Mein stumpfes Herze in Aufruhr zu bringen." - Zum 100. Geburtstag von Sophie Scholl am 9. Mai 2021
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Zum 100. Geburtstag von Sophie Scholl am 9. Mai 2021 „Musik bringt es am ehesten fertig, mein stumpfes Herze in Aufruhr zu bringen.“ Sophie Scholl im Prisma zeitgenössischer Musikaufnahmen 1921–1943
Ein Projekt von Lehramtsstudierenden des Faches Musik und des Faches Geschichte der Pädagogischen Hochschule Weingarten im Auftrag des Studentenwerks Weiße Rose e. V.
Mitwirkende des Lehramtsstudiengangs Sekundarstufe Erarbeitung der Soundcollage: Saskia Biehler, Master Musik/Deutsch Stefanie Bucher, Bachelor Musik/Mathematik Tom Heilmann, Bachelor Musik/Biologie Frieder Paul Herrmann, Bachelor Musik/Englisch Simone Huber, Bachelor Musik/Wirtschaft Hannes Ibele, Master Musik/Geschichte Johanna Kreuzer, Bachelor Musik/Mathematik Peter Mang, Master Musik/Geschichte Franziska Ochtrup, Bachelor Musik/Technik Historische Rahmung: Hannes Ibele, Master Musik/Geschichte Peter Mang, Master Musik/Geschichte Das Projekt wurde gefördert aus Mitteln des Programms „Demokratie leben!“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Grußwort „Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den Ihr um Euer Herz gelegt. Entscheidet Euch, eh es zu spät ist!“ Fast 80 Jahre sind vergangen, seitdem Sophie Scholl und die Mitglieder der „Weißen Rose“ diesen Aufruf in Flugblättern verbreiteten. Und doch sind ihre Worte zeitlos und sprechen uns alle an. Als Oberbürgermeister der Stadt Weingarten ist mir die Förderung von Demokratie und Vielfalt ein zentrales Anliegen. Denn auch heutzutage bedrohen Gewalt, Diskriminierung und Rassismus den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Gefördert durch das Bundes- programm „Demokratie Leben!“ konnten wir in den vergangenen Jahren zahlreiche Projekte auf den Weg bringen, um Toleranz und Zivilcourage in unserer Stadt zu stärken. Wichtige Partner sind dabei das Studentenwerk „Weiße Rose“ sowie unsere Hochschulen. Das Projekt „Sophie Scholl im Prisma zeitgenössischer Musikaufnahmen“ holt die mutigen jungen Männer und Frauen der „Weißen Rose“ sinnbildlich in die Hörsäle unserer Pädagogischen Hochschule. Entstanden ist eine beeindruckende Collage aus Texten, Bildern und Musikstücken, die uns Sophie Scholl und ihre Gedankenwelt näherbringt. Sie lädt uns zum Nachdenken ein. Über Indoktrination und Verfolgung im Dritten Reich. Aber auch darüber, was jede und jeder Einzelne von uns tun kann, um gesellschaftlich verantwortlich zu handeln. Ganz im Sinne von Sophie Scholl und den Mitgliedern der „Weißen Rose“. Allen Beteiligten danke ich herzlich für die Initiative zu diesem wichtigen Projekt! Ihr Markus Ewald Oberbürgermeister
