehen, lösen, umsetzen, fertig?          Kurve, eine Lösung.                              dass der Kunde Staeter etwas von mir zu
   Die erste Lehre, die ich aus dem Projekt        Bei Tischler Staeter ist es aber anders ge­   sehen bekam?
ziehe: Mehr Zeit für Exploration. Alle Be­      laufen. Das hat mir gefallen. Dort sieht die       Ich denke, die Ursache ist ganz einfach.
teiligten sind viel unsicherer, als sie gern    Entwicklung eher wie in Abbildung 6 aus.         Es fehlte die Voraussetzung. Es ist ein
wären oder zugeben zu sein. Viel weniger,       Andrea Kaden hat Lösung 1 in Form der            Kunde, der zieht. Spinning liefert nicht

www.dotnetpro.de 5.2012103
Selbstversuch mit Hundefutter - PLANUNG
PLANUNG Im Dialog zum Projekterfolg

einfach jeden Tag – das wäre ein Push-
Modus. Beim Spinning muss vielmehr ge­
zogen werden; Spinning funktioniert nur
im Pull-Modus. Das bedeutet, der Kun­
de (beziehungsweise sein Stellvertreter)
muss jeden Tag auf der Matte stehen und
fragen: Wo ist das Inkrement, zu dem ich
Feedback geben soll?
   Das ist nicht geschehen. Weder Tischler
Staeter noch Andrea Kaden haben sich
täglich bei mir gemeldet, um Feedback zu
geben. Das hat mich dazu verführt, beim        [Abb. 8] Spätes Feedback ist frustrierend und kontraproduktiv.
Excel-API rumzudrucksen, zwischen­
durch andere Projekte voranzubringen,
die weniger frustrierend waren, oder im­
mer neue Lösungsideen zu prüfen, statt
die ursprüngliche voranzutreiben.
   Und warum hat niemand auf meiner
Matte gestanden? Weil ich diese Notwen­
digkeit nicht wirklich kommuniziert hat­
te. Ich habe schlicht versäumt, alle Betei­
ligten an einen Tisch zu holen, um ihnen
den Prozess zu erläutern und sie darauf
einzuschwören. Irgendwie war ich im
Push-Modus gefangen und habe gedacht,          [Abb. 9] Zügiges Feedback macht Spaß.
ich muss nur von mir aus versuchen, je­
den Tag zu liefern. Aber Pustekuchen ...
daraus ist nichts geworden. Da habe ich           Das sind natürlich alles nur Rationali­           4. Schnelles Feedback
zu viel von mir verlangt. Mein Job war es,     sierungen. Denn am Ende ist ja genau das             Beim Spinning laufen Produktion und
Nutzen zu liefern, nicht den Prozess zu        auf die eine oder andere Weise doch her­             Feedback in schneller Folge ab. Wenn nun
steuern. Ich habe das Single Responsibi­       ausgekommen. Ich musste irgendwann                   aber Spinning mit täglichem Feedback
lity Principle nicht gelebt. Es gab sozusa­    gestehen, in einer Sackgasse zu stecken.             nicht möglich ist, was dann?
gen eine Ämterhäufung.                            Was habe ich daraus gelernt? Nur scho­               Meine Erkenntnis aus diesem Experi­
   Richtig wäre gewesen, Andrea Kaden als      nungslose Offenheit hilft. Denn dann kann            ment: Feedback muss in jedem Fall schnell
Stellvertreterin des Kunden (und Anwen­        Exploration mit in den „Projektplan“ hin­            kommen, egal wie lange es dann dauert, bis
ders) Tischler Staeter als Product Owner       eingenommen werden. Und Exploration                  an dem Projekt wieder etwas getan wird.
