Soziale Partizipation von Kindern mit sonder pädagogischem Förderbedarf in den Bereichen Lernen und emotional soziale Entwicklung in der ...

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Soziale Partizipation von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf                      295

Empirische Sonderpädagogik, 2020, Nr. 4, S. 295-319
ISSN 1869-4845 (Print) · ISSN 1869-4934 (Internet)

Soziale Partizipation von Kindern mit sonder­
pädagogischem Förderbedarf in den Bereichen
Lernen und emotional­soziale Entwicklung in der
allgemeinen Grundschule – Ein Literaturreview

Sina Schürer
Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Zusammenfassung
Soziale Partizipation von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf (SPF) ist ein zentrales
Ziel inklusiver Beschulung. Das Konstrukt der Partizipation ist facettenreich und es ergeben sich
verschiedene Möglichkeiten der Operationalisierung. Dies macht eine Vergleichbarkeit von Stu-
dien mitunter schwierig. Ziel dieses Beitrages ist die Darstellung von Studien seit dem Jahr 2010
zum Thema soziale Partizipation von Grundschulkindern mit SPF im Bereich des Lernens und
der emotional-sozialen Entwicklung in inklusiven Settings. In einer systematischen Literaturre-
cherche konnten 15 Studien identifiziert werden. Die Studien werden mit Blick auf die Opera-
tionalisierung des SPFs und der sozialen Partizipation dargestellt. Die Ergebnisse werden mit
internationalen Befunden verglichen. Übereinstimmend mit internationalen Befunden zeigt
sich, dass Kinder mit SPF in Deutschland ebenfalls zu einer Risikogruppe gehören. Je nach In-
dikator der Partizipation zeigen sich jedoch ambivalente Befunde. Das Ausgrenzungsrisiko
scheint insbesondere für Kinder mit emotional-sozialen Auffälligkeiten besonders hoch zu sein.
Eine Differenzierung nach verschiedenen Förderschwerpunkten wird jedoch in den gesichteten
Studien nur selten vorgenommen. Die Ergebnisse werden unter anderem mit Blick auf Implika-
tionen für weitere Forschung diskutiert.

Schlüsselwörter: soziale Partizipation, Literaturreview, Grundschule, Förderschwerpunkt Ler-
nen, Förderschwerpunkt emotional-soziale Entwicklung, Inklusion

Social participation of primary school children with special educational
needs in learning and emotional­social skills – A literature review

Abstract
Social participation of children with special educational needs (SEN) is a central goal of inclu-
sive schooling. The construct of social participation is multifaceted, and thus there are various
possibilities for operationalization. This fact makes it difficult to compare studies. This paper
aims to present relevant studies on social participation of primary school children with SEN in
learning and emotional-social development in inclusive settings since 2010. In a systematic
literature search, 15 studies were identified. The review’s findings are presented systematically
considering the operationalization of SEN and social participation. The results are compared
with international findings. In accordance with international findings, this review shows that
296                                                                                   Sina Schürer

children with SEN belong to a risk group in Germany, too. Depending on the indicator of par-
ticipation, these results are ambivalent, though. The risk of exclusion seems particularly high for
children with emotional and social problems. A differentiation considering different SENs, how-
ever, is done rarely in the examined studies. The results are discussed concerning implications
for further research.

Keywords: social participation, literature review, primary school, learning problems, behavior
problems, inclusion

In Deutschland hat die gemeinsame Unter-           aus (Schuljahr 2017/18: FSP LE: 42%, FSP
richtung von Kindern mit und ohne sonder-          ESE: 19.9%)1 (KMK, 2020).
pädagogischen Förderbedarf (SPF) eine län-             Abgeleitet aus der UN-BRK wird soziale
gere Tradition. Bereits in der Empfehlung          Partizipation als ein Hauptziel inklusiver
der Kultusministerkonferenz (KMK) zur son-         Bildung verstanden (z.B. Grosche, 2015;
derpädagogischen Förderung von 1994                Seitz & Scheidt, 2012). Die Einbindung in
wird die gemeinsame Verantwortung aller            Peerbeziehungen ist im schulischen Kontext
Schulen für Schüler/innen mit SPF betont           von besonderer Bedeutung und erfüllt zahl-
(KMK, 1994). In der schulischen Umset-             reiche Aufgaben (Hannover & Zander,
zung blieben zum einen Förderschulen be-           2016). Eine wesentliche Aufgabe ist die Er-
stehen, jedoch erfolgte die Umsetzung auch         füllung affektiv-emotionaler Bedürfnisse,
im Rahmen des „Gemeinsamen Unter-                  insbesondere die Befriedigung des Bedürf-
richts“ in sogenannten Integrationsklassen.        nisses nach Zugehörigkeit. Dieses wird
Insbesondere die Unterzeichnung der                nach Baumeister und Leary (1995, S. 497)
UN-Behindertenrechtskonvention        (UN-         definiert als „a pervasive drive to form and
BRK) im Jahr 2007 und die KMK-Empfeh-              maintain at least a minimum quantity of
lung zur inklusiven Bildung von 2011               lasting, positive, and significant interper-
(KMK, 2011) stießen in allen Bundeslän-            sonal relationships“. Theorien dazu, dass
dern weitere bildungs- und schulpolitische         Menschen ein Bedürfnis nach Nähe und
Maßnahmen an. Auch wenn sich aufgrund              Zugehörigkeit haben, sind nicht neu (z.B.
der Kulturhoheit der Länder landesspezifi-         Maslow, 1943). Auch in der Selbstbestim-
sche Unterschiede zeigen (z.B. Gemeinsa-           mungstheorie (Deci & Ryan, 2000) wird das
mes Lernen, Kompetenzzentren für sonder-           Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit,
pädagogische Förderung, Kooperationsklas-          neben den Bedürfnissen nach Kompetenz-
sen), so können viele Schulen, insbesonde-         erleben und Unabhängigkeit, als eines der
re im Grundschulbereich, bereits eine gro-         drei psychologischen Grundbedürfnisse ge-
ße Erfahrung in der gemeinsamen Unter-             nannt. Die Nicht-Befriedigung dieses zent-
richtung von Kindern mit und ohne SPF              ralen Bedürfnisses geht mit gravierenden
vorweisen (Klemm, 2015). Dabei machen              negativen affektiven und gesundheitlichen
Kinder mit den Förderschwerpunkten (FSP)           Konsequenzen einher (z.B. Gifford-Smith &
Lernen (LE) und emotional-soziale Entwick-         Brownell, 2003; Leary, Twenge & Quinliv-
lung (ESE), die an allgemeinen Grundschu-          an, 2006; Wentzel, Baker & Russell, 2014;
len unterrichtet werden, den größten Anteil        Williams, 2007). Für den Schulkontext zeigt
an inklusiv unterrichteten Schülern/innen          sich ein Zusammenhang zwischen sozialer
                                                   Partizipation und der Beteiligung am Unter-

