Toxischer Stress in der Familie - ONLINE-FACHTAGUNG DER EHLERDING STIFTUNG - HAW Hamburg
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Toxischer Stress in der Familie ONLINE-FACHTAGUNG DER EHLERDING STIFTUNG In Kooperation mit der Kroschke Kinderstiftung, mamamia e. V. und dem Competence Center Gesundheit (CCG) Dokumentationsband vom 3. / 4. September 2020 fizkes / stock.adobe.com 1
Dokumentationsband zur Fachtagung „Toxischer Stress in der Familie“ „Stressbewältigung als (Über-)Lebenskompetenz – welche Auswirkungen hat Stresserleben in der Schwangerschaft und in der frühen Kindheit für das System Familie?“ Von Silke S. an alle: Ich freue mich auch sehr darüber, dass Kerstin Michaelis moderiert! Das ist großartig. :-) 2 KOLUMNENTITEL 3
Vorwort 7 Die Bedeutung sozialer Beziehungen bei der Stressregulierung 28 und Dysregulierung Prof. Dr. Megan Gunnar Grußworte 11 Vorträge 12 Seelisch gesund aufwachsen 30 Prof. Dr. Jörg Maywald Traumatische Erfahrungen und deren Folgen im Säuglings- und 14 Kindesalter – erkennen und geeignet vorsorgen Stressbewältigung und Musiktherapie von bindungs- 32 Dr. Andreas Krüger traumatisierten Kindern. Ist toxischer Stress hörbar? Prof. Dr. Gitta Strehlow Stress im System Familie bei Trennung und Scheidung 18 Prof. Dr. Fabienne Becker-Stoll Übersicht Dialogforen 34 Nachwort 38 Wenn der Körper nicht vergisst: die Auswirkungen frühkindlicher 20 Stresserfahrungen auf die kindliche Hirnentwicklung Prof. Dr. Kerstin Konrad Impressum 41 Stress und pränatale Programmierung der Gehirnentwicklung 24 und das damit zusammenhängende Risiko für psychiatrische Störungen Prof. Dr. Claudia Buß 4 KOLUMNENTITEL 5
Vorwort LIEBE LESERINNEN, LIEBE LESER , seit über 20 Jahren ist es mir eine Herzensangelegenheit, Kinder und Jugendliche auf ihrem Weg in ein gelingendes Leben zu unterstützen. Unsere Stiftungsprojekte verfolgen das Ziel, Kindern aus belasteten Familien faire Startbedingungen und damit Chancengleichheit zu ermögli- chen. Kinder brauchen Zeit, Zuwendung und ein schützendes Umfeld. Dies ist in stressbehafteten Familien oft nicht ausreichend gegeben. Welche Auswirkungen das auf die Kleinsten und selbst auf Ungeborene hat, wollten wir gemeinsam mit Expert*innen und Fachkräften auf unserer Fachtagung erfahren. Die Corona-Pandemie hat es noch einmal verstärkt gezeigt: Stress wirkt toxisch. Und so kam unsere Fachtagung zur richtigen Zeit. Das spiegelte auch die erfreuliche Zahl von über 200 Teilnehmenden wider, die sich mit uns auf das Abenteuer Online-Konferenz einließen. An zwei Tagen hörten wir sieben Fachvorträge, die wir hier für Sie nochmals zusammengestellt haben. Besonders inspirierend war der Austausch in den Dialogforen, die in digitalen Zoom Rooms stattfanden. Die vielen Chats zeigten, wie lebhaft und engagiert überall diskutiert und sich ausgetauscht wurde. Es freut mich sehr, dass wir durch das Engagement aller Akteur*innen diesen neuen digitalen Weg gehen konnten und damit gemeinsam einen wichtigen Beitrag zur Auseinandersetzung mit diesem akuten Thema geleistet haben. Zusammen mit dem Competence Center Gesundheit und in Kooperation mit der Kroschke Kinderstiftung sowie mit mamamia e. V. ist es uns gelungen, das fragile Familiensystem ins Sichtfeld zu rücken, um präventiv in die Familien zu wirken. Damit Kindern das Leben gelingt! Ingrid Ehlerding Stifterin und Vorstandsvorsitzende der Ehlerding Stiftung 6 VORWORT 7
Die Ehlerding Stiftung fördert seit dem Das Competence Center Gesundheit Jahr 2000 Kinder und Jugendliche mit (CCG) bündelt seit mehr als 10 Jahren stiftungseigenen Projekten. Aktuell sind gesundheitsbezogene Kompetenzen dies die mitKids Aktivpatenschaften, das aus fünf Departments. Das CCG ist Erlebnispädagogische Schullandheim eine Kooperation der Fakultäten Life Sciences und Barkhausen und das bedarfsorientierte Wirtschaft & Soziales der HAW Hamburg und besteht aus einem Zusam- Engagement Impulse mit seinen tem- menschluss von mehr als 30 Professorinnen und Professoren sowie porären Projekten, Fachtagungen und zahlreichen wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Veranstaltungen zum Weiterdenken. In 20 Jahren konnte die Stiftung Durch die Expertise der CCG Mitglieder werden nicht nur regionale, bereits über 57.000 Kinder unterstützen. sondern auch darüber hinausgehende Forschungsprojekte mitgestaltet. www.ehlerding-stiftung.de Das gemeinsame Ziel des CCG ist es, den Zugang zu relevanten Gesund- heitsdienstleistungen und -gütern zu fördern und einen Beitrag zur Chancengerechtigkeit in der gesundheitlichen Versorgung zu leisten. www.haw-hamburg.de/ccg Der Verein mamamia e. V. setzt Die Kroschke Kinderstiftung unter- sich für eine ganzheitliche stützt Initiativen und Projekte für Familienförderung ein. Die in Kinder mit einer Erkrankung oder der Vergangenheit betriebene Behinderung und die Prävention. Im gleichnamige Kinderkrippe für Fokus stehen Musik- und Kunsttherapie hochbelastete junge Familien wurde für die Umsetzung bindungs- sowie Frühe Hilfen. Seit ihrer Gründung im Jahr 1993 hat die Hamburger basierter Leitideen in enger Kooperation zwischen Schule und sozialpäda- Stiftung mehr als 700 Projekte mit ca. 5 Millionen Euro unterstützt, gogischer Ausbildung mehrfach ausgezeichnet. Den inhaltlichen Schwer- überwiegend finanziert durch Spenden. punkt bildet heute die Fortbildung auf dem Gebiet der Krippenpädagogik www.kinderstiftung.de und der Förderung der frühkindlichen Bindung insbesondere bei hochbe- lasteten jungen Eltern. Im Fokus der methodischen Fortbildung steht die Weiterbildung von pädagogisch Vorgebildeten zu STEEP™-Berater*innen auf der Basis des evaluierten STEEP™-Programms. Der Verein mamamia ist Träger der STEEP™-Weiterbildung im deutschsprachigen Raum. www.steep-weiterbildung.de 8 KOOPERATIONSPARTNER 9
Grußworte Am 3. und 4. September 2020 fand die Fachtagung „Toxischer Stress in der Familie: Stressbewältigung als (Über-)Lebenskompetenz – welche Aus- wirkungen hat Stresserleben in der Schwangerschaft und in der frühen Kindheit für das System Familie?“ der Ehlerding Stiftung als Online- Konferenz statt. Die Ehlerding Stiftung engagiert sich seit über 20 Jahren für Kinder und Jugendliche und stellt den Schutz der Gesundheit dieser Zielgruppe in das Zentrum ihres Handelns mit Fokus auf gesellschaftliche Belange. Toxischer Stress innerhalb der Familie ist seit jeher ein wichtiges und grundlegendes Thema für Wissenschaft und Forschung. Bedingt durch die Corona-Pan- demie und die daraus resultierenden gravierenden und oftmals heraus- fordernden Veränderungen familiärer Alltagsstrukturen und Verantwort- lichkeiten hat das Thema noch einmal an Brisanz gewonnen. Die Ziele der Ehlerding Stiftung und des Competence Center Gesundheit haben vieles gemeinsam: den Gesundheitsbezug, die Aktualität in der Forschung und den relevanten gesellschaftlichen Stellenwert. Die best- mögliche Gesundheit für alle, besonders aber für vulnerable Gruppen, zu unterstützen, sowie das Bemühen, solche Zielgruppen ins Sichtfeld der verschiedenen Handlungsakteur*innen zu rücken, sind wichtige Vorha- ben, die das CCG mit der Ehlerding Stiftung teilt. Das CCG hat mit Freude die Veranstaltung als Kooperationspartner und Unterstützer begleitet und damit einen Beitrag zur Auseinander- setzung mit dem Thema geleistet. Wir wünschen Ihnen eine spannende und erkenntnissreiche Lektüre. Mit freundlichen Grüßen Von Maria K. an alle: Prof. Dr. Susanne Busch Prof. Dr. Joachim Westenhöfer Ich möchte mich ganz herzlich bei Ihnen allen für die sehr Leitung CCG Leitung CCG interessante und anregende Online-Konferenz bedanken. Ich konnte viele Informationen und Gedanken für meine Arbeit mitnehmen. 10 BEGRÜSSUNG 11
