Sport und Medien - Mediensport - Zur Inszenierung und Konstruktion von Sporthelden
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Matthias Marschik Sport und Medien – Mediensport Zur Inszenierung und Konstruktion von Sporthelden An Markus Rogan kann man kaum vorbeigehen bzw. Dass und wie Steinbach im beidarmigen Stoßen vorbeisehen: Der Sportstar wirbt im Fernsehen für den scheiterte, um im einarmigen Heben doch noch einen Elektronikdiskonter Cosmos und Raiffeisen, von Plakaten Olympiasieg zu erringen, erfuhren seine Fans und mit lächelt er für natürliche Produkte von Spar, gemeinsam ihnen die (sportinteressierte) Welt aus den Zeitungen. mit der KronenZeitung initiiert er einen Talente-Cup und Im Frühjahr 1906 waren die Medien verblüfft, in welcher auf den Gesellschaftsseiten ist er präsent, weil er die „Blitzesschnelle“ sich die Nachricht vom Olympiasieg Anti-Drogen-Kampagne der UNO unterstützt und sich „spät nachts“ in Wien verbreitete und selbst Menschen für die Errichtung einer Schwimmhalle im Hakoah- erreichte, „die dem Sport sonst fern stehen“ (Wiener Sportzentrum einsetzt. Bloß bei seiner eigentlichen Tagblatt, 28.4.1906). Deutlich wurde damals auch, dass sportlichen Aktivität hat ihn wohl noch kaum jemand im medienvermittelten Sport zwar die Fakten ident, die live erlebt, nur wenige Menschen verfolgen seine Zuschreibungen aber unterschiedlich sein konnten: Hieß Karriere und seine Rekorde via Bildschirm. Den ur- es einmal, Steinbachs Niederlage im Stoßbewerb sei sprünglichen Grund seiner Berühmtheit kennen die Folge von Intrigen des Veranstalters und eines unfairen meisten nur aus Zeitungsberichten oder dem TV-Kurz- Publikums, schrieb eine andere Zeitung, der Athlet sei sport; Markus Rogan ist weit mehr Medien- denn Sport- schlecht vorbereitet gewesen. Schon kurz nach 1900 star. entstand eine eigene Medienrealität, die einerseits das Im folgenden Beitrag soll versucht werden, dem Phäno- Ereignis nicht abbildet, sondern eigene Wirklichkeiten men Markus Rogan – und anderer medialer Sport- und schafft, und andererseits, nicht zuletzt über die sportlicher Medienstars – auf die Spur zu kommen. Dazu Schaffung von Sporthelden, ein weit größeres Publikum soll in einem ersten Schritt die Verbindung von Sport für den Sport gewinnt und damit seine gesellschaft- und seiner medialen Vermittlung bzw. Konstruktion lichen Wirkungen massiv erweitert. beleuchtet werden, ehe auf die gesellschaftlichen Lagen bei den frühen Sportberichten wie in der ersten Bedeutungen von Sport eingegangen wird. modernen Sportgazette Österreichs, der „Allgemeinen Sportzeitung“, die von 1880 bis 1927 wöchentlich Sport und Medien erschien (Müllner 2002), oft noch Wochen zwischen Ereignis und Veröffentlichung, verkürzte sich diese Josef Steinbach war ein Kind des 19. Jahrhunderts und Zeitspanne rasch, als die Tageszeitungen ständig ein typischer Wiener: 1879 in Böhmen geboren, mit 15 expandierende Sportseiten einrichteten. Ab 1919 gab es Jahren nach Wien gekommen, zunächst Kellnerlehrling, sogar das „Sport-Tagblatt“ mit täglicher Erscheinungs- binnen weniger Jahre jedoch Besitzer eines Wirtshauses weise. Die Sportpresse veränderte nicht nur die (Marschik 2006). Um 1900 war er einer der bekanntes- Beziehungen zwischen Sport, Aktiven und Publikum, ten Männer Wiens, der den Ruf der Metropole, „Stadt der sondern auch den Blick auf den Sport und dessen starken Männer“ zu sein, untermauerte. Steinbach war Wertigkeiten. Es waren nicht zuletzt die