Sozial, Ökologisch und Demokratisch - LINKE Industriepolitik in Zeiten der Krise - Fraktion DIE LINKE. im Bundestag
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Inhalt Vorwort 3 Corona-Krise: Zeit für lenkende Industriepolitik – Einleitung 5 Status Quo – Industrie und Industriepolitik 7 Die deutsche Industrie in der Krise 7 Welche Industriepolitik brauchen wir? 8 Industriepolitische Instrumente für eine sozial-ökologische Transformation 8 Industriestrategie 2030: Exportüberschuss – Made in Germany 9 Grundrisse einer linken transformativen Industriepolitik 13 Transformative Industriepolitik: Fördern, aber auch fordern 13 Handlungsfelder transformativer Industriepolitik 13 Mit großer Mission die Pfadabhängigkeit durchbrechen 21 Konversion statt Wachstum um jeden Preis 22 DGB-Kommentar: »Gerechte Transformation erfordert aktive Industriepolitik« 23 Demokratische Investitionslenkung als Kernprojekt 24 Industriepolitik für die Zukunft – Fazit 26 Literatur 27 1
Fraktion DIE LINKE. im Bundestag Platz der Republik 1, 11011 Berlin Telefon: 030/22751170, Fax: 030/22756128 E-Mail: fraktion@linksfraktion.de V.i.S.d.P.: Jan Korte Redaktion: Tilman von Berlepsch Layout/Druck: Fraktionsservice Endfassung: Mai 2021 Dieses Material darf nicht zu Wahlkampfzwecken verwendet werden! Mehr Informationen zu unseren parlamentarischen Initiativen finden Sie unter: www.linksfraktion.de 210513 2
Vorwort Die Beschäftigten in der Industrie stehen unter enor- men Druck: Globale Überproduktion, ständiger Kosten- druck, die Klimakrise und nun auch noch die Corona- Pandemie. Doch für die Bewältigung der Klimakrise und der zunehmenden sozialen Polarisierung hilft nicht der wehmütige Blick auf die Vergangenheit, sondern nur ein radikaler sozial-ökologischer Aufbruch in die Zukunft der Industrie. Die gegenwärtige Industriepolitik ist auf die Interessen der Konzerne ausgerichtet und vernach- lässigt die Beschäftigten. Und auch die Klimapolitik der Bundesregierung wirkt sozial ungerecht. Anstatt auf Marktinstrumente zu setzen müssen menschen- und klimaschädlicher Produktion Grenzen gesetzt werden. Ja, es werden industrielle Arbeitsplätze verloren gehen. Wenn gleichzeitig neue Produktionskapazitäten in ökologischen und zukunftssicheren Branchen aufgebaut werden, können aber auch sehr viele neue Arbeitsplät- ze entstehen: z.B. in der Windkraft, bei der Herstellung von Batteriezellen oder auch in der Wasserstofftechno- logie. Dafür brauch es aber eine aktive Industriepolitik die diese Chancen ergreift und unterstützt. Die Trans- formation darf nicht managementgetrieben, sondern muss mit und von den Beschäftigten selbst angegangen werden. Dafür braucht es auch mehr Mitsprache bei den Investitionsentscheidungen der Unternehmen. Das muss wirtschaftsdemokratisch gegen die Konzernlei- tungen durchgesetzt werden. Daher ist eine Stärkung der Gewerkschaften und Betriebsräte unumgänglich. Ein großangelegtes sozial-ökologisches Investitionspro- gramm mit demokratischer Beteiligung der Beschäftig- ten und der Zivilgesellschaft ist der Schlüssel für einen gelingenden Wandel. Linke Industriepolitik muss eine transformative Industriepolitik sein, zu deren Weiter- entwicklung ich euch alle herzlich einlade, um gemein- sam mit der LINKEN für eine soziale, ökologische und demokratische Industrie zu kämpfen. Euer Alexander Ulrich Parlamentarischer Geschäftsführer und Industriepolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag 3
ZITAT »Nichts ist so beständig wie der Wandel.« Heraklit von Ephesus, Philosoph, ca. 535 – 475 v. Chr. ZITAT »Es handelt sich bei den Green New Deal Konzepten um eine Generalüberholung des Betriebssystems. Krempeln wir die Ärmel hoch und erledigen das, was ansteht.« Naomi Klein, Journalistin, 2019 ZITAT »Wir können werden, was wir uns zutrauen zu sein.« Alexandria Ocasio-Cortez, US-Demokratin, 2019 4
Corona-Krise: Zeit für lenkende Industriepolitik – Einleitung Der Parfümhersteller Dior sowie der Schnapsbrenner 1,8 Millionen Arbeitsplätzen, acht Prozent der Wert- Jägermeister stellen ihre Produktion auf Desinfekti- schöpfung und enger Verknüpfung mit der deutschen onsmittel um. Der Automobilzulieferer Zettl und der Identität als »Autonation« und »Exportweltmeister«, Textilhersteller Trigema beginnen mit der Produktion befindet sich in einem disruptiven Umbruch. Zwar ist von Schutzmasken. GM, BMW und Tesla beginnen mit ihr Umbau aus Klimagerechtigkeitsgründen unabding- der Produktion von Beatmungsgeräten. In der Corona- bar, die derzeitigen Umbruchsprozesse finden jedoch Pandemie haben sich die gesellschaftlichen Bedürfnis- markt- oder managementgetrieben statt. Die AfD steht se schlagartig gewandelt und weder der Markt noch der in den Startlöchern, um die Wut derjenigen in Ressen- Preis wirken als steuerndes Korrektiv. Es schlägt die timents zu kanalisieren, deren Jobs vermeintlich durch Stunde lenkender Industriepolitik. Umwelt- und Klimapolitik gefährdet sind. Doch schon vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie Die Frage stellt sich: Wie kann eine sozial-ökologische wurde öffentlich und fachpolitisch intensiv über Indus- Transformation der deutschen Wirtschaft industriepoli- triepolitik diskutiert. Die zunehmende Konkurrenz aus tisch gelenkt werden? Klar ist: Eine Industriepolitik, die China in einer wachsenden Zahl von Industriebranchen, versucht klima- und beschäftigungspolitische Heraus- in denen Deutschland und Europa bislang die Spitzen- forderungen über technologische Marktführerschaft reiter waren, bewog auch den deutschen Wirtschafts- und eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit zu be- minister Peter Altmaier (CDU) im Februar 2019 zur wältigen, ist sozial ungerecht. DIE LINKE. im Bundestag Vorlage eines Entwurfes für eine »Industriestrategie schlägt vor, an einer transformativen Industriepolitik 2030«. Zunächst bejubelt von linken und sozialdemokra- anzusetzen, die klare sozial-ökologische Kriterien erfüllt tischen Parteien und Ökonom:innen sowie den Gewerk- und auf gebrauchswertorientierte Konversion ausge- schaften, dass überhaupt mal wieder eine Debatte über richtet ist. Industriepolitik stattfinde, wurde der Wirtschaftsminis- ter jedoch schnell von Industrie- und Arbeitgeberver- Dabei geht es nicht darum, zum guten alten Normal- bänden zurückgepfiffen. arbeitsverhältnis des Fordismus zurückzukehren, da das fordistische Modell auch auf einer »fossilistischen Im Energiesektor polarisiert die Diskussion um den Wachstumsökonomie« basierte (Urban 2019, S.18). Es Kohleausstieg, der ohnehin schon gebeutelte Regionen muss vielmehr in einer sozial-ökologischen Transfor- Arbeitsplätze und Identität kosten wird. Andererseits mation auch der gesellschaftliche Gebrauchswert der geht der Windenergieausbau viel zu langsam vonstatten. Arbeit diskutiert werden. Die Gesellschaft muss sich demokratisch darauf verständigen, welche wirtschaft- Gleichzeitig ist der Verkehrssektor der einzige Sektor, in lichen Bereiche wachsen und welche schrumpfen dem die CO2-Emissionen auf viel zu hohem Niveau ver- müssen. Selbst für ein wachstumsunabhängiges Sys- harren und die Umwelt- und Raum-Verteilungsprobleme tem brauchen wir sektorales Wachstum. Bestehende durch immer mehr und immer größere Autos zuneh- Produktionskapazitäten und Investitionen müssen (um) men. Doch die deutsche Autoindustrie – mit insgesamt gelenkt werden. 5
