Die Wegbereiterin - 15 Jahre Stiftung Parität Berlin

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Die Wegbereiterin - 15 Jahre Stiftung Parität Berlin
4. Quartal 2020

Die Wegbereiterin –
15 Jahre Stiftung Parität Berlin
Seite 8                                                  Seite 14                                    Seite 45

Mitgliederversammlung                                    Protestaktion                               Förderprogramm
Erstmals digital und hybrid                              Hauptstadtzulage für alle                   Flexi-Budget Jugend

Was macht ein Berliner Bär auf einem Haus der Nordseeinsel Föhr? Die Auflösung finden Sie auf Seite 41.
Foto: Babette Brandenburg
Die Wegbereiterin - 15 Jahre Stiftung Parität Berlin
Die Wegbereiterin - 15 Jahre Stiftung Parität Berlin
Vorwort

Die Wegbereiterin
15 Jahre Stiftung Parität Berlin

M
          ancher möchte reich sein, einfach des Besitzes
          wegen. In der Sozialwirtschaft ist Geld Mittel zum
          Zweck. Und gerade bei uns, in der Stiftung Parität
Berlin, geht es um Ideen, die sich mit Geld verwirklichen las-
sen. So notwendig Geld ist – das allein Entscheidende ist es
hier nicht. Das wird in den Beispielprojekten deutlich, die wir
Ihnen im Schwerpunkt dieser Ausgabe zum Thema »15 Jahre
Stiftung Parität Berlin« vorstellen.
   Ein ganz wesentlicher Gedanke dabei ist für mich: Unsere
Stiftung trägt zur Weiterentwicklung des gesamten Netz-
werks unter unserem Dachverband bei. Wie? Die meisten Auf-
gaben sozialer Arbeit werden durch Entgelte und Zuwendun-
gen finanziert. Was aber oft auf der Strecke bleibt, sind die
Wege, die eigene Arbeit nicht nur umzusetzen, sondern sie
zu entwickeln. Man sieht diese Wege zwar, kann sie aber nicht
gehen. Etwa, weil der Haushalt genau an dieser Stelle nicht
genügend Mittel vorsieht und Vorgaben nicht ausreichend
Spielraum lassen.
   Hier kann unsere Stiftung einen entscheidenden Impuls
setzen. Sie hilft dabei, innovative Ideen in die Tat umzusetzen.
Von solchen Best-Practice-Beispielen wiederum können auch                 Barbara John          Foto: Holger Groß / Der Paritätische Berlin
andere Mitgliedsorganisationen unter unserem Dach profi-
tieren, denn unsere Foren oder Netzwerke sind für den Aus-
tausch da.
   Welche Projekte sind das? Da gibt es etwa das Jugendfor-        und ohne körperliche Beeinträchtigungen. Ich habe selbst
schungsschiff, ein Angebot der außerschulischen Jugend-            einmal daran teilgenommen, ein Bild davon, das mich tan-
arbeit, mit dem Schwerpunkt Naturwissenschaften, oder ein          zend mit im Rollstuhl Sitzenden zeigt, hängt in meinem Büro.
Netzwerk für Gesundheit und Bewegung oder die Integra-             Diese Begegnung hat mir klargemacht: Das funktioniert, das
tionspatenschaften.                                                ist ganz real möglich. Es war sichtbar, spürbar, anfassbar, mit-
   Ein weiteres Beispiel ist das Gesprächstraining von schwer-     machbar. Und vielleicht funktionieren solche Begegnungen
behinderten Mitarbeitenden bei unserem Mitglied Silbernetz.        und solch ein Miteinander auch in anderen Formaten unseres
Sie sind am Telefon für ältere Menschen da, die sich einsam        Alltags. Noch mehr innovative Ideen ermöglichen und dafür
fühlen. Die Mitarbeitenden hören zu, fragen nach, lachen mit       Impulse setzen, das will die Stiftung Parität Berlin.
den Anrufenden und geben Rat oder Kontakt zu Hilfsnetzwer-
ken, wenn sie danach gefragt werden.
   Daneben fördert die Stiftung Parität Berlin übrigens auch
Fahrscheine für freiwillig Engagierte, den Bau von Häusern
der Parität mit ihren vielfältigen Angeboten in verschiedenen      Ihre
Stadtteilen und zahlreiche Projekte für Kinder.
   Ein gefördertes Projekt ist für mich noch sehr präsent: die
»Dance Days«. Bei diesem Rollstuhlfestival tanzten Menschen
ganz selbstverständlich und entspannt zusammen, die das im
Alltag leider nicht oder nur selten tun. Es sind Menschen mit      Barbara John

Paritätischer Rundbrief — 4. Quartal 2020	                                                                                               3
Die Wegbereiterin - 15 Jahre Stiftung Parität Berlin
Inhalt

                                                                          Foto: Sebastian Mehling

                                                                                                                                                                             Foto: Isabell Köller
     Landesgeschäftsstelle                                                                               Freiwilliges Engagement
Beim Salon Sozialer Träger diskutieren Teilnehmende vor Ort                                         Senatorin Elke Breitenbach (r.) beteiligt sich an der
und im Chat über Auswirkungen des Mietendeckels Seite 12                                           Gemeinsamen Sache – Berliner Freiwilligentage                Seite 50

