Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft 2019 - SVLFG
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Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft 1/2 Doppelausgabe 2019 In diesem Heft Gerhard Zindel Die Alterssicherung der Landwirte nach dem Ende der Hofab- gabeklausel Sabine Büntig, Matthias Ahmann Zu den Neuregelungen in der Alterssicherung der Landwirte nach Abschaffung der Hofabgabeverpflichtung Carsten Timm, Christian Seeanner Zuschuss zum Beitrag zur Alterskasse Angela Buhne Burnout in der Landwirtschaft Karl Friedrich Köhler Bescheidkorrektur im Verwaltungsverfahren der SVLFG durch Rücknahme und Aufhebung von Verwaltungsakten – Teil 3 Herausgeber Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau www.svlfg.de
Herausgeber Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau www.svlfg.de Weißensteinstraße 70-72 34131 Kassel Telefon: 0561 785-12142 E-Mail: kommunikation@svlfg.de Verantwortlich/Redaktion Dr. Erich Koch Die mit Namen gekennzeichneten Beiträge geben die Auffassung der Verfasser wieder. Der Nachdruck ist nur mit Einwilligung des Herausgebers gestattet. Für unverlangte Manuskripte und Besprechungsexemplare wird keine Gewähr übernommen.
Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft 1/2 Doppelausgabe 2019 In diesem Heft Gerhard Zindel Die Alterssicherung der Landwirte nach dem Ende der Hofab- gabeklausel Seite 5 Sabine Büntig, Matthias Ahmann Zu den Neuregelungen in der Alterssicherung der Landwirte nach Abschaffung der Hofabgabeverpflichtung Seite 11 Carsten Timm, Christian Seeanner Zuschuss zum Beitrag zur Alterskasse Seite 21 Angela Buhne Burnout in der Landwirtschaft Seite 29 Karl Friedrich Köhler Bescheidkorrektur im Verwaltungsverfahren der SVLFG durch Rücknahme und Aufhebung von Verwaltungsakten Teil 3: Aufhebung von Verwaltungsakten mit Dauerwirkung wegen einer Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse gem. § 48 SGB X Seite 53
Ende der Hofabgabeklausel 1/2 I 2019 Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft 5 Die Alterssicherung der Landwirte nach dem Ende der Hofabgabeklausel* Ass. jur. Gerhard Zindel** Die Hofabgabeklausel ist Geschichte. Dabei war sie doch ein ganz wesentliches unter den Merkmalen, in denen sich die Alterssicherung der Landwirte als berufsständisches Sondersystem von der allgemeinen gesetzlichen Rentenver- sicherung unterscheidet. Der Beitrag befasst sich nach einem kurzen Rückblick auf den durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verursachten Schwebezustand mit einigen Folgeregelungen zur Abschaffung der Hofab- gabeklausel. Abschließend gibt er Anregungen zu einer gänzlich neuen Ausrichtung der landwirtschaftlichen Alters- sicherung, nachdem ihr die bisher prägende agrarstrukturelle Zielsetzung weitgehend abhanden gekommen ist. 1 Einleitung 2 Die Entscheidung des Bundesver- fassungsgerichts zur Verfassungs- Mit Artikel 4a des Gesetzes vom 18.12.2018 [1] ist widrigkeit der Hofabgabeklausel die Abgabe des Unternehmens der Landwirtschaft als Anspruchsvoraussetzung für die Renten nach dem Das BVerfG hat die Hofabgabeklausel nicht einfach für Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) nichtig, sondern nur für mit dem Grundgesetz unverein- gestrichen worden. bar und deshalb § 11 Abs. 1 Nr. 3 ALG in der damals gül- tigen Fassung für unanwendbar erklärt. Es hat sich dabei Diese Anspruchsvoraussetzung, bekannt als Hofabga- von der Überlegung leiten lassen, dass dem Gesetzge- beklausel, gehörte bisher zu den essenziellen Bestand- ber Gelegenheit zu geben ist, die Hofabgabeklausel teilen der Alterssicherung der Landwirte, wurde diese wieder so auszugestalten, dass sie mit der Verfassung doch seit ihren Anfängen mit der 1957 ins Leben gerufe- vereinbar ist. [7] nen Altershilfe für Landwirte stets als eine Verknüpfung von Agrarsozialpolitik und Agrarstrukturpolitik begriffen. In dem damit geschaffenen Schwebezustand durfte [2] Indem das Gesetz den Anspruch auf Rente von der die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Hofabgabe abhängig machte, bezweckte es eine Verjün- Gartenbau (SVLFG) als Landwirtschaftliche Alterskasse gung des Unternehmerbestandes und zugleich die Ent- (§ 49 Satz 2 ALG – nachfolgend: LAK) einerseits die Hof- stehung wirtschaftlich leistungsfähiger Unternehmen. [3] abgabeklausel nicht mehr anwenden, andererseits aber auch keine Altersrenten bewilligen, denn damit hätte sie Wenngleich die Hofabgabeklausel schon seit vielen angesichts der vom Gericht gesehenen Möglichkeit des Jahren nicht mehr unumstritten ist (bereits im Vorfeld der Gesetzgebers, die Hofabgabeklausel umfassend neu zu Agrarsozialreform 1995 wurde um ihre Beibehaltung oder gestalten, riskiert, Bewilligungsbescheide zu erlassen, Abschaffung gerungen) [4], hat sich der Gesetzgeber in die sich im Nachhinein als rechtswidrig hätten heraus- den vergangenen Jahrzehnten stets darauf beschränkt, stellen können. Rentenantragsverfahren mussten des- sie den sich verändernden Rahmenbedingungen anzu- halb immer dann, wenn der Anspruch auf Altersrente nur passen und sie dabei in Teilen zu lockern. [5] noch von der Erfüllung der nicht mehr anwendbaren Hof- abgabeklausel abhing, so lange ausgesetzt bleiben, bis Das nun recht plötzliche Ende, gesetzestechnisch rea- der Schwebezustand durch den Gesetzgeber beendet lisiert durch Aufnahme eines zusätzlichen Artikels in war. [8] Weil in aller Regel nicht einmal feststand, dass das sog. Qualifizierungschancengesetz, ist maßgeb- unter den Bedingungen einer Neuregelung ein Anspruch lich auf die Entscheidung des Bundesverfassungs- dem Grunde bestünde, waren Vorschüsse nach § 42 gerichts (BVerfG) vom 23.05.2018 (1 BvR 97/14 und Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) ausgeschlossen, 1 BvR 2392/14) [6] zurückzuführen. Über die unmittel- und für vorläufige Entscheidungen fehlte eine Rechts- baren Auswirkungen hinaus stellen sich dabei wichtige grundlage. [9] Systemfragen, gerade weil mit der Hofabgabeklausel eine der tragenden Erwägungen dafür, dass es über- haupt ein Alterssicherungssystem für Landwirte gibt und wie es auszugestalten ist, weggebrochen ist. * Ergänzte und aktualisierte Zweitveröffentlichung mit Genehmigung des Landwirtschaftsverlag GmbH, Münster. Die Erstveröffentlichung erfolgte in der Zeitschrift Agrar- und Umweltrecht (AuR), Heft 10/2019, S. 374-377. ** F rüher Leiter der Stabsstelle Grundsatz /Recht der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau, Kassel.