1
    FSP Sehen: 1.8%, FSP Hören: 4.1%, FSP Sprache: 17%, FSP Körperlich und motorische Entwicklung:
    6.3%, FSP Geistige Entwicklung: 7.6% (KMK, 2020).
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richt, der Schulfreude bzw. dem schuli-                  ren stellen seither eine Grundlage dar, die
schen Wohlbefinden, dem Sozialverhalten,                 viele empirische Studien nutzen, um die er-
den schulischen Leistungen sowie dem Risi-               hobenen Konstrukte zu verorten (z.B.
ko eines Schulabbruchs (z.B. Danielsen,                  Schwab, 2018). Zu berücksichtigen ist da-
Wiium, Wilhelmsen & Wold, 2010; Martin,                  bei, dass die Trennschärfe zwischen den
Dowson & Dowson, 2009; Molloy, Gest &                    von Koster et al. (2009) genannten Indikato-
Rulison, 2010; Perdue, Manzeske & Estell,                ren nicht immer gegeben ist. Das Vorhan-
2009; Ricard & Pelletier, 2016; Wentzel et               densein anerkennender Kontakte geht zu-
al., 2014; Wentzel, Russell & Baker, 2016;               meist einher mit Akzeptanz und führt zum
Zurbriggen & Venetz, 2016).                              Vorhandensein sozialer Beziehungen. Posi-
    Nachdem die Bedeutsamkeit des Konst-                 tive Interaktionen sind gegeben, wenn rezi-
rukts der sozialen Partizipation herausge-               proke Beziehungen/Freundschaften vorhan-
stellt wurde, stellt sich die Frage, wie gut die         den sind. In empirischen Studien werden
soziale Partizipation von Kindern mit SPF in             Schüler/innen beispielsweise danach ge-
inklusiven Settings gelingt? Die Analyse der             fragt, mit wem sie am häufigsten spielen
sozialen Partizipation von Grundschulkin-                (Interaktion). Anschließend werden in den
dern mit den am häufigsten inklusiv be-                  Analysen reziproke Nennungen als Maß für
schulten FSP LE und ESE in Deutschland ist               soziale Beziehungen betrachtet. Zentral in
das Ziel dieses Beitrags.                                diesem Beitrag sind die Selbstwahrneh-
                                                         mung der Partizipation, die Akzeptanz und
                                                         das Vorhandensein reziproker Beziehun-
                                                         gen/Freundschaften.2
Das Konstrukt der sozialen
Partizipation                                            Operationalisierung der sozialen Par-
                                                         tizipation: Erhebungs- und Auswer-
Das Konstrukt der sozialen Partizipation ist             tungsverfahren
facettenreich und der Begriff wird in der Li-
teratur in unterschiedlicher Weise genutzt.              Psychometrische Verfahren
Im Rahmen dieser Arbeit ist die Definition               Zur Erfassung der Selbstwahrnehmung so-
von Koster, Nakken, Pijl und van Houten                  zialer Partizipation existieren mehrere stan-
(2009) zentral, die im Rahmen eines Litera-              dardisierte Instrumente, wie zum Beispiel
turreviews entstanden ist und insbesondere               die Subskala „Soziale Integration“ des
die Indikatoren sozialer Partizipation in den            FEESS (Fragebogen zur Erfassung emotiona-
Fokus stellt. “Social participation of pupils            ler und sozialer Schulerfahrungen von
with special needs in regular education is               Grundschulkindern) von Rauer und Schuck
the presence of positive social contact/inter-           (2003; 2004). Die Kinder geben über meh-
action between these children and their                  rere Items, wie „Meine Mitschüler sind nett
classmates; acceptance of them by their                  zu mir“, Auskunft über ihre subjektiv wahr-
classmates; social relationships/friendships             genommene Einbindung in die Klassenge-
between them and their classmates and the                meinschaft bzw. die Akzeptanz durch die
pupils’ perception they are accepted by                  Peers.
their classmates” (Koster et al., 2009,
S. 135). Diese herausgearbeiteten Indikato-

2
    Der Indikator der Interaktion wird nicht explizit angeführt, weil er in Teilen über die Operationalisierun-
    gen enthalten ist, jedoch als Maße beispielsweise reziproke Beziehungen angeführt werden. Das Vor-
    handensein positiver Interaktionen wird auch über Beobachtungsstudien untersucht (z.B. Koster et al.,
    2010). In diesem Beitrag liegt der Fokus auf psycho- und soziometrischen Verfahren, so dass diese Studien
    keine Berücksichtigung finden und Interaktionen nicht explizit betrachtet werden.
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Soziometrische Verfahren                                der/die liebste Spiel-/Arbeitspartner/in (z.B.
Über soziometrische Verfahren, wie Nomi-                Schürer, 2019: häufigste/r Spielpartner/in;
nations- oder Ratingstudien3, können das                beste/r Arbeitspartner/in) oder aber das
Vorhandensein von reziproken Beziehun-                  Kind, neben dem ich am liebsten sitzen
gen/Freundschaften und die Akzeptanz                    würde (z.B. Krull, Wilbert & Hennemann,
durch die Peers erhoben werden. Selbst bei              2018) nominiert werden? In einigen Studien
Fokussierung auf einen Indikator der Partizi-           werden zudem mehrere inhaltliche Kriteri-
pation gibt es zahlreiche Möglichkeiten,                en erfasst (z.B. Sitznachbar/in, Arbeitspart-
diesen zu operationalisieren. Dies betrifft             ner/in), welche anschließend miteinander
sowohl die Art der Datenerhebung als auch               verrechnet werden (z.B. Krawinkel, Süd-
der -auswertung. Im Folgenden werden bei-               kamp, Lange & Tröster, 2017). Zumeist wer-
spielhaft verschiedene Möglichkeiten auf-               den positive Nominationen (Neben wem
gezeigt, um Indikatoren sozialer Partizipati-           möchtest du am liebsten sitzen?) um negati-
on zu operationalisieren.                               ve Nominationen (Neben wem möchtest du
    Über Ratingverfahren ist die Beurteilung            gar nicht gerne sitzen?) ergänzt (z.B. Kula-
eines jeden Kindes der Klasse durch die                 wiak & Wilbert, 2015). In einigen Studien
Mitschüler/innen zu verschiedenen Kriteri-              werden jedoch aufgrund ethischer Beden-
en über eine mehrstufige Antwortskala                   ken nur positive Nominationen genutzt
möglich (z.B. „Wie gerne spielst du mit                 (z.B. Pijl, Frostad & Flem, 2008).
XY?“, „sehr gerne“ bis „gar nicht gerne“).                  Nach der Datenerhebung stellt sich die
Dabei kann das Antwortformat eine unter-                Frage nach geeigneten Auswertungsverfah-
schiedliche Anzahl an Stufen aufweisen                  ren. Für soziometrische Daten ist die Be-
(z.B. Henke, Bogda et al., 2017: Rating                 rechnung einer Vielzahl unterschiedlicher
Freund/in, 3-stufig; Huber, 2011: Rating                Maße möglich, wie es im Folgenden bei-
Sitznachbar/in, 3-stufig; Schürer, 2019: Ra-            spielhaft für den Indikator Akzeptanz ver-
ting Spiel- und Arbeitspartner/in, 5-stufig).           deutlicht wird: Über die erhaltenen Wahlen
    In Nominationsstudien werden die                    bzw. Ablehnungen in Nominationsstudien
Schüler/innen aufgefordert, ein oder mehre-             kann der sogenannte Wahl- und Ableh-
re Mitschüler/innen in Bezug auf bestimmte              nungsstatus (Indegrees, ggf. relativiert an
Kriterien zu benennen. Dabei kann die An-               den möglichen Wahlen) als ein Maß der Ak-
zahl der Nominationen unbegrenzt (z.B.                  zeptanz oder Ablehnung berechnet werden
Huber & Wilbert, 2012) vs. beschränkt auf               (z.B. Krawinkel et al., 2017). Zusätzlich
beispielsweise drei oder fünf Nennungen                 kann die Bildung von Statusgruppen von
(z.B. Koster, Pijl, Nakken & van Houten,                beliebten, abgelehnten, kontroversen, ver-
2010) sein. Diese Kriterien können, wie die             nachlässigten und durchschnittlich integ-
beispielhafte Auflistung in Bezug auf die               rierten Kindern erfolgen (z.B. Kulawiak &
Ratingstudien zeigt, vielfältig sein. Geht es           Wilbert, 2015). Auch die Verrechnung zu
um die Partizipation im Kontext des Unter-              einem intervallskalierten Integrationsstatus
richts (z.B. Schürer, 2019: Arbeitspartner/in)          kann vorgenommen werden, indem, ver-
oder die außercurriculare Partizipation, bei-           einfacht ausgedrückt, Wahl- und Ableh-
spielsweise in den Pausen (z.B. Garrote,                nungsstatus miteinander zu einem Wert ver-
2016: Spielpartner/in)? Soll der/die beste              rechnet werden (z.B. Huber & Wilbert,
Freund/in (z.B. Koster, Pijl et al., 2010;              2012). Weiterhin kann die Akzeptanz über
Schwab, 2016), der/die häufigste oder aber              Ratingdaten berechnet werden, indem bei-
3
    Nicht berücksichtigt wird das sogenannte Social Cognitive Mapping (SCM). Bei dieser Methode geben
    die Schüler/innen Informationen zu sozialen Clustern innerhalb der Klasse (Welche Kinder sind mitein-
    ander befreundet?), die über ihre eigenen Freundschaften hinausgehen. „Responses are aggregated to
    generate a composite social map of the class.“ (Avramidis, Strogilos, Aroni und Kantaraki, 2017, S. 70).
    Im Rahmen des Literaturreviews wurde keine Studie gefunden, die diese Methode genutzt hat.
Soziale Partizipation von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf                     299