Medien, die Gewichtheber, trat mit spektakulären Kraftakten im über die Wichtigkeit und Popularität von Ereignissen Zirkus auf, betätigte sich aber auch sportlich, war oft- und SportlerInnen entschieden und Helden kreierten. maliger Meister und vielfacher Rekordhalter. In Scharen kamen seine Fans zu den Wettbewerben. Medien- Das zu Beginn der 1920er Jahre aufkommende Medium berichte brauchten sie nicht: Sie waren selbst anwesend „Radio“ erkannte die Bedeutung des Sportes nur langsam und konnten den Sieger persönlich nach seinen Ein- (Strauß 2002). Die österreichische „Radio Verkehrs AG“, drücken befragen. die im Oktober 1924 den Betrieb aufnahm, brachte Mit dem WM-Titel 1904 in Wien begann eine inter- anfangs nur kurze Sportmeldungen und erst drei Jahre nationale Karriere, wie sie im vormodernen Wettkampf später den ersten Direktbericht. Die erste Live-Übertra- unmöglich gewesen war, bedurfte sie doch globaler gung aus England via Unterseekabel, die von der RAVAG Organisation und eines einheitlichen Regelwerks: 1904 an alle deutschsprachigen Radiosender verkauft wurde, errang Steinbach in Moskau den Titel „Stärkster Mann erfolgte nicht zufällig vom Fußball-„Jahrhundertspiel“ der Welt“, im Folgejahr blieb er bei gleich zwei Welt- zwischen England und Österreich im Dezember 1932. meisterschaften siegreich und wurde zum Favoriten für Hunderttausende Menschen verfolgten diese Kombi- den Stemmbewerb bei den olympischen Zwischen- nation aus sportlicher und technischer Sensation mittels spielen in Athen 1906. Dabei wurde eine weitere öffentlicher Lautsprecheranlagen (Marschik 2004a). Neuerung im modernen Sport sichtbar: Er bedurfte für Weit rascher erfolgte die Kombination von Sport und seine Wirksamkeit medialer Vermittlung. Technik bei der Gründung des Fernsehens. Die Olympi- 12 | heft nummer 62 | Dezember 2007
Matthias Marschik S port und Medien – Mediensport Zur Insezenierung und Konstruktion von Sporthelden schen Spiele 1936 in Berlin waren die erste Bewährungs- sind täglich gut vier Stunden; 2002 waren es bereits probe des neuen Mediums, das in Deutschland 1935 den 1883 Stunden. Das wird vom TV-Publikum honoriert: Probebetrieb aufgenommen hatte und 1936 bis zu Unter den zehn meistgesehenen Sendungen des Jahres sieben Stunden täglich von Olympia berichtete, auch sind stets mehr als die Hälfte Sportübertragungen. wenn die Bilder nur in wenigen Fernsehstuben zu sehen In den letzten Jahren hat das Fernsehen als primäres waren (Burk/Digel 2002, Zeutschner 1995). Doch zeigte Sportmedium an Attraktivität eingebüßt. Zum einen sich schon in dieser Frühphase das innige Zusammen- sind die neuen Trend- und Funsportarten noch kaum wirken von Sport und Medien. TV, Radio und Zeitungen präsent, zum anderen ist ein enormer Aufschwung des machten Sportereignisse enorm populär, der Sport Internet als Informationsquelle zu beobachten. Und bedankte sich, indem er den Medien beste Arbeits- zum dritten sind die enorm hohen Kosten für Über- bedingungen (was etwa Kamerapositionen oder die tragungen von Großereignissen zu nennen, die, obwohl Arbeitsplätze der Journalisten betraf) bot und damit zu TV-Sport nach wie vor zu den in der Produktion billigen höherer Popularität verhalf. Genres gehört, dazu führen, dass sich viele Sender diese Im Nachkriegs-Deutschland waren Live-Übertragungen Summen nicht länger leisten können oder wollen. von Fußballspielen wichtiger Teil des regelmäßigen Dazu kommt, dass Sport in den Medien nicht die Ab- Betriebes