Grußwort Sehr geehrte Damen und Herren, liebe (auch ehemalige) Kolleginnen und Kollegen, liebe Studierende, es ist mir eine Ehre und Freude mit diesem Grußwort an einen so außergewöhnlichen Menschen zu erinnern – an Sophia Magdalena, genannt „Sophie“, Scholl. Sophie Scholl, geb. am 9. Mai 1921 im hohenlohischen Forchtenberg, wird heute als mutige Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus bewundert. Ihr Weg in den Widerstand war jedoch keineswegs von Anfang an vorbestimmt, glaubte sie doch zunächst an das von den Nationalsozialisten propagierte Gemeinschaftsideal und trat 1934 dem Bund Deutscher Mädel bei. Erst nach und nach – vor allem während ihres Studiums in München - kamen ihr Zweifel: sie schloss sich der Widerstandsgruppe Weiße Rose an, die mit Hilfe von Flugblattaktionen zu klaren Entscheidungen gegen die Diktatur Hitlers aufrief. Bei einer solchen Flugblattaktion in der Münchner Universität wurden sie und ihr Bruder Hans Scholl entdeckt, der Gestapo überstellt und schließlich am 22. Februar 1943 zum Tode verurteilt und noch am gleichen Tag hingerichtet. Als Rektorin der Pädagogischen Hochschule Weingarten freue ich mich, dass nun Studierende der Pädagogischen Hochschule Weingarten zum 100. Geburtstag von Sophie Scholl ein Projekt auf die Beine gestellt haben, das uns zeigt, dass sie nicht vergessen ist, dass wir auch heute noch an sie denken und dass es wichtig ist, sich an sie zu erinnern. Zugleich ist dieses Projekt ein Beitrag zur Demokratieerziehung, indem es eine Zeichen setzt gegen Extremismus und Gewalt gegen Minderheiten. Ein Thema, das auch heute noch eine große Aktualität hat. Ich wünsche Ihnen viel Freude mit dieser außergewöhnlichen Veranstaltung für einen außergewöhnlichen Menschen. Prof. Dr. Karin Schweizer Rektorin der PH Weingarten
Vorwort Es ist der satzungsgemäßer Auftrag unseres Studentenwerks, „alle geeigneten Maßnahmen zu ergreifen“, um an die studentische Widerstandsgruppe der Weiße Rose zu erinnern. So ein besonderes Datum wie der 100. Geburtstag von Sophie Scholl, ist nicht nur ein geeigneter Anlass, sondern verpflichtet geradezu, an Sophie Scholl und die Weiße Rose zu erinnern. Unser Bestreben ist immer, vorwiegend junge Menschen zu bewegen, sich mit dem Wider- stand der Weißen Rose und den gesellschaftlichen Bedingungen, die zu ihrem Widerstand geführt haben, zu beschäftigen. Auf diese Weise kann auch das Wissen um die besondere Geschichte Deutschlands weitergetragen werden. Wir sind deshalb an Prof. Dr. Stange vom Fach Musik der Pädagogischen Hochschule Weingarten herangetreten mit dem Vorschlag, Sophie Scholl anlässlich ihres besonderen Geburtstages mit einem musikalischen Werk zu ehren. Dr. Höftmanns Idee, Studierende mit einer entsprechenden Soundcollage zu beauftragen, haben wir gerne aufgegriffen. Die Studierenden haben sich eingehend mit Sophie Scholl und der Weißen Rose auseinandergesetzt und im Ergebnis eine beeindruckende Collage aus Texten, Bildern und Musikstücken zusammengestellt. Sie machen damit erfahrbar, wie die Menschen im Nationalsozialismus indoktriniert und auch drangsaliert wurden. Wir leben in Zeiten, in denen der Nationalsozialismus verharmlost wird und sich manche Zeitgenossen als Widerständler wähnen. Darum ist das Erinnern an Sophie Scholl und die Weiße Rose gerade heute von besonderer Bedeutung. Peter Ederer Vorsitzender des Studentenwerks Weiße Rose e. V.