6 – 19        Landesgeschäftsstelle                                                                 44 – 47     Familie, Kinder und Jugendliche
          •   Herzlich Willkommen beim Paritätischen Berlin!                                                  • Cabuwazi stellt Buch über Zirkustherapie vor
          •   Was uns bewegt: Dr. Gabriele Schlimper                                                          • Der Verein AOB veröffentlicht Kalender
          •   Mitgliederversammlung – ein Nachbericht                                                           „Wortbild 2021“
          •   Krise als Chance: Innovationen nachhaltig gestalten                                             • Förderprogramm Flexibudget Jugend
          •   Liga fordert Hilfen während Corona-Beschränkungen                                               • Netzwerktreffen für Bildungsengagement
          •   Salon Sozialer Träger: Mietendeckel als Chance?                                                 • FSJ bei Internationale Jugendgemeinschaftsdienste
          •   Hauptstadtzulage: 50.000 Protestpostkarten
              an Regierungskoalition übergeben                                                      48 – 49     Frauen
          •   Vernissage: 70 Jahre Paritätischer Berlin in Bildern                                            • Vertrauliche Geburt mit Hilfe von „Balance“
          •   Vielen Dank für die Geburtstagsgrüße –                                                          • „Weg der Mitte“ unterstützt Familien mit Frühchen
              Teil zwei
          •   Großspende von Masken verteilt
                                                                                                    50 – 56     Freiwilliges Engagement
          •   #berlinbessermachen: Porträts Engagierter
                                                                                                              • Das waren die Freiwilligentage: 15 Beispielprojekte
                                                                                                              • Studie zum freiwilligen Engagement als Buch erschienen
20 – 21       Neues aus der Geschäftsstelle Bezirke
          •   Paritätischer Berlin im Beirat der Jobcenter
                                                                                                    57          Gesundheit
          •   „FEMentoring“ stärkt Frauen mit Fluchthintergrund
                                                                                                              • Beratung für junge Erwachsene mit Krebs
          •   Fünf Jahre Work for Refugees
          •   Aktion für partizipative Stadtentwicklung am Moritzplatz
                                                                                                    58 – 62       Menschen in Notlagen
                                                                                                              •   Neue Gesamtkoordinatorin beim Berliner Krisendienst
21 – 23     Foren und Netzwerke
                                                                                                              •   Sinnvolle Nutzung digitaler Medien im Strafvollzug
          • Netzwerktreffen „Neue Arbeitswelten“: neue Methoden
                                                                                                              •   Prowo vernetzt Hilfen in einem Modellprojekt
          • Wirkungsorientierung: Informationen und Kurse
                                                                                                              •   Helfende Hände im Tagestreff des HVD in Lichtenberg
                                                                                                              •   Gangway: Warum nicht immer so? Was Corona
23 – 24     Gesamtverband                                                                                         positives bewirkt hat
          • Eigenanteil bei Pflegezuzahlungen begrenzen
          • Chancengleichheit in der Bildung fördern
                                                                                                    63 – 67     Menschen mit Behinderung
                                                                                                              • Medizinisches Behandlungszentrum für Erwachsene
43          Ältere Menschen und Pflege                                                                          mit Behinderungen eröffnet
          • Das neue Haus der Parität in Biesdorf                                                             • Lebenshilfe mit Kunstwerkstatt in Berlinischer Galerie

  Paritätischer Rundbrief — 4. Quartal 2020
4	
Die Wegbereiterin - 15 Jahre Stiftung Parität Berlin
Inhalt

                               4. Quartal 2020                                         SCHWERPUNKT
                      ParitaetBerlin
                                                                                       Die Wegbereiterin
                                                                                       15 Jahre Stiftung Parität Berlin

                                                                 Foto: catlina film

                                                                                                                                                     Foto: Marko Georgi/Mit-Mensch e. V.
     Menschen mit Behinderung                                                          Schwerpunkt
Erstes Medizinisches Behandlungszentrum für Erwachsene                                 Ein gefördertes Projekt von vielen: Rollstuhltanzfestival
mit Behinderungen in Berlin eröffnet                Seite 63                          Berlin vom Verein Mit-Mensch                   Seite 36

          • Corona-Umfrage in der Eingliederungshilfe:                                 Seite 25 – 42
            die Ergebnisse
          • 30 Jahre Berliner Behindertenverband
                                                                                       • Vorstand Oswald Menninger:
          • Umweltschutz beim Verein die reha
                                                                                         Von der Idee über die Gründung bis zu aktuellen
                                                                                         Herausforderungen
68          Migration
                                                                                       • Der Banker Dirk Brandes:
          • Netzwerk: Beratungsstelle kooperiert mit
                                                                                         Dauerhafte Anlage statt kurzfristigem Feuerwerk
            Umzugsunternehmen
                                                                                       • Förderprojekte: Häuser der Parität
68 – 71     Stadtteilarbeit und Bezirkliche Arbeit                                     • Fahrkarten für freiwillige Engagierte bei
          • Modellprojekt zeigt innovative Kooperationsformen                            Mitgliedsorganisationen
            in Jugendhilfe auf
          • Pfefferwerk Stadtkultur mit Mühlenkiez-Buch                                • Projekt „KinderZukunft“:
          • 25 Jahre Stadtteilzentrum Steglitz                                           Es geht weiter, aber anders
                                                                                       • Vielfalt: 15 Beispielprojekte zeigen Bandbreite
72 – 76     Paritätische Akademie Berlin                                                 der Förderungen
          • Neues Führungsduo:                                                         • Besonderheit: Das Paritätische Haus Schöneberg
            Prof. Dr. Thomas Grießbach und Cengizhan Yüksel                              auf der Nordseeinsel Föhr
          • Termine Paritätische Foren
          • Weitere Veranstaltungen                                                    • Sonderprojekt:
                                                                                         Beratung für Menschen mit Schulden

77         Bildungswerk Brandenburg

78 – 83     Service
          • Neue Mitglieder und Änderungen
          • Termine für Fördermittel-Direktanträge                                    Wir nutzen eine Gender­schreibweise, die auch
          • Seminarangebote der Servicestelle                                         ­Barrierefreiheit und eine ­gute Lesbarkeit ermöglichen
            Zuwendungsrecht                                                            soll. Die Bezeichnung von Personengruppen schließt so-
          • Paritätjob: Stellen suchen und finden                                      wohl männliche, weibliche als auch lesbische, ­schwule,
          • Impressum                                                                  bisexuelle sowie trans- und intergeschlechtliche
          • Fachgruppen und Arbeitskreise                                              ­Menschen (LSBTI) explizit mit ein.
          • Telefonverzeichnis

Paritätischer Rundbrief — 4. Quartal 2020	                                                                                                      5
Die Wegbereiterin - 15 Jahre Stiftung Parität Berlin
Landesgeschäftsstelle

Herzlich willkommen beim
Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin!
Marc Köster verantwortet das Referat »Partizipation und Demokratiebildung in der Kindertagesbetreuung«
beim Paritätischen Berlin

