Stell Dir vor, es ist "Corona" - und keiner hat's gemerkt
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Lessons Learned 1, 1&2 (2021) Submitted: 31.05.2021 Accepted: 03.06.2021 DOI: https://doi.org/10.25369/ll.v1i1/2.33 ISSN: 2749-1293 (Print); 2749-1307 (Online) Stell Dir vor, es ist „Corona“ – und keiner hat’s gemerkt E. Schoop1, R. Sonntag2, M. Altmann1, W. Sattler3 1 Professur Wirtschaftsinformatik, insbesondere Informationsmanagement, Fakultät Wirtschaftswissenschaften, TU Dresden 2 Professur Marketing, insbesondere Multimedia-Marketing, Fakultät Wirtschaftswissenschaften, HTW Dresden 3 Professur Operatives und strategisches Controlling, Fakultät Wirtschaftswissenschaften, HTW Dresden Abstract Der deutschsprachige „Ableger“ der seit 20 Jahren im Regellehrangebot der Professur Informa- tionsmanagement an der Fakultät Wirtschaftswissenschaften der TUD fest verankerten, inter- nationalen Gruppenlernprojekte im virtuellen Raum (VCL – virtual collaborative learning) [1] hat sich längst emanzipiert. Im Wintersemester 2020/21 fand mit der 66. VCL-Veranstaltung im Ba- chelor-Modul „Fallstudienarbeit im virtuellen Klassenraum“ eine bereits bewährte, hochschul- typ-übergreifende Lehrkooperation zwischen der TU Dresden und der HTW Dresden [2] zum vierten Mal ihre erfolgreiche Fortsetzung – trotz „Corona“. Das etablierte didaktische Format ei- nes selbstgesteuerten, fallorientierten Lernens in standortübergreifend gemischten Kleingrup- pen unter tele-tutorieller Begleitung konnte aufwandsarm an die pandemiebedingten Restrikti- onen angepasst werden. Die langjährigen Vorarbeiten haben sich gelohnt! The German-language "offshoot" of the international group learning projects in virtual space (VCL – virtual collaborative learning) [1], which have been firmly anchored in the regular teaching programme of the Chair of Information Management at the Faculty of Business and Economics of the TUD for 20 years, has long since emancipated itself. In the winter semester 2020/21, the 66th VCL event in the Bachelor's module "Case Study Work in the Virtual Classroom" was the fourth successful continuation of an already proven, cross-university teaching cooperation be- tween TU Dresden and HTW Dresden [2] – despite "Corona". The established didactic format of self-directed, case-oriented learning in mixed small groups from different locations under tele- tutorial guidance could be adapted to the pandemic-related restrictions with little effort. Many years of preparatory work have paid off! *Corresponding author: eric.schoop@tu-dresden.de Lessons Learned | Volume 1 (2021) | Ausgabe 1&2 1/2.33-1
E. Schoop et al. / Stell Dir vor, es ist „Corona“ – und keiner hat’s gemerkt 1. Vorbemerkung Dresden (TUD) gelegt [6] und in den Folgejah- ren iterativ weiterentwickelt und an internatio- Fallbasiertes Lernen als studierenden-zentrier- nale Kontexte angepasst [7, 8]. Virtual Collabo- tes, authentisches Angebot zur Realisierung si- rative Learning (VCL) ist projektorientiert und tuativer Lernumgebungen hat in den Wirt- adressiert als übergeordnete Lernziele primär schaftswissenschaften lange Tradition. Von die Entwicklung von Soft Skills wie Selbstorga- der Association for Case Teaching definiert als nisations-, Kollaborations-, Digital- sowie inter- „a means of participatory and dialogical teach- kulturelle Kompetenz, die u.a. zentrale Bau- ing and learning by group discussion of actual steine der 21st Century Skills [9] darstellen. events“ [3], eignet sich dieser didaktische An- VCL Projekte wie die hier vorgestellte Lehrver- satz ideal, um anstaltung basieren auf einem komplexen, in mehreren Dissertationsprojekten iterativ ent- theoretisches/methodisches Wissen mit wickelten Framework mit vier ineinandergrei- praktischem Üben zu verbinden (Übergang fenden Komponenten (siehe Abbildung 1). vom zweiten zum dritten Kompetenzniveau der Bloom’schen Taxonomie [4]), individuelles Lernen mit gemeinsamer (kol- laborativer) Problemlösung zu verknüpfen, soziale Kompetenzen weiterzuentwickeln und somit situatives Lernen zu ermöglichen, indem authentische Szenarien mit offener Prob- lemstellung eine Annäherung der Lernum- gebung an einen typischen späteren beruf- lichen Handlungskontext ermöglichen und den Transfer „trägen Wissens“ aus dem Stu- Abb. 1: Vier ineinandergreifende Komponenten des dium in die Praxis erleichtern [5]. VCL-Frameworks Zudem ist fallbasiertes Lernen sehr gut geeig- Komponente 1: Wesentliches Merkmal von net, in einem digitalisierten Arrangement ab- VCL Projekten sind standortübergreifende (oft gebildet zu werden, selbst unter den verschärf- internationale), möglichst interdisziplinär und ten „Corona-Bedingungen“ (vollständiges On- heterogen zusammengesetzte Kleingruppen, line-Lernen und social distancing). deren Vertreter:innen ausschließlich online Wir stellen nachfolgend die Abbildung des Ar- (virtuell) und selbstorganisiert zusammenar- rangements in Form eines modifizierten, kolla- beiten und für das gemeinsam verantwortete borativen Flipped Classroom Formats vor, ge- Ergebnis verschiedene individuelle Kompeten- hen auf den Ablauf der Lehrveranstaltung und zen in die Kollaboration einbringen. Hilfestel- die damit verknüpften fachlichen und über- lung in diesem komplexen Setting erhalten die fachlichen Lernziele ein, diskutieren das be- Teilnehmer:innen von speziell dafür an der triebswirtschaftliche Fallbeispiel und die Ar- Professur Informationsmanagement der TUD beitsaufträge im Detail und reflektieren ab- ausgebildeten Lernprozessbegleiter:innen (E- schließend unsere Lessons Learned. Tutor:innen [10]). Um insbesondere die inten- dierte Entwicklung überfachlicher Kompeten- zen (Teamfähigkeit, Selbst-, Zeit- und Projekt- 2. Digitalisiertes didaktisches Format management, Medienkompetenz und in inter- Der Grundstein des didaktischen Formats, das nationalen Projekten auch interkulturelle und hinter dem hier vorgestellten, standortüber- Fremdsprachkompetenz) überprüfen zu kön- greifenden Lernprojekt steht, wurde bereits nen, wenden die E-Tutor:innen konkrete Indi- von 2001 bis 2004 in einer Dissertation an der katoren für den formativen Einsatz in den be- Professur Informationsmanagement der TU treuten Lerngruppen an. Auf deren Basis ge- 1/2.33-2 Lessons Learned | Volume 1 (2021) | Ausgabe 1&2
E. Schoop et al. / Stell Dir vor, es ist „Corona“ – und keiner hat’s gemerkt ben sie Orientierungs- und Interpretationshil- relevanten Regelungen gemäß Datenschutz- fen zu den Aufgabenstellungen, Feedback zur grundverordnung auf europäischen Servern Team-Performanz und stellen Lernfortschritte zur Verfügung gestellt wird. auf Gruppen- und auf individueller Ebene zur Komponente 4: Um die tägliche, zeitaufwän- Unterstützung der finalen Leistungsermittlung dige Lernprozessbegleitung durch E-Tutor:in- fest. nen ressourcenseitig zu entlasten und damit Komponente 2: Für VCL Projekte werden spe- eine höhere Betreuungsspannbreite zu er- ziell auf die adressierten Lernziele der Veran- möglichen, die Entscheidungen für bestimmte staltung und auf die jeweiligen Wissensstände didaktische Interventionen deutlicher zu be- der Teilnehmer:innen angepasste authenti- gründen und letztlich auch die Dokumentation sche, komplexe Fallszenarien entwickelt. Diese der intendierten Kompetenzentwicklung zu sollten nur schwach strukturiert sein, um den objektivieren, werden seit 2019 schrittweise Lerngruppen möglichst viel Spielraum für In- die als Interventionsinstrumentarium genutz- terpretation und eigenständige Entscheidun- ten didaktischen Indikatoren auf der Basis von gen