Zum Gegenwartsphänomen Sophie Scholl Dr. Andreas Sommer, Fach Geschichte an der Pädagogischen Hochschule Weingarten Sophie Scholl und die Weiße Rose wurden jahrzehntelang als Gegenentwurf zum menschenverachtenden System des Nationalsozialismus im bundesdeutschen Geschichts- unterricht thematisiert. Diese Widerstandsgruppe steht nicht nur für die Überwindung des NS Unrechtsstaates, sondern trat insbesondere für ein christliches Menschenbild ein. Wir leben seit 1949 in einem Rechtsstaat, der auf humanistisch motivierten Grundrechten basiert. Demokratiebewusstsein und demokratisches Denken sind längst zu wesentlichen Grundpfeilern politischer Bildung avanciert. Es darf daher gefragt werden, ob uns Sophie Scholl heute dennoch etwas sagen kann. Sophie Scholl steht zum einen für ein Festhalten am Ideal des Gemeinwohls. Diese Maxime stellt uns gerade in unserer pandemiegeprägten Gegenwart täglich vor Herausforderungen. Zum anderen hat Sophie Scholl stets eine konsequente Stringenz in ihren Handlungen und daraus resultierend eine Übernahme von Verantwortung verfolgt. Im Zuge ihrer Verhaftung will sie sich zu dem bekennen, was sie getan hat, und verwirft sogar den Vorschlag des verhörenden Beamten, sie möge doch sagen, dass sie als Mädchen verführt worden sei: „Von meinem Standpunkt muss ich die Frage verneinen. Ich bin nach wie vor der Meinung, das Beste getan zu haben, was ich gerade jetzt für mein Volk tun konnte. Ich bereue deshalb meine Handlungsweise nicht und will die Folgen, die mir aus meiner Handlungsweise erwachsen, auf mich nehmen.“ (zit. nach Beuys 2010) Bei Sophie Scholl wird aus dem Geständnis nicht nur eine Übernahme von Verantwortung, sondern vielmehr ein Bekenntnis zu einem humanistischen Menschenbild. Ein solches Bekenntnis muss in seiner letztgültigen Konsequenz auch in unserer Zeit Grundlage allen politischen, kulturellen, ökonomischen und ökologischen Handelns sein.
Zum Kompositionsprojekt der Sophie-Scholl-Soundcollage Dr. Andreas Höftmann, Fach Musik an der Pädagogischen Hochschule Weingarten Heutzutage ist das Phänomen der Collage aus der Musik nicht mehr wegzudenken. Das Prinzip des fantasievollen Mischens und „Verklebens“ (franz. coller) von verschiedenen präexistenten Materialien bestimmt sowohl die elektroakustische, tanz-/theater-bezogene und intermediale Avantgarde als auch Domänen gegenwärtiger Hörspiel-, Film-, Pop- und Rockproduktionen. Zudem erlauben es leicht zu bedienende Schnittprogramme, dass eine breite Öffentlichkeit – fernab elitärer Komponistenzirkel und Tonstudios – musikalisches Collagieren als eigenschöpferisches Tätigsein erfahren kann. Vor diesem Hintergrund haben sich im Wintersemester 2020/21 neun Musiklehramtsstudierende der PH Weingarten auf den Weg gemacht, mit vorgefundenen auditiven Signaturen aus der Zeit zwischen 1921 und 1943 künstlerisch zu experimentieren und sich mit dem Mittel der Akustikmontage einer außergewöhnlichen Persönlichkeit jener Ära zu nähern: Sophie Scholl. In fünf Sätzen verknüpften die Studierenden ausgewählte Zitate aus dem Umfeld der Widerstandskämpferin mit exemplarischen Kompositionen zu den Themen Religion und Muße, Propaganda, Frieden, Opposition und Tod. Herausgekommen ist ein empfindsamer wie emotional aufreibender Klangstrom, in den sich die jungen Nachwuchspädagoginnen und -pädagogen mit kurzen Intermezzi auch selbstmusizierend – auf der Trompete, am Klavier und auf der Posaune – eingewoben haben. Mit zeitgenössischen wie aktuellen Bildquellen versehen, wird die Medley-artige Gesamtmixtur überdies audiovisuell erlebbar und lädt die Zuhörerschaft am Ende dazu ein, virtuell an Sophies Münchener Grab zu schreiten und einer tieferen Stille gewahr zu werden.