(PO) einzusetzen mit der Pflicht, jeden        war nötig. Nutzenlieferung und Explora­                 Egal wie lange Sie brauchen, um et­
Abend bei mir nach dem Inkrement zu fra­       tion können sich auch abwechseln. Wäh­               was Vorzeigbares zu produzieren, wenn
gen und den mit dem nächsten Inkrement         rend der Exploration ist dann kein tägli­            Sie am Ende eine Woche oder länger auf
zu liefernden Nutzen zu besprechen.            cher Rapport nötig; in Kontakt mit dem PO            Feedback warten, ist das unbefriedigend
   Dadurch wäre viel schneller ins Be­         muss man natürlich trotzdem sein.                    und kontraproduktiv (Abbildung 8). Der
wusstsein gekommen, dass irgendetwas              Ich hätte mit dem Versuch täglicher Lie­          Kontext, in dem Sie produziert haben, ist
hakt, dass es noch Unsicherheiten gibt.        ferung starten können. Wäre der geschei­             einfach aus Ihrem Kopf verschwunden.
Dann hätten wir alle zusammen gegen­           tert, hätten wir auf Exploration umschal­            Sie haben das Thema innerlich abgehakt;
steuern können.                                ten können. Auf ausreichende Explora­tion            es bei negativem Feedback wieder aufzu­
   Hätte Andrea Kaden das leisten können?      wäre wieder tägliche Lieferung gefolgt               machen, ist frustrierend und kostet Mühe.
Ich denke schon. Sie hatte ja schon eng        und so weiter. Je mehr Unsicherheit, des­            Kritik ist einfacher anzunehmen, wenn sie
mit Tischler Staeter gearbeitet und kannte     to mehr/längere Phasen der Exploration.              unmittelbar geäußert wird.
dessen Anforderungen. Zeit und Lust hätte      Je mehr Sicherheit, desto längere Phasen                Wenn Sie nicht kontinuierlich an einem
sie auch gehabt. Diszipliniert genug ist sie   täglicher Lieferung.                                 Projekt arbeiten können oder der Kunde
auch. Sie wäre als PO tough und genau die         Gelernt habe ich also, dass Spinning              nicht ständig verfügbar ist, dann richten
Richtige gewesen.                              nicht vom Team getrieben werden kann,                Sie es deshalb besser so ein: Nehmen Sie
   Nur habe ich diese Rolle mit ihr nie        sondern wirklich und wahrhaftig der Kun­             sich die nötige Zeit zur Produktion von et­
ernsthaft besprochen. Warum? Meine Ver­        de ziehen muss. Zweitens funktioniert                was Vorzeigbarem. Holen Sie unmittelbar
mutung : Ich hatte schon Unsicherheiten        Spinning nur, wenn und wo zumindest                  Feedback ein – und lassen Sie dann die
gespürt und Angst, die anzusprechen. Sie       technologisch hohe Sicherheit vorhan­                Arbeit ruhen (Abbildung 9). Schreiben Sie
hätten mich als weniger kompetent dar­         den ist. In der Domäne kann ruhig Unsi­              beim Feedback auf, welche Konsequen­
stellen können. Es wäre vielleicht heraus­     cherheit herrschen; die auszuräumen ist              zen sich daraus ergeben, wie Sie nachbes­
gekommen, dass der Realisierungszeit­          Aufgabe des Spinning. Spinning selbst ist            sern müssen. Machen Sie sich ein kleines
raum weniger klar war als gedacht.             sozusagen Exploration.                               Backlog. Sobald Sie dann wieder Zeit ha­

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Selbstversuch mit Hundefutter - PLANUNG
PLANUNG

ben, arbeiten Sie es ab und holen sich so­     eilte Empfehlung einzugestehen, viel zu         terial getestet. Das hat funktioniert. Aber
fort wieder Feedback.                          groß war. Besser ein offenes Wort als ein       es war eben nicht genug, weil es auch
                                               offenes Bein. Der Fokus, etwas Nützliches       Rechnungen ohne Material gibt. Das ist
5. Am Engpass ansetzen                         zu liefern, versöhnt den Kunden mit dem         selten, aber möglich. Mir lagen dafür kei­
Behindert haben mich nicht nur Schwie­         Frust eines dadurch korrigierten Fehlers.       ne Beispiele vor. Bei der Anforderungs­
rigkeiten mit den Excel-APIs, sondern                                                          analyse ist sowohl Andrea Kaden wie mir
auch eine Unkonzentriertheit. Ich habe         6. Abschied von der Wunschliste                 dieser Fall durch die Lappen gegangen.
