Stress und Entzündung - Zytokine als essentieller Bestandteil der Stressbewältigung - Lab4more
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Ä 127-E Dr OM & Ernährung 2009 | Nr. 127 Stress und Entzündung Zytokine als essentieller Bestandteil der Stressbewältigung Zentrale Immunaktivierung Physiologie der Stressreaktion Essentieller Bestandteil jeder akuten Stressreaktion, Der Organismus verfügt über ein äußerst wirksa- sei es psychischer, mentaler oder physischer Stress, mes, flexibles und leistungsfähiges Stress-Bewäl- Arbeit, Sport, Essen/Kalorienzufuhr, Leistungsdruck, tigungsprogramm, das grundsätzlich in jeder Schlafentzug, Prüfungen, Mobbing, Streit oder Bedro- Belastungssituation, durch jede Art von Stressor, hungssituationen, ist eine zeitlich begrenzte Entzün- aktiviert wird (Elenkov, 2006), dessen Umfang und dungsreaktion mit Ausschüttung von proinflamm- Ablauf allerdings von Art und Dauer des Stressors atorischen Zytokinen wie TNF-alpha, Interleukin-1ß, abhängig sind. Stressoren wirken über mentale, Interleukin-6 oder Interferon-gamma, während zel- psychische, visuelle, sensorische, vegetative, luläre Immunfunktionen (T-Zell- und NK-Zellaktivität) physikalische oder chemische Signale unmittelbar blockiert werden. Quelle der zentralen Entzündungs- zentral oder über afferente Signale aus der Peri- mediatoren sind die Mikrogliazellen, die ihrerseits pherie auf das Gehirn. immunologischen Ursprungs sind (Makrophagen) und ca. 10% des polyvalenten Neuroglia-Netzwerks Es kommt sequentiell zur Aktivierung des endokrinen im ZNS darstellen (Barres, 2008). Auch die anderen Schaltzentrums mit CRH (Corticotropin-Releasing Hor- Gliazellen (Astrozyten/Astroglia; Oligodendrozyten) mon) Ausschüttung aus dem Hypothalamus und des und die Nervenzellen selbst sind in der Lage, proent- Priv.-Doz. Dr. med. zentralnervösen Schaltzentrums, des Locus coeruleus zündliche Zytokine zu synthetisieren und in Stresssitu- Wilfried P. Bieger (LC), der fast ausschließlich (90%) aus noradrenergen ationen zu sezernieren. Neuronen besteht, in denen Noradrenalin als Signal- geber (Neurotransmitter) fungiert. Noradrenalin aus dem LC und das hypothalamische CRH stehen an der Spitze der Stress-Reaktionskette. Beide Hirnzentren sind intensiv vernetzt. Noradrenalin verstärkt die CRH- Sekretion über adrenerge α1-Rezeptoren an den para- ventrikulären Kernen (PVN) des Hypothalamus (HPT), umgekehrt aktiviert CRH über CRH1-Rezeptoren die Noradrenalinausschüttung aus dem Locus coeruleus. Von den beiden zentralen Schaltzentren PVN und LC ausgehend werden nachgeordnete Reaktionszentren Die Entzündungsreaktion auf Stress kann höchst aktiviert: serotoninerge, dopaminerge und cholinerge unterschiedlich ausfallen. Während sie im Normalfall ZNS-Kerne, efferente aminerge, cholinerge und pep- begrenzt ist, reagiert einige Individuen erheblich län- tiderge Neurone, die Stresshormonachse mit ACTH ger und stärker auf akuten Stress (Bierhaus, 2003). Sie aus dem Vorderlappen der Hypophyse (HVL) und Cor- sind bei anhaltendem Stress für die Entwicklung des tisol und in begrenztem Umfang auch DHEA/S aus der sog. „Sickness-Syndroms“ prädestiniert, der patho- Nebennierenrinde (NNR); außerdem das periphere logischen Form der Stressreaktion, die durch Inappe- autonome Nervensystem (ANS), Sympathikus und tenz, Temperaturanstieg, Fatigue, Akut-Phase-Reakti- Nebennierenmark (Adrenalin; SNS: Sympathoadreno- onen, Stimmungsschwankungen bis zu Ängsten und medulläres