Für ein Europa - das gemeinsam stärker ist 2019 - IHK

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Für ein Europa - das gemeinsam stärker ist 2019 - IHK
Für ein Europa – das
gemeinsam stärker ist
Europapolitische Positionen der IHK-Organisation 2019

                                             2019

                                         GemeinsamEuropaGestalten
Für ein Europa - das gemeinsam stärker ist 2019 - IHK
Für ein Europa - das gemeinsam stärker ist 2019 - IHK
Vorwort

2019 werden mit dem Brexit und den Wahlen zum Eu-            die keine Selbstverständlichkeit darstellen! Ich sage daher:
ropäischen Parlament neue Weichen für unsere Zukunft         Bei aller gebotenen Flexibilität in Verhandlungen, die vier
gestellt. Die Europäische Union (EU) ist besonders gefor-    Grundfreiheiten sind auch aus Sicht der Wirtschaft nicht
dert, die richtigen Antworten auf die Fragen der Zeit zu     verhandelbar.
liefern. Dabei macht es der Handelskonflikt der USA mit
der EU und mit China vielleicht deutlicher als je zuvor:     Mit unseren Europapolitischen Positionen 2019 zeigen
Im neuen globalen Spiel der Kräfte wird kein einzelnes       wir Reformbereiche für die EU auf. Die 79 Industrie- und
europäisches Land für sich eine große Rolle spielen. Nur     Handelskammern und ihre Mitgliedsunternehmen aus
gemeinsam als EU können wir auf Augenhöhe agieren            allen Teilen Deutschlands haben bei deren Erstellung
und weiterhin weltweite Standards setzen und definieren.     mitgewirkt. Die Prioritäten für die nächsten Jahre sind
Der Binnenmarkt als derzeit größter Wirtschaftsraum der      klar: Im Binnenmarkt sind einheitliche Standards sowie
Welt ist Voraussetzung dafür, dass wir bei internationalen   bürokratische Erleichterungen bei grenzüberschreitenden
Wirtschaftsthemen eine prägende Rolle spielen. Ich halte     Tätigkeiten der Schlüssel zu einer noch besseren Perfor-
ein auf einem starken Binnenmarkt basierendes, mutiges       mance europäischer Unternehmen – auch im globalen
und geschlossenes Auftreten der EU zur Stärkung unserer      Wettbewerb. Geeignete digitale Rahmenbedingungen und
Wirtschaft für unabdingbar.                                  hochleistungsfähige Breitbandnetze brauchen die Unter-
                                                             nehmen, um innovative Produkte und Dienstleistungen
Bei den im Mai anstehenden Wahlen zum Europäischen           im Zeitalter der Digitalisierung anzubieten. Genauso
Parlament gewinnen Prognosen zufolge politische Kräfte       sollte der Abbau von Handelshemmnissen zwischen der
an Zustimmung, die die Mehrheitsfindung im Europä-           EU und Drittstaaten hohe Priorität auf der europäischen
ischen Parlament erschweren dürften. Hand in Hand            Agenda behalten.
gehen damit aktuell weltweit aufkommende protek-
tionistische Tendenzen sowie der Brexit. Statt Märkte        Es müssen alle Anstrengungen unternommen werden,
zu integrieren und neue Potenziale zu schaffen und zu        um in der EU durch die noch nicht überwundenen Folgen
heben, leiten diese Entwicklungen in die falsche Rich-       der Euroschuldenkrise sowie den Zustrom an Menschen
tung. Es lohnt daher darauf hinzuweisen, wie wichtig         aus ärmeren Regionen der Welt entstandene Fliehkräfte
der Binnenmarkt mit seinen offenen Grenzen für unsere        gemeinsam zu überwinden. Wenn die EU diese Aufgaben
Unternehmen ist. Zu den Errungenschaften gehört die          entschlossen und geeint angeht, kann sie Impulsgeber in
tägliche Mobilität von Gütern, Dienstleistungen, Men-        ihrer Nachbarschaft und der Welt sein.
schen und Kapital innerhalb Europas. Errungenschaften,       Und dann muss uns für die Zukunft nicht bange sein.

                                                             Dr. Eric Schweitzer

                                                                                                                            1
Für ein Europa - das gemeinsam stärker ist 2019 - IHK
EUROPAPOLITISCHE POSITIONEN DER IHK-ORGANISATION 2019

    INHALT

           Top-Forderungen                                                                             3
    I.     Europa braucht offene Märkte
    1.     Binnenmarkt: Europas Herzstück verwirklichen, offene Grenzen bewahren                       4
    2.     Digitaler Binnenmarkt: Verlässliche Voraussetzungen für Wirtschaft 4.0 schaffen             6
    3.     Brexit: Wirtschaftliche Beziehungen mit dem Vereinigten Königreich frühzeitig entwickeln    8
    4.     International: Freihandel vorantreiben, Barrieren abbauen                                  10

    II.    Europa braucht solide Finanzen
    5.     Wirtschafts- und Währungsunion: Krisenfeste Strukturen schaffen,
           Staatsschulden und faule Kredite reduzieren                                                13
    6.     EU-Haushalt: Umschichten, flexibilisieren, Wettbewerbsfähigkeit steigern                   16
    7.     Steuern: Standortwettbewerb annehmen, Steuern vereinfachen                                 18
    8.     Finanzmärkte: Angemessen regulieren, Finanzierung ermöglichen                              20

    III.   Europa braucht Wirtschaftspolitik mit Augenmaß
    9.     Industrie und Innovation: Innovationskraft Europas stärken                                 22
    10. Mittelstandspolitik: KMU als Basis für Wachstum stärken                                       24
    11. Energie und Klima: Europäischen Energiemarkt vollenden,
        Klimaschutz international vorantreiben                                                        26
    12. Umwelt: Entwicklungserfolge erfordern Augenmaß                                                28
    13. Verkehr und Mobilität: Wettbewerbsfähigkeit steigern, Integration vorantreiben                30
    14. Regional- und Strukturpolitik: Förderung auf Wirtschaftswachstum
        in den Regionen konzentrieren                                                                 32
    15. Corporate Social Responsibility: Nachhaltiges Wirtschaften unterstützen,
        Gestaltungsspielräume bewahren                                                                34
    16. Beschäftigung und Integration: Erwerbsbeteiligung steigern, Integration unterstützen          36
    17. Fachkräftesicherung und Qualifikation: Ausbildungsreife verbessern, berufliche
        Aus- und Weiterbildung gemeinsam mit der Wirtschaft attraktiv gestalten                       38

    IV. Europa braucht gute Rechtsetzung
    18. Bessere Rechtsetzung: Weniger regulieren, Folgenabschätzung verbessern                        40
    19. Gesellschaftsrecht: Europa unternehmensfreundlich gestalten                                   42
    20. Verbraucherrecht: Unternehmen entlasten, auf mehr Eigenverantwortung setzen                   44
    21. Wettbewerbs- und Beihilfenrecht: Wettbewerb stärken, Fairness fördern                         46
           Impressum                                                                                  48

2
Top-Forderungen der IHK-Organisation

 1   Binnenmarkt vorantreiben, EU als Investitionsstandort fit machen!
     Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen stärken!

 2   Freien Handel stärken! Handelshemmnisse verringern,
     Bürokratie abbauen!

 3   Geeignete digitale Rahmenbedingungen schaffen!
     Hochleistungsfähige Breitbandnetze – drahtlos und drahtgebunden –
     in Europa zügig ausbauen!

 4   Innovationskraft Europas stärken – zur weltweiten Innovationspitze
     aufschließen!

 5   Europäische Verkehrsinfrastruktur an den wachsenden Bedarf anpassen!
     Engpässe zügig beseitigen und marode Anlagen sanieren!

 6   Krisenfeste Währungsunion schaffen, Staatsschulden und faule Kredite
     in den Mitgliedstaaten beseitigen!

 7   Fachkräfte ausbilden: Ausbildungsreife verbessern, berufliche Aus-
     und Weiterbildung gemeinsam mit der Wirtschaft attraktiv gestalten!

 8   In den Regionen auf Innovationen und Digitalisierung setzen!
     Kompetenzen der kleinen und mittelständischen Betriebe stärken!