Von Stephan K. an alle: Gelungene Veranstaltung, an der ich vermutlich nicht teilgenommen hätte, wenn es eine Präsenzveranstaltung gewesen wäre. Online hat also auch seine Vorzüge. Vorträge 12 13
Traumatische Erfahrungen und deren Folgen im zum Beispiel nach Misshandlungs- und Vernachlässigungserfahrungen Säuglings- und Kindesalter – durch die Erziehungsberechtigten, entstehen. Die Langzeitfolgen unver- erkennen und geeignet vorsorgen sorgter Traumata sind psychische und/oder körperliche Erkrankungen, Kriminalität sowie sozioökonomisch prekäre Verhältnisse. Neben der post- traumatischen Belastungsstörung entwickeln Patient*innen, besonders Dr. Andreas Krüger regelmäßig nach Typ-II-Traumata, dissoziative Störungen. Weiterhin sind (Ankerland e. V. Hamburg, Institut für Psychotraumatologie regelmäßig Bindungs- und Beziehungsstörungen zu finden, die zum Teil des Kindes- und Jugendalters) durch traumatische (Beziehungs-)Erfahrungen bedingt sind und/oder durch die posttraumatische Belastungsstörung/dissoziative Störungen selbst mitbedingt entstehen. Dieser Vortrag thematisiert die verschiede- Als Ergänzung zur klinischen und testpsychologischen Diagnostik kommt nen grundlegenden Erkenntnisse der in der Kooperation zwischen Therapie und Jugendhilfe der Trauma- Psychotraumatologie (früh-)kindlicher pädagogische Symptom- und Resilienzfragebogen (TPSR, Krüger & Radler, Extrembelastungen. Sogenannte Sing- 2015) zum Einsatz, welcher als ein standardisiertes Selbst- und Fremdbe- le-Blow-Traumata (Typ I), die oft mit einer urteilungsinstrument für den Einsatz in der traumasensiblen Jugendhilfe- posttraumatischen Belastungsstörung arbeit differenzierte diagnostische Informationen liefert und als bezie- einhergehen, werden am häufigsten hungsstiftend angesehen wird: Unsichtbares Leid bei den Klient*innen diskutiert, jedoch treten diese viel weniger wird für die Betreuer*innen „sichtbar“ und Unterstützung im Umgang mit auf als chronisch komplexe, wiederholte Störungszeichen als Ausdruck von Traumafolge kann so gemeinsam und (Beziehungs-)Traumatisierungen (Typ II). Die konstruktiv erarbeitet werden und traumasensibles pädagogisches meisten Kinder erleiden Typ-II-Traumata Handeln prägen. und kommen erst etwa in der Frühpubertät Auf dem Heilungsweg geht es unter anderem um traumapsychologisches in die therapeutisch-psychiatrischen Versorgungseinrichtungen. Ein großes Wissen, was Kind und Bezugspersonen handlungskompetent im Umgang Dilemma liegt dabei in der diagnostischen Zuordnung der beobachtbaren mit Störungszeichen der posttraumatischen Belastungsstörung unter (chronifizierten) Störungsbilder, im engeren Sinn sogenannter Trauma- anderem macht. Das Konzept der Psychodynamisch Imaginativen Trauma- Folgestörungen. therapie für Kinder und Jugendliche (PITT-KID, Krüger & Reddemann, Die meisten Versorgungsangebote sind, wenn überhaupt traumaspezifisch, 2007), welche der bekannten Drei-Phasen-Gliederung von Trauma- wider die klinische Realität (nur) auf Typ-I-Traumata ausgerichtet. therapie nach Janet folgt, beinhaltet wichtige methodische Besonderhei- Je nach Ergebnis einzelner Studien entwickeln ein bis zu drei Viertel der ten gegenüber anderen Verfahren. Im Konzept der PITT-KID wurde unter Kinder nach einer schweren traumatischen Erfahrung eine posttraumati- anderem eine Trauma-adaptierte Ego-State-Arbeit eingeführt, die sich sche Belastungsstörung. Es ist wichtig, dem betroffenen Kind zu sagen, auch für frühe, komplexe Trauma-Folgestörungen sowie oft assoziierte dass seine Beeinträchtigungen völlig normal sind, aber nicht das, was ihm Bindungsstörungen eignet. Ansätze einer intensiven Kooperation auf passiert ist. Es liegt bisher kein systematisches, an den entwicklungs- Augenhöhe mit der (stationären) Jugendhilfe ist wichtiger Bestandteil des psychologischen Gegebenheiten des Kindes und Jugendlichen orientiertes Behandlungskonzeptes. Diagnosemanual vor, das Trauma-Folgestörungen bei diesen differenziert Ein Grundprinzip, das die therapeutische Arbeit prägt, ist die partizipative beschreibt. Die in Teilen hilfreiche Konzeption der Entwicklungs- Allianz. Bei der partizipativen Allianz werden geeignete primäre Bezugs- Trauma-Störung (Developmental Trauma Disorder, van der Kolk, 2009) ist personen (Betreuer*innen, leibliche, Pflege-/Adoptiveltern), die dem Kind bis dato nicht in die psychiatrischen Diagnosemanuale aufgenommen Sicherheit und ausreichende Fürsorge bieten, in die Arbeit mit einbezogen worden. und im Auftrag des Kindes zu Co-Therapeut*innen. Über die wichtigsten Bereits im Säuglingsalter kann eine posttraumatische Belastungsstörung, und oft besonders wertvollen Informationen, zum Beispiel über die 14 VORTRÄGE 15
Symptomatik und die Entwicklung, die das Kind nicht liefern kann, verfü- Umfeld erfahren. Kinder leiden unter Zuständen, in denen sie sich regelmä- gen ausschließlich die primären Bezugspersonen, aber sie werden in der ßig emotional wie im alten, schrecklichen „falschen Film“ wiederfinden. Regel zu wenig in traumatherapeutische Prozesse integriert und als Dieser wird, gezielt angestoßen durch die Traumatherapie, durch Imagina- Ressource für die erfolgreiche Traumatherapie identifiziert. tion, Mitgefühl und Fürsorgefunktionen mit einem neuen, guten Film Die Kooperation auf Augenhöhe ist die einzig vernünftige Lösung bei „überschrieben“. komplex belasteten Kindern und Jugendlichen. Häufig kommt es zu Willentliche Destruktivität, zum Beispiel suizidales Agieren von Kindern Missverständnissen und irreführenden Lösungsansätzen hier und da, und Jugendlichen, begrenzt regelmäßig die traumatherapeutische Arbeit wenn das gesamte Hilfesystem nicht traumasensibel und koordiniert mit schwer (beziehungs-)traumatisierten Kindern und Jugendlichen. arbeitet. Es geht um gemeinsames Erkennen, gemeinsames Verstehen Diese wird oft durch aversive Impulse bei den Erwachsenen quittiert, und Mitgefühl, gemeinsames Handeln und einen gemeinsamen heilsamen wenn perfide Fremdaggression sichtbar wird, „ein Kind zum Beispiel Weg. Dabei haben Störungen in allen Kontexten Vorrang: In der