Südafrika vor der wm aufbruch mit schwierigkeiten

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Südafrika vor der wm aufbruch mit schwierigkeiten
3,50 Euro
      März 2010
151

      zeitschrift zum Nord-süd-konflikt und zur konziliaren bewegung

      Südafrika vor der WM
      Aufbruch mit Schwierigkeiten
      Hoffnungsträger Fußball-Weltmeisterschaft
      Die Verdrängung von Obdachlosen und Straßenkindern
      Südafrika braucht einen Politikwechsel
      Die aufstrebende Regionalmacht
      Apartheid-Opfer: Warten auf Entschädigung
      Die HIV/Aids-Politik der neuen Regierung
      Gewalt gegen Frauen – eine Frage der Macht
      Welche Rolle spielt die Hautfarbe im neuen Südafrika?
Südafrika vor der wm aufbruch mit schwierigkeiten
Südafrika                                                        4 • Kommentare
                                                                            			 Finanzmarktreform im Schneckentempo
 5 • Südafrika am Scheideweg
                                                                            			 • Peter Wahl
           16 Jahre nach dem Ende der Apartheid braucht der
           Hoffnungsträger ganz Afrikas einen Politikwechsel                			 Antikoloniale Straßenumbenennungen:
           • Hein Möllers                                                   			 Kampf um Deutungshoheit • Armin Massing

 8 • Ein Cup voller Hoffnung
           Die Erwartungen an die erste Fußball-Weltmeisterschaft           29 • Fairer Handel
           in Afrika auf dem Kontinent sind riesig • Martin Ling
                                                                            			 Kleinbauern unter Druck
10 • Abschieben und Aufpolieren                                             			 Auch der Faire Handel kämpft in Südafrika
           Für die Fußball-WM werden Straßenkinder und Arme                 			 mit dem Erbe der Apartheid • Mandy Moussouris
     		aus den Städten vertrieben • Joe Walker

12 • Eine WM für alle?                                                      30 • Blickwechsel
     			  Acht Perspektiven aus Mankweng auf die Fußball-WM 2010            		    Jenseits der Klischees
           • Magdalena Freudenschuß und Peter Steudtner                     			 Ein Fotoprojekt über MigrantInnen in Südafrika
                                                                            			 • Mimi Chereno Ng'ok
14 • Eine aufstrebende Regionalmacht
           Südafrikas selbstbewusste Außenpolitik • Peter Meyns

16 • Warten auf Entschädigung                                               32 • Entwicklungshilfe-Diskussion
     		 Viele Opfer des Apartheid-Regimes sind immer noch                   		    Schillernde Fundamentalkritik
           marginalisiert • Marjorie Jobson                                 			 „Dead Aid – Tödliche Hilfe“ von Dambisa Moyo
                                                                            			 sorgt für Aufregung • Andreas Rosen
17 • Mit Druck von der Straße
           Erfolge und Herausforderungen der Zivilgesellschaft im
           heutigen Südafrika • Patrick Bond                                33 • literatur pur
19 • „Es ist ein tagtäglicher Kampf“                                        			 Der Hüter
           Interview mit der südafrikanischen HIV/Aids-Aktivistin           			 • Diane Awerbuck
           Nonkosi Khumalo

21 • Race trouble                                                           34 • rezensionen
     		 Die Rolle der Hautfarbe im Post-Apartheid-Südafrika
                                                                             		 Jürgen Bacia/Dorothée Leidig:
           • Kevin Durrheim und Kevin Whitehead
                                                                            				 Kauft keine Früchte aus Südafrika.
                                                                            				 Geschichte der Anti-Apartheid-Bewegung
23 • Eine Frage der Macht
     		 Trotz fortschrittlicher Gesetze sind Frauen in Südafrika            			 Walter Eberlei: Afrikas Wege aus der Armutsfalle
           vielfältig diskriminiert • Gladys Ryan                           			 Boniface Mabanza Bambu: Gerechtigkeit
                                                                            				 kann es nur für alle geben. Eine Globalisierungskritik
25 • „Der Klimawandel ist das neue Aids“                                    				 aus afrikanischer Perspektive
           Ein Gespräch mit Michelle Pressend über Umwelt
           und soziale Bewegungen in Südafrika                              			 Astrid Messerschmidt: Weltbilder und Selbstbilder.
                                                                            				 Bildungsprozesse im Umgang mit Globalisierung,
26 • Überbordende Geschichten                                               				 Migration und Zeitgeschichte
           Bedenkliche und vielversprechende Trends in Südafrikas           			 Antonio Dal Masetto: Als wärs ein fremdes Land
           Literatur und im literarischen Leben des Landes
           • Peter Ripken                                                   			 Amir Hassan Cheheltan: Teheran Revolutionsstraße
                                                                            			 Georg Brunold (Hg.): Nichts als die Welt. Reportagen
28 • Verbotene Berührungen                                                  				 und Augenzeugenberichte aus 2500 Jahren
           „Ein schöner Ort zu sterben“ ist mehr als ein gut erzählter
           Krimi • Rezensiert von Michael Krämer
                                                                            40 • Leserinnenumfrage
                                                                            			 Sie haben uns die Meinung gesagt
                                                                            			 Aufschlussreiche LeserInnenumfrage zum INKOTA-Brief

                                                                            39 • netzwerk

                                                                            42 • Impressum

                                                                                  Dieser INKOTA-Brief erscheint mit freundlicher Unterstützung
                                                                                  des Evangelischen Entwicklungsdienstes, von Misereor sowie der
                                                                                  Stiftung Nord-Süd-Brücken.
                   Fußballteam in einem Township
                   außerhalb Johannesburgs Foto: iStockfoto/Cliff Parnell
Südafrika vor der wm aufbruch mit schwierigkeiten
blickwechsel / editorial

Vor 30 Jahren, am 24. März 1980, wurde Erzbischof Oscar Arnulfo Romero in San Salvador ermordet. Er wurde zur „Stimme derer, die keine
Stimme haben“ und widersetzte sich der Repression der herrschenden Oligarchie des Landes. Deswegen musste er sterben. Den Auftrag dazu
gab Roberto D’Aubuisson, Gründer und bis heute unumstrittenes Idol der ultrarechten ARENA-Partei, die El Salvador bis zum letzten Juni re-
gierte. Aus Anlass des 30. Jahrestages lädt INKOTA gemeinsam mit der Botschaft El Salvadors für den 30. März zu einer Veranstaltung über
Monseñor Romero in Berlin ein (siehe Termine, Seite 43). Foto: Michael Krämer