spielsweise die Anzahl erhaltener positiver       Verfahrens zur Feststellung eines SPFs mitt-
bzw. negativer Extrembewertungen als              lerweile häufig nicht direkt zu Schulbeginn.
Wahlen bzw. Ablehnungen betrachtet und            In vielen Bundesländern, wie beispielswei-
ggf. noch an der Anzahl der möglichen Ext-        se in Nordrhein-Westfalen, Hessen oder
remwerte relativiert werden (z.B. Henke,          Niedersachsen, wird ein solches Verfahren
Bosse et al., 2017). Ebenso ist die Berech-       erst ab der dritten Jahrgangsstufe eingeleitet
nung des Mittelwerts über alle Ratings hin-       (z.B. Ministerium für Schule und Weiterbil-
weg für jedes Kind als Maß für dessen Ak-         dung des Landes Nordrhein-Westfalen,
zeptanz möglich (z.B. Schürer, 2019). Die         2005, AO-SF §12 (3)). Ein Förderbedarf im
Akzeptanz eines Kindes kann demnach so-           Bereich ESE muss teilweise überhaupt nicht
wohl über die Nominations- als auch die           diagnostiziert werden. Ein Feststellungsver-
Ratingmethode erfasst und über verschiede-        fahren für diesen FSP wird von der Schule
ne Maße ausgedrückt werden. Insgesamt             nur dann eröffnet, wenn mit diesem eine
ergeben sich somit vielfältige Möglichkei-        Selbst- oder Fremdgefährdung einhergeht
ten der Operationalisierung des Konstrukts        (z.B. Ministerium für Schule und Weiterbil-
der sozialen Partizipation.                       dung des Landes Nordrhein-Westfalen,
                                                  2016, Schulgesetz §19 (7)). Ähnliche Rege-
                                                  lungen gibt es auch in den anderen Bundes-
                                                  ländern. Dies bedeutet, dass Studien häufig
Operationalisierung des Förder­                   gar nicht die Möglichkeit haben, eine offi-
bedarfs in Studien zur sozialen                   zielle Diagnose zu nutzen, insbesondere
                                                  dann, wenn Kinder der Jahrgangsstufen 1
Partizipation
                                                  und 2 untersucht werden. Daher werden
Im Fokus dieser Arbeit stehen Kinder mit be-      Schüler/innen als förderbedürftig klassifi-
sonderem Unterstützungsbedarf im Bereich          ziert, indem zum Beispiel Lehrkräfte den
der Lern- und der emotional-sozialen Ent-         Förderbedarf einschätzen. Hierzu wird bei-
wicklung. Laut KMK ist bei Schülern/innen         spielsweise eine dreistufige Skala (SPF ge-
„mit Beeinträchtigungen des Lernens […]           ring, mittel, hoch) genutzt (z.B. Huber &
die Beziehung zwischen Individuum und             Wilbert, 2012) oder generell die Vermutung
Umwelt dauerhaft bzw. zeitweilig so er-           der Lehrkraft über den SPF (vorhanden vs.
schwert, dass sie die Ziele und Inhalte der       nicht vorhanden) (z.B. Krull, Wilbert &
Lehrpläne der allgemeinen Schule nicht            Hennemann, 2014b, 2018). Zur Erfassung
oder nur ansatzweise erreichen können“            von Kindern mit Lernschwierigkeiten wer-
(KMK, 1999, S. 2). Kinder mit einem Förder-       den zudem Schulleistungstests (z.B. Schü-
bedarf im Bereich der emotionalen und so-         rer, 2019) oder aber die Einschätzung der
zialen Entwicklung, des Erlebens und der          Lehrkraft in Bezug auf die Leistung der Kin-
Selbststeuerung sind „in ihren Bildungs-,         der (z.B. Huber, 2011) herangezogen.
Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten so            Durch Nutzung von Fragebögen zur Erfas-
eingeschränkt [..], dass sie im Unterricht der    sung von Verhaltensauffälligkeiten (z.B. aus
allgemeinen Schule auch mit Hilfe anderer         Perspektive der Lehrkraft) können Kinder
Dienste nicht hinreichend gefördert werden        mit Schwierigkeiten im Bereich ESE identi-
können“ (KMK, 2000, S. 10). Aufgrund der          fiziert werden (z.B. Schürer, 2019). Die ge-
föderalistischen Ausrichtung des Bildungs-        nannten Möglichkeiten ersetzen in keiner
systems existieren keine bundesweiten             Weise eine Diagnostik in Form des Durch-
Standards und somit große Unterschiede in         laufens eines Verfahrens zur Feststellung ei-
der Diagnostik dieser FSP bzw. generell           nes SPFs. Sie stellen jedoch insbesondere
bzgl. der Diagnostik eines SPFs (Böttinger,       bei jüngeren Schülern/innen die einzige
2016). Für die im Rahmen dieser Arbeit re-        Möglichkeit dar, sich dem Konstrukt des
levanten FSP erfolgt die Einleitung eines         SPFs zu nähern. Wenn im weiteren Verlaufe
300                                                                              Sina Schürer

von Kindern mit SPF die Rede ist, muss be-      gesetzt werden (Schröder, 2000). Die in den
rücksichtigt werden, dass es sich nicht im-     Übersichtsarbeiten eingeschlossenen Stu-
mer um Kinder mit einer offiziellen Diagno-     dien erheben Lernschwierigkeiten bei-
se handelt, sondern um Kinder, die in ir-       spielsweise über Intelligenz- oder Leis-
gendeiner Form einen Unterstützungsbedarf       tungstests. In Bezug auf die Maße sozialer
aufweisen.                                      Partizipation werden in diesen Studien
   Mit Blick auf die Operationalisierung        meist keine differenzierten Angaben ge-
des SPFs muss weiterhin berücksichtigt wer-     macht. In der Meta-Analyse von Nowicki
den, dass in vielen Studien Kinder mit ver-     (2003) wird zwischen „peer nominations“
schiedenen FSP zusammengefasst und als          und „peer ratings of social preference“ un-
Kinder mit SPF klassifiziert werden. Häufig     terschieden. Bless (2000) und Bless und
werden Schüler/innen mit Lern- und Ent-         Mohr (2007) berichten Studien, die die so-
wicklungsstörungen, das heißt Kinder mit        ziale Stellung über soziometrische Verfah-
den FSP LE, Sprache und ESE, gemeinsam          ren und die Selbsteinschätzungen der Schü-
betrachtet (z.B. Huber & Wilbert, 2012; Kra-    ler/innen erhoben haben. Eine differenzier-
winkel et al., 2017).                           te Betrachtung der Studien mit Blick auf die
   Bevor eine systematische Betrachtung         inhaltlichen Kriterien der Partizipation wird
des nationalen Forschungsstands erfolgt,        nicht vorgenommen.
werden überblicksartig internationale Be-           In einem aktuelleren Literaturreview ha-
funde dargestellt, um später einen Vergleich    ben Avramidis et al. (2017) 32 Studien ana-
vornehmen zu können.                            lysiert, die in den Jahren 2000 bis 2015 so-
                                                ziometrische Verfahren zur Erhebung der
                                                Partizipation von Grundschulkindern mit
                                                SPF im Vergleich zu ihren Peers genutzt ha-
Internationale Studien zur sozia­               ben. Sie berichten Ergebnisse von Nomina-
len Partizipation von Kindern mit               tions- und Ratingstudien, die den sozialen
                                                Status und die Akzeptanz der Kinder ver-
SPF
                                                gleichen. Auch hier werden keine differen-
Im internationalen Kontext liegen bereits       zierteren Angaben zu den Erhebungsmetho-
mehrere Literaturreviews und Meta-Analy-        den gemacht. Zusätzlich zu Studien, die die
sen vor, die sich mit der sozialen Partizipa-   Partizipation von Kindern mit Lern- oder
tion von Kindern mit SPF in inklusiven Set-     Verhaltensschwierigkeiten untersuchen so-
tings beschäftigen. Einige dieser Arbeiten      wie Studien, die verschiedene FSP gemein-
lenken dabei explizit den Blick auf den Zu-     sam betrachten, werden in diesem Review
sammenhang zwischen sozialer Partizipati-       auch Studien berücksichtigt, die Kinder mit
on und der Lern- und Leistungsentwicklung       anderen FSP in den Blick nehmen. Zusam-
(Bless, 2000; Bless & Mohr, 2007; Kavale &      menfassend kommen die Autoren/innen zu
Forness, 1996; Nowicki, 2003). Diese Stu-       dem Befund, dass in Nominations- und Ra-
dien berichten übereinstimmend einen Zu-        tingstudien die Ergebnisse für Kinder mit
sammenhang zwischen der Leistung und            SPF eher negativ ausfallen. Sie analysierten
der Partizipation. Dabei liegt auch in diesen   darüber hinaus sechs Studien, die die Me-
Studien der Fokus nicht allein auf einem        thoden des SCM nutzten. Diese Studien ka-
diagnostizierten SPF bzw. ist zu berücksich-    men zu gemischten und positiven Befunden
tigen, dass in verschiedenen Ländern unter-     in Bezug auf die Partizipation von Kindern
schiedliche Begrifflichkeiten genutzt wer-      mit SPF.
den. Der englischsprachige Begriff „lear-           Aktuelle Literaturreviews, die explizit
ning disability“ ist beispielsweise in den      die soziale Partizipation von Kindern mit
USA weitreichender und kann nicht mit           dem FSP ESE in den Blick nehmen, liegen
dem Begriff der „Lernbehinderung“ gleich-       aktuell nicht vor. In Studien konnte jedoch
Soziale Partizipation von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf                          301