Wo ist das Projekt angesiedelt, und                                                      Projekt und oben genannten Dingen
gibt es Partner?                                                                         nach Wilmersdorf umgezogen.
Das Bundesprojekt gehört zum Pro-
gramm »Demokratie leben!« des Bun-                                                       Wie viele Namen von Kolleginnen und
desfamilienministeriums und ist ein                                                      Kollegen konnten Sie sich bereits mer-
Kooperationsprojekt mit den anderen                                                      ken?
Wohlfahrtsverbänden.                                                                     Ich leide unter einer Namensdemenz.
                                                                                         Dafür kann ich mir Gesichter sehr gut
Mit welchen Erwartungen sind Sie                                                         merken. Ich glaube, ich habe alle schon
zum Paritätischen Berlin gekommen?                                                       einmal gesehen. Vorsichtshalber grüße
Soweit ich mich erinnere – denn ich bin                                                  ich alle.
ja schon seit Jahresbeginn 2020 beim
Landesverband –, hatte ich mir erhofft,                                                  Wo hat man die besten Chancen, Sie
dass die Arbeit in einem größeren Team                                                   nach Dienstschluss anzutreffen?
bereichernder sein wird – und so erlebe                                                  Sie müssten mich bitte 20 Minuten vor-
ich es auch. Beim Paritätischen Gesamt-                                                  her warnen, bevor sie mich zu Hause im
verband hatte ich »nur« einen Kolle-                                                     Homeoffice oder auf dem Sofa antreffen
gen und eine »halbe« Kollegin. Im Kita-         Marc Köster      Foto: Martin Thoma     können. Die Zeit brauche ich, um das fa-
referat sind wir doch ein kleines Team.                                                  miliäre Chaos verschwinden zu lassen.
Außerdem war ich mir sicher, mit dem
Umzug des Projektes etwas näher an          Etwas weniger Projektentwicklung und         Was sollten die neuen Kolleginnen
die Praxis heranzurücken und auch die       dafür mehr Alltagsgeschäft, das heißt,       und Kollegen unbedingt von Ihnen
Berliner Kitaszene besser kennenlernen      mehr Kontakt zu den Fachkräften, den         wissen?
zu können. Mein Projekt richtet sich an     Kitas und den Kindern. Und etwas Zeit,       Dass es sein kann, dass ich sie grüße,
Kitafachkräfte, da ist das von Vorteil.     mich noch in Einzelthemen einzu-             mich aber nicht an ihren Namen erin-
                                            arbeiten.                                    nere (lacht).
Auf welche Aufgaben freuen Sie sich
besonders? Was gehört eher zum              Was haben Sie in Ihr neues Büro mit-
Pflichtprogramm?                            gebracht?
Ich baue mit Unterstützung einer Agen-      Meine Büroblume, die mich schon seit
tur das erste Mal ein E-Learning-Ange-      fast 20 Jahren beruflich begleitet – viel-
bot für Kitafachkräfte und Kindertages-     leicht ist die gar nicht echt. Einen Büro-
pflegepersonen auf. Wenn man sich da        stuhl und einen Schreibtisch. Und fünf
dann im Internet durchklicken kann          Umzugskartons mit Aktenordnern, die
und das funktioniert, dann werde ich        ich vermutlich so gut wie gar nicht nut-
ein wenig stolz sein. Zumal ich vermute,    zen werde.
dass so ein Angebot gerade in Zeiten
von Corona sehr gefragt ist. Auf das sich   Sind Sie auch neu in die Stadt gekom-         Wissenswertes
anschließende Berichtswesen gegen-          men, oder haben Sie nur den Job ge-
                                                                                          Informationen zum Projekt »Partizipa-
über dem Bundesfamilienministerium          wechselt?
                                                                                          tion und Demokratiebildung in der Kin-
könnte ich zwar verzichten, aber es ist     Ich habe den Stadtteil gewechselt.
                                                                                          dertagesbetreuung« und zu den The-
eben nötig.                                 Davor habe ich gut ein Jahr beim Paritä-
                                                                                          men Partizipation von Kindern, Demo-
                                            tischen Gesamtverband in der Oranien-
                                                                                          kratiebildung, Kinderrechte, Vielfaltsge-
Was wünschen Sie sich für Ihr erstes        burger Straße gearbeitet. Davor zwölf
                                                                                          staltung etc. finden Sie unter:
Jahr beim Paritätischen Wohlfahrts-         Jahre in Mitte im Deutschen Bundestag.
                                                                                          www.kita.paritaet.org
verband Berlin?                             Anfang des Jahres bin ich mit meinem

  Paritätischer Rundbrief — 4. Quartal 2020
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Die Wegbereiterin - 15 Jahre Stiftung Parität Berlin
Landesgeschäftsstelle

Was uns bewegt
Von Dr. Gabriele Schlimper, Geschäftsführerin des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Berlin