  Liebe Leserin, lieber Leser,                  Warnende Stimmen finden im allgemeinen          Stück vorangebracht, als moralische Instanz
                                                WM-Taumel indes nur wenig Gehör. Dabei          so manchen Konflikt entschärft.
wer die Menschen in Südafrika auf die kom-      ist sicher, dass die Einnahmen die riesigen     Doch längst noch ist das Erbe der Apartheid
mende Fußball-Weltmeisterschaft anspricht,      Ausgaben für Stadien und Infrastruktur nicht    nicht in allen Bereichen überwunden. Das
trifft immer wieder auf Stolz und Euphorie:     ausgleichen werden. Geld, das fehlt für         Bild der Regenbogennation, das Bischof
Endlich ist Afrika Austragungsort dieses        dringend notwendige Investitionen in die        Desmond Tutu für das Postapartheid-Südafri-
nach den Olympischen Spielen wichtigsten        Infrastruktur der Townships oder für den        ka geprägt hat, erscheint heute als pures
Sportereignisses, und Südafrika kann der        Ausbau des Bildungswesens und des Ge-           Wunschbild. Zu ungleich verteilt ist die
ganzen Welt zeigen, dass es in der Lage         sundheitssystems. Zudem wurden ganze            Macht der Farben. Millionen Schwarze sind
ist, so ein Großevent zu organisieren. Sport-   Gemeinden plattgemacht für die neuen Fuß-       in die Mittelschicht aufgestiegen und einige
lich sind die Erwartungen ebenso groß, und      ballarenen und Zufahrtswege, Tausende           von ihnen gehören zu den Reichen des
wenn es schon nicht die Bafana Bafana, die                                                      Landes. Doch hat sich auch die Ungleich-
zuletzt doch arg kriselnde Nationalmann-             Südafrika vor der WM                       heit verschärft, sind die Armen bis heute
schaft Südafrikas sein sollte, dann möge                                                        meist Schwarze.
doch bitte ein anderes afrikanisches Team       BewohnerInnen von Armenvierteln vertrie-        Armut und Aids, Kriminalität und Korrupti-
erstmals bei einer WM bis ins Halbfinale        ben. „Für die südafrikanische Regierung         on, Gewalt und Geschlechterungerechtig-
oder gar ins Finale am 11. Juli 2010 in Jo-     sind Slums ein Imageproblem“, schreibt Joe      keit – die Probleme Südafrikas sind enorm.
hannesburg kommen.                              Walker in seinem Beitrag über die Vertrei-      Auch in der Politik verschärft sich die Kon-
Auch sonst verbinden die Menschen enorme        bung von Obdachlosen und Straßenkin-            frontation. Hein Möllers sieht das Land „er-
Hoffnungen mit der WM. Irgendwie träumt         dern.                                           neut an einem Scheideweg“. Bleibt zu hof-
fast jeder davon, ein wenig abzubekommen        Fast 16 Jahre sind seit dem Ende der Apart-     fen, dass der dringend nötige Politikwechsel
von den Milliarden, die für den Bau von         heid vergangen. Vieles hat sich seither ver-    gelingt. Südafrika hat eine bessere Zukunft
Stadien, Verkehrswegen und Hotels ausge-        ändert in Südafrika. Als aufstrebende Regi-     verdient.
geben wurden und werden, und vom Geld,          onalmacht findet das Land weltweit Gehör,       Ihnen eine interessante Lektüre dieses IN-
das die TouristInnen im Sommer im Land am       die demokratischen Strukturen sind gefes-       KOTA-Briefs und Südafrika sowie den ande-
Kap ausgeben sollen. Verständlich, ist die      tigt, politische Teilhabe ist gesichert. Ganz   ren afrikanischen Teilnehmern viele Tore
Wirtschafts- und Finanzkrise doch auch hier     besonders ist dies ein Verdienst von Nelson     und ein erfolgreiches Abschneiden bei der
stark spürbar und Südafrika bis heute von       Mandela. Mit seiner Politik des Verzeihens      WM wünscht
immenser Armut gekennzeichnet.                  und Versöhnens hat er Südafrika ein gutes                                  Michael Krämer

                                                                                                                 INKOTA-Brief 151 • März 2010   
Südafrika vor der wm aufbruch mit schwierigkeiten
Kommentare

Finanzmarktreform im Schneckentempo

    Über zwei Jahre ist die Finanzkrise nun alt. Zwar wurde immer        Demgegenüber hat die Bundesregierung sich bisher nicht einmal
mal wieder ihr Ende verkündet, aber dann kamen erneut böse            die Mühe gemacht, ein auch nur halbwegs kohärentes Reformpro-
Überraschungen, wie der Bankrott Dubais und jüngst die Griechen-      gramm vorzulegen. Es gibt lediglich einige vage Ankündigungen
land-Krise. Weitere spektakuläre Pleiten sind nicht auszuschließen,   und ein paar Einzelvorschläge, wie die Übertragung der Finanzauf-
Spanien, Portugal und Irland geht es ganz schlecht. Aber auch         sicht an die Bundesbank.
deutsche Banken haben noch toxische Derivate von mindestens 80           Allerdings ist eine interessante Initiative dabei: Merkel hat sich
Milliarden Euro in den Büchern. Und noch immer hängt das ganze        für die Finanztransaktionssteuer (FTT) eingesetzt. Mit Ausnahme der
System am Tropf billiger Kredite der Zentralbanken. Einige machen     FDP haben alle Parteien Beschlüsse zugunsten der FTT gefasst. Die
mit den Billigzinsen von Vater Staat zwar wieder saftige Renditen,    FTT ist eine Umsatzsteuer auf den Handel mit allen finanziellen Ver-
aber von einer Gesundung des Systems kann noch längst nicht die       mögenswerten (also Aktien, Anleihen, Devisen, Derivate). Selbst
Rede sein.                                                            bei einem Steuersatz von nur 0,1 Prozent würden angesichts der
    Auch die Weltwirtschaftskrise 1929, mit der der gegenwärtige      gigantischen Umsätze auf den Finanzmärkten Hunderte von Milliar-
Crash zu Recht verglichen wird, war mit dem Schwarzen Freitag         den Euro Einnahmen entstehen. Genug um in wenigen Jahren die
nicht vorbei. Bis 1933, also vier Jahre lang, ging der Absturz wei-   Krisenkosten zu begleichen und darüber hinaus etwas für Umwelt
ter – trotz mehrerer Zwischenhochs.                                   und Entwicklungsländer zu tun. Und sie würde Spekulation zu
    Während die Krise weiter schwelt, kommen die bitter notwen-       einem gewissen Teil zurückdrängen.
digen Reformen des Finanzsystems nicht aus den Startlöchern. Da-         Außerdem würden jene, die jahrelang das große Geld gemacht
bei liegen durchaus brauchbare Vorschläge auf dem Tisch. Eine         und den Crash verursacht haben, zur Kasse gebeten. Aber schon
UN-Kommission unter Vorsitz von Nobelpreisträger Joseph Stiglitz      wieder wird von der Bankenlobby versucht, mit bankenfreundlichen
hat ein umfangreiches Reformpaket vorgelegt, das auch die Interes-    Konkurrenzvorschlägen wie einem Bankensicherungsfonds der FTT
sen der Entwicklungsländer berücksichtigt. Der G20-Gipfel in Pitts-   den Wind aus den Segeln zu nehmen.
burgh hat Maßnahmen angekündigt, deren Umsetzung zwar keine              Ansonsten verlässt sich Berlin darauf, dass in Brüssel Reformen
Revolution wäre, aber doch deutlich mehr Stabilität in die Finanz-    auf den Weg gebracht werden. Dort sind mehrere Direktiven in
märkte bringen würde.                                                 Vorbereitung. Aber die sind schon im Entwurfsstadium so beschei-
    Auch die Obama-Administration hat einen umfangreichen Re-         den, dass sie die Finanzindustrie nicht beeindrucken. Das Monster,
formkatalog präsentiert, darunter einige interessante Vorschläge      wie Bundespräsident Horst Köhler die Finanzmärkte zu bezeichnen
des Ex-Chefs der US-Zentralbank, Paul Volcker. Aber ob sie gegen      pflegt, kann man damit jedenfalls nicht an die Kette legen.
die Blockadepolitik der Republikaner und die Lobby der Wall Street                                                                        Peter Wahl
durchgesetzt werden können, ist ungewiss.                                       Der Autor arbeitet bei WEED (Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung).