auch für diese Kinder gezeigt werden, dass             2016). Häufig konnte jedoch auch gezeigt
sie eine eher ungünstige soziale Position in           werden, dass sich Kinder mit SPF schlechter
der Klasse innehaben (z.B. Avramidis, 2013;            integriert fühlen (z.B. Schwab, Gebhardt,
Monchy, Pijl & Zandberg, 2004). Werden                 Krammer & Gasteiger-Klicpera, 2014;
Kinder mit den FSP LE und ESE vergleichend             Schwab, 2016). Zurbriggen und Venetz
betrachtet, zeigen sich besondere Nachteile            (2016) fanden lediglich für Kinder mit Ver-
für Kinder mit dem FSP ESE (z.B. Pijl et al.,          haltensauffälligkeiten eine deutlich geringe-
2008).                                                 re Selbstwahrnehmung der sozialen Partizi-
    In vielen anderen Studien findet sich              pation, jedoch nicht für Kinder mit Lern-
keine explizite Differenzierung nach ver-              schwierigkeiten.
schiedenen FSP. Beispielhafte Befunde die-                 Die internationalen Befunde zur sozia-
ser Studien werden entlang der Indikatoren             len Partizipation zeigen, dass Kinder mit
sozialer Partizipation dargestellt:                    SPF über verschiedene Länder und Schul-
    Für die Akzeptanz bzw. Ablehnung von               systeme hinweg zu einer Risikogruppe ge-
Kindern mit SPF zeigt sich, dass diese über            hören. Es zeigt sich jedoch auch, dass bei
verschiedene Länder und damit über unter-              der Bewertung der sozialen Partizipation
schiedliche Schulsysteme hinweg geringe-               die Operationalisierung eine wichtige Rolle
ren sozialen Statusgruppen angehören und               spielt und je nach Indikator der Partizipati-
sie weniger beliebt sind (z.B. Avramidis,              on, die Befunde nicht einheitlich sind. Die
2013; Cambra & Silvestre, 2003; Koster,                Befunde verweisen darauf, dass Kinder mit
Minnaert, Nakken, Jan Pijl & van Houten,               SPF scheinbar grundsätzlich verstärkt abge-
2010; Nepi, Facondini, Nucci & Peru,                   lehnt bzw. weniger akzeptiert werden. In
2013; Pijl et al., 2008).                              Bezug auf das Vorhandensein von rezipro-
    Für den Bereich der Freundschaften/re-             ken Beziehungen/Freundschaften und der
ziproken Beziehungen zeigen sich im inter-             Selbstwahrnehmung sind die Befunde je-
nationalen Kontext widersprüchliche Be-                doch inkonsistent. Eine Analyse der Studien
funde. Studien konnten zum einen zeigen,               mit Blick auf die Operationalisierung der
dass Kinder mit SPF gleicherweise in                   Partizipation (Erhebungs- und Auswertungs-
Freundschaften oder Cliquen eingebunden                methode), die betrachteten FSP bzw. die
sind (z.B. Avramidis, 2013; Grütter et al.,            Operationalisierung des SPFs oder das Alter
2015). Andere Studien zeigen jedoch, dass              der Kinder ist bisher jedoch nicht systema-
diese Kinder signifikant weniger Freund-               tisch erfolgt. Möglicherweise ergeben sich
schaften haben (Kavale et al., 1996; Koster,           über solche Analysen Hinweise auf Gründe
Pijl et al., 2010; Pijl et al., 2008).                 für unterschiedliche Befunde.
    Für die Selbstwahrnehmung sozialer
Partizipation sind die Befunde ebenfalls un-
eindeutig. Es gibt Hinweise darauf, dass die
Ergebnisse in Abhängigkeit des Alters der              Herleitung der Forschungsfragen
Kinder variieren. Bei jüngeren Kindern mit
SPF unterscheidet sich die Wahrnehmung                     Während für den internationalen Raum
der sozialen Partizipation nicht von der ih-           bereits einige Überblicksdarstellungen zur
rer Peers ohne SPF (z.B. Avramidis, 2013;              sozialen Partizipation von Kindern mit SPF
Koster, Pijl et al., 2010). Kinder der Jahrgän-        vorliegen, fehlt bislang ein solcher Über-
ge 1 und 2 erleben scheinbar noch kein Ge-             blick für das deutsche Schulsystem. Die ge-
fühl der Ausgrenzung, auch wenn die so-                nannten Reviews beinhalten keine Studien,
ziometrischen Daten für eine Isolierung im             die sich auf die soziale Partizipation von
Klassenkontext sprechen (z.B. Garrote,                 Kindern mit SPF in Deutschland beziehen4.

4
    Einzige Ausnahme stellt die Studie von Krull et al. 2018 im Beitrag von Schwab, 2018 dar.
302                                                                               Sina Schürer

Zudem beziehen sich die dort berücksich-         sondere im Grundschulbereich bereits an
tigten Studien auf unterschiedliche Länder       vielen Schulen inklusiv gearbeitet. Daher
und damit auf Schulsysteme mit unter-            kann geprüft werden, inwiefern an dieser
schiedlichen Konzepten und Erfahrungs-           Schulform, die im Vergleich zu weiterfüh-
ständen hinsichtlich der Inklusion, wodurch      renden Schulen, bereits auf eine längere
sie nicht direkt auf die Situation in Deutsch-   Tradition des gemeinsamen Lernens zu-
land übertragbar sind.                           rückblickt, die Partizipation von Kindern
    Die Darstellung der vielfältigen Mög-        mit SPF gelingt. Dabei wird der Blick auf
lichkeiten der Operationalisierung, zum ei-      die beiden Gruppen von Kindern gelenkt,
nen der sozialen Partizipation und zum an-       die im Grundschulkontext am häufigsten
deren des SPFs, macht deutlich, dass eine        inklusiv beschult werden: Kinder mit den
Vergleichbarkeit von Studien schwierig ist.      FSP LE und ESE. Bei der Darstellung der Be-
Dies betrifft mit Blick auf die Operationali-    funde wird sowohl die Operationalisierung
sierung der sozialen Partizipation (1) die       der sozialen Partizipation als auch des SPFs
Methode der Datenerhebung (Rating- vs.           berücksichtigt. Das Literaturreview beant-
Nominationsverfahren), (2) die betrachteten      wortet entsprechend folgende zentrale Fra-
inhaltlichen Kritierien (z.B. Spiel- vs. Ar-     gestellung: Wie gelingt die soziale Partizipa-
beitspartner/in) und (3) die herangezogenen      tion von Grundschulkindern mit den FSP LE
Auswertungsverfahren bzw. Maße (z.B. Sta-        und ESE in inklusiven Settings in Deutsch-
tusgruppen, Indegrees, reziproke Beziehun-       land? Dabei werden die verschiedenen In-
gen). Mit Fokus auf den SPF wird die Prob-       dikatoren sozialer Partizipation differenziert
lematik der Vergleichbarkeit empirischer         betrachtet und für jeden Indikator wird ana-
Studien dadurch erschwert, dass sich (1)         lysiert, ob es Unterschiede je nach FSP (ESE
diesem Konstrukt auf unterschiedliche Wei-       vs LE) gibt.
se genähert wird (z.B. offizielle Diagnose,
Urteil der Lehrkraft) und (2) häufig keine
Differenzierung zwischen verschiedenen
FSP vorgenommen wird. Die gemeinsame             Literaturreview zur Partizipation
Betrachtung von Schüler/innen mit Lern-          von Kindern mit SPF in
und Entwicklungsstörungen lässt außer
                                                 Deutschland
Acht, dass sich hinter dieser Kategorie eine
sehr heterogene Gruppe von Kindern ver-              Zur Darstellung des Forschungsstandes
birgt. Mit Blick auf die teilweise inkonsis-     zur sozialen Partizipation von Kindern mit
tenten Befunde in der internationalen For-       SPF in Deutschland wurde ein systemati-
schung soll im Rahmen des Literaturreviews       sches Literaturreview in den Datenbanken
ein differenzierter Blick auf Studien in         von EBSCOhost (z.B. PsycINFO) und FIS
Deutschland geworfen werden. Der explizi-        Bildung durchgeführt. Dabei wurden fol-
te Fokus auf die Operationalisierung der         gende Kriterien zur Auswahl der empiri-
Konstrukte könnte die Erklärung uneindeu-        schen Studien zugrunde gelegt:
tiger Befunde ermöglichen.                       • Erscheinungsjahr zwischen 2010 und
    Ziel dieser Arbeit ist ein systematisches        02/2020
Literaturreview zu Studien, die die soziale      • Stichprobe: Grundschulbereich (6-12
Partizipation im Kontext schulischer Bil-            Jahre), Deutschland
dung seit dem Jahr 2010 in Deutschland be-       • Operationalisierung sozialer Partizipati-
trachten. Zu diesem Zeitpunkt hat sich               on über
Deutschland durch die Unterzeichnung der             • soziometrische Verfahren (Nominati-
UN-BRK bereits dazu verpflichtet, inklusive              ons-, Ratingverfahren, CSM): z.B. Er-
Bildung voranzutreiben und im Rahmen                     fassung reziproker Beziehungen/
des gemeinsamen Unterrichts wurde insbe-                 Freundschaften, Akzeptanz/Ableh-
Soziale Partizipation von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf                              303