Arbeiten in Coronazeiten
Jeden Morgen pendeln die meisten
von uns zur Arbeit. Zum Beispiel aus
einem Bezirk mit noch etwas geringe-
ren Covid-19-Zahlen in einen Bezirk mit
vielen Covid-19-infizierten Menschen
oder umgekehrt. Dann tritt ein Ver-
dachtsfall bei Kollegen in Kita, Schule
oder der Jugendhilfe auf – muss man
sofort in Quarantäne, oder wer kann
sich wo wie oft testen lassen, und kann
er oder sie nach einem Negativergeb-
nis wieder arbeiten? Wir sehen, dass
sich die Mitarbeitenden in den Gesund-             Dr. Gabriele Schlimper                                           Foto: Nina Peretz
heitsämtern der Bezirke mühen, zu tun,
was nötig ist. Aber oft sind die Regeln
nicht eindeutig, Anfragen werden erst         stimmen, die eine Grundversorgung          arbeit abgewendet, die Kündigung der
spät beantwortet. Mehr Personal in            der Leistungsberechtigten sicherstel-      Rahmenvereinbarung verhindert, die
den Gesundheitsämtern, einheitliche           len. […] Die Grundversorgung der Leis-     Finanzierung analog Kostenblatt gesi-
Regeln in der ganzen Stadt und eine           tungsberechtigten ist sicherzustellen.“    chert und weitere Verhandlungen für
finanzielle Absicherung etwa für Ver-                                                    Lösungen für die Beschäftigten aus Ri-
tretungspersonal würden den sozialen          Finanzierung von Kitas sichern             sikogruppen angeschoben.
Trägern wesentlich bessere Rahmenbe-          Ein Ausbaustopp von Kitaplätzen ist
dingungen bieten.                             fatal – es fehlen Tausende Kitaplätze.     Wir sind ein Berlin – oder nicht?
                                              Unsere Kitaträger sind bereit, zu bauen    Hauptstadtzulage für alle! Wir haben
Erfolg im Lockdown                            und Plätze zur Verfügung zu stellen.       eine Kampagne gemeinsam mit unse-
Im November kam der Lockdown „light“.         Aber die weitere Finanzierung hat die      ren Mitgliedsorganisationen gestar-
Wieder stehen auch soziale Einrichtun-        Senatsverwaltung für Bildung, Jugend       tet: Sie richtet sich gegen die unglei-
gen vor den Fragen: Wie können wir            und Familie im Herbst auf das nächste      che Bezahlung von Mitarbeitenden in
Kitas und Schulen offen halten, wie las-      Jahr verschoben. Beim Neubau aber          der sozialen Arbeit. Denn Angestellte
sen sich nötige Teilschließungen regeln?      zählt jeder Monat. Kitaträger brauchen     im öffentlichen Dienst erhalten nun
Lassen sich Arbeits- und Besuchsrege-         dringend feste Zusagen, um Grund-          150 Euro mehr pro Monat. Warum nicht
lungen in Pflegeheimen diesmal bes-           stücke halten zu können! Auch die zu-      auch die Mitarbeitenden der freien Trä-
ser gestalten? Wie können Kältehilfeein-      sätzlichen Bundesmittel werden nicht       ger? Diese Ungleichbehandlung für die
richtungen unter Coronabedingungen            ausreichen, um dem steigenden Be-          gleiche Arbeit spaltet. Wir fordern die
Hilfe anbieten? Wir müssen davon aus-         darf an Plätzen nachzukommen. An           Hauptstadtzulage für alle Mitarbeiten-
gehen, dass die Einschränkungen noch          dieser Stelle auch einige Worte zum        den in der sozialen Arbeit. In den sozia-
über den November hinaus gehen. Wir           sogenannten Solidarbeitrag: Die An-        len Medien haben wir diese Forderung
haben deutlich gemacht: In allen Be-          passungsverhandlungen hatten zum           mit den Hashtags #NichtOkayR2G und
reichen brauchen wir Schnelltests! Und        Ergebnis, dass die Träger nach corona-     #WirsindeinBerlin veröffentlicht, pa-
es freut mich riesig, im Zuge der neuen       bedingten Schließungen Rückzahlun-         rallel Protestkarten zum Unterschrei-
Regelungen einen wichtigen Erfolg er-         gen an das Land Berlin leisten mussten.    ben an unsere Träger geschickt und bei
zielt zu haben. In die aktuelle Infektions-   Wir verstehen den Unmut und die Irri-      einer Unterschriftenaktion Ende Okto-
schutzverordnung wurde nach unserem           tation unserer Mitgliedsorganisationen.    ber an die Regierungsfraktionen über-
Hinweis die Ergänzung aufgenommen:            Erst sicherte das Land Berlin die Finan-   geben. So haben wir den Abgeordne-
„Im Bereich der Eingliederungshilfe und       zierung zu, dann verlangte es Geld zu-     ten der Regierungsparteien unsere For-
der Sozialhilfe kann die für Soziales zu-     rück. Dennoch haben wir diese Kröte        derungen deutlich gemacht. Wir er-
ständige Senatsverwaltung Regelun-            schlucken müssen. Dafür haben wir im       warten, dass nachgebessert wird! Mehr
gen durch Rechtsverordnung […] be-            Gegenzug Folgendes erreicht: Kurz-         auf Seite 14.

Paritätischer Rundbrief — 4. Quartal 2020	                                                                                         7
Die Wegbereiterin - 15 Jahre Stiftung Parität Berlin
Landesgeschäftsstelle

Premiere als Stream:
Unsere Mitgliederversammlung 2020
Kann es eine Mitgliederversammlung geben, bei der sich die Mitglieder nicht versammeln?
Der Paritätische Berlin hat es am 18. November 2020 gezeigt

Neuer Veranstaltungsort: das bcc in Berlin-Mitte                                                                  Foto: Martin Thoma

D
        er Ort, das bcc Berlin Congress Center am Alexander-      gut kennt und einander hilft, um wiederum anderen Men-
        platz, war groß genug erschienen für ein Treffen der      schen zu helfen.
        Mitglieder mit Hygienekonzept und unter Wahrung             Der Paritätische Berlin ist weiter gewachsen auf 803 Mit-
der Sicherheitsabstände. Doch nach der Verschärfung des In-       gliedsorganisationen, die ihrerseits wachsen und für stei-
fektionsgeschehens ging das nicht mehr. Also waren nur Vor-       gende Einnahmen durch Mitgliedsbeiträge sorgen. Der Ver-
stand, Geschäftsführung, Beirat, Wirtschaftsprüfer, Gebärden-     band finanziert sich hauptsächlich über diese Beiträge. Die
dolmetscherinnen, Produktionsteam und technische Helfe-           Geschäftsführerin, Dr. Gabriele Schlimper, betonte, dass die-
rinnen und Helfer anwesend, die für eine reibungslose Über-
tragung des Ereignisses als Stream auf Youtube sorgten. Mehr
als 150 Mitglieder verfolgten es dort live.                       »Sie, die Leistungserbringer, waren in allen sozialen Feldern mit
   In zwei Videobotschaften grüßten der Vorsitzende des Ge-       einer Situation konfrontiert, die von heute auf morgen
samtverbandes, Prof. Dr. Rolf Rosenbrock, und Andreas Kac-        Veränderungen erzwang. Dies haben Sie hervorragend gemacht.«
zynski, Vorstandsvorsitzender des Paritätischen Landesver-           Dr. Gabriele Schlimper, Geschäftsführerin Paritätischer Berlin
bands Brandenburg. Sie gratulierten dem Berliner Verband
zum 70. Jubiläum, dessen geplante Feier in der Berliner Phil-
harmonie im Mai ebenfalls nicht stattfinden konnte, und be-       ser Umstand seine wirtschaftliche Unabhängigkeit gegen-
schrieben die Unverzichtbarkeit der freien Wohlfahrtspflege       über der Politik garantiere und ihn gleichzeitig als Dienstleis-
gerade in der Pandemie.                                           ter für seine Mitglieder verpflichte.
   Außerdem stellten sich die Kandidatinnen und Kandida-             Was #berlinbessermachen, so der neue Hashtag des Pa-
ten für den Wahlausschuss in kleinen Filmen vor. Was bisher       ritätischen Berlin, konkret bedeutet, führte sie in einer Zu-
vor Ort entschieden wurde, wird dieses Mal per Briefwahl ent-     sammenfassung beispielhafter Projekte aus verschiedenen
schieden. Die offizielle Zustimmung der Mitglieder über die       Arbeitsbereichen aus: vom Berliner Behindertenparlament
Besetzung des Wahlausschusses und die Entlastung des Vor-         bis hin zur gemeinnützigen Wohnungsbaugenossenschaft,
stands stehen deshalb noch aus.                                   die von 15 Mitgliedsorganisationen und dem Landesverband
   »Corona bringt die Eigenschaften hervor, die ein Mensch        gegründet wurde.
hat, die er aber nicht zeigen muss, wenn er nicht in der Krise       Gabriele Schlimper beschrieb den »Drahtseilakt« im Um­
ist«, wandte sich Prof. Barbara John, die Vorstandsvorsitzende    gang mit dem Coronavirus: Kitas im Notbetrieb und geschlos-
des Paritätischen Berlin, an die Mitglieder. Beim Paritätischen   sene Schulen. »Bitte bleiben Sie zu Hause« als Motto – aber
habe die Krise vorhandene Potenziale geweckt: dass man sich       was sollen beispielsweise obdachlose Menschen tun? Und