System). Die Aktivierung der peripheren Depressionen und durch Schlafstörungen geprägt ist. Komponenten des Stresssystems resultiert im syste- Während die normale, physiologische Stressreaktion mischen Anstieg von Cortisol und den Katecholami- von den neuroendokrinen Anpassungsmechanismen nen, die schließlich im Feedback die zentrale ACTH-, dominiert wird (Stresshormone, Katecholamine) sind CRH- und Noradrenalinsekretion hemmen. die proinflammatorischen Zytokine, vor allem IL-1ß Schließlich ist auch das Immunsystem unmittelbar und IL-6, Hauptmotor der pathologischen „Sickness“- an der Formierung der Stressantwort beteiligt. Es Adaptation und maßgeblich für die Entwicklung der bildet neben der Stresshormonachse und dem zen- zentralen „Fatigue“. tralen und peripheren autonomen Nervensystem als IRS (Immun-Response-System) die vierte Achse der Die Zytokine wirken im ZNS über spezifische Rezepto- Stressbewältigung. ren auf Glia- und Nervenzellen, u.a. im Hippocampus, F36
Ä 127-E Dr OM & Ernährung 2009 | Nr. 127 Zytokin ZNS-Synthese ZNS-Wirkungen Neuroendokrine Effekte IL-1 Astrozyten Mikroglia Mikrogliaproliferation, Neuro- Stimulation der HPA-Achse, HGH, Prolaktin; hemmt TSH, LH, Neurone, Endothel- protektion; hohes ➝ Neurotoxi- Noradrenalin-, Dopamin-, GABA-, Serotoninstimulation; Ach- zellen zität, Apoptose, Neurogenese- Hemmung; NO-Induktion; Fatigue, Fieberinduktion, Myalgien, hemmung, Neurodegeneration Schlafdysregulation, „Sickness Behavior“, Stressmodulation, Libidoverlust IL-2 Astrozyten Neurogenese, antiapoptotisch Stimulation der HPA-Achse Mikroglia, Oligo- Neuroprotektion Analgesie, Dopaminstimulation, kognitive Dysfunktion, Depres- dendrozyten sion, Myalgien IL-6 Astrozyten Mikroglia Neuroprotektion, Neuroge-nese; Stimulation der HPA-Achse, Noradrenalin-, Dopamin-, GABA-, hohes IL-6➝ ICAM-1, IL-1ß; Serotoninstimulation, Fieber, Schlaffaktor’ Stressmodulation Neurotoxizität, BHS-Störung TNFα Astrozyten Mikroglia NO-Produktion, Chemokine Fieber, Schlaf, Myelinschädigung; Neurone ICAM-1, NGF-Produktion Katecholaminstimulation, Kognition TGFß Astrozyten, Mikroglia TNFα/IL-1/IL-6/IL-1/ICAM-1/ Survival dopaminerger Neurone, Anti-inflammation, Neuropro- VCAM-1 Hemmung tektion, Apoptosehemmung, Prolaktinhemmung IFNα,γ Astrozyten Mikroglia Neurotoxizität, ICAM-1, VCAM-1, Fatigue, Fieber, Inappetenz, Übelkeit, Libidoverlust, Norad- Multiple Neurone IL-12, MHCII- Expression renalin-, Serotonin-depletion, Dopaminstimulation, Ängste, Myalgien, Kognitive Einbußen, Apathie, Psychotischer Effekt, Suizidalität der Amygdala, dem Striatum, dem Hirnstamm, Cortex, Zytokininduktion bei Infekten im Kindesalter, die am Tab. 1 Zentrale Zytokine Hypothalamus und der Hypophyse. alterstypisch hohen Fieberanstieg, Muskelschmerzen und exzessiver Müdigkeit bei Infekten ablesbar ist, Zytokinwirkungen im ZNS hat daher eine wertvolle Triggerfunktion für die Rei- Die produktive Rolle, die den proinflammatorischen fung des ZNS. Proinflammatorische Zytokine können Zytokinen in der Stressantwort zukommt, wird in den außerdem die kognitive Leistungsfähigkeit, Wachheit, letzten Jahren zunehmend deutlich. Seit längerem ist Konzentration, Lern- und Gedächtnisleistung erhöhen. bekannt, dass Zytokine in der akuten Stresssituation Sie erhöhen die Reaktionsbereitschaft gegenüber synergistisch mit anderen Akteuren der Stresskaskade Gefahren und intensivieren die Gedächtnisformierung die neuroendokrine Stressantwort stimulieren. IL-1ß nach