Antikoloniale Strassenumbenennungen: Kampf um Deutungshoheit

    Wenn stramm rechte Internetseiten den europäischen Sklaven-       Fregatten befanden sich hunderte eiserner Fußfesseln für ebenjenen
handel sowie den Kolonialismus verharmlosen, ist das zwar verur-      Handel. Er selbst bekam vor Reisebeginn die Erlaubnis, auf dem
teilenswert, aber auch nicht weiter verwunderlich. Wenn solche        Schiff „Moriaen“ (holl. Mohr) fünf oder sechs versklavte Kinder zum
Stimmen jedoch in eigentlich seriösen Blättern wie der Frankfurter    „Eigenbedarf“ mit nach Deutschland zu bringen. Die Fracht der
Allgemeinen Zeitung (FAZ) und der Berliner Zeitung (BZ) zu finden     zweiten durch von der Groeben nach Afrika geführten Fregatte be-
sind, lohnt sich ein genaueres Hingucken. Die Debatte um die Um-      stand aus knapp 300 Versklavten, die wie Vieh zum Verkauf in die
benennung des Berliner Gröbenufers in May-Ayim-Ufer offenbart         Karibik transportiert wurden. Zwischen 1683 und 1711 ver-
von konservativer Seite einen Kampf um Deutungshoheit, den man        schleppten die Brandenburger nachweislich 20.000 Menschen in
so heute kaum mehr erwartet hätte.                                    die Sklaverei. Von der Groeben wusste genau, was er tat und wel-
    Los ging es mit einem Beitrag von Martin Otto in der FAZ Anfang   che Konsequenzen die Gründung von Groß-Friedrichsburg hatte,
Januar. Darin wird der Namensgeber der kleinen Uferstraße in          für die ihn Kaiser Wilhelm II. 1895 in der Hochphase des deut-
Kreuzberg, Otto Friedrich von der Groeben (1657-1728), als „For-      schen Kolonialismus mit dem Straßennamen ehrte.
schungsreisender“ bezeichnet und die Umbenennung als „ein Stück           „Sklaverei und Sklavenhandel sind Verbrechen gegen die
linkes Biedermeier“ von „Kreuzberger Pfahlbürgern“. In der BZ legte   Menschlichkeit, die zu allen Zeiten als solche hätten gelten sollen“,
Götz Aly dann im Februar noch mal richtig nach: Die Initiatoren der   heißt es in der – auch von der deutschen Bundesregierung unter-
Umbenennung werden als „Altstalinisten“ beschimpft. Die durch von     zeichneten – Abschlusserklärung der UN-Antirassismus-Konferenz
der Groeben im Auftrag des brandenburgischen Kurfürsten gegrün-       von 2001. Die Akteure heute noch mit einem Straßennamen zu
dete Kolonie an der Küste des heutigen Ghanas bezeichnet Aly als      ehren, verbietet sich. Doch die Umbenennung einer Straße nach
„Koloniechen“, stellt die Umbenennung in eine Traditionslinie mit     einer afrodeutschen Wissenschaftlerin und Dichterin, die sich kri-
den Nationalsozialisten und diffamiert ihre Akteure – in Anlehnung    tisch mit Rassismus und Kolonialismus beschäftigt hat, scheint eine
an Nazijargon – als „Straßenschänder“. Wie nebenbei äußern sich       gewisse Generation weißer Männer in Panik zu versetzen. Da wer-
beide Autoren abschätzig über May Ayim (1960-1996) – offensicht-      den dann auch schon mal Fakten verdreht oder gleich ganz frei er-
lich ohne wirkliche Kenntnisse von Werk und Person.                   funden. Insoweit kann man der Debatte aber auch etwas Positives
    Man reibt sich die Augen ob so viel Furor. Wie kann es sein,      abgewinnen: Sie weist darauf hin, dass die weiße Deutungshoheit
dass die historisch gesicherten Fakten so grob ignoriert werden?      zunehmend durch andere Perspektiven in Frage gestellt wird.
Von der Groeben hatte den Auftrag, die Kolonie Groß-Friedrichs-                                                                     Armin Massing
                                                                            Der Autor ist Redakteur des INKOTA-Briefs. Zugleich arbeitet er beim Berliner
burg zu gründen, damit die Brandenburger von dort aus Sklaven-            Entwicklungspolitischen Ratschlag (BER), der sich für die Straßenumbenennung
handel betreiben konnten. An Bord der zwei von ihm geführten                                                                               eingesetzt hat.

   INKOTA-Brief 151 • März 2010
Südafrika vor der wm aufbruch mit schwierigkeiten
Südafrika

Hein Möllers

Südafrika am Scheideweg
16 Jahre nach dem Ende der Apartheid braucht der Hoffnungsträger ganz Afrikas
einen Politikwechsel

Sechzehn Jahre sind seit den ersten freien Wahlen und dem Ende des                                  als Vize die Alltagsgeschäfte geführt. Auch
Apartheid-Regimes in Südafrika vergangen. Viel hat sich seither verän-                              in dieser Nachfolgerfrage zeigt sich ein
dert, doch einige Hoffnungen wurden auch enttäuscht. Die weit                                       Charakterzug Mandelas: die Loyalität. Mbe-
                                                                                                    ki hat den ANC in den komplizierten und
verbreite­te Armut verhindert bis heute die Herausbildung einer ge-
                                                                                                    konspirativen Verhandlungen vor 1990 auf
meinsamen Identität für das gesamte Land. Ke Nako – Es ist Zeit, das                                die Linie Mandelas einschwören können.
Motto der Fußball-WM, gilt auch für den Politikwechsel, den Südafrika
dringend benötigt.
                                                                                                    Mbeki: Afrika auf Augenhöhe
Der 11. Februar dieses Jahres 2010 war in         haben. Die oft beschworene Nacht der lan-         bringen
Südafrika ein Gedenktag. Zwanzig Jahre            gen Messer blieb aus. Er führte zusammen,         Das herausragende Merkmal der Regie-
war es her, dass der erste Schritt in die Frei-   was nach dem Willen der alten Machthaber          rungszeit von Thabo Mbeki – es ist gerade-
heit getan wurde. An diesem Februartag            nie zusammenkommen sollte.                        zu sein Projekt – war seine Hinwendung zu
1990 kam Nelson Mandela – bis dahin                  Auch die Wahrheits- und Versöhnungs-           Afrika und die Heimkehr Südafrikas auf
Staatsfeind Nr.1 – nach 27 Jahren aus dem         kommission wird mit Mandelas Namen ver-           dem Kontinent. Er prägte das Schlagwort
Gefängnis frei, verbotene Parteien wurden         bunden bleiben, nicht zuletzt, weil er sich       der Afrikanischen Renaissance, erarbeitete
zugelassen. Es begann ein Übergangspro-           weigerte, unangenehme Stellen, die den            mit NEPAD die politischen Leitlinien der
zess, der fast vier Jahre dauern sollte.          ANC belasteten, zu streichen, während er          neuen Afrikanischen Union (AU) und ließ
    Der damalige Präsident Frederik de Klerk      Schwärzungen in Protokollen seines poli-          sich dabei von der Grundüberzeugung lei-
hatte die Reißleine gezogen. Er hatte er-
kannt, dass der Apartheidstaat, der auf ras-
sischer Hierarchie und Ausschluss der Be-
völkerungsmehrheit von politischer und ge-
sellschaftlicher Entscheidung beruhte, so
nicht mehr haltbar, bestenfalls noch einige
Jahre fortzuführen war. Sein Ziel war, die
Macht – mit der Bevölkerungsmehrheit – zu
teilen, um die Kontrolle zu behalten.

Mandela: Das Land versöhnen
Es kam anders. Mehr als drei Jahre dauer-
ten die Verhandlungen. Sie wurden immer
wieder torpediert, und noch zwei Wochen
vor den vereinbarten Wahlen stand nicht
fest, ob Südafrika in seinem territorialen Be-
stand halten würde oder von Beginn an mit
Separatismus zu kämpfen hätte. Gatsha
Buthelezi, Homelandchef von KwaZulu und
Präsident der Inkatha-Freiheitspartei weiger-
te sich, die Vereinbarungen der Verhand-
lungen anzuerkennen, und besaß durchaus           Nelson Mandela im Wahlkampf 1994: Ohne ihn wäre ein friedlicher Übergang vom Apartheid-
das militärische Potenzial, einen politischen     System zur Demokratie weniger wahrscheinlich gewesen
Neustart Südafrikas wirkungsvoll zu stören.       Foto: Peter Steudtner

Es gelang buchstäblich im letzten Augen-          tischen Gegners de Klerk zuließ. In seinen        ten: Afrika soll kein Bittsteller sein, es hat
blick, Buthelezi einzubinden. Der erfolg-         Erinnerungen schreibt er, schon als Junge         seinen Beitrag zur Zivilisation unserer Erde
reiche Emissär Mandelas hieß übrigens Ja-         habe er gelernt, einen Gegner zu bezwin-          erbracht und leistet ihn auch heute. Die Völ-
cob Zuma, heute Staatspräsident Südafri-          gen, ohne ihn zu entehren.                        ker der Welt bedürfen einander. Dazu ist
kas.                                                  Und noch etwas zeichnete ihn aus: Die         eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe nö-
    Das zentrale Verdienst Nelson Mandelas        – auch ironische – Distanz zur Macht, nicht       tig.
ist es, das Land zusammengehalten, durch          nur in Afrika eine seltene Einsicht bei Politi-       Doch der hochintelligente Mann hatte
den alles andere als leichten Übergangs-          kern. Er trat nach Ende seiner ersten Amtspe-     wenig Gespür dafür, wo seinen Landsleuten
prozess geführt und durch seine Haltung           riode zurück, nicht ohne einen Nachfolger         der Schuh drückte, und fand den Ton des
des Verzeihens und Versöhnens Südafrika           aufgebaut zu haben: Thabo Mbeki. Dieser           gemeinen Volkes nicht. Schwer erklärbar
vor Bürgerkrieg und Blutbad bewahrt zu            hatte schon unter Mandelas Regentschaft           ist, dass Mbeki als einziger der drei bishe-