  Paritätischer Rundbrief — 4. Quartal 2020
8	
Die Wegbereiterin - 15 Jahre Stiftung Parität Berlin
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viele andere Fragen: Was plant der Bund? Was das Land? Was
bedeutet die Schließung von Werkstätten, die zentrale Orte
des sozialen Kontakts für die Menschen sind, die dort arbei-
ten? Wo kriege ich Schutzausrüstung her? Wer darf in Kran-
kenhäuser und Pflegeeinrichtungen noch rein?
  »Sie, die Leistungserbringer, waren in allen sozialen Feldern
mit einer Situation konfrontiert, die von heute auf morgen Ver-
änderungen erzwang. Dies haben Sie hervorragend gemacht«,
stellte Gabriele Schlimper fest. Dass die Leistungen, die weiter
erbracht werden – wenn auch anders als ursprünglich verein-
bart –, auch weiter finanziert werden, konnte der Paritätische
durchsetzen und in die Covid-Verordnung einbringen.
  Als »absolut inakzeptabel gerade in dieser Zeit« bezeich-
nete es Gabriele Schlimper, dass Berlin die Hauptstadtzulage
nur für seine eigenen Bediensteten zahlt. In einer großen Pro-
testaktion hat der Paritätische Berlin bereits 65.000 Beschwer-
depostkarten an Abgeordnete der Regierungsfraktionen
übergeben. »Aber das wird es noch nicht gewesen sein«, so
Gabriele Schlimper.                                                     Geschäftsführerin Dr. Gabriele Schlimper Foto: Martin Thoma
  Was lasse sich aus der Pandemie lernen? Erstens funktio-
niere die soziale Arbeit auch in der Krise – aber anders. Zwei-
tens zeigten sich bestehende Strukturprobleme nun in einem         Situation so gut aus, dass der Vorstand erneut beschließen
hellen Licht. Positiv sei Corona als Türöffner für die Digitali-   konnte, den Mitgliedsorganisationen 600.000 Euro für allge-
sierung. Auch dass die Paritätische Mitgliederversammlung in       meine Investitionen und zusätzlich 200.000 Euro für die Digi-
dieser Form möglich ist, hätte sie nie gedacht.                    talisierung zur Verfügung zu stellen.
  In deren weiteren Verlauf stellte Ingo Fehlberg, Wirtschafts-      Zum Schluss dankte Prof. Barbara John allen, die vor Ort
prüfer der Mazars GmbH & Co. KG, die geprüfte Jahresrech-          und per Livestream bei dieser ungewöhnlichen Premiere an-
nung 2019 vor und erteilte ihr einen uneingeschränkten Be-         wesend waren, und fügte hinzu: »Ich wünsche mir in dieser
stätigungsvermerk. Von der Arbeit des Beirats berichtete           Form aber keine weitere Aufführung.« Und so lässt sich hof-
dessen Vorsitzende Ria Schneider. Dr. Gabriele Schlimper           fen, dass sich bei der Mitgliederversammlung 2021 wieder
beschrieb den Wirtschaftsplan für 2021: 153.000 Euro Bilanz-       hunderte Menschen am gleichen Ort versammeln können.
gewinn sind geplant. Im aktuellen Wirtschaftsjahr sieht die                                                       Martin Thoma, freier Autor

Blick in den Veranstaltungsraum                                                                                   Foto: Kathrin Zauter

Paritätischer Rundbrief — 4. Quartal 2020	                                                                                               9
Die Wegbereiterin - 15 Jahre Stiftung Parität Berlin
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Krise als Chance
Warum es wichtig ist, gerade jetzt Innovation, Wirkung und Digitalisierung nachhaltig und gemeinsam zu gestalten