Erläuterungen zur Soundcollage 1. Satz: Sophies Haltung zu Musik und Religion 1941 und 1943 mit Musik des Trostes und der Muße von Mozart, Brahms, Berg, Schubert und Bach Die Sophie-Scholl-Soundcollage beginnt mit der Krönungsmesse KV 317 von Wolfgang Amadeus Mozart, komponiert vermutlich für den Ostergottesdienst 1779 am Salzburger Dom. Aus dem Mittelteil der Messe tritt das „Et incarnatus est“ hervor, das innerhalb des Glaubensbekenntnisses die Menschwerdung Gottes beschreibt. Für Sophie Scholl war die Aussage „(und Gott) ist Fleisch geworden“ fundamental – gerade in Momenten, in denen sie spirituelle Stärke suchte. In ihrem Tagebuch berichtet sie von einem Sehnen nach Gottes Präsenz: „Ich habe mir vorgenommen, jeden Tag in der Kirche zu beten, damit Gott mich nicht verlasse.“ Nach Mozart setzt das Deutsche Requiem Op. 45 von Johannes Brahms ein. Der Begriff „Requiem“ erinnert an die lateinische Liturgie der römisch-katholischen Totenfeier. Doch Brahms verwendete 1861–1868 deutschsprachige Luther-Passagen aus dem Alten und Neuen Testament. Ins Zentrum seiner Textauswahl rückte Brahms dabei nicht die Trauer, sondern die Tröstung derjenigen, „die da Leid tragen“. Das Konzert für Violine und Orchester von Alban Berg wurde 1935 uraufgeführt. Berg widmete die Partitur der einzigen Tochter von Alma Mahler-Werfel und Walter Gropius, genannt Manon, die mit 18 Jahren an Kinderlähmung starb. Das Violinkonzert mit dem Untertitel „Dem Andenken eines Engels“ besteht aus zwei Sätzen. Während der erste Satz (Andante - Allegro) Manons kurzes Leben in bunten Farben illustriert, schraffiert der zweite Satz (Allegro, ma sempre rubato, frei wie eine Kadenz – Adagio) ein aufwühlendes Bild von Tod und Entrückung. Die zwölftonale „Himmelsleiter“ des Konzerts darf als Mystifizierung des ewigen Lebens gedeutet werden. Auch Sophie Scholl machte sich Gedanken über das Jenseits und äußerte sich gegenüber einer Freundin: „Für mich gäbe es nur ein ‚in Gott’ oder ‚außer Gott’ nach dem Tode.“
Erläuterungen zur Soundcollage Es schließt sich das Forellenquintett von Franz Schubert an. Das einzige Klavierquintuor des österreichischen Komponisten datiert wohl aus dem Jahre 1819 und enthält Variationen über das Lied „Die Forelle“ nach einem Gedicht von Christian Friedrich Daniel Schubart. Sophie Scholl lauschte noch einen Tag vor ihrer Verhaftung einer Grammophon-Aufnahme des Quintetts und bekannte in einem Brief: „Am liebsten möchte ich da selbst eine Forelle sein, wenn ich mir das Andantino anhöre. Man kann ja nicht anders als sich freuen und lachen […]“ Zuletzt erklingt das Fünfte Brandenburgische Konzert BWV 1050 von Johann Sebastian Bach. Mit seinem äußerst virtuosen Solo-Part fällt es unter eine Gruppe von sechs Konzerten, die Bach 1721 dem Markgrafen Christian Ludwig von Brandenburg-Schwedt zueignete. Sophie Scholl liebte die Klarheit barocker Tonsprache und bezeichnete speziell die Kontrapunktik Bachs als „[…] eine Musik, die die Sinne beruhigt, die mit ordnender Hand durch das verwirrte Herz geht“. Die geschilderten Werke von Mozart, Brahms, Berg, Schubert und Bach sind mit Zitaten von Sophie Scholl unterlegt und setzen sich dadurch in Beziehung zu einer jungen Frau, die zwischen Nachdenklichkeit und Zweifel, Frohsinn und Lebensbejahung pendelte. Aus ihrem Glauben an Gott und aus ihrer Freude an Musik bezog sie die Kraft, ihr Leben entsprechend ihrer Überzeugung zu gestalten. 1942 bemerkte Sophie Scholl: „Musik aber macht das Herz weich […] Ja, ganz still und ohne Gewalt macht die Musik die Türen zur Seele auf.“