6 Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft 1/2 I 2019 Ende der Hofabgabeklausel 3 bschaffung der Hofabgabeklausel A 4 Weitere Folgeregelungen statt Neugestaltung und die notwen- digen Folgeregelungen Der Gesetzgeber hat sich auf diese sachlich zwingenden und i. d. R. rein redaktionellen Folgeregelungen nicht Eine nach den vom BVerfG aufgestellten Kriterien ver- beschränkt, sondern sich veranlasst gesehen, weitere fassungskonforme Hofabgabeklausel wäre nicht durch Regelungen zu treffen, die er für geboten hielt, um dem wenige Korrekturen erreichbar gewesen. So hätte eine Wegfall der Hofabgabeklausel Rechnung zu tragen. bloße Ergänzung von Härtefallklauseln die Verfassungs- widrigkeit nicht beseitigen können, sondern sie hätte Nicht alle dieser Regelungen sind so nachvollziehbar wie dafür gesorgt, dass der Anteil der von der Hofabgabe- die Anordnung der Versicherungsfreiheit von Beziehern klausel betroffenen Antragsteller – nach einer Kette von einer vorzeitigen Altersrente oder einer Rente wegen Erleichterungen war zuletzt nur noch eine kleine Min- Erwerbsminderung (§ 2 Nr. 1 Buchst. c ALG). Kritisch zu derheit unter den Rentenantragstellern von der Hofab- hinterfragen sind vor allem die Regelungen zum Hinzu- gabeklausel be-lastet – noch geringer geworden wäre. verdienst (§§ 27a und 27b ALG). Andere Regelungen wie Das hätte diesen vom BVerfG festgestellten Gleichheits- etwa die Ergänzung des § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ALG in verstoß [10] sogar noch verstärkt. Vielmehr wäre dazu dem Bestreben, Landwirte, die bereits eine Rente bezie- eine völlige Neukonzeption erforderlich gewesen, die hen und deshalb nach dem neuen § 2 Nr. 1 Buchst. c ALG in Teilen auch zu einer Revidierung früher eingeführter versicherungsfrei sind, von der Leistung „Betriebshilfe“ Erleichterungen hätte führen müssen. [11] Eine solche auszuschließen, erweisen sich bei näherem Hinse- umfassende Neuauflage der Hofabgabeklausel hätte hen nicht nur als überflüssig, sondern sie werfen neue nur bei einem konstruktiven Zusammenwirken der Part- Abgrenzungsfragen auf. ner der Regierungskoalition gelingen können. Daran war aber kaum zu denken, hielten doch CDU und CSU bis zuletzt an der Hofabgabeklausel fest, während die SPD a) Land- und forstwirtschaftliches Arbeits- bereits seit geraumer Zeit für ihre Abschaffung eintrat. Es einkommen als Hinzuverdienst kam hinzu, dass die Regierung und das Parlament unter großem Zeitdruck standen, weil sich die LAK aufgrund Rentenbezieher können seit der Abschaffung der Hofab- der Tatsache, dass das Gericht die Hofabgabeklausel gabeklausel zugleich landwirtschaftliche Unternehmer nur für unanwendbar, nicht aber für nichtig erklärt hatte, sein, während dies zuvor nur in wenigen Ausnahmefäl- zu Recht außer Stande sah, in der Phase zwischen Fest- len (zuletzt in den Fällen des § 21 Abs. 8 Satz 2 ALG, der stellung der Unanwendbarkeit der Hofabgabeklausel Gesellschaftern unter bestimmten Voraussetzungen den durch das BVerfG und Neuregelung durch den Gesetz- Verbleib in der Gesellschaft ermöglichte) denkbar war. geber überhaupt noch Rentenanträge abschließend Dies hat den Gesetzgeber bewogen, in solchen Fällen positiv zu bescheiden (siehe oben zu 2). auch das landwirtschaftliche Arbeitseinkommen als Hin- zuverdienst i. S. d. § 27a Abs. 1 ALG anzusehen. Folgen Dies führte dazu, dass sich auch unter den grundsätz- hat diese Regelung nicht nur für Bezieher einer Rente lichen Befürwortern der Hofabgabeklausel die Einsicht wegen Erwerbsminderung, sondern nach dem neu ein- durchsetzte, eine verfassungskonforme Neuregelung sei gefügten § 27b ALG auch für Landwirte, die eine vorzei- nicht zu schaffen [12]. tige Altersrente erhalten. Im Nachhinein kann festgestellt werden, dass die LAK, Die AdL ist als Teilsicherung darauf angelegt, ergänzt zu indem sie die Anwendungssperre durchgesetzt und werden u. a. durch Altenteilsleistungen und durch Ein- nicht den vielfach an sie herangetragenen Forderungen nahmen, die den Rentenempfängern als Gegenleistun- nach vorläufigen Rentenbewilligungen auf zweifelhafter gen aus der Abgabe des Unternehmens zufließen. Der Rechtsgrundlage nachgegeben hat, ihren Beitrag dazu Gesetzgeber des Jahres 1957 hat als Zielsetzung der geleistet hat, dass der Schwebezustand vom Gesetzge- damals ins Leben gerufenen Altershilfe für Landwirte nur ber recht schnell beendet worden ist. deshalb nicht – nach dem Vorbild der gesetzlichen Ren- tenversicherung – die Sicherung des Lebensstandards, Allerdings war es mit der Streichung des § 11 Abs. 1 sondern lediglich eine ungleich bescheidenere Teilsiche- Nr. 3 ALG und des die Abgabeklausel konkretisierenden rung zugrundegelegt, weil er den Anspruch auf Rente 21 ALG nicht getan, vielmehr mussten eine Vielzahl wei- von der Abgabe des Unternehmens abhängig machte terer Bestimmungen im ALG und weiteren Gesetzen um und somit idealtypisch davon ausgehen konnte, dass ein die Vorschriften zur Hofabgabeklausel bereinigt werden. wesentlicher Teil der Altersversorgung durch Altenteils- leistungen oder Veräußerungsgewinne abgedeckt war. Im Verlauf der Ausweitung der Abgabemöglichkeiten auf die langfristige Verpachtung traten Pachterlöse als mög- liche Versorgungselemente hinzu. Einigkeit bestand zu
Ende der Hofabgabeklausel 1/2 I 2019 Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft 7 jeder Zeit, dass Landwirte erforderlichenfalls zusätzliche Die Entscheidung hätte somit gute Gründe geliefert, die private Eigenvorsorge betreiben mussten. Das Konzept Regelungen über den Hinzuverdienst zu streichen oder der Teilsicherung beruhte also auf der Annahme, dass wenigstens abzumildern. Stattdessen hat der Gesetz- ehemaligen landwirtschaftlichen Unternehmern neben geber die Regelungen für Bezieher von Renten wegen der Rente für den Fall der innerfamiliären Weitergabe Erwerbsminderung (§ 27a ALG) verschärft und für Bezie- des Unternehmens Altenteilsleistungen und für den Fall her von vorzeitigen Altersrenten sogar neu eingeführt der Eigentumsübertragung oder der langfristigen Ver- (§ 27b ALG). pachtung (das Unternehmen oder Teilflächen betreffend) Veräußerungs- bzw. Pachterlöse zur Verfügung stehen. Ist die Einbeziehung des landwirtschaftlichen Arbeitsein- Wenn beides zusammen nicht reicht, müssen weitere kommens als Hinzuverdienst aus vorgenannten Grün- Erwerbsquellen, weitere Rentenbezüge (etwa aus der den schon im Grundsatz abzulehnen, so werden die gesetzlichen Rentenversicherung) oder Einnahmen aus Folgen der Neuregelung des § 27a ALG noch fragwürdi- privater Vorsorge hinzutreten. Diese Konzeption setzt ger immer dann, wenn das Arbeitseinkommen zu erheb- voraus, dass den Rentenberechtigten die weiteren Ver- lichen Teilen aus Verpachtungserlösen besteht. Wer nur sorgungselemente anrechnungsfrei belassen werden. noch einen kleinen Teil seines bisherigen Unternehmens Stattdessen ist auch in der AdL bereits mit dem Agrarso- weiter bewirtschaftet und die übrigen Teile verpachtet, zialreformgesetz 1995 die Anrechnung von Einkommen erzielt einkommensteuerrechtlich ausschließlich Ein- auf Hinterbliebenenrenten (§ 27 ALG) eingeführt [13] künfte aus Land- und Forstwirtschaft. Aus § 15 Abs. 1 worden und im Zuge der Reform der Erwerbsminder- Satz 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) folgt, ungsrenten wurden Regelungen zum Hinzuverdienst dass es sich dann auch vollumfänglich um landwirt- (§ 27a ALG) ergänzt. schaftliches Arbeitseinkommen handelt. Auf diese Weise werden immer dann, wenn der weiter bewirtschaftete Teil Das BVerfG stützt seine Beurteilung der Hofabgabeklau- die Mindestgröße nach dem ALG erreicht, auch Einkom- sel als verfassungswidrig ganz wesentlich auch darauf, mensbestandteile, die bei isolierter Betrachtung Einnah- dass es unzumutbar sei, den Antragsteller zu zwingen, men aus Vermögensverwaltung darstellen würden, in den seine Erwerbsquelle unter