Trauma- absichtsvoll ein Tier quält“. Ein differenziertes Verständnis dieses therapie mit Kindern und Jugendlichen kommt das Prinzip „First things „Fiesizitätsfaktors“ im Verhalten des Kindes wird im Rahmen von PITT-KID first“ der systemischen Therapie besonders bedeutsam zum Tragen. gemeinsam mit dem Bezugssystem und dem Kind erarbeitet und Bewälti- Durch extrem belastende Erfahrungen macht es oftmals „wie Klick im gungsstrategien werden entwickelt. Kopf“ – es kommt zu neurobiologisch fassbaren Veränderungen durch Andreas Krüger ist Initiator und ärztlicher Leiter des 2008 in Hamburg traumatischen Stress. Diese Veränderungen müssen gemeinsam verstan- gegründeten Ankerland e. V., der 2016 das erste innovative, rein spenden- den werden, bevor Unterstützung geplant wird. Viele Störungszeichen, die finanzierte, tagesklinikähnliche Ankerland Trauma-Therapiezentrum im als psychische Verletzungszeichen verstanden werden, haben möglicher- deutschsprachigen Raum eröffnet hat. Hier werden jährlich ca. 50 Kinder weise einen evolutions-psycho-biologischen „Sinn“ und entsprechen und Jugendliche spezifisch traumatherapeutisch und bedarfsorientiert in primitiven Überlebensstrategien in einer archaischen Welt, die es zu einem multiprofessionellen Team behandelt. Die meisten der Patient*in- verstehen gilt. Für einen besseren Zugang zu traumatisierten Kindern nen wohnen aufgrund traumatischer Erfahrungen nicht mehr bei ihren (und Jugendlichen) wurde im Rahmen der PITT-KID eine zielgruppen- leiblichen Eltern. Das Trauma-Info-Telefon und die Ankerland-Beratung spezifische, durch lebendige bildsprachliche Erklärgeschichten erweiterte unterstützen Angehörige und Bezugssysteme potenziell traumatisierter Therapiekonzeption vorgestellt. Kommt es zu einer traumatischen junger Menschen. Ziel des Vereins ist eine Regelversorgung durch das Situation im engeren Sinn („Nichts-geht-mehr-Situation“ / „Katze-Kanin- Ankerland Trauma-Therapiezentrum. chen-Geschichte“), entsteht traumatischer Stress („Superstress“), wo- durch der Mandelkern (die „Alarmanlage im Kopf“), der im Mittelgehirn lokalisiert ist, aktiviert und so unter Umständen die posttraumatische Belastungsstörung (das „Notfallprogramm im Kopf“) ausgelöst wird. In der Welt von Fred Feuerstein, dem alten Komikhelden aus der Steinzeit, stellt das „Notfallprogramm im Kopf“ einen Überlebensvorteil dar, wenn der Säbelzahntiger Fred angegriffen hat und dieser nur um Haaresbreite überlebt hat (siehe Selbsthilfebücher: Powerbook, Bände 1 und 2, Krüger, 2011, 2015). Ressourcenorientierung ist ein wichtiges Prinzip von Traumatherapie nach PITT-KID. Selbstregulationstechniken werden gemeinsam mit dem Kind entwickelt. Weitere heilsame Effekte ergeben sich aus emotional zuge- wandter Fürsorge und Mitgefühl, das die Patient*innen vor allem durch die gemeinsame Ego-State-Arbeit für sich selbst entwickeln und das sie von der Therapeutin bzw. dem Therapeuten und vom weiteren sozialen 16 VORTRÄGE 17
Sicherheit“. Eltern fungieren dann sowohl als sichere Basis als auch als Stress im System Familie bei Trennung sicherer Hafen und übernehmen die Verantwortung für das Wohlergehen und Scheidung des Kindes. Wut, Furcht und Angst sind bereits bei der Geburt des Kindes angelegt, um dessen Überleben zu sichern. Das Schreien des Kindes symbolisiert Prof. Dr. Fabienne Becker-Stoll den Eltern, dass es Hilfe braucht. Diese extreme physiologische Stress- (Staatsinstitut für Frühpädagogik, München) überflutung im Gehirn des Kindes wird erst eingestellt, wenn die Bedürf- nisbefriedigung durch die Hinwendung der Eltern erfolgt ist. Durch die Hinwendung der Eltern werden im Gehirn des Kindes Pfade entwickelt, die Eine liebevolle Partnerschaft der Eltern ist Stress wirksam bewältigen und eine gute Regulation begünstigen. für die optimale Entwicklung der Kinder die Reagieren die Eltern nicht, werden diese Pfade nicht entwickelt und eine beste Voraussetzung. Kinder sind von ihren Stressregulation bleibt aus. Was Kinder auf diese Weise immer wieder mit Bezugspersonen (= Bindungspersonen) ihren Eltern erfahren (externale Emotionsregulation), beeinflusst langfris- abhängig, da sie ihre seelischen Bedürfnisse tig das Selbsterleben, die Herangehensweise an Herausforderungen und befriedigen möchten. Als Kinder sind sie die Stressregulation (interne Selbstregulation). Bindungserfahrungen dazu noch nicht selbstständig in der Lage. wirken sich daher auf den Umgang mit Belastungen aus, auf das Sie hegen von Geburt an ein Grundbedürf- sogenannte Coping. nis nach Kompetenzerleben in Form einer Nach Bowlby sind für das Gelingen von Partnerschaften die gleichen effektiven Interaktion mit der Umwelt mit Aspekte wichtig wie für die Eltern-Kind-Beziehungen, allerdings sind sie dem Ziel, positive Ergebnisse zu erzielen gegenseitig angelegt. Die Qualität der Paarbeziehung hat eine besondere und negative möglichst zu verhindern. Ein Bedeutung für das Funktionieren der gesamten Familie. Hier spielen die wichtiges Grunderleben hierfür ist die Vorhersehbarkeit von Abläufen, Erfahrungen mit frühen Bindungsbeziehungen der Eltern eine wesentliche Situationen und Strukturen. Wenn Familien in großen Stress geraten, Rolle und beeinflussen die Partnerschaft und damit auch die Bindungs- leiden nicht nur die Bindungsbeziehung und die Fähigkeit der Eltern, sich erlebnisse der Kinder. Andauernde Konflikte führen zu extremer emotio- dem Kind feinfühlig zuzuwenden, sondern auch das Grundbedürfnis der naler Belastung und Stress sowie eingeschränkter Feinfühligkeit der Eltern Kinder nach Kompetenzerleben sowie das Grundbedürfnis nach Autono- für die Kinder. Der dauerhafte Stress wird für das Erleben und die Ent- mie, das heißt die freie Bestimmung des eigenen Handelns und die wicklung des Kindes zu toxischem Stress, der nicht mehr reguliert werden selbstbestimmte Interaktion mit der Umwelt. Die Befriedigung der kann und damit zu einem großen Risikofaktor für die Entwicklung des Grundbedürfnisse ist jedoch eine wichtige Voraussetzung für die gesunde Kindes wird. Nicht das Ereignis der Trennung belastet die betroffenen Entwicklung des Kindes. Die Bezugspersonen haben die Verantwortung, Kinder in ihrer Entwicklung, sondern dauerhafte Konflikte zwischen den bei erhöhtem Stressaufkommen innerhalb der Familie Unterstützung und Eltern. Eine bindungsorientierte Begleitung von Eltern in Trennung sollte Hilfe aufzusuchen, um die Stressregulation zu optimieren, da Kinder daher den Fokus immer auf den Schutz der Kinder legen, auf die kindli- hierzu noch nicht in der Lage sind. Im sozialen Umfeld des Kindes bedarf chen Bedürfnisse sowie auf die Stabilisierung der Bindung zwischen den es des feinfühligen Engagements der Eltern, um das Bindungsbedürfnis Eltern und dem Kind, damit sie als Bindungspersonen für das Kind gut zu befriedigen. Elterliches Engagement, Struktur und Unterstützung fungieren, also die Bindungsverantwortung (wieder) übernehmen können. sowie Autonomieförderung sind die Eckpfeiler für die Beziehungsfähigkeit, das Erlangen von Fertigkeiten und Fähigkeiten sowie eine ausgewogene Selbstregulation des Kindes. In konfliktreichen Familienstrukturen wird das Bindungsverhaltenssystem des Kindes aktiviert, wohingegen das Explorationsverhaltenssystem des Kindes deaktiviert wird. Bei Kindern mit einer guten Bindungsfähigkeit entsteht der „Kreis der 18 VORTRÄGE 19