Extremsituationen, die dauerhaft im Gedächtnis und IFN-gamma steigern die Ausschüttung von CRH verankert werden. und ACTH und potenzieren die Stresshormonsekre- tion. Der Effekt von IL-1ß auf die Stressachse übertrifft Dauernder Stress wirkt dagegen über inflammatori- selbst CRH. Die Zytokine der Entzündungskaskade wir- sche und neuroendokrine Faktoren (Cortisol, Glutamat, ken außerdem auf die Neurotransmission und potenzie- oxidativer Stress) hemmend auf das Kurzzeitgedächt- ren Sekretion und Turnover von Dopamin, Noradrenalin, nis, beeinträchtigt das Konzentrationsvermögen und Serotonin, GABA und Acetylcholin (Tab. 1). die Lernfähigkeit. Darüber hinaus können psychische Über ihre neuroendokrin stimulierenden Effekte hinaus Veränderungen ausgelöst oder verstärkt werden, die sind Zytokine zentral an vielen fundamentalen Stressad- sich mit fortschreitendem Alter manifestieren. Das aptationsmechanismen maßgeblich beteiligt. Generell Aktivitätsniveau proentzündlicher Faktoren steigt mit trifft für die Zytokineffekte zu, dass sie stark dosisab- dem Alter nicht nur peripher sondern auch im ZNS an hängig sind. Bei kurzzeitigem stressbedingtem Kon- (Lee, 2000). Zu den Folgen dieser tiefgreifenden funk- zentrationsanstieg stehen positive stimulierende und tionellen, zytokinabhängigen Altersveränderungen trophische Effekte im Vordergrund, während längere gehören das Nachlassen der Gedächtnisleistung, der Zytokineinwirkung sich meist negativ sowohl auf men- Kognition, Reaktionsgeschwindigkeit und Flexibilität taler, psychischer, vegetativer als auch auf struktureller sowie die fortschreitende Atrophie zerebraler Struk- Ebene auswirkt und Neurodegeneration fördert. Die turen. Stressentzündung stimuliert intermittierend die Sekre- Andauernde Zytokinaktivität hemmt die Synthese tion neuronaler Wachstumsfaktoren wie BDNF (Brain- neuronaler Wachstumsfaktoren, die Neurogenese derived Neurotrophic Factor) oder NGF (Nerve Growth und fördert die Apoptose von Neuronen. Vor allem Factor), und die Ausreifung neuronaler Progenitorzel- die Aktivierung Glutamat-abhängiger neurotoxischer len, auch die neuronale Vernetzung, sowie die Repli- Mechanismen, die Induktion von Stickoxidsynthetase kation und Differenzierung von Gliazellen. Die starke in Gliazellen und gesteigerte Bildung neurotoxischer F37
Ä 127-E Dr OM & Ernährung 2009 | Nr. 127 Sauerstoff- und Stickstoffradikal-Verbindungen (ROS der Behandlung von MS, chronischer Hepatitis B/C bzw. RNS) ist an den langfristigen funktionellen und oder Tumoren mit Interferonen (IL-2) entwickelt sich strukturellen Veränderungen mit Verminderung der in 10–40% der Fälle innerhalb weniger Monate eine Hirnleistungsfähigkeit beteiligt. So stimuliert IL-1ß die schwere Depression (Wilson, 2002). excitotoxische Glutamataktivität im Hippocampus und hemmt die Synthese der Glutaminsynthase in Astro- Schlafregulation zyten, die überschüssiges, neurotoxisches Glutamat Zytokine sind maßgeblich an der Schlafregulation zu Glutamin entsorgt. Umgekehrt steigert Glutamat beteiligt (Imeri, 2009). Der periphere Zytokinan- die Bildung von IL-1ß und TNF-alpha (Wilson, 2002). stieg im Verlauf von Infektionen, der parallel geht Die einzelnen Zytokine wirken unterschiedlich mit gesteigertem Schlafbedürfnis bis zu schwerer stark auf Kognition, Verhalten und Psyche. IL-1ß ist Müdigkeit mit zentraler Fatigue, weist auf diesen besonders stark appetithemmend, Libido-senkend, Zusammenhang hin. Im Tiermodell wirken IL-1 