ab dem Jahr 1953, im Folgejahr verhalf die bildung des Geschehens vor Ort bedeutet. Mediensport Eurovisions-Übertragung der Fußball-WM auf 45 Sen- besitzt eine eigene Qualität, die zwar auf den Vorgängen dern in acht Ländern dem Fernsehen (und dem Fußball) im Stadion aufbaut, aber eine zweite Realitätsebene zu weiterem Ruhm. Allein in der Bundesrepublik stieg überstülpt, die durch die technischen Produktions- die Zahl der TV-Geräte in den Monaten vor der WM von bedingungen des Mediums (Wort, Bild, Schrift) wie 11.000 auf 85.000 (Burk 2003, 135). In Österreich war durch die Einschätzungen der JournalistInnen entsteht man zu diesem Zeitpunkt noch auf Radioübertragungen (Penz 2006). Im Fernsehen mit seinen Möglichkeiten der angewiesen, erst Ende 1955 gehörte zu den ersten ORF- Wiederholung und Zeitlupe, der Übertragung aus Sendungen auch der von Edi Finger und Heribert Meisel verschiedenen Blickwinkeln, den Interviews mit Aktiven gestaltete „Aktuelle Sport“ (Schmidtleitner 1992, 10). Die und ExpertInnen, der Vor- und Nachberichterstattung große Stunde des Fernsehsports schlug 1956, als von den und den Einschätzungen der KommentatorInnen wird Olympischen Winterspielen in Cortina die ersten Direkt- das ja offensichtlich. Doch geht die Bedeutung der übertragungen erfolgten. Zwei Jahre später, von der Medien weit darüber hinaus. Heim-WM in Bad Gastein, berichtete der ORF mit fünf So tragen die Medien wesentlich zur Popularität des Kameras – ein für damalige Verhältnisse enormer Sportes bei: Das zeigt sich im Vergleich der Einschalt- technischer Aufwand (Schmidtleitner 1992, 10). quoten und Auflagenziffern mit den Zuschauerzahlen Die 1960er Jahre können als Phase der endgültigen vor Ort, aber auch an der Bedeutung von Sport in Medialisierung des Sportes angesehen werden: Sport öffentlichen Diskursen. Zum Zweiten beeinflussen (d.h. bestimmte, national unterschiedliche Sport- Medien durch ihre Auswahl- und Darstellungsprinzipien gattungen und -ereignisse) und Medien gingen eine auch die Wertigkeit und die Bewertungen von Sport, enge Symbiose ein. Sport wurde zum wesentlichen Sportarten und SportlerInnen: Medien können Sport- Inhalt der Medien, die Medien wiederum zum – auch gattungen oder Stars fördern, aber durch Nicht- finanziellen – Motor des Sports. Die Folge waren freilich beachtung auch marginalisieren. Zum Dritten kann die Veränderungen des Zuschauerverhaltens, die sich zu- Medienberichterstattung die Ereignisse selbst (man nächst in massiven Einbußen der Besucherziffern zeig- denke nur an medienkonforme Beginnzeiten oder die ten und einen Wechsel vom Anhänger zum interessier- Einführung von Werbepausen), das Verhalten des ten Konsumenten einleiteten (Horak/Marschik 1995, Publikums (etwa Fan-Choreografien) und der 147ff.). Besonders im Fußball sanken die Zuschauer- SportlerInnen (man denke etwa an Jubelposen für die zahlen vor Ort enorm, wie sich umgekehrt die Zahl der Kameras) verändern. TV-Geräte wie das Interesse am Mediensport, an Direkt- Die Medien brauchen also den Sport als Basis einer übertragungen wie an reflektierenden Magazin- erfolgreichen Berichterstattung, aber ebenso bedarf der sendungen, gravierend steigerte (Wendl 2005, 75). Sport der Medien. Das hat ÖSV-Präsident Peter Bis in die 1990er Jahre entwickelten sich diese Ten- Schröcksnadel erkannt, der an der Verbindung ÖSV und denzen fast linear, mit einem Höhepunkt zu Anfang der ORF festhält, während der Fußball-Bund auf Grund 1970er Jahre, als das