Erläuterungen zur Soundcollage 2. Satz: Sophies Abkehr vom Nationalsozialismus 1941–1942 mit NS-Propaganda-Musik und mit von den Nazis missbrauchter Romantik Der zweite Satz der Soundcollage behandelt die Spanne, in der Sophie Scholl ihren Reichs- arbeitsdienst 1941 in Krauchenwies und ihren Kriegshilfsdienst in Blumberg 1941–1942 absolvierte. Ihre Korrespondenzen und Tagebuchnotizen aus jenen Tagen belegen, wie sehr sich Sophie vom Nationalsozialismus angewidert fühlte. Hierfür wurden Musikstücke verwendet, die zum einen das militaristische und regimetreue Deutschland von 1933–1945 veranschaulichen und zum anderen die Haltung Sophie Scholls gegenüber den Anhängern und Mitläufern des NS-Systems untermalen. Mehrere eindrückliche Stellen sowie eine wiederkehrende Fanfare aus der Ouvertüre zu Rienzi von Richard Wagner verleihen dem zweiten Satz der Collage einen roten Faden. Wagners Bühnenmusik von 1842 über einen mittelalterlichen römischen Volkstribun zählte zu Hitlers Lieblingsoper und spielte als Eröffnungsspektakel der Reichsparteitage eine wichtige Rolle in der nationalsozialistischen Agitation. Das 1931 komponierte Lied „Siehst du im Osten das Morgenrot“ („Volk ans Gewehr“) war als Pausensignal des Berliner Rundfunks ebenfalls ein omnipräsenter Soundtrack in der Propaganda-Maschinerie des „Dritten Reiches“. Der Text überhöht wichtige Motive des NS-Ideologie: Volksgemeinschaft, Lebensraum im Osten und Führerkult. Die Zitate Sophie Scholls, die über die Marsch-Melodie gesprochen wurden, zeigen ihre Abneigung gegen den Krieg und gegen den soldatischen Drill in allen damaligen Lebensbereichen. Der nächste Teil der Collage, der tänzerisch-fröhliche Musik aus dem Rienzi zu Gehör bringt, steht im klaren Kontrast zur Lebenssituation von Sophie Scholl 1941–1942 und betont den Gegensatz zwischen dem Kunstanspruch und der tatsächlichen Menschenverachtung des „Führerstaates“. Passend dazu beklagt Sophie in zwei Zitaten aus Krauchenwies den ihrer Ansicht nach kulturlosen Zustand der deutschen Gesellschaft zu Beginn der 1940er Jahre.
Erläuterungen zur Soundcollage Wie aus den Gedanken gerissen erschallt schließlich der Refrain des Horst-Wessel-Liedes. Die 1927 für die SA verfasste Parteihymne hatte von 1933 bis 1945 faktisch den Rang einer National-Ode. Die Zeilen „Die Fahne hoch!“ formulieren eine klare Kampfansage gegen jegliche Gegner des NS-Regimes. Zwei Briefauszüge von Sophie Scholl aus ihrer Blumberger Zeit demonstrieren nochmals, wie sehr Sophie die Einstellung ihrer Vorgesetzten und Kameradinnen verachtete. Die Soundcollage endet mit einem Ausschnitt des Deutschlandliedes, das angesichts der Inhumanität der NS-Diktatur in Moll erscheint. Sophie Scholl
Erläuterungen zur Soundcollage 3. Satz: Gegen den Krieg – Flugblattaktion am 18. Februar 1943 mit Friedens- und Versöhnungsmusik von Händel, Gesius, Bruch, Beethoven und Bach Den Anfang zum dritten Abschnitt der Sophie-Scholl-Collage macht das Siciliano „La Paix” aus Georg Friedrich Händels Feuerwerksmusik. Der pazifistische Name dieses ruhigen Suitensatzes hat mit der Beendigung des Österreichischen Erbfolgekrieges von 1748 zu tun: Als feierliche Huldigung auf die Waffenruhe in Europa hatte König Georg II. von Großbritannien eine „Music for the Royal Fireworks“ verlangt, die allerdings erst ein Jahr später ihre Londoner Premiere feiern konnte. Auf Händels sanftmütige