                                                                                                                     INKOTA-Brief 151 • März 2010   
Südafrika vor der wm aufbruch mit schwierigkeiten
Südafrika

rigen Präsidenten die Zweidrittelmehrheit        dieser wegen schwerer Korruptionsvorwür-          Doch Zuma überraschte alle. Nach den
der Stimmen überschritt – mit weiterem Zu-       fe ins Visier der Staatsanwaltschaft geriet.   Wahlen legte er einen Start hin, für den
gewinn bei seiner Wiederwahl (von 66,35%         Der Prozess wurde schließlich niederge-        auch der politische Gegner Respekt zollte.
auf 68,68%).                                     schlagen, weil das Gericht eine unzuläs-       Seine ausgewogene Regierungsbildung und
   Stattdessen verlor Mbeki bei seiner Re-       sige Einflussnahme des Präsidialamtes fest-    Neustrukturierung fand allenthalben Aner-
gierungsallianz aus ANC, dem Gewerk-             stellte.                                       kennung. Besondere Aufmerksamkeit erhielt
schaftsverband Cosatu und der Kommunisti-            Diese Schlappe nutzten die innerpartei-    die Berufung von Trevor Manuel, Wirt-
schen Partei SACP an Rückhalt. Sie warfen        lichen Gegner Mbekis, Zuma gegen Mbeki         schaftsminister unter Mbeki, in ein neue ge-
ihm vor, dass er in seiner Wirtschafts- und      zum neuen Präsidenten des ANC und damit        bildetes Schlüsselministerium für die Koordi-
Sozialpolitik die Armen vergessen hatte.         traditionsgemäß zum Kandidaten des ANC         nierung der gesamten Regierungspolitik und
Die unter der Apartheid keine Chance hat-        für das Präsidentenamt zu küren. Der ANC-      die Einbindung des Vorsitzenden der kon-
                                                                                                servativen Freiheitsfront Plus in die Regie-
                                                                                                rung. Es zeigte sich schon vor den Wahlen
                                                                                                2009, dass Zuma stark an einer Einbindung
                                                                                                dieser konservativen Gruppe gelegen war,
                                                                                                um deren fachliche Kompetenz zu nutzen.

                                                                                                Eine gemeinsame Identität
                                                                                                für Südafrika
                                                                                                Zuma kann zum Politiker werden, der die
                                                                                                zwei Parallelwelten Südafrikas einen und
                                                                                                dem Land eine gemeinsame Identität geben
                                                                                                kann. Seine Vermittlungsfähigkeit hat er
                                                                                                mehrfach unter Beweis gestellt, nicht nur auf
                                                                                                nationaler Ebene, wie damals im Fall Buthe-
                                                                                                lezi, sondern auch auf internationalem Par-
                                                                                                kett bei der Vermittlung zwischen Hutu und
                                                                                                Tutsi in Ruanda.
                                                                                                   Erste Bewährungsproben kamen schon
                                                                                                im Juli 2009, zwei Monate nach Zumas
                                                                                                Amtsantritt. Die Staatsbediensteten traten in
                                                                                                den Ausstand. Es folgten die Chemie- und
                                                                                                Bauarbeiter sowie die Bergarbeiter. Doch
                                                                                                was den ANC noch stärker traf, waren die
Alles andere als harmonisch: Der ANC-Kongress im Dezember 2007, bei dem Jacob Zuma              Unruhen in den Townships, wo sich die Be-
(links) Thabo Mbeki (rechts) stürzte
Foto: INKOTA-Archiv                                                                             völkerung gegen die Korruption und Unfä-
                                                                                                higkeit der Verwaltung auflehnte. Die Wo-
ten, sahen auch jetzt keine Verbesserung,        Kongress im Dezember 2007 führte zu ei-        chenzeitung Mail&Guardian titelte damals:
obwohl nun „ihre“ Regierung die Macht            ner seismischen Verschiebung in der Politik    „Die Nation ist im Protest vereint.“ Zum Teil
hatte.                                           Südafrikas. Erstmals trat ein Kandidat ge-     konnten die Unruhen nur durch massiven
   Während das Wahlprogramm von 1994             gen den amtierenden Präsidenten einer          Polizeieinsatz eingedämmt werden. Aber
(RDP, Reconstruction and Development Pro-        ehemaligen Befreiungsbewegung an und           anders als Mbeki ging Zuma in die Town-
gramme) noch deutlich die Handschrift von        setzte sich durch.                             ships und sprach mit den Leuten. Er bekräftig­
Cosatu und SACP trug, kam es 1996 mit                Dieser Machtkampf offenbarte aber          te das Recht auf soziale Proteste und Streiks,
der neuen Leitlinie „Growth, Employment          auch: Die entscheidenden Auseinanderset-       verurteilte aber die damit verbundene Ge-
and Redistribution“ (GEAR) zu einem ent-         zungen im ANC werden immer noch in             walt.
scheidenden Politikwechsel. Im Vordergrund       mehr oder weniger konspirativen Zirkeln           Die Unruhen legten den Finger auf die
stand nun eine schnelle Integration in die       ausgetragen und nicht öffentlich und demo-     Wunde: die unfähige und korrupte Verwal-
Weltwirtschaft. Zentrales Instrument war die     kratisch entschieden. Bemerkenswert ist al-    tung. Das Schlagwort, das schon im Wahl-
Privatisierung. Das Sozial- und Wirtschafts-     lerdings auch, dass Mbeki umstandslos sei-     kampf eine zentrale Rolle spielte, heißt ser-
gefüge Südafrikas, das sich ja alles andere      nen Posten räumte und, da er den nötigen       vice delivery, die Bereitstellung grundle-
als naturwüchsig entwickelt hatte, sollte sich   Rückhalt durch die Partei nicht mehr hatte,    gender Dienstleistungen für die ganze Be-
nun im freien Spiel der Marktkräfte korrigie-    auch als Staatspräsident zurücktrat.           völkerung. Auf über 2.000 landesweit wer-
ren. Drastischer drückte es ein südafrika-           Die Entscheidung für Zuma wurde von        den die informal resettlements geschätzt.
nischer Kollege aus: Deck’ den Geladenen         den Medien verrissen. Nicht nur wegen der      Beinahe jede Woche brennt in diesen er-
den Tisch reichlich, dann bleibt auch etwas      offen gebliebenen Korruptionsvorwürfe,         bärmlichen Siedlungen aus Blech, aufge-
für die Bediensteten.                            auch wegen seines persönlichen Lebens-         sammelten Lattenresten und Karton ein Stra-
                                                 wandels – einen Vergewaltigungsprozess         ßenzug ab, weil Kerzen Licht bieten, auf
                                                 hatte er nur überstanden, weil das Gericht     Paraffin-Brennern gekocht werden muss, wo
Zuma: getrennte Fäden                            den Ausführungen der Klägerin nicht zwei-      es kaum Strom, Wasserleitungen oder Toilet-
verweben                                         felsfrei folgen mochte. Ein Niedergang von     ten gibt. Der zuständige Minister Sicelo
Zum Verhängnis wurde Mbeki die Entlas-           öffentlicher Moral, Staat und Demokratie       Shiceka räumt ein, dass die meisten Ge-
sung seines Stellvertreters Jacob Zuma, als      wurde beschworen.                              meinden Südafrikas sich in einem Zustand