 9   Wettbewerbsfähigkeit des Standortes im Blick behalten und Steuern
     vereinfachen!

10   Neue wirtschaftliche Beziehungen mit dem Vereinigten Königreich
     frühzeitig entwickeln!

                                                                            3
EUROPAPOLITISCHE POSITIONEN DER IHK-ORGANISATION 2019 | I. EUROPA BRAUCHT OFFENE MÄRKTE

    Binnenmarkt: Europas Herzstück verwirklichen,
    offene Grenzen bewahren
    Binnenmarkt vorantreiben und mit Augenmaß regulieren

    Der Binnenmarkt ist das Herzstück Europas und damit                 tik- und Nachweispflichten eher zu als ab. Vorgaben für
    eine politische Daueraufgabe. Die Hindernisse werden ge-            Dienstleistungserbringer z. B. in Bezug auf Sprachkennt-
    rade beim „kleinen Grenzverkehr“ eher mehr als weniger.             nisse sollten reduziert werden, wo sie nicht aus wichtigen
    Wichtigste Voraussetzung für die Vollendung des Binnen-             Gründen gerechtfertigt sind. Bürokratische Anforderun-
    markts sind offene Grenzen. Ausnahmsweise notwendige                gen müssen wesentlich verringert werden, gerade bei der
    Grenzkontrollen im Schengen-Raum sollten den grenz­                 Arbeitnehmerentsendung. Gesetzesverstöße sollten durch
    überschreitenden Verkehr von Unternehmen möglichst                  die Nutzung bestehender Kontrollrechte bekämpft wer-
    wenig einschränken. Ziel sollte es sein, Diskriminierungen          den, nicht durch neue Gesetze, die grenzüberschreitendes
    und Beschränkungen für den freien Waren-, Dienstleis-               Tätigwerden erheblich erschweren. Bußgelder müssen
    tungs-, Personen- und Kapitalverkehr abzubauen. Die                 verhältnismäßig bleiben. Beim Warenverkehr ist wichtig,
    Anforderungen an die Unternehmen nehmen jedoch                      dass technische Standards möglichst EU-weit harmoni-
    insbesondere im Hinblick auf Anzeige-, Melde-, Statis-              siert werden, wo dies noch nicht der Fall ist.

      Top 5 Hindernisse für den Binnenmarkt

        Komplexe administrative Verfahren                     40                               43

        Unterschiedliche nationale Gesetze
                                                             38                            43
                für Güter/Dienstleistungen

       Kein Zugang zu Informationen über
                                                             36                           45
      Gesetze und andere Voraussetzungen

                           Unterschiedliche
                                                        30                           46
              vertragliche/rechtliche Praxis

              Sorgen bzgl. des Begleichens
                                                              41                          34
                          von Rechnungen

                                               0   10         20   30       40     50       60        70     80      90      %

                                                    sehr bedeutend                        bedeutend

                                                                                                           Quelle: EUROCHAMBRES

4
Ansprechpartnerinnen im DIHK:   Patricia Sarah Stöbener de Mora | stoebener.patricia@dihk.de
                                                                Annette Karstedt-Meierrieks | karstedt-meierrieks.annette@dihk.de

Wettbewerbsverzerrungen durch europaweit einheitliche und konsequente
Rechtsanwendung vermeiden

Recht ist ein Standortfaktor – in Deutschland wie in            muss diese effektiv bekämpft werden. Nur so entsteht
der EU. Daher müssen EU-Rechtsvorschriften richtig              Vertrauen seitens der Unternehmen in das Rechtssystem
und schnell umgesetzt, einheitlich angewendet und               vor Ort. Zum Schutz von Investitionen im Binnenmarkt ist
konsequent durchgesetzt werden, um gleiche Wettbe-              aus Sicht vieler Unternehmen ein zusätzlicher verbind-
werbsbedingungen für alle europäischen Unternehmen              licher Streitbeilegungsmechanismus notwendig, wenn
sicherzustellen. Der Fokus sollte auf der Umsetzung             die Investitionsschutzabkommen zwischen den Mitglied-
bestehender Rechtsvorschriften liegen, bevor neue               staaten künftig wegfallen sollten. Flankierend könnte
Regelungsvorschläge vorgelegt werden. Die Grundfrei-            die Einrichtung von internationalen Handelskammern
heiten einschließlich des Diskriminierungsverbots und des       bei den nationalen Zivilgerichten unter Einbindung der
Prinzips der gegenseitigen Anerkennung sind ebenso wie          unternehmerischen Expertise sinnvoll sein. Hierbei gilt es
EU-Verordnungen und Richtlinien durch nationale Stellen         nach nationalen Lösungen zu suchen, die sinnvoll in die
zu beachten. Hier sind Mitgliedstaaten und EU-Kommis-           Verfahrensrechte der Mitgliedstaaten eingebettet werden
sion gleichermaßen in der Verantwortung. Die Kommis-            können. Das deutsche Recht bietet mit den Kammern für
sion sollte Fehler bei der Umsetzung von Unionsrecht            Handelssachen bei den Landgerichten insoweit schon
im Sinne eines fairen Wettbewerbs konsequent durch              heute gute Ansätze, die – an die internationalen Anfor-
Vertragsverletzungsverfahren verfolgen. Auch sollte man         derungen angepasst und modernisiert – als Best-Practice
die Europarechtskenntnisse der nationalen Behörden              dienen könnten.
und Gerichte weiter verbessern. Wo Korruption besteht,

Informationen und Verwaltungsverfahren online zur Verfügung stellen

Der Einheitliche Ansprechpartner (EA) sollte europaweit         merentsendung sollten einheitliche Meldeportale zu Ver-
einheitlich ausgestaltet und beworben werden; Verfahren         fügung stehen, die auch auf Englisch ausgefüllt werden
müssen vereinfacht werden. Außerdem muss er rechtlich           können; sie könnten auch digitale Verfahren zur Über-
so ausgestattet sein, dass er alle gründungsrelevanten          prüfung von Mindestlöhnen und -arbeitsbedingungen im
Prozesse anstoßen und begleiten kann. Der EA sollte             jeweiligen Einsatzland vorsehen. Wichtig ist zudem ein
ferner die Gewerbeanmeldung durchführen können.                 Ansprechpartner im Heimatland, der bei der Dienstleis-
Das Single Digital Gateway ist ein guter Anfang; in der         tungserbringung im Ausland unterstützt. Neben digitalen
Zukunft sollten möglichst alle Verwaltungsverfahren, die        Lösungen sollte überdies möglichst auch eine schriftliche,
beim grenzüberschreitenden Wirtschaften relevant sind,          telefonische oder persönliche Verfahrensabwicklung zur
online durchgeführt werden können, um so Aufwand und            Verfügung stehen.
Bürokratiekosten zu reduzieren. Auch für die Arbeitneh-

                                                                                                                                    5
EUROPAPOLITISCHE POSITIONEN DER IHK-ORGANISATION 2019 | I. EUROPA BRAUCHT OFFENE MÄRKTE

    Digitaler Binnenmarkt:
    Verlässliche Voraussetzungen für eine
    wett­bewerbsfähige Wirtschaft 4.0 schaffen
             Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft (Digital Economy and Society Index – DESI)
      0,80

      0,70

      0,60

      0,50

      0,40

      0,30

      0,20

      0,10

      0,00
             DK FI SE NL LU BE UK IE EE AT DE MT LT ES PT EU FR SI CZ LV SK HU CY PL HR IT EL BG RO

                1 Konnektivität      2 Humankapital   3 Internetnutzung
                4 Integration digitaler Technologie   5 Digitale öffentliche Dienstleistungen
                                                                                                        Quelle: Europäische Kommission 2017

    Glasfaser- und 5G-Infrastrukturen flächendeckend voranbringen

    Ein digitaler Binnenmarkt ist Voraussetzung dafür, dass                    schaftlichen Ausbau der Netze. Auch sollte die EU mit den
    Europa international wettbewerbsfähig bleibt – denn                        Mitgliedstaaten die Förderbedingungen so weiterentwi-
    nationale Märkte allein sind zu klein, um im globalen                      ckeln, dass ausschließlich Glasfaser-Infrastrukturen bis in
    Wettbewerb zu bestehen. Wichtig ist, dass die Politik                      die Gebäude hinein und die Anbindung von 5G-Standor-
    richtige Anreize setzt, damit leistungsfähige Hochge-                      ten gefördert werden. Globale und europäische Harmo-
    schwindigkeitsnetze – drahtlos und drahtgebunden –                         nisierungsprozesse zur zügigen Implementierung des
    zukunftsfähig und flächendeckend zur Verfügung stehen.                     5G-Standards sollten vorangetrieben werden. Zu einer
    Dafür sollten alle Maßnahmen wie z. B. Regulierung,                        zukunftsfähigen Infrastruktur zählen auch europaweite
    Frequenzpolitik und finanzielle Förderung konsequent auf                   Standards für digitale Verwaltungsangebote, die das Effi-
    ein mittelfristiges Glasfaser-Infrastrukturziel ausgerichtet               zienzpotenzial für Wirtschaft und öffentliche Verwaltung
    werden. Nur wenn die Regulierung Glasfasernetze klar                       ausschöpfen.
    favorisiert, fließt mehr privates Kapital in den privatwirt-