Farbfernsehen etabliert wurde. kurzfristiger finanzieller Vorteile zum Pay-TV-Sender Damals führte der ORF als erste europäische Fernseh- Premiere bzw. zu ATV+ wechselte und das mit einem anstalt eine tägliche kurze Sportsendung ein. Von 1970 Rückgang der Popularität bezahlte. Wie sehr er auf bis 1980 stieg die durchschnittliche Sportbericht- Medien und die Medien auf ihn angewiesen sind und erstattung von einer auf weit über zwei Stunden täglich. wie er sie zu seinem Vorteil nutzen kann, weiß aber auch Im Jahr 2000 sendete der ORF 1494 Stunden Sport, das Markus Rogan. Er gehört zu den wenigen SportlerInnen | heft nummer 62 | Dezember 2007 13
Matthias Marschik S port und Medien – Mediensport Zur Insezenierung und Konstruktion von Sporthelden in Österreich, die diese Symbiose nachhaltig nutzen, zu höhung sportlicher Heldenfiguren ist im Sportleben seinem eigenen materiellen Vorteil und zugleich für die selbst verankert. Doch dass diesen Elementen des Sports immateriellen Ziele, die er vertritt und die ihm besondere Beachtung geschenkt wird, ist nicht zuletzt gesellschaftlich wichtig erscheinen. den Gestaltungsstrategien der Medien zuzuschreiben, die nationale Gefühle und die Identifikation mit Star- (Medien-)Sport und Identität figuren zur Herstellung oder Verstärkung von Affekten und zur Erhöhung von Auflagenzahl und Einschaltquote Medien sehen Sportübertragungen als Information und benötigen. Zugleich sind viele Rezipienten und etliche zugleich als Entertainment. Diese Mittelposition macht Rezipientinnen gerne bereit, diese Angebote Mediensport so besonders interessant. Information anzunehmen. verkündet Wichtigkeit, wobei Leistung, Sieg oder Rekord Am Beispiel Josef Steinbachs ließ sich ja bereits zeigen, dem Sport weit mehr Authentizität verleihen als etwa dass es schon seit den Anfängen des modernen Sports der Politik (Spitaler 2005). Unterhaltung dagegen ver- um den Sieg im Wettkampf und um Auseinander- heißt Spannung und Affekte, wobei Sport authentischer setzungen zwischen Länderteams ging und die Medien ist als etwa fiktionale Filme. Echtheit ist also der die Angebote zur Ausgestaltung individueller wie Schlüssel zur Bedeutsamkeit der Identifikations- kollektiver Identitäten verstärkten. Das galt schon zu angebote, die der Sport seinen RezipientInnen macht. Zeiten der Monarchie und in der Ersten Republik, als Dass Sportereignisse authentisch sind, lässt sich vor Ort Erfolge des „Wunderteams“, auch wenn sie aus- unmittelbar erleben. An- und Abreise, Einzigartigkeit des schließlich von Wienern errungen wurden, doch zu den Geschehens oder Einbettung des oder der Einzelnen in wenigen Identifikationsangeboten eines Landes die Masse der ZuschauerInnen und das Mitleiden mit gehörten, dem ansonsten kaum Lebensfähigkeit den eigenen Favoriten macht den Besuch einer zugestanden wurde (Marschik 2003). Zugleich boten Veranstaltung zu einem emotionalisierten Geschehen. Sportstars wie Josef Uridil oder Matthias Sindelar Bei der Zeitungslektüre und selbst vor dem Bildschirm (Horak/Maderthaner 1997, 105ff. und 141ff.) Lebens- trifft das weit weniger zu, daher trachten Medien, den entwürfe etwa für die männliche Arbeiterjugend, die in Informationscharakter wie die Affekte zu verstärken. Uridil ein Vorbild für finanziellen wie gesellschaftlichen Ersteres geschieht durch die permanente Einblendung Aufstieg erkannte, oder für die tschechische Minderheit, von Tabellen, Inserts, Ergebnislisten und Statistiken, aber die in Sindelar