   INKOTA-Brief 151 • März 2010
Südafrika

der Lähmung befinden und die Verwal-               und eine ineffektive Verwaltung auf Vorder-    tische Karte einzusetzen – und damit die
tungen nicht funktionieren.                        mann gebracht. Nun ist sie die Premiermi-      Spaltung der südafrikanischen Gesellschaft
                                                   nisterin des Westkaps.                         zu fördern. Selbst die ihr gewogene Wo-
                                                       Doch die nicht zuletzt von der deutschen   chenzeitung „Mail&Guardian“ überschrieb
Wie weiter? Ke Nako                                Presse begrüßte Helen Zille – sie ist eine     anlässlich der Amtseinführung ihres Kabi-
Dass Südafrika über Improvisations- und            Enkelin des Berliner Milieu-Malers Heinrich    netts einen Leitartikel: „Die Rückkehr des
Organisationstalent verfügt, zeigen die Vor-       Zille – spielt mit dem Feuer. Schon in ihrem   weißen Mannes.“ Ganz allgemein zeichnet
bereitungen zur Fußball-Weltmeisterschaft          Wahlkampf schürten sie und ihre DA die         sich 16 Jahre nach dem Ende der Apartheid
im Juni 2010. Vergangene sportliche Groß-          traditionellen Vorbehalte gegen die „schwar-   eine heftige Rassismus-Diskussion ab, wel-
ereignisse haben gezeigt, dass sie die             ze“ Regierung, indem sie sich auf – durch-     che die DA erheblich mitzuverantworten
Chance bieten, die Nationsbildung zu för-          aus verbreiteten – Amtsmissbrauch und Kor-     hat.
dern. Ke Nako steht als Motto über der
WM 2010. Das Wort aus der Sotho-Spra-
che bedeutet: Es ist Zeit.
     Das gilt auch für die Politik. Doch auch
ein knappes Jahr nach seinem Amtsantritt ist
noch nicht erkennbar, wohin die Regierung
Zuma steuern will. KritikerInnen, aber auch
eigene AnhängerInnen monieren immer
häufiger: Es reicht nicht, dass der Präsident
mit allen redet und dass er den Ausgleich
sucht. Er muss auch klar definieren, welche
Richtung er einschlagen, welche Ziele er
verfolgen und wie er sie erreichen will. Hat
Zuma überhaupt ein Konzept, wird immer
lauter gefragt.
     Und die andere Frage: Gibt es eine Op-
position, die die Regierung ernsthaft heraus-
fordern kann? Hoffnungsträger war COPE,
der „Congress of the People”, der sich nach
der Wahl Zumas zum ANC-Vorsitzenden
von der Partei abgespalten hatte. Er konnte
einige politische Schwergewichte des ANC
gewinnen. Die Gründung von COPE weckte
Euphorie. Er sollte so viele Stimmen binden,
dass der übermächtige ANC auf ein „nor-
maleres“ Maß gestutzt würde und eine Op-
position bekäme, die ihre Wurzeln im Wi-
derstand hat. Nicht von ungefähr wurde die
Gründung in Bloemfontein vollzogen, wo
sich 1912 auch der ANC gegründet hatte.
     COPE wurde offensichtlich überschätzt.
Von 15 Prozent plus x war die Rede. Doch
bei den Wahlen 2009 hat die Partei gera-
de einmal einen halb so großen Stimmenan-
teil erreicht. Sie hat es nicht geschafft, sich
landesweit zu verankern und als Alternative
zum ANC zu präsentieren, zu unpräzise
blieb das Wahlprogramm. Letztlich hat
COPE nur jene erreicht, die von der Politik
Mbekis profitiert und den Sprung in die
neue Mittel- und Oberklasse geschafft hat-
ten.
     Die große Überraschung bei den Wah­
len von 2009 war die „Democratic Alli-
ance“ (DA) unter ihrer Präsidentin Helen
                                                   Am Reichtumsgefälle zwischen Schwarz und Weiß hat sich bis heute nur wenig geändert
Zille. Die DA wurde landesweit zweitstärks-        Foto: Peter Steudtner

te Fraktion und gewann das Westkap, das
nun als einzige Provinz Südafrikas nicht           ruption kaprizierte, welche die vorhande-         Das alte Problem besteht also weiter: Die
vom ANC regiert wird.                              nen Vorurteile der weißen Bevölkerung stets    Regierungsallianz stellt gleichzeitig die Op-
     Helen Zille ist eine tüchtige und durchset-   aufs Neue bestätigten.                         position. Kann aus dem ANC – genauer
zungsfähige, vor allem aber umtriebige Po-            Spätestens mit ihrem Amtsantritt im West-   aus der Dreierallianz von ANC, Gewerk-
litikerin. Als Bürgermeisterin von Kapstadt        kap muss sie sich den Vorwurf gefallen las-    schaftsverband Cosatu und der Kommunisti-
hat sie erfolgreich die Korruption bekämpft        sen, im Spiel um die Macht auch die rassis-    schen Partei SACP – eine Bewegung entste-

                                                                                                                   INKOTA-Brief 151 • März 2010   
Südafrika

hen? Reibereien zwischen den Partnern hat           gestellt. Viel Erfolg hatte diese Strategie in      zen versuchen, und sich stattdessen demo-
es immer gegeben. Cosatu und SACP ver-              der Vergangenheit nicht. Und auch jetzt, als        kratischen Wahlen stellen.
treten eine alternative Wirtschafts- und Sozi-      die Streiks im vergangenen Juli ausbrachen,             Wie tief Südafrika in der Krise steckt,
alpolitik und haben andere Vorstellungen            betonte Zuma gegenüber den Gewerk-                  wird sich erst nach der Fußball-WM zeigen.
von der Umgestaltung des Landes. Sie                schaften die Unabhängigkeit seiner Ent-             Bis dahin wird die Euphorie darüber, als
scheuen jedoch davor zurück – das zeigte            scheidungen als Staatspräsident, der die            erster afrikanischer Staat das Weltturnier
sich erneut auf dem Cosatu-Kongress Ende            Verantwortung für die Gesamtpolitik trage.          auszutragen, den Alltag überdecken. Spä-
letzten Jahres –, ihre Positionen als eigen-        Die Dreierallianz beschert der Regierung            testens nach dem Schlusspfiff droht Kater-
ständige politische Kraft zu vertreten. Sie         eine breite Grundlage, aber auch unbeweg-           stimmung. Schönfärberei und Verdrängung
fürchten, im Alleingang eine unbedeutende           liche Strukturen.                                   sind dann nicht mehr möglich. Dann muss
Kraft zu werden, und setzen darauf, inner-              KritikerInnen innerhalb und außerhalb           auch Jacob Zuma zeigen, dass er in der
halb des ANC mehr von ihren Ideen durch-            der Allianz sehen denn auch den einzigen            Lage ist ein Hoffnungsträger für den gesam-
setzen zu können. Insofern haben sie auch           Ausweg aus dem politischen Stillstand in            ten Kontinent zu werden. Südafrika jeden-
die Kandidatur Zumas als ihren Erfolg ge-           der Ausdifferenzierung der Richtungen in            falls steht erneut an einem Scheideweg. Ke
bucht. Und genau das spiegelt die Schwä-            der Allianz in konkurrierende Parteien. Vor         Nako!
che der südafrikanischen Linken wider.              allem Cosatu und SACP müssten aufhören,
    Ob diese Rechnung aufgeht, sei dahin-           ihre Programme über den ANC durchzuset-             Hein Möllers ist Redakteur der Zeitschrift afrika süd.

Martin Ling

Ein Cup voller Hoffnung
Die Erwartungen an die erste Fußball-Weltmeisterschaft in Afrika sind auf dem Kontinent riesig

Wohl noch nie war der mediale Fokus so auf den afrikanischen Kontinent                                  Nationalhelden auf den Punkt: Mandela:
gerichtet wie nun rund um die Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika.                                   „Francois, ich danke Ihnen dafür, was sie für
Groß ist der Ehrgeiz Südafrikas, aller Welt zu beweisen, dass das Land                                  unser Land getan haben!“ Pienaar: „Nein,
                                                                                                        Herr Präsident. Wir danken Ihnen dafür,
durchaus in der Lage ist ein solches Großereignis durchzuführen. Doch
                                                                                                        was sie getan haben!“ Die Geste über-
viele der überzogenen Erwartungen können gar nicht in Erfüllung gehen.                                  zeugte auch viele Weiße, die ein Jahr zuvor
Denn die Milliardeninvestitionen in Infrastruktur und Sicherheit sowie                                  an den Wahlurnen eine vernichtende Nie-
die große Euphorie und Freude gehen an den sozialen Missständen vor-                                    derlage erlitten hatten und zweifelten, ob sie
bei – die Kluft zwischen Arm und Reich ist auch nach Ende der Apartheid                                 noch eine Zukunft im Land haben würden.
weiter gewachsen.                                                                                       Mandela, der 27 Jahre im Gefängnis geses-
                                                                                                        sen hatte, erhob sich über die tiefen Gräben
Es war eine Geste von historischer Be-                            Neuseeland und bis heute gilt der     der südafrikanischen Gesellschaft. Das Süd-
deutung weit über die Grenzen des                                 Moment, als Mandela im Trikot der     afrika als übergreifende Sportnation der
Sports hinaus: Nelson Mandela, Süd-                               Rugby-Nationalmannschaft die Sie-     Nachapartheid war geboren, die Hoff-
afrikas erster schwarzer Präsi-                                        gestrophäe dem weißen Ka-        nungen auf eine goldene Zukunft weit über
dent, begab sich in die Um-                                                 pitän Francois Pienaar      den Sport hinaus waren ein Jahr nach dem
kleidekabine der fast aus-                                                   überreichte, als große     Ende der Apartheid gewaltig.
schließlich aus Weißen be-                                                   Geste der Versöhnung
setzten südafrikanischen                                                    zwischen Schwarz und
Rugby-Nationalmannschaft,                                                   Weiß. John Carlin inspi-    Fußball: erste Ansätze der
streifte das Trikot des Spiel-                                               rierte die Szene zu sei-   Regenbogennation in der
führers über und schwor                                                       nem Roman „Playing        Apartheid-Ära
die Außenseitertruppe auf                                                     the enemy – Nelson        Genährt wurden die Hoffnungen bereits ein
das Finale der Weltmeister-                                                  Mandela and the game       Jahr später, als Südafrika beim Afrika-Cup
schaft im eigenen Lande ein                                                 that made a Nation“,        kurzerhand für das finanziell überforderte
– das erste sportliche Großer-                                            auf dem der derzeit in den    Kenia als Veranstalter einsprang. Statt dem
eignis in der Nachapartheid-                                               Kinos laufende Holly-        Sport der Weißen stand nun der Sport der
Ära. Sensationell gewannen                                                 wood-Film „Invictus“ von     Massen im Blickpunkt: Fußball. Gerade ein-
die Springboks – einst Sym-        Die Orlando Pirates aus                 Clint Eastwood basiert.      mal vier Jahre nachdem der südafrikanische
                                Soweto, einer der ältesten und
bol für das Südafrika der        größten Vereine Südafrikas                    Den Geist der Versöh-    Fußballverband wieder in den Weltfußball-
Apartheid – 1995 gegen                 Abbildung: Orlando Pirates          nung bringt der damalige     verband FIFA zurückkehren durfte, aus dem
den haushohen Favoriten                                                    kurze Dialog der beiden      er wegen der Apartheid erst 1976 nach