und schlaffördernd, angstauslösend, beeinträchtigt das TNF-alpha vor allem auf die non-REM-Schlafphase. Denkvermögen, Koordination, Lernfähigkeit und Hohe Konzentrationen verschlechtern, physiologi- Gedächtnis. Es gilt heute als der wesentliche Aus- sche Konzentrationsanstiege fördern den NREM- löser der zentralen Fatigue, die Hauptsymptom bei Schlaf. IL-1 wirkt dabei eng zusammen mit Seroto- CFS (Chronic Fatigue Syndrom), der postinfektiösen nin (5HT). In einigen Hirnabschnitten (Frontalhirn) Fatigue, Tumorfatigue oder der Fatigue bei schweren stimuliert IL-1 die Serotoninsekretion und umgekehrt chronischen Entzündungskrankheiten wie MS (Multi- 5HT die IL-1-Synthese, in anderen Zentren (Raphe- ple Sklerose) oder RA (rheumatoide Arthritis) ist (Koo, kerne) hemmt IL-1 dagegen die Serotoninabgabe. 2008). IL-2 stimuliert initial Dopamin, bei längerer Der Anstieg von IL-1 und 5HT in akuten Stressitua- Aktivierung kann es jedoch die Hippocampusfunktion tionen (Infekt) steigert unmittelbar synergistisch die beeinträchtigen, die Gedächtnisleistung reduzieren, Wachheit und reduziert auf direktem Wege sowohl Ängste bis zu Panik und Psychosen auslösen und neu- NREM- als auch REM-Schlaf. Im weiteren Verlauf mit rodegenerative Prozesse verstärken. abfallendem 5HT und hohem IL-1 wird parallel zum Tab. 2 Biphasisches Muster Kurzzeiteffekte Chronische Effekte zentraler Zytokineffekte Gliaproliferation (Mikroglia, Astrozyten); Proliferationshemmung (Glia, Neurone), Neurone Gliazellen Neuroprotektion; BDNF/NGF-Aktivierung, Neurotoxizität, Apoptoseaktivierung; Neuiro- Neurogenesestimulation, Apoptose- inflammation; Neurodegeneration, Atrophie, hemmung Amyloidbildung Neuro/ HPA-Aktivierung; Temperaturanstieg, Kate- Serotonin/Noradrenalin-, ACh-Hemmung; ➝ Endokrinium cholamine/Serotonin/Acetylcholin/ GABA ; Hypercortisolismus; OxStress (ROS/RNS/ NO-Induktion Peroxynitrit) Kognition Wachheit, Reaktionsgeschwindigkeit, „Sickness Syndrom“, Fieber, Anorexie, Inap- Koordination, Gedächtnisintensivierung, petenz, Gedächtnisstörungen, Koordination, Verlangsamung Verhalten Müdigkeit, Inappetenz Ängste, Panik, Depressionen, Psychose, Schlafstörungen, Libidoverlust IL-6 wirkt initial neuroprotektiv und eher antient- Anstieg der Körper-Solltemperatur der NREM-Schlaf zündlich, stimuliert die Neurogenese, steigert die verstärkt. In dieser Situation überwiegen dämpfende Ausschüttung von ACTH, Cortisol, Noradrenalin und Einflüsse von IL-1 über Potenzierung der Wirkung Serotonin und fördert die nächtliche Regeneration. des GABA-Systems. IL-6 gilt ebenfalls als schlafför- Bei anhaltender Erhöhung überwiegen jedoch zuneh- dernd (Vgontzas, 2005). Im Tagesverlauf ist die IL-6 mend neurotoxische, proentzündliche Effekte. Konzentration morgens am niedrigsten, steigt bis Interferone fördern den Schlaf, senken den Appetit, zum Abend auf einen ersten und spät in der Nacht erhöhen die Körpertemperatur und steigern die Aus- auf einen zweiten Peak 2-4fach an und fällt erst in schüttung von Dopamin, Noradrenalin und Seroto- der letzten Nachtphase wieder auf das morgendliche nin. Längerer Überschuss erzeugt dagegen ein brei- Minimum ab. Bei Störungen mit gesteigerter Tages- tes Spektrum von Komplikationen: Übelkeit, Fieber, müdigkeit (Insomnie, Depression, Schlafapnoe, Nar- Fatigue, Unlust, Apathie, Verlangsamung, Denkstö- kolepsie) ist IL-6 dagegen im Unterschied zu Corti- rungen, Gedächtniseinbußen, Libidoverlust, Ängste, sol im Tagesverlauf erhöht und fällt in der Nacht ab. Depressionen. Ein eindrucksvoller Beleg der zentra- Schläfrigkeit ist mit hohem IL-6 und niedrigem Cor- len Wirkung hoher Zytokine sind die Komplikationen, tisol, umgekehrt Schlaflosigkeit mit hohem Cortisol die bei der Therapie mit Zytokinen auftreten. Bei und niedrigem IL-6 assoziiert (Tab. 2). F38