Der Staat muss dabei durch konsequente Ordnungs- und Förderpolitik die technologischen und industriellen Weichen für die Unternehmen stellen, da Staat und Unternehmen mit ihren Investitionsentscheidungen die zentrale Steuerungsmacht über Produktions- und Lebensweisen besitzen. Da es hierbei schnell um harte Investitionsentscheidun- gen geht, führen solche Diskussionen immer auch zu Macht- und damit Demokratiefragen. Die Notwendigkeit in der Transformation auch über Investitionsentschei- dungen mitzubestimmen – und damit über den Kern der Unternehmerfreiheit – macht Betriebsräte und Gewerk- schaften zu einem entscheidenden industriepolitischen Akteur. Eine demokratische Investitionslenkung, die Steuerung von Produktionskapazitäten auf mehreren Ebenen und visionäre industriepolitische Groß- und Konversionspro- jekte mit sozial-ökologischer Mission sind die Kernele- mente einer transformativen Industriepolitik. 6
Status Quo – Industrie und Industriepolitik Die deutsche Industrie in der Krise oder schrumpft. Die Märkte sind gesättigt. Das führt zur Konzentration, Marktausweitung (regional und bei In Deutschland arbeiten etwa sieben Millionen der Produktpalette) und Produktionsausweitung. Die Menschen in der Industrie. Sie verteilen sich auf 29 globalen Umbrüche betreffen besonders deutsche Un- Branchen und 47.000 Betriebe. Der Anteil des verar- ternehmen, deren Wertschöpfungsketten und ihr Netz beitenden Gewerbes ist in Deutschland mit 23 Prozent von Zulieferern, Dienstleistern für Service, Wartung und wesentlich höher als in vergleichbaren Ländern. So Finanzierung. Ebenso ist die Transformation hiesiger wird der hohe Wertschöpfungsanteil der Industrie in Schlüsselbranchen unter anderem der Stahl- und Me- Deutschland weitestgehend als ökonomische Stärke tallverarbeitung, des Maschinen- und Anlagenbaus, der angesehen. Elektrotechnik und Elektronik, der Grundstoffindustrie bis hin zu Raffinerien und dem Tankstellennetz zu er- Besonders die Autoindustrie und mit ihr auch der warten. Zudem bringen die Metatrends Digitalisierung Maschinenbau haben eine besondere Bedeutung für die und Automatisierung weitere Rationalisierungswellen deutsche Wirtschaft und damit auch für die deutsche mit sich. Die Nationale Plattform Zukunft der Mobilität Gesellschaft. In der deutschen Automobilindustrie ar- stellte im Januar 2020 einen Bericht vor, der bis 2030 beiten bundesweit circa 880.000 Menschen. Das ist ein 410.000 Arbeitsplätze in der deutschen Automobilindus- Anteil an der Gesamtbeschäftigung von zwei Prozent. trie in Gefahr sieht. Berücksichtigt man auch die weiteren Multiplikatoref- fekte durch Zulieferer und Produktionsverflechtung, Dieser Einbruch hat längst begonnen. Bei Bosch wer- verdoppelt sich die Zahl der von der deutschen Autoin- den Stellen gestrichen, Continental will ganze Werke dustrie abhängigen Beschäftigten auf 1,8 Millionen, also schließen und Schaeffler setzt auf Kurzarbeit. Schon rund vier Prozent aller Erwerbstätigen und 15 Prozent 2019 titelte das Handelsblatt: »Autozulieferern droht aller Industriebeschäftigten. ein Fiasko.« Die Erlöse der 600 größten Autozulieferer schrumpften um fünf Prozent. Die Umsatzrenditen Die deutsche Automobilbranche hat eine Exportquote waren auf den niedrigsten Wert seit 2012 gefallen. Die von 78 Prozent. Kraftwagen und Kraftwagenteile sind Corona-Pandemie beschleunigte den Absturz. Die 2019 mit 16,9 Prozent der gesamten deutschen Exporte, Industrieproduktion in der Kfz-Branche erreichte im Mai laut Statistischem Bundesamt, »wie schon in den ver- 2020 nur 50 Prozent des Vor-Corona-Niveaus. gangenen Jahren Deutschlands wichtigste Exportgüter«. So leisten die deutschen Autobauer einen entscheiden- Doch nicht nur wirtschaftliche Probleme stellen die den Beitrag zum »deutschen Exportwunder« und zur Industrie vor große Herausforderungen. Die Industrie Erzielung von Außenhandelsüberschüssen. ist mit einem Anteil von 22 Prozent nach dem Ener- giesektor der zweitgrößte Treibhausgasemittent in Mit dem Wirtschaftswunder und dem Zeitalter des Deutschland und damit eine klimapolitische Last. Rund Massenkonsums ist das Auto zum Leitprodukt der 200 Millionen Tonnen Treibhausgase wurden 2017 von westlichen Wohlstandsgesellschaften geworden. Doch deutschen Industriebetrieben emittiert. sind die Autos nicht einfach millionenhaft vom Himmel gefallen. Der Siegeszug des Automobils ist nicht das Rund zwei Drittel der Industrie-Emissionen ergeben sich Ergebnis einer natürlichen Evolution menschlicher aus selbst erzeugtem Strom (häufig in Kraft-Wärme- Mobilitätsbedürfnisse. Vielmehr war die Durchdringung Kopplung) und aus der Wärmebereitstellung für diverse der Gesellschaft als Automobilismus ein politisches Produktionsprozesse. Dabei variiert der industrielle Projekt von wirtschaftlichen und politischen Interessen- Prozesswärmebedarf stark. Die Nahrungsmittelindus- gruppen. Der Automobilismus ist »die Folge eines über trie verwendet Warmwasser und Dampf auf niedrigem Jahrzehnte angelegten Planes, in dessen Mittelpunkt Temperaturniveau. Die Grundstoffindustrie (Stahl, das Versprechen von einem eigenen Auto als wichtiger Chemie, Zement) braucht Temperaturen von 600 Grad Teil des privaten Glücks steht« (Canzler/Knie 2018, bis weit über 1.000 Grad Celsius. S.14). Dieses »Narrativ« wurde kulturell, politisch und ökonomisch-materiell flankiert, bis sich das Auto als Von den Emissionen aus der Verbrennung der fossilen Freiheitssymbol, Erwerbslebensziel und Anker volks- Energieträger Kohle, Erdöl und Erdgas (für Strom und wirtschaftlicher Akkumulation verselbstständigt hat. Wärme) werden die sogenannten prozessbedingten Emissionen unterschieden, die als »Abfall« chemischer Die globale Automobilindustrie im Allgemeinen und Reaktionsprozesse anfallen und rund ein Drittel der die deutschen Hersteller im Speziellen befinden sich gesamten Industrie-Emissionen ausmachen. Verant- in mehrfacher Hinsicht in der Krise und steuern auf wei- wortlich für diese Sondergruppe der Emissionen sind tere grundlegende Probleme zu, die durch die Corona- überwiegend industrielle Großanlagen aus vier Bran- Pandemie offen zutage treten. chen: Raffinerien, Eisen und Stahl, Grundstoffchemie sowie Zement und Kalk. So entstehen beispielsweise Die globale Autoindustrie kämpft seit Jahren mit Über- bei der Stahlherstellung prozessbedingte Emissionen kapazitäten. Die Nachfrage in den alten großen Indus- hauptsächlich durch den Einsatz von Koks für die Reduk- triezentren Nordamerika, Europa und Japan stagniert tion des Eisenerzes. Bei der Zementherstellung ent- 7