Wenn der Körper nicht vergisst: die Auswirkungen Es handelt sich hier also um einen Anpassungsmechanismus, der basierend frühkindlicher Stresserfahrungen auf die kindliche auf den Erfahrungen des Kindes im frühen Lebensalter die Aktivität dieses Hirnentwicklung Gens beeinflussen kann. Ein Vorteil dadurch kann sein, dass ein Kind zum Beispiel in „raueren Umwelten“ in gewisser Weise besser angepasst weiterleben kann. Der große Nachteil ist jedoch, dass es sich hier um einen Prof. Dr. Kerstin Konrad Faktor der Vulnerabilität handelt, der zu funktionellen Narben führt, die die (Universitätsklinik RWTH, Aachen) Betroffenen dann ihr Leben lang begleiten. Eine weitere Studie zeigte, dass im Alter von sechs bis zwölf Monaten die Aktivität des Gehirns stark von dem Ausmaß der mitgehörten Partner- Der Mensch als soziale Spezies benötigt den schaftskonflikte der Eltern beeinflusst wird. Hierzu wurden Säuglinge von sozialen Kontakt zum Überleben. Sowohl für gesunden Eltern mithilfe eines MRT-Scans schlafend (ohne Sedierungsmaß- die psychische als auch die physische nahmen) im Scanner untersucht, während man sie mit bestimmten Non- Gesundheit des Menschen spielt er eine sensewörtern in einem neutralen sowie im Vergleich dazu in einem har- große Rolle. Negative Erfahrungen aus der schen Ton beschallte. Parallel dazu wurde in einem Fragebogen die frühen Kindheit können Einfluss auf die Häufigkeit von Partnerschaftskonflikten in der Elternbeziehung für den Entwicklung auch in späteren Lebensphasen späteren Vergleich dokumentiert. Säuglinge von besonders häufig streiten- nehmen und die Qualität der sozialen Interak- den Eltern reagieren auf das Hören von Nonsensewörtern (in einem tionserfahrungen maßgeblich und langfristig harscheren Tonfall) viel stärker als üblich in Arealen, die wichtig für die beeinflussen. Die ersten Lebensjahre eines Emotionsregulation des Säuglings sind. Menschen sind von hoher Relevanz in Bezug Warum benötigen Säuglinge die emotionale Unterstützung ihrer Eltern, um auf die weitere neurobiologische Entwicklung. selbst Emotionsregulation zu erlernen? Säuglinge können sich am Anfang Wird in dieser Zeit dauerhaft Stress auf ein Kind ausgeübt, werden be- kaum selbst regulieren, sondern brauchen ein emotionales Referenzieren stimmte neurobiologische Prozesse in Gang gesetzt. mit der primären Bezugsperson, um dann von der Fremdregulation zur Über das menschliche Stresssystem werden Cortisolausschüttungen eigenen Regulation von Emotionen zu gelangen. Mit dem sogenannten verändert, die wiederum starke Auswirkungen auf Immunreaktionen sowie Still-Face-Paradigma wurde so etwas sehr häufig untersucht. das autonome Nervensystem haben. Dies zeigt deutlich, dass frühe Dieses Paradigma zeigt deutlich, wie ein Säugling mit seiner Mutter intera- Stresserfahrungen neben der mentalen Gesundheit auch die somatische giert und immer wieder den emotionalen Ausdruck der Mutter benutzt und Gesundheit negativ beeinflussen. darauf reagiert. Weist die Mutter ein Still Face auf, das heißt, dass sie Eine Studie, die sich mit dem Vorkommen von Kindheitsbelastungen in emotional mimisch nicht reagiert, führt dies dazu, dass der Säugling sich einer unausgelesenen Population beschäftigte, zeigte, dass gut die Hälfte verunsichert fühlt und unruhig wird, da von Seiten der Mutter keine der Befragten keine oder nur eine traumatische Kindheitsbelastung angab. Reaktion kommt. Sobald die Mutter erneut mit ihrem Säugling interagiert, Bei Befragten, die eine Kindheitsbelastung angaben, steigt das Risiko, dass wird dieser wieder emotional zufriedener. Weitere Studien zu diesem weitere traumatische Kindheitsbelastungen vorliegen, deutlich. Auch sind Thema zeigen, dass das Anschauen eines Smartphones in Gegenwart des sogenannte Risikopopulationen erkennbar, bei denen sogar mind. vier Säuglings für diesen ähnlich ist wie die Still-Face-Exposition. traumatische Belastungen angegeben wurden. Hier besteht insbesondere Säuglinge, deren Mütter häufiger aufgrund ihrer depressiven Symptome bei den weiblichen Befragten ein stark ansteigendes Risiko, eine chronische Still-Face-Situationen im Alltag zeigen, reagieren auf diese Still-Face-Reaktio- Depression zu entwickeln. nen bedeutend anders als solche, deren Mütter kein erhöhtes Vorkommen Die epigenetische Forschung brachte viele neue Erkenntnisse. Das soge- von depressiven Symptomen in dieser frühen Entwicklungszeit aufweisen. nannte Anti-Stress-Gen, das Stressreaktionen im Körper herunterregulieren Die primäre Bezugsperson (zum Beispiel Mutter oder Vater) und das Kind kann, ist in den ersten Jahren eines Menschen erst einmal deaktiviert und werden als Dyade gesehen, wobei sie nicht nur in ihrem Verhalten aufeinan- wird erst durch Erfahrungen der elterlichen Zuwendung aktiviert. der bezogen sind, sondern auch in biologischen Parametern, zum Beispiel 20 VORTRÄGE 21
in den Herzraten, Cortisolausschüttungen oder sogar Hirnaktivitäten, elterlichen Feinfühligkeit, also das Wahrnehmen und auch das korrekte miteinander in Wechselbeziehung treten. Je besser in der normalen Interpretieren von kindlichen Signalen und das angemessene Reagieren auf Entwicklung diese Prozesse aufeinander abgestimmt sind, desto besser diese Signale. Das Programm setzt neben der Verhaltensebene mittels kann sich das Kind emotional, kognitiv und sozial entwickeln. Je synchro- Video-Feedback auch an der Repräsentationsebene durch die Reflexion von ner die neuronale Aktivität, desto besser die Emotionsregulationsfähigkeit eigenen Bindungserfahrungen (auch aus der eigenen Kindheit) an. Eine des Kindes. Diese biobehaviorale Synchronizität scheint sich extrem auf verlässliche Beziehung mit dem/der STEEP™-Berater*in soll aufgebaut die Entwicklung auszuwirken. werden und ermöglichen, dass durch Gruppenarbeit ein soziales Netzwerk Insbesondere Eltern, die aufgrund von psychischen Erkrankungen nicht in für Risikoeltern entsteht. der Lage sind, ihrem Kind diese emotionale Verfügbarkeit zu geben, Das Programm wurde in einer modifizierten Form (STEEP™ B) durch eine sollten eine Unterstützung im „Parenting“ erhalten. randomisierte kontrollierte Studie erprobt. Dazu wurden jugendliche Mütter, Jugendliche Mütter weisen im Umgang mit ihren Kindern nachweislich eine die bereits soziale Hilfen (wie zum Beispiel die Hilfe vom Jugendamt oder die geringere Feinfühligkeit für die Bedürfnisse ihres Kindes auf. Grund dafür Unterstützung einer