Für ein Europa - das gemeinsam stärker ist 2019 - IHK
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Für ein Europa – das gemeinsam stärker ist Europapolitische Positionen der IHK-Organisation 2019 2019 GemeinsamEuropaGestalten
Vorwort 2019 werden mit dem Brexit und den Wahlen zum Eu- die keine Selbstverständlichkeit darstellen! Ich sage daher: ropäischen Parlament neue Weichen für unsere Zukunft Bei aller gebotenen Flexibilität in Verhandlungen, die vier gestellt. Die Europäische Union (EU) ist besonders gefor- Grundfreiheiten sind auch aus Sicht der Wirtschaft nicht dert, die richtigen Antworten auf die Fragen der Zeit zu verhandelbar. liefern. Dabei macht es der Handelskonflikt der USA mit der EU und mit China vielleicht deutlicher als je zuvor: Mit unseren Europapolitischen Positionen 2019 zeigen Im neuen globalen Spiel der Kräfte wird kein einzelnes wir Reformbereiche für die EU auf. Die 79 Industrie- und europäisches Land für sich eine große Rolle spielen. Nur Handelskammern und ihre Mitgliedsunternehmen aus gemeinsam als EU können wir auf Augenhöhe agieren allen Teilen Deutschlands haben bei deren Erstellung und weiterhin weltweite Standards setzen und definieren. mitgewirkt. Die Prioritäten für die nächsten Jahre sind Der Binnenmarkt als derzeit größter Wirtschaftsraum der klar: Im Binnenmarkt sind einheitliche Standards sowie Welt ist Voraussetzung dafür, dass wir bei internationalen bürokratische Erleichterungen bei grenzüberschreitenden Wirtschaftsthemen eine prägende Rolle spielen. Ich halte Tätigkeiten der Schlüssel zu einer noch besseren Perfor- ein auf einem starken Binnenmarkt basierendes, mutiges mance europäischer Unternehmen – auch im globalen und geschlossenes Auftreten der EU zur Stärkung unserer Wettbewerb. Geeignete digitale Rahmenbedingungen und Wirtschaft für unabdingbar. hochleistungsfähige Breitbandnetze brauchen die Unter- nehmen, um innovative Produkte und Dienstleistungen Bei den im Mai anstehenden Wahlen zum Europäischen im Zeitalter der Digitalisierung anzubieten. Genauso Parlament gewinnen Prognosen zufolge politische Kräfte sollte der Abbau von Handelshemmnissen zwischen der an Zustimmung, die die Mehrheitsfindung im Europä- EU und Drittstaaten hohe Priorität auf der europäischen ischen Parlament erschweren dürften. Hand in Hand Agenda behalten. gehen damit aktuell weltweit aufkommende protek- tionistische Tendenzen sowie der Brexit. Statt Märkte Es müssen alle Anstrengungen unternommen werden, zu integrieren und neue Potenziale zu schaffen und zu um in der EU durch die noch nicht überwundenen Folgen heben, leiten diese Entwicklungen in die falsche Rich- der Euroschuldenkrise sowie den Zustrom an Menschen tung. Es lohnt daher darauf hinzuweisen, wie wichtig aus ärmeren Regionen der Welt entstandene Fliehkräfte der Binnenmarkt mit seinen offenen Grenzen für unsere gemeinsam zu überwinden. Wenn die EU diese Aufgaben Unternehmen ist. Zu den Errungenschaften gehört die entschlossen und geeint angeht, kann sie Impulsgeber in tägliche Mobilität von Gütern, Dienstleistungen, Men- ihrer Nachbarschaft und der Welt sein. schen und Kapital innerhalb Europas. Errungenschaften, Und dann muss uns für die Zukunft nicht bange sein. Dr. Eric Schweitzer 1
EUROPAPOLITISCHE POSITIONEN DER IHK-ORGANISATION 2019 INHALT Top-Forderungen 3 I. Europa braucht offene Märkte 1. Binnenmarkt: Europas Herzstück verwirklichen, offene Grenzen bewahren 4 2. Digitaler Binnenmarkt: Verlässliche Voraussetzungen für Wirtschaft 4.0 schaffen 6 3. Brexit: Wirtschaftliche Beziehungen mit dem Vereinigten Königreich frühzeitig entwickeln 8 4. International: Freihandel vorantreiben, Barrieren abbauen 10 II. Europa braucht solide Finanzen 5. Wirtschafts- und Währungsunion: Krisenfeste Strukturen schaffen, Staatsschulden und faule Kredite reduzieren 13 6. EU-Haushalt: Umschichten, flexibilisieren, Wettbewerbsfähigkeit steigern 16 7. Steuern: Standortwettbewerb annehmen, Steuern vereinfachen 18 8. Finanzmärkte: Angemessen regulieren, Finanzierung ermöglichen 20 III. Europa braucht Wirtschaftspolitik mit Augenmaß 9. Industrie und Innovation: Innovationskraft Europas stärken 22 10. Mittelstandspolitik: KMU als Basis für Wachstum stärken 24 11. Energie und Klima: Europäischen Energiemarkt vollenden, Klimaschutz international vorantreiben 26 12. Umwelt: Entwicklungserfolge erfordern Augenmaß 28 13. Verkehr und Mobilität: Wettbewerbsfähigkeit steigern, Integration vorantreiben 30 14. Regional- und Strukturpolitik: Förderung auf Wirtschaftswachstum in den Regionen konzentrieren 32 15. Corporate Social Responsibility: Nachhaltiges Wirtschaften unterstützen, Gestaltungsspielräume bewahren 34 16. Beschäftigung und Integration: Erwerbsbeteiligung steigern, Integration unterstützen 36 17. Fachkräftesicherung und Qualifikation: Ausbildungsreife verbessern, berufliche Aus- und Weiterbildung gemeinsam mit der Wirtschaft attraktiv gestalten 38 IV. Europa braucht gute Rechtsetzung 18. Bessere Rechtsetzung: Weniger regulieren, Folgenabschätzung verbessern 40 19. Gesellschaftsrecht: Europa unternehmensfreundlich gestalten 42 20. Verbraucherrecht: Unternehmen entlasten, auf mehr Eigenverantwortung setzen 44 21. Wettbewerbs- und Beihilfenrecht: Wettbewerb stärken, Fairness fördern 46 Impressum 48 2
Top-Forderungen der IHK-Organisation 1 Binnenmarkt vorantreiben, EU als Investitionsstandort fit machen! Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen stärken! 2 Freien Handel stärken! Handelshemmnisse verringern, Bürokratie abbauen! 3 Geeignete digitale Rahmenbedingungen schaffen! Hochleistungsfähige Breitbandnetze – drahtlos und drahtgebunden – in Europa zügig ausbauen! 4 Innovationskraft Europas stärken – zur weltweiten Innovationspitze aufschließen! 5 Europäische Verkehrsinfrastruktur an den wachsenden Bedarf anpassen! Engpässe zügig beseitigen und marode Anlagen sanieren! 6 Krisenfeste Währungsunion schaffen, Staatsschulden und faule Kredite in den Mitgliedstaaten beseitigen! 7 Fachkräfte ausbilden: Ausbildungsreife verbessern, berufliche Aus- und Weiterbildung gemeinsam mit der Wirtschaft attraktiv gestalten! 8 In den Regionen auf Innovationen und Digitalisierung setzen! Kompetenzen der kleinen und mittelständischen Betriebe stärken! 9 Wettbewerbsfähigkeit des Standortes im Blick behalten und Steuern vereinfachen! 10 Neue wirtschaftliche Beziehungen mit dem Vereinigten Königreich frühzeitig entwickeln! 3