steht CO2 durch die Entsäuerung des Kalksteins. In der Interessensgegensätze, die so nicht existieren und die Chemieindustrie dominiert inzwischen die Herstellung von bestimmten Interessengruppen geschürt werden, von Ammoniak die prozessbedingten Emissionen von um einer sozial-ökologischen Industriepolitik entge- Grundchemikalien. Vor allem in diesen Branchen ist eine genzuwirken. Manche industriepolitischen Ziele stehen relative Entkopplung von fossilen Energieträgern wie Öl, den individuellen Interessen eines Unternehmens ent- Kohle und Erdgas notwendig (Agora Energiewende 2019, gegen. So könnte eine Verbesserung des Arbeits- und siehe auch Aktionsplan Klimagerechtigkeit 2020). Umweltschutzes zu zusätzlichen Kosten führen, die dem Ziel des Unternehmens einer möglichst kosten- Aus der Perspektive einer sozial-ökologisch motivierten günstigen Produktion entgegenstehen. Sind die Stei- Industriepolitik stellt sich die Frage, wie das Zwischen- gerung der Wettbewerbsfähigkeit und Kostensenkung ziel bis 2030 (60 Millionen Tonnen weniger CO2 im auch als industriepolitische Ziele definiert, entsteht ein Vergleich zu 2020) erreicht werden kann und gleichzei- Zielkonflikt. Berücksichtigt man jedoch auch langfris- tig gute Beschäftigung und eine hohe Lebensqualität tige Faktoren, wie geringerer Krankheitsstand durch erhalten bleibt. Der Soziologe Klaus Dörre spricht von bessere Gesundheit der Beschäftigten und Marktvor- einer »ökologisch-ökonomischen Zangenkrise«, in der teile durch eine umweltfreundlichere Produktion, kann alle frühindustrialisierten Länder und besonders die der Staat in längerer, weiserer Vorausschau mit seiner Bundesrepublik Deutschland stecken. Es ist zu einer Industriepolitik auch die Unternehmen »zu ihrem Glück Steigerung ökonomischer Krisengefahren gekommen, zwingen«. die unmittelbar an Klima- und Ressourcenausbeutung gekoppelt ist. Wirtschaftswachstum und Klimaprobleme Industriepolitische Instrumente für eine sozial- bedingen sich gegenseitig. Ist das Wachstum schwach, ökologische Transformation steigen Prekarität und Ungleichheit. Nimmt die Wirt- schaft Fahrt auf, nehmen die Klimaprobleme zu. Gerin- Eine Vielzahl an wirtschaftspolitischen Instrumen- geres Verkehrsaufkommen und sinkender Energiever- ten zielt auf die Gestaltung der Industrie ab. Es wird brauch zur Hochphase der Corona-Schutzmaßnahmen zwischen vertikaler und horizontaler oder »neutra- veranschaulichen diesen Zusammenhang sehr deutlich. ler« Industriepolitik unterschieden. Neutral soll die Der fundamentale Widerspruch zwischen Kapital und horizontale Industriepolitik deswegen sein, weil sie Klima verdichtet sich in dem Dilemma: Ökonomischer keine bestimmten Branchen oder Unternehmen Zusammenbruch jetzt oder Klimakatastrophe später? bevorzugt, sondern lediglich die Rahmenbedingungen Das Dilemma kann nur durch schnelles Handeln gelöst und Standortfaktoren für alle Wirtschaftsaktivitäten werden. Es braucht eine transformative Industriepolitik, gleichermaßen verbessern soll. Da horizontale Indust- die in neue grüne Technologien investiert und gleichzei- riepolitik auf eine Stärkung der Wettbewerbsbedingun- tig gute Arbeitsplätze schafft. gen der gesamten heimischen Industrie abzielt, wird sie folgend als wettbewerbsorientiert bezeichnet. Sie Welche Industriepolitik brauchen wir? sei weniger anfällig für »politische« Interessen oder lobbygetriebenen Missbrauch einer staatlichen För- Industriepolitik steht in einem Spannungsfeld zwischen derung. So seien die Bereitstellung von Infrastruktur Wettbewerb und Transformation. Viele industriepoliti- und Bildung neutrale Arten der Wirtschaftsförderung. sche Ansätze sind wettbewerbs- und geopolitisch moti- Doch die Wahl der Infrastruktur, der Zeitpunkt und viert. Eine sozial-ökologisch motivierte Industriepolitik Ort ihrer Errichtung oder die Priorisierung der Bildung bedeutet allerdings nicht, im Wettbewerb mit China und erfordern eine politische Entscheidung und sind somit den USA die besseren Rahmenbedingungen für euro- zumindest industriepolitisch relevant, wenn auch nicht päische oder deutsche Unternehmen herzustellen, son- genuin Industriepolitik selbst. Vertikale oder sektorale dern alte Industrien zu modernisieren und neue Indus- Industriepolitik ist weniger marktgläubig und wett- trien zu antizipieren. Eder und Schneider (2018, S.472f.) bewerbsorientiert und vertraut auf Planbarkeit und stellen fest: »Industriepolitik steht einer Bearbeitung staatlichen Einfluss. der ökologischen Krise nicht per se entgegen, sie ist vielmehr unverzichtbar, um einen strukturellen Wandel Horizontale oder vertikale Industriepolitik? und die Überwindung nicht nachhaltiger industrieller Produktionsformen im Sinne einer sozial-ökologischen Doch auch eine rein vertikale, also sektorale Indus- Transformation voranzutreiben.« triepolitik wie sie in Frankreich beispielsweise zur Forcierung von Rüstung, Raum- und Luftfahrt sowie Am erfolgversprechenden sind Modelle wie der Green der Atomkraft führte, ist krachend gescheitert und hat New Deal, die betonen, dass gerade durch den radika- strukturellen Wandel eher verzögert als befördert oder len Umbau der Wirtschaft ein Jobmotor entsteht (Klein gestaltet. Der Industrieanteil an der Wertschöpfung ist 2019). Akteure eines solchen Green New Deal wären in Frankreich schneller gesunken als im europäischen nicht mehr nur der Staat, sondern auch die Gewerk- Durchschnitt und liegt heute nur noch bei unter 10 schaftsbewegung, die dafür einen »Climate Turn« und Prozent. Eine zu enge Verflechtung zwischen Industrie- die ökologischen Bewegungen, die einen »Labour Turn« interessen und der Politik hat zur dauerhaften Fortfüh- hinlegen müssten (Dörre 2020, S.304). rung bestehender industriepolitischer Interventionen geführt. Nicht nur der freie Markt, auch ein bestehen- Der vielfach beschworene vermeintlich unlösbare des Subventionssystem kann zu Pfadabhängigkeiten Zielkonflikt zwischen »Arbeit« und »Umwelt« suggeriert führen. 8