Familien-Hebamme) in Anspruch genommen haben, könnte zum einen die Mehrfachbelastung der Teenage-Mütter sein, zum zusätzlich durch Hausbesuche einer STEEP™-Beraterin/eines STEEP™- anderen aber auch das noch unreifere Gehirn, das eine höhere emotiona- Beraters unterstützt. Leider konnte hier jedoch im Vergleich zu den Müttern, le Impulsivität aufweist, die dazu führt, dass das mütterliche Fürsorgever- die nur die übliche Regelversorgung in Anspruch nahmen, keine Verbesserung halten nicht immer ausreichend ist. festgestellt werden. Ursache dafür könnte eine zu kurze Dauer des Trainings Eine holländische Studie zeigte, dass jene Mütter, die ein wenig feinfühli- sowie auch ein zu spätes Einsetzen der Interventionsmaßnahmen sein. ges Erziehungsverhalten aufwiesen, bei Beschallung mit kindlichen Es wurde jedoch ein indirekter Kontrolleffekt festgestellt, der sich darin Weingeräuschen stärker auf das Weinen des Kindes reagierten, wobei es äußerte, dass schwerwiegende Fälle, wie zum Beispiel eine Herausnahme des auch nicht zu der üblichen Abnahme dieser Stressreaktion kam. Vielmehr Kindes aus der biologischen Familie oder Folgen von Gewalteinwirkung mit blieb diese auf einem konstant hohen Level. Das zeigt, dass die Mutter die Tod des Säuglings, weniger häufig in der Gruppe der Teenage-Mütter Bedürfnisse ihres Kindes sehr wohl wahrnimmt, dies jedoch möglicher- auftraten, die durch die Hausbesuche der STEEP™-Berater*innen unterstützt weise so stark, dass sie keine andere Lösung dafür findet, als wenig wurden. Eine deutschsprachige Metaanalyse zeigte, dass deutsche Interven- feinfühlig darauf zu reagieren. tionsprogramme im Vergleich zu internationalen Programmen oft nur geringe Im Vergleich zeigten Mütter, die sehr feinfühlig waren, während der positive Effekte in Bezug auf die Entwicklung der Mutter aufwiesen. In der Beschallung mit diesen Reizen auf neurobiologischer Ebene eine geringere kindlichen Entwicklung der Psyche sowie auch in der körperlichen Entwick- Reaktion im Mandelkern und eine bessere Stressregulation. lung konnten keine nachhaltigen positiven Effekte festgestellt werden. Eine Weitere internationale Studien zeigten, dass gerade frühzeitige Interventi- mögliche Erklärung für das Ausbleiben der Wirkung der Programme in onen elterliche Feinfühligkeit sehr gut verbessern und so ein unsicheres Deutschland kann das ohnehin schon im internationalen Vergleich bessere Bindungsverhalten beim Kind reduzieren können. Verhaltensorientierte Standard-Care-System sein. Trotzdem muss weiterhin an diesen Program- Therapien erwiesen sich als sehr wirksam, vor allem auch in Hochrisiko- men gearbeitet werden, um Risikogruppen besser unterstützen zu können. populationen. Interventionen, die elterliche Feinfühligkeit verbessern Es wäre wichtig, hier die neurobiologische Forschung besser zu integrieren konnten, zeigen dann auch die besten Ergebnisse in der Erhöhung der sowie Formate zu finden, die die Verbreitung solcher Programme gut Bindungssicherheit des Kindes. ermöglichen. Auch die Frage der Integration von Supervisoren-Tätigkeiten in Ein mögliches Interventionsprogramm ist das STEEP™-Programm (Steps Teams, die es ermöglichen, fallbezogen zu schauen, wie man Mutter und Kind Toward Effective Enjoyable Parenting), ein bindungsbasiertes, aufsuchen- helfen kann, um eine positive Entwicklung auf psychischer und physischer des Frühinterventionsprogramm, das geeignet ist für Familien mit psycho- Ebene zu erreichen, ist hier von großer Bedeutung. sozialer Belastung. Im günstigsten Fall beginnt es bereits in der Schwan- gerschaft und kann bis zum zweiten Lebensjahr fortgeführt werden. Das Ziel ist die Verbesserung der Eltern-Kind-Bindung durch Förderung der 22 VORTRÄGE 23
Stress und pränatale Programmierung der Gehirn- erhöhen. In der weiteren Folge kann es zu psychiatrischen Störungen oder entwicklung und das damit zusammenhängende sogar zu neurodegenerativen Erkrankungen kommen. Risiko für psychiatrische Störungen Daraus ergibt sich die Frage, inwieweit die damit verbundenen Bedingun- gen während der fetalen Entwicklung zu Veränderungen im Gehirn führen können und somit die Vulnerabilität für besagte Krankheiten bedingen. Prof. Dr. Claudia Buß In eigenen prospektiven Longitudinalstudien wurden MRT-Untersuchun- (Institut für Medizinische Psychologie, Charité – gen der Gehirne bei Kindern zwischen sechs und neun Jahren vorgenom- Universitätsmedizin Berlin) men, deren Mütter im Laufe der Schwangerschaft hinsichtlich ihres Stresserlebens und ihrer Stressbiologie charakterisiert wurden. Da es Grundlegend wirken sich der Verlauf und jedoch keine Messungen aus der postnatalen Phase gab, wurde zusätzlich die Umgebung einer Schwangerschaft auf eine weitere Studie gestartet, in der die Mütter dreimal während der die gesundheitliche Entwicklung des Kindes Schwangerschaft untersucht und die Kinder ab der Geburt charakterisiert aus. Um sich dieser Thematik mit einem wurden. Zudem erfolgte die Einbeziehung der postnatalen Umwelt wie Fokus auf den Zusammenhang von Stress in zum Beispiel die mütterliche Sensitivität, das Stillen und die stimulierende der Schwangerschaft der Mütter und der Umwelt. Die Kinder wurden im ersten Monat nach der Geburt, mit zwölf Vulnerabilität für psychische Erkrankungen und mit 24 Monaten untersucht. ihrer Kinder anzunähern, führte ein For- In den Forschungsergebnissen wurde der Zusammenhang zwischen schungsteam der University of California die mütterlichem Stress und der grauen Substanz des Kindes im Alter von ersten Untersuchungen durch. Anstoß für sieben Jahren bestätigt. Auch mütterliche Depressivität hing zusammen diese und weitere Studien gab der englische mit einem dünneren Kortex, welcher wiederum mit externalisierender Forscher David Barker, der in epidemiologi- Störung beim Kind zusammenhing. Des Weiteren war auch der Hippocam- schen Studien zeigte, dass es einen Zusammenhang zwischen dem pus, welcher Gedächtnisprozesse und die Stressregulationen unterstützt, Geburtsgewicht von Neugeborenen und späteren kardiovaskulären in Zusammenhang mit mütterlicher Depression während der Schwanger- Erkrankungen gibt. Es wurde erst später klar, dass das Geburtsgewicht schaft verkleinert. Jedoch wurde mithilfe von Baby-IQ-Tests (Bayley Scales nicht kausal gedeutet werden kann, sondern lediglich die Einwirkungen of Infant Development) deutlich, dass es zwar keinen Zusammenhang widerspiegelt, welche die fetale Entwicklung beeinflussen. Zu diesen zwischen einem größeren Hippocampus und einer höheren kognitiven gehören beispielsweise mütterliches Unter- oder Übergewicht, Infektio- Leistung gibt, dennoch profitieren die Kinder mit einem größeren Volumen nen, Umweltgifte, aber auch Stress während der Schwangerschaft. mehr von einer positiven, stimulierenden Umwelt. Diese Ergebnisse sind Für ein weitergehendes Verständnis ist die Frage der Programmierung nicht als