    Sicherheit der Netze und Anwendungen unterstützen

    IT-Anwendungen sollten ein angemessenes Sicherheitsni-                     sierung sollten dafür deutlichere Akzente gesetzt werden.
    veau gewährleisten. Produkte, die IT-Sicherheit mangel-                    Die Verschlüsselung elektronischer Kommunikation
    haft implementieren, müssen vermieden werden. Sichere                      insbesondere von E-Mails sollte verbessert und verein-
    Cloud-Lösungen sind nur ein Aspekt. Insbesondere im                        facht werden, beispielsweise durch die Weiterentwicklung
    Bereich der europäischen und internationalen Standardi-                    offener Standards.

6
Ansprechpartnerinnen im DIHK:   Annette Karstedt-Meierrieks | karstedt-meierrieks.annette@dihk.de
                                                                  Doris Möller | moeller.doris@dihk.de
                                                                  Dr. Katrin Sobania | sobania.katrin@dihk.de
                                                                  Linda van Renssen | vanrenssen.linda@dihk.de

Rechtssicherheit für die wirtschaftliche Nutzung von Daten schaffen

Bei der Betrachtung des Themas der Datenökonomie                  auch eine verlässliche Definition von Daten als Rechtsob-
stellen sich zahlreiche rechtliche Fragen. Sie müssen zur         jekte. Derzeit ist noch nicht absehbar, ob es hierfür neuer
Schaffung von Rechtssicherheit für die Unternehmen                gesetzlicher Regelungen bedarf.
mindestens europaweit beantwortet werden. Dazu gehört

EU-Datenschutz-Grundverordnung nachbessern und für KMU anpassen

Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) schafft ein               und Dokumentationspflichten. Bei der Gesetzgebung
einheitliches Datenschutzrecht für Europa. Allerdings             der DSGVO werden Anforderungen formuliert, die das
zeigt sich bei der Umsetzung, dass die hohen Anfor-               Geschäftsmodell („Ware gegen Daten“) vieler Unterneh-
derungen an die Unternehmen besonders KMU große                   men unmöglich machen. Daher muss insbesondere der
Schwierigkeiten bereiten. Außerdem stellen sie einen              Anwendungsbereich der Verordnung sowohl inhaltlich als
hohen finanziellen und bürokratischen Aufwand dar. Bei            auch bezüglich der Größe der vom Anwendungsbereich
einer Überprüfung der DSGVO sind daher Ausnahmen für              erfassten Unternehmen überprüft werden.
KMU vorzusehen, insbesondere von den Informations-

Wettbewerbs-, Urheber- und Datenschutzrecht den Herausforderungen anpassen

Das EU-Urheberrecht muss überarbeitet und stärker                 Datenschutzrechts durchgesetzt werden. Insbesonde-
harmonisiert, das Kartellrecht den neuen digitalen                re im Datenverkehr mit den USA müssen europäische
Wettbewerbsbedingungen angepasst werden, z. B. indem              Datenschutzstandards umgesetzt werden. Voraussetzung
Nutzungsrechte an Daten stärker berücksichtigt werden             für die Entstehung innovativer Dienste ist, dass allgemein
und Haftungsprivilegierungen für Plattformbetreiber               gültige Prinzipien für Datenaustausch, -verarbeitung und
kritisch hinterfragt werden sollten. Für geschäftliche            -archivierung entwickelt werden. Außerdem bedarf es
Tätigkeiten innerhalb der EU sollte soweit möglich die            mit der Digitalisierung vertraute Richter und Behörden-
Geltung des europäischen Wettbewerbs-, Urheber- und               personal.

„Altes Recht“ auf Anpassungsbedarf an neue Geschäftsmodelle prüfen

Digitaler Fortschritt sollte für die Politik Anlass sein, be-     Um frühzeitig rechtliche Hürden bei neuer Technologie
stehende Regeln z. B. im Rahmen des Produktsicherheits-,          identifizieren zu können, sollten Experimentierräume
Haftungs- und Wettbewerbsrechts auf den Prüfstand                 hierfür unterstützt werden. Das Recht der digitalen
zu stellen und auf Aktualität und Angemessenheit zu               Wirtschaft wird einer der wesentlichen Standortfaktoren
untersuchen. Anpassungen werden erforderlich, um                  der Zukunft.
gleiche und faire Wettbewerbsbedingungen herzustellen.

                                                                                                                                      7
EUROPAPOLITISCHE POSITIONEN DER IHK-ORGANISATION 2019 | I. EUROPA BRAUCHT OFFENE MÄRKTE

    Brexit: Wirtschaftliche Beziehungen mit dem
    Vereinigten Königreich frühzeitig entwickeln
    Am 30. März 2019 verlassen die Briten die Europäische              reichende Konsequenzen für deutsche Unternehmen, die
    Union, wodurch das Vereinigte Königreich zu einem                  in Geschäftsbeziehungen mit dem Vereinigten Königreich
    Drittstaat wird. Sollte es zu keiner Einigung auf eine             stehen. Ein Folgeabkommen für die Zeit nach dem Brexit
    Anschlusslösung kommen, würde der Handel zwischen                  sollte zeitnah ausgehandelt werden, um die bestehende
    Großbritannien und der EU lediglich nach den Regeln der            große Unsicherheit für die Wirtschaft zu beseitigen und
    Welthandelsorganisation WTO erfolgen. Dies hätte weit-             die regulatorische Zusammenarbeit zu wahren.

            Entwicklung der deutschen Exporte: Die Auswirkungen des Brexit sind bereits spürbar

                                                                                               China
     130
                                                                                               USA        Veränderung
                                                                                                        2017 ggü. 2016
     120
                                                                                               EU                   +13%

      110                                                                                                             +6%

                                                                                               UK
                                                                                                                      +4%
     100
                                                                                                                       -2%

       90
             Q1     Q2   Q3   Q4   Q1   Q2   Q3   Q4   Q1   Q2   Q3   Q4   Q1   Q2   Q3   Q4
             2014                  2015                2016                2017
                                                                                                              Quelle: Destatis

    Binnenmarkt der Europäischen Union schützen

    Der EU-Binnenmarkt ist der Motor für Wohlstand und                 sein. Ansonsten wäre dies ein schlechtes Signal an andere
    Beschäftigung in Deutschland und Europa. Ihn gilt es zu            Mitgliedstaaten, die ebenfalls Ausnahmeregelungen für
    schützen und weiterzuentwickeln. Laut Unternehmensba-              sich beanspruchen. Im Ergebnis wird dies eine Erosion der
    rometer des DIHK (2017) würden 87 % der Unternehmen                Europäischen Union befördern. Gleichzeitig muss man die
    für den Erhalt des EU-Binnenmarktes auch Einbußen im               künftigen wirtschaftlichen Beziehungen der Europäischen
    Handel mit Großbritannien in Kauf nehmen. Die Ver-                 Union mit dem Vereinigten Königreich so ausformulieren,
    handlungen mit dem Vereinigten Königreich dürfen nicht             dass die negativen Folgen für die Unternehmen in der
    dazu führen, dass die Integrität des EU-Binnenmarktes              EU-27 (wie z. B. die Einführung von Zöllen und Zollkont-
    infrage gestellt wird. Die vier Freiheiten des Binnenmark-         rollen) so gering wie möglich ausfallen.
    tes müssen weiterhin untrennbar miteinander verwoben

8
Ansprechpartner im DIHK:   Mathias Dubbert | dubbert.mathias@dihk.de

Harten Brexit (WTO-Szenario) vermeiden

Das für die Wirtschaft schlechteste Szenario wäre ein            Sowohl die Europäische Union als auch das Vereinigte
sogenannter harter Brexit. Dies hätte u. a. die Erhebung         Königreich müssen sich dafür einsetzen, dass es nach
von Zöllen sowie einen deutlich erhöhten bürokratischen          dem Brexit ein Folgeabkommen gibt, damit für die Unter-
Aufwand (Ausfüllen von Zolldokumenten, Erbringen von             nehmen die gewachsenen Wirtschaftsbeziehungen auch
Ursprungsnachweisen) für die Unternehmen zur Folge.              unter veränderten Vorzeichen fortgesetzt werden können.