Abbildung 1. Vorgehen Literaturreview zur sozialen Partizipation (eigene Darstellung).

    nung,       Interaktionen/Beziehungen              Um das Literaturreview übersichtlich zu
    und die Berechnung entsprechender                  halten, wurden Studien ausgeschlossen, die
    Maße (z.B. Indegrees, Statusgrup-                  den Fokus auf andere FSP (z.B. Hören, Se-
    pen)                                               hen oder Geistige Entwicklung) legen. In
  • psychometrische Fragebogenverfah-                  einem ersten Durchlauf wurde mit engli-
    ren: Es werden zum einen Instru-                   schen Schlagwörtern gesucht. Nicht alle
    mente berücksichtigt, die die Selbst-              deutschsprachigen Artikel liefern zusätzlich
    wahrnehmung sozialer Partizipation                 einen englischsprachigen Titel oder ein eng-
    erfassen, zum anderen Instrumente,                 lischsprachiges Abstract, sodass ein zweiter
    die Konstrukte mit einer deutlichen                Durchlauf mit deutschen Schlagwörtern
    inhaltlichen Nähe zu diesem Konst-                 durchgeführt wurde. Diese Suchläufe führ-
    rukt erheben. Hierzu zählt beispiels-              ten teilweise zu identischen Treffern. Die
    weise das soziale Selbstkonzept5.                  Suchbegriffe sowie das Vorgehen sind Ab-
• Operationalisierung SPF:                             bildung 1 zu entnehmen. Insgesamt führte
  • offiziell festgestellter SPF im Bereich            die Recherche in den EBSCOhost Daten-
    LE oder ESE (ggf. gemeinsam mit an-                banken zu 1163 Treffern (1100 englischer
    deren FSP betrachtet)                              Suchlauf + 63 deutscher Suchlauf) und in
  • Urteil der Lehrkraft zu einem SPF im               FIS Bildung zu 7004 Treffern (3185 engli-
    Bereich LE oder ESE bzw. zum Leis-                 scher Suchlauf, 3819 deutscher Suchlauf6).
    tungsstand der Schüler/innen                       Durch ein Screening der insgesamt 8167
  • standardisierte Leistungstests: Kinder             Titel konnte ein Großteil der Artikel direkt
    mit Lern- und Leistungsschwäche                    ausgeschlossen werden, da sie auf Basis der
  • Lehrkraftfragebögen: Kinder mit                    Titel oder Abstracts nicht den oben genann-
    Verhaltensauffälligkeiten (z.B. SDQ,               ten Kriterien entsprachen. Ein Hauptgrund
    Goodman, 1997)                                     war die Beschränkung auf Studien, die in
                                                       Deutschland durchgeführt wurden. Weitere
5
    Das Beispielitem der von Spörer et al. (2015) genutzten Skala „Meine Mitschüler mögen mich so, wie ich
    bin“ zeigt die inhaltliche Nähe zum Konstrukt der subjektiv wahrgenommenen sozialen Partizipation.
6
    Die deutlich höhere Trefferanzahl ist dadurch zu begründen, dass in den EBSCOhost-Datenbanken eine
    Eingrenzung in Bezug auf das Alter (school age (6-12 years), childhood) vorgenommen werden konnte.
304                                                                               Sina Schürer

Gründe für den Ausschluss der Studien la-        höhten Förderbedarf ein um 1,7- bis 2,4-
gen in der Operationalisierung der sozialen      fach erhöhtes Ausgrenzungsrisiko in Bezug
Partizipation, dem Alter der Schüler/innen       auf die Wahl als Sitznachbar/in (Nominati-
oder dem Vergleich verschiedener schuli-         on). Über die Hälfte der Kinder mit hohem
scher Settings.                                  Förderbedarf gehörte zu den abgelehnten
     39 Studien (23 EBSCOhost, 16 FIS Bil-       Kindern, während der Anteil für Kinder mit
dung) wurden genauer betrachtet, indem           geringem oder mittlerem Förderbedarf nur
das Abstract gründlicher oder der gesamte        bei 22% bzw. 32% lag. Entsprechend wa-
Artikel gelesen wurde. Folgend wurden 24         ren die Anteile der Kinder mit hohem För-
weitere Studien ausgeschlossen, da sie sich      derbedarf in der Gruppe der beliebten Kin-
beispielsweise auf Stichproben in Öster-         der deutlich geringer (17%) im Vergleich zu
reich oder der Schweiz bezogen oder der          den Kindern mit geringem (41%) oder mitt-
Schwerpunkt auf einem anderen FSP lag.           lerem (29%) Förderbedarf. Diese Studie ist
Eine Übersicht der verbleibenden 15 Stu-         von besonderer Relevanz, weil die unter-
dien ist Tabelle 1 zu entnehmen. Die Ergeb-      suchten Klassen an einem Pilotprojekt
nisse dieser Studien wurden für die Indika-      „Kompetenzzentrum sonderpädagogische
toren Freundschaft/reziproke Beziehungen,        Förderung“ teilnahmen und auch „unter
Akzeptanz und Selbstwahrnehmung der              scheinbar inklusionsfreundlichen Rahmen-
Kinder als positiv oder negativ kategorisiert.   bedingungen besonderer Förderbedarf zu
„Negativ“ bedeutet, dass Kinder mit SPF im       sozialer Ausgrenzung führen kann“ (Huber
Vergleich zu ihren Peers weniger akzeptiert      & Wilbert, 2012, S. 161). Henke und Bogda
werden, sie geringeren Statusgruppen ange-       et al. (2017) bestätigten ebenfalls, dass Kin-
hören, sie weniger Freunde/innen (bzw. we-       der der Jahrgänge 2 und 3 mit einem diag-
niger reziproke Beziehungen) haben oder          nostizierten SPF (LE, ESE, Sprache) weniger
ihre Selbstwahrnehmung der sozialen Parti-       Indegrees erhielten (32% vs. 22%), die Zahl
zipation schlechter ausfällt. „Positiv“ hin-     der Outdegrees unterschied sich jedoch
gegen bedeutet zum Beispiel, dass Kinder         nicht (beide ca. 32%). Die Autoren/innen
mit SPF im gleichen Maße akzeptiert wer-         nutzten ein Ratingverfahren zur Abfrage
den, sie ebenso viele Freunde/innen auf-         von Freundschaften mit einem dreistufigen
weisen und die Verteilung auf die verschie-      Antwortformat, welches anschließend di-
denen Statusgruppen unabhängig vom SPF           chotomisiert wurde. Krawinkel et al. (2017)
ist. Die Tabelle gibt zusätzlich einen Über-     nutzten in einer Nominationsstudie sechs
blick über die Operationalisierung des SPFs      verschiedene Kriterien (z.B. Sitznachbar/in,
sowie der Partizipation. Dabei werden der        Spielpartner/in), zu denen die Kinder je-
Inhaltsbereich der Partizipation bzw. die        weils positive und negative Nominationen
abgefragten Kriterien (z.B. Freund/in, Sitz-     abgeben sollten. Es erfolgte eine Aufsum-
nachbar/in) angegeben. Im Folgenden wer-         mierung über alle erhaltenen Wahlen über
den die Befunde entlang der verschiedenen        die sechs Wahlfragen, dividiert durch die
Indikatoren sozialer Partizipation darge-        Anzahl möglicher Wahlen. Auch hier zeigte
stellt.                                          sich, dass Kinder mit SPF (verschiedene FSP,
                                                 hauptsächlich LE, ESE, Sprache) weniger
Soziale Akzeptanz/Ablehnung                      beliebt sind und häufiger abgelehnt wer-
                                                 den. Auch in der Nominationsstudie (Sitz-
Werden die recherchierten Forschungser-          nachbar/in) von Kulawiak und Wilbert
gebnisse betrachtet, bestätigt sich das oben     (2015) zeigte sich, dass Kinder mit SPF (LE,
skizzierte Bild aus internationalen Studien      ESE) weniger Akzeptanz- und mehr Ableh-
auch für Deutschland. Huber und Wilbert          nungsnennungen erhielten. Zudem nah-
(2012) zeigten für Grundschulkinder mit          men sie seltener günstige (beliebt, beachtet)
einem von der Lehrkraft eingeschätzten er-       und häufiger ungünstige (unbeliebt, unbe-
Tabelle 1: Übersicht über Studien des Reviews zur Sozialen Partizipation in Deutschland
                                                                  Stichprobe                        Operationalisierung soziale Partizipation         Ergebnis                                      Freund- Akzep- Selbst-
                                                                  (N, Jg., FSP)                                                                                                                     schaft* tanz   wahr-
                                                                                                                                                                                                                   nehmung
1                                                                 PING-Studie: N=154;               Selbstwahrnehmung                                 → Kein Haupteffekt für den SPF in Bezug auf                       +
                                                                  SPF: Angabe der Lehrkraft zum     Subskala des FEESS (Soziale Integration)            die soziale Partizipation, aber verschiede-                (Mädchen)
                                                                  diagnostizierten SPF (nicht                                                           ne Interaktionen mit den Faktoren