Konditionen aufzugeben, die Hinzuverdienst hineingezogen. Dadurch stellt sich die es ihm nicht erlauben, die Teilsicherungsleistung so zu Neuregelung erst Recht als grob systemwidrig dar [16]. ergänzen, dass er seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. [14] Überraschend negative Auswirkungen hat die Neurege- lung auch auf Rentenbezieher, die schon nach der alten Dann kann es nicht richtig sein, zwar die Hofabgabe- Regelung (§ 21 Abs. 8 Satz 2 ALG) Gesellschafter einer klausel zu streichen, die mit den landwirtschaftlichen Landwirtschaft betreibenden Gesellschaft bürgerlichen Nutzflächen erzielten Einkünfte aber als Hinzuverdienst Rechts (GbR) bleiben durften. Deren Gewinnanteil wird anzurechnen und auf diese Weise die ohnehin nur als nun – sofern sie eine Rente wegen Erwerbsminderung Teilsicherung angelegte Leistung noch zusätzlich zu ver- beziehen – als Hinzuverdienst herangezogen. Die schon ringern. Die vom BVerfG nahe gelegte „Gesamtschau mit dem Grunde nach überaus fragwürdige Regelung greift weiteren Einkünften des abgebenden landwirtschaftlichen in diesen Fällen auch noch in bereits erworbene Rechte Unternehmers“, um beurteilen zu können, ob zusammen ein, jedenfalls, wenn man insoweit eine Aufhebung und mit der Teilsicherungsrente ein angemessener Lebens- Neuregelung nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch unterhalt sichergestellt werden kann [15], lässt sich in (SGB X) (wegen einer wesentlichen Änderung der recht- dem Gebot zusammenfassen, dem Leistungsempfänger lichen Verhältnisse) für zulässig hält (dies soll hier nicht solche Einkommensteile anrechnungsfrei zu belassen, näher betrachtet werden). die er benötigt, weil er allein mit der Rente seinen Lebens- unterhalt nicht bestreiten kann. Zwar war Gegenstand der Entscheidung die Hofabgabeklausel als Vorausset- b) Keine Betriebs- oder Haushaltshilfe für zung für den Anspruch auf Altersrente (früher § 11 Abs. 1 weiter wirtschaftende Rentenbezieher Nr. 3 ALG). Die Argumentation des BVerfG ist aber grund- sätzlicher Art und deshalb auf andere Versicherungsfälle Durch Art. 4a Nr. 3 des Qualifizierungschancengesetzes übertragbar. Bezieherinnen und Bezieher einer Rente ist § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ALG dahingehend ergänzt wegen Erwerbsminderung müssen gleichermaßen in die worden, dass nur „versicherte“ Landwirte Betriebs- oder Lage versetzt werden, ihren Lebensunterhalt zu bestrei- Haushaltshilfe erhalten können. Man wollte damit Ren- ten. Auch bei ihnen darf es nicht dazu kommen, dass tenbezieher, die nach Streichung der Hofabgabeklausel Einnahmen, die sie zu ihrem Lebensunterhalt benötigen, noch ein Unternehmen der Landwirtschaft bewirtschaften zu einem vollständigen oder teilweisen Ruhen der ohne- können, aus der Leistungsberechtigung herausnehmen. hin nur eine Teilsicherung bewirkenden Rente wegen Dieser Leistungsausschluss folgt aber bereits aus § 9 ALG Erwerbsminderung führen. i. V. m. § 12 Abs. 1 Nr. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Der Änderung des § 10 Abs. 2 ALG hätte es
8 Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft 1/2 I 2019 Ende der Hofabgabeklausel somit nicht bedurft. Auch als Klarstellung (so die Begrün- Doppelbuchst. aa Einkommenssteuergesetz (EStG) dung zu Art. 4a Nr. 3, BT-Drucksache 19/6146 S. 28) ist für echte Leibrenten, Doppelbuchst. bb Satz 5 EStG sie wenig hilfreich, besteht doch die Gefahr, den Versi- i. V. m. § 55 Einkommenssteuer-Durchführungsverord- chertenstatus unter Heranziehung der Definition des nung (StDV) für abgekürzte Leibrenten). Ob solche § 36 Abs. 5 ALG zu eng zu ziehen und damit – über das Unterschiede noch gerechtfertigt sind, erscheint höchst Regelungsziel hinausschießend – auch solchen Land- fraglich. wirten die Leistung zu versagen, die gemäß § 3 ALG auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit worden sind, aber aufgrund der zuvor zurückgelegten Versicherungs- zeiten die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen 6 Zusammenfassung für die Grundleistungen zur medizinischen Rehabilitation erfüllen. [17] Dringender Nachbesserungsbedarf besteht hinsichtlich der Regelungen über den Hinzuverdienst. Solange der Gesetzgeber an dem Teilsicherungskonzept der AdL festhält, muss er den Bezieherinnen und Beziehern von 5 Befristung von Renten wegen Renten aus eigener Versicherung – auch solchen wegen Erwerbsminderung Erwerbsminderung – die von ihnen benötigten zusätz- lichen Einkommensbestandteile auch anrechnungsfrei Auch unter Geltung der Hofabgabeklausel war der belassen. Hierzu genügt es nicht, lediglich die Verschär- Entzug einer Rente wegen Erwerbsminderung mög- fung des § 27a ALG rückgängig zu machen, d. h. die lich und geboten, wenn sich der Gesundheitszustand Berücksichtigung landwirtschaftlichen Arbeitseinkom- besserte. Weil die Rentenantragsteller aber zuvor zur mens wieder auszuschließen, oder wenigstens dahin Erfüllung der Hofabgabeklausel gezwungen waren, gehend abzumildern, dass hierin enthaltene Verpach- sich endgültig von ihrer landwirtschaftlichen Erwerbs- tungserlöse ausgesondert werden; [18] vielmehr sollten quelle zu trennen, bestand insoweit de facto eine die §§ 27a und 27b ALG ersatzlos gestrichen werden. gewisse Zurückhaltung. Dies dürfte auch der Grund dafür gewesen sein, dass § 102 Abs. 2 SGB VI, der Sinnvoll erscheint, den Anspruch auf Renten wegen die befristete Gewährung von Renten wegen vermin- Erwerbsminderung, § 13 ALG, auf die Zeit bis zum Errei- derter Erwerbsfähigkeit anordnet, von der Verweisung chen der Regelaltersgrenze zu beschränken und damit in § 30 Abs. 1 ALG ausgenommen war. Nur konse- einen Gleichklang mit der gesetzlichen Rentenversi- quent erscheint es daher, dass der neue § 30 ALG auf cherung herzustellen. [19] Jedenfalls ist dafür Sorge zu § 102 SGB VI in Gänze verweist, d. h. auch die LAK muss tragen, dass die Renten wegen Erwerbsminderung in nunmehr solche Renten auf längstens drei (weitere) Jahre der AdL und in der gesetzlichen Rentenversicherung ein- befristen, es sei denn, die Behebung der Minderung der kommensteuersystematisch gleich behandelt werden. Erwerbsfähigkeit erscheint unwahrscheinlich oder die Rente war bereits für insgesamt neun Jahre befristet (§ 102 Abs. 2 Satz 5 SGB VI). 7 Ausblick Es bleibt aber dabei, dass in der gesetzlichen Renten- versicherung auch solche Renten wegen verminderter Die AdL hat seit Jahrzehnten ein Akzeptanzproblem. Erwerbsfähigkeit, die nach § 102 Abs. 2 Satz 5 SGB Augenfällig wird es in der Anzahl der Befreiungen von VI „unbefristet“ zu leisten sind, spätestens mit Errei- der Versicherungspflicht. Die Anzahl der aktiv versi- chen der Regelaltersgrenze enden (§ 43 Abs. 1 Satz cherten Personen sinkt weiterhin kontinuierlich, zugleich 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB VI), während § 13 ALG eine steigt die Zahl der befreiten Personen an. Ausweislich solche Begrenzung auch weiterhin nicht enthält. Auch der Quartalsstatistik der LAK [20] ist die Zahl der ver- künftig bewirkt die Feststellung der Altersrente, § 44 sicherten Personen allein vom 30.06.2018 bis zum Abs. 1 ALG i. V. m. § 115 Abs. 3 SGB VI, in der AdL 30.06.2019 von 192.664 auf 183.521 zurückgegangen, keine „Umstellung“ der Rente, sondern das Hinzutre- in demselben Zeitraum stieg die Zahl der auf Antrag ten eines weiteren Rentenanspruchs. Es bleibt somit wegen des Bezuges außerlandwirtschaftlichen Erwerbs- auch dabei, dass § 27 Abs. 1 ALG die Leistung nur einkommens befreiten Personen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 einer der beiden zusammen treffenden Renten anord- ALG – nur Landwirte und Ehegatten) von 152.855 auf net. Renten wegen Erwerbsminderung nach § 13 ALG 155.731. Die weit verbreitete Neigung, jede Gelegenheit sind also weiterhin echte Leibrenten, sobald sie entspre- zu nutzen, um dem Alterssicherungssystem den Rücken chend § 102 Abs. 2 SGB VI unbefristet geleistet werden, zu kehren, scheint auch nach Streichung der Hofabga- während solche nach § 43 SGB VI in ihrer maximalen beklausel ungebrochen. Die zutreffenden Hinweise auf Laufzeit beschränkt sind. Dies bewirkt auch Unter- das im Vergleich zur gesetzlichen Rentenversicherung schiede in der Besteuerung (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a um 10 Prozent günstigere Verhältnis zwischen Beitrag