über Vorgehen, Methodik und das Aus- Social Learning Analytics aufbereitet, als Dash- handeln von Alternativen zu lassen und so die boards abgebildet und seit 2020 zusätzlich um überfachlichen Kollaborations- und Projekt- ChatBots ergänzt, die als aktive Conversational managementkompetenzen zu stärken [11]. Agents relevante Informationen in Dialogform Für das je nach Setting sich über ca. zwei bis bereitstellen [12]. Mit diesen datengetriebe- vier Monate erstreckende fallbasierte, kollabo- nen Informationen werden zwei Seiten unter- rative Lernen werden in der Regel wöchentli- stützt: che Aufgaben bereitgestellt, deren Lösungs- wege überwiegend offen (nicht vorgegeben) Den E-Tutor:innen können Fehler im Pro- sind, jedoch pünktliche Abgaben von Ergebnis- jektmanagement, aber auch Interaktions- Artefakten einfordern (Protokolle, Dokumen- defizite in den von ihnen begleiteten Grup- tationen, Analysen, Kalkulationen, prototypi- pen sichtbar gemacht werden (Beispiel: das sche Webseiten oder Apps, etc.). Diese Aufga- Aufzeigen der Exklusion eines Gruppenmit- ben verknüpfen in Form realistischer Arbeits- glieds aus den Kommunikationsprozessen aufträge das Fallszenario mit den zu vertiefen- stößt als Intervention die Überprüfung an, den Methodenkompetenzen (fachliche Lern- ob es sich evtl. um Mobbing durch die an- ziele der Lehrveranstaltung) und binden deren oder um Social Loafing eines „Tritt- gleichzeitig die Nutzung geeigneter digitaler brettfahrers“ handelt). Werkzeuge aus der technischen Plattform ein Den einzelnen Lerngruppen können ihre (überfachliche Digitalkompetenz). Performanz-Fortschritte im Zeitablauf bzw. Komponente 3: Um das interaktive, fallba- ihre Position gegenüber den anderen Grup- sierte Lernen in standortübergreifenden, ge- pen verdeutlicht werden (kompetitive mischten Kleingruppen im virtuellen Raum Gamification-Elemente als extrinsische Mo- möglichst reibungslos zu gestalten und den tivatoren). Teilnehmer:innen Flexibilität hinsichtlich zeitli- chem (synchron, asynchron) und örtlichem Die internationalen VCL-Projekte in den Mas- (mobil, stationär) Zugang zu gewähren, bedarf ter- und Diplom-Studiengängen an der TUD es einer leistungsfähigen Kollaborationsplatt- bestehen in der Regel aus einer intensiven form, die geeignete Funktionsbausteine zur sechs- bis achtwöchigen virtuellen Projektar- Kommunikation und Koordination der Grup- beit mit anschließenden getrennten, den je- penarbeit, sowie zur Umsetzung der einzelnen weiligen lokalen Modulbedürfnissen der betei- Arbeitsaufträge bereitstellt. Um auch hier die ligten internationalen Partner angepassten zu- Situiertheit der Lernumgebung zu stärken, set- sätzlichen Prüfungsleistungen. An der TUD zen wir seit einem Jahr auf die im beruflichen schließt sich z.B. in der zweiten Semesterhälfte Umfeld verbreitete Plattform Microsoft 365 im Master-/Diplom-Modul „Collaboration in unter der kollaborativen MS Teams Oberflä- the Virtual Classroom“ zur Komplettierung der che, die als Cloud Service unter Beachtung der 150 h Workload eine individuelle schriftliche Lessons Learned | Volume 1 (2021) | Ausgabe 1&2 1/2.33-3
E. Schoop et al. / Stell Dir vor, es ist „Corona“ – und keiner hat’s gemerkt Reflexionsphase an, die zur Evaluation des Set- sen aufgeteilt und durch einen dritten Work- tings um Befragungen, Einzelinterviews oder shop mit kurzer synchroner Online-Gruppen- Fokusgruppen-Workshops im Rahmen for- arbeit in Break-Out Rooms abgeschlossen. Der schungsorientierten Lernens ergänzt wird. entstandene modifizierte Flipped Classroom Für die Umsetzung der in diesem Beitrag be- unterschied sich somit in zwei Punkten vom sprochenen „Corona“-Lehrveranstaltung für üblichen Standard: fortgeschrittene Bachelor-Studierende ver- schiedener wirtschaftswissenschaftlicher