ein Modell nicht nur für Integration, auch durch den Kommentator, der Zwischenzeiten, sondern auch für Akzeptanz vorfand. Vergleiche mit früheren Ereignissen und mögliche Die Sozialdemokratie, der Austrofaschismus und noch Konsequenzen hinzufügt. Zweiteres wird versucht durch viel mehr das NS-Regime mit seiner gleichgeschalteten eine ständige Spektakularisierung des Sportes Presse versuchten auf je besondere Weise, den Sport (Penz 2006, 77). verstärkt als kollektives wie individuelles Identifikations- Die Erzeugung von Emotionen ist primäre Aufgabe der angebot im politischen Sinn zu verwenden, das Sportdarstellung in Medien. Was beim Besuch eines Individuum physisch wie psychisch zu stärken und es an Sportereignisses fast automatisch passiert, weil sich das die Bewegung oder das Regime zu binden. Meist Publikum mit einem Verein oder einer Sportart identifi- wurden diese Angebote gern angenommen, doch zeigte ziert, muss in den Medien konstruiert werden, weil sich gerade im Österreich unter der NS-Herrschaft, dass keine Gefühlsbindung des Publikums zum Ereignis zum Funktionieren solcher Offerte die Akzeptanz des vorausgesetzt werden kann. Ziel der Berichterstattung Publikums nötig ist: Speziell in Wien wurde der Sport ist vor allem Spannungsaufbau, Herstellung von Nähe zugleich zum Ort antipreußischer Ressentiments – nicht und das Anbot von Identifikationschancen. Das erfolgt zu verwechseln mit Widerständigkeit gegen das Regime sowohl durch die Art der Vermittlung, also spektakuläre (Marschik 1998, 397). Dennoch war der Sport auf einer Kamerapositionen, rasche Schnitte oder dramati- unterschwelligen Ebene erfolgreich. Denn die sierende Kommentare, als auch durch die Inhalte der Bewunderung für die großen Stars der NS-Ära, von Max Darstellung: So wird bevorzugt über Sportarten Schmeling bis Rudolf Caracciola, schuf auch in der berichtet, die ein hohes Spannungsmoment besitzen, „Ostmark“ eine Begeisterung für „deutsche“ Helden. gefährlich sind oder in denen nationale AthletInnen Der Jubel um „österreichische“ Stars wie Franz „Bimbo“ hohe Siegchancen besitzen. Da der Sport wiederum auf Binder oder Sepp „Bubi“ Bradl half mit, die „Ostmärker“ die Medienpräsenz angewiesen ist, ist er gezwungen, ruhig zu stellen, und schuf regionale Vorbilder speziell den Auswahlkriterien der Medien zu entsprechen. für die Jugend. Eine wirksame Strategie zur Erzeugung von Affekten Bis heute erweist sich der Sport als wichtiger und Identifikation liegt in der Glorifizierung von Konstrukteur von persönlichen Lebensmodellen und Nationen und der Personalisierung des Sports. Die kollektivem, nationalem Bewusstsein. Je größer der Erweckung nationalen Bewusstseins und die Über- Beitrag des Sportes zur politischen Kultur und zu 14 | heft nummer 62 | Dezember 2007
Matthias Marschik S port und Medien – Mediensport Zur Insezenierung und Konstruktion von Sporthelden ökonomischem Profit wird, desto wichtiger werden Nachdem so die kollektive Identität auf eine neue Basis Sportereignisse. Und je mehr wir in einer medialisierten gestellt wurde, unterlag um die Jahrtausendwende die Gesellschaft leben, desto größer wird die Bedeutung individuelle Identität einer Neudefinition, indem statt medialer Sportinszenierung. Damit die dem Sport wie Gemeinschaft immer stärker die Individualität in den den SportlerInnen zugeschriebene Authentizität noch Mittelpunkt gestellt wurde. Begonnen hatte diese aufrechterhalten werden kann, muss der Sport neutral Veränderung