EUROPAPOLITISCHE POSITIONEN DER IHK-ORGANISATION 2019 | I. EUROPA BRAUCHT OFFENE MÄRKTE Binnenmarkt: Europas Herzstück verwirklichen, offene Grenzen bewahren Binnenmarkt vorantreiben und mit Augenmaß regulieren Der Binnenmarkt ist das Herzstück Europas und damit tik- und Nachweispflichten eher zu als ab. Vorgaben für eine politische Daueraufgabe. Die Hindernisse werden ge- Dienstleistungserbringer z. B. in Bezug auf Sprachkennt- rade beim „kleinen Grenzverkehr“ eher mehr als weniger. nisse sollten reduziert werden, wo sie nicht aus wichtigen Wichtigste Voraussetzung für die Vollendung des Binnen- Gründen gerechtfertigt sind. Bürokratische Anforderun- markts sind offene Grenzen. Ausnahmsweise notwendige gen müssen wesentlich verringert werden, gerade bei der Grenzkontrollen im Schengen-Raum sollten den grenz Arbeitnehmerentsendung. Gesetzesverstöße sollten durch überschreitenden Verkehr von Unternehmen möglichst die Nutzung bestehender Kontrollrechte bekämpft wer- wenig einschränken. Ziel sollte es sein, Diskriminierungen den, nicht durch neue Gesetze, die grenzüberschreitendes und Beschränkungen für den freien Waren-, Dienstleis- Tätigwerden erheblich erschweren. Bußgelder müssen tungs-, Personen- und Kapitalverkehr abzubauen. Die verhältnismäßig bleiben. Beim Warenverkehr ist wichtig, Anforderungen an die Unternehmen nehmen jedoch dass technische Standards möglichst EU-weit harmoni- insbesondere im Hinblick auf Anzeige-, Melde-, Statis- siert werden, wo dies noch nicht der Fall ist. Top 5 Hindernisse für den Binnenmarkt Komplexe administrative Verfahren 40 43 Unterschiedliche nationale Gesetze 38 43 für Güter/Dienstleistungen Kein Zugang zu Informationen über 36 45 Gesetze und andere Voraussetzungen Unterschiedliche 30 46 vertragliche/rechtliche Praxis Sorgen bzgl. des Begleichens 41 34 von Rechnungen 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 % sehr bedeutend bedeutend Quelle: EUROCHAMBRES 4
Ansprechpartnerinnen im DIHK: Patricia Sarah Stöbener de Mora | stoebener.patricia@dihk.de Annette Karstedt-Meierrieks | karstedt-meierrieks.annette@dihk.de Wettbewerbsverzerrungen durch europaweit einheitliche und konsequente Rechtsanwendung vermeiden Recht ist ein Standortfaktor – in Deutschland wie in muss diese effektiv bekämpft werden. Nur so entsteht der EU. Daher müssen EU-Rechtsvorschriften richtig Vertrauen seitens der Unternehmen in das Rechtssystem und schnell umgesetzt, einheitlich angewendet und vor Ort. Zum Schutz von Investitionen im Binnenmarkt ist konsequent durchgesetzt werden, um gleiche Wettbe- aus Sicht vieler Unternehmen ein zusätzlicher verbind- werbsbedingungen für alle europäischen Unternehmen licher Streitbeilegungsmechanismus notwendig, wenn sicherzustellen. Der Fokus sollte auf der Umsetzung die Investitionsschutzabkommen zwischen den Mitglied- bestehender Rechtsvorschriften liegen, bevor neue staaten künftig wegfallen sollten. Flankierend könnte Regelungsvorschläge vorgelegt werden. Die Grundfrei- die Einrichtung von internationalen Handelskammern heiten einschließlich des Diskriminierungsverbots und des bei den nationalen Zivilgerichten unter Einbindung der Prinzips der gegenseitigen Anerkennung sind ebenso wie unternehmerischen Expertise sinnvoll sein. Hierbei gilt es EU-Verordnungen und Richtlinien durch nationale Stellen nach nationalen Lösungen zu suchen, die sinnvoll in die zu beachten. Hier sind Mitgliedstaaten und EU-Kommis- Verfahrensrechte der Mitgliedstaaten eingebettet werden sion gleichermaßen in der Verantwortung. Die Kommis- können. Das deutsche Recht bietet mit den Kammern für sion sollte Fehler bei der Umsetzung von Unionsrecht Handelssachen bei den Landgerichten insoweit schon im Sinne eines fairen Wettbewerbs konsequent durch heute gute Ansätze, die – an die internationalen Anfor- Vertragsverletzungsverfahren verfolgen. Auch sollte man derungen angepasst und modernisiert – als Best-Practice die Europarechtskenntnisse der nationalen Behörden dienen könnten. und Gerichte weiter verbessern. Wo Korruption besteht, Informationen und Verwaltungsverfahren online zur Verfügung stellen Der Einheitliche Ansprechpartner (EA) sollte europaweit merentsendung sollten einheitliche Meldeportale zu Ver- einheitlich ausgestaltet und beworben werden; Verfahren fügung stehen, die auch auf Englisch ausgefüllt werden müssen vereinfacht werden. Außerdem muss er rechtlich können; sie könnten auch digitale Verfahren zur Über- so ausgestattet sein, dass er alle gründungsrelevanten prüfung von Mindestlöhnen und -arbeitsbedingungen im Prozesse anstoßen und begleiten kann. Der EA sollte jeweiligen Einsatzland vorsehen. Wichtig ist zudem ein ferner die Gewerbeanmeldung durchführen können. Ansprechpartner im Heimatland, der bei der Dienstleis- Das Single Digital Gateway ist ein guter Anfang; in der tungserbringung im Ausland unterstützt. Neben digitalen Zukunft sollten möglichst alle Verwaltungsverfahren, die Lösungen sollte überdies möglichst auch eine schriftliche, beim grenzüberschreitenden Wirtschaften relevant sind, telefonische oder persönliche Verfahrensabwicklung zur online durchgeführt werden können, um so Aufwand und Verfügung stehen. Bürokratiekosten zu reduzieren. Auch für die Arbeitneh- 5
EUROPAPOLITISCHE POSITIONEN DER IHK-ORGANISATION 2019 | I. EUROPA BRAUCHT OFFENE MÄRKTE Digitaler Binnenmarkt: Verlässliche Voraussetzungen für eine wettbewerbsfähige Wirtschaft 4.0 schaffen Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft (Digital Economy and Society Index – DESI) 0,80 0,70 0,60 0,50 0,40 0,30 0,20 0,10 0,00 DK FI SE NL LU BE UK IE EE AT DE MT LT ES PT EU FR SI CZ LV SK HU CY PL HR IT EL BG RO 1 Konnektivität 2 Humankapital 3 Internetnutzung 4 Integration digitaler Technologie 5 Digitale öffentliche Dienstleistungen Quelle: Europäische Kommission 2017 Glasfaser- und 5G-Infrastrukturen flächendeckend voranbringen Ein digitaler Binnenmarkt ist Voraussetzung dafür, dass schaftlichen Ausbau der Netze. Auch sollte die EU mit den Europa international wettbewerbsfähig bleibt – denn Mitgliedstaaten die Förderbedingungen so weiterentwi- nationale Märkte allein sind zu klein, um im globalen ckeln, dass ausschließlich Glasfaser-Infrastrukturen bis in Wettbewerb zu bestehen. Wichtig ist, dass die Politik die Gebäude hinein und die Anbindung von 5G-Standor- richtige Anreize setzt, damit leistungsfähige Hochge- ten gefördert werden. Globale und europäische Harmo- schwindigkeitsnetze – drahtlos und drahtgebunden – nisierungsprozesse zur zügigen Implementierung des zukunftsfähig und flächendeckend zur Verfügung stehen. 