   INKOTA-Brief 151 • März 2010
Südafrika

dem Aufstand von Soweto ausgeschlossen            schoss. Williams erinnert sich, wie ihn Man-     der 1996 mit Fiiiiiish-Rufen zu seinen Sturm-
wurde.                                            dela vor dem Spiel im Mannschaftshotel           läufen animiert wurde.
   Das Sportministerium der Apartheid-Re-         besuchte: „Er nahm mich in den Arm und              Die achtbare Leistung mit dem Halbfinal­
gierung hatte den Fußball mit Missachtung         meinte: Heute ziehen wir in den Krieg. Was       einzug beim Confed-Cup letztes Jahr ist der
gestraft. Das wiederum eröffnete gewisse          auch immer passiert, denk daran, die gan-        Strohhalm, an den sich die Fans der Bafana
Freiräume: Gemischte Teams entstanden             ze Nation steht hinter dir.“ Und in der Tat      Bafana im Hinblick auf die WM klammern.
dort früher als in allen anderen Sportarten.      standen auch die schwarzen Fußballfans           Denn die erwartete Erfolgsperiode nach
Es dauerte allerdings bis 1977, dass ein          hinter der neuen Nationalmannschaft, ob-         1996 blieb aus. Zu mehr als zwei WM-Teil-
weißer Verein einen Schwarzen im Aufge-           wohl sie selbst noch wenige Jahre zuvor          nahmen 1998 und 2002, bei denen die
bot hatte: Die Arcadia Shepherds in der           von der südafrikanischen Nation als auch         Jungs über die Vorrunde nicht hinauskamen,
Hauptstadt Pretoria stellten unter dem Beifall    ihre Idole von der weißen Nationalmann-          reichte es nicht, und seitdem befindet sich
                                                                                                   die Truppe im freien Fall. In der FIFA-Welt-
                                                                                                   rangliste steht Südafrika derzeit auf dem
                                                                                                   81. Rang, direkt vor dem kleinen Malawi,
                                                                                                   und für den letzten Africa-Cup in Angola
                                                                                                   Anfang 2010, an dem 16 afrikanische
                                                                                                   Mannschaften teilnahmen, schaffte man
                                                                                                   nicht einmal die Qualifikation.
                                                                                                      Niemand will sich ausmalen, dass die
                                                                                                   Bafana Bafana als erste Heimmannschaft
                                                                                                   die Vorrunde einer WM nicht übersteht.
                                                                                                   Schließlich ist die Fußballbegeisterung groß,
                                                                                                   überall im Lande wird gekickt, ob auf stau-
                                                                                                   bigen Dorfplätzen oder in den Townships.
                                                                                                   Und keiner weiß, wie stark sich ein Schei-
                                                                                                   tern Südafrikas auf die Stimmung des
                                                                                                   ganzen Turniers niederschlagen würde. Die
                                                                                                   Euphorie und Vorfreude ist riesig und ent-
                                                                                                   sprechend hoch die Fallhöhe.

                                                                                                   Zu hohe Erwartungen
                                                                                                   Was für die sportlichen Hoffnungen gilt, ist
                                                                                                   für die wirtschaftlichen Erwartungen bereits
                                                                                                   absehbar. Viele SüdafrikanerInnen waren
                                                                                                   nach dem Entscheid 2004 der Meinung,
                                                                                                   dass der WM-Boom für jeden und jede et-
                                                                                                   was abfallen ließe. Zwar hat das milliarden-
                                                                                                   schwere Konjunkturpaket rund um die WM
                                                                                                   (3,5 Milliarden Euro für die Stadien, 75
So wie bei der Nationalmannschaft selbst hat auch bei den Fans der Bafana Bafana Rassismus         Milliarden Euro für Infrastruktur seit 2004)
keinen Platz                                                                                       vermocht, die Weltwirtschaftskrise abzufe-
                                                                                                   dern, doch den Verlust von einer Million Ar-
Foto: INKOTA-Archiv

der Zuschauer Vincent Julius auf. „Fußball        schaft ausgeschlossen waren. Jahrzehnte-         beitsplätzen 2009 verhinderte es nicht. Und
hat bei uns einen unreflektierten, fast selbst-   lang hatte für sie deshalb nur der Ligafuß-      wie viele von den 40.000 neuen Arbeits-
verständlichen Anti-Rassismus an sich“, äu-       ball und vor allem die beiden großen Klubs       plätzen im Baugewerbe nach der WM er-
ßerte der südafrikanische TV-Kommentar            aus Soweto – die Orlando Pirates und die         halten bleiben, ist offen, sicher ist nur, dass
John Perlman einst in den 90er Jahren ge-         Kaizer Chiefs – gezählt.                         das Land kaum mehr jemals wieder so viele
genüber dem englischen Fanzine „When                                                               BauarbeiterInnen brauchen dürfte wie in
Saturday Comes“.                                                                                   den letzten Jahren.
   Und weil Fußball die „Rainbow Nation“          Die Bafana Bafana                                    Immerhin hat der einst auf Robben Island
schon zu Apartheid-Zeiten ansatzweise vor-        in der Krise                                     gefürchtete Linksverteidiger und jetzige
wegnahm, war es auch keiner Rede wert,            Nun hatten sie die ethnisch gemischte Bafa-      Staatspräsident Jacob Zuma ein neues 70
dass beim Africa-Cup 1996 ein Weißer,             na Bafana vorbehaltlos als ihr Nationalteam      Milliarden Euro schweres Infrastrukturpro-
Neil Tovey, die Bafana Bafana (Die Jungs)         akzeptiert. Rassismus, wie ihn spanische         gramm ins Leben gerufen, mit dem Straßen,
als Kapitän aufs Feld führte – beim Rugby         und brasilianische Journalisten während          Tunnel und Flughäfen gebaut oder renoviert
damals undenkbar. Wie vor Jahresfrist Pi-         des Confederation-Cups 2005 bei den              und bis 2013 mehr als vier Millionen Jobs
enaar bekam Tovey von Mandela den Sie-            schwarzen südafrikanischen Fans wähnten,         geschaffen werden sollen. Nur, für dieses
gespokal überreicht und Mandelas Kluft            hat da keinen Platz. Die als rassistische Buh-   Infrastrukturprogramm gilt wie für das ver-
konnte 1996 nicht mehr überraschen: Er            rufe interpretierten Booooooth-Rufe galten       gangene: Das Auseinanderklaffen der
trug das Nationaltrikot von Tovey.                dem bei Schwarz und Weiß äußerst popu-           Schwere zwischen Arm und Reich wird da-
   Der Held des Finales war freilich der          lären baumlangen weißen Verteidiger              durch nicht verhindert. Über zehn Millionen
schwarze Einwechselspieler Mark Williams,         Matthew Booth, gewissermaßen der Nach-           SüdafrikanerInnen vegetieren in erbärm-
der beide Tore zum 2:0 gegen Tunesien             folger von Offensivverteidiger Mark Fish,        lichen Behausungen, 13 Millionen sind auf