mich verwirren lassen durch die Idee,          In meinem Projekt-Backlog stand über            Kann passieren. Mag hier offensichtlich
dass eine mobile Datenerfassung mit dem        längere Zeit „Ein Formular zum Nachbe­          sein und Sie schütteln den Kopf. Doch
iPad auch eine coole Sache wäre. Immer         arbeiten von Rechnung“. Das hatte sich          auch und gerade wenn es komplizierter
wieder sind meine Gedanken dahin abge­         nicht der Kunde gewünscht, sondern ich          wird, fallen Akzeptanzkriterien durch den
schweift, weil das natürlich technologisch     hatte es als Anforderung eingetragen, so­       Rost. Kaum hatte Tischler Staeter jedoch
eine Herausforderung ist.                      zusagen eine Erinnerung an mich.                meine Access-Lösung in der Hand, hat er
   Und als ich dann gemerkt habe, dass            Die Access-Lösung enthielt dieses Fea­       sofort eine Rechnung ohne Material er­
mir durch iPad-Visionen Kraft für die Ver­     ture allerdings nicht. War das ein Problem?     fasst und ist auf die Nase gefallen. Als hät­
besserung der Desktop-Faktura verloren         Nein. Der Kunde ist glücklich ohne. Und         te er es geahnt ...
ging, da habe ich nicht gewagt, das dem        selbst wenn es einmal eine Gelegenheit             Damit ist die Grundannahme hinter
Kunden gegenüber anzusprechen. Die             geben sollte, bei der so ein Feature nütz­      Spinning für mich bestätigt: Nur die Ab­
Idee der mobilen Datenerfassung hatte ich      lich wäre, ist die Frage, ob er deshalb dafür   nahme zählt. Sie darf nicht verzögert
im Überschwang eingebracht und Tischler        Geld ausgeben will. Vielleicht gibt es für      werden, sie muss viel, viel häufiger als üb­
Staeter war sofort darauf angesprungen.        diesen seltenen Fall ja einen Workaround,       licherweise stattfinden. Nur sie bringt Si­
Ein iPad wurde angeschafft. Er war in den      der unterm Strich kostengünstiger ist.          cherheit, dass das, was produziert wurde,
Startlöchern. Da schien es mir unmöglich,         Warum habe ich mir also diese Idee für       etwas taugt. Die QS mag dabei eine wich­
ihm zu sagen, dass dieser Aspekt vielleicht    eine Anforderung notiert? Weil mir meine        tige Instanz sein. Letztlich zählt jedoch
doch nicht so wichtig sei, das iPad gar vor­   Erfahrung gesagt hat, dass so etwas be­         nur das Wort des Kunden. Verlassen Sie
eilig angeschafft worden war.                  stimmt nötig sei. Wie die Realität gezeigt      sich auf nichts anderes.
   Am Ende hat mich aus diesem Konflikt        hat, war das aber Quatsch. Ich habe damit
erlöst, dass ich mit MS Access eine Lösung     nur das Backlog verlängert und subtilen         Fazit
gebastelt habe, die Tischler Staeter über­     Druck auf mich erzeugt.                         Operation misslungen, Patient lebt. Glück
zeugte. Er selbst war dann gar nicht mehr         Noch schlimmer wäre es gewesen, ich          gehabt. Es hätte anders ausgehen kön­
so versessen auf die mobile Datenerfas­        hätte mir sogar die Mühe gemacht, das           nen. Am Ende haben Pragmatik und ein
sung. Anderes wurde ihm dafür wichtiger.       Feature zu implementieren. Eine Ver­            offenes Wort die Situation gerettet. An­
Außerdem hatte er sich mit dem iPad für        schwendung von Ressourcen wäre das              drea Kaden und ich konnten dem Kunden
andere Zwecke angefreundet. Seine An­          gewesen.                                        vermitteln, dass ein Umstieg von Excel auf
schaffung hatte also auch Sinn ohne Nut­          Und so ist meine Erkenntnis: Längere         Access mehr bringen würde, als zwang­
zung für die Faktura.                          Wunschlisten tun nicht gut. Was nicht un­       haft um Excel etwas herumzustricken.