D
        ie Coronasituation löst Wandel                                                   sungen und ein Umdenken erfordern,
        auf allen Ebenen aus. Haben wir                                                  dienlich. Innovativ sein kommt aber
        eben noch gedacht, der Spuk                                                      nicht über Nacht. Wir brauchen dazu
ist bald vorbei, fragen wir uns vielleicht                                               eine Lernkultur, die Fehler zulässt. Eine
jetzt, wie viele Jahre es noch werden.                                                   Lernkultur gestalten alle gemeinsam,
Der Wandel kommt zunächst von außen.                                                     nicht nur die Führung.
Gerade in der Sozialwirtschaft sind die                                                    Die Krise kann auch dazu genutzt
Auswirkungen spürbar. Er betrifft uns                                                    werden, um strukturelle Änderungen
alle. Wir haben es uns nicht ausgesucht,                                                 anzugehen: Rollen und Zuständigkei-
aber wir können mitbestimmen, wie wir                                                    ten anpassen, Entscheidungsprozesse
in den sozialen Organisationen darauf                                                    überdenken, den Informationsfluss neu
reagieren – zumindest, was das Mitein-             Anne Jeglinski                        strukturieren sowie digitale Tools ein-
ander angeht. Es kommt nun vermehrt                           Foto: Steffen Kauffmann   führen und nutzen. Sowohl in der Krise
auf Resilienz, kollaboratives Arbeiten                                                   als auch im Wandel entstehen neue Auf-
und Vertrauen an. Neben vielen Schwie-                                                   gaben. Hier gilt es, in den Teams nach
rigkeiten und Herausforderungen kön-         agiler Führung unterstützen. Die Arbeit     Menschen Ausschau zu halten, die diese
nen in diesem Wandel auch Chancen            an einem gemeinsamen Verständnis            neuen Aufgaben nicht nur übernehmen
stecken.                                     der wichtigsten Werte kann das Wir-         können, sondern dies auch wollen. Wer
                                             gefühl im Team stärken und helfen,          kann eigentlich was gut? Das ist eine
Bewusstsein für den Wandel                   ein Verständnis füreinander zu entwi-       Frage, die wir stellen, um eigene vor-
schaffen                                     ckeln. Svenja Hofert, Autorin von »Agi-     handene Ressourcen besser zu nutzen –
Teams, Führungskräfte und Mitarbei-          ler führen«, nennt hier Commitment,         das geht aber nur, wenn nicht alle schon
tende benötigen gerade jetzt Zeiten          Feedback, Kommunikation, Fokus, Mut         an der Belastungsgrenze sind. Dann gilt
der Reflexion, denn ihr Arbeitsalltag        und Respekt als die Werte, die in einem     es, zu fragen: Was müssen wir wirklich
verändert sich, das Tempo beschleu-          Team maßgeblich sind.                       machen, und was können wir streichen?
nigt sich, Verantwortung und Unüber-           An einem gemeinsamen Verständ-
sichtlichkeit steigen. Ein erster Schritt    nis dieser Werte zu arbeiten, lohnt sich    Den Wandel gemeinsam gestalten
besteht darin, sich zu vergegenwär-          schon deswegen, weil sie die Ressour-       Wenn wir die Krise nutzen, um den Wan-
tigen, in welcher Zeit wir stecken. Es       cen stärken, auf die es derzeit ankommt.    del gemeinsam zu gestalten, kommt er
geht darum, die Herausforderungen zu         Wir brauchen alle Resilienz. Wir benöti-    nicht mehr von oben. Er kommt auch
erkennen, vor denen wir stehen, und          gen innere Klarheit und die Fähigkeit,      nicht mehr von unten oder von außen.
gleichzeitig ein Bewusstsein dafür zu        zu priorisieren. Aufgrund der räumli-       Wir haben uns den Wandel in dem Fall
entwickeln, an welchen Stellen Wachs-        chen Distanzen, die durch mobiles und       zu eigen gemacht. Das geht aber nur,
tum möglich ist. Ein weiterer Schritt be-    digitales Arbeiten hervorgerufen wer-       wenn jede und jeder Einzelne sich für
steht darin, Mitarbeitende darin zu be-      den, brauchen wir mehr Vertrauen in-        die aktive Mitarbeit entscheidet. Das
stärken, ihren eigenen Wirkungskreis         einander und mehr Transparenz über          geht nur, wenn jede und jeder Verant-
zu erkennen.                                 unsere Arbeitsprozesse.                     wortung übernimmt und dies nicht
   Was können wir selbständig entschei-        Es gilt, auszuhandeln, was diejenigen,    nur von der Führung erwartet. Es geht
den? In welchen Bereichen haben wir          die führen, und jene, die geführt wer-      dann nicht mehr darum, wer was falsch
die Macht, den Wandel mitzugestalten?        den, brauchen. Denn es nutzt nichts,        macht, sondern darum, wie wir es ge-
Wo sind Grenzen und Außenfaktoren,           über Nacht auf Selbstorganisation zu        meinsam besser machen können.
die wir nicht ändern können?                 setzen, wenn niemand geklärt hat, was
                                             das eigentlich genau heißt.                 Die Krise als Chance nutzen
New Work und agile Führung                                                               Die Krise als Chance zu nutzen, ist ein
unterstützen                                 Innovativ denken, Lernkultur                Prozess, an dem beide Seiten betei-
Was wir ändern können, ist die Art,          einführen und Strukturen anpassen           ligt sind: Führungskräfte und Mitarbei-
wie wir arbeiten und vor allem, wie wir      Den Fokus auf Innovation für die Weiter-    tende. Damit auch weiterhin ein gutes
dabei miteinander umgehen. Dabei             entwicklung von Arbeitsprozessen zu         Ergebnis erbracht werden kann und
können uns Ideen aus New Work und            richten, ist in Zeiten, die große Anpas-    Motivation vorherrscht und nicht Frust,

   Paritätischer Rundbrief — 4. Quartal 2020
10	
Landesgeschäftsstelle

brauchen Mitarbeitende und Führungs-         also die Menschen, für die wir soziale      tiger sein, die gemeinsamen Ziele, wie
kräfte Zeiten, ihre Akkus wieder aufzu-      Organisationen gründen. Positive Um-        Wirkung, die wir anstreben, klar zu de-
laden. Das können Unternehmen und            brüche aus der Krise zu gestalten, ist      finieren und sich darauf zu fokussieren.
Organisationen fördern. Warum sie das        möglich. Es erfordert aber eine neue Art    Es wird außerdem immer wieder darum
fördern sollten, erklärt sich von selbst:    des Denkens.                                gehen, den Spielraum zu erkennen, den
Es ist eine Investition, die sich mehrfach     Im derzeitigen Wandel ist davon aus-      wir haben, und ihn auszufüllen.
für die Mitarbeitenden und damit auch        zugehen, dass die Zeiten eher rauer wer-             Anne Jeglinski, Leiterin der Geschäftsstelle Bezirke,
für die Zielgruppen auszahlen kann,          den, auch finanziell. Es wird noch wich-                                         Innovation und Wirkung