Ende der Hofabgabeklausel 1/2 I 2019 Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft 9 und Rente, sichergestellt durch die Beitragsformel des kein anderer Sozialleistungsträger eine so umfangreiche § 68 ALG, und auf die den besonderen Bedürfnissen Expertise haben wie die LAK, was die Ermittlung der landwirtschaftlicher Familienbetriebe entgegenkom- Arbeitseinkommen gerade auch solcher landwirtschaft- mende Leistung „Betriebs- und Haushaltshilfe“ scheinen licher Unternehmer angeht, die keine Bücher führen, ungehört zu verhallen; jedenfalls können sie Befreiungs- sondern ihren Gewinn entweder überhaupt nicht oder willige nur selten umstimmen. nach Durchschnittssätzen ermitteln (§ 13a EStG). [21] In der Vergangenheit vermochten offenbar viele Versi- Wegen der fortbestehenden Unterschiede im Leistungs- cherte keinen rechten Sinn in einem Alterssicherungs- katalog bleibt ein besseres Verhältnis zwischen Bei- system zu erkennen, welches mit seinem Leistungsniveau trags- und Rentenhöhe im Vergleich mit der gesetzlichen nicht einmal zur Basissicherung taugt und mit der Hofab- Rentenversicherung auch künftig legitim. Dies wiederum gabeklausel hohe Hürden aufrichtete, die zu überwinden setzt voraus, dass der Bund seiner Verantwortung für waren, um in den Genuss einer äußerst bescheidenen den gewollten und über Jahrzehnte u. a. mittels Hofab- Rentenzahlung zu kommen. gabeklausel forcierten Wandel der Agrarstruktur und das daraus resultierende überaus ungünstige Verhältnis Ob die Abschaffung der Hofabgabeklausel für mehr zwischen Beitragszahlern und Rentenempfängern auch Akzeptanz sorgt, bleibt abzuwarten. Die jüngsten weiterhin nachkommt, indem er die sog. Defizithaftung, Quartalsergebnisse stimmen skeptisch, denn sie doku- § 78 ALG, übernimmt. mentieren eine ungebremste Entwicklung bei den Befrei- ungsanträgen. Verwundern kann dies nicht, denn der entscheidende Nachteil bleibt: Die erwartbaren Renten- höhen sind „zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel“. Ass. jur. Gerhard Zindel Mit dem Konzept der Teilsicherung, in seinen Ursprün- gen erdacht als Ergänzung familieninterner Altenteils- Buchenweg 4 34270 Schauenburg leistungen, können die Betroffenen anscheinend wenig anfangen. Das Konzept der Teilsicherung ist tatsächlich nur erklär- bar vor dem Hintergrund, dass sich Rentenempfänger von ihrem Unternehmen getrennt haben mussten und mit den Gegenleistungen der Abgabe – in ihren unterschied- lichsten Ausgestaltungen – zumindest über eine weitere Säule der Alterssicherung verfügten. Mit dem Wegfall Quellen der Hofabgabeklausel ist also auch die Legitimation für die Beschränkung des Sicherungsziels auf eine Teilsi- [1] BGBl. I S. 2651. cherung entfallen. Auch wenn die Erkenntnis schmerzen mag, muss konstatiert werden, dass sich damit auch die [2] Vgl. nur die Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dien- bisher als prägendes Alleinstellungsmerkmal stilisierte ste des Dt. Bundestages vom 19.10.2018 „Die Verpflich- Verbindung von Agrarsozial- und Agrarstrukturpolitik tung zur Hofabgabe im Gesetz über die Alterssicherung weitgehend erledigt hat. der Landwirte - Folgen der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“, WD 6 - 3000 - 095/18. Damit der Wegfall der Hofabgabeklausel weder den „Anfang vom Ende“, noch ein „Weiter so“ mit fortschrei- [3] Mehl, SdL 2013 Heft 1, S. 5; Schmidt/Sunder/Fleuth/ tendem Bedeutungsverlust, sondern vielmehr einen Neu- Liebscher, SdL 2013 Heft 1 S. 46; treffend auch beginn markiert, muss sich die AdL von den überholten Wikipedia, abgerufen am 03.07.2019 unter https:// Narrativen trennen und ihren Platz neu definieren. Wenn de.wikipedia.org/wiki/Alterssicherung _der_Landwirte, das Konzept der Teilsicherung keine Zukunft hat, kann es unter „Agrarstrukturelle Zielsetzung“: „Die Alterssiche- nur durch eine vollwertige Alterssicherung mit einkom- rung der Landwirte wird erheblich durch staatliche Mittel mensabhängigen Beiträgen und Renten abgelöst werden. gefördert. Als Ausgleich hierfür sind mit der Alterssi- Dann hätten auch die Regelungen zum Hinzuverdienst cherung der Landwirte agrarstrukturelle Zielsetzungen (§§ 27a und b ALG) wieder ihre Berechtigung. Eines verbunden, indem die Landwirte gezwungen wurden, Zuschusses zum Beitrag (§§ 32 ff. ALG) bedürfte es dann ihren Betrieb aufzugeben. Das vordringliche Ziel ist nicht mehr. Der Beitragszuschuss ist zwar rechtssyste- die Hofübergabe bzw. Hofabgabe bei Erreichen des matisch eine Sozialleistung, faktisch und wirtschaftlich Rentenalters; die Übergabe an die Nachfolgegenera- betrachtet kommt er aber einem einkommensabhängigen tion soll dadurch befördert werden. Daher wurde sie Beitrag schon recht nahe. Aufgrund der mit der Anwen- als Anspruchsvoraussetzung für die Gewährung einer dung der §§ 32 ff. ALG erworbenen Erfahrungen dürfte Altersrente festgelegt. Dies führt neben der Hofüber-
10 Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft 1/2 I 2019 ALG nach Ende der Hofabgabeklausel gabe jedoch auch zu einer Hofkonzentration durch Ver- [18] Etwa durch pauschale Ermittlung des Verpachtungser- pachtung frei werdender Nutzflächen an Landwirte, die lösanteils im Verhältnis der weiter bewirtschafteten zu nicht Hofnachfolger sind, weil z. B. keine Hofnachfolger den verpachteten Flächen. vorhanden sind. Damit trägt diese Vorschrift zum Struk- turwandel in der Landwirtschaft bei: Kleine Betriebe [19] Vgl. § 43 SGB VI. verschwinden, große Betriebe vergrößern sich.“ [20] https://www.svlfg.de/quartal-adl, aufgerufen am [4] Vgl. nur Maydell / Boecken, Weiterentwicklung des 06.11.2019. landwirtschaftlichen Sozialrechts, Schriftenreihe des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und [21] Insoweit nimmt die Deutsche Rentenversicherung gern Forsten, Reihe A: Angewandte Wissenschaft, Heft 352, die Amtshilfe der LAK in Anspruch, vgl. § 15 Abs. 2 Münster-Hiltrup 1988, Zusammenfassung auf S. 382 ff. SGB IV i. V. m. § 32 Abs. 6 ALG. [5] Schmidt/Sunder/Fleuth/Liebscher, SdL 2013 Heft 1 S. 46, 47 ff. [6] AuR 12/2018, S. 460 ff.; Juris; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 23. Mai 2018 - 1 BvR 97/14, http:// www.bverfg.de/e/rs20180523_1bvr009714.html. [7] Wörtlich (AuR 12/2018, S. 467; in den anderen Ver- öffentlichungen Rz. 109): „§ 11 Abs. 1 Nr. 3 ALG wird insgesamt für unanwendbar erklärt, weil es dem Gesetz- geber obliegt, die Fälle einer Unzumutbarkeit der Hofab- gabe näher zu bestimmen. § 11 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 ALG bleiben hingegen weiter anwendbar. Von einer Nichtiger- klärung (§ 95 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG) wird abgesehen, weil der Gesetzgeber verschiedene Möglichkeiten hat, die Verfassungswidrigkeit zu beheben.“ [8] Näheres zu der sog. Anwendungssperre als Rechtsfolge der Erklärung der Regelung für unanwendbar sh. Büntig, AuR 12/2018, S. 468, 469 f. [9] Büntig, a. a. O. S. 470 f. [10] AuR 12/2018, S. 467; in den anderen Veröffentlichungen Rz. 101. [11] Büntig a. a. O. S. 470. [12] Agra-Europe (Presse- und Informationsdiest), Nr. 40/2018 „Mortler auf Distanz zur Hofabgabeklausel“. [13] Kritisch hinsichtlich der Anrechnung von Arbeitseinkom- men auf die als Teilsicherung angelegten Renten an Hinterbliebene schon Zindel, SdL 3/1997, S. 188, 192. [14] AuR 12/2018, Leitsatz 2 (S. 460) und aus den Gründen (S. 466 f); in den anderen Veröffentlichungen sh. Rz. 100. [15] Ebd. [16] Zindel in HzS/Sehnert/Zindel Gruppe 5a Rz. 404/1. [17] Ebd. Rz. 247.