5G-Standards sollten vorangetrieben werden. Zu einer Dafür sollten alle Maßnahmen wie z. B. Regulierung, zukunftsfähigen Infrastruktur zählen auch europaweite Frequenzpolitik und finanzielle Förderung konsequent auf Standards für digitale Verwaltungsangebote, die das Effi- ein mittelfristiges Glasfaser-Infrastrukturziel ausgerichtet zienzpotenzial für Wirtschaft und öffentliche Verwaltung werden. Nur wenn die Regulierung Glasfasernetze klar ausschöpfen. favorisiert, fließt mehr privates Kapital in den privatwirt- Sicherheit der Netze und Anwendungen unterstützen IT-Anwendungen sollten ein angemessenes Sicherheitsni- sierung sollten dafür deutlichere Akzente gesetzt werden. veau gewährleisten. Produkte, die IT-Sicherheit mangel- Die Verschlüsselung elektronischer Kommunikation haft implementieren, müssen vermieden werden. Sichere insbesondere von E-Mails sollte verbessert und verein- Cloud-Lösungen sind nur ein Aspekt. Insbesondere im facht werden, beispielsweise durch die Weiterentwicklung Bereich der europäischen und internationalen Standardi- offener Standards. 6
Ansprechpartnerinnen im DIHK: Annette Karstedt-Meierrieks | karstedt-meierrieks.annette@dihk.de Doris Möller | moeller.doris@dihk.de Dr. Katrin Sobania | sobania.katrin@dihk.de Linda van Renssen | vanrenssen.linda@dihk.de Rechtssicherheit für die wirtschaftliche Nutzung von Daten schaffen Bei der Betrachtung des Themas der Datenökonomie auch eine verlässliche Definition von Daten als Rechtsob- stellen sich zahlreiche rechtliche Fragen. Sie müssen zur jekte. Derzeit ist noch nicht absehbar, ob es hierfür neuer Schaffung von Rechtssicherheit für die Unternehmen gesetzlicher Regelungen bedarf. mindestens europaweit beantwortet werden. Dazu gehört EU-Datenschutz-Grundverordnung nachbessern und für KMU anpassen Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) schafft ein und Dokumentationspflichten. Bei der Gesetzgebung einheitliches Datenschutzrecht für Europa. Allerdings der DSGVO werden Anforderungen formuliert, die das zeigt sich bei der Umsetzung, dass die hohen Anfor- Geschäftsmodell („Ware gegen Daten“) vieler Unterneh- derungen an die Unternehmen besonders KMU große men unmöglich machen. Daher muss insbesondere der Schwierigkeiten bereiten. Außerdem stellen sie einen Anwendungsbereich der Verordnung sowohl inhaltlich als hohen finanziellen und bürokratischen Aufwand dar. Bei auch bezüglich der Größe der vom Anwendungsbereich einer Überprüfung der DSGVO sind daher Ausnahmen für erfassten Unternehmen überprüft werden. KMU vorzusehen, insbesondere von den Informations- Wettbewerbs-, Urheber- und Datenschutzrecht den Herausforderungen anpassen Das EU-Urheberrecht muss überarbeitet und stärker Datenschutzrechts durchgesetzt werden. Insbesonde- harmonisiert, das Kartellrecht den neuen digitalen re im Datenverkehr mit den USA müssen europäische Wettbewerbsbedingungen angepasst werden, z. B. indem Datenschutzstandards umgesetzt werden. Voraussetzung Nutzungsrechte an Daten stärker berücksichtigt werden für die Entstehung innovativer Dienste ist, dass allgemein und Haftungsprivilegierungen für Plattformbetreiber gültige Prinzipien für Datenaustausch, -verarbeitung und kritisch hinterfragt werden sollten. Für geschäftliche -archivierung entwickelt werden. Außerdem bedarf es Tätigkeiten innerhalb der EU sollte soweit möglich die mit der Digitalisierung vertraute Richter und Behörden- Geltung des europäischen Wettbewerbs-, Urheber- und personal. „Altes Recht“ auf Anpassungsbedarf an neue Geschäftsmodelle prüfen Digitaler Fortschritt sollte für die Politik Anlass sein, be- Um frühzeitig rechtliche Hürden bei neuer Technologie stehende Regeln z. B. im Rahmen des Produktsicherheits-, identifizieren zu können, sollten Experimentierräume Haftungs- und Wettbewerbsrechts auf den Prüfstand hierfür unterstützt werden. Das Recht der digitalen zu stellen und auf Aktualität und Angemessenheit zu Wirtschaft wird einer der wesentlichen Standortfaktoren untersuchen. Anpassungen werden erforderlich, um der Zukunft. gleiche und faire Wettbewerbsbedingungen herzustellen. 7
EUROPAPOLITISCHE POSITIONEN DER IHK-ORGANISATION 2019 | I. EUROPA BRAUCHT OFFENE MÄRKTE Brexit: Wirtschaftliche Beziehungen mit dem Vereinigten Königreich frühzeitig entwickeln Am 30. März 2019 verlassen die Briten die Europäische reichende Konsequenzen für deutsche Unternehmen, die Union, wodurch das Vereinigte Königreich zu einem in Geschäftsbeziehungen mit dem Vereinigten Königreich Drittstaat wird. Sollte es zu keiner Einigung auf eine stehen. Ein Folgeabkommen für die Zeit nach dem Brexit Anschlusslösung kommen, würde der Handel zwischen sollte zeitnah ausgehandelt werden, um die bestehende Großbritannien und der EU lediglich nach den Regeln der große Unsicherheit für die Wirtschaft zu beseitigen und Welthandelsorganisation WTO erfolgen. Dies hätte weit- die regulatorische Zusammenarbeit zu wahren. Entwicklung der deutschen Exporte: Die Auswirkungen des Brexit sind bereits spürbar China 130 USA Veränderung 2017 ggü. 2016 120 EU +13% 110 +6% UK +4% 100 -2% 90 Q1 Q2 Q3 Q4 Q1 Q2 Q3 Q4 Q1 Q2 Q3 Q4 Q1 Q2 Q3 Q4 2014 2015 2016 2017 Quelle: Destatis Binnenmarkt der Europäischen Union schützen Der EU-Binnenmarkt ist der Motor für Wohlstand und sein. Ansonsten wäre dies ein schlechtes Signal an andere Beschäftigung in Deutschland und Europa. Ihn gilt es zu Mitgliedstaaten, die ebenfalls Ausnahmeregelungen für schützen und weiterzuentwickeln. Laut Unternehmensba- sich beanspruchen. Im Ergebnis wird dies eine Erosion der rometer des DIHK (2017) würden 87 % der Unternehmen Europäischen Union befördern. Gleichzeitig muss man die für den Erhalt des EU-Binnenmarktes auch Einbußen im künftigen wirtschaftlichen Beziehungen der Europäischen Handel mit Großbritannien in Kauf nehmen. Die Ver- Union mit dem Vereinigten Königreich so ausformulieren, handlungen mit dem Vereinigten Königreich dürfen nicht dass die negativen Folgen für die Unternehmen in der dazu führen, dass die Integrität des EU-Binnenmarktes EU-27 (wie z. B. die Einführung von Zöllen und Zollkont- infrage gestellt wird. Die vier Freiheiten des Binnenmark- rollen) so gering wie möglich ausfallen. tes müssen weiterhin untrennbar miteinander verwoben 8