An besonders schutzbedürftige Gruppen denken
Liga der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege in Berlin fordert kontinuierliche Hilfe
während der Coronabeschränkungen

D
        ie Liga der Spitzenverbände          tionen eine den Erfordernissen ange-        gen die Betreuung der vulnerablen
        der Freien Wohlfahrtspflege          passte Gestaltungsfreiheit unter Pande-     Zielgruppen gewährleisten.
        in Berlin begrüßt den Kurs der       miebedingungen und vor allem finan-            Um die Betreuung in allen Bereichen
Bundesregierung und der Länder.              zielle Sicherheit. Auf der Grundlage der    sicherzustellen, muss einrichtungs-
Die unbedingte Vermeidung von An-            guten Erfahrungen aus den ersten Mo-        übergreifender Personaleinsatz für die
steckungsrisiken ist das Gebot der           naten der Pandemie erwarten wir die         Grundversorgung der betreuten Men-
Stunde. Wir tragen die beschlossenen         klare Zusicherung, dass eine der Pan-       schen ausdrücklich ermöglicht werden.
Beschränkungen zur Bekämpfung der            demie angepasste Arbeit keine negati-       Mit der neu erfolgten Einfügung des
SARS-CoV-2-Pandemie gänzlich mit.            ven Auswirkungen auf deren Finanzie-        Paragrafen 5 Abs. 3a in die SARS-­CoV-2-
Zugleich müssen wir gemeinsam mit            rungen hat.                                 Infektionsschutzverordnung ist hier ein
Politik und Verwaltungen sicherstellen,         Unsere Mitarbeitenden sind hoch-         wichtiger Schritt im Bereich der Einglie-
dass hilfe- und schutzbedürftige Men-        motiviert und zugleich extrem gefor-        derungs- und der Sozialhilfe gegangen
schen auch und gerade in dieser Krise        dert, ihre Zielgruppen optimal durch        worden, der nun schnell und möglichst
weiterhin die nötige Unterstützung er-       die Krise zu begleiten. Dafür gehen sie     bürokratiearm ausgestaltet werden
halten. Es geht um Kinder und Jugend-        notgedrungen besondere Risiken ein.         muss.
liche, Menschen mit Behinderungen,           Unsere Träger brauchen dafür die Rü-           Die Träger der sozialen Arbeit und
von Armut Betroffene, Menschen mit           ckendeckung der politisch Verantwort-       deren Mitarbeitenden wollen die Ver-
psychischen Erkrankungen, chronisch          lichen in der Stadt. So müssen sich die     sorgung der Menschen in ihren Einrich-
Erkrankte und Pflegebedürftige, Men-         Gesundheitsämter bei der Testung und        tungen und Diensten weiter sicherstel-
schen ohne Wohnung und viele mehr.           Nachverfolgung auf die in diesen Be-        len. Dafür brauchen sie ihrerseits Unter-
   Die Liga Berlin fordert den Berliner      reichen Tätigen konzentrieren und ent-      stützung! Dazu gehört auch, dass trotz
Senat deshalb auf, bei der Erstellung        sprechend hoch priorisieren.                Pandemie und mobilem Arbeiten die
neuer Verordnungen und Maßnahmen                Ein Beispiel: Aufgrund der neuen Stra-   Erreichbarkeit von Jugendämtern, So-
auf Landesebene dafür Sorge zu tra-          tegie zur Entlastung der Gesundheits-       zialämtern und Teilhabediensten ver-
gen, dass die Lage dieser Gruppen be-        ämter, die Entscheidung über Quaran-        lässlich sichergestellt ist.
sonders berücksichtigt wird.                 täne den Arbeitgebern überlassen, dür-         In der Liga der Spitzenverbände der
   Unser gemeinsames Ziel muss es            fen zunehmend mehr Mitarbeitende            Freien Wohlfahrtspflege in Berlin ko-
bleiben, dass auch während der Be-           nicht mehr zum Dienst erscheinen. So        operieren Arbeiterwohlfahrt, Landes-
schränkungen Menschen in Not zuver-          können stationäre Einrichtungen in der      verband Berlin e. V., Caritasverband für
lässig umfassende Hilfe, Beratung und        Erziehungs-, der Eingliederungs- und        das Erzbistum Berlin e. V., Diakonisches
Schutz erhalten. Die Verbände und ihre       der Altenhilfe ihre Betreuungsleistun-      Werk Berlin-Brandenburg-schlesische
Mitgliedsorganisationen sehen sich in        gen aber nicht sieben Tage 24 Stunden       Oberlausitz e. V., Paritätischer Wohl-
der Pflicht, entsprechende Angebote          sicherstellen.                              fahrtsverband LV Berlin e. V., DRK Lan-
unter Wahrung des Infektionsschutzes            Unsere Einrichtungen brauchen mit        desverband Berliner Rotes Kreuz e. V.
weitgehend offenzuhalten und dort,           den Gesundheitsämtern gut abge-             und die Jüdische Gemeinde zu Berlin
wo nötig, alternative Betreuungs- und        stimmte Konzepte, die der jeweiligen        KdöR. (gekürzte Fassung)
Beratungsangebote zu schaffen. Dazu          Arbeit Raum geben und auch in Qua-
benötigen unsere sozialen Organisa-          rantänesituationen in den Einrichtun-                                                       Oliver Bürgel

Paritätischer Rundbrief — 4. Quartal 2020	                                                                                                        11
Landesgeschäftsstelle

Mietendeckel als Chance für Trägerwohnungen?
In der Veranstaltungsreihe Salon Sozialer Träger besprachen Teilnehmende in einer eine hybriden Diskussion
die Auswirkungen des Gesetzes zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen

Teilnehmende der Diskussion vor Ort                                                                            Foto: Sebastian Mehling