      (2018)
                                                                  spezifisch)                                                                           Geschlecht und Zeit und Haupteffekt für                         -

    Bosse et al.
                                                                  Längsschnitt Jg.1 -4                                                                  den Faktor Zeit.                                            (Jungen)
2                                                                 N=873, Jg. 2/3;                   Selbstwahrnehmung                                 → Kinder mit SPF ESE weisen negativere
                                                                  SPF: ESE - Angabe der Lehrkraft   Subskala des FEESS (Soziale Integration)            Einschätzung ihrer sozialen Partizipation
                                                                  (diagnostiziert, eingeleitetes    Methode: Propensity Score Matching (SPF             auf                                                             -

                                                      (2019)
                                                                  Verfahren, präventive             diagnostiziert + Kind ohne Etikett) – dadurch
                                                                  Förderung)                        Reduzierung der Stichprobe
3                                                                 PING-Studie: N=1241, Jg. 2/3;     Freundschaft/Akzeptanz                            → Keine Unterschiede im Outdegree
                                                                  SPF: diagnostiziert (LE, ESE,     Rating: Liste aller Klassenkameraden/innen,         zwischen Kindern mit und ohne SFP,
                                                                  Sprache - gemeinsam               Angabe von Freund (1), kleines bisschen           → Kinder mit SPF haben weniger Indegrees      -       -

                                           (2017)
                                                                  betrachtet)                       Freunde (0), keine Freunde (0) – (hinterher 0/1     und Freundschaften

                                         Bogda et al.
                                                                                                    Kodierung)
4                                                                 PING-Studie: N=1436, Jg. 2/3,     Freundschaften In-/Outdegree, reziproke           → Keine Unterschiede in der Anzahl der
                                                                  SPF: diagnostiziert (LE, ESE,     Beziehungen                                         Freundschaften und der subjektiv
                                                                  Sprache - gemeinsam               Rating: s. Henke, Bogda, et al. (2017)              wahrgenommenen sozialen Partizipation       +                 +
                                                                  betrachtet)                       Selbstwahrnehmung                                   zwischen Kindern mit und ohne „Etikett“
                                                                  Kompetenztests (Mathemati-        Subskala des FEESS (Soziale Integration)

                          al. (2017)
                                                                  sche, Lese- und Rechtschreib-     Methode: Propensity Score Matching (SPF
                                                                  kompetenz)                        diagnostiziert + Kind ohne Etikett) – dadurch
                                                                                                                                                                                                                               Soziale Partizipation von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf

                                                                                                    Reduzierung der Stichprobe
5                                                                 N=463, Jg. 3/4                    Akzeptanz                                         → Kinder mit SPF und schulleistungsschwa-
                                                                  SPF: Einschätzung durch           Nomination ohne Beschränkung, Sitznachbar/          che Kinder sind vermehrt in der Gruppe
                                                                  Lehrkraft (3-stufig: gering,      in, soziale Wahl & soziale Ablehnung →              der abgelehnten Kinder zu finden.                   -         -
                                                                  mittel, hoch; LE, ESE, Sprache    Berechnung Integrationsstatus aus Wahl- &         → Geringere soziale Akzeptanz und geringe-

         (2012)
                                                                  - gemeinsam betrachtet)           Ablehnungsstatus (Statusgruppen)                    re Selbstwahrnehmung sozialer Partizipa-
                                                                  Schulleistung (Lehrkrafturteil,   Selbstwahrnehmung                                   tion der Kinder mit SPF

    Huber und Wilbert Henke und Bosse et Henke und Crede et al.
                                                                  5-stufig)                         Subskala des FEESS (Soziale Integration)
                                                                                                                                                                                                    Tabelle 1: Fortsetzung →
                                                                                                                                                                                                                               305
→ Tabelle 1: Fortsetzung
                                                                                                                                                                                           306

                              Stichprobe                      Operationalisierung soziale Partizipation       Ergebnis                                       Freund- Akzep- Selbst-
                              (N, Jg., FSP)                                                                                                                  schaft* tanz   wahr-
                                                                                                                                                                            nehmung
6                             N=296, Jg. 2-4                 Akzeptanz                                        → Schulleistung hat Einfluss auf die
                              SPF: operationalisiert über    Rating: Sitznachbar/in (3-stufig: gerne, egal,     Akzeptanz
                              Schulleistung (Einschätzung    nicht gerne) → Berechnung Integrationsstatus                                                               -
                              der allgemeinen Schulleistung  (s. Huber & Wilbert, 2012)
                              durch Lehrkraft (5-stufig))    Methode: regressionsanalytische Vorhersage

    Huber (2011)
                                                             der Partizipation (Integrationsstatus) durch
                                                             Schulleistung & Sympathie der Lehrkraft
7                             N=637, Jg. 3/4                 Akzeptanz                                        → Geringere soziale Akzeptanz und höhere
                              SPF: diagnostiziert (gemeinsam Nomination ohne Begrenzung (je sechs               Ablehnung der Kinder mit SPF
                               betrachtet)                   Wahl-/Ablehnungsfragen: z.B. Sitznachbar/in,     → Geringere subjektiv wahrgenommene                       -         -
                                                             Spielpartner/in) → Berechnung des Wahl- &          soziale Partizipation der Kinder mit SPF
                                                             Ablehnungsstatus (Summe der erhaltenen           → Jungen werden häufiger abgelehnt und
                                                             Wahlen über alle sechs Wahlfragen, dividiert       weisen eine geringere Selbstwahrneh-
                                                             durch Anzahl möglicher Wahlen)                     mung der sozialen Partizipation auf
                                                             Selbstwahrnehmung

    Krawinkel et al. (2017)
                                                             Subskala des FEESS (Soziale Integration)
8                             N=448, Jg. 1                   Akzeptanz                                        → Geringere soziale Akzeptanz und höhere
                              SPF: Subjektives Urteil der    Nomination ohne Begrenzung (Wahl-/                 Ablehnung der Kinder mit SPF
                              Lehrkraft zu einem Förderbe-   Ablehnungsfragen: Sitznachbar/in, Arbeits-       → Ausreißerwerte in Richtung höherer                      -
                              darf im Lern- und              partner/in, Teilnahme am Unterricht, Hilfe) →      sozialer Akzeptanz der Kinder mit

     (2014b)
                              Entwicklungsbereich (ohne      z-standardisiert auf Klassenebene                  Unterstützungsbedarf

    Krull et al.
                              Angabe des FSP)                Getrennte Analysen für alle vier Wahl-/
                                                             Ablehnungsfragen
9                             N=2839, Jg. 1                  Akzeptanz                                        Kinder mit SPF
                              SPF: Subjektives Urteil der    Nomination ohne Begrenzung (4 Fragen:            → weisen geringere soziale Akzeptanz/
                              Lehrkraft (FSP: ESE, LE)       „choice as seatmate“, „reject as seatmate”,         Beliebtheit auf
                                                             “choice as mean”, “choice as helpful”) →         → gehören seltener der Gruppe der                         -
                                                             z-standardisiert auf Klassenebene                   beliebten und häufiger der Gruppe der
                                                             Getrennte Analysen für alle soziometrischen         abgelehnten Kinder an. Risiko für soziale
                                                             Items                                               Ablehnung ist höher.
                                                                                                                 Vor allem Kinder mit FSP ESE sind

    Krull et al. (2014a)
                                                                                                                 weniger beliebt & unterscheiden sich
                                                                                                                 sign. von Kindern mit FSP LE.
                                                                                                              → Unterschiede zwischen Klassen.
                                                                                                                                                                                           Sina Schürer

                                                                                                                                                                Tabelle 1: Fortsetzung →
→ Tabelle 1: Fortsetzung

                                   Stichprobe                     Operationalisierung soziale Partizipation      Ergebnis                                       Freund- Akzep- Selbst-
                                   (N, Jg., FSP)                                                                                                                schaft* tanz   wahr-
                                                                                                                                                                               nehmung
10                                 N=1244, Jg. 1/2                Akzeptanz                                      → Kinder mit SPF werden häufiger
                                   SPF: Subjektives Urteil der    Nomination ohne Begrenzung (Wahl-/                ausgeschlossen, insbesondere Kinder mit                  L-
                                   Lehrkraft (FSP: ESE, LE),      Ablehnungsfrage: Sitznachbar/in) → absolute       Verhaltensauffälligkeiten.                             ESE - -
                                   Längsschnitt                   Häufigkeit der Nomination                      Weitere Ergebnisse:

       (2018)
     Krull et al.
                                                                                                                 → Alle Variablen haben hohe Stabilität über
                                                                                                                    die Zeit.
11                                 N=1027, Jg. 3                  Akzeptanz                                      Kinder mit SPF
                                   SPF: Subjektives Urteil der    Nomination ohne Begrenzung (Wahl-/             → erhalten weniger Akzeptanz- und mehr
                                   Lehrkraft (FSP: größtenteils   Ablehnungsfrage: Sitznachbar/in) → Indegree,      Ablehnungsnennungen (Indegrees)
                                   ESE, LE, aber auch andere,     Zuordnung zu Statusgruppen, Outdegree,         → zählen weniger zu den beliebten &
                                   gemeinsam betrachtet)          reziproke Akzeptanz/Ablehnung (Freund-            häufiger zu den unbeliebten Kindern,           -          -
                                                                  schaften/wechselseitige Ablehnung),               insgesamt nehmen sie seltener günstige &
                                                                  Netzwerkbeteiligung (Cliquen/Triaden)             häufiger ungünstige Positionen ein
                                                                  Methode: Regression: Prädiktor SPF (ja/nein),     (unbeliebt, unbeachtet, kontrovers)
                                                                  Geschlecht                                     → unterscheiden sich in den Outdegrees
                                                                                                                    von den Mitschülern/innen
                                                                                                                 → haben weniger reziproke Beziehungen &
                                                                                                                    mehr reziproke Ablehnungen

     Kulawiak und Wilbert (2015)
                                                                                                                 → sind seltener Mitglied in Akzeptanztria-
                                                                                                                    den
12                                 N=1117, Jg. 2/3                Reziproke Beziehungen/Interaktion/             → Mit zunehmenden Verhaltensauffälligkei-       ESE:        ESE:       ESE:
                                   SPF:                           Akzeptanz                                         ten sinkt die Anzahl der Indegrees, der     task - /   task - /   task - /
                                   Verhalten: SDQ-Lehrkraftver-   Nomination ohne Begrenzung (Spielpartner/         reziproken Beziehungen, die Beliebtheit     social -   social -   social -
                                                                                                                                                                                                  Soziale Partizipation von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf

                                   sion (Goodman,1997)            in) & Arbeitspartner/in) → Indegree, reziproke    & die Selbstwahrnehmung der Partizipa-
                                   Leistung: DEMAT 1+, 2+, ELFE   Beziehungen                                       tion (jeweils für task & social)              LE:        LE:         LE:
                                   II 1-6                         Akzeptanz/Beliebtheit                          → Mit schwächeren Schulleistungen sinkt        task - /   task - /    task - /
                                                                  Rating (Spiel- & Arbeitspartner/in) →             die Anzahlt der Indegrees (task & social), social +    social -   social +
                                                                  Mittelwert                                        der reziproken Beziehungen (task) und
                                                                  Selbstwahrnehmung                                 die Beliebtheit (task).

     Schürer (2019)
                                                                  Subskala FEESS (Soziale Integration),             Es zeigt sich kein Einfluss der Schulleis-
                                                                  Eigenentwicklung (aufgabenbezogene                tung auf die Selbstwahrnehmung der
                                                                  Partizipation)                                    Partizipation (social) sowie die Spielpart-
                                                                  Methode: Regression: Prädiktor SDQ,               nerschaften.
                                                                  Leistung
                                                                                                                                                                                                  307

                                                                                                                                                                    Tabelle 1: Fortsetzung →
→ Tabelle 1: Fortsetzung
                                                                                                                                                                                         308

                          Stichprobe                       Operationalisierung soziale Partizipation      Ergebnis                                          Freund- Akzep- Selbst-
                          (N, Jg., FSP)                                                                                                                     schaft* tanz   wahr-
                                                                                                                                                                           nehmung
13                        N=67, Jg. 2                      Akzeptanz                                      Kinder mit Verhaltensauffälligkeit
                          SPF: externalisierende           Nomination (Wahl-/Ablehnungsfrage              → nehmen die soziale Partizipation
                          Verhaltensauffälligkeit (L-FB,   Sitznachbar/in) → Berechnung Integrations-        signifikant schlechter wahr.
                          Integrated Teacher Report        status aus Wahl- und Ablehnungsstatus          → werden weniger akzeptiert (Integrations-                  -         -

        (2019)
                          Form, Volpe & Fabiano, 2013;     Selbstwahrnehmung                                 status).

     Spilles et al.
                          Bildung von 2 Gruppen            Subskala FEESS (Soziale Integration)
                          ITRF-Score < vs >=13)
14                        PING-Studie: N=1280, Jg. 2/3     Selbstwahrnehmung                              → Keine Unterschiede zwischen Kinder mit
                          SPF: Kinder mit & ohne           Subskala FEESS (Soziales Selbstkonzept: z.B.     und ohne diagnostizierten SPF (kein
                          diagnostizierten SPF, Kompe-     Meine Mitschüler mögen mich, so wie ich          Labelingeffekt)                                                    +

       (2015)
                          tenztests (Mathem., Lese- &      bin)

     Spörer et al.
                          Rechtschreibkompetenz)
15                        PING-Studie:                     Selbstwahrnehmung                              → Keine Unterschiede zwischen Kindern mit                             +
                          Kohorte 1: N=705; Jg. 2/3        Skala aus ELEMENT: Soziales Selbstkonzept        & ohne SPF in Kohorte 1 (Jg. 2/3) für                          (Kohorte
                          Kohorte 2: N=730, Jg. 3/4        (z.B. Meine Mitschüler mögen mich so, wie        soziales Selbstkonzept. In Kohorte 2                           1: Jg. 2/3)
                          Längsschnitt                     ich bin)                                         (Jg. 3/4) geringere Mittelwerte für Kinder
                          SPF: Lehrkräfte geben            Methode: Regressionsanalysen: Unterschied        mit SPF.                                                            -
                          diagnostizierten und vermute-    vermuteter vs. diagnostizierter SPF (2         → Festgestellter SPF ist kein Prädiktor für das                  (Kohorte
                          ten SPF an                       unterschiedliche Modelle) – Vorhersage soz.      soziale Selbstkonzept; der von der                             2: Jg. 3/4)
                          Weitere Instrumente: Kognitive   Selbstkonzept;                                   Lehrkraft vermutete SPF ist hingegen

     Vock et al. (2018)
                          & fachliche Kompetenz            Weitere Prädiktoren: u.a. Lese- und Rechen-      prädiktiv
                          (Grundintelligenz, Lese- und     fähigkeiten                                    → Leistung im Rechnen und Lesen sind                                  -
                          Rechentest)                                                                       prädiktiv für soziales Selbstkonzept                           (Leistung)

Anmerkungen. -+: keine Unterschiede in der sozialen Partizipation von Kindern mit und ohne SPF / -: soziale Partizipation von Kindern mit SPF ist schlechter als die der
Kinder ohne SPF / N (Stichprobengröße), Jg. (Jahrgang), FSP (Förderschwerpunkt), ESE (Emotional-soziale Entwicklung), LE (Lernen) / * Freundschaft bzw. reziproke Beziehung.
                                                                                                                                                                                         Sina Schürer
Soziale Partizipation von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf                     309