Auch das neue britische Atomkraftwerk Hinkley Point von industriellen Kapazitäten und leitete daraus eine C wäre ohne massive staatliche Subventionen nicht globalpolitisch motivierte Industriepolitik ab. rentabel. Es fließen nach wie vor viele Subventionen in fossile Energieträger. Mit dem von der Bundesregierung Ideen wie eine staatliche Beteiligungsfaszilität, die nicht vereinbarten Kohleausstieg wurden den Kohleunter- nur deutsche und europäische Unternehmen vor dem nehmen wirtschaftlich unrentable Fördermengen und Aufkauf aus China schützen sollte, sondern auch zur Kohleverstromung zusätzlich vergoldet. staatlichen Investitionslenkung genutzt werden könnte, lehnten BDI und DIHK, flankiert von Ökonom:innen und Auch die Bundesregierung agiert also sektoral, wenn Wirtschaftspresse, mit aller Deutlichkeit ab. In der end- es um die Interessen der Kohle-, vor allem aber wenn gültigen Fassung der Industriestrategie von November es um die Vertretung der Interessen der deutschen 2019 waren dann progressive Elemente der vorherigen Autoindustrie in der EU geht. Wenn das Herzstück Fassung verschwunden. Die Ambitionen des Staates des deutschen Industriekapitals von europäischen lenkend in den Markt einzugreifen, wurden auf ein Mini- Grenzwerten oder Abgasmessmethoden eingeschränkt mum reduziert. Das von Altmaier vormals als »erste[s] werden soll, werden ideologisch-theoretische Konzepte, umfassende[s] Konzept zur Sicherung unseres Wohl- wie die deutsche Präferenz für horizontale marktori- stands seit der Agenda 2010«1 bezeichnete Papier sollte entierte Industriepolitik schnell mal beiseitegescho- plötzlich nur noch den Charakter einer Absichtserklä- ben (vgl. Haas/Sander 2019). Auch wenn im Zuge des rung haben. Anstatt einer Vision für eine moderne und Corona-Konjunkturpakets und der sich zuspitzenden nachhaltige Industrie und Produktion in Deutschland Klimakrise zögerliche Markteingriffe mit ökologischer präsentierte Altmaier Vorschläge für eine Novelle des Lenkungswirkung vollzogen wurden, verfolgte die Außenwirtschaftsrechts, um Fusionen von Großkonzer- Bundesregierung bislang grundsätzlich eher einen nen zu erleichtern, forderte eine angebotsorientierte horizontalen Ansatz von Industriepolitik und beschränk- Deckelung der Sozialabgaben sowie eine Senkung der te sich auf angebotsorientiertes Ordnungsrecht. Klare Körperschaftssteuer. Wettbewerbsregeln und gute Investitionsbedingungen für Unternehmen sollten die wirtschaftlichen Rahmen- Die bisher einzige in Gesetz gegossene Konsequenz bedingungen möglichst industriefreundlich gestalten. aus der Industriestrategie 2030 ist eine Verschärfung des Außenwirtschaftsgesetzes, die der Regierung mehr Industriestrategie 2030: Exportüberschuss – Möglichkeiten zur Kontrolle und zu Verboten von Unter- Made in Germany nehmensübernahmen einräumt.2 Dies ist als Reaktion auf das – fast traumatische – Erlebnis der Übernahme Im Februar 2019 legte Bundeswirtschaftsminister Peter des Augsburger Industrie-Roboterherstellers Kuka Altmaier einen Entwurf für eine »Nationale Industrie- durch den chinesischen Midea-Konzern zu werten, strategie 2030« vor. Getrieben von den industriepoli- tischen Ambitionen Chinas und dem Vorsprung der US-amerikanischen Internet-Giganten in industriellen 1 Zitiert nach Welt.de vom 29.11.2019. Schlüsselbereichen verknüpfte Altmaier mit viel Pathos 2 Im Zuge der Übernahme des Saatgut- und Pestizidherstellers Monsanto Ludwig Erhards Programmatik des »Wohlstands für alle« durch den Chemiekonzern Bayer kam zudem die Diskussion auf, ob nicht auch Nachhaltigkeits- und soziale Kriterien bei der Fusionskontrolle und den Fortbestand der Demokratie mit dem Erhalt berücksichtigt werden sollten. 9
das in Wirtschaftskreisen als der Beginn des Ausver- Vor allem eine angebotsorientierte Standortpolitik, die kaufs deutscher Ingenieurskunst durch China gedeutet einseitig nur die Beschäftigten belastet, ist strikt abzu- wurde. Ferner wurde der im Altmaier-Papier genannte lehnen: angefangen bei Vorschlägen zum Bürokratieab- Sozialabgabendeckel, also die Begrenzung des Gesamt- bau nach dem »one in, one out«-Prinzip, wonach keine beitragssatzes zur Sozialversicherung auf 40 Prozent zusätzliche Regelung aufgestellt werden darf, bevor eine im Corona-Konjunkturpaket untergebracht. Auch eine andere abgeschafft wird – eine am Neuregelungsbe- Flexibilisierung der Arbeitsmarktregulierung wurde in darf durch Klimaschutz und Digitalisierung vollständig der Corona-Krise teilweise durchgesetzt, als das SPD- vorbeiziehende legislative Selbsteinschränkung – bis hin geführte Arbeits- und Sozialministerium die Höchst- zur Deckelung der Sozialversicherungsbeiträge, Steu- arbeitszeitgrenzen für sogenannte systemrelevante ersenkungen für Unternehmen, einer Komplettabschaf- Berufe lockerte. Ein weiteres Vorhaben des Strategiepa- fung des Solidaritätszuschlages, einer Flexibilisierung pieres, die Auftraggeberhaftung beim Mindestlohn auf der Arbeitszeiten und zu guter Letzt die Begrenzung der die erste Stufe des Nachunternehmers zu begrenzen, Auftraggeberhaftung beim Mindestlohn. Gerade eine wurde hingegen nicht durchgesetzt. Lockerung der Arbeitsmarktregelungen ist eine perfide Instrumentalisierung einer Industriestrategie, die sich Die Nationale Industriestrategie 2030 scheint der Ver- damit ihrem selbstgesteckten Ziel, der Schaffung von such zu sein, den erfolgreichen chinesischen Staatsin- Wohlstand und guter Arbeit, jegliche Grundlage ent- terventionismus nachzuahmen und dafür einige bisheri- zieht. Denn rigide Arbeitsmärkte sind weniger krisen- ge Restriktionen in der Fiskalpolitik aufzugeben. Andres anfällig und bilden in disruptiven Umbrüchen einen Fisahn (2019, S.5) zieht das Fazit: »Es handelt sich um Stabilitätsanker. Sowohl für die Beschäftigten selbst als eine deutsche Strategie im Interesse der deutschen auch volkswirtschaftlich durch die Nachfrage aus ihren Wirtschaft.« Der Vorsitzende der Monopolkommission Löhnen. Eine Fokussierung auf reine Angebots- und Achim Wambach (2019, S.5) stellt fest: »Die Berück- Wettbewerbsaspekte ist daher aus sozialen und klima- sichtigung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit politischen Gründen nicht zielführend. deutscher Unternehmen möglicherweise auch zu Las- ten des Wettbewerbs ist allerdings explizit im Auftrag Bundeswirtschaftsminister Altmaier schrieb noch in des Bundeswirtschaftsministers.