E
      in Salon unter Coronabedingun-        Podiumsdiskussion am 2. September           Schwarz, führten in kurzen Vorträgen
      gen bietet ein ungewohntes Bild:      2020 diskutierten zum Thema Mieten-         in das Thema ein. Bartels beschrieb
      Im großen Konferenzraum der Lan-      deckel, genauer über die Auswirkungen       allgemein die Entwicklungen nach In-
desgeschäftsstelle des Paritätischen        des Gesetzes zur Mietenbegrenzung im        krafttreten des Mietendeckels. Zwar
Wohlfahrtsverbands Berlin verteilten        Wohnungswesen in Berlin, kurz Mieten-       habe dieser tatsächlich für eine deut-
sich nur sieben Gäste. Weitere 50 nah-      WoG.                                        liche Entlastung vieler Mieter gesorgt,
men über einen Internetlivestream teil         Darunter waren Dr. Sandra Ober-          die rechtliche Unsicherheit sei jedoch
und diskutierten im Chat mit.               meyer, von der Senatsverwaltung für         groß und die verfassungsrechtliche
   Oft hatte der Termin verschoben und      Stadtentwicklung und Wohnen, und            Situation noch völlig ungeklärt. Viele
die Planung geändert werden müssen,         Dr. Gab­riele Schlimper, Geschäftsführe-    Vermieter spekulierten darauf, dass der
sagte Regina Schödl, Fachreferentin für     rin des Paritätischen Berlin. Der Staats-   Mietendeckel keinen Bestand habe,
Eingliederungshilfe beim Paritätischen      sekretär für Arbeit und Soziales, Alexan-   und schrieben ungedeckelte Schat-
Berlin, zur Einführung. Nun konnte er       der Fischer, hatte leider wegen Krank-      tenmieten in die Mietverträge, die
endlich – in veränderter Form – statt-      heit absagen müssen. Daniela Radlbeck,      dann nachgezahlt werden sollen. Ob
finden.                                     Fachreferentin für Wohnungsnotfall-         in einem solchen Fall zum Beispiel das
   Die Salons Sozialer Träger organi-       hilfe beim Paritätischen Berlin, mode-      Jobcenter für Transferempfänger die
siert der Paritätische Berlin zusam-        rierte die Veranstaltung.                   Nachzahlungen übernehmen würde,
men mit der Agentur Inklusiv Woh-                                                       stünde in den Sternen. Der Mieterver-
nen im Rahmen der vom Gesamtver-            Entlastung, Unsicherheit und                ein hofft darauf, dass das Bundesver-
band ausgerichteten und angeregten          überraschende Vorteile                      fassungsgericht die Situation durch ein
Veranstaltungsreihe »Gutes Wohnen           Die Anwälte für Mietenrecht Sebas-          Okay zum Mietendeckel klärt. Prielipp
für alle – soziale Träger als Partner der   tian Bartels, vom Berliner Mieterver-       ging konkreter auf die Auswirkungen
Wohnungswirtschaft«. Die Gäste der          ein e. V., und Jan Prielipp, von SKW        für Trägerwohnen ein. Für sie gilt der

   Paritätischer Rundbrief — 4. Quartal 2020
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Landesgeschäftsstelle

Mietendeckel nicht. So würden die Trä-     IV beziehen, an. Das müsse unbedingt          Grundproblem der mangelnde Wohn-
ger nach Jahren der Verdrängung auf        verhindert werden. Man könne nicht            raum sei. Nach wie vor müssten Men-
dem Wohnungsmarkt zum Teil plötz-          erwarten, dass sie Geld für eventuelle        schen im betreuten Wohnen bleiben,
lich wieder zu gefragten Mietern, weil     Nachzahlungen zurücklegten. »Hartz-           weil sie keine eigene Wohnung finden.
sie höhere Mieten zahlen dürfen. Jan       IV-Haushalte sind keine Sparhaushalte«,       Dieses Problem werde durch den Mie-
Prielipp empfahl, diesen Wettbewerbs-      sagte Dr. Gabriele Schlimper. Die neuen       tendeckel nicht gelöst.
vorteil zu nutzen.                         ungewohnten Vorteile für Trägerwoh-             Die Diskussion machte die Chancen
                                           nungen bestätigte sie – wie auch an-          und die Notwendigkeit für viele Träger
Das Grundproblem: Zu wenig                 dere Diskussionsteilnehmer. Trotzdem          deutlich, mehr Wohnungen im betreu-
Wohnungen                                  gebe es weiterhin Kündigungen, weil           ten Wohnen zu sichern, indem sie Mie-
Dr. Gabriele Schlimper schloss sich der    die Eigentümer an andere Gewerbe zu           ten zahlen, die über den Vorgaben des
Warnung vor einer möglichen Kündi-         höheren Preisen vermieten können. Dr.         Mietendeckels liegen. Es wurde aber
gungswelle von Menschen, die Hartz-        Gabriele Schlimper hob hervor, dass das       auch angesprochen, dass man nicht die
                                                                                         eigene soziale Ausrichtung konterkarie-
                                                                                         ren und die Mieten in die Höhe treiben
Hybride Veranstaltung: 50 weitere Personen nahmen über einen                             wolle.
Livestream und im Chat teil                                   Foto: Sebastian Mehling
                                                                                         Dr. Gabriele Schlimper:
                                                                                         Der Zivilgesellschaft vertrauen
                                                                                         Neben der neuen Situation für Träger
                                                                                         und der weiter allgemein schwierigen
                                                                                         Lage durch den fehlenden Wohnraum
                                                                                         kamen vor allem zwei Themen zur Spra-
                                                                                         che: die hohen Bodenpreise, die dem
                                                                                         Neubau günstiger Wohnungen im Weg
                                                                                         stehen, und die hohen Gewerbemieten,
                                                                                         deretwegen besonders Beratungsstel-
                                                                                         len gekündigt werden. Über das Pro­
                                                                                         blem bestand Konsens. Über die Frage,
                                                                                         ob der Versuch einer Deckelung auch
                                                                                         bei den Berliner Gewerbemieten mach-
                                                                                         bar und sinnvoll sein könnte, gingen die
                                                                                         Meinungen auseinander.
                                                                                            Sandra Obermeyer erkannte die Pro-
                                                                                         bleme an. Der Wohnungsbau in Berlin
                                                                                         sei deshalb auf einem Höchststand. Die
                                                                                         städtischen Gesellschaften hätten die
                                                                                         besonderen Bedarfsgruppen dabei im
                                                                                         Blick. Zur Deckelung von Bodenpreisen
                                                                                         habe das Land »Ideen«. Um Gewerbe-
                