Künftige wirtschaftliche und rechtliche Beziehungen mit dem Vereinigten Königreich
zeitnah ausgestalten

Mit der Türkei ist die Europäische Union wirtschaftlich          der Europäischen Union und dem Vereinigten König-
über eine Zollunion verbunden, um den Warenverkehr zu            reich als Modell der künftigen Beziehungen angestrebt
erleichtern. Auch für das Vereinigte Königreich kann eine        werden soll. Ein umfassendes Freihandelsabkommen kann
Zollunion mit der EU ein Modell der künftigen wirtschaft-        gewährleisten, dass auch nach dem Brexit ein weitge-
lichen Zusammenarbeit sein. Für alle mit Großbritannien          hend reibungsloser Waren- und Dienstleistungsverkehr
Handel treibenden Unternehmen bedarf es auch der                 zwischen dem Vereinigten Königreich und den EU-Mit-
Rechtssicherheit in laufenden und zukünftigen Ge-                gliedstaaten möglich ist. Zudem kann ein Freihandelsab-
schäftsbeziehungen. Die EU muss alles daransetzen, die           kommen dazu beitragen, non-tarifäre Handelshemmnisse
bestmögliche Form der engen wirtschaftlichen Partner-            zu vermeiden und die regulatorische Zusammenarbeit
schaft mit dem Vereinigten Königreich auszuhandeln.              zu bewahren. Auch eine Vereinbarung zur Mobilität von
Eine Zollunion bietet die Möglichkeit, die Erhebung von          Arbeitnehmern ist wichtig. Die EU sollte den Freihandel
Zöllen zu vermeiden und die entstehende Zollbürokra-             mit dem Vereinigten Königreich auch nach dem Brexit ge-
tie für Unternehmen im Rahmen zu halten sowie die                währleisten und neue Handelshemmnisse vermeiden. Ein
regulatorische Zusammenarbeit zu gewährleisten. Für              mittelstandsfreundliches Freihandelsabkommen ist auf-
den zu erwartenden Wettbewerb der Rechtssysteme im               grund seines wirtschaftlichen Potenzials zu befürworten,
Wirtschaftsrecht bedarf es gleicher Bedingungen, etwa            wenn die britische Seite eine Zollunion weiterhin ablehnt.
bezüglich der Rechtswahl, der Zuständigkeit von Gerich-          Die EU sollte ein solches Abkommen unter Berücksichti-
ten und der Vollstreckbarkeit von Urteilen, ebenso für den       gung der vorgebrachten Bedenken bei anderen Abkom-
Schutz des geistigen Eigentums und den Datenverkehr.             men transparent verhandeln, damit die Unternehmen
Die EU-27 haben als Ziel der Brexit-Verhandlungen                sich frühzeitig auf die zukünftigen Handelsbeziehungen
vorgegeben, dass ein Freihandelsabkommen zwischen                vorbereiten.

                                                                                                                              9
EUROPAPOLITISCHE POSITIONEN DER IHK-ORGANISATION 2019 | I. EUROPA BRAUCHT OFFENE MÄRKTE

     International: Freihandel vorantreiben,
     Barrieren abbauen
     Protektionismus entgegentreten, Handelsregeln weltweit gestalten

     Die EU sollte protektionistischen Tendenzen entschlossen        sind aufgrund ihres wirtschaftlichen Potenzials und der
     entgegentreten und die Welthandelsorganisation (WTO)            Signalwirkung für die multilaterale Ebene eine sinnvolle
     noch engagierter unterstützen: Ein multilateraler Ansatz        Ergänzung zur WTO. Die EU sollte diese Abkommen unter
     im Rahmen der WTO ist und bleibt der beste Weg zur              Berücksichtigung der vorgebrachten Bedenken und bei
     weltweiten Öffnung von Märkten und zum Abbau von                hoher Transparenz entschlossen weiterverhandeln. Dabei
     Zöllen und nichttarifären Handelshemmnissen. Hierzu             muss auf die Kompatibilität aller Abkommen geachtet
     sollte die EU die Weiterentwicklung der WTO-Regeln              werden. Eine klare Kompetenzverteilung zwischen der EU
     vorantreiben. Abkommen wie das Trade Facilitation               und den Mitgliedstaaten ist hierfür erforderlich. Die EU
     Agreement (TFA) müssen konsequent angewendet                    sollte zudem die Marktzugangsstrategie zum Abbau von
     werden. Zielgerichtete Freihandelsabkommen (wie z. B.           nicht-tarifären Handelshemmnissen stärken.
     mit ASEAN und M  ­ ercosur) sowie plurilaterale Abkommen

     Weltweit freien Handel und globale Regeln stärken

     Protektionismus und neue Zölle gefährden globale Regeln         KMU-Agenda einsetzen. Ein umfassendes EU-Handels-
     und einen freien Welthandel. Gleichzeitig blockieren die        abkommen mit den USA auf Augenhöhe bleibt weiterhin
     USA jede Neubesetzung der Berufungsinstanz der WTO              erstrebenswert. Wichtige Themen wie ein besserer
     Schiedsstelle (WTO-Appellate Body). Die EU muss sich            Zugang zum öffentlichen Beschaffungswesen und die
     für den Fortbestand der WTO, für die Neubesetzung des           Bekämpfung nichttarifärer Handelshemmnisse sollten
     WTO-Appellate Body und die bereits angestoßene WTO-             dabei aufgegriffen werden.

     Handelsabkommen mittelstandsfreundlich umsetzen

     Handelsabkommen müssen mittelstandsfreundlich                   (2017: durchschnittlich 77 %). Ein webbasierter EU-Ur-
     ausgestaltet sein, etwa durch KMU-Kapitel einfache              sprungsrechner ist nötig, gerade um kleine und mittel-
     Ursprungsregeln und Wahlfreiheit beim Nachweis des              ständische Unternehmen bei der Berechnung des präfe-
     Präferenzursprungs durch eine Warenverkehrsbeschei-             renziellen Ursprungs zu unterstützen. Um moderne und
     nigung oder dem Erwerb eines Zollstatus (REX o. ä.).            zukunftssichere Abkommen zu schließen, sollten auch
     Sie sollten zudem mit tragfähigen Vereinbarungen zu             wichtige Themen wie digitaler Handel oder vorteilhafte
     Themen wie Visaerleichterungen ergänzt werden. Klare            Zollregeln für Güter mit hohem Dienstleistungsanteil in
     Implementierungszeitpläne aller Seiten unter Einbindung         die Verhandlungen eingebracht werden. Gleichzeitig dür-
     von KMU-Vertretern wie dem Kammernetzwerk sind nö-              fen Handelsabkommen nicht mit handelsfernen Themen
     tig. Politisches Ziel sollte eine Nutzungsrate der Freihan-     überfrachtet werden.
     delsabkommen von mindestens 85 % sein

10
Ansprechpartner im DIHK:   Klemens Kober | kober.klemens@dihk.de
                                                                   Kevin Heidenreich | heidenreich.kevin@dihk.de

   Übersicht aller bestehender sowie perspektivischer EU-Freihandelsabkommen 2018

                                                                                                  EU und Zollunion

                                                                                                  Europäischer Wirtschaftsraum

                                                                                                  In Kraft

                                                                                                  Ratifizierung ausstehend

                                                                                                  Verhandlungen laufen

                                                                                                  Verhandlungen in Planung

                                                                                                  Verhandlungen zu Investitionsabkommen

                                                                                                  Abkommen werden modernisiert

                                                                                                             Quelle: Europäische Kommission

Doppelstrukturen in der Außenwirtschaftsförderung vermeiden

Neue EU-Strukturen und Instrumente zur Unterstützung               ber hinaus gilt: Die EU-Kommission muss das Subsidiari-
von KMU bei der Internationalisierung müssen eine                  tätsprinzip wahren und die nationalen Institutionen der
sinnvolle Ergänzung zu den erprobten Instrumenten und              Außenwirtschaftsförderung frühzeitig und transparent
Institutionen der nationalen Außenwirtschaftsförderung             in ihre Vorhaben einbinden. Insbesondere neue Projekte
sein. Insbesondere dürfen bereits etablierte Anbieter wie          der EU sollten bestehende Strukturen ergänzen und ggf.
die Auslandshandelskammern nicht durch mit EU-Förder­              erweitern, nicht jedoch duplizieren.
geldern finanzierte Konkurrenz verdrängt werden. Darü-