« Es gehe dabei vor seiner Industriestrategie die »falsche Unterscheidung in allem darum, das inländische Gemeinwohl zu steigern, ‚alte schmutzige‘ Industrien und ‚saubere neue‘ Indus- indem Skalenerträge oder Marktmacht im Ausland trien« führe in die Irre (BMWi 2019, S.11) und gibt damit ausgenutzt werden, damit »Renten aus dem Ausland ins eine strukturkonservierende Marschrichtung zum Erhalt Inland umgeleitet werden können« (ebd.). Eine solche aller Arbeitsplätze vor. Ob Altmaier mit diesem nationa- auf strategische Außenhandelsüberschüsse abzielende len Standort-Programm dem Ziel der Beschäftigungssi- Wirtschaftspolitik ist nach wie vor die Handlungsmaxi- cherung überhaupt gerecht werden kann, ist mehr als me der deutschen Industriepolitik (Klein/Pettis 2020). fraglich. Langfristig bleiben alte schmutzige Arbeits- plätze nämlich nicht zukunftsfähig und ein Erhalt dieser Die Industriestrategie des BMWi zielt auf eine Steige- Arbeitsplätze ist weder ökologisch noch ökonomisch rung der Wettbewerbsfähigkeit: »Das Ziel ist nie die sinnvoll. Vor allem dann nicht, wenn neue Technologien Subvention, sondern immer die Wettbewerbsfähigkeit«, alte Arbeitsplätze gefährden. Nicht die Transformation so Altmaier 2019 auf einer Tagung der Stiftung Markt- gefährdet die Arbeitsplätze, sondern ihre Verweigerung. wirtschaft. Sie zielt damit auf ein Wachstum, das auf Die Nationale Industriestrategie der Bundesregierung dem Export von Industriegütern auf Kosten Dritter zielt auf eine Konservierung des exportorientierten basiert. Umweltschutz und soziale Belange tauchen nur Wertschöpfungsmodells ab und nicht auf eine ökologi- beiläufig und als Hemmnis für die Wettbewerbsfähigkeit sche Transformation der Industrie. auf. Anrechnen muss man Altmaiers Debattenaufschlag jedoch, dass Marktversagen anerkannt wird, konkrete Restriktionen für eine progressive Industrie Probleme der Industrie selbstkritisch erläutert werden politik durch die EU und explizit ordnungspolitische Eingriffe befürwortet werden. Selbst eine temporäre staatliche Beteiligung Eine große Hürde für eine investive Industriepolitik auf in bestimmten Industriesektoren wird als Möglichkeit nationaler Ebene ist das Korsett des EU-Wettbewerbs- staatlicher Intervention aufgeführt. Eine Ausweitung rechts im europäischen Binnenmarkt. Besonders die des Anteils der Industrie an der Bruttowertschöpfung engen Grenzen für staatliche Beihilfen oder öffentli- von 23 auf 25 Prozent sowie die Schaffung europäischer che Auftragsvergabe durch ein starres Vergaberecht Champions durch eine Lockerung des europäischen schränken den nationalen Handlungsspielraum für eine Wettbewerbsrechts werden lediglich als Mittel zum progressive Industriepolitik ein (Pianta/Lucchese/ Zweck angesehen, um »den willkürlichen Angriffen Mascia 2016). Eine Schwächung der Gewerkschaften Anderer in marktwirtschaftliche Prozesse entschlossen als wichtige Akteur einer Industriepolitik im Sinne der entgegen treten« zu können (BMWi 2019, S.3). Ein biss- Beschäftigten findet außerdem durch den – nicht mehr chen staatliche Industriepolitik sei leider notwendig, um ganz so – »neuen lohnpolitischen Interventionismus« den chinesischen Staatsmonopolen auf Augenhöhe zu der European Economic Governance statt (Schulten/ begegnen und einen gravierenden Verlust technologi- Müller 2013). Im Zuge der Eurokrise wurde durch Me- scher und ökonomischer Souveränität abzuwehren, so moranda in den Krisenländern und in der restlichen die Prämisse. Grundsätzlich gelte aber: »Wir brauchen Europäischen Union durch das Europäische Semester mehr, nicht weniger Marktwirtschaft« (ebd., S.2). zunehmend lohnpolitisch interveniert. Und das vor al- 10
lem in eine Richtung: Mindestlöhne und Renten sollten einer auf freien Wettbewerb ausgerichteten Industrie- gekürzt, Arbeitsmärkte flexibilisiert werden. Das führte verflechtung offengelegt. Julia Eder (2020) begrüßt zwar in vielen EU-Staaten zu einer Abnahme der Tarifabde- aus sozialen und ökologischen Gründen die zunehmen- ckung und einer schwindenden Macht der Gewerk- de Regionalisierung der Wirtschaft, merkt aber an, dass schaften. Dass die europäische Wirtschafts- und damit das Credo der EU-Kommission der »geschlossenen auch Industriepolitik hauptsächlich angebotsorientiert Wertschöpfungsketten« nicht wieder nur dem Ziel der ausgerichtet ist, verwundert daher kaum. »Erzielung von Exportüberschüssen am Weltmarkt« dienen dürfe. Zudem war die Industriepolitik der EU bislang stark auf die Rüstungspolitik fokussiert. So wurde zum Beispiel Das umweltpolitisch motivierte Schlüsselinstrument im Rahmen des Europäischen Verteidigungsfonds die um die Treibhausgase in der Industrie einzudämmen Militarisierung der EU vorangetrieben (Solty 2020, S.5). ist das Europäische Emissionshandelssystem (EU-ETS). Der Aufbau einer eigenen EU-Armee in »Ständiger Dabei erhalten die Unternehmen Emissionszertifikate, Strukturierter Zusammenarbeit« (PESCO) wurde als die sie selbst aufbrauchen oder frei handeln können. Da Industriepolitik deklariert und damit überhaupt erst eine Zuteilung zunächst kostenlos erfolgte und emissi- möglich gemacht, da es sich eigentlich um eine verfas- onsintensive Unternehmen besonders viele Zertifikate sungswidrige europäische Rüstungsförderung handelt. erhalten haben, blieb eine Emissionsreduktion aus und es wurden lediglich neue Felder für spekulative Ge- Die Systemkonkurrenz zwischen dem Westen und schäfte und Finanzanlagen und damit eine zusätzliche China sowie die zunehmende Rivalität zwischen den Einnahmequelle für fossile Unternehmen geschaffen. USA und der EU führten zu einer Renaissance der eu- Die kostenlose Ausgabe der Zertifikate ist mittlerweile ropäischen Industriepolitik. Der Bedeutungsverlust von beendet und die Obergrenzen (Caps) wurden gesenkt, multilateralen Handelsbeziehungen und der WTO und so dass möglicherweise bald zumindest eine minimale zunehmenden Handelskonflikten kumulieren in einem Steuerungswirkung durch dieses Instrument einsetzt. globalen Trend nationalistischer Industriepolitiken. Der Zertifikatehandel wird jetzt in Deutschland durch eine CO2-Steuer ergänzt werden. Das Dilemma: Ein Als neue EU-Kommissionspräsidentin stellte Ursula Preis in notwendiger Höhe würde die gesellschaftliche von der Leyen einen Europäischen Green Deal vor. Der Ungleichheit erhöhen. Denn eine CO2-Steuer wirkt European Green Deal hat in seiner derzeitigen Form den regressiv, da Menschen mit geringeren Einkommen Charakter eines Investitionsprogrammes, das europä- einen größeren Anteil ihres Einkommens dafür aufwen- ische Konzerne technologisch fit für den Wettbewerb den müssen als Menschen mit höheren Einkommen. mit China und den USA machen soll. Die europäische Bei einem zu niedrigen Preis hingegen wäre die Steuer Industriepolitik reiht sich ein in den globalen betriebs- gänzlich wirkungslos. Konzepte eines einkommensab- wirtschaftlichen Trend des »Reshorings« und einer hängigen Rückzahlungsbonus sind denkbar, die dann ex Produktionsrückverlagerung nach dem Motto »local for Post die durch eine CO2-Steuer hervorgerufene Un- local«. Die Debatte um das Zurückholen ausgelagerter gleichheit wieder etwas ausgleichen würden. Produktionsprozesse hat zu Beginn der Corona-Pande- mie einen Aufschwung erlebt. Gerade die Verlagerung Klimaschutz durch den Markt? von medizinischen oder lebensnotwendigen Gütern und Lebensmitteln hat, bei aus Panik geschlossenen Eine grundsätzliche Diskrepanz besteht in der Frage, Grenzübergängen, die Abhängigkeit und Vulnerabilität ob durch die Beseitigung von Marktversagen und damit 11