Ansprechpartner im DIHK: Mathias Dubbert | dubbert.mathias@dihk.de Harten Brexit (WTO-Szenario) vermeiden Das für die Wirtschaft schlechteste Szenario wäre ein Sowohl die Europäische Union als auch das Vereinigte sogenannter harter Brexit. Dies hätte u. a. die Erhebung Königreich müssen sich dafür einsetzen, dass es nach von Zöllen sowie einen deutlich erhöhten bürokratischen dem Brexit ein Folgeabkommen gibt, damit für die Unter- Aufwand (Ausfüllen von Zolldokumenten, Erbringen von nehmen die gewachsenen Wirtschaftsbeziehungen auch Ursprungsnachweisen) für die Unternehmen zur Folge. unter veränderten Vorzeichen fortgesetzt werden können. Künftige wirtschaftliche und rechtliche Beziehungen mit dem Vereinigten Königreich zeitnah ausgestalten Mit der Türkei ist die Europäische Union wirtschaftlich der Europäischen Union und dem Vereinigten König- über eine Zollunion verbunden, um den Warenverkehr zu reich als Modell der künftigen Beziehungen angestrebt erleichtern. Auch für das Vereinigte Königreich kann eine werden soll. Ein umfassendes Freihandelsabkommen kann Zollunion mit der EU ein Modell der künftigen wirtschaft- gewährleisten, dass auch nach dem Brexit ein weitge- lichen Zusammenarbeit sein. Für alle mit Großbritannien hend reibungsloser Waren- und Dienstleistungsverkehr Handel treibenden Unternehmen bedarf es auch der zwischen dem Vereinigten Königreich und den EU-Mit- Rechtssicherheit in laufenden und zukünftigen Ge- gliedstaaten möglich ist. Zudem kann ein Freihandelsab- schäftsbeziehungen. Die EU muss alles daransetzen, die kommen dazu beitragen, non-tarifäre Handelshemmnisse bestmögliche Form der engen wirtschaftlichen Partner- zu vermeiden und die regulatorische Zusammenarbeit schaft mit dem Vereinigten Königreich auszuhandeln. zu bewahren. Auch eine Vereinbarung zur Mobilität von Eine Zollunion bietet die Möglichkeit, die Erhebung von Arbeitnehmern ist wichtig. Die EU sollte den Freihandel Zöllen zu vermeiden und die entstehende Zollbürokra- mit dem Vereinigten Königreich auch nach dem Brexit ge- tie für Unternehmen im Rahmen zu halten sowie die währleisten und neue Handelshemmnisse vermeiden. Ein regulatorische Zusammenarbeit zu gewährleisten. Für mittelstandsfreundliches Freihandelsabkommen ist auf- den zu erwartenden Wettbewerb der Rechtssysteme im grund seines wirtschaftlichen Potenzials zu befürworten, Wirtschaftsrecht bedarf es gleicher Bedingungen, etwa wenn die britische Seite eine Zollunion weiterhin ablehnt. bezüglich der Rechtswahl, der Zuständigkeit von Gerich- Die EU sollte ein solches Abkommen unter Berücksichti- ten und der Vollstreckbarkeit von Urteilen, ebenso für den gung der vorgebrachten Bedenken bei anderen Abkom- Schutz des geistigen Eigentums und den Datenverkehr. men transparent verhandeln, damit die Unternehmen Die EU-27 haben als Ziel der Brexit-Verhandlungen sich frühzeitig auf die zukünftigen Handelsbeziehungen vorgegeben, dass ein Freihandelsabkommen zwischen vorbereiten. 9
EUROPAPOLITISCHE POSITIONEN DER IHK-ORGANISATION 2019 | I. EUROPA BRAUCHT OFFENE MÄRKTE International: Freihandel vorantreiben, Barrieren abbauen Protektionismus entgegentreten, Handelsregeln weltweit gestalten Die EU sollte protektionistischen Tendenzen entschlossen sind aufgrund ihres wirtschaftlichen Potenzials und der entgegentreten und die Welthandelsorganisation (WTO) Signalwirkung für die multilaterale Ebene eine sinnvolle noch engagierter unterstützen: Ein multilateraler Ansatz Ergänzung zur WTO. Die EU sollte diese Abkommen unter im Rahmen der WTO ist und bleibt der beste Weg zur Berücksichtigung der vorgebrachten Bedenken und bei weltweiten Öffnung von Märkten und zum Abbau von hoher Transparenz entschlossen weiterverhandeln. Dabei Zöllen und nichttarifären Handelshemmnissen. Hierzu muss auf die Kompatibilität aller Abkommen geachtet sollte die EU die Weiterentwicklung der WTO-Regeln werden. Eine klare Kompetenzverteilung zwischen der EU vorantreiben. Abkommen wie das Trade Facilitation und den Mitgliedstaaten ist hierfür erforderlich. Die EU Agreement (TFA) müssen konsequent angewendet sollte zudem die Marktzugangsstrategie zum Abbau von werden. Zielgerichtete Freihandelsabkommen (wie z. B. nicht-tarifären Handelshemmnissen stärken. mit ASEAN und M ercosur) sowie plurilaterale Abkommen Weltweit freien Handel und globale Regeln stärken Protektionismus und neue Zölle gefährden globale Regeln KMU-Agenda einsetzen. Ein umfassendes EU-Handels- und einen freien Welthandel. Gleichzeitig blockieren die abkommen mit den USA auf Augenhöhe bleibt weiterhin USA jede Neubesetzung der Berufungsinstanz der WTO erstrebenswert. Wichtige Themen wie ein besserer Schiedsstelle (WTO-Appellate Body). Die EU muss sich Zugang zum öffentlichen Beschaffungswesen und die für den Fortbestand der WTO, für die Neubesetzung des Bekämpfung nichttarifärer Handelshemmnisse sollten WTO-Appellate Body und die bereits angestoßene WTO- dabei aufgegriffen werden. Handelsabkommen mittelstandsfreundlich umsetzen Handelsabkommen müssen mittelstandsfreundlich (2017: durchschnittlich 77 %). Ein webbasierter EU-Ur- ausgestaltet sein, etwa durch KMU-Kapitel einfache sprungsrechner ist nötig, gerade um kleine und mittel- Ursprungsregeln und Wahlfreiheit beim Nachweis des ständische Unternehmen bei der Berechnung des präfe- Präferenzursprungs durch eine Warenverkehrsbeschei- renziellen Ursprungs zu unterstützen. Um moderne und nigung oder dem Erwerb eines Zollstatus (REX o. ä.). zukunftssichere Abkommen zu schließen, sollten auch Sie sollten zudem mit tragfähigen Vereinbarungen zu wichtige Themen wie digitaler Handel oder vorteilhafte Themen wie Visaerleichterungen ergänzt werden. Klare Zollregeln für Güter mit hohem Dienstleistungsanteil in Implementierungszeitpläne aller Seiten unter Einbindung die Verhandlungen eingebracht werden. Gleichzeitig dür- von KMU-Vertretern wie dem Kammernetzwerk sind nö- fen Handelsabkommen nicht mit handelsfernen Themen tig. Politisches Ziel sollte eine Nutzungsrate der Freihan- überfrachtet werden. delsabkommen von mindestens 85 % sein 10