Stu- Phasen des Wissenserwerbs: anstelle in- diengänge an der TUD und der HTW Dresden dividuellen Lernens mittels online bereitge- wurde das hier besprochene VCL-Konzept mo- stellter Materialien (z.B. E-Lectures) drei difiziert. Jede Hochschule integrierte die ge- Phasen fallbasiertes, kollaboratives Lernen meinsame Veranstaltung in bereits existie- in standortübergreifend und interdiszipli- rende Module qua lokaler Prüfungsordnungen när zusammengesetzten Online-Arbeits- (TUD Bachelor-Modul: „Fallstudienarbeit im gruppen Virtuellen Raum“, HTW Bachelor-Modul: „Ge- Phasen der Wissensvertiefung: anstelle schäftsmodelle und Digitalisierung“). von kleinen Gruppenarbeiten in 90-minüti- Um den pandemiebedingten Restriktionen ge- gen Präsenzveranstaltungen in realen Se- recht zu werden und gleichzeitig die Studieren- minarräumen jeweils vierstündige syn- den in ihrer selbstständigen Online-Gruppen- chrone Online Konferenzen mit Präsentati- arbeit nicht zu lange sich selbst zu überlassen, onen der Gruppenergebnisse und einen wurde das hier vorgestellte durchgängige, vier- Online Workshop zum Abschluss mit syn- monatige fallbasierte Lernen im VCL-Format chroner Gruppenarbeit. von Oktober 2020 bis Januar 2021 durch zwei Workshops, die jeweils 4stündig als Online- Abbildung 2 stellt das entstandene Arrange- Konferenzen stattfanden, nach dem Flipped ment in seinem zeitlichen und thematischen Classroom Prinzip [13] in drei kompakte Pha- Verlauf dar. Abb. 2: Zeitlicher Verlauf der Lehrveranstaltung „Fallstudienarbeit im Virtuellen Raum“ nach dem modifizierten Flipped Classroom Format 1/2.33-4 Lessons Learned | Volume 1 (2021) | Ausgabe 1&2
E. Schoop et al. / Stell Dir vor, es ist „Corona“ – und keiner hat’s gemerkt 3. Veranstaltungsverlauf über insgesamt 9 Arbeitsaufträge an die The- matik herangeführt und konnten ihre Ideen in Im Rahmen unseres kompetenzorientierten 2 Workshops in jeweils 10-minütigen Pitches je VCL-Projektansatzes arbeiteten im Winterse- Team vorstellen. mester 2020/21 knapp 80 Studierende der TU Dresden und der HTW Dresden in 12 gemisch- Erste VCL-Phase: Die Teams begannen Ende ten Teams zu je 6-7 Teilnehmer:innen, beglei- Oktober nach der synchronen Online-KickOff- tet von drei erfahrenen E-Tutor:innen, unter Konferenz mit der Ausarbeitung von Gruppen- der fachlichen und didaktischen Regie der Au- verträgen, in denen sie ihre Kollaborationsfor- toren dieses Beitrags auf einer gemeinsamen men festlegten, die Rollen- und Aufgabenver- Lernplattform ausschließlich online an einer teilung definierten und auch auf Lösungsan- Fallstudie zum Thema E-Mobilität in Dresden. sätze von eventuell entstehenden Problemen in der Zusammenarbeit eingingen. Weiterhin erhielten sie die Möglichkeit, ihren E-Tutor:in- nen, von denen sie während der 4 Monate täg- lich online begleitet und moderiert wurden, in einem virtuellen Kennenlerngespräch erste or- ganisatorische oder technische Fragen zu stel- len. Nachdem sich die Teams mit der Plattform vertraut gemacht hatten, fertigten sie eine PESTLE Analyse zum Thema E-Automobilität an. Anschließend wendeten die Teilnehmer ihre Kenntnisse von Plattformgeschäftsmodel- len auf ihr Fallszenario an, gefolgt von der Aus- Abb. 3: Logo der fiktiven Firma als Fall-Szenario (Cover- einandersetzung mit Pitches und Canvas als Story) für das kollaborative fallbasierte Lernen Präsentations- bzw. Strukturierungsformat zur Vorbereitung auf die erste Zwischenpräsenta- In 4 Monaten virtueller kollaborativer Arbeit tion. schufen die Teilnehmer:innen – Bachelor- und Diplom-Studierende beider Hochschulen im 5. In der nächsten Phase mussten die Teilneh- oder höheren Fachsemester – auf Basis dreier mer:innen über Preismodelle und Rechtsfor- selbstständig in den Teams zu vergebender men recherchieren und