schon weit früher, denn auch die Alpinen inszeniert werden. Zwar hieß es schon um 1900 in der waren ja, im Gegensatz zum Fußball mit seinem Zwang bürgerlichen Sportauffassung, Sport habe mit Politik zum Teamwork, in erster Linie Individualisten, auch nichts zu tun, doch wurde seitdem die Verquickung von wenn vorerst das Teamdenken in den Mittelpunkt Sport mit Politik und Wirtschaft immer deutlicher. gestellt wurde. In den 1990er Jahren wurde dann evident, dass sich der Sport vom Kollektiv immer stärker Obwohl es zahlreiche Informationen über die Aus- in Richtung Individualismus bewegte. Indiz dafür war wirkungen des Geldes auf Sport, auf Siege und Erfolge die Entstehung der neuen Trend- und Funsportarten, die gibt und auch der Konnex von Politik und Sport evident durchwegs von EinzelsportlerInnen und nicht mehr ist, halten die Medien ihre Sportberichte frei von diesen gemeinschaftlich betrieben wurden. Einsichten. Sobald das Rennen, das Spiel beginnt, werden diese Einflüsse auf den Sport bewusst ausge- So wie der Wechsel von der Donau- zur Alpenrepublik blendet. Das zeigt sich schon bei der Positionierung des mit der Einführung des TV zusammenfiel, entwickelt Sportes in den Medien selbst, denn im TV hat selbst der sich Individualisierung parallel zur Verbreitung des Kurzsport – wie das Wetter – seinen eigenen Sendeplatz Internet. Die etablierten Medien berücksichtigen neue abseits von Politik, Wirtschaft und Hochkultur. Und in Sporttrends kaum und halten am traditionellen Massen- der Zeitung steht der Sport ganz am anderen Ende sport fest. Über den Trendsport berichtet primär das dieser Themen. Auf diese Weise wird das Bild eines von Internet, das mit seinen individuellen Nutzungsmöglich- Außeneinflüssen unabhängigen, „neutralen“ Sportes keiten weit besser geeignet ist, divergierenden Bedürf- produziert (Marschik 2004b). Wenn via Sport Identitäten nissen des Publikums Rechnung zu tragen, das abseits mitbestimmt werden, bedeutet das jedoch keine des organisierten Sports nach neuen HeldInnen sucht. statische Einwirkung. Vielmehr haben sich beide Ebenen im Lauf der Zweiten Republik verändert. Werte des Sports Nach 1945 wurde zunächst die kollektive Ebene um- Die Authentizität des Sportes und seiner Stars bildet geformt. In einem Land, dessen Existenz nun politisch den Andockpunkt des Sportpublikums an die Ereignisse, wie kulturell befürwortet wurde, war der Sport weiter- sei es vor Ort oder in den Medien. Sie führt dazu, dass hin ein Aspekt nationaler Selbstvergewisserung und ein sich viele Menschen dem Sport und seinen Helden (nur Terrain, auf dem innere wie äußere Anerkennung in Ausnahmefällen auch Heldinnen) nahe fühlen, wie besonders rasch erfolgte. Spätestens seit den Olympi- sich am Nationalismus wie am Starkult und der schen Winterspielen 1948 in St. Moritz konnte sich Identifikation mit herausragenden Aktiven zeigen lässt. Österreich, ein politisch „besetztes“ und wirtschaftlich Doch beschränkt sich die gesellschaftliche und abhängiges Land, in die internationale Staaten- kulturelle Bedeutung des Sportes nicht darauf, denn gemeinschaft aufgenommen fühlen. Doch änderte sich zudem werden dem Sport innewohnende und von den die Wahrnehmung des Landes, das sich immer weniger Medien verstärkte Werte des Sports an die Gesellschaft über Wien und immer stärker über seine ländlichen übertragen. Dabei geht es nicht um kurzfristige Gebiete, seine Berge und Naturschönheiten definierte, Wirkungen, sondern um eine sukzessive