Neuregelungen in der AdL 1/2 I 2019 Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft 11 Zu den Neuregelungen in der Alterssicherung der Landwirte (AdL) nach Abschaffung der Hofabgabeverpflichtung Ass. jur. Sabine Büntig, Matthias Ahmann Der Beitrag befasst sich mit der rechtlichen und tatsächlichen Situation der Landwirtschaftlichen Alterskasse nach dem sog. Hofabgabebeschluss des Bundesverfassungsgerichtes. Er zeigt auf, dass die Verpflichtung zur Hofabgabe zwar ein für das Gesamtkonzept der Alterssicherung der Landwirte wesentlicher Tatbestand war, jedoch ihr Wegfall nicht geeignet war und ist, an dem System der eigenständigen agrarsozialen Sicherung zu zweifeln. Die im Beitrag aufgezeigten gesetzlichen Fortentwicklungen zeigen auch, dass die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG) hinsichtlich der ausgesetzten Entscheidungen zwischen Verfassungsgerichtsbeschluss und Neuregelung besonnen und professionell gearbeitet hat. 1 Die Situation der Landwirtschaftli- betreffende Vorschriften auch inhaltlich anzupassen. Das chen Alterskasse (LAK) nach dem Abgabeerfordernis war Teil eines Gesamtkonzepts der Beschluss des Bundesverfassungs- Landwirtschaftlichen Sozialversicherung und hatte Aus- gerichts wirkung auf weitere sozialpolitische Entscheidungen des Gesetzgebers bzw. gesetzliche Regelungen mit Steue- Das Bundesverfassungsgericht hat durch einen am rungswirkung. Insbesondere stellte sich die agrarstruk- 09.08.2018 veröffentlichten Beschluss die Hofabgabe- turelle Frage, wie zukünftig die Hofabgabe gefördert verpflichtung als Voraussetzung für den Bezug einer werden kann, um insbesondere den Übergang an die Altersrente in der Alterssicherung der Landwirte für ver- Folgegenerationen sicherzustellen. [3] Dabei war auch fassungswidrig erklärt. Es hatte dem Gesetzgeber ins- darüber zu befinden, was seitens der Verwaltung abzu- besondere aufgegeben, die Regelungen im Hinblick auf warten blieb: ob angesichts des Wegfalls der Hofabgabe die sukzessive eingeführten Ausnahmetatbestände von und des steigenden Leistungsaufwandes eine Änderung der Hofabgabepflicht zu überarbeiten, die dazu führten, im Hinblick auf den Beitrag zur AdL (§ 68 ALG) oder eine dass nur noch eine Teilgruppe der in der AdL Versicher- Senkung des Alterskassen (AK)-Rentenniveaus ange- ten von der Hofabgabepflicht betroffen war, ohne dass zeigt ist. Die Abschaffung der Hofabgabepflicht hatte es dafür einen sachlichen Grund gegeben hätte. Auch letztlich nicht nur Auswirkungen auf den Rentenbezug, war der Gesetzgeber aufgefordert, Härtefallregelungen sondern auch auf die Voraussetzungen zur Versiche- für Sachverhalte einzuführen, bei denen die Rente nach rungs-/ Beitragspflicht (sh. unter 2.1), auf die Leistungen Abgabe des landwirtschaftlichen Unternehmens nicht zur Teilhabe bzw. ergänzenden Leistungen wie Betriebs- ausreichte, den Lebensunterhalt zu bestreiten. und Haushaltshilfe (sh. unter 2.2) und auf die Frage der rückwirkenden Verzinsung von Rentennachzahlungen Der Gesetzgeber hat sich daraufhin mit dem Gesetz im Zusammenhang mit der Hofabgabeverpflichtung zur Stärkung der Chancen für Qualifizierung und für (sh. unter 2.3). mehr Schutz in der Arbeitslosenversicherung (Qualifi- zierungschancengesetz) [1] in Ausübung seines weiten Wenig hilfreich waren angesichts einer so folgenrei- gesetzgeberischen Ermessens dazu entschlossen, chen Entscheidung, dass die die Gesetze ausführende die beanstandeten Regelungen zur sog. Hofabgabe- Behörde nahezu zeitgleich mit der Öffentlichkeit von der klausel als Rentenanspruchsvoraussetzung rückwir- Beschlussfassung des BVerfG [4] über eine Presse- kend zum 09.08.2018 abzuschaffen. Die ebenfalls vom erklärung Kenntnis erhielt, nachdem die Entscheidung Bundesverfassungsgericht (BVerfG) beanstandeten des hohen Gerichts bereits über zwei Monate fest stand. Ausnahmeregelungen zur sogenannten Ehegatten- Zeit, die die Verwaltung in die Lage versetzt hätte, die abgabe gemäß § 21 Abs. 9 ALG a. F. wieder rückgän- für die sofort umzusetzende Entscheidung notwendigen gig zu machen, war genauso wenig eine realistische aufsichtsrechtlichen Abstimmungen vorzunehmen und Option, wie die Einführung einer verwaltungsauf- Arbeitsabläufe in der Sachbearbeitung anzupassen. wändigen Bedürftigkeitsprüfung etwa im Sinne des Eine mündliche Verhandlung hatte nicht stattgefunden. SGB II. Trotz dieser sich relativ zeitig eingestellten Erkennt- Die Unanwendbarerklärung der beanstandeten Vor- nis war es mit der bloßen Streichung des Abgabeerfor- schrift ohne Weitergeltungsanordnung war dabei für alle dernisses nicht getan. [2] Es galt nicht nur Regelungen Beteiligten höchst problematisch. [5] des Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) rein redaktionell zu überarbeiten, sondern vielmehr waren gesetzliche, den Verbundträger SVLFG insgesamt
12 Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft 1/2 I 2019 Neuregelungen in der AdL 2 ie Änderungen des Qualifizierungs- D Erreichen der Regelaltersgrenze in der „Unternehmer- chancengesetzes sowie Fragen der krankenversicherung“ als sog. Aktive bleiben werden. Umsetzung und Weiterentwicklung Da zudem lebensältere Mitglieder regelmäßig im stärke- ren Maße Leistungen in Anspruch nehmen müssen, wird Mit den neuen gesetzlichen Regelungen wurde im Wei- die Solidargemeinschaft der Landwirtschaftlichen Kran- teren ein Ruhen von Renten wegen Flächenhinzunahme kenkasse (LKK) mit diesen Kosten nun mehr belastet als oberhalb des bislang zulässigen Rückbehalts nicht mehr vor der Neuregelung zum Wegfall der Hofabgabepflicht. vorgesehen und entschieden, dass Witwen- sowie Wai- Dagegen tritt eine Entlastung des Bundes ein, da diese senrentenbezieher selbst Landwirte bzw. Landwirtinnen Gruppe der aktiv als Unternehmer Versicherten trotz des sein können. Flankierend hierzu wurden auch die Vor- Altersrentenbezugs nicht der Gruppe der sog. Altenteiler schriften des Gesetzes zur Förderung der Einstellung zugeordnet wird. der landwirtschaftlichen Erwerbstätigkeit (FELEG) an das Entfallen der Hofabgabepflicht angepasst. Wegen Der Gesetzgeber hat daher den Solidarbeitrag nach der Verschiebung der Leistungsverantwortung und damit § 38 Abs. 4 KVLG 1989 - wie folgt - gesenkt: erhöhten Gesundheitskosten für weiterbewirtschaftende Altersrentner in die landwirtschaftliche Krankenversi- 2019: 76 Mio. Euro cherung (LKV) wird nun der Solidarzuschlag der aktiven 2020: 71 Mio. Euro Beitragszahler in den Jahren 2019 bis 2022 sukzessive 2021: 65 Mio. Euro abgeschmolzen. Es wurden Hinzuverdienstregelungen 2022: 59 Mio. Euro eingeführt, der sogenannte Abgabezuschlag des § 23 Abs. 7 ALG a. F. abgeschafft und Vertrauensschutzre- Insgesamt