   Meine Erkenntnis daraus ist, dass ­Ideen    mittelbar umgesetzt werden kann, sollte         Der Kunde war offen dafür – das Ergebnis
eine schöne Sache sind – aber sie soll­        nicht in einem Backlog notiert werden.          gibt uns recht.
ten sich auf den Engpass des Problems          Vor allem sollte kein Aufwand zu seiner            Was sagt das aus über mein eigenes Hun­
konzentrieren. Wo drückt der Schuh am          Beschreibung getrieben werden.                  defutter-Spinning? Funktioniert es nicht,
meisten? Eine mobile Datenerfassung               Wenn dem Kunden etwas wirklich               weil ich es nicht hinbekommen habe?
wäre nett für Tischler Staeter, doch nicht     wichtig ist – das gilt auch fürs Bugfixing –,      Ich denke, Kernelemente von Spinning
wirklich nötig. Damit würde er nicht so        dann wird er sich dazu so lange melden,         haben sich bestätigt: Zügiges Feedback
viel Zeit sparen wie mit weniger Kopiere­      bis er es bekommt. Wichtig ist nicht ein        und Forderung durch den Kunden sind
rei zwischen Excel-Tabellen.                   ausführliches Backlog, sondern schnelle         und bleiben nötig. Aber Spinning hat eine
   Als Entwickler tun wir also gut daran,      Reaktionszeit. Und damit ist Evolvierbar­       Einstiegshürde. Um Spinning herum ha­
uns nicht von coolen Ideen oder auch           keit zentral, weil ohne sie keine schnelle      be ich einiges gelernt. Beim nächsten Mal
Erfahrungen davontragen zu lassen. Wir         Reaktion möglich ist.                           will ich das besser machen. Und ich den­
müssen vor die Füße des Kunden schau­                                                          ke, auch Sie können das eine oder ande­
en. Nicht weiter. Welcher nächste Schritt      7. Nur die Abnahme zählt                        re mitnehmen, selbst wenn Sie nur nach
bringt am meisten?                             Alle Anforderungsanalyse, alle Tests durch      ­Scrum arbeiten oder bisher ganz ohne
   Das ist eine der wohl schwierigsten Fra­    Entwickler und auch eine Qualitätssiche­         systematisches Vorgehensmodell.      [tib]
gen. Aber es hilft nichts. Bei begrenzten      rung (QS) sind am Ende ohne Bedeutung.
Ressourcen muss der Fokus gesetzt wer­         Sie sind nicht nutzlos, aber sie sagen          [1] R alf Westphal, Get into the flow with Spinning,
den. Kurzfristig mag es wehtun, dem Kun­       nichts darüber aus, ob die Software tat­             www.dotnetpro.de/ SLA1205Architektur1
den hier und da eine Absage zu erteilen,       sächlich fehlerfrei oder gar fertig ist.        [2] http://zeitgewinn-hamburg.de/
um sich auf eine Sache zu konzentrieren.         Ich habe zum Beispiel bis zur Übergabe        [3] http://servicetischler-hamburg.de/
Langfristig bringt das mehr Erfolg.            der Software an Tischler Staeter die­Um­        [4] www.dropbox.com/
   In meinem Projekt habe ich erfahren,        wandlung eines Auftrags in eine Rechnung        [5] http://itunes.apple.com/de/app/
dass die Angst vor den Folgen, eine über­      immer mit Angabe von verbrauchtem Ma­                id364361728?mt=8

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