Unternehmen bei der Ausgestaltung und Umsetzung des EU-Zollrechts nicht überfordern

Die Politik darf die aus Sicht der Wirtschaft wichtigsten          und den Erfordernissen des Warenhandels orientieren.
Ziele des Unionszollkodex (UZK), nämlich zollrechtliche            Die von der EU-Kommission erlassenen Zollbestimmun-
Verfahrensvereinfachungen zu realisieren und einen                 gen dürfen nicht zu neuen bürokratischen Hindernissen
EU-einheitlichen Rechtsrahmen zu gewährleisten, nicht              führen, etwa bei der Neubewertung zollrechtlicher Bewil-
aus den Augen verlieren. Die Ausgestaltung und Umset-              ligungen oder bei der Hinterlegung von Sicherheiten für
zung sollte sich rechtlich, zeitlich und mit Blick auf IT-Fra-     mögliche Zollschulden. Die EU-Kommission sollte weitere
gen in erster Linie an den Bedürfnissen der Unternehmen            praxisnahe Anpassungen vornehmen.

                                                                                                                                              11
EUROPAPOLITISCHE POSITIONEN DER IHK-ORGANISATION 2019 | I. EUROPA BRAUCHT OFFENE MÄRKTE

     Dual-Use-Exportkontrolle nicht überfrachten

     Der Schutz von Menschenrechten stellt für die deutsche          und Terrorismusbekämpfung stärker in der Dual-Use-Ex-
     Wirtschaft ein bedeutendes Anliegen dar. Die Politik sollte     portkontrolle verankern. Der Verordnungsvorschlag sollte
     in der Umsetzung grenzüberschreitender Themen über              überarbeitet werden, damit Unternehmen nicht bürokra-
     internationale Ordnungspolitik einen möglichst globalen         tisch belastet werden und ihr Exportgeschäft rechtssicher
     Rahmen setzen. Adressat von Menschenrechten sind                durchführen können. Denn bisher gibt es neben hand-
     vornehmlich die Regierungen in ihrem jeweiligen Ho-             habbaren, international abgestimmten Güterlisten eine
     heitsgebiet. Unternehmen trifft eine Verantwortung, sich        Reihe unklarer Rechtsbegriffe im Verordnungsentwurf.
     an das Regelwerk zu halten. Die EU will Menschenrechte

     Europa für Investitionen offenhalten

     Die EU verfügt derzeit über eine der weltweit offensten         dass es zu Gegenmaßnahmen anderer Wirtschaftsräume
     Regelungen zu ausländischen Direktinvestitionen und ist         kommt und Auslandsinvestitionen europäischer Unter-
     Beispielgeber für die Vorteile der internationalen Arbeits-     nehmen zukünftig gebremst werden könnten. Staatliche
     teilung. Eine zu starke Regulierung könnte auf Dauer zu         Eingriffe bei Übernahmen sollten generell Ausnahmecha-
     einem Rückgang ausländischer Investitionen führen und           rakter haben. Gleichzeitig sollte sich EU verstärkt dafür
     damit das deutsche wie das europäische Wirtschafts-             einsetzen, dass in Partnerländern Investitionen leicht
     wachstum beeinträchtigen. Zudem besteht die Gefahr,             möglich sind und effektiv geschützt werden.

     Investitionsschutz nicht aushöhlen

     Transparentere, schnelle und vor allem kostengünstige           gung rechtswidriger Schiedssprüche ist eine Rechtsmit-
     Investitionsschutzverfahren gerade auch für KMU sind            telinstanz effektiver als ein ständiges Investitionsgericht.
     wichtig. Die EU sollte aber nur Abkommen mit hohem              Auch innerhalb der EU ist aus Sicht vieler Unternehmen
     Schutzniveau abschließen; insbesondere ist der Ver-             angesichts der weiterbestehenden Rechtsschutzdefizite in
     trauensschutz zu gewährleisten. Dabei sind eindeutige           einzelnen Mitgliedstaaten neben angemessenen Rechten
     Regelungen (z. B. bei der Definition von Enteignung)            für Investoren ein verbindlicher Streitbeilegungsmecha-
     notwendig, um eine kohärente Anwendung der Regeln               nismus notwendig, der direkt von den Unternehmen
     und damit die Rechtssicherheit zu stärken. Zur Beseiti-         angerufen werden kann.

12
Europapolitische Positionen der IHK-Organisation 2019 | II. Europa braucht solide Finanzen

Wirtschafts- und Währungsunion:
Krisenfeste Strukturen schaffen,
Staatsschulden und faule Kredite reduzieren

         Staatsverschuldung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union
         in Relation zum Bruttoinlandsprodukt (BIP)

 200 %
 180 %
 160 %
 140 %
 120 %
 100 %
  80 %
  60 %
  40 %
  20 %
   0%
         Griechenland
                        Italien
                                  Portugal
                                             Belgien
                                                       Spanien
                                                                 Zypern
                                                                          Frankreich
                                                                                       Großbritannien
                                                                                                        EuroZone
                                                                                                                   EU
                                                                                                                        Österreich
                                                                                                                         Kroatien
                                                                                                                                     Ungarn
                                                                                                                                              Slowenien
                                                                                                                                                          Irland
                                                                                                                                                                   Deutschland
                                                                                                                                                                                 Finnland
                                                                                                                                                                                            Niederlande
                                                                                                                                                                                                          Slowakei
                                                                                                                                                                                                                     Malta
                                                                                                                                                                                                                             Polen
                                                                                                                                                                                                                                     Schweden
                                                                                                                                                                                                                                                Lettland
                                                                                                                                                                                                                                                           Litauen
                                                                                                                                                                                                                                                                     Dänemark
                                                                                                                                                                                                                                                                                Rumänien
                                                                                                                                                                                                                                                                                           Tschechien
                                                                                                                                                                                                                                                                                                        Bulgarien
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Luxemburg
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                Estland
                                                                                                                                                                                                                                                Quelle: Eurostat; Stand: 4. Quartal 2017

Verknüpfung zwischen Staatsschulden und Bankenbilanzen unterbrechen

Für die deutsche Wirtschaft ist es von großer Bedeutung,                                                                                                                   einer weitergehenden Übertragung von Risiken auf die
dass fiskal- und wirtschaftspolitisches Handeln und die                                                                                                                    Gemeinschaft erfolgen. Dies gilt insbesondere für den
Haftung für diesbezügliche Entscheidungen auf einer                                                                                                                        Abbau von notleidenden Krediten (Non-Performing Loans,
Ebene liegen. Die Verknüpfung zwischen Risiken im Ban-                                                                                                                     NPLs). Zudem sollten die Bankenabwicklungsmechanis-
kensektor und dem Schuldenstand der öffentlichen Haus-                                                                                                                     men gestärkt werden, so dass Kreditinstitute zukünftig
halte durch von Banken gehaltene Staatsanleihen und öf-                                                                                                                    nicht mehr in erster Linie auf Kosten von Steuerzahlern
fentlichem Druck zur Bankenrettung ist noch immer nicht                                                                                                                    gerettet werden müssen. Deshalb sollten Kreditinstitute in
vollständig durchbrochen. Dies gefährdet die Stabilität                                                                                                                    ihren Bilanzen auch Staatsanleihen schrittweise risikoge-
der Währungsunion und die Finanzierungssituation der                                                                                                                       recht mit Eigenkapital unterlegen müssen. Damit könnte
Wirtschaft. Die Unternehmen brauchen für ihre Investiti-                                                                                                                   auch eine Finanzierungsbenachteiligung gerade im
onsplanung verlässliche Rahmenbedingungen – mögliche                                                                                                                       Mittelstand reduziert werden. Eurobonds sind hingegen
Ansteckungseffekte durch Staats- und Bankeninsolvenzen                                                                                                                     der falsche Weg, weil sie zu einer gemeinschaftlichen
in der Euro-Zone sind jedoch ein Unsicherheitsfaktor. Die                                                                                                                  Haftung der Eurostaaten für die nationalen Schulden
Vollendung der Europäischen Bankenunion ist wichtig,                                                                                                                       führen. Sovereign Bond Backed Securities (SBBS) führen
auch für die Investitionsplanung der Wirtschaft. Der                                                                                                                       zwar nicht zu einer direkten gemeinschaftlichen Haftung,
Abbau von Risiken auf nationaler Ebene muss jedoch vor                                                                                                                     wegen der zum gegenwärtigen Zeitpunkt bestehenden