wurde damit über diese vier Jahre eine Sen- gelungen getroffen. kung des Solidarbeitrages um 69 Mio. Euro vorgenom- men. 2.1 Zu den wesentlichen Änderungen im Zu § 2 ALG n. F. - Versicherungsfreiheit Einzelnen Die nach § 1 ALG bestehende Versicherungspflicht Zu § 38 Abs. 4 Zweites Gesetz über die Kranken- endet mit Unterschreiten der Mindestgröße nach § 1 versicherung der Landwirte (KVLG 1989) n. F. Abs. 5 ALG, mit Erreichen der Regelaltersgrenze nach – Solidarbeitrag in der landwirtschaftlichen Kran- § 2 Nr. 1 Buchst. a ALG oder mit dem Tod. Der Bezug kenversicherung einer vorzeitigen Altersrente oder einer Renten wegen Erwerbsminderung führt jedoch zur Versicherungsfrei- Auf die Beurteilung der Versicherungspflicht als landwirt- heit in der AdL gem. § 2 Nr. 1 Buchst. c ALG n. F. schaftlicher Unternehmer (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 KVLG 1989), LAK-Rentenbezieher (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 KVLG 1989) oder Wegen des Wegfalls des Hofabgabeerfordernisses tritt Rentenantragsteller (§ 23 Abs. 1 KVLG 1989) hatte der die Versicherungsfreiheit bereits bei Bezug einer Rente Wegfall der Hofabgabeverpflichtung zunächst keinerlei aus eigener Versicherung ein, um nicht noch zusätzliche Auswirkung. Solange das landwirtschaftliche Unterneh- Anreize zu schaffen, das Unternehmen trotz Renten- men die Mindestgröße nach § 1 Abs. 5 ALG erreicht, bezugs weiter zu bewirtschaften. Soweit eine Regelal- bleibt es bei der Versicherungspflicht als landwirtschaft- tersrente bezogen wird, folgt die Versicherungsfreiheit licher Unternehmer (sog. Aktiver). [6] Die Versicherungs- bereits aus der Nummer 1 Buchst a. pflicht als Rentner (sog. Altenteiler) nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 und 5 KVLG 1989 greift erst nach Unterschreiten der Zu § 23 Abs. 2 Satz 5 und Abs. 7 ALG n. F. – Berech- Mindestgröße. nung der Rente Die Aufwendungen für die sog. Altenteiler in der LKV Bei Renten an mitarbeitende Familienangehörige oder werden grundsätzlich vom Bund getragen, soweit sie deren Hinterbliebene werden die mit Beiträgen als Land- nicht durch die (geringen) Beiträge dieser Mitglieder wirte belegten Kalendermonate nun berücksichtigt. Da finanziert werden. Ausgenommen sind jedoch die Ver- mit dem Wegfall des Hofabgabeerfordernisses als Ren- waltungskosten und der sog. Solidarbeitrag. Die vollstän- tenvoraussetzung ein Rentenbezug mit Erreichen der digen Verwaltungskosten und der Solidarbeitrag sind Regelaltersgrenze zukünftig möglich ist, wurde über- von den Unternehmern und Freiwilligen zu tragen. [7] dies ein Rentenzuschlag bei späterer Inanspruchnahme der Regelaltersrente zukünftig für entbehrlich gehalten. Für das Jahr 2019 war die Höhe des Solidarbeitrages Damit ist allerdings nun auch keine Erhöhung der Rente bereits auf 85 Mio. Euro festgesetzt. Infolge des Weg- wegen des späteren Bezuges aus anderen Gründen falls der Hofabgabevoraussetzungen in der AdL war zu mehr möglich, wie dies in der allgemeinen gesetzlichen berücksichtigen, dass mehr Unternehmer auch nach Rentenversicherung nach wie vor der Fall ist (vgl. § 77
Neuregelungen in der AdL 1/2 I 2019 Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft 13 Abs. 2 Nr. 2b Sechstes Sozialgesetzbuch -SGB VI-, zur bei Renten wegen Erwerbsminderung und bei vorzeiti- Erhöhung des Zugangsfaktors wegen späterer Inan- gen Altersrenten das Arbeitseinkommen aus Land- und spruchnahme einer Altersrente [8]). In der Gesamtschau Forstwirtschaft als Hinzuverdienst berücksichtigt. Nach ist dies jedoch wegen des mit dem Hofabgabeerforder- § 15 Abs. 1 SGB IV ist Arbeitseinkommen der nach nis einhergehenden Ausgabenanstiegs in dem weiterhin den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des als Teilsicherungsystem ausgestalteten Rentensystems Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer gerechtfertigt. selbständigen Tätigkeit. Einkommen ist als Arbeits- einkommen zu werten, wenn es als solches nach dem Zu § 27a ALG n. F. – Hinzuverdienst bei Erwerbs- Einkommensteuerrecht zu bewerten ist. Pachteinnah- minderungsrentenbezug (EM-Rentenbezug) men werden als Arbeitseinkommen berücksichtigt, wenn sie steuerrechtlich zu den Einkünften aus Land- Das Hofabgabeerfordernis wurde auch für Erwerbsmin- und Forstwirtschaft zugeordnet werden. Bei Landwir- derungsrenten (EM-Renten) aufgegeben, welche vom ten, deren Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft nach Tenor des Verfassungsgerichtsbeschlusses nicht erfasst § 13a Einkommensteuergesetz (EStG) ermittelt wird, waren. Damit können nun Einnahmen aus der aktiven ist als Arbeitseinkommen der sich aus § 32 Abs. 6 ALG Bewirtschaftung eines landwirtschaftlichen Unterneh- ergebende Wert anzusetzen (§ 15 Abs. 2 SGB IV). mens erzielt werden. Diese Einnahmen sind jedoch anrechenbar. Es ist eine Anrechnung von Einkommen Zu § 30 ALG – Befristung EM-Renten aus Land- und Forstwirtschaft vorzunehmen, wenn der Rentenbezieher Landwirt ist. Dagegen erfolgt wie Wegen des Wegfalls des Hofabgabeerfordernisses als bisher keine Anrechnung, wenn trotz Aufgabe der akti- Rentenvoraussetzung sollen Renten wegen Erwerbs- ven Bewirtschaftung eines landwirtschaftlichen Unter- minderung – wie in der gesetzlichen Rentenversicherung nehmens lediglich steuerlich Einnahmen aus Land- und – künftig im Regelfall befristet bewilligt werden. Daher Forstwirtschaft bezogen werden. soll auch § 102 Abs. 2 SGB VI entsprechend Anwen- dung finden. Auf § 102 SGB VI wird nun insgesamt Da § 27a ALG erst ab 01.01.2019 in der neuen Fassung verwiesen. Hintergrund hierfür ist auch, dass die EM- anwendbar ist, kann es infolge des rückwirkenden Weg- Rente nicht wie in der Gesetzlichen Rentenversicherung falles der Hofabgabeverpflichtung dazu kommen, dass (GRV) automatisch mit Erreichen der Regelaltersgrenze Einkommen aus Land und Forstwirtschaft ggf. für wenige endet. Für eine Regelaltersrente in der AdL ist eine War- Monate nicht anzurechnen ist. tezeit von 15 Jahren zu erfüllen. Bei der Rente wegen Erwerbsminderung ist dagegen nur eine Wartezeit von Zu § 27b ALG n. F. – Hinzuverdienst bei vorzeitiger fünf Jahren zu erfüllen. Die zunächst befristet zu gewäh- Altersrente rende EM-Rente kann auch über die Regelaltersgrenze hinaus gewährt und ggf. in eine unbefristete EM-Rente Mit der Änderung wird auch für vorzeitige Altersrenten umgestellt werden. Eine Dauerrente kommt nur im Aus- – wie in der gesetzlichen Rentenversicherung – eine Hin- nahmefall in Betracht. Bei der erstmaligen Bewilligung zuverdienstgrenze eingeführt. Hierzu ist die Vertrauens- der Zeitrente darf die Befristung für längstens drei Jahre schutzregelung in § 106 Abs. 8 ALG n. F. zu