durch eine Wiederherstellung des Wettbewerbsdrucks passenden Technologie gelöst werden könnte. Indust- oder durch das Zurückdrängen der Marktmechanismen riepolitik ist dann in erster Linie technologisch motiviert eine ökologisch nachhaltige und soziale Industrie zu und hat den Anspruch staatliche Innovationssysteme erreichen ist. Nach Vorstellungen der EU und der Bun- zu schaffen, um die Technologieführerschaft (wieder) desregierung, könne das Marktversagen aufgehoben zu erlangen. Eine wettbewerbsorientierte nachhaltige werden, indem der Natur ein Preis gegeben werde, der Industriepolitik zielt also auf technische Modernisierung dann Einzug in die betriebswirtschaftliche Kostenkalku- bei gleichzeitiger ideologischer Restauration ab. Die lation findet. Sobald die Kosten für Umweltzerstörung alten Wachstumspfade sollen grün angestrichen, aber den Profit aus ihrer Ausbeutung übersteigen, würde erhalten bleiben. Ob das auch ökologisch nachhaltig ist, der Umweltschutz zum Unternehmensziel. Naturschutz bleibt fraglich. wird damit lediglich als marktwirtschaftlich ineffizient erklärt. Dabei ist ein Umwelt- und Klimaschutz, der sich Es lässt sich zusammenfassend sagen, dass eine nach der kapitalistischen Logik bedient, äußerst fragwürdig. sozialen und ökologischen Kriterien konzipierte, das Denn die Natur steht dem Kapital als Produktivkraft heißt auf die Transformation der Industrie abzielende gratis zur Verfügung und ihre ständige Ausbeutung ist Industriepolitik nur aus einer Kombination von techni- eine rationale Handlung im kapitalistischen System. So scher Modernisierung und einem Umbau der Produkti- unterbleibt der Umweltschutz einfach, wenn er zu teuer on sowie der Produktionsverhältnisse bestehen kann. ist, wie das Beispiel der CO2-Steuer zeigt. Ein Preis in Dabei ist vor allem eine Orientierung an demokratisch der Höhe, die Lenkungswirkung erzielen würde, wird festgelegten gesellschaftlichen Zielen erforderlich. gemeinhin als wachstumsbremsend angesehen und Weder eine auf Marktkonformität abzielende Ideologie wird deshalb nicht eingeführt. Auch strenge ordnungs- (Merkel) noch eine, die Planung und Dirigismus zum rechtliche Vorgaben werden mit dem Verweis auf zu Selbstzweck erklärt, sollte das bestimmende Moment hohe Kosten abgelehnt. Zudem ist das Ziel von kos- bei der Wahl industriepolitischer Instrumente sein. Eine tengetriebenem Umwelt- und Klimaschutz lediglich die demokratische Verständigung über gesellschaftliche Wachstumsfaktoren der Umwelt als Ressourcenquelle Ziele, wie ökologische Nachhaltigkeit, gute Beschäf- und Schadstoffdeponie zu sichern. Eine wirklich ökolo- tigung und soziale Gerechtigkeit sind eine zwingende gisch nachhaltige Industriepolitik darf sich daher nicht Voraussetzung für eine kluge Industriepolitik. auf wettbewerbs- und marktorientierte Instrumente beschränken. Nachfolgend werden die Grundrisse einer linken und damit »transformativen« Industriepolitik skizziert. Dabei Nachhaltige Industriepolitik, die negative externe Ef- werden die Ansätze einer nachhaltigen und auf Investi- fekte mit marktwirtschaftlichen Instrumenten internali- tion und Modernisierung der Produktion ausgerichteten sieren möchte, überträgt der Wissenschaft die Ver- Industriepolitik um das Konzept der wirtschaftsdemo- antwortung technologische Lösungen für die Krise der kratischen Investitionslenkung zur Realisierung von gesellschaftlichen Naturverhältnisse zu finden. Sie folgt gebrauchswertorientierten Konversions- und missionso- damit der zweckrationalen Technikideologie des »So- rientierten Leuchtturmprojekten erweitert. lutionismus«, die besagt, dass jedes Problem mit einer 12
Grundrisse einer linken transformativen Industriepolitik Transformative Industriepolitik: Fördern, Unternehmen steigern und Mitnahmeeffekte eintreten, aber auch fordern müssen sie immer mit ordnungsrechtlichen Vorgaben, wie etwa einem Emissionsreduzierungsgesetz, kom- Unbestreitbar ist: Es müssen Maßnahmen zum Schutz biniert werden. Das schließt eine rückwärtsgewandte des Klimas ergriffen werden, bei Strafe des Ausster- strukturkonservierende Industriepolitik, wie beispiels- bens menschlichen Lebens auf der Erde. Dabei schert weise eine Abwrackprämie für Autos mit Verbrennungs- sich das Klima wenig über eine soziale Ausgewogenheit motoren, aus.3 So können Subventionen auch positive bei den Maßnahmen, die zu seiner Rettung ergriffen externe Effekte, wie Versorgungssicherheit oder Um- werden. Die Kosten des Klimaschutzes dürfen nicht weltschutz, hervorrufen. Staatliche Beihilfen müssen je- ungerecht verteilt werden. Daher ist ein Zieldreieck doch regelmäßig einer Überprüfung unterzogen werden, sinnvoll, das den Anforderungen an ökologische und damit Subventionsspiralen vermieden werden. soziale Nachhaltigkeit sowie gute Beschäftigung glei- chermaßen genügt. Auch Staatsbeteiligungen werden eine Rolle spielen. Wenn Unternehmen nicht das nötige Eigenkapital DIE LINKE. im Bundestag schlägt eine ökosozialistische aufbringen können, um Produktionslinien oder das Perspektive für einen Umbau der Industrie vor. Dabei Geschäftsmodell umzustellen, muss der Staat mit stra- ist in erster Linie die Produktion von Rüstungsgütern, tegischen Beteiligungen in die Unternehmen einsteigen. sinnlosen Verpackungen und übertriebenen Luxusgü- Die entstehenden Erträge durch Kapitalbeteiligungen tern zu vermeiden. Produktlebenszeiten müssen verlän- müssen dem Gemeinwohl zugutekommen und dürfen gert, die Reparatur- und Recyclefähigkeit erhöht sowie nicht von profitorientierten Privatunternehmen abge- geplante Obsoleszenz, also das geplante Kaputtgehen schöpft werden. von Produkten zum Zwecke der Absatzsteigerung, müssen verboten werden. Das alles könnte ordnungs- Dabei darf nicht der Fehler passieren, die Hindernisse rechtlich über eine Erweiterung der Ökodesignrichtlinie der politischen Durchsetzungsfähigkeit zu unterschät- geregelt werden. Neben den Produkten muss allerdings zen. Die bestehenden sozialen Kräfteverhältnisse, die auch der Produktionsprozess selbst nach ökologischen Macht bestimmter Kapitalfraktionen und die hegemo- und sozialen Kriterien umgestellt werden. Alle Produkti- niale Absicherung des Modells deutscher Marktwirt- onsfaktoren und Produktionsmittel (Ressourcen & Ener- schaft muss ausreichend berücksichtig werden, um gie) müssen effizient und umweltschonend eingesetzt eine progressive Industriepolitik zu implementieren (vgl. werden. Dafür braucht es Klimaschutz-in-der-Industrie- Eder/Schneider 2018, S.478). Da der politische