                                                                                                                     INKOTA-Brief 151 • März 2010   
Südafrika

Sozialhilfe angewiesen. Jeder dritte Südafri-      mon. Ähnlich sieht das der Johannesburger         soll ein positives Bild von dem Kontinent
kaner verfügt über ein Tageseinkommen von          Sozialwissenschaftler Dale McKinley, der          zeichnen, der sonst häufig nur bei Bürger-
maximal 15 Rand (ca. 1,35 Euro).                   eine falsche Prioritätensetzung kritisiert: Die   kriegen, Völkermord oder Hungerkatastro-
   Freiheitskämpfer Marcus Solomon, der            Investitionen kämen hauptsächlich TouristIn-      phen in den Fokus der Medien rückt. Eine
einst mit Zuma und Mandela auf Robben Is-          nen und einer kleinen einheimischen Min-          erfolgreiche WM, sowohl auf organisato-
land einsaß, lässt kein gutes Haar an der          derheit zu Gute, während Schulkinder in           rischer als auch auf sportlicher Ebene, wo
anstehenden Weltmeisterschaft. „Wenn ich           den bedürftigsten Stadtteilen weiterhin kei-      irgendein afrikanisches Team erstmals min-
daran denke, wie viel Gutes wir mit dem            ne vernünftigen Fußballplätze hätten, in          destens das Halbfinale erreichen sollte, ist
Geld tun könnten, das allein für den Bau           Stadtteilen, in denen Fußball eine der ein-       der länderübergreifende Wunschtraum der
der WM-Stadien ausgegeben wird, werde              fachsten Formen von sozialem Zusammenle-          afrikanischen Fußballfans. Die Messlatte
ich wütend“, erklärt der drahtige Siebzig-         ben und Freizeitaktivitäten ist.                  liegt hoch und damit auch das Risiko der
jährige. „Unsere Kinder können sich Sport             Der Vorfreude der Fußballfans in Südafri-      Enttäuschung.
nicht leisten, weil es keine Infrastruktur dafür   ka und dem Rest des Kontinents tun diese
gibt, und wir verbauen Milliarden von Rand         offensichtlichen Fehlentwicklungen freilich       Martin Ling ist Auslandsredakteur der Tageszeitung
für sinnlose Prestigevorhaben“, sagt Solo-         keinen Abbruch. Die erste WM in Afrika            „Neues Deutschland“.

Joe Walker

Abschieben und Aufpolieren
Für die Fußball-WM werden Straßenkinder und Arme aus den Städten vertrieben

Fußball-Weltmeisterschaften werden gerne als großes Fest der Völkerver-                                  Für den Außenstehenden mag das Leben
ständigung inszeniert, das alle Menschen schicht- und nationalitäten­                                auf der Straße hoffnungslos erscheinen,
übergreifend zusammenbringt. Stellvertretend für den ganzen Kontinent                                viele Kinder betrachten es jedoch als die
                                                                                                     bessere Alternative gegenüber einer Rück-
möchte Südafrika bei der WM in diesem Jahr eine gute Figur machen.
                                                                                                     kehr nach Hause oder der Annahme von
Straßenkinder, Arme und Obdachlose stören da nur. Sie sehen sich im                                  Hilfsprogramme von Regierungsbehörden
Zuge der WM Vertreibungen gegenüber. Insbesondere für die Straßen-                                   oder Nichtregierungsorganisationen (NRO).
kinder bringt dies zusätzliche Bedrohungen mit sich.                                                 Die Gesellschaft sieht Straßenkinder oft nur
                                                                                                     als ein Problem, das gelöst werden muss,
Hinter der Vorfreude und dem Glamour der           Straßenlebens zu entfliehen. Kleinkriminali-      teilweise werden sie schlicht als „öffent-
Fußball-WM in Südafrika verbirgt sich noch         tät wird für die Kinder oft zur notwendigen       liches Ärgernis“ angesehen. Dabei handelt
eine andere Geschichte. 2010 ist nicht nur         Überlebensstrategie. Viele sterben aufgrund       es sich bei ihnen um eine marginalisierte
für Südafrika, sondern für ganz Afrika ein         der riskanten Lebensumstände.                     Gruppe, deren Verletzbarkeit zusätzlich da-
bedeutendes Jahr. Der „vergessene Konti-
nent“, der allzu oft nur mit Armut, Krieg und
Hungersnot in Verbindung gebracht wird,
möchte der Welt ein anderes Gesicht prä-
sentieren. Für Südafrikas Straßenkinder ist
die Fußball-WM jedoch keine schöne Erfah-
rung. Denn die Behörden sind darauf be-
dacht, dass die vielen erwarteten Touristen
ihre Existenz weder zu spüren noch zu se­
hen bekommen.
   Eine Vielzahl von armutsbedingten Fak-
toren haben dazu geführt, dass heute Kin-
der auf den Straßen von Südafrikas Groß-
städten leben. Das Leben auf der Straße
kann verheerend und traumatisch sein. Stra-
ßenkinder leben in der ständigen Gefahr
von sexuellem Missbrauch, Vergewaltigung
und Ausbeutung. Hunger, Gewalt und
Krankheiten sind allgegenwärtig. Drogen-
missbrauch, insbesondere Klebstoffschnüf-
feln, ist weit verbreitet und wird von den
                                                   Draußen Zuhause: Straßenkinder in Durban
Kindern benutzt, um der harten Realität des        Foto: Hermien

10   INKOTA-Brief 151 • März 2010
Südafrika

durch erhöht wird, dass die Bevölkerung           säubern“. Vor der Fußball-WM haben sich         durch therapeutische Rehabilitation wieder
und die Behörden sich großteils weigern,          nun aber Ausmaß und Häufigkeit drastisch        in die Gesellschaft zu integrieren.
sie als das zu sehen, was sie sind: Kinder.       gesteigert. Die südafrikanische Sunday             Die AktivistInnen fürchten, dass weitere
Sie versuchen, den extremen sozialen und          Times berichtete Mitte Februar, wie die Poli-   Razzien vor der WM, bei denen die Kinder
wirtschaftlichen Missständen in ihren Town-       zei in Durban die Kinder mit Gewalt aus         in sogenannte „safe houses” fur Obdachlo-
ships zu entfliehen. Neben Armut haben            dem Stadtzentrum wegbringt und sie an           se gebracht werden, zu verstärktem sexuel-
Straßenkinder oftmals Gewalt und Miss-            Autobahnen sowie in Außenbezirken und           lem Missbrauch und Abrutschen in die Kri-
brauch zu Hause und in ihren Gemeinden
erlebt. Gewalt zieht sich wie eine Epidemie
durch ihr Leben. Wenn sie versuchen, dies
hinter sich zu lassen, finden sie sich in einer
Straßenkultur wieder, die noch größere Ge-
fahren birgt.