Ansprechpartner im DIHK: Klemens Kober | kober.klemens@dihk.de Kevin Heidenreich | heidenreich.kevin@dihk.de Übersicht aller bestehender sowie perspektivischer EU-Freihandelsabkommen 2018 EU und Zollunion Europäischer Wirtschaftsraum In Kraft Ratifizierung ausstehend Verhandlungen laufen Verhandlungen in Planung Verhandlungen zu Investitionsabkommen Abkommen werden modernisiert Quelle: Europäische Kommission Doppelstrukturen in der Außenwirtschaftsförderung vermeiden Neue EU-Strukturen und Instrumente zur Unterstützung ber hinaus gilt: Die EU-Kommission muss das Subsidiari- von KMU bei der Internationalisierung müssen eine tätsprinzip wahren und die nationalen Institutionen der sinnvolle Ergänzung zu den erprobten Instrumenten und Außenwirtschaftsförderung frühzeitig und transparent Institutionen der nationalen Außenwirtschaftsförderung in ihre Vorhaben einbinden. Insbesondere neue Projekte sein. Insbesondere dürfen bereits etablierte Anbieter wie der EU sollten bestehende Strukturen ergänzen und ggf. die Auslandshandelskammern nicht durch mit EU-Förder erweitern, nicht jedoch duplizieren. geldern finanzierte Konkurrenz verdrängt werden. Darü- Unternehmen bei der Ausgestaltung und Umsetzung des EU-Zollrechts nicht überfordern Die Politik darf die aus Sicht der Wirtschaft wichtigsten und den Erfordernissen des Warenhandels orientieren. Ziele des Unionszollkodex (UZK), nämlich zollrechtliche Die von der EU-Kommission erlassenen Zollbestimmun- Verfahrensvereinfachungen zu realisieren und einen gen dürfen nicht zu neuen bürokratischen Hindernissen EU-einheitlichen Rechtsrahmen zu gewährleisten, nicht führen, etwa bei der Neubewertung zollrechtlicher Bewil- aus den Augen verlieren. Die Ausgestaltung und Umset- ligungen oder bei der Hinterlegung von Sicherheiten für zung sollte sich rechtlich, zeitlich und mit Blick auf IT-Fra- mögliche Zollschulden. Die EU-Kommission sollte weitere gen in erster Linie an den Bedürfnissen der Unternehmen praxisnahe Anpassungen vornehmen. 11
EUROPAPOLITISCHE POSITIONEN DER IHK-ORGANISATION 2019 | I. EUROPA BRAUCHT OFFENE MÄRKTE Dual-Use-Exportkontrolle nicht überfrachten Der Schutz von Menschenrechten stellt für die deutsche und Terrorismusbekämpfung stärker in der Dual-Use-Ex- Wirtschaft ein bedeutendes Anliegen dar. Die Politik sollte portkontrolle verankern. Der Verordnungsvorschlag sollte in der Umsetzung grenzüberschreitender Themen über überarbeitet werden, damit Unternehmen nicht bürokra- internationale Ordnungspolitik einen möglichst globalen tisch belastet werden und ihr Exportgeschäft rechtssicher Rahmen setzen. Adressat von Menschenrechten sind durchführen können. Denn bisher gibt es neben hand- vornehmlich die Regierungen in ihrem jeweiligen Ho- habbaren, international abgestimmten Güterlisten eine heitsgebiet. Unternehmen trifft eine Verantwortung, sich Reihe unklarer Rechtsbegriffe im Verordnungsentwurf. an das Regelwerk zu halten. Die EU will Menschenrechte Europa für Investitionen offenhalten Die EU verfügt derzeit über eine der weltweit offensten dass es zu Gegenmaßnahmen anderer Wirtschaftsräume Regelungen zu ausländischen Direktinvestitionen und ist kommt und Auslandsinvestitionen europäischer Unter- Beispielgeber für die Vorteile der internationalen Arbeits- nehmen zukünftig gebremst werden könnten. Staatliche teilung. Eine zu starke Regulierung könnte auf Dauer zu Eingriffe bei Übernahmen sollten generell Ausnahmecha- einem Rückgang ausländischer Investitionen führen und rakter haben. Gleichzeitig sollte sich EU verstärkt dafür damit das deutsche wie das europäische Wirtschafts- einsetzen, dass in Partnerländern Investitionen leicht wachstum beeinträchtigen. Zudem besteht die Gefahr, möglich sind und effektiv geschützt werden. Investitionsschutz nicht aushöhlen Transparentere, schnelle und vor allem kostengünstige gung rechtswidriger Schiedssprüche ist eine Rechtsmit- Investitionsschutzverfahren gerade auch für KMU sind telinstanz effektiver als ein ständiges Investitionsgericht. wichtig. Die EU sollte aber nur Abkommen mit hohem Auch innerhalb der EU ist aus Sicht vieler Unternehmen Schutzniveau abschließen; insbesondere ist der Ver- angesichts der weiterbestehenden Rechtsschutzdefizite in trauensschutz zu gewährleisten. Dabei sind eindeutige einzelnen Mitgliedstaaten neben angemessenen Rechten Regelungen (z. B. bei der Definition von Enteignung) für Investoren ein verbindlicher Streitbeilegungsmecha- notwendig, um eine kohärente Anwendung der Regeln nismus notwendig, der direkt von den Unternehmen und damit die Rechtssicherheit zu stärken. Zur Beseiti- angerufen werden kann. 12
Europapolitische Positionen der IHK-Organisation 2019 | II. Europa braucht solide Finanzen Wirtschafts- und Währungsunion: Krisenfeste Strukturen schaffen, Staatsschulden und faule Kredite reduzieren Staatsverschuldung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) 200 % 180 % 160 % 140 % 120 % 100 % 80 % 60 % 40 % 20 % 0% Griechenland Italien Portugal Belgien Spanien Zypern Frankreich Großbritannien EuroZone EU Österreich Kroatien Ungarn Slowenien Irland Deutschland Finnland Niederlande Slowakei Malta Polen Schweden Lettland Litauen Dänemark Rumänien Tschechien Bulgarien Luxemburg Estland Quelle: Eurostat; Stand: 4. Quartal 2017 Verknüpfung zwischen Staatsschulden und Bankenbilanzen unterbrechen Für die deutsche Wirtschaft ist es von großer Bedeutung, einer weitergehenden Übertragung von Risiken auf die dass fiskal- und wirtschaftspolitisches Handeln und die Gemeinschaft erfolgen. Dies gilt insbesondere für den Haftung für diesbezügliche Entscheidungen auf einer Abbau von notleidenden Krediten (Non-Performing Loans, Ebene liegen. Die Verknüpfung zwischen Risiken im Ban- NPLs). Zudem sollten die Bankenabwicklungsmechanis- kensektor und dem Schuldenstand der öffentlichen Haus- men gestärkt werden, so dass Kreditinstitute zukünftig halte durch von Banken gehaltene Staatsanleihen und öf- nicht mehr in erster Linie auf Kosten von Steuerzahlern fentlichem Druck zur Bankenrettung ist noch immer nicht gerettet werden müssen. Deshalb sollten Kreditinstitute in vollständig durchbrochen. Dies gefährdet die Stabilität ihren Bilanzen auch Staatsanleihen schrittweise risikoge- der Währungsunion und die Finanzierungssituation der recht mit Eigenkapital unterlegen müssen. Damit könnte Wirtschaft. Die Unternehmen brauchen für ihre Investiti- auch eine Finanzierungsbenachteiligung gerade im onsplanung verlässliche Rahmenbedingungen – mögliche Mittelstand reduziert werden. Eurobonds sind hingegen Ansteckungseffekte durch Staats- und Bankeninsolvenzen der falsche Weg, weil sie zu einer gemeinschaftlichen in der Euro-Zone sind jedoch ein Unsicherheitsfaktor. Die Haftung der Eurostaaten für die nationalen Schulden Vollendung der Europäischen Bankenunion ist wichtig, führen. Sovereign Bond Backed Securities (SBBS) führen auch für die Investitionsplanung der Wirtschaft. Der zwar nicht zu einer direkten gemeinschaftlichen Haftung, Abbau von Risiken auf nationaler Ebene muss jedoch vor wegen der zum gegenwärtigen Zeitpunkt bestehenden 13