konnten sich dabei u. Rollen (Projektleiter:in, Projektreporter:in, Pro- a. an Impressionen von einem Vortrag des StartUps Africa GreenTec orientieren. Anschlie- jektmitglieder) neue Plattform-Geschäftsmo- ßend bereiteten sich die Teams auf den zwei- delle, die in zwei Online-Pitches vor einer Jury, ten Workshop und Pitch Anfang Januar vor. bestehend aus den Autoren dieses Beitrags, zu Diese Phase war von der Weihnachts- und präsentieren und zu reflektieren waren und Neujahrspause unterbrochen. am Ende geschärfte Projektskizzen ergaben. Sie organisierten ihre Zusammenarbeit eigen- Zum Abschluss des Projektes befassten sich ständig und machten von den funktionalen An- die Studierenden mit Motivationstheorien, Er- geboten der eingesetzten kollaborativen Platt- lösmodellen, Tarifverträgen und Werbekon- form MS Teams reichlich Gebrauch. So hielten zepten. Im finalen dritten Workshop Ende Ja- die Kleingruppen zahlreiche virtuelle Video- nuar bearbeiteten die Teams in 12 Break-Out meetings untereinander ab, nutzten gemein- Räumen eine „Transferaufgabe“, in der sie ihre same Kalender, kommunizierten via Chats und erworbenen Soft- und Hard-Skills sowie zur Threads und bearbeiteten (teils synchron) Da- Verfügung gestellte Tools einsetzten. Hier soll- teien. Die Teilnehmer:innen teilten die Bear- ten sie sich mittels einer „Customer Journey“ in beitung ihrer wöchentlichen Aufgaben gemäß die Sicht des Kunden auf ihren im Projekt ent- ihrer übernommenen Rollen eigenständig auf wickelten Startup-Ansatz zur E-Mobilität in und entwickelten in Teamarbeit umfassende Dresden hineinversetzen. Plattform-Geschäftsmodelle zum Thema E- Dessen Reise entlang der Geschäftskontakte Mobilität am Standort Dresden. Sie wurden mit dem projektierten Unternehmen galt es, Lessons Learned | Volume 1 (2021) | Ausgabe 1&2 1/2.33-5
E. Schoop et al. / Stell Dir vor, es ist „Corona“ – und keiner hat’s gemerkt anhand verschiedener „Touchpoints“ auf dem Fahrer und Passagier oder AirBnB Übernach- virtuellen Whiteboard Miro kollaborativ zu vi- tungsanbieter und –nachfrager zusammen. sualisieren und anschließend im Plenum zu er- Auch im Business-to-Business Bereich (B2B) läutern. Es entstanden zahlreiche innovative gibt es Beispiele für Plattform-Ökonomie und Ideen, die mit großem Engagement der Studie- zweiseitige Märkte, z.B. das Netzwerk Zentrada renden unter intensiver Betreuung durch die für den Großhandel von Konsumgütern. Diese Lehrenden sowie engmaschiger Begleitung Beispiele geben genau die Impulse, um bishe- durch die E-Tutor:innen (fast) zur Gründungs- rige Geschäftsmodelle hinsichtlich der sich än- reife entwickelt und mit Herzblut verteidigt dernden Rahmenbedingungen kritisch zu hin- wurden. terfragen und weiterzuentwickeln, um durch neue Produkte und Services neue Chancen in neuen Märkten abzubilden. 4. Fallbasiertes Lernen im Detail Die Geschäftsmodellentwicklung ist heute die Das gewählte komplexe Fallbeispiel Dresden Standardmethode zum Ausloten und Entwi- NRG diente dem Erwerb und Ausbau fachlicher ckeln zukünftiger Strategieoptionen. Business und überfachlicher Kompetenzen. Die fachli- Model Canvas ist dafür ein probates Modell, chen betriebswirtschaftlichen Kompetenzen das die Handlungsfelder zur Entwicklung von waren im Einzelnen: Geschäftsmodellen strukturiert darstellt. Kern eines jeden Geschäftsmodells ist die Generie- Geschäftsmodelle: In einer von Digitalisie- rung eines Mehrwerts für Zielgruppen durch rung geprägten Welt gewinnt die Modellierung eine Wertschöpfung innerhalb des Unterneh- von angepassten und neuen Geschäftsmodel- mens. Der Business Model Canvas dient damit len zunehmend an Bedeutung. So existieren als Leitfaden, um zielgerichtet Geschäftsmo- viele Beispiele von Geschäftsmodellen, die auf delle zu entwickeln. Die in ihm repräsentierten Plattformen basieren oder zwei Märkte, soge- neun Schlüsselfaktoren und ihre gegenseiti- nannte zweiseitige Märkte, bedienen. Bei- gen Verflechtungen lassen sich Abbildung 4 spielsweise bringt Uber als Mobilitätsplattform entnehmen. Abb. 4: Business Model Canvas in der Darstellung nach Strategyzer.com (Quelle: https://assets.strategy- zer.com/assets/resources/the-business-model-canvas.pdf) 1/2.33-6 Lessons Learned | Volume 1 (2021) | Ausgabe 1&2