beachten, erfolgen. wonach keine Hinzuverdienstanrechnung vorzunehmen ist, wenn der Anspruch auf eine vorzeitige Altersrente Renten, auf die unabhängig von der jeweiligen Arbeits- am 31.12.2018 bestand. Dieser für vorzeitige Altersren- marktlage ein Anspruch besteht, können von Beginn an ten aufgenommene Bestandsschutz ist nicht auf EM- unbefristet nur dann geleistet werden, wenn unwahr- Rentenbezieher auszudehnen. Die Regelung hat der scheinlich ist, dass die Leistungsminderung behoben Gesetzgeber bewusst nur für die vorzeitigen Altersren- werden kann. ten wegen der erstmaligen Einführung von Hinzuver- dienstregelungen aufgenommen. Die Interessenlage Besteht neben einer Rente wegen Erwerbsminderung bzw. Schutzbedürftigkeit ist insoweit nicht vergleichbar, auch ein Anspruch auf eine Regelaltersrente, wird nach denn § 27a ALG in der bisherigen Fassung berücksich- § 27 Abs. 1 ALG die für den Versicherten günstigere tigte das Hofabgabeerfordernis, das nun weggefallen ist. Rente geleistet. Für diesen Wegfall muss sich derjenige, der nicht abge- ben will oder kann und aus der aktiven Bewirtschaftung Zu § 38 Abs. 4 ALG – Überbrückungsgeld bei Tod Einkommen erzielt, dieses auch anrechnen lassen. versicherter Landwirte Die Vorschriften der §§ 27a und b ALG n. F. nehmen Bisher konnte entweder Überbrückungsgeld bei Weiter- keine Unterscheidung zwischen „aktiver“ oder „passi- bewirtschaftung des Unternehmens bezogen werden ver“ Bewirtschaftung vor. Wenn der Rentenbezieher oder eine Witwen- oder Witwerrente bei Unternehmens- noch Landwirt nach § 1 Abs. 2 oder 3 ALG ist, wird aufgabe. Da künftig Renten auch ohne Unternehmens-
14 Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft 1/2 I 2019 Neuregelungen in der AdL aufgabe gezahlt werden können, soll die geänderte ist es vorbehaltlich der weiteren genannten Vorausset- Regelung (Ruhen des Anspruchs auf Überbrückungs- zungen seit der Vorgängervorschrift des § 1236 RVO geld) verhindern, dass es zu Doppelleistungen (Rente a. F. für die Versicherteneigenschaft des Antragstellers und Überbrückungsgeld) kommt. ausreichend, dass mindestens ein wirksamer Renten- versicherungsbeitrag entrichtet worden ist. [9] Als einzige in diesem Zusammenhang aufgenommene Konkurrenzregelung bestimmt § 38 Abs. 4 ALG in der § 36 ALG regelt dagegen spezialgesetzlich Leistungs- Fassung des Qualifizierungschancengesetzes, dass der fälle mit eingeschränkten Voraussetzungen. Aus der Anspruch auf Überbrückungsgeld ruht, wenn Betriebs- Formulierung des § 36 Abs. 5 ALG kann überdies und Haushaltshilfe (BHH) oder Witwenrente bezogen geschlossen werden, dass – hätte der Gesetzgeber für wird. Die Regelung gibt keinen Hinweis darauf, dass BHH § 10 Abs. 2 ALG n. F. eine entsprechende Änderung (nur statt Hinterbliebenenrente oder umgekehrt zu gewähren aktiv pflichtversicherte Landwirte als Ausnahme vom ist. Weitergehende Konkurrenzregelungen wurden nicht Grundsatz) gewollt – er dies ebenso eindeutig hätte aus- aufgenommen. drücken müssen. Im Hinblick auf die Gesetzesbegrün- dung hat er dies jedoch auch nicht beabsichtigt. Die parallele Gewährung von Hinterbliebenenrenten und BHH ist im Hinblick auf die weitere Versicherungspflicht b) Rückwirkendes Zusammentreffen von Rente und und Beitragszahlung der Hinterbliebenen (Äquivalenz- BHH-Leistungen infolge der Übergangsregelung prinzip) auch sachgerecht, um dem Hinterbliebenen die in § 94 Abs. 2a ALG aktive Weiterführung des Unternehmens zu ermögli- chen. Nach Wegfall des Hofabgabeerfordernisses waren nach bereits geltendem Recht bestandskräftige nicht begün- stigende Bescheide über die Bewilligung von Altersrente 2.2 Die Auswirkungen auf die Leistungen der und vorzeitiger Altersrente nach Maßgabe von § 30 Abs. 1 Teilhabe und ergänzende Leistungen ALG i. V. m. § 100 Abs. 4 SGB VI mit Wirkung ab 01.09.2018 neu zu bescheiden. a) Zu § 10 ALG n. F. - Betriebshilfe nur an „versicherte Landwirte“ Offene Verfahren werden nach § 94 Abs. 1 ALG nach neuem Recht – das heißt ohne das Hofabgabeerforder- Neu hinzugefügt wurde in § 10 Abs. 2 ALG, dass Betriebs- nis – entschieden. Der neu eingefügte Abs. 2a dient der hilfe nur an „versicherte“ Landwirte erbracht werden Gleichbehandlung von Personen, deren Rentenantrag kann. Dies ist klarstellend zu dem ohnehin nach § 9 ALG wegen fehlender Hofabgabe abgelehnt wurde und den i. V. m. § 12 SGB VI geltenden Leistungsausschlusses Personen, die wegen fehlender Hofabgabe in der Ver- für Bezieher einer Altersrente gedacht, wonach an diese gangenheit keinen Rentenantrag gestellt haben. Durch auch bei Weiterbewirtschaftung des landwirtschaftlichen die Änderung wurde auch für die letztere Personen- Unternehmens keine Betriebs- und Haushaltshilfe zu gruppe – abweichend von den allgemeinen Vorschriften erbringen ist. zum Rentenbeginn – bei Vorliegen der Voraussetzungen ein Rentenbeginn schon ab dem 01.09.2018 ermöglicht, Mit der Änderung des Wortlautes ist durch die Aufnahme wenn der Rentenantrag bis zum 31.03.2019 gestellt des Tatbestands „versicherter Landwirt“ keine Änderung wurde und am 01.01.2019 alle Rentenvoraussetzungen, der bislang geltenden Rechtslage gewollt. Insbesondere mit Ausnahme der Abgabe des landwirtschaftlichen soll hierdurch keine Einschränkung des Anspruchs auf Unternehmens erfüllt waren. BHH auf lediglich „aktiv“ versicherte Landwirte vorge- nommen werden. Allein Rentenbezieher sind (weiterhin) Beim Zusammentreffen einer rückwirkenden Rentenbe- ausdrücklich ausgenommen. Dies ergibt sich sowohl willigung aufgrund dieser Vorschrift mit bereits erbrach- aus der Gesetzesbegründung, Historie als auch aus ten oder eingeleiteten Leistungen zur Teilhabe und dazu der systematischen Stellung des § 10 ALG im zweiten ergänzender Leistungen – wie BHH – ergaben sich Kapitel, erster Abschnitt, der in direkter Beziehung zu aufgrund der Übergangsregelung weitere Verfahrens- § 8 ALG und nicht in direktem Bezug zum § 36 ALG im fragen, für die im Folgenden eine mögliche Beurteilung dritten Abschnitt steht. dargestellt werden soll: Gemäß § 8 Abs. 1 ALG haben Anspruch auf Leistun- ■ Sind in der Übergangszeit vom 01.09.2018 bis gen zur Teilhabe die aktiv (versicherungspflichtige und 31.03.2019 wegen Arbeitsunfähigkeit nach § 36 ALG freiwillig Versicherte) und sog. passiv Versicherten, die erbrachte BHH-Leistungen bei rückwirkendem Renten- die persönlichen und versicherungsrechtlichen Voraus- beginn nach § 30 ALG i. V. m. § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB setzungen nach § 11 SGB VI (gilt ausdrücklich entspre- VI, § 94 Abs. 2a ALG einer vorzeitigen Altersrente und chend) erfüllen. Für die Anwendung des § 11 SGB VI Regelaltersrente sowie EM-Rente zurückzufordern?