Einfluss Gesetz, wie es die Fraktion DIE LINKE. im Bundestag auf die Finanzpolitik von progressiven Akteur:innen, wie (2020) im Aktionsplan Klimagerechtigkeit gefordert hat. NGOs, sozial-ökologischen Parteien und Gewerkschaf- Eine Kreislaufwirtschaft mit zero waste und zero emis- ten dem Einfluss der export- und finanzorientierten Ka- sions muss das Leitbild sein. Einige ökologisch schädli- pitalfraktionen unterlegen ist, muss eine Allianz geformt che Industriebereiche müssen zügig umgebaut, andere werden, die bereit ist, die Durchsetzungsfähigkeit auch zügig verkleinert werden. durch den Kampf um eine gesellschaftliche Hegemonie für eine progressive Industriepolitik, die auf eine tief- Der Schlüssel zur Orientierung der Industrie an sozialen greifende Veränderung der Wirtschaftsstruktur abzielt, und ökologischen Zielen liegt in einer demokratischen zu erreichen. Das IG-Metall-Vorstandsmitglied Hans- Investitionslenkung. Dafür braucht es einen ambitio- Jürgen Urban schlägt dafür eine »sozial-ökologische Re- nierten Policy Mix aus Verordnungen und gesetzlichen formallianz« vor und die US-amerikanische Organizerin Vorgaben sowie Subventionen (Beihilfen). Liegen letzte- Jane McAlevey einen »Generalstab für einen Green New ren klare sozial-ökologische Kriterien zugrunde, können Deal«. DIE LINKE. im Bundestag ist bereit, Teil eines sie eine große Steuerungswirkung entfalten. Subventi- solchen gesellschaftlichen Bündnisses zu sein. onen vermindern als Transferzahlungen des Staates die Kosten der Unternehmen und liefern so ökonomische Handlungsfelder transformativer Anreize zur Verhaltensänderung in die gewünschte Industriepolitik Richtung. Subventionen können in unterschiedlichen Formen gewährt werden: als direkte finanzielle Zu- Ein industriepolitisches sozial-ökologisches Transforma- schüsse, Abschreibungserleichterungen, Abgaben- und tionsprojekt besteht aus einer systemischen Kombi- Steuererleichterungen, zinsvergünstigte Darlehen, nation unterschiedlicher Politikfelder, die gemeinsame Bürgschaften sowie die Bereitstellung von Gütern und gesellschaftliche Ziele verbindet. Es braucht eine Kom- Dienstleistungen zu geringeren Preisen, wie Grundstü- cke oder Beratungen. Besonders Anlagensubventionen 3 Die 2009 als »Umweltprämie« deklarierte Abwrackprämie war ein sind für eine sozial-ökologische Transformation not- konjunkturelles Strohfeuer. Die eingesetzten fünf Milliarden Euro führten wendig. Die Kosten beispielsweise für Anlagen einer nur zu Vorzieheffekten. Die Klimabilanz war ebenfalls schlecht. Schütt wasserstoffbasierten Stahlreduktion sind so teuer, dass und Haas (2020, S.549) machen darauf aufmerksam, dass im Konjunk- nur mittels Subventionen die umweltschutzbedingten turpaket mit der Subventionierung von Plug-in-Hybriden wieder »de facto eine Kaufprämie für Verbrennungsmotoren« verabschiedet wurde. höheren Kosten ausgeglichen werden könnten. Damit Auch die allgemeine Mehrwertsteuersenkung macht sich bei großen Subventionen jedoch nicht einseitig die Gewinne von Anschaffungen, wie einem Automobil, wesentlich stärker bemerkbar, als bei Konsumprodukten. 13
bination von finanziellen Anreizen und Verboten (Pull- entscheidungen beansprucht, müssen widerständige und Push-Faktoren), verbindlicher öffentlicher Kontrolle Praktiken sowie konfliktfreudige Strategien und Bünd- sowie mehr Demokratie in der Wirtschaftspolitik und in niskonstellationen Treiber einer transformativen Indus- den Unternehmen. Die Industrieunternehmen müssen triepolitik werden. Kernelement dieser transformativen industriepolitisch gefördert und gefordert werden. Industriepolitik ist eine wirtschaftsdemokratische Investitionslenkung im Mehrebenensystem. Eine demo- Um Sprunginnovationen und technologische Entde- kratische und der Wirtschaft selbstbewusst gegenüber- ckungen voranzutreiben, sollten Regierungen und tretende Gesellschaft muss sich auch eine schärfere Privatwirtschaft, aber auch Unternehmen untereinan- Intervention in den Markt erlauben. Nachfolgend wird der, kooperieren. Ein Nebeneinander-her-forschen wie auf einige ausgewählte Handlungsfelder transformativer es momentan die Regel ist, führt zu enormer Ressour- Industriepolitik näher eingegangen, die als essentiell für cenverschwendung. Bestimmte Branchen und Sektoren die Bewältigung der sozial-ökologischen Herausforde- sollten besonders durch Regierungen gefördert werden, rungen ausgemacht werden. wobei immer nur Felder und nicht einzelne Unterneh- men herausgepickt werden sollten. Vor allem muss Forschung und Innovation technologischen Lock-In-Situationen, also Pfadabhän- gigkeiten, entgegengewirkt werden. Eine Aufrechterhaltung des gesellschaftlichen Wohl- standes ist ohne industrielle Produktion nicht möglich. Eine reine Fokussierung auf die Steigerung der Wettbe- Auch zum Erhalt der Umwelt und für eine ökologisch werbsfähigkeit wie sie nach wie vor vorherrschend ist nachhaltige Entwicklung ist eine starke Industrie un- (verstanden vor allem als preisliche Wettbewerbsfähig- verzichtbar. Natürlich trägt der Industriesektor zu einer keit, die durch Kostensenkung erhöht werden kann), globalen Klima- und Umweltbelastung bei. Er ist jedoch ist kontraproduktiv. Industriepolitik sollte kein reines auch Teil der Lösung, will man den erreichten Zivilisa- Instrument zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des tionsstand halten. Die für eine Energiewende notwen- eigenen Standortes gegenüber internationaler Konkur- digen Solar- und Windkraftkapazitäten können nur auf renz sein. Ein angebotsorientierter Wettlauf nach unten Basis industrieller Großprojekte erreicht werden. Eine bei Sozial- und Umweltstandards schadet am Ende auf Deindustrialisierung abzielende Politik würde ihrer allen. eigenen Intention zuwiderlaufen. Dann nämlich, wenn Wertschöpfungsprozesse in Länder mit geringeren Wir brauchen eine Globalisierung, die nicht Standards Umweltstandards abwandern und die Emissionen sich nach unten angleicht, sondern eine Angleichung nach dadurch örtlich verlagern, global aber steigen (Carbon oben vorantreibt; eine investive Sozialpolitik, die Leakage). nicht Ex-Post Ungleichheit und Arbeitslosigkeit durch Sozialhilfe auffängt, sondern durch Qualifikation und Forschung und Innovation fällt daher eine Schlüssel- Empowerment den Menschen, die vom Strukturbruch rolle zu: Um den sozial-ökologischen Umbau voran zu betroffen sind, befähigt zu Akteuren des Wandels zu bringen, ist vor allem eine ökologische Modernisierung werden. »Eine an gesellschaftlichen Zielen orientierte der industriellen Technologie und ihrer Produkte von- Industriepolitik trägt zu höheren Einkommen, sozialer nöten. Insbesondere Schlüsseltechnologien, soge- Gleichheit (zwischen Personen und Regionen) und der