E. Schoop et al. / Stell Dir vor, es ist „Corona“ – und keiner hat’s gemerkt Zur Vorbereitung auf die Veranstaltung erar- Einschätzung des Entwicklungsprozesses [14]. beiteten sich die Student:innen die Grundla- Durch das Feedback seitens der Dozenten in gen der Geschäftsmodellierung eigenständig. den zwei Pitches zwischen den VCL-Pro- Im Online-KickOff-Workshop vertieften die Do- jektphasen konnten die Student:innen die dem zenten diese zentrale Fachkompetenz anhand Projekt innewohnende Dynamik erfahren und anschaulicher Beispiele und bereiteten die lernten, agil zu reagieren und ihre Modellie- Teams somit auf die Anwendung auf das rung in iterativen Abstimmungsprozessen in Fallszenario Dresden NRG in der anschließen- den Lerngruppen anzupassen. den ersten VCL-Phase vor. Marketing: Eine Customer Journey bezeichnet Projektmanagement: Zentrale Querschnitts- den individuellen Kauferlebnisprozess eines kompetenz für sämtliche Anforderungen und jeden Kunden. Ziel des Marketings ist, diesen Aktivitäten in der Berufswelt ist ein Projektma- Prozess zu beschreiben und im Rahmen des nagement, welches die Dynamik der Ge- Performance Marketings zu messen und abzu- schäftsfeld- und Projektumsetzungen in der bilden. Eine Customer Journey besteht aus so- Praxis widerspiegelt. In der aktuellen Digitalen genannten Customer Touchpoints. Diese Transformation geschäftlicher und gesell- Touchpoints sind Berührungspunkte zwischen schaftlicher Prozesse kommt agilen Projekt- Unternehmen und Kunden. Sie werden oft als managementmethoden als Grundlage für zu- „Momente der Wahrheit“ bezeichnet. Diese künftige Entwicklungen in Unternehmen und Berührungspunkte stehen auch für Nähe, Ver- zur schnellen Generierung von Wettbewerbs- trautheit und ein wissendes Verstehen. Die vorteilen generell und nicht nur als Methode Touchpoints sind veränderbar und für jede im Bereich von IT und Digitalisierung hohe Be- Person, jeden Kunden individuell. Das Marke- deutung zu. ting muss also eine Balance zwischen (kosten- Die Student:innen wurden in der Lehrveran- intensiven) Kontakten als Tuchfühlung mit po- staltung mit der Scrum Methode vertraut ge- tenziellen bzw. existierenden Kunden und ei- macht, eine einfache Methode, mittels iterati- ner Performance im Sinne eines kenngrößen- ver, zeitlich verschachtelter Zyklen (Sprints) basierten, leistungsorientierten Managements nicht nur schnell Ergebnisse zu produzieren, der Kundenbeziehungen herstellen. sondern dabei auch offen für spontane interne Die Umsetzung der Customer Journey für ihre und externe Veränderungen zu sein. Die ent- Zielgruppen im konkreten Fallkontext realisier- stehende Transparenz sorgt für eine bessere ten die Teams in Orientierung an Abbildung 5 Abb. 5: Customer Journey Map. (Quelle: http://www.omkantine.de/wp-content/uploads/2016/04/4_Customer_Journey_Departments.png) Lessons Learned | Volume 1 (2021) | Ausgabe 1&2 1/2.33-7