Ä 127-E Dr OM & Ernährung 2009 | Nr. 127 Periphere Entzündung Während Stress primär zentral zu Entzündungsre- aktionen mit Zytokinanstieg führt, kann umgekehrt periphere Immunaktivierung bei Infektionen, Verlet- zungen oder Entzündungen über die Ausschüttung proinflammatorischer Zytokine bzw. nervale Afferen- zen sekundär zur zentralen Immunaktivierung führen. Periphere Entzündungssignale können über verschie- dene Mechanismen die Blut-Hirn-Schranke (BHS) überwinden und zentrale Reaktionen induzieren (Rais- ton, 2009): ■ Diffusion von Zytokinen über den Plexus chori- oideus und die circumventrikulären Organe der Blut-Hirn-Schranke; ■ Passage über „Bruchstellen“ der BHS; ■ Aktiver Transport über spezifische Zytokincarrier in der BHS; ■ Bindung an BHS-Endothelzellen und intrathekale Ausschüttung von Zytokinen, Chemokinen, Prosta- glandinen, Stickoxid; ■ Entzündungszellen können via Diapedese und durch randständige Poren der BHS ins ZNS ein- dringen; ■ Sensorische afferente Signale über das autonome Nervensystem (Vagus, Symapthikus) werden zentral umgeschaltet und stimulieren efferent vor allem über Noradrenalin periphere Entzündungs- mechanismen nach Bindung an ß-Rezeptoren auf Immunzellen; ■ Zytokine werden unmittelbar zentral über direkt Anteil langkettiger Omega-3-Fettsäuren, in neurona- Abb. 2 NF-kB Inflammationskaskade einwirkende Stressoren aktiviert und binden an len Membranen vor allem DHA, zu Lasten des Ara- mit den wichtigsten neuronale und Glia-Zytokinrezeptoren. chidonsäureanteils in den Membranlipiden ist desto Entzündungsfaktoren und weniger proentzündliche Faktoren werden gebildet, Entzündungsinhibitoren (grün) Am schnellsten ist der Übermittlungsweg peripherer da die Metaboliten der w3-Fettsäuren DHA und EPA Entzündungssignale über den Vagusnerv, der zentral antientzündlich, antiproliferativ und antithrombotisch Ach Acetylcholin im Nucleus Tractus solitarius (NTS) endet und von wirksam sind. COX2 Cyclooxygenase2 dort ausgehend zentrale Entzündungsreaktionen DHA w3-Docosahexaensäure induziert: TNF-alpha, IL-1ß, IL-6, Cyclooxygenase NF-kB EPA w3-Eicosapentaensäure (COX2), Lipoxygenase (5-LOX) und iNOS (induzier- Alle Stresseffekte konvergieren zellulär auf der Ebene GR Glukocorticoidrezeptor bare Stickoxidsynthetase). Das über iNOS gebildete der sog. „Redox-sensitiven nukleären Transferfakto- iNOS induzierbare Stickoxid kann in entzündlichem Milieu mit Sauer- ren“, der NF-kB Molekülfamilie. Veränderungen des Stickoxidsynthetase stoffradikalen zu Peroxynitrit reagieren (ONOO), das zellulären Redox-Status durch überschießende ROS- 5-LOX 5-Lipoxygenase Membranlipide oxidiert und toxische Lipidperoxide Bildung, Glutathion/Thiolverbrauch, Cysteinmangel LPS bakt. Lipopolysaccharid freisetzt. Wegen seines außerordentlich hohen Gehal- oder direkte Aktivierung über bakterielles LPS, Che- MMPx Matrix-Metalloproteinasen tes an Lipidmembranen (70% der Gehirnmasse) und mikalien und Entzündungszytokine führen unmittel- MR Mineraolcorticoidrezeptor seiner limitierten antioxidativen Schutzmechanismen bar zur Mobilisierung von NF-kB, das präformiert als NF-kB Nukleärer Transferfaktor B ist