EUROPAPOLITISCHE POSITIONEN DER IHK-ORGANISATION 2019 | II. EUROPA BRAUCHT SOLIDE FINANZEN Unwägbarkeiten bei der technischen und rechtlichen bei Konsolidierung und Reformen führen. Zusätzlich er- Ausgestaltung ist der Beitrag der SBBS zur Krisenresistenz scheint gegenwärtig eine Privilegierung von SBBS bei der der Währungsunion jedoch unklar. Sollten die unter- Eigenkapitalunterlegung notwendig, um diese überhaupt schiedlichen Zinssätze auf Staatsanleihen zwischen den für private Anleger attraktiv zu machen. Ein derartiger EU-Mitgliedstaaten durch SBBS stärker nivelliert werden, Eingriff in den Markt sollte unterbleiben. Die beschriebene dann könnte dies zu einer Risikoumverteilung zwischen Entprivilegierung von Staatsanleihen ist der künstlichen den Mitgliedstaaten sowie zu möglichen Fehlanreizen Schaffung eines Marktes für SBBS vorzuziehen. Schuldenabbau und Wettbewerbsfähigkeit der Nationalstaaten vorantreiben Ende 2017 lag die durchschnittliche Staatsverschuldung Vergabe von Krediten an EU-Mitgliedstaaten nur gegen in der Eurozone noch immer bei 87 %. Der Abbau von Auflagen wie Haushaltskonsolidierung und Strukturrefor- Schulden und die Umsetzung struktureller Reformen sind, men erfolgen könnten. Die Kredite könnten somit zu einer trotz zum Teil großer Anstrengungen, in den National- langfristigen Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des staaten nur teilweise vollzogen. Um für stabile Rah- betroffenen Landes beitragen. Die Europäische Zentral- menbedingungen für Unternehmen in der Eurozone zu bank hingegen verschafft mit ihrer expansiven Geldpolitik sorgen, sollten die Mitgliedstaaten den Fiskalpakt mit den letztlich nur einen Zeitgewinn und kann die Länder nicht nationalen Schuldenbremsen umsetzen und die Konver- zu Reformen veranlassen. Deshalb sollte der Europäische genzkriterien von Maastricht einhalten. Sinnvoll ist daher Währungsfonds die volkswirtschaftliche Analyse von der Vorschlag der Kommission, die Vergabe von EU-Mit- Krisenstaaten und ihrer Schuldentragfähigkeit vorneh- teln an die Umsetzung von Reformen oder den Abbau men, Rettungsprogramme erstellen, Reformfortschritte von Schulden zu knüpfen, die im Europäischen Semester bewerten und im Zweifel auch wirksame Sanktions- für die wirtschaftspolitische Koordinierung empfohlen mechanismen vorsehen. Dies sollte zum einen Hilfe für werden. Das stärkt nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit Staaten mit Liquiditätsproblemen ermöglichen, aber auch der betroffenen Länder, sondern auch die Absatzmärk- einen geordneten Mechanismus zur Wiederherstellung te für deutsche Unternehmen. Zusätzlich sollte der der Schuldentragfähigkeit für Staaten bereitstellen. Denn Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) zu einem Unklarheiten beim Umgang mit staatlichen Insolvenzen Europäischen Währungsfonds weiterentwickelt werden. führen zu Verunsicherung in der Wirtschaft, insbeson- Dieser sollte über die gleiche Unabhängigkeit wie der ESM dere bei Gläubigern aus der Privatwirtschaft. Dies kann verfügen und weder in das EU-Recht überführt werden, letztlich zu einer Einschränkung der Kreditversorgung von noch zu einer Vergemeinschaftung der gesamten nati- Unternehmen und damit geringeren Investitionen führen. onalen Schulden führen. Das hätte den Vorteil, dass die 14
Ansprechpartner im DIHK: Christopher Gosau | gosau.christopher@dihk.de Wirtschaftspolitische Steuerung durch gestärktes Europäisches Semester erleichtern In der öffentlichen Debatte wird Konvergenz in den werden. Euro-Staaten in einer tiefen Krise könnten letzten Jahren häufig ausschließlich mit zusätzlichen Mittel aus einem solchen Fonds erhalten, der vorher Transfers aus wohlhabenderen in ärmere Mitglied- gemeinsam bestückt wurde. Ziel ist es zu verhindern, staaten verbunden. Zum einen sollte eine Angleichung dass staatliche Investitionen krisenverschärfend der wirtschaftlichen Stärke bereits durch die Transfer- zurückgefahren werden müssen. Zusätzliche Finanz- leistungen im Rahmen der bestehenden Strukturfonds mittel für Investitionen in wachstumsschwachen erfolgen, zum anderen ist die Konvergenz zwischen Ländern können langfristig die gesamte Europäische den Nationalstaaten vor allem durch Strukturrefor- Union und vornehmlich die Währungsunion stabili- men auf nationaler Ebene möglich. Denn diese führen sieren — und somit auch den starken Ländern helfen. zu einer Angleichung hin zu ähnlich wettbewerbsfä- Einen europäischen Finanzminister mit eigenem higeren Strukturen. Das Europäische Semester wurde Eurozonen-Budget bewertet der weit überwiegende zur wirtschaftspolitischen Koordination eingeführt, Teil der deutschen Unternehmen hingegen kritisch. müsste aber gestärkt werden. Sinnvoll wäre es, Zwar könnte ein mit weitreichenden Kompetenzen die Vergabe von EU-Mitteln für Staaten, die die versehener europäischer Finanzminister notwendige Maastricht-Kriterien nicht einhalten, an die Erfüllung Haushaltssanierungen und Wirtschaftsreformen bes- von Konvergenzkriterien und die Umsetzung von Re- ser durchsetzen. Die IHK-Organisation sieht aber die formen zu knüpfen. Außerdem sollten in Zukunft die Gefahr, dass ein Euro-Finanzminister eher zusätzliche Kapazitäten der EU für technische Hilfe ausgeweitet Einnahmen reklamiert und die Gelder vornehmlich zur werden, damit die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung Umverteilung nutzt. Die Kriterien hierfür sind überdies zielgerichteter Reformen unterstützt werden können. noch vollkommen unklar. Am Ende drohen zusätzliche Nach dem Vorbild der USA könnte darüber hinaus ein Steuerbelastungen – auch für die Unternehmen in „Schlechtwetter-Fonds“ (rainy day funds) zum Aus- Deutschland. gleich asymmetrischer Schocks in Betracht gezogen 15