Übernahme das von einer Donau- zu einer Alpenrepublik wurde. sportlicher Normen in das Alltagsleben. Der Sport übernahm, neben dem Heimatfilm, bei dieser Diese Werte des modernen Sportes haben wenig konservativen Wende eine wichtige Funktion, indem der gemein mit turnerischen Idealen oder Konzepten der Skilauf den Fußball als Nationalsport ablöste. Waren es Arbeiterkultur. Vielmehr sind sie eng verbunden mit bis zum Beginn der 1950er Jahre auch die west- bürgerlichen Modellen des Sports, vielleicht auch mit österreichischen Medien, die dem Fußball breiten Raum faschistischen Gesellschaftsnormen (Tännsjö 1998). Zu gaben, begannen in der Folge Wiener Zeitungen, konstatieren ist jedenfalls eine Nähe zu sozialdarwinis- Salzburger und Tiroler Skisiege zu bejubeln. Den tischen Ideen: Der Sport erlaubt in den meisten Fällen Höhepunkt der Entwicklung zur Alpenrepublik bildeten kein soziales Denken, kein Eintreten für die Schwachen Toni Sailers drei Goldmedaillen 1956 in Cortina, die nicht und keinen Ausgleich für Benachteiligungen. Im zuletzt auch die erste Sport-Direktübertragung des ORF Zentrum steht, so ungleich persönliche wie technische waren. Die Medien spielten eine wesentliche Rolle, Voraussetzungen der TeilnehmerInnen auch sein stellten sie doch immer weniger Fußballer und immer mögen, einzig der Sieg, aufbauend auf Faktoren wie öfter SkiläuferInnen als nationale Stars dar. Leistung, Disziplin, Jugend und Männlichkeit. | heft nummer 62 | Dezember 2007 15
Matthias Marschik S port und Medien – Mediensport Zur Insezenierung und Konstruktion von Sporthelden Das sind alles Tugenden, die im Sport ebenso gefragt sichtigt wird, dass Sport nach männlichen Regeln und und nötig sind wie im (neo-)liberalen Arbeitsleben. Die innerhalb männlich bestimmter Strukturen ausgeübt Einübung sportlicher Werte kann geradezu als Einübung wird. in lebenspraktische Anforderungen unserer Kultur gesehen werden. Sport dient daher nicht zuletzt dazu, Resümée den Menschen die Logik und Bedeutung dieser Werte nahe zu bringen, sodass sie sowohl als unhinterfragte Der moderne Sport ist im 20. Jahrhundert zu einem der Grundlagen unserer Gesellschaft wie auch als Leitlinien attraktivsten und einflussreichsten Kulturphänomene unseres individuellen Lebens akzeptiert werden. Wenn geworden. Und er ist schon sehr früh mit den Medien sich diese Werte im Sportleben bewähren und die eine innige Verbindung zum beiderseitigen Nutzen bewunderten Sportstars nach diesen Prämissen erfolg- eingegangen: Die Medien bedürfen des Sports und der reich sind, ist es nahe liegend, diese Werte auch zur Sport braucht die Medien, denn erst sie sorgen für seine Basis unseres eigenen Lebens zu machen, um gleichfalls enorme Bedeutung, der sich selbst Menschen, die sich Erfolge zu erringen. kaum für Sport interessieren und nie ein Sportereignis ● Dass wir, unter Grundlegung einfacher Prämissen des live besuchen würden, nicht entziehen können. Fair Play, aber zugleich unter Ausnützung aller zur Der Sport lebt vor allem von Spannung und Emotionen, Verfügung stehenden Vorteile, siegen und gewinnen aber auch von Echtheit und Authentizität. Medien- möchten, ist längst zur Basis individuellen Verhaltens vermittelter Sport weist diese Unmittelbarkeit nicht auf, geworden. Jede/r will ein Siegertyp sein, ob es nun um deshalb müssen Medien diese Echtheit in besonderem die Konkurrenz mit anderen BewerberInnen um einen Ausmaß inszenieren. Das geschieht zum einen über die Arbeitsplatz