Neuregelungen in der AdL 1/2 I 2019 Soziale Sicherheit in der Landwirtschaft 15 Voraussetzung für die Leistungserbringung nach § 36 freiheit führenden Sachverhaltes bereits (abschließend) Abs. 5 ALG ist im Gegensatz zu den Leistungen nach geleistet wurde. § 10 Abs. 2 ALG, dass der Antragsteller im Zeitpunkt der Antragstellung bzw. des Leistungsbeginns, wenn ein Bei Verlängerungstatbeständen über den Grundan- Antrag nicht gestellt wurde, aktiv versicherter Landwirt spruch hinaus (z. B. langen stationären Aufenthalten), die sein muss. Mit Abschaffung der Hofabgabepflicht als eine erneute Antragstellung bzw. einen Verlängerungs- Rentenzugangsvoraussetzung tritt auch bei Weiterbe- antrag auf Betriebshilfe erforderlich machen, ist eine wirtschaftung des Unternehmens und einer Rentenan- Rentenantragstellung jedoch entsprechend zu berück- tragstellung bis 31.03.2019 rückwirkend (grundsätzlich sichtigen, denn die Voraussetzungen des § 36 ALG frühestens ab 01.09.2018) bei vorzeitigem Renten- oder sind gem. Abs. 5, 1. Alt. im Zeitpunkt der Antragstellung EM-Rentenbezug Versicherungsfreiheit in der AdL ein. (erneut) zu prüfen. Somit bestand rückwirkend betrachtet kein Anspruch auf BHH, weil der Landwirt kein aktiv versicherter Landwirt ■ Sind in der Übergangszeit vom 01.09.2018 bis mehr ist. Der Landwirt hat allerdings zu keinem Zeitpunkt 31.03.2019 nach § 10 Abs. 1 i. V. m. 2 ALG ergänzend falsche Angaben gemacht. erbrachte BHH-Leistungen bei rückwirkendem Ren- tenbeginn nach § 30 ALG i. V. m. § 99 Abs. 1 Satz 1 § 45 SGB X findet für eine Rücknahme der Leistungs- SGB VI, § 94 Abs. 2a ALG einer vorzeitigen Alters- entscheidung keine Anwendung, weil der Bewilligungs- rente oder Regelaltersrente zurückzufordern? bescheid über die BHH zum Zeitpunkt des Erlasses nicht rechtswidrig war. Bei Leistungen nach § 10 ALG teilt die ergänzende BHH-Leistung das Schicksal der Reha-Hauptleistung. Auch eine Aufhebung der Leistungsentscheidung wegen Im Grundsatz gilt für Altersrentenbezieher auch hier, (nachträglicher) Änderung der Verhältnisse kommt nicht dass mit Bezug oder der (begründeten) Beantragung in Betracht, weil eine Aufhebung nach § 48 SGB X, der einer Altersrente kein Anspruch auf Leistungen nach eine reine Verfahrensvorschrift darstellt, die Wertung § 10 Abs. 1 und 2 ALG besteht, denn gem. § 9 ALG i. V. m. des Gesetzgebers im § 45 SGB X (Vertrauensschutz) § 12 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI sind Leistungen der Teilhabe für umgehen würde. Sowohl die Tatsache, dass der Gesetz- diese Fälle ausgeschlossen. geber mit dem Qualifizierungschancengesetz keine dies- bezüglichen materiell-rechtlichen Regelungen getroffen Maßgeblich ist für die Beurteilung einer etwaigen Rück- hat, als auch der Wortlaut des § 36 Abs. 5 ALG, wonach forderung bzw. die Anmeldung von Erstattungsan- die aktive Versicherungspflicht im Zeitpunkt der Antrag- sprüchen der Zeitpunkt, zu dem der Ausschlussgrund stellung bzw. des Leistungsbeginns vorgelegen haben festgestellt wird. Damit ergeben sich folgende Differen- muss, sprechen für ein Abstellen auf das Vorliegen der zierungen: Voraussetzungen zu diesem Zeitpunkt. Diese ex ante zu bestimmende Tatsache wird durch einen rückwirken- (1) D er (begründete) Rentenantrag/die Rentenlei- den Entfall der Versicherungspflicht nicht berührt, denn stung (Ausschlussgrund) wird vor dem Antrag der Bewilligungsbescheid war bei seinem Erlass gerade über Rehabilitationsleistungen und dessen nicht rechtswidrig. Bewilligung/Durchführung gestellt/festgestellt. Mithin ist anzunehmen, dass die im Übergangszeitraum Die Rentenantragstellung ist grundsätzlich im Rahmen vom 01.09.2018 bis 31.03.2019 erbrachten BHH-Lei- der Leistungsbewilligung als Ausschlussgrund zu stungen dem bei Antragstellung aktiv Versicherten nach berücksichtigen. Der Versicherte kann/konnte durch dem Willen des Gesetzgebers verbleiben sollten. Wegen Rücknahme seines Rentenantrags innerhalb der Rechts- § 26 Abs. 2 SGB IV sind Beiträge für die Zeit des gleich- behelfsfrist bewirken, dass die Entscheidung der LAK zeitigen Rentenbezugs und der Leistungserbringung über die Rentenbewilligung nicht rechtskräftig wird und nach § 36 ALG nicht zu erstatten. damit kein Leistungsausschluss mehr besteht und den späteren Rentenbeginn bestimmen (§ 44 Abs. 1 ALG Für die Zukunft gilt, dass altersrentennahe Jahrgänge i. V. m. § 115 Abs. 1 Satz 1 SGB VI). und bereits erwerbsgeminderte Versicherte grundsätz- lich gem. § 44 Abs. 2 ALG auf ihre Gestaltungsrechte Es ist jedoch i. d. R. davon auszugehen, dass der Antrag hinzuweisen sind. auf Rehabilitationsleistungen unter Beachtung von § 14 SGB IX an den zuständigen Rehabilitationsträger Regelmäßig wird im Zeitpunkt der Antragstellung jedoch (Krankenkasse) weitergeleitet wird/wurde. Versicherungspflicht in der AdL bestanden haben, sodass aufgrund des § 36 Abs. 5 ALG zu leisten ist und im Regelfall auch bei Erkennen des zur Versicherungs-
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