Orchesterklänge folgt der frühbarocke Kirchengesang „Verleih uns Frieden“ des brandenburgischen Kantors Bartholomäus Gesius. Der Text dieser fünfstimmigen Motette entspringt der Feder Martin Luthers und wird für die überzeugte Christin Sophie Scholl kein unbekannter gewesen sein. Zu Worten aus dem sechsten Flugblatt der Weißen Rose erhebt sodann das Cello aus Max Bruchs intimem Instrumentalwerk Kol nidrei seine klagende Stimme. Max Bruch nahm 1880 das Abend-Gelübde „Kol Nidre“ des jüdischen Versöhnungsfestes (Jom Kippur) sowie weitere hebräische Melodien zum Anlass, ein bewegendes Adagio für den Tenor unter den Streichinstrumenten zu komponieren. Dagegen dramatisiert das „Dona nobis pacem“ aus Beethovens Missa Solemnis das Anliegen der Münchener Widerstandsgruppe um Hans und Sophie Scholl, endlich aus dem Zweiten Weltkrieg auszusteigen. Welche Musik könnte dafür besser geeignet sein als die erschütternde „Bitte um inneren und äußeren Frieden“, in der Beethoven 1824 die 15 Jahre zurückliegende Belagerung Wiens durch napoleonische Truppen künstlerisch verarbeitet hat?
Erläuterungen zur Soundcollage Der Segensspruch „Friede sei mit euch“ aus der gleichnamigen Arie von Johann Sebastian Bach durchzieht als Leitmotiv den Schlusspart im dritten Satz der Sophie-Scholl-Collage. Die zartfühlende Bass-Phrase stammt ebenso wie der kurze Choral-Passus „Du Friedefürst, Herr Jesu Christ“ aus der 1724 geschriebenen Kantate „Halt im Gedächtnis Jesum Christ“ BWV 67. Damit kommt die Hoffnung zum Tragen, an der Sophie Scholl bis zu ihrem Tod festhielt: Gewalt und Krieg werden nicht das letzte Wort in dieser Welt haben. Lichthof der Universität München
Erläuterungen zur Soundcollage 4. Satz: Sophies Verhaftung und Verhör 18. – 20. Februar 1943 mit Musik im Spiegel von Unterdrückung Der vierte Satz der Soundcollage beleuchtet die Verhaftung und das Verhör von Sophie Scholl durch die Geheime Staatspolizei. Die in der Collage herangezogene Musik steht sinnbildlich für die nationalsozialistische Schreckensherrschaft, aber auch für Widerstand und das Verlangen nach Freiheit. Den Auftakt bildet die 1842 uraufgeführte Oper Nabucco von Giuseppe Verdi. Das bedrohliche Anfangsmotiv der Streicher aus dem Gefangenenchor „Va pensiero“ führt atmosphärisch in die Gefahrenlage ein, in die sich Sophie Scholl am 18. Februar 1943 begab, als sie – zusammen mit ihrem Bruder Hans – Flugblätter im Lichthof der Münchener Universität verteilte und anschließend festgenommen wurde. Zwei Zeilen aus den „Moorsoldaten“, dem 1933 entstandenen Widerstandslied aus dem Emsländer Konzentrationslager Börgermoor, richten sich gewissermaßen stellvertretend für Sophie Scholl an das Gewissen der Deutschen: Ewig kann’s nicht Winter sein. Heimat, du bist wieder mein. Das Finale aus dem 1. Akt des Fidelio unterstreicht daraufhin drei Zitate aus Sophies Gestapo-Haft. Die Worte des Gefangenenchores O welche Lust, den Atem frei zu heben waren 1805 – im Premierenjahr von Beethovens einziger Oper – genauso aktuell wie 1943. Ein akustisches Ausrufezeichen gegen Sophies Festnahme durch das NS-Verfolgungssystem markiert jetzt eine von der BBC 1943 gesendete Umdichtung Der Führer ist ein Schinder aus dem deutschen Soldaten-Schlager „Lili Marleen“. Nach einem kurzen tönenden Hoffnungsschimmer – wiederum aus Beethovens Fidelio – prononciert eine Melange aus den „Moorsoldaten“ und Schostakowitschs „Leningrader“ Symphonie die gnadenlosen Verhörmethoden der NS-Geheimpolizei.