Vertreibungen vor der WM
Stadtplaner in Südafrika haben schon oft
öffentlichen Raum kommerzialisiert. Dies
führt zur Ausgrenzung der Armen und Be-
nachteiligten. Menschen, die ohne Elektrizi-
tät und Wasser im Schatten von funkelnden
neuen Stadien leben, sind nicht das Bild,
das die Regierung der Welt zeigen will.
Die südafrikanische SlumbewohnerInnen-
Bewegung „Abahlali baseMjondolo“ be-
schuldigt die Regierung, für die Fußball-
WM große Zwangsräumungsaktionen in
den Armenvierteln durchzuführen, um Platz
für die TouristInnen zu schaffen. Die Zeitung
„The Guardian“ schrieb dazu in einer Re-
portage: „Die Rolle der Armen scheint zu
sein, in Hotels, Fußballstadien und anderen       Die SlumbewohnerInnen-Vereinigung Abahlali baseMjondolo protestiert gegen die Vertrei-
Einrichtungen, die den internationalen Be-        bung ganzer Gemeinden für die Fußball-WM Foto: Abahlali baseMjondolo
suchern dienen, hart zu arbeiten. Aber
nach Feierabend müssen sie die Städte             nicht registrierten Obdachlosenheimen, in       minalität führen werden. Ein grundsätzliches
verlassen und bekommen keinen Anteil am           denen weder Betreuung noch Sozialarbeiter       Problem ist, dass die staatliche Verantwor-
Gewinn.“                                          vor Ort sind, aussetzt.                         tung für den Umgang mit den Straßenkin-
    Für die südafrikanische Regierung sind                                                        dern bei den Provinzen und nicht bei der
Slums ein Imageproblem. Für diejenigen,                                                           nationalen Regierung liegt. Die Provinzre-
die ihr Zuhause verlieren, ist dies allerdings    Kinder organisieren sich                        gierungen neigen dazu, Straßenkinder als
ein menschliches Problem. Die Austragungs-        Ein Lichtblick in dieser schwierigen Lage ist   eine Sicherheitsfrage und nicht als ein sozi-
orte versuchen krampfhaft, die Straßen „zu        „Umthombo Street Children” in Durban.           ale Frage wahrzunehmen.
säubern“, um sie für die WM sicher und at-        Umthombo ist eine dynamische Organisati-            Umthombo will die WM und das Medien-
traktiv zu machen. Besonders betroffen da-        on, die überwiegend von ehemaligen Stra-        interesse dafür nutzen, dass Straßenkinder
von sind die Straßenkinder.                       ßenkindern geleitet wird, die als Jugendar-     mit einem menschlichen Gesicht wahrge-
    Die Überschrift eines kürzlich erschie-       beiterInnen, ReferentInnen fur Öffentlich-      nommen werden und die Gesellschaft ihnen
nenen Artikels in der südafrikanischen Zei-       keitsarbeit und GruppenleiterInnen ausge-       hilft, anstatt sie abzuschieben und zu schika-
tung „Mail & Guardian“, der die „Straßen-         bildet werden. Sie revolutionieren den Sta-     nieren. Ein wichtiges Event dafür ist die
säuberungsaktionen“ der lokalen Polizei in        tus Quo, wie Straßenkinder von der Gesell-      „Straßenkinder-WM” mit Teams aus neun
Durban aus Sicht der Straßenkinder be-            schaft gesehen und behandelt werden. Von        Ländern, die Umthombo Mitte März in Dur-
schreibt, lautet „Zusammengetrieben und           ihrem Stützpunkt aus, dem sogenannten           ban mitorganisiert. Promis wie David Beck-
verfrachtet.“ Die interviewten Kinder be-         „Safe Space”, einem Rehabilitations- und        ham gehören zu den Unterstützern. Der 15-
schuldigen die Polizei, während den Razzi-        Therapiezentrum für Straßenkinder im Stadt-     Jährige Mbali drückt seine Hoffnungen auf
en Gewalt anzuwenden. Sie laufen im All-          zentrum, organisiert Umthombo Sport- und        das Turnier so aus: „Die Menschen lachen
gemeinen so ab, dass die Polizei die Kinder       Kunstaktivitäten für Straßenkinder.             uns immer nur aus. Mein Mund scheint ver-
in Kleintransporter pfercht und erst weit vom        Die Projekte sollen die Kinder stärken und   schlossen, da sie über und für uns reden. Ich
Stadtzentrum entfernt wieder laufen lässt.        ihnen Alternativen bieten, um die Straße zu     wünsche mir, dass sie uns die Chance ge-
Die Kinder müssen dann zu Fuß wieder zu-          verlassen und ein besseres Leben zu führen.     ben, für uns selbst zu sprechen.”
rückgelangen. Ein Marsch, der oftmals Tage        Umthombo kritisiert, dass es der Polizei an
dauert.                                           sozialpädagogischer Ausbildung fehlt, um
                                                                                                  Aus dem Englischen von Katja Kellerer.
    Razzien sind keine Neuheit in Durban.         mit den Kindern adäquat umzugehen. Die
Die Polizei hat sie im Vorfeld von anderen        Methoden der Polizei bei den Razzien ha-        Joe Walker ist Gründer der Nichtregierungsorganisati-
                                                                                                  on Street Action (www.streetaction.org) mit Sitz in
internationalen Veranstaltungen schon des         ben schwere traumatisierende Folgen und         London, die sich für die Rechte von Straßenkindern
Öfteren angewendet, um die Straßen „zu            machen den Versuch zunichte, die Kinder         einsetzt und die Arbeit von Umthombo unterstützt.

                                                                                                                     INKOTA-Brief 151 • März 2010   11
Südafrika

Magdalena Freudenschuß und Peter Steudtner

Eine WM für alle?
Acht Perspektiven aus Mankweng auf die Fußball-WM 2010

Der Kartenvorverkauf ist seit Beginn des Jahres 2010 vereinfacht worden,                          Unterneh­men aufgebaut würden, die dauer-
für öffentliche Vorführungen zu nicht-kommerziellen Zwecken müssen                                haft bleiben. Außerdem wünsche ich mir
                                                                                                  mehr Entwicklung in unserem Land. Dann
keine Übertragungsgebühren bezahlt werden und die Fertigung von Fan­
                                                                                                  gäbe es mehr Jobs, das ist schließlich unser
artikeln ist in vollem Gange. Darüber informiert uns die Webseite der                             Hauptpro­blem, dass es zu wenig Jobs gibt.
FIFA. Über die Perspektiven der Bevölkerung auf die WM findet sich indes                          Die Regierung sollte aufhören, große Autos
wenig. Was erwarten sie sich von der WM – für sich selbst und für Süd-                            zu kaufen, all diese schönen Autos für die
afrika? Wie schätzen sie die Entwicklungen rund um die WM ein? Mo-                                Polizei oder andere. Stattdessen sollte sie
mentaufnahmen aus einem Dorf im Nordosten des Landes.                                             versuchen, irgendwas aufzubauen, das den
                                                                                                  Leuten Arbeit verschafft, Twenty Ten für die
Mankweng bei Polokwane im Nordosten             sie alle, unabhängig von ihrem Interesse für      Gesellschaft und für das ganze Land etwas
Südafrikas: Ein Hof, acht Menschen, die         Fußball, gespannt entgegen. Die Erwar-            bringt.“
dort leben, arbeiten, zu Besuch kommen          tungen gehen dabei in durchaus unter-
und im Laufe eines Nachmittags unsere           schiedliche Richtungen. Fast alle verstehen
Fragen nach ihrer Einschätzung der Welt-        die WM als Chance für die ökonomische
meisterschaft beantworten. Der Hof liegt        Situation Südafrikas und erhoffen „mehr
an der Hauptstraße der Universitätsstadt.       Jobs“. Damit verbunden ist für Motshabi,
Mehrere Zimmer umgeben den sandigen             die den Telefoncontainer an der Straße vor-
Platz, in der Mitte steht das Wohnhaus der      ne betreibt und deren Familie die Zimmer
Familie, die die umliegenden Räume ver-         rund um den Hof gehören, ebenso wie für
mietet.                                         einige andere ein Rückgang der Kriminali-
                                                tät, die sie einhellig auf die weit verbreitete
                                                Armut zurückführen. Erwerbsarbeit für mehr
                                                Menschen, so Motshabi, würde die Situati-
                                                on grundlegend verbessern. Sie bringt dann        Zumindest zwei Monate lang
                                                auch gleich auf den Punkt, dass die Schaf-        wird es etwas besser
                                                fung von Arbeitsplätzen im Kontext der            Busang, Motshabis jüngerer Bruder, der in
                                                WM-Vorbereitungen nicht unbedingt von             der Nähe wohnt und nachmittags kurz vor-
                                                Dauer sein muss:                                  beikommt, sieht die Situation etwas anders.
                                                                                                  Zwar erhofft auch er sich Arbeit durch die
                                                                                                  WM. Er will während der WM an die Tou-
   Ob sie sich die Spiele ansehen werden?                                                         ristInnen Souvenirs verkaufen. Dass er damit
Tshepo will die Spiele verfolgen, meint                                                           ein gutes Stück Geld verdienen wird, da ist
aber, keine Tickets mehr zu bekommen und                                                          er sich sicher. Ihm ist aber auch klar, dass
hofft deshalb darauf, dass er dies vor Groß-                                                      sich der ökonomische Erfolg auf zwei Mo-
bildschirmen tun kann. Lucia träumt dage-                                                         nate beschränken wird.
gen davon, Tickets unter 100 Rand zu er-                                                              „Es wird Verbesserungen geben, da bin
gattern. Tjiane schließlich interessiert sich                                                     ich mir sicher. Wieso? Es werden einige
gar nicht für Fußball.                                                                            Leute für 2010 eingestellt, nur für diesen
   Der Weltmeisterschaft in diesem Jahr, in        „Ich bin mir nicht sicher, ob die              Zeitraum. Danach werden sie ihnen sagen,
Alltagsgesprächen zusammengefasst unter         Arbeitsplät­ze auch nach der WM noch da           dass der Vertrag ausgelaufen ist. In diesen
dem Stichwort „Twenty Ten“ (2010), sehen        sein werden. Am besten wäre es, wenn              zwei Monaten können wir aber viel verdie-

12   INKOTA-Brief 151 • März 2010
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