EUROPAPOLITISCHE POSITIONEN DER IHK-ORGANISATION 2019 | II. EUROPA BRAUCHT SOLIDE FINANZEN EU-Haushalt: Umschichten, flexibilisieren, Wettbewerbsfähigkeit steigern Prioritäten neu setzen, privates Kapital beteiligen Die Europäische Union sieht sich aktuell Anforderun- Gesamtausgaben führen. In jedem Fall bietet sich die gen gegenüber, die bislang so noch nicht an sie gestellt Chance, Prioritäten neu zu setzen und Fördergelder auch worden sind: Migrationssteuerung, Integrationsförderung unter Beteiligung privaten Kapitals EU-weit effektiver und der Schutz der EU-Außengrenzen. Jedoch sollte einzusetzen. nicht jeder Aufgabenzuwachs automatisch zu höheren Ausgabenschwerpunkte auf Investitionen und Wachstum setzen Wirtschaftliches Wachstum wird durch EU-Mittel am zunehmende Kontrollen an den Binnengrenzen zu einer ehesten dann unterstützt, wenn mit dem Budget inves- Verteuerung des Waren- und Dienstleistungsverkehrs. tive Schwerpunkte gesetzt werden. Es müssen deshalb Diese Kosten könnten vermindert werden, wenn es der mehr Mittel als von der Kommission vorgeschlagen in EU gelänge, die europäischen Außengrenzen effektiv zu Bildung, Forschung, Innovation, digitale Infrastruktur und schützen. Ein notwendiger erster Schritt besteht zunächst Künstliche Intelligenz fließen. Grenzüberschreitende Pro- darin, die Lebensbedingungen in den Krisenregionen zu jekte verdienen dabei eine bevorzugte Förderung, sofern verbessern. Zur Finanzierung von Maßnahmen, mit denen sie einen Mehrwert für die Union generieren. dies erreicht werden könnte, sind mehr Mittel im Bereich Angesicht der aktuellen Entwicklungen ist unklar, ob die der Entwicklungsaufgaben erforderlich. In allen Ausga- Bereiche Grenzschutz und EU-Nachbarschaftspolitik aus- benbereichen sollte auf die Effizienz der Mittelverwen- reichend finanziert sind. Beide sind wichtige Vorausset- dung eine größere Bedeutung gelegt werden. zung für offene Grenzen im Binnenmarkt. Derzeit führen Effektive Erfolgskontrollen etablieren, Bewilligungsverfahren verkürzen! Die EU-Kommission sollte anhand im Vorhinein defi- größtmöglichen wirtschaftlichen Nutzen für Unterneh- nierter Kriterien überprüfen, welchen Beitrag geförderte men und Bürger einsetzt. Bei jedem Projekt sollte geprüft Projekte zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit leisten. werden, in welchem Umfang privates Kapital einbezogen Die Ergebnisse sollten über die weitere Förderung der wird (z. B. in Form öffentlich-privater Partnerschaften). Projekte entscheiden. Ein effektives Controlling - das sich Eine doppelte Nachweisführung gegenüber verschiede- auch auf Verwaltungskosten erstrecken sollte - muss nen Stellen (Mitgliedstaaten und EU) bzw. eine doppelte sicherstellen, dass man EU-Mittel sparsam und mit dem Prüfung durch verschiedene Stellen gilt es zu vermeiden. 16
Ansprechpartner im DIHK: Malte Weisshaar | weisshaar.malte@dihk.de Mehrjähriger Finanzrahmen 2021–2027 Verpflichtungsermächtigungen, in lfd Preisen, in Mrd. € Binnenmarkt, Innovation und Digitales: 187,4 Nachbarschaft und Welt: 123,0 Forschung und Innovation Auswärtiges Handeln Europäische strategische Investitionen Heranführungshilfe Binnenmarkt Weltraum Europäische öffentliche Verwaltung: 85,3 Europäische öffentliche Verwaltung Migration und Grenzmanagement: 34,9 Natürliche Ressourcen Migration und Umwelt: 378,9 Grenzmanagement Landwirtschaft und Meerespolitik Umwelt- und Klimaschutz Sicherheit und Verteidigung: 27,5 Sicherheit Verteidigung Krisenreaktion Zusammenhalt und Werte 442,4 Regionale Entwicklung und Zusammenhalt Wirtschafts- und Währungsunion In Menschen investieren, sozialer Zusammenhalt und Werte Quelle: Europäische Kommission Kontrollmöglichkeiten verbessern, Einnahmeseite transparenter gestalten Die Einnahmeseite des Haushalts sollte einfach und hingegen weder hinreichend einfach noch transparent. transparent sein und sich an der wirtschaftlichen Leis- Denn die unterschiedlichen Bemessungsgrundlagen der tungsfähigkeit des jeweiligen Mitgliedstaates ausrich- Mitgliedstaaten muss man zunächst zu einer einheit- ten. Am besten geeignet hierzu sind die sogenannten lichen Bemessungsgrundlage konsolidieren, auf deren BNE-Eigenmittel, deren Höhe sich nach der Wirtschafts- Basis man anhand von Zu- oder Abschlägen fiktive kraft jedes einzelnen Staates bemisst. Die EU-Einnahmen MwSt-Einnahmen errechnet. Auf Rabatte zugunsten in Form von Zöllen, Zuckerabgaben und Strafzahlungen einzelner EU-Mitglieder sollte man verzichten. Schließlich an die EU haben sich als Eigenmittel bewährt und sollten müssen die Staaten eingeräumten Rabatte von den Steu- erhalten bleiben. Die Mehrwertsteuer-Eigenmittel sind erzahlern anderer Mitgliedstaaten aufgebracht werden. 17
EUROPAPOLITISCHE POSITIONEN DER IHK-ORGANISATION 2019 | II. EUROPA BRAUCHT SOLIDE FINANZEN Steuern: Standortwettbewerb annehmen, Steuern vereinfachen BEPS-Maßnahmen gegen Steuervermeidung umsetzen - mehr nicht Das EU-Steuerrecht sollte in erster Linie die Verwirklichung Evaluation sie tatsächlich als unentbehrlich ausweist unter des Binnenmarktes unterstützen. Das erfordert wider- Wettbewerbsgesichtspunkten nur international abgestimmt spruchsfreie und einfache Regelungen. Vorrang sollten eingeführt werden. Das gilt zum Beispiel auch für den Maßnahmen haben, die die Wettbewerbsfähigkeit der EU Vorschlag, einer nach Ländern aufgeschlüsselten Veröffent- erhöhen. Steuerbemessungsgrundlagen sollten harmo- lichungspflicht der Unternehmen für steuerlich sensible nisiert, Steuersätze aber weiterhin im Wettbewerb auf Daten (sogenanntes public country-by-country-reporting). nationaler Ebene bestimmt werden. Nationale Sonder- und Es ist unnötig und sogar kontraproduktiv, weil es die zwi- Ausnahmeregelungen sorgen für Intransparenz, setzen schen den Behörden von über 130 Staaten vereinbarte und falsche Anreize und sollten deshalb gemäß den im Rahmen bereits eingeführte Meldepflicht für Steuerdaten gegen- des BEPS-Prozesses eingegangenen Verpflichtungen über den nationalen Finanzverwaltungen verschärft und abgeschafft werden. Neue Pflichten sollten - falls eine den gefundenen Kompromiss sogar wieder gefährdet. EU-Mehrwertsteuersystem muss einfacher und transparenter werden Das EU-Mehrwertsteuersystem ist noch immer durch eine rerhebung einzubeziehen, etwa indem die Steuerschuld Fülle von Ausnahmeregelungen und eine nicht einheitliche auf ihn übergeht. Im B2C-Bereich sollte die „einheitliche Auslegung bestehender Vorschriften durch die Mitglied- Anlaufstelle“ für die Unternehmen die Kommunikation staaten gekennzeichnet. Diese erschweren EU-Unterneh- mit den Steuerverwaltungen der anderen Mitgliedstaaten men nach wie vor eine rechtskonforme Anwendung. Das übernehmen. Die einheitliche Anlaufstelle funktioniert nur „Endgültige EU-Mehrwertsteuersystem“ sollte weniger mit einer laufend aktualisierten und verlässlichen Daten- Optionen vorsehen. Der Katalog der ermäßigt besteuerten bank in allen Amtssprachen der EU. Sie sollte essentielle Waren und Dienstleistungen sollte reduziert und – ohne Informationen über Steuersätze, Ausnahmeregelungen