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                          13
EUROPAPOLITISCHE POSITIONEN DER IHK-ORGANISATION 2019 | II. EUROPA BRAUCHT SOLIDE FINANZEN

     Unwägbarkeiten bei der technischen und rechtlichen               bei Konsolidierung und Reformen führen. Zusätzlich er-
     Ausgestaltung ist der Beitrag der SBBS zur Krisenresistenz       scheint gegenwärtig eine Privilegierung von SBBS bei der
     der Währungsunion jedoch unklar. Sollten die unter-              Eigenkapitalunterlegung notwendig, um diese überhaupt
     schiedlichen Zinssätze auf Staatsanleihen zwischen den           für private Anleger attraktiv zu machen. Ein derartiger
     EU-Mitgliedstaaten durch SBBS stärker nivelliert werden,         Eingriff in den Markt sollte unterbleiben. Die beschriebene
     dann könnte dies zu einer Risikoumverteilung zwischen            Entprivilegierung von Staatsanleihen ist der künstlichen
     den Mitgliedstaaten sowie zu möglichen Fehlanreizen              Schaffung eines Marktes für SBBS vorzuziehen.

     Schuldenabbau und Wettbewerbsfähigkeit der Nationalstaaten vorantreiben

     Ende 2017 lag die durchschnittliche Staatsverschuldung           Vergabe von Krediten an EU-Mitgliedstaaten nur gegen
     in der Eurozone noch immer bei 87 %. Der Abbau von               Auflagen wie Haushaltskonsolidierung und Strukturrefor-
     Schulden und die Umsetzung struktureller Reformen sind,          men erfolgen könnten. Die Kredite könnten somit zu einer
     trotz zum Teil großer Anstrengungen, in den National-            langfristigen Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des
     staaten nur teilweise vollzogen. Um für stabile Rah-             betroffenen Landes beitragen. Die Europäische Zentral-
     menbedingungen für Unternehmen in der Eurozone zu                bank hingegen verschafft mit ihrer expansiven Geldpolitik
     sorgen, sollten die Mitgliedstaaten den Fiskalpakt mit den       letztlich nur einen Zeitgewinn und kann die Länder nicht
     nationalen Schuldenbremsen umsetzen und die Konver-              zu Reformen veranlassen. Deshalb sollte der Europäische
     genzkriterien von Maastricht einhalten. Sinnvoll ist daher       Währungsfonds die volkswirtschaftliche Analyse von
     der Vorschlag der Kommission, die Vergabe von EU-Mit-            Krisenstaaten und ihrer Schuldentragfähigkeit vorneh-
     teln an die Umsetzung von Reformen oder den Abbau                men, Rettungsprogramme erstellen, Reformfortschritte
     von Schulden zu knüpfen, die im Europäischen Semester            bewerten und im Zweifel auch wirksame Sanktions-
     für die wirtschaftspolitische Koordinierung empfohlen            mechanismen vorsehen. Dies sollte zum einen Hilfe für
     werden. Das stärkt nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit            Staaten mit Liquiditätsproblemen ermöglichen, aber auch
     der betroffenen Länder, sondern auch die Absatzmärk-             einen geordneten Mechanismus zur Wiederherstellung
     te für deutsche Unternehmen. Zusätzlich sollte der               der Schuldentragfähigkeit für Staaten bereitstellen. Denn
     Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) zu einem                Unklarheiten beim Umgang mit staatlichen Insolvenzen
     Europäischen Währungsfonds weiterentwickelt werden.              führen zu Verunsicherung in der Wirtschaft, insbeson-
     Dieser sollte über die gleiche Unabhängigkeit wie der ESM        dere bei Gläubigern aus der Privatwirtschaft. Dies kann
     verfügen und weder in das EU-Recht überführt werden,             letztlich zu einer Einschränkung der Kreditversorgung von
     noch zu einer Vergemeinschaftung der gesamten nati-              Unternehmen und damit geringeren Investitionen führen.
     onalen Schulden führen. Das hätte den Vorteil, dass die

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Ansprechpartner im DIHK:   Christopher Gosau | gosau.christopher@dihk.de

Wirtschaftspolitische Steuerung durch gestärktes Europäisches Semester erleichtern

In der öffentlichen Debatte wird Konvergenz in den           werden. Euro-Staaten in einer tiefen Krise könnten
letzten Jahren häufig ausschließlich mit zusätzlichen        Mittel aus einem solchen Fonds erhalten, der vorher
Transfers aus wohlhabenderen in ärmere Mitglied-             gemeinsam bestückt wurde. Ziel ist es zu verhindern,
staaten verbunden. Zum einen sollte eine Angleichung         dass staatliche Investitionen krisenverschärfend
der wirtschaftlichen Stärke bereits durch die Transfer-      zurückgefahren werden müssen. Zusätzliche Finanz-
leistungen im Rahmen der bestehenden Strukturfonds           mittel für Investitionen in wachstumsschwachen
erfolgen, zum anderen ist die Konvergenz zwischen            Ländern können langfristig die gesamte Europäische
den Nationalstaaten vor allem durch Strukturrefor-           Union und vornehmlich die Währungsunion stabili-
men auf nationaler Ebene möglich. Denn diese führen          sieren — und somit auch den starken Ländern helfen.
zu einer Angleichung hin zu ähnlich wettbewerbsfä-           Einen europäischen Finanzminister mit eigenem
higeren Strukturen. Das Europäische Semester wurde           Eurozonen-Budget bewertet der weit überwiegende
zur wirtschaftspolitischen Koordination eingeführt,          Teil der deutschen Unternehmen hingegen kritisch.
müsste aber gestärkt werden. Sinnvoll wäre es,               Zwar könnte ein mit weitreichenden Kompetenzen
die Vergabe von EU-Mitteln für Staaten, die die              versehener europäischer Finanzminister notwendige
Maastricht-Kriterien nicht einhalten, an die Erfüllung       Haushaltssanierungen und Wirtschaftsreformen bes-
von Konvergenzkriterien und die Umsetzung von Re-            ser durchsetzen. Die IHK-Organisation sieht aber die
formen zu knüpfen. Außerdem sollten in Zukunft die           Gefahr, dass ein Euro-Finanzminister eher zusätzliche
Kapazitäten der EU für technische Hilfe ausgeweitet          Einnahmen reklamiert und die Gelder vornehmlich zur
werden, damit die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung          Umverteilung nutzt. Die Kriterien hierfür sind überdies
zielgerichteter Reformen unterstützt werden können.          noch vollkommen unklar. Am Ende drohen zusätzliche
Nach dem Vorbild der USA könnte darüber hinaus ein           Steuerbelastungen – auch für die Unternehmen in
„Schlechtwetter-Fonds“ (rainy day funds) zum Aus-            Deutschland.
gleich asymmetrischer Schocks in Betracht gezogen

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EUROPAPOLITISCHE POSITIONEN DER IHK-ORGANISATION 2019 | II. EUROPA BRAUCHT SOLIDE FINANZEN

     EU-Haushalt: Umschichten, flexibilisieren,
     Wettbewerbsfähigkeit steigern
     Prioritäten neu setzen, privates Kapital beteiligen

     Die Europäische Union sieht sich aktuell Anforderun-             Gesamtausgaben führen. In jedem Fall bietet sich die
     gen gegenüber, die bislang so noch nicht an sie gestellt         Chance, Prioritäten neu zu setzen und Fördergelder auch
     worden sind: Migrationssteuerung, Integrationsförderung          unter Beteiligung privaten Kapitals EU-weit effektiver
     und der Schutz der EU-Außengrenzen. Jedoch sollte                einzusetzen.
     nicht jeder Aufgabenzuwachs automatisch zu höheren