das ZNS besonders anfällig für zytokininduzierte Moleküldimer in Bindung an einen Inhibitor (I-kBα) im IkB Inhibitor Bα von NF-kB oxidative Schäden. Durch die Entzündlungsmedi- Zytoplasma der Zelle vorliegt. Das aktivierte NF-kB PLA2 Phospholipase A2 atoren werden Phospholipide aus Zellmembranen wandert in den Zellkern ein, während der Inhibitor ROS Reaktive Sauerstoffradikale mobilisiert und oxidiert. Die Membranphospholipide abgebaut und resynthetisiert wird. enthalten überwiegend die Omega-6-Arachidonsäure Das antientzündliche Cortisol greift über Bindung an (w6-AA), während der Omega-3-Fettsäureanteil (w3) nukleäre Corticoidrezeptoren (GR oder MR) unmit- ernährungsabhängig schwankt (Verhältnis w6: w3 = telbar in diese Balance ein und hemmt die NF-kB 5:1 bis 12:1). Oxidative AA-Metaboliten besitzen aus- Aktivierung. Das wichtigste endogene antiinflamm- geprägte proentzündliche, immunsuppressive und atorische System ist allerdings der Parasympathikus gerinnungsfördernde Aktivität. Je höher jedoch der (Tracey, 2007), der über den efferenten Vagusnerv F39
Ä 127-E Dr OM & Ernährung 2009 | Nr. 127 die Synthese proinflammatorischer Zytokine in der Bei der Majordepression (MD) ist gesichert, dass Peripherie hemmt. Auch dieser „cholinergic antiin- trotz chronischem Hypercortisolismus und hohem flammatory pathway“ wirkt unmittelbar auf der NF- Noradenalintonus die Entzündungsaktivität erhöht kB-Signalebene. Acetylcholin blockiert die Aktivierung ist, was u.a. auf Verminderung der Zahl und Affinität von NF-kB über den sog. nikotinischen ACh-Rezeptor von Glukocorticoidrezeptoren und die dadurch einge- der Makrophagen. Vagale Efferenzen sind über das schränkte Wirkung von Cortisol auf die NF-kB-Aktivi- gesamte retikuloendotheliale System und die peri- tät zurückgeht (Miller, 2008). Das inflammatorische pheren Organe verteilt. Verstärkung erfährt der ACh- Grundmuster der MD ist das „Sickness-Syndrom“, die Pathway durch GABA, Glycin und Serotonin, partiell entzündlich dominierte Form der akuten Stressreak- auch durch das sympathische Nervensystem (Norad- tion (Dantzer, 2008). Deren Effekte sind als Begleitre- renalin, Adrenalin) die alle neuronal oder auch parakrin aktionen von akuten Infektionen seit langem bekannt: dämpfend bis blockierend auf Entzündungsabläufe Fieber, Schwäche, Fatigue, Lethargie, Konzentrations- wirken. schwäche, Inappetenz, Symptome, die auch bei der Bei Noradrenalin überwiegen allerdings kurzfristig Depression vorherrschend sind. Die zirkulierenden proentzündliche Effekte. Es führt zum Anstieg der NF- Zytokinkonzentrationen korrelieren mit dem Schwe- kB-Aktivität in Zellen über direkte Bindung an ß-Rezep- regrad der Depression. Allerdings exisitieren neben toren, senkt die Hemmschwelle für die Mobilisierung dem inflammatorischen Prototyp der MD auch abwei- von NF-kB und blockiert die IkB-Resynthese, wodurch chende Erscheinungsformen wie die melancholische es zu verstärkter Expression zahlreicher proinflamm- Depression, bei der keine Immunaktivierung vorhan- atorischer Gene kommt. Nor/Adrenalin steigert vor den ist (Vaccarino, 2008). allem die Bildung von IL-6, das zwar zu den proen- zündlichen Zytokinen zählt, unter bestimmten Bedin- Kynurenin-System gungen jedoch antientzündliche, neuroprotektive und Einige wesentliche Phänomene der Depression wie trophische Eigenschaften hat (Petersen, 2006). kognitive Defizite, Verlangsamung, Ängste, Lern-/ Konzentrationsstörungen sind eng mit dem Anstieg