nannte »Game-Changer-Technologien«, werden ganze Eingrenzung des Klimawandels bei«, so der österreichi- Wirtschaftsbranchen erst erschaffen und zukünftige sche Wirtschaftsforscher Karl Aiginger (2019). Wertschöpfungsprozesse prägen. Die Erforschung dieser Technologien muss gefördert werden. Allerdings Eine im Sinne der sozial-ökologischen Transformation sollte diese Art der fundamentalen Grundlagenfor- wünschenswerte Industriepolitik nutzt horizontale schung nicht durch die Mobilisierung von privatem und sektorale Instrumente, ist nachfrage- und ange- Kapital geschehen. Wie wir gesehen haben, sind solche botsorientiert, zielt auf Kooperation statt Konkurrenz Technologien meistens noch fern der Marktreife und und vereint eine ökologische Modernisierung des private Investitionsanreize reichen nicht aus, um alte Wertschöpfungsprozesses mit selektivem Wachstum. Pfadabhängigkeiten aufzulösen und neue Produktions- Die Instrumente einer transformativen Industriepolitik verfahren einzuleiten. Hier muss öffentliche Förderung zeichnen sich durch einen starken Eingriff in den Markt einspringen und Forschung in bestimmte Schlüs- aus und zielen auf die Bewältigung der sozial-ökologi- seltechnologien direkt finanzieren. Der Staat sollte schen Herausforderungen. Dabei spielen aber auch ei- Forschungsnetzwerke anstoßen und eine Infrastruktur nige Instrumente eine Rolle, die horizontaler und damit bereitstellen, die die Entstehung von positiven Netz- weniger marktverzerrend wirken, wie die Förderung von werkeffekten begünstigt. Eine steuerliche Forschungs- Grundlagenforschung, ökologischer Kaufprämien oder förderung wie sie praktiziert und von liberaler Seite staatliche Eigenkapitalhilfen. Die keynesianisch gepräg- immer wieder gefordert wird, ist hingegen kontrapro- ten Ansätze einer investiven nachhaltigen Industriepo- duktiv. Sie verleitet zu Mitnahmeeffekten bei Unter- litik müssen um wirtschaftsdemokratische Elemente nehmen, die ohnehin schon in der Forschung tätig sind ergänzt werden, um eine sozial gerechte Verteilung der und begünstigt große Unternehmen gegenüber kleinen, Kosten und Gewinne des Umbaus der Wirtschaft zu möglicherweise viel innovativeren. Zudem hat eine rein gewährleisten. Da diese Erweiterung zwangsweise zu steuerliche Forschungsförderung keinerlei Lenkungs- einem Interessenskonflikt mit der Kapitalseite der Un- wirkung. ternehmen führt, die die Hoheit über ihre Investitions- 14
Auch eine inkrementelle, also schrittweise technolo- port, Mobilität, Gesundheit und Arbeit). Vor allem die gische Verbesserung einzelner Produkte und Produk- Beschäftigten und ihre Betriebsräte müssten als »Innovati- tionsschritte, ist anzustreben. Problematisch an einer onstreiber« im Zentrum stehen, findet auch der DGB (2020, auf Modernisierung setzenden Wachstumsstrategie S.4). Eine Studie von Jirjahn und Smith (2017) zeigte, dass sind jedoch Rebound-Effekte, da Effizienzsteigerungen gerade Unternehmen mit Betriebsräten deutlich höhere die Kosten des Umweltverbrauchs senken und da- Produktivitätssteigerungen und ökologische Investitionen durch wiederum höheren Verbrauch anregen können. aufweisen. Regelmäßig findet sich Deutschland und hier Technologiesprünge und Sprunginnovationen müssen gerade die gewerkschaftlich gut organisierten Branchen initiiert, doch auch mit Geduld und einem langen Atem (Auto, Maschinenbau und Chemie) in den Innovationsran- finanziert werden. Sie können nicht erzwungen wer- kings auf einem der vorderen Plätze. Die Mitarbeiterkom- den und auch eine Spur Glück oder Zufall gehört dazu. petenz geht weit über reine »shop-floor-Innovationen«, Die Förderung von Grundlagenforschung reicht jedoch also handwerkliche Verbesserungen oder Fertigungsma- nicht aus, auch die Übertragung der Technologie in eine nagement am Ort der Wertschöpfung, hinaus. Der Erfolg industrielle Massenproduktion und die damit verbundene von technischen Innovationen hängt also auch von ihrer Hochskalierung durch die Errichtung neuer Maschinen, Einbettung in die betrieblichen Prozesse ab. Produktionslinien und Fabriken muss staatlich initiiert und gefördert werden. Dabei muss Industriepolitik eine Expansive Finanzpolitik & De-Investment sektorübergreifende Perspektive einnehmen, auch der mit der Industrie eng verknüpfte Dienstleistungssektor Der Industrieverband BDI (2018) beziffert die notwen- und die gesamte Wertschöpfungskette müssen in den digen zusätzlichen Investitionen für eine ökologische Blick genommen werden.4 Modernisierung der Industrie bis 2050 auf mindestens 1,5 Billionen Euro. Zudem sind massive Investitionen Bei der Forschungsförderung muss vom Staat auch von Bund, Ländern und Kommunen notwendig. Allein eine Prioritätensetzung erfolgen. Eine technologieof- bei den Städten und Gemeinden hat sich in den letzten fene breite Förderung jeglicher Forschung ist einer Jahren ein Investitionsstau von 147 Milliarden Euro wettbewerbsfixierten Industriepolitik zuzuordnen, die angehäuft, so das KfW-Kommunalpanel 2020. weder eine Lenkungswirkung in Richtung sozial-ökologi- scher Transformation entfalten noch den Unternehmen Eine Abkehr vom Dogma der »Schwarzen Null« und eine langfristige ordnungspolitische Planungssicherheit der Schuldenbremse im Grundgesetz und den Landes- geben kann. verfassungen ist daher aus industriepolitischer Sicht dringend geboten. Das gilt besonders in Phasen von Ein wichtiger Kern des deutschen Innovationstypus sind Null- und Negativzinsen, wo der Staat sehr günstig Kre- die betriebliche und Unternehmens-Mitbestimmung sowie dite aufnehmen kann. Die Finanzierung von Zukunftsin- das Tarifvertragssystem. Neben »technischen« stehen vestitionen sollte aus Generationengerechtigkeitsgrün- gleichberechtigt die »sozialen« Innovationen (in Bildung, den über langfristige Kredite, die auch von zukünftigen Arbeitsmarkt, Umwelt und Klimawandel, Energie, Trans- Generationen bezahlt werden, erfolgen. Zudem hat die öffentliche Hand mit einem Nachfragevolumen von 500 Milliarden Euro Marktmacht und kann so die Nachfrage 4 Eder und Schneider (2018, S.485) betonen, dass Industriepolitik auch nach emissionsarmen und effizienteren Produkten und geschlechtersensibel sein muss, da ihre Auswirkungen Männer und Frau- en unterschiedlich betreffen. Zum Beispiel liegt der Anteil von Frauen Gebäuden ankurbeln. Mit dem Vergaberecht hat der unter den Industriebeschäftigten seit 2000 nur bei etwa 33 Prozent. Eine Staat außerdem die Möglichkeit, Tariftreue und grüne progressive Industriepolitik muss daher auch eine Angleichung der Löh- Arbeitsplätze zu begünstigen. ne zwischen den Sektoren fordern, damit auch Arbeitsplätze außerhalb des industriellen Sektors attraktiver werden. 15
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