achtet, kontrovers) Statuspositionen ein.         Verhaltensprobleme). Kinder des Jahrgangs
Krull et al. (2014b; 2014a) konnten zeigen,       2 mit externalisierendem Problemverhalten
dass bereits Erstklässler/innen mit einem         wurden weniger akzeptiert (Spilles et al.,
durch die Lehrkraft vermuteten SPF (versch.       2019). Eine Differenzierung in Bezug auf
FSP; LE, ESE) stärker auf Ablehnung stoßen        Leistung und Verhaltensauffälligkeit hat
und sie weniger akzeptiert werden als ihre        auch Schürer (2019) bei den Analysen der
Peers ohne SPF. Operationalisiert wurden          Daten aus dem SoPaKo-Projekt (Soziale Par-
vier verschiedene, vor allem aufgabenbezo-        tizipation durch Kohäsion) vorgenommen.
gene Kritierien (Sitznachbar/in, Arbeitspart-     Zusätzlich wurde im SoPaKo-Projekt zwi-
ner/in, Teilnahme am Unterricht, Hilfe). Für      schen aufgabenbezogener und außerunter-
alle vier Aspekte ergaben sich signifikante       richtlicher Partizipation unterschieden. Die
Unterschiede für die soziale Akzeptanz und        Akzeptanz der Kinder (Jahrgang 2/3) wurde
Ablehnung zwischen den Gruppen.                   über die erhaltenen Nominationen als häu-
     Alle bisher betrachteten Studien diffe-      fige/r Spiel- und beliebte/r Arbeitspartner/in
renzieren nicht zwischen verschiedenen            operationalisiert. Zusätzlich wurde der Mit-
FSP. In einer Studie mit einer größeren           telwert über die Ratings als beliebte/r Spiel-
Stichprobe (N=2839) differenzieren Krull et       und gute/r Arbeitspartner/in als weiteres
al. (2014a) zwischen Erstklässlern/innen mit      Maß der Akzeptanz gebildet. Für alle vier
Lern- und Verhaltensproblemen. Es zeigt           Maße zeigte sich, dass sowohl Kinder mit
sich erneut, dass die Kinder mit SPF weni-        schwachen Schulleistungen als auch Kinder
ger beliebt (3% vs. 16%) waren und häufi-         mit Verhaltensauffälligkeiten zu einer Risi-
ger abgelehnt (31% vs. 9%) wurden als ihre        kogruppe in Bezug auf die Partizipation ge-
Peers ohne SPF. Das Risiko, abgelehnt zu          hören, wobei die Effekte für das Maß an
werden, war für die Kinder mit SPF 2,9- bis       Verhaltensauffälligkeiten stärker ausfielen
3,4-mal höher im Vergleich zu den Kindern         als für das Maß der Leistung.
ohne SPF. Kinder mit Verhaltensproblemen
wurden im Vergleich zu Kindern mit Lern-          Freundschaften/Reziproke
schwierigkeiten signifikant häufiger als Sitz-    Beziehungen
nachbar/in abgelehnt und wiesen einen sig-
nifikant geringeren Integrationsstatus auf.       Gegenseitige Freundschaften bzw. rezipro-
Gleiches zeigte sich ebenfalls in einer aktu-     ke Beziehungen wurden in vier der recher-
elleren Studie von Krull et al. (2018). In der    chierten Studien untersucht. Kulawiak und
Nominationsstudie (Sitznachbar/in) zeigte         Wilbert (2015) berichten über signifikant
sich, dass Kinder mit SPF häufiger sozial         weniger reziproke Beziehungen für Kinder
ausgeschlossen wurden, wobei dies erneut          mit SPF. Zudem waren Kinder mit SPF auch
in stärkerem Maße auf Kinder mit Verhal-          seltener Mitglied in Akzeptanztriaden. Zu
tensauffälligkeiten zutraf. Im Fokus der Stu-     den Daten der Begleitforschung des Bran-
die von Spilles, Hagen und Hennemann              denburger Projektes PING (Pilotprojekt In-
(2019) standen ebenfalls Kinder mit Verhal-       klusive Grundschule, Jahrgang 2/3) werden
tensauffälligkeiten, konkret mit externalisie-    widersprüchliche Befunde berichtet. In den
rendem Problemverhalten. In ihrer Studie          Analysen von Henke und Bogda et al.
wurde die Wirkung einer tutoriellen Lese-         (2017), in denen Unterschiede im Indegree,
flüssigkeitsförderung auf die Akzeptanz von       32% vs. 22% zwischen Kindern mit und
Kindern mit externalisierendem Problem-           ohne SPF gefunden wurden, jedoch nicht
verhalten überprüft. Die Wirkung des Lese-        im Outdegree, ergeben sich natürlich auch
trainings konnte nicht bestätigt werden. Es       Unterschiede in den reziproken Beziehun-
zeigte sich jedoch über beide Messzeit-           gen, 19% vs. 13%. Kinder mit SPF über-
punkte ein Haupteffekt für die Gruppenzu-         schätzen ihre soziale Situation in der Klas-
gehörigkeit (mit vs. ohne externalisierende       se, weil sie durchschnittlich zu viele Peers
310                                                                              Sina Schürer

nominieren. Zusätzlich wurde in dieser Stu-     pation. In allen Studien wurde die Selbst-
die der Effekt des Status „Diagnostizierter     wahrnehmung der Partizipation über bzw.
SPF“ auf die soziale Partizipation, hier die    in Anlehnung an die Subskala „soziale Inte-
reziproken Freundschaften, untersucht.          gration“ des FEESS 1-2 oder 3-4 (Rauer &
Auch unter Kontrolle verschiedener Variab-      Schuck, 2004; 2003) erhoben. Krawinkel et
len auf Individual- und Klassenebene, wie       al. (2017) haben neben soziometrischen
der Leistung, dem Sozialverhalten und dem       Verfahren auch die subjektiv wahrgenom-
Lehrkraft-Schüler-Verhältnis, blieb der Ef-     mene soziale Partizipation erhoben und
fekt des Förderbedarfs (SPF: ja/nein) beste-    fanden hier ebenfalls Nachteile für Kinder
hen und die Wahrscheinlichkeit, Freund-         mit SPF. Huber und Wilbert (2012) stellten
schaften zu schließen, war für Kinder mit       in ihrer Studie zusätzlich zur geringen Ak-
SPF geringer (Henke, Bogda et al., 2017).       zeptanz der Kinder mit SPF, die sich durch
Die Autoren/innen vermuten daher einen          die soziometrischen Daten zeigte, mit zu-
„Etikettierungs-Effekt“, auch wenn das Vor-     nehmendem Förderbedarf eine ungünstige
handensein anderer, nicht erfasster, aber       Wahrnehmung der eigenen sozialen Partizi-
relevanter Variablen nicht ausgeschlossen       pation fest. Weitere Befunde liegen aus der
werden kann. Henke und Bosse et al. (2017)      PING-Studie vor. Über Subskalen des FEESS
kommen mit den Daten des PING-Projektes         wurden das soziale Selbstkonzept sowie die
zu einem gegenteiligen Befund. Über das         subjektiv wahrgenommene soziale Partizi-
Propensity Score Matching Verfahren bilde-      pation erhoben. Die Befunde aus diesem
ten sie statistische Zwillinge von Schülern/    Projekt sind uneindeutig. Verglichen wur-
innen mit einem diagnostizierten SPF und        den Daten aus zwei Messzeitpunkten für
solchen, die diesen Kindern in Bezug auf        zwei Kohorten. In der ersten Kohorte (Jahr-
familiäre, leistungs- und verhaltensbezoge-     gang 2/3) ergaben sich keine Unterschiede
ne Merkmale ähnelten, jedoch keinen diag-       zwischen Kindern mit und ohne SPF für die
nostizierten SPF aufwiesen. Durch dieses        beiden Konstrukte. In der zweiten Kohorte
Verfahren ist es möglich den Effekt der „Eti-   (Jahrgang 3/4) hingegen zeigten sich Nach-
kettierung“ vom Effekt der übrigen Merkma-      teile zu beiden Messzeitpunkten für Kinder
le zu trennen. In dieser Studie fanden sich     mit SPF (Gronostaj, Kretschmann, Westphal
keine Unterschiede zwischen den beiden          & Vock, 2015; Vock, Gronostaj, Kret-
Gruppen hinsichtlich der Anzahl an Freund-      schmann & Westphal, 2018). Weiterhin
schaften. In den Analysen von Schürer           wurde der Einfluss der „Etikettierung“ auch
(2019) zeigte sich, dass mit einem zuneh-       auf die Selbstwahrnehmung der Partizipati-
menden Maß an Verhaltensauffälligkeit die       on überprüft. Henke und Bosse et al. (2017)
Anzahl der Arbeits- und Spielpartnerschaf-      fanden, wie bereits schon für die Anzahl der
ten abnimmt. Ein Effekt der Leistung zeigte     Freundschaften, keinen Effekt für die selbst
sich hingegen nur für die Anzahl der Ar-        eingeschätzte soziale Partizipation. Zu ei-
beitspartnerschaften: Mit abnehmender           nem ähnlichen Befund kamen auch Spörer
Leistung sinkt die Anzahl der Arbeitspart-      et al. (2015). Sie überprüften den Einfluss
nerschaften. Die Leistung beeinflusst hin-      des Förderstatus (diagnostizierter SPF: ja/
gegen nicht die Anzahl der Spielpartner-        nein) auf das soziale Selbstkonzept. Schü-
schaften.                                       ler/innen, die sich nur im Förderstatus, nicht
                                                aber in soziodemografischen und leistungs-
Selbstwahrnehmung sozialer                      bezogenen Merkmalen unterschieden, wie-
Partizipation                                   sen keine Unterschiede in den Selbstkon-
                                                zepten auf (Spörer et al., 2015). Eine längs-
Auch in deutschen Studien finden sich wi-       schnittliche Analyse der PING-Daten zeig-
dersprüchliche Befunde in Bezug auf die         te, dass es insgesamt für alle Kinder zu ei-
subjektiv wahrgenommene soziale Partizi-        nem Anstieg der Selbstwahrnehmung in
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