Vulnerabilität, sondern als Potenzial zu deuten. zentral, womit der Einfluss der frühen Umwelt, in Verbindung mit der Des Weiteren stand im Fokus, ob mütterliche Depression während der psychologischen Ausstattung, auf den heranwachsenden Organismus Schwangerschaft mit epigenetischen Veränderungen beim Kind zusam- gemeint ist. Dabei wird von folgender Grundannahme ausgegangen: menhängt. Dafür wurden spezifische Genomregionen analysiert, deren Biologische Systeme, die sich entwicklungsbedingt rapide verändern, sind Methylierungsgrad sich wissentlich durch Einfluss von vermehrten im Zusammenspiel von Prädisposition und Risikofaktoren besonders Stresshormonen der Mutter verändert. Es gab Zusammenhänge zwischen vulnerabel für Umwelteinflüsse. Aus dieser Perspektive ist insbesondere mütterlicher Depression und Veränderungen der Genmethylierung beim das Gehirn relevant, da es sich so schnell und so lang (prä- und postnatal) Kind, welche mit dem Volumen des Hippocampus zusammenhingen. Es wie kein anderes Organ entwickelt und in diesem Prozess besonders wird davon ausgegangen, dass das Stresshormon Cortisol bei der Vermitt- vulnerabel ist. Viele epidemiologische Studien zeigen, dass mütterlicher lung von Stresseffekten von der Mutter auf ihr Kind eine wichtige Rolle Stress, exogene Glucocorticoide, Infektionen, inflammatorische Prozesse spielt. Wichtig zu erwähnen ist, dass der Fötus vor dem Stresshormon und andere Einflüsse das Risiko für klassische Entwicklungsstörungen Cortisol durch die Plazenta bis zu einer bestimmten Konzentration 24 VORTRÄGE 25
geschützt ist. Steigt diese jedoch zu stark an, kann die Plazenta bzw. das zuständige Enzym das Cortisol nicht mehr genügend vom Fötus fernhal- ten, was die fetale Entwicklung beeinflussen kann. Bei Stress kann es des Weiteren zu einer zusätzlichen Ausschüttung von Cortisol durch die Aktivierung von plazentarem Corticotropin Releasing Hormone (CRH) kommen, welches durch Cortisol stimuliert wird und die Stressachse der Von Gerlind G. an alle: Mutter und des Fötus weiter stimuliert und die Cortisolausschüttung im Sie waren die Ersten, die es geschafft haben, eine Online-Konferenz Sinne eines positiven Feedbackkreises weiter antreibt. Ein weitergehender so durchzuführen, dass es rundum gut war. Blick auf die Forschungsergebnisse zeigt, dass beispielsweise bei der Auch der Walk & Talk im Nachgang war sehr gewinnbringend. Kohorte der siebenjährigen Kinder ein Zusammenhang zwischen erhöh- tem Cortisol der Mutter und dem des Amygdala-Volumens, des Angstzent- rums des Gehirns, existiert. Zudem wurde in einer eigenen Studie der Einfluss mütterlicher Kind- heitstraumata untersucht. Bekannt ist, dass mütterliches Kindheitstrauma das Risiko für Verhaltensauffälligkeiten und psychische sowie körperliche Erkrankungen bei ihren Nachkommen erhöht. Das könnte daran liegen, dass Frauen mit frühkindlichen traumatischen Erfahrungen in der postnatalen Phase weniger sensitives Verhalten ihrem Kind gegenüber zeigen und häufiger Bindungsschwierigkeiten haben. Es wurde aber gezeigt, dass es auch charakteristische Veränderungen der Stressphysio- logie (zum Beispiel Cortisol, plazentares CRH) während der Schwanger- schaft gibt, welche einen Einfluss auf die fetale Hirnentwicklung nehmen können, so dass die intergenerationale Transmission von Kindheitstrauma auch bereits pränatal erfolgen kann. Dazu passen Befunde, die zeigen, dass Kinder von Frauen mit Kindheitstrauma bereits kurz nach der Geburt kleinere Gehirnvolumen haben, also zu einem Zeitpunkt, wenn postnatale Einflüsse (mütterliches Verhalten) noch keine Rolle gespielt haben. Insgesamt liegen zahlreiche Ergebnisse dafür vor, dass Stress und eine entsprechende pränatale Programmierung der Gehirnentwicklung das Risiko für psychiatrische Störungen von Kindern erhöhen. Für die Praxis des damit verbundenen Hilfs- und Unterstützungssystems ergeben sich daraus verschiedene Handlungsoptionen. Wichtig ist aber, dass all diese Forschungsergebnisse keinesfalls zu einer Stigmatisierung der Mütter führen dürfen. Vielmehr sollten sie dazu beitragen, dass schwangeren vulnerablen Frauen frühzeitig interventiv geholfen werden kann. Es ist besser, in starke, gesunde Kinder zu investieren, als später kranke Erwachsene zu therapieren! 26 VORTRÄGE 27
Die Bedeutung sozialer Beziehungen bei der Stress- hohen Cortisolreaktivität beim Kind, die nicht abgebaut werden kann. Eine regulierung und Dysregulierung sichere Bindung hingegen puffert die Cortisolreaktion bei bedrohlichen Ereignissen ab. Besonders während der Eingewöhnungszeit im Kindergarten wird die Prof. Dr. Megan Gunnar Bindungssicherheit tragend und messbar: Steigt der Cortisolspiegel bei (Direktorin des Institute of Child Development und stellvertretende Direkto- Kindern mit und ohne sichere Bindung zur Bezugsperson zu Beginn rin des Center for Neurobehavioral Development, University of Minnesota) gleichermaßen, kommt es bei Kindern mit einer sicheren Bindung zu einer schnellen Regulierung, während es bei Kindern mit einer unsicheren Bindung auf einem niedrigeren Pegel dauerhaft erhöht bleibt. Untersuchungen von US-amerikanischen Familien, die unterhalb der Beziehungen spielen eine bedeutende Rolle im Armutsgrenze leben, zeigen, dass ein gesicherter sozialer Puffer, z. B. Leben des Menschen, besonders in seiner durch die Mutter, die verschiedenen Stresssituationen, die durch die Kindheit. Sie können bei auftretenden Stresssi- Armut hervorgerufen werden und auch auf das Kind wirken, abmildern tuationen als sozialer Puffer („social buffer“) kann. wirken, wenn sie in der Vergangenheit gut Doch die Bedeutung der Eltern als sozialer Puffer nimmt während des ausgebildet wurden. Heranwachsens deutlich ab. Ist die Bedeutung bei Säuglingen und in der Eine besondere Funktion nimmt hierbei das frühen wie auch mittleren Kindheit noch hoch, ändert sich dies mit Eintritt Hormon Cortisol ein, ein sogenanntes in die Pubertät. Bei einem sich verändernden Cortisolspiegel spielen dabei Stresshormon. Wichtig bei seiner Wirkung ist allerdings weder das Alter an sich noch die (Nicht-)Anwesenheit der Eltern das Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren- eine Rolle, sondern der Einfluss und das Wirken der Freunde (= Peergroup). rinden-Achsen-(HPA-)System. Denn im Gehirn Ein weiterer Indikator zur Messung von Stressreaktionen ist die Konzentra- befinden sich die durch das Cortisol regulierten tion des Hormons Oxytocin. Es wird zumeist im Urin gemessen und kann Gene in den Neuronen, die u. a. am Gedächtnis, an den Emotionen sowie der bei einer hohen Konzentration den Cortisolspiegel senken und dadurch Gefühlsregulation beteiligt sind. Der Cortisolspiegel zeigt an, wie hoch das dem empfundenen Stress entgegenwirken. In Untersuchungen mit empfundene Stresslevel in einer bestimmten Situation ist: So steigt er in Heranwachsenden zeigte sich, dass die Oxytocinkonzentration