oder um das beste Schnäppchen im Inszenierung: Man erfährt in den Medien mehr, als Schlussverkauf geht. Ebenso wird jede Parlaments- wenn man vor Ort ist, sowohl durch Hintergrund- wahl oder jede Auseinandersetzung um Aktienanteile informationen als auch durch die Fülle an Blickwinkeln, einer Firma inzwischen wie ein sportlicher Wettkampf Wiederholungen, Zeitlupen etc. Zum anderen geschieht aufgezogen. es durch Eventisierung und Personalisierung: Wichtige Sportereignisse werden noch wichtiger, erfolgreiche ● Auch das Erbringen bestmöglicher Leistung wird als SportlerInnen zu Stars. Wenn der Sport kulturelle Basis der Erfolges kaum in Frage gestellt. In Schule, Botschaften vermittelt, sind Sportstars ihre primäre Beruf, aber auch in der Freizeit, wird nicht mehr nur Instanz. Leistung und Einsatz gefordert, die Individuen aufer- legen sich diese Forderung selbst. Müßiggang und So wie zwischen den Ebenen des Sports und des Hedonismus wird weder vom Arbeitgeber toleriert, Mediensports zu unterscheiden ist, hat sich auch eine noch gestatten wir uns diese Freiräume selbst (Hirr Differenzierung in mediale Sport- und sportliche 2007). Indem, wie im Sport, auch die Konkurrenten ihre Medienstars entwickelt. In Österreich existierten schon Anstrengungen steigern, wächst das Leistungsniveau seit den 1920er Jahren Sportler, die ihr positives Image immer mehr an. und ihre Zuschreibungen aus dem Sport für eine Karriere abseits des Sports nutzen (wollen). So ver- ● Zur Erreichung der Ziele ist Disziplin nötig. Auch diese suchten die Fußballidole Matthias Sindelar und Peter Diszipliniertheit lässt sich im Sport im doppelten Sinn Platzer, ihre sportliche Popularität auch für Karrieren als erlernen, und zwar als Anforderung von außen wie als Cafetier bzw. Schauspieler zu nutzen. In den 1950er Selbstkontrolle. Disziplin im Sport wie im Leben, das Jahren war das berühmteste Beispiel Toni Sailer, der heißt sowohl Ausschöpfen des eigenen Potenzials als wohl nur auf Grund seiner sportlichen Vorerfolge als auch Anpassung an die gegebenen Rahmen- Sänger und Schauspieler reüssieren konnte; heute gilt bedingungen. Ähnliches für Hansi Hinterseer (Spitaler 2006). ● Aus dem Sport lässt sich lernen, dass Jugend, ver- Gemeinsam ist allen diesen Idolen, dass sie erfolgreiche bunden mit Selbstvertrauen und Unbekümmertheit, Athleten aus Nationalsportarten waren. Heute ist Erfolg mehr zählt als Routine und Erfahrung. Jugend verweist und/oder Popularität jedoch nicht mehr Voraussetzung, aber auch darauf, im Hinblick auf ein höheres Ziel auf viel wichtiger werden Self-Management und die vieles zu verzichten, vollen Einsatz zu bringen im Hin- Konzentration auf die „Ich-Aktie“, wie die jüngsten blick auf einen Erfolg, dessen Erreichung keineswegs Beispiele Armin Assinger und Markus Rogan zeigen, die sicher ist. aufbauend auf die Authentizität des Sportes diese ● Geht es schließlich um Forderungen nach Gleichheit Qualität in ihre außersportliche Vermarktung der oder Gleichstellung der Geschlechter, scheint der Sport eigenen Person übertragen. Markus Rogan wird damit eindeutig die Überlegenheit von Männlichkeit zu zum deutlichsten Beispiel eines individualisierten und belegen. Männer scheinen härter, schneller und damit eventisierten Sportes, in dem Image und seine letztlich auch erfolgreicher, so lange nicht mit berück- Vermarktung zum primären Erfolgskriterium werden. 16 | heft nummer 62 | Dezember 2007
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