und Belastungserhöhung des jeweiligen nationalen Steuerauf- Verfahrensvorschriften bieten. Zusätzliche Zertifizierungs- kommens – aufkommensneutral einheitlich ausgestaltet verfahren, wie der aktuell von der EU-Kommission vorge- werden. Umsatzsteuerbetrug zu bekämpfen ist ein wich- schlagene „zertifizierte Steuerpflichtige“ (certified taxable tiges Ziel, insbesondere vor dem Hintergrund technischer person, CTP), sollte so ausgestaltet werden, dass sie für Zer- Entwicklungen. Dabei sollte allerdings mit Augenmaß vor- tifizierte das Verfahren deutlich vereinfachen. Dabei sollte gegangen werden, um die ehrlichen Unternehmen nicht zu ein Zertifikat nicht darüber entscheiden, welches materielle sehr zu belasten. Der weitere Übergang zum Bestimmungs- Recht angewendet wird, weil damit der bürokratische landprinzip muss für die Unternehmen möglichst einfach Aufwand gerade für kleinere Unternehmen deutlich erhöht sein. Für grenzüberschreitenden Warenaustausch zwischen würde – ohne einen entsprechenden positiven Beitrag zum Unternehmen heißt das, den Kunden aktiv in die Steue- Funktionieren des Binnenmarkts. Unternehmensteuern – Chancen zur Vereinheitlichung besser nutzen Unternehmer, die über eigene Betriebsstätten grenz sorgen. Darüber hinaus würde sie grenzüberschreitend überschreitend Waren verkaufen oder Dienstleistungen tätige Unternehmen von Bürokratie entlasten und die erbringen, müssen nach wie vor im Extremfall bis zu 27 Rechtssicherheit erhöhen. Bei vollständiger Umsetzung Steuererklärungen abgeben. Die GKKB würde zumindest der GKKB – d. h. einschließlich der grenzüberschreitenden im EU-internen Steuerwettbewerb für mehr Transparenz Verlustverrechnung – würden etliche der im BEPS-Prozess 18
Ansprechpartnerinnen im DIHK: Malte Weisshaar | weisshaar.malte@dihk.de Steuerbelastung von Kapitalgesellschaften Gesamtbelastung von Bundes- und untergeordneten Ebenen 50% 2018 Reduzierung angekündigt 40% 2000 30% 20% 10% 0% FR DE AU JP (Tokio) BE IT CA (Ontario) US (NY) NL ES AT CN SE CH (Zürich) SK RU PL UK CZ IE Quelle: OECD adressierten Probleme gelöst. Dazu gehört zum Beispiel bewerb der Staaten um die Ansiedlung von forschenden die Gewinnabgrenzung für Tochtergesellschaften und Unternehmen. Notwendig sind forschungsfreundliche Betriebsstätten. Die Einführung von Mindeststeuersätzen Rahmenbedingungen und EU-weit einheitliche Standards (bei einheitlichen Bemessungsgrundlagen) sollte unter- zur steuerlichen Förderung von privaten FuE-Ausga- bleiben, weil sie dem Wettbewerbsgedanken widerspricht. ben. Damit erhielten forschende Unternehmen größere Für Unternehmen, die nicht grenzüberschreitend tätig Sicherheit hinsichtlich der Vereinbarkeit der nationalen sind, sollte die GKKB eine Option bleiben. Eine Erwei- Förderung mit dem Beihilfenrecht der EU – ähnlich den terung der bestehenden Betriebsstätten-Definition auf Beihilfeleitlinien für Restrukturierungen oder für Erleich- „digitale Präsenzen“ sollte – falls überhaupt möglich – auf terungen im Bereich Umwelt und Energie. Die Rahmenbe- Ebene der OECD angegangen werden. Eine vorüberge- dingungen sollten dabei auf eine größtmögliche Hebel- hende Einführung einer Äquivalenzsteuer auf digitale Tä- wirkung von zusätzlichen privaten FuE-Ausgaben und tigkeiten sollte nicht vorgenommen werden, weil sich die damit auf hohe positive gesamtwirtschaftliche Effekte Gruppe der „Unternehmen mit digitalen Geschäftsmodel- zielen. Gefördert werden sollten alle Größenklassen von len“ kaum trennscharf abgrenzen lässt. Außerdem würde Unternehmen, um einen maximalen gesamtwirtschaftli- sie bei zahlreichen Unternehmen erhebliche Anpassungs- chen Effekt zu erreichen. Eine schwerpunktmäßige Förde- kosten und laufende Mehrbelastungen verursachen. rung von KMU könnte durch eine degressiv ausgestaltete Der Standortwettbewerb zeigt sich zunehmend als Wett- Steuergutschrift erreicht werden. Schädliche Finanztransaktionssteuer (FTS) nicht weiterverfolgen Die nach wie vor geplante Einführung einer FTS würde Ab- weitreichende Nachteile für die gewerbliche Wirtschaft sicherungsgeschäfte ebenso wie Altersvorsorgeprodukte ergäben. Zur Stabilisierung der weltweiten Finanzmärkte verteuern und damit die gewerbliche Wirtschaft erheblich ist die FTS nicht geeignet – auch, weil sie nur in zehn treffen. Zudem würde sie zu einem Abfluss von Kapital in EU-Mitgliedstaaten eingeführt werden soll und nicht in- nicht oder weniger regulierte Finanzmärkte – innerhalb ternational. Eine zielgenaue Regulierung ist weiterhin das oder außerhalb der EU - führen, woraus sich ebenfalls bessere Instrument zur Stabilisierung von Finanzmärkten. 19
EUROPAPOLITISCHE POSITIONEN DER IHK-ORGANISATION 2019 | II. EUROPA BRAUCHT SOLIDE FINANZEN Finanzmärkte: Angemessen regulieren, Finanzierung ermöglichen Risiken in der Bankenunion wirksam reduzieren Als drittes Element der Bankenunion ist ein Europäi- gliedstaats entstanden sind. Die Weiterentwicklung muss sches System der Einlagensicherung (European Deposit daher eine geregelte Risikovorsorge sowohl für beste- Insurance Scheme, EDIS) vorgesehen. Eine glaubwürdige hende als auch zukünftige Problemkredite einschließen. Einlagensicherung stützt die Finanzierungsbedingungen Bereits gemeinsame Standards auf Basis der Einlagensi- der Unternehmen in krisenartigen Situationen. EDIS wird cherungsrichtlinie (Deposit Guarantee Schemes Directive, jedoch Fehlanreize schaffen, weil Haftung und Kontrol- DGSD) sorgen für eine effektive Risikominderung. Daran le a useinanderfallen, und es wird zudem vorhandene anschließend könnte insbesondere ein Verbund mitglied- Risiken – z. B. aus Problemkrediten – umverteilen. Eine staatlicher Einlagensicherungssysteme helfen, einem voraussetzungslose Vergemeinschaftung der Einlagen- Einlagenabzug verunsicherter Sparer in einzelnen Mit- sicherungssysteme im Zuge der Weiterentwicklung der gliedstaaten entgegenzuwirken und so eine Bankenunion Bankenunion führt unmittelbar zu einer Umverteilung ohne Fehlanreize zulasten des Finanzierungszugangs der von Risiken, die in alleiniger Verantwortung eines Mit- Wirtschaft zu schaffen. Volumen und Anteil der Problemkredite an allen Krediten (in %) Volumen Anteile an allen Krediten in Mrd. Euro in % Griechenland 46,6 Zypern 34,0 Portugal 18,1 Slowenien 13,6 Italien 11,9 Österreich 4,2 Frankreich 3,2 Deutschland 2,0 gesamt: 759,1 Mrd. Euro Durchschnitt: 5,2 % Quelle: Europäische Zentralbank 20
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