     Ausgabenschwerpunkte auf Investitionen und Wachstum setzen

     Wirtschaftliches Wachstum wird durch EU-Mittel am                zunehmende Kontrollen an den Binnengrenzen zu einer
     ehesten dann unterstützt, wenn mit dem Budget inves-             Verteuerung des Waren- und Dienstleistungsverkehrs.
     tive Schwerpunkte gesetzt werden. Es müssen deshalb              Diese Kosten könnten vermindert werden, wenn es der
     mehr Mittel als von der Kommission vorgeschlagen in              EU gelänge, die europäischen Außengrenzen effektiv zu
     Bildung, Forschung, Innovation, digitale Infrastruktur und       schützen. Ein notwendiger erster Schritt besteht zunächst
     Künstliche Intelligenz fließen. Grenzüberschreitende Pro-        darin, die Lebensbedingungen in den Krisenregionen zu
     jekte verdienen dabei eine bevorzugte Förderung, sofern          verbessern. Zur Finanzierung von Maßnahmen, mit denen
     sie einen Mehrwert für die Union generieren.                     dies erreicht werden könnte, sind mehr Mittel im Bereich
     Angesicht der aktuellen Entwicklungen ist unklar, ob die         der Entwicklungsaufgaben erforderlich. In allen Ausga-
     Bereiche Grenzschutz und EU-Nachbarschaftspolitik aus-           benbereichen sollte auf die Effizienz der Mittelverwen-
     reichend finanziert sind. Beide sind wichtige Vorausset-         dung eine größere Bedeutung gelegt werden.
     zung für offene Grenzen im Binnenmarkt. Derzeit führen

     Effektive Erfolgskontrollen etablieren, Bewilligungsverfahren verkürzen!

     Die EU-Kommission sollte anhand im Vorhinein defi-               größtmöglichen wirtschaftlichen Nutzen für Unterneh-
     nierter Kriterien überprüfen, welchen Beitrag geförderte         men und Bürger einsetzt. Bei jedem Projekt sollte geprüft
     Projekte zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit leisten.        werden, in welchem Umfang privates Kapital einbezogen
     Die Ergebnisse sollten über die weitere Förderung der            wird (z. B. in Form öffentlich-privater Partnerschaften).
     Projekte entscheiden. Ein effektives Controlling - das sich      Eine doppelte Nachweisführung gegenüber verschiede-
     auch auf Verwaltungskosten erstrecken sollte - muss              nen Stellen (Mitgliedstaaten und EU) bzw. eine doppelte
     sicherstellen, dass man EU-Mittel sparsam und mit dem            Prüfung durch verschiedene Stellen gilt es zu vermeiden.

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Ansprechpartner im DIHK:   Malte Weisshaar | weisshaar.malte@dihk.de

 Mehrjähriger Finanzrahmen 2021–2027
 Verpflichtungsermächtigungen, in lfd Preisen, in Mrd. €

    Binnenmarkt, Innovation und Digitales: 187,4                                               Nachbarschaft und Welt: 123,0
    Forschung und Innovation                                                                   Auswärtiges Handeln
    Europäische strategische Investitionen                                                     Heranführungshilfe
    Binnenmarkt
    Weltraum                                                                                   Europäische öffentliche Verwaltung: 85,3
                                                                                               Europäische öffentliche Verwaltung

                                                                                               Migration und Grenzmanagement: 34,9
    Natürliche Ressourcen                                                                      Migration
    und Umwelt: 378,9
                                                                                               Grenzmanagement
    Landwirtschaft und
    Meerespolitik
    Umwelt- und Klimaschutz
                                                                                               Sicherheit und Verteidigung: 27,5
                                                                                               Sicherheit
                                                                                               Verteidigung
                                                                                               Krisenreaktion

                                                                                               Zusammenhalt und Werte 442,4
                                                                                               Regionale Entwicklung und Zusammenhalt
                                                                                               Wirtschafts- und Währungsunion
                                                                                               In Menschen investieren, sozialer
                                                                                               Zusammenhalt und Werte

                                                                                                                    Quelle: Europäische Kommission

Kontrollmöglichkeiten verbessern, Einnahmeseite transparenter gestalten

Die Einnahmeseite des Haushalts sollte einfach und                      hingegen weder hinreichend einfach noch transparent.
transparent sein und sich an der wirtschaftlichen Leis-                 Denn die unterschiedlichen Bemessungsgrundlagen der
tungsfähigkeit des jeweiligen Mitgliedstaates ausrich-                  Mitgliedstaaten muss man zunächst zu einer einheit-
ten. Am besten geeignet hierzu sind die sogenannten                     lichen Bemessungsgrundlage konsolidieren, auf deren
BNE-Eigenmittel, deren Höhe sich nach der Wirtschafts-                  Basis man anhand von Zu- oder Abschlägen fiktive
kraft jedes einzelnen Staates bemisst. Die EU-Einnahmen                 MwSt-Einnahmen errechnet. Auf Rabatte zugunsten
in Form von Zöllen, Zuckerabgaben und Strafzahlungen                    einzelner EU-Mitglieder sollte man verzichten. Schließlich
an die EU haben sich als Eigenmittel bewährt und sollten                müssen die Staaten eingeräumten Rabatte von den Steu-
erhalten bleiben. Die Mehrwertsteuer-Eigenmittel sind                   erzahlern anderer Mitgliedstaaten aufgebracht werden.

                                                                                                                                                     17
EUROPAPOLITISCHE POSITIONEN DER IHK-ORGANISATION 2019 | II. EUROPA BRAUCHT SOLIDE FINANZEN

     Steuern: Standortwettbewerb annehmen,
     Steuern vereinfachen
     BEPS-Maßnahmen gegen Steuervermeidung umsetzen - mehr nicht

     Das EU-Steuerrecht sollte in erster Linie die Verwirklichung     Evaluation sie tatsächlich als unentbehrlich ausweist unter
     des Binnenmarktes unterstützen. Das erfordert wider-             Wettbewerbsgesichtspunkten nur international abgestimmt
     spruchsfreie und einfache Regelungen. Vorrang sollten            eingeführt werden. Das gilt zum Beispiel auch für den
     Maßnahmen haben, die die Wettbewerbsfähigkeit der EU             Vorschlag, einer nach Ländern aufgeschlüsselten Veröffent-
     erhöhen. Steuerbemessungsgrundlagen sollten harmo-               lichungspflicht der Unternehmen für steuerlich sensible
     nisiert, Steuersätze aber weiterhin im Wettbewerb auf            Daten (sogenanntes public country-by-country-reporting).
     nationaler Ebene bestimmt werden. Nationale Sonder- und          Es ist unnötig und sogar kontraproduktiv, weil es die zwi-
     Ausnahmeregelungen sorgen für Intransparenz, setzen              schen den Behörden von über 130 Staaten vereinbarte und
     falsche Anreize und sollten deshalb gemäß den im Rahmen          bereits eingeführte Meldepflicht für Steuerdaten gegen-
     des BEPS-Prozesses eingegangenen Verpflichtungen                 über den nationalen Finanzverwaltungen verschärft und
     abgeschafft werden. Neue Pflichten sollten - falls eine          den gefundenen Kompromiss sogar wieder gefährdet.

     EU-Mehrwertsteuersystem muss einfacher und transparenter werden

     Das EU-Mehrwertsteuersystem ist noch immer durch eine            rerhebung einzubeziehen, etwa indem die Steuerschuld
     Fülle von Ausnahmeregelungen und eine nicht einheitliche         auf ihn übergeht. Im B2C-Bereich sollte die „einheitliche
     Auslegung bestehender Vorschriften durch die Mitglied-           Anlaufstelle“ für die Unternehmen die Kommunikation
     staaten gekennzeichnet. Diese erschweren EU-Unterneh-            mit den Steuerverwaltungen der anderen Mitgliedstaaten
     men nach wie vor eine rechtskonforme Anwendung. Das              übernehmen. Die einheitliche Anlaufstelle funktioniert nur
     „Endgültige EU-Mehrwertsteuersystem“ sollte weniger              mit einer laufend aktualisierten und verlässlichen Daten-
     Optionen vorsehen. Der Katalog der ermäßigt besteuerten          bank in allen Amtssprachen der EU. Sie sollte essentielle
     Waren und Dienstleistungen sollte reduziert und – ohne           Informationen über Steuersätze, Ausnahmeregelungen und
     Belastungserhöhung des jeweiligen nationalen Steuerauf-          Verfahrensvorschriften bieten. Zusätzliche Zertifizierungs-
     kommens – aufkommensneutral einheitlich ausgestaltet             verfahren, wie der aktuell von der EU-Kommission vorge-
     werden. Umsatzsteuerbetrug zu bekämpfen ist ein wich-            schlagene „zertifizierte Steuerpflichtige“ (certified taxable
     tiges Ziel, insbesondere vor dem Hintergrund technischer         person, CTP), sollte so ausgestaltet werden, dass sie für Zer-
     Entwicklungen. Dabei sollte allerdings mit Augenmaß vor-         tifizierte das Verfahren deutlich vereinfachen. Dabei sollte
     gegangen werden, um die ehrlichen Unternehmen nicht zu           ein Zertifikat nicht darüber entscheiden, welches materielle
     sehr zu belasten. Der weitere Übergang zum Bestimmungs-          Recht angewendet wird, weil damit der bürokratische
     landprinzip muss für die Unternehmen möglichst einfach           Aufwand gerade für kleinere Unternehmen deutlich erhöht
     sein. Für grenzüberschreitenden Warenaustausch zwischen          würde – ohne einen entsprechenden positiven Beitrag zum
     Unternehmen heißt das, den Kunden aktiv in die Steue-            Funktionieren des Binnenmarkts.