in einer einer akuten Stresssituation deutlich an, bei chronischem Stress befindet er Stress hervorrufenden Situation bei der Anwesenheit der Eltern deutlich sich hingegen auf einem gleichbleibenden niedrigen Level. Beide Situationen ansteigt, also regulierend wirkt, aber kaum bei der Anwesenheit der Peers. stellen ein hohes Gesundheitsrisiko dar, wenn es nicht zu einer Regulierung Gleichaltrige übernehmen demnach in der Adoleszenz nicht die Rolle des von außen kommt. sozialen Puffers. Im Gegenteil, sie können die Stressreaktion sogar noch Untersuchungen bei Neugeborenen haben gezeigt, dass der gemessene verstärken. Andererseits kann eine gute Qualität der Freundschaften unter Cortisolanteil im Plasma bei auftretenden Stresssituationen für den Säugling, Gleichaltrigen bei der Genesung aus einer stressigen oder bedrohlichen wie z. B. durch eine ärztliche Untersuchung, deutlich ansteigt, also sehr Situation positiv wirken. sensibel reagiert (= hohe Responsivität). Ab dem ersten Lebensjahr allerdings Kinder, denen eine konsistente Bindung in ihrer frühen Lebensphase nimmt die Responsivität dieses Systems stetig ab. Selbst in einer als Stress fehlte, können neue Bezugspersonen als sozialen Puffer nutzen. Unter- empfundenen Situation, bei der das Kind mit Weinen reagiert, zeigt sich nach sucht wurden Kinder, die zwischen dem 18. und 36. Monat adoptiert kurzem Anstieg des Cortisols ein zunehmend niedriger Cortisolwert im wurden. Es war bei 90 Prozent der untersuchten Kinder nach neun Speichel. In dieser Phase nimmt die Bedeutung von sehr engen Bezugsperso- Monaten festzustellen, dass sie die neuen Bezugspersonen als sozialen nen wie der Mutter zu und wirkt als sozialer Puffer regulierend auf das Kind. Puffer nutzen konnten. Je früher ein Kind adoptiert wird, desto besser ist Eine hohe Bindungssicherheit durch eine responsive und feinfühlige Sorge der soziale Puffer anwendbar. und Pflege in der Vergangenheit bildet hier die Grundlage für eine sichere Die Qualität der Bindung ist demnach genauso wichtig wie die Möglichkeit, Bindungsbeziehung. Ist die Bindung wenig responsiv, führt das zu einer in der frühen Kindheit sichere Bindungen aufzubauen. 28 VORTRÄGE 29
Seelisch gesund aufwachsen hängig von ihrem sozioökonomischen Status, sei es durch Beratung, durch die Frühen Hilfen oder engmaschigere institutionelle Hilfsangebote der Kinder- und Jugendhilfe. Prof. Dr. Jörg Maywald Die Deutsche Liga für das Kind hat in Kooperation mit vielen Partner*in- (Deutsche Liga für das Kind, Berlin) nen, u. a. verschiedenen Krankenkassen, dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte, dem Nationalen Zentrum Frühe Hilfen sowie der BZgA ein Projekt ins Leben gerufen, das Eltern entlang der Krankheitsfrühunter- Toxischer Stress ist nicht nur ein Merkmal in suchungen (U1 bis U9) über die Ärzt*innen anhand von Merkblättern belasteten und hochbelasteten Familien. Informationen zu spezifischen Themen zur Verfügung stellt. Es sollen Das Thema reicht tief in die Mitte der darüber hinaus auch Gesprächsanlässe geschaffen werden, die die Gesellschaft. seelische Gesundheit des Kindes in den Fokus rücken. Die Merkblätter Vor einigen Jahren führte die Robert Bosch beinhalten Wissen und Informationen und berücksichtigen sowohl die Stiftung eine Befragung unter Eltern durch Kinder- wie auch die Elternsicht. Aufbereitet sind sie unterstützend mit der Frage „Was fehlt Ihnen am meisten?“. multimedial, d. h. Inhalte werden über abgerufene Videos filmisch Zur Disposition standen die Antworten dargestellt und erläutert. Geld, Zeit oder Infrastruktur (Spielplätze, Alle Filme und Merkblätter werden unter https://seelisch-gesund- Kitaplätze o. Ä.). Die überwiegende Mehrheit aufwachsen.de/filme/ kostenlos zur Verfügung gestellt. der Eltern antwortete, dass das, was ihnen am meisten fehle, die Zeit sei. Besonders in den letzten Monaten ist dieser Aspekt – bedingt durch die Pandemie und die damit verbundenen Sicherheitsmaßnahmen – vermehrt in den Fokus gerückt. Denn die Verbindung von Arbeit, Partnerschaft, Kinderbetreuung, Homeschooling und Befriedigung der eigenen Bedürfnisse machte den Zeitfaktor in vielen Familien rar. Kinderärzte und -ärztinnen stellen fest, dass Eltern nicht nur mit den reinen Kinderkrankheiten die Behandlung aufsuchen, sondern dass die sogenannten „neuen Kinderkrankheiten“ mit zwei großen Tendenzen in den Fokus der Praxen rücken: zum einen das Thema „Vom Körper zur Seele“, zum anderen „Von den akuten zu den chronischen Erkrankungen“. Symptome wie Schlaf- und Konzentrationsmangel, Fütterstörungen und Erkrankungen wie ADHS oder Neurodermitis stehen hierbei im Zentrum. In diesem neuen Krankheitsspektrum rückt die seelische Gesundheit zunehmend ins Blickfeld. Studien weisen darüber hinaus auch Ängste, Störungen des Sozialverhal- tens, Destruktivität, Grenzverletzungen und depressive Verstimmungen als häufig genannte Symptomatik auf, was oft in engem Verhältnis zum sozioökonomischen Status der betroffenen Familien steht. Auf der anderen Seite sind Eltern heute sehr gebildet und an Erziehungsthemen interessiert, gleichzeitig aber weisen sie ein hohes Maß an Verunsicherung auf. Daraus folgt ein hoher Unterstützungsbedarf bei allen Eltern unab- 30 VORTRÄGE 31
Stressbewältigung und Musiktherapie von dem einzelnen Menschen. Es gibt hierbei keine Musik, welche unter- bindungstraumatisierten Kindern. schiedliche Menschen auf die gleiche Weise stimuliert oder beruhigt. Ist toxischer Stress hörbar? Gerade schnelle Musik mit starken Bässen kann auch als beruhigend emp- funden werden. Ein weiterer Aspekt der Musik ist der Spannungsbogen. Ist dieser sehr in Bewegung mit eher geringer und darauf folgend hoher Prof. Dr. Gitta Strehlow Spannung, wird Musik eher als belebend wahrgenommen. Genau dieses (Hochschule für Musik und Theater, Hamburg) Spannungskonstrukt kann von anderen jedoch auch als bedrohlich empfunden werden. Diese Personengruppe braucht eher einen dauerhaft niedrigen Spannungsbogen in der Musik. Der Schwerpunkt des Vortrages Musik ist zunächst einmal ein universelles wurde auf die psychodynamische Musiktherapie für bindungstraumati- Phänomen und ein Kulturgut und gehört in sierte Kinder, die in ihrer frühen Entwicklung vielzähligen Stressfaktoren jeglicher Form zu allen Übergängen in ausgesetzt sind, gelegt. Dabei wurden musiktherapeutische Interventio- unserem Leben. Musik kann dazu führen, nen vorgestellt, welche in folgende vier Abschnitte unterteilt werden dass Gefühle und Stimmungen hervorgeru- können: Das Erregungsniveau des Kindes wird betrachtet, die Experimen- fen werden, dabei ist das Musik-Erleben tierfreude wird geweckt, emotionale Regulierungsmöglichkeiten werden immer persönlich, das heißt, dass das geschaffen und neue Beziehungserfahrungen werden ermöglicht. Bei der Musik-Erleben immer auch etwas mit der Therapie geht es immer auch um die Problem- und