E. Schoop et al. / Stell Dir vor, es ist „Corona“ – und keiner hat’s gemerkt im synchronen Online-Abschluss-Workshop in 5. Unsere Lessons Learned parallelen Break-Out Räumen mit Hilfe des in Insgesamt konnten wir feststellen, dass das MS Teams integrierten Werkzeugs Miro. Um seit Jahren etablierte VCL-Format, eingebettet die Zielgruppen zu segmentieren und zu be- in eine Flipped Classroom Architektur, sich (ge- schreiben, erstellten sie sogenannte Personas rade) auch im Kontext der pandemiebedingten im Sinne repräsentativer Kunden mit sozio- Restriktionen hervorragend bewährte. Die ur- ökonomischen Eigenschaften, mit Einstellun- sprünglich als Präsenz-Workshops zur Wis- gen, Werten sowie mit Angaben zur Medien- sensvertiefung qua Pitch-Präsentationen und nutzung. Zusätzlich erstellten die Studieren- gemeinsamen Diskussionen vorgesehenen den darauf aufbauend ein Werbekonzept für drei Projektmeilensteine wurden schon in der die Plattform bzw. das Projekt. Planung im September 2020 aus Gründen der Neben den zentralen betriebswirtschaftlichen Planungssicherheit in synchrone Online-Kon- Fachkompetenzen im Bereich Entrepreneur- ferenzen mittels MS Teams gewandelt, die sich ship konnten die Student:innen auch ihre aufgrund dieser leistungsstarken Plattform überfachlichen Kompetenzen (soft skills) ver- nahtlos in die Kollaborationsumgebung ein- tiefen. Die in den Lerngruppen selbstgesteuer- fügten. ten Aushandlungsprozesse stärkten Selbst- Als Lesson Learned für die „Zeit nach Corona“ und Sozialkompetenzen, die intensive Be- können wir festhalten, dass das Arrangement schäftigung mit einer StartUp Idee für eine Di- die Möglichkeit einer flexiblen Rückkehr in ein gitalplattform förderte unternehmerisches hybrides Format bietet. Die Meilenstein-Work- Denken und die Digitalkompetenz. Die Teil- shops zwischen den interaktiven, ausschließ- nehmer:innen konnten darüber hinaus soziale lich online stattfindenden Projektphasen und Kontakte über Hochschulgrenzen hinweg gegebenenfalls noch ergänzend einzufüh- knüpfen und ihre Teamfähigkeit unter Beweis rende fachliche Beratungsfenster bei den Leh- stellen. Durch die mehrmonatige Auseinan- renden werden aufgrund der realisierbaren dersetzung mit MS Teams als komplexe, in der zusätzlichen Potenziale durch die gewohnte, Unternehmenspraxis weit verbreitete Kollabo- flexible persönliche Kommunikation sicher rationsplattform konnten sie wichtige techni- wieder in den realen Raum zurückverlegt wer- sche Skills erwerben bzw. vertiefen und sich den. damit ideal auf die späteren Anforderungen in der beruflichen Praxis vorbereiten. Dann schließt sich der Kreis und die gewonne- nen positiven Erkenntnisse zu in VCL-Projekte Durch die kombinierte Adressierung fachlicher eingestreuten synchronen Terminen zur Wis- (seitens der HTW moderierter) und überfachli- sensvertiefung und Reflexion per persönlicher cher, sozialer Ziele (von der TUD begleitet) lie- Gruppenarbeit in Präsenzseminaren aus ferte das Modul für die Teilnehmer:innen der früheren Projekten1 kommen wieder zum Tra- TU Dresden einen lebendigen Beitrag zum gen. Dieser neue modifizierte Flipped Class- Schwerpunkt “Learning and Human Resource room wird jedoch dahingehend hybridisiert Management“, in den es strukturell eingeord- sein, dass auch hier auf die Daten und die net ist. Funktionalität der Kollaborationsplattform Selbstverständlich erhielten alle Teilneh- und ihrer Werkzeuge mobil zurückgegriffen mer:innen beider Standorte (Institutionen) werden wird und präsenzverhinderte Teilneh- ihre Leistungen in Form von 5 ECTS Punkten mer:innen friktionslos eingebunden werden und aufgabenspezifisch gewichteten Noten können. gemäß den in den jeweiligen Modulen veran- kerten Prüfungsformaten honoriert (an der TUD: Projektarbeit). 1 2015-16 SMWK-Förderprojekt „MigraFlipScale“ [15], 2019 DAAD-geförderter internationaler Studierendenaus- 2017-18 Förderprojekt „LiT-PIV“ des sächsischen Hoch- tausch im Rahmen eines VCL-Lehrprojekts zwischen der schulverbundes „Lehrpraxis im Transferplus (LiTplus)“ [2], TU Dresden und der Shiraz University, Iran [1] 1/2.33-8 Lessons Learned | Volume 1 (2021) | Ausgabe 1&2
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