     Unternehmensteuern – Chancen zur Vereinheitlichung besser nutzen

     Unternehmer, die über eigene Betriebsstätten grenz­              sorgen. Darüber hinaus würde sie grenzüberschreitend
     überschreitend Waren verkaufen oder Dienstleistungen             tätige Unternehmen von Bürokratie entlasten und die
     erbringen, müssen nach wie vor im Extremfall bis zu 27           Rechtssicherheit erhöhen. Bei vollständiger Umsetzung
     Steuererklärungen abgeben. Die GKKB würde zumindest              der GKKB – d. h. einschließlich der grenzüberschreitenden
     im EU-internen Steuerwettbewerb für mehr Transparenz             Verlustverrechnung – würden etliche der im BEPS-Prozess

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Ansprechpartnerinnen im DIHK:               Malte Weisshaar | weisshaar.malte@dihk.de

        Steuerbelastung von Kapitalgesellschaften
        Gesamtbelastung von Bundes- und untergeordneten Ebenen

  50%                                                                                                                  2018
                                                                                                                       Reduzierung angekündigt
  40%                                                                                                                  2000

  30%

  20%

  10%

   0%
          FR

               DE

                    AU

                         JP (Tokio)

                                      BE

                                           IT

                                                CA (Ontario)

                                                               US (NY)

                                                                         NL

                                                                              ES

                                                                                   AT

                                                                                        CN

                                                                                             SE

                                                                                                   CH (Zürich)

                                                                                                                 SK

                                                                                                                      RU

                                                                                                                           PL

                                                                                                                                UK

                                                                                                                                     CZ

                                                                                                                                          IE
                                                                                                                                     Quelle: OECD

adressierten Probleme gelöst. Dazu gehört zum Beispiel                              bewerb der Staaten um die Ansiedlung von forschenden
die Gewinnabgrenzung für Tochtergesellschaften und                                  Unternehmen. Notwendig sind forschungsfreundliche
Betriebsstätten. Die Einführung von Mindeststeuersätzen                             Rahmenbedingungen und EU-weit einheitliche Standards
(bei einheitlichen Bemessungsgrundlagen) sollte unter-                              zur steuerlichen Förderung von privaten FuE-Ausga-
bleiben, weil sie dem Wettbewerbsgedanken widerspricht.                             ben. Damit erhielten forschende Unternehmen größere
Für Unternehmen, die nicht grenzüberschreitend tätig                                Sicherheit hinsichtlich der Vereinbarkeit der nationalen
sind, sollte die GKKB eine Option bleiben. Eine Erwei-                              Förderung mit dem Beihilfenrecht der EU – ähnlich den
terung der bestehenden Betriebsstätten-Definition auf                               Beihilfeleitlinien für Restrukturierungen oder für Erleich-
„digitale Präsenzen“ sollte – falls überhaupt möglich – auf                         terungen im Bereich Umwelt und Energie. Die Rahmenbe-
Ebene der OECD angegangen werden. Eine vorüberge-                                   dingungen sollten dabei auf eine größtmögliche Hebel-
hende Einführung einer Äquivalenzsteuer auf digitale Tä-                            wirkung von zusätzlichen privaten FuE-Ausgaben und
tigkeiten sollte nicht vorgenommen werden, weil sich die                            damit auf hohe positive gesamtwirtschaftliche Effekte
Gruppe der „Unternehmen mit digitalen Geschäftsmodel-                               zielen. Gefördert werden sollten alle Größenklassen von
len“ kaum trennscharf abgrenzen lässt. Außerdem würde                               Unternehmen, um einen maximalen gesamtwirtschaftli-
sie bei zahlreichen Unternehmen erhebliche Anpassungs-                              chen Effekt zu erreichen. Eine schwerpunktmäßige Förde-
kosten und laufende Mehrbelastungen verursachen.                                    rung von KMU könnte durch eine degressiv ausgestaltete
Der Standortwettbewerb zeigt sich zunehmend als Wett-                               Steuergutschrift erreicht werden.

Schädliche Finanztransaktionssteuer (FTS) nicht weiterverfolgen

Die nach wie vor geplante Einführung einer FTS würde Ab-                            weitreichende Nachteile für die gewerbliche Wirtschaft
sicherungsgeschäfte ebenso wie Altersvorsorgeprodukte                               ergäben. Zur Stabilisierung der weltweiten Finanzmärkte
verteuern und damit die gewerbliche Wirtschaft erheblich                            ist die FTS nicht geeignet – auch, weil sie nur in zehn
treffen. Zudem würde sie zu einem Abfluss von Kapital in                            EU-Mitgliedstaaten eingeführt werden soll und nicht in-
nicht oder weniger regulierte Finanzmärkte – innerhalb                              ternational. Eine zielgenaue Regulierung ist weiterhin das
oder außerhalb der EU - führen, woraus sich ebenfalls                               bessere Instrument zur Stabilisierung von Finanzmärkten.

                                                                                                                                                    19
EUROPAPOLITISCHE POSITIONEN DER IHK-ORGANISATION 2019 | II. EUROPA BRAUCHT SOLIDE FINANZEN

     Finanzmärkte: Angemessen regulieren,
     Finanzierung ermöglichen
     Risiken in der Bankenunion wirksam reduzieren

     Als drittes Element der Bankenunion ist ein Europäi-               gliedstaats entstanden sind. Die Weiterentwicklung muss
     sches System der Einlagensicherung (European Deposit               daher eine geregelte Risikovorsorge sowohl für beste-
     Insurance Scheme, EDIS) vorgesehen. Eine glaubwürdige              hende als auch zukünftige Problemkredite einschließen.
     Einlagensicherung stützt die Finanzierungsbedingungen              Bereits gemeinsame Standards auf Basis der Einlagensi-
     der Unternehmen in krisenartigen Situationen. EDIS wird            cherungsrichtlinie (Deposit Guarantee Schemes Directive,
     jedoch Fehlanreize schaffen, weil Haftung und Kontrol-             DGSD) sorgen für eine effektive Risikominderung. Daran
     le a­ useinanderfallen, und es wird zudem vorhandene               anschließend könnte insbesondere ein Verbund mitglied-
     Risiken – z. B. aus Problemkrediten – umverteilen. Eine            staatlicher Einlagensicherungssysteme helfen, einem
     voraussetzungslose Vergemeinschaftung der Einlagen-                Einlagenabzug verunsicherter Sparer in einzelnen Mit-
     sicherungssysteme im Zuge der Weiterentwicklung der                gliedstaaten entgegenzuwirken und so eine Bankenunion
     Bankenunion führt unmittelbar zu einer Umverteilung                ohne Fehlanreize zulasten des Finanzierungszugangs der
     von Risiken, die in alleiniger Verantwortung eines Mit-            Wirtschaft zu schaffen.

         Volumen und Anteil der Problemkredite an allen Krediten (in %)

         Volumen                                                       Anteile an allen Krediten
         in Mrd. Euro                                                  in %

                                                      Griechenland                                                            46,6

                                                             Zypern                                            34,0

                                                           Portugal                          18,1

                                                         Slowenien                    13,6

                                                             Italien                11,9

                                                         Österreich          4,2

                                                         Frankreich        3,2

                                                       Deutschland        2,0

        gesamt: 759,1 Mrd. Euro                                        Durchschnitt: 5,2 %
                                                                                                    Quelle: Europäische Zentralbank

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