Konfliktbehandlung. eigenen Lebensgeschichte zu tun hat. Diese Sie soll vor allem dazu beitragen, das Gefühl des Alleinseins zu minimie- Stimmungen, die durch die Musik übertra- ren. Die Stärke der Musikimprovisation ist, dass sie Verbindungen schafft gen werden, können sich auf unterschiedli- und so den Kindern hilft, aus der Isolation zu kommen. che Art und Weise zeigen: Sie kann zum Träumen einladen, sie kann uns munter machen und zum Tanzen auf- fordern. Von vertrauter Musik werden dabei meist Freude und Neugier ausgelöst, aber auch negative Gefühle wie Stress und Angst können hervorgerufen werden, was auch damit zusammenhängt, dass uns die Musik in vergangene Zeiten zurückversetzen und als Erinnerungsträger fungieren kann, welcher Gefühle wieder aufleben zu lassen vermag. Dabei wird schon seit Jahrtausenden Musik zur Heilung und als Therapieform eingesetzt. Die eigentliche Musiktherapie und die nebenstehenden Disziplinen der Musikmedizin und Musikpsychologie sind jedoch erst vor ca. 50 Jahren entstanden. Musik wird unterschieden in ergotrope Musik, welche belebend wirken soll, und trophotrope Musik, die eher beruhigend und entspannend wirken soll. Dadurch werden auch der Sympathikus und der Parasympathikus angesprochen – zwei Nervenstränge, die im ganzen Körper verteilt zu finden sind. Der Sympathikus ist dabei der Ner- venstrang, der uns in Alarmbereitschaft versetzt, der Gegenspieler hierzu ist der Parasympathikus, der für die Ruhe und die Entspannungsphase zuständig ist. Dies sind zwei wichtige Mechanismen, die sich konkret auf den Körper auswirken. Musik hat dabei keine einzelne Wirkung auf den Körper, es geht vielmehr um die Wechselwirkung zwischen der Musik und 32 VORTRÄGE 33
Dialogforen Sich nicht stressen (lassen) – Bindungsbasierte Begleitung von Familien wie geht das? in Trennung und Scheidung Antje Ahlborn Prof. Dr. Fabienne Becker-Stoll (Ergotherapeutin, Hamburg) (Staatsinstitut für Frühpädagogik, München) Stress und pränatale Programmie- Handwerkszeug für rung der Gehirnentwicklung und das resiliente Beziehungen damit zusammenhängende Risiko für Monica Blotevogel psychiatrische Störungen (Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Zentrum für Psychosoziale Medizin, Prof. Dr. Claudia Buß CORESZON) (Institut für Medizinische Psychologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin) Der Säugling in einer mit Reizen Was muss der Kliniker über die Neu- überfluteten Umwelt robiologie von Stress und die Rolle der Eltern bei der Stressregulierung wissen? Dipl.-Psych. Bärbel Derksen (Landeskoordination Frühe Hilfen Brandenburg) Prof. Dr. Megan Gunnar (Inst. of Child Development, Center for Neurobehavioral Development, University of Minnesota) 34 35
Dialogforen Wie können Angebote aussehen, die im Stressbewältigung in einer doppelten Über- Rahmen von Hilfen zur Erziehung Stress gangsphase – Schwangerschaft und Geburt in den Familien reduzieren? in der Ankommensphase nach Flucht und Wir haben Antworten für Sie vorbereitet Migration Dipl.-Soz.-Päd. Agnes Mali (Netzwerkkoordinatorin Frühe Hilfen und Mareike Paulus M. A. Kinderschutzkoordinatorin Hamburg-Altona) Traumatisierte Eltern – kindliche Stationäre Therapie von psychisch Entwicklung im Spannungsfeld von erkrankten Müttern mit ihren Säuglingen Traumakompensation und Bewältigung Prof. Dr. Gitta Strehlow (Hochschule für Musik und Theater, Hamburg) Dipl.-Päd. Corinna Renk Pflegekinder und traumatischer Stress – Verständnis und Unterstützung Dipl.-Psych. Margarete Udolf (Kompetenzzentrum Traumapädagogik) 36 37
Nachwort Ein Highlight war der musikalische Beitrag des Toto Lightman Kinderchors. Zur Lockerung und zum Neustart in die Nachmittagsrunde trug Marion Böller von der LÜTTE SKOL Musikschule einige Lieder aus ihrem Repertoire vor. Um Stress und Verspannung vor dem Bildschirm entge- genzuwirken, sorgte Monica Blotevogel vom Universitätsklinikum Ham- FACHTAGUNG – burg in den Pausen für genügend Bewegung und Entspannung. VIEL INPUT, TOLLER AUSTAUSCH Wir bedanken uns bei allen Teilnehmer*innen, die sich auf das Abenteuer Online-Konferenz eingelassen haben, für ihr reges Interesse und den „Stress in Familien“ war als Tagungsthema für uns Vorbereitende hoch engagierten Austausch. Glückwunsch an unsere Moderatorin Kerstin ansteckend, die Tagung selbst hingegen verlief weitgehend ohne Stress. Wie Michaelis, die gekonnt durch die Zoom-Konferenz führte. Wir danken sehr die aufkommende Corona-Pandemie zusätzlich Stress erzeugen, aber herzlich allen Unterstützer*innen der Fachtagung, vor allem unseren auch für Aktualität sorgen würde, konnten wir da noch nicht ahnen. Erst im Kooperationspartnern Ehlerding Stiftung, Kroschke Kinderstiftung und Nachhinein stellte sich heraus, dass und wie eine Tagung mit über 200 dem Competence Center Gesundheit der HAW Hamburg. Teilnehmer*innen aus dem gesamten Bundesgebiet, Österreich und der Wir freuen uns auf ein Wiedersehen bei der nächsten Fachtagung im Schweiz an zwei Konferenztagen mit Vorträgen und einem fachlichen Spätsommer 2021. Austausch in verschiedenen Foren im Online-Format gelingen kann. Dieses Gelingen hat mich persönlich sehr beeindruckt, und eine solche Erfahrung Prof. Dr. Gerhard J. Suess ist auch für die Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) wertvoll. HAW Hamburg, mamamia e. V. und Stiftungsrat der Ehlerding Stiftung Seit etwa 15 Jahren haben Uta Bohlen und ich zusammen mit unterschiedli- chen Kooperationspartnern Fachtagungen zu Themen rund um die Arbeit mit Familien im Hörsaal Maschinenbau der HAW organisiert, nun das erste Mal im World Wide Web – und es geht. Besonders freuten wir uns über die herzlichen und fachkundigen Gruß- worte der Hamburger Senatorin Dr. Melanie Leonhard sowie der Dekanin der HAW Hamburg, Prof. Dr. Ute Lohrentz. Neben dem produktiven Streit brauchen wir mehr Bemühen um Zusammenarbeit auf allen Ebenen. Ohne Zusammenarbeit mit den Stiftungen und ohne deren Flexibilität hätte unsere Tagung kaum gelingen können. Nur so konnten international tätige und führende Fachwissenschaftler*innen das bestverfügbare Wissen darüber, wie Stress unter die Haut gerät und sich dann auch toxisch auswirken kann, bereitstellen: allen voran Prof. Dr. Megan Gunnar, eine welt- weit anerkannte Stressforscherin aus Minneapolis/MN, jedoch auch Prof. Dr. Claudia Buß von der Charité – Universitätsmedizin Berlin und Prof. Dr. Kerstin Konrad von der Universitätsklinik der RWTH Aachen, um nur drei der Vortragenden zu nennen. In elf verschiedenen Foren wurden die Vorträge in diskussionsfreundlicher Atmosphäre vertieft und mit Praxisbeispielen veranschaulicht, wie zum Beispiel bindungsbasierter Intervention. Darüber hinaus wurden neue Themenfelder eröffnet, wie beispielsweise traumatischer Stress bei Pflege- kindern und Stressbewältigung bei Flucht und Migration. 38 NACHWORT 39
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