des Kynureninmetaboliten Chinolinsäure korreliert, die als endogener NMDA-Rezeptoragonist fungiert und die Glutamatproduktion steigert (Myint, 2003; Müller, 2007). Der „Kynurenin-Pathway“ ist der Haupt- weg des Tryptophanmetabolismus, der Vorstufe von Serotonin. Proentzündliche Zytokine steigern über NF-kB und COX2 die Produktion des Prostaglandins PgE2, das maßgeblich an der Umstellung des Kynu- reninmetabolismus und der Bildung der Chinolinsäure beteiligt ist (Schwieler, 2005). COX-Inhibitoren wie NSAID’s (COX1,2) oder Celecoxib (COX2-spezifisch) besitzen daher therapeutisches Potential bei psychi- schen Erkrankungen und wirken nachgewiesenerma- ßen antidepressiv. COX2-Hemmung senkt über die Auch von peripherem „Immun“-CRH können proent- Hemmung der proentzündlichen Zytokine und PgE2 zündliche Effekte ausgehen (Agelaki, 2002). CRH wird hinaus die Hyperaktivität der HPA-Achse und erhöht peripher an Entzündungsorten ausgeschüttet. CRH Serotonin. stimuliert mit Substanz P massiv die Mastzelldegra- nulation und Ausschüttung von Histamin und anderen Die zirkulierende Tryptophanmenge wird in erster Entzündungsfaktoren. CRH stimuliert außerdem über Linie über das Enzym TDO (Tryptophan-2,3-Dioxy- CRH2-Rezeptoren an Monzyten die Sekretion von pro- genase) in der Leber gesteuert, das Tryptophan zu entzündlichen Zytokinen wie IL-1 und IL-6. N-Formylkynurenin abbaut. Die Aktivität der TDO wird durch Cortisol geregelt. Analgetika (Acetami- Depressionen nophen) hemmen die TDO und fördern die Sero- Die reziproke Beziehung zwischen Neuroendokrinium toninsynthese, was ihre zentralen Effekte erklärt. und Entzündungsachse bezieht sich nicht nur auf Parallel wird Tryptophan über das nahezu ubiquitär akute und chronische Stresssituationen. Bei psychi- vorkommende Enzym IDO (Indolamin-2,3-Dioxyge- schen Komplikationen sind häufig inflammatorische nase) metabolisiert, wobei verschiedene hochwirk- Mechanismen beteiligt, insbesondere der Majorde- same Kynurenine gebildet werden. Die IDO wird pression (MD), bipolarer Depression, Schizophrenie durch proentzündliche Zytokine aktiviert, am stärks- und bei Suchtsyndromen (Müller, 2008). ten durch Interferon-gamma, gefolgt von IL-1ß und F40
Ä 127-E Dr OM & Ernährung 2009 | Nr. 127 TNF-alpha, die Zytokinwirkung wird durch Prostag- Auch andere Antioxidantien haben in experimen- landin E2 (PgE2) potenziert (Pecchi, 2009). Während tellen und klinischen Studien hohe neuroprotektive IFN-gamma ausschließlich von T-Lymphozyten (und Wirksamkeit bewiesen, u.a. Vitamin D, Vitamin E, NK-Zellen) gebildet wird, können proentzündlichen (Tocopherole), Coenzym Q10, Curcumin, Resveratrol, Faktoren aus anderen Immunzellen (IL-6) über PgE2 alpha-Liponsäure, OPC (Oligomere Proanthocyani- ebenfalls an der IDO-Aktivierung mitwirken. Der pri- dine), Pycnogenol. märe IDO-Metabolit L-Kynurenin wird normalerweise weiter zur neuroprotektiven Kynureninsäure (KYNA) Globalmarker NF-кB, Myeloperoxidase, metabolisiert. Stress und gesteigerte entzündliche freie Fettsäuren, Homocy- Aktivität lenken den Metabolismus von Kynurenin stein, BDNF, Vitamin D jedoch über 3-Hydroxy-Kynurenin verstärkt zur Chi- Zytokine Interleukin 6, IL-1ß, TNFα, nolinsäure, die als NMDA-Rezeptoragonist neuro- IFNγ, sIL2R (löslicher IL-2 toxisch und prooxidativ wirkt (Müller, 2008). Noch Rezeptor) stärker prooxidativ ist 3-Hydroxy-Kynurenin. Oxidativer Stress Glutathion (intrazellulär), Im ZNS exprimieren nur Mikrogliazellen und Monozy- Nitrotyrosin (RNS), Malon- ten/Makrophagen, die entzündlich einwandern, alle dialdehyd (ROS) Enzyme des Kynureninsystems und nur sie sind in der Antioxidantien Vitamin E, Vitamin B6, B12, Lage, die toxischen Metaboliten 3OH-KYN und Chino- Folsäure linsäure zu bilden. Astrozyten dagegen exprimieren Blut-Hirnschranken- S-100, Nitrotyrosin nur KAT und bilden die protektive KYN. funktion Chronisch erhöhte IDO-Aktivität führt daher zu wach- sendem Tryptophan- und Serotoninmangel. Dies gilt in Hormone Cortisol, Serotonin, Cate- besonderem Maße für die Therapie mit Zytokinen bei cholamine, Melatonin chronischer Hepatitis, MS oder Tumoren (Miller, 2008) bei denen Serotoninmangelsyndrome wie Depres- Diagnostik zentraler Entzündung sionen, Fatigue/Müdigkeit, Schlaf- und kognitive Pro- Für die Analyse zentraler Entzündungsaktivität sind in bleme häufige Komplikationen sind. Die Substitution der Regel nur peripher zugängliche Parameter verfüg- mit 5HTP, der direkten Serotoninvorstufe, bietet sich in bar, die natürlicherweise zentrale und peripheren Ent- diesen Fällen als kausale Therapie an. Auch SSRI-Anti- zündung nicht differenzieren können. Da jedoch zen- depressiva steigern durch die Reuptakehemmung und trale Entzündung auch peripher ausstrahlt, ist deren zusätzliche IDO-Blockade die Serotoninverfügbarkeit. Bestimmung auch außerhalb des ZNS aussagefähig. Schizophrenie, Suchterkrankungen Priv.-Doz. Dr. med. Wilfried P. Bieger Bei der Schizophrenie ist die Situation gegenüber MD Paul-Heyse-Strasse 6 unterschiedlich. Das zelluläre Th1/Th2-Immungleichg- 80336 München | Deutschland wicht ist im Gegensatz zur MD zu TH2 verschoben, T +49-(0)89-543217 0 IL-6 ist erhöht und die Th1-Aktivität mit IFN-gamma F +49-(0)89-543217 57 und PgE2 reduziert. Während bei der MD die Aktivität wbieger@lab4more.de des Serotonin- und Katecholaminsystems vermindert www.dr-bieger.de ist und die Glutamataktivität überwiegt, ist das neu- www.neurolab.eu ronale Charakteristikum der Schizophrenie die Dopa- min-Dysregulation, die auf verminderte Glutamatakti- vität zurückgeführt wird. IDO-Hemmung und Senkung Literatur der Produktion des Glutamatantagonisten KYNA über Agelaki S, Tsatsanis C, Gravanis A, Margioris AN: Corticotropin- COX2-Inhibitoren erhöht den Glutamattonus bei der releasing hormone augments proinflammatory cytokine Schizophrenie und hat therapeutische Wirkung. Für production from macrophages in vitro and in LPS-induced den COX2-Hemmer Celecoxib wurden therapeutische endotoxin shock in mice. Infect Immun 2002; Effekte bei der Schizophrenie gezeigt (Müller, 2008). 70: 6068–6074 Auch bei Suchtkrankheiten werden deutliche Hinweise Barres BA. The mystery and magic of glia: a perspective on their auf gesteigerte entzündliche Aktivität gefunden, die roles in health and disease. Neuron 2008;60(3): 430–40 wahrscheinlich über vermehrte ROS-Produktion und Bierhaus A, Wolf J, Andrassy M, Rohleder N, Humpert PM, Petrov Glutathionmangel infolge erhöhter Detoxifikationsak- D, Ferstl R, von Eynatten M, Wendt T, Rudofsky G, Joswig tivität zustande kommt. Das Antioxidans N-Acetylcy- M, Morcos M, Schwaninger M, McEwen B, Kirschbaum stein (ACC) hat bei klinischen Studien gute Wirksam- C, Nawroth PP.A mechanism converting psychosocial stress keit in der Behandlung von Rauschgiftabhängigkeit into mononuclear cell activation. Proc Natl Acad Sci 2003; (Kokain) oder Nikotinsucht gezeigt. 100: 1920–25 F41
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