Erläuterungen zur Soundcollage Schostakowitschs Weltkriegs-Opus – 1941/42 ein Fanal gegen die Blockade Leningrads durch die deutsche Wehrmacht – wird von einem neuerlichen sonoren Freiheits-Appell abgelöst: von Beethovens 1809 niedergeschriebener Schauspielmusik zu Goethes Egmont, gewidmet einem niederländischen Unabhängigkeitskämpfer der Frühen Neuzeit. Sogleich leitet der Seufzer Wir sind belauscht mit Ohr und Blick aus dem Fidelio zur Wendung aus den „Moorsoldaten“ über: Auf und nieder geh’n die Posten, keiner, keiner kann hindurch! Flucht wird nur das Leben kosten, vierfach ist umzäunt die Burg. Gegen die Ausweglosigkeit dieser Szenerie stemmt sich nunmehr der Vers Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten aus der gleichlautenden Volksweise. Sophie Scholl hatte die Melodie jenes Liedes 1942 auf der Blockflöte vor den Mauern des Ulmer Gefängnisses gespielt: Dort war ihr Vater wegen einer Hitler-kritischen Äußerung für einige Monate inhaftiert worden. Die Nationalsozialisten wiederum interpretierten „Die Gedanken sind frei“ als originären Ausdruck „patriotischer“ deutscher Kultur. Demgemäß „authentisch“ mochte zweifellos auch ein Kinderchor der NS-Volkswohlfahrt mit seiner Rundfunk-Version der einprägsamen Tonfolge verstanden werden. Die Aufnahme aus dem Jahre 1938 ist in der hiesigen Collage allerdings nur fragmentiert zu vernehmen. Verdeutlichte Sophie Scholls Gestapo-Verhör nicht pars pro toto, dass diejenigen des sicheren Todes waren, deren freiheitliche Gedanken „erraten“ wurden?
Erläuterungen zur Soundcollage 5. Satz: Sophies Verurteilung und Hinrichtung 22. Februar 1943 mit Musik von Künstlern, die im NS zu Tode kamen Der fünfte Satz der Soundcollage durchwebt die tragische letzte Lebensstation von Hans und Sophie Scholl mit sieben historischen Musikeinspielungen: Diese Tondokumente zeugen von Künstlern, die während der NS-Terrorherrschaft einen ähnlich grausamen Tod fanden wie die Geschwister Scholl und wichtige ihrer Weggefährten. Zu den Musikbeispielen: Die melancholische Weise „Kinder-Johren“, 1936 in Berlin aufgezeichnet, schildert auf Jiddisch die Unbeschwertheit vergangener Jugendtage. Der Autor des Liedes, Mordechaj Gebirtig (*1877), suchte mit seinen „folkstimlichen“ Texten die Lebenswelt der „kleinen Leute“ aus Kazimierz einzufangen, dem alten jüdischen Viertel Krakaus. Karlrobert Kreiten (*1916), in den 1930er und 1940er Jahren ein aufgehender Stern am deutschen Pianistenhimmel, nutzte das posthume Nocturne cis-Moll von Frédéric Chopin für eine Privataufnahme von 1934. Einem größeren Publikum ist Chopins elegisches Charakterstück heute als Filmmusik aus Roman Polanskis Holocaust-Streifen „Der Pianist“ (2002) bekannt. Eines der populärsten Singspiele des jüdischen Operettenmusikers Léon Jessel (*1871) hieß Das Schwarzwaldmädel. Die Romanze von 1917 erfreute sich ebenfalls bei Himmler und Hitler großer Beliebtheit, durfte aber ab 1937 nicht mehr dargeboten werden. Die Kinderoper Brundibár von 1941 mit der Musik des tschechischen Komponisten Hans Krása (*1899) handelt von Zusammenhalt und Freundschaft. Seit Krásas Deportation nach Theresienstadt 1942 kam es im angeblichen „Muster-KZ“ zu über 55 Vorführungen des Zweiakters – darunter groteskerweise auch für einen NS-Propagandafilm. „Was machst du mit Knie, lieber Hans, beim Tanz?“ von 1925 gehört zu den bekanntesten Schlagern des österreichischen Musikers Robert Fall (*1882). Der Gassenhauer der Goldenen Zwanziger Jahre spielt auf die Frivolität lateinamerikanischer Tänze an: Und glaubst du, dass du nobel tanzt, wenn du den Pasodoble tanzt?
Erläuterungen zur Soundcollage Die Händel-Variationen Op. 24 von Johannes Brahms, eines der anspruchsvollsten Variationswerke der Klavierliteratur, ist in einer Aufnahme wahrscheinlich aus den frühen 1940er Jahren zu hören. Der Pianist des Mitschnitts, der ungarisch-jüdische Virtuose Pál Kiss (*1907), konzertierte bis zu seiner Verhaftung 1942 noch mit musikalischen Größen wie Herbert von Karajan. Die Tenor-Arie „Selig sind, die Verfolgung leiden“ stellt das versöhnliche Finale der 1895 fertiggestellten Oper Der Evangelimann von Wilhelm Kienzl dar. Auf Schellack gebannt hat die Gesangspartie der jüdisch-österreichische Opern-Star Joseph Schmidt (*1904). Goebbels wollte den lyrischen Tenor zum „Ehren-Arier“ ernennen. Doch erste Nazi-Schikanen zwangen Schmidt 1933 zur Flucht. Zu den Schicksalen der einzelnen Künstler: Am 4. Juni 1942 zerrte die SS Mordechaj Gebirtig im Krakauer Ghetto Podgórze auf die Straße und erschoss ihn. Die NS-Justiz ließ Karlrobert Kreiten wegen „Feindbegünstigung“ am 7. September 1943 in Berlin-Plötzensee hängen. Nach Misshandlung durch die Gestapo erlag Léon Jessel am 4. Januar 1942 im Jüdischen Krankenhaus Berlin seinen Verletzungen. Kurz vor der Befreiung des KZ Auschwitz am 27. Januar 1945 wurden dort Richard Fall und Pál Kiss umgebracht. Auschwitz war auch der Ort der Ermordung von Hans Krása (†17. Oktober 1944). Im Schweizer Flüchtlingslager Girenbad starb Joseph Schmidt am 16. November 1942 mangels ärztlicher Hilfeleistung.
Danksagungen an: – Manuel Aicher für historische Fotos von Sophie Scholl – Pia Frendeborg, Stadtarchiv München, für ein historisches Foto vom Gefängnis München-Stadelheim – Clemens Grosse, LMU, für historische Fotos vom Lichthof der Universität München – Babette Habenstein, LMU, für die Genehmigung, aktuelle Fotos vom Lichthof der Universität München und von der Büste Sophie Scholls zu veröffentlichen – Alexander Markus Klotz, Institut für Zeitgeschichte München, für das Faksimile eines Briefes von Sophie Scholl an ihren Bruder Hans – Sarah Leyck, akg-images, für historische Fotos von Sophie Scholl – Christiane Poos-Breir, Deutsches Rundfunkarchiv Frankfurt am Main, für die Unterstützung bei der Musiksuche – Stefan Seidl, Bayrisches Hauptstaatsarchiv, für ein historisches Foto vom Gefängnishof München-Stadelheim – Fabian Waßer, Bayerische Staatsbibliothek, für ein historisches Foto vom Wittelsbacher Palais – Dr. Edwin Ernst Weber, Landkreis Sigmaringen, für historische Fotos vom Schloss Krauchenwies Nach der öffentlichen Präsentation am 11.09.2021 im Festsaal der Pädagogischen Hochschule Weingarten können sowohl die Soundcollage als auch das Programmheft auf folgenden Internetseiten abgerufen werden: www.studentenwerk-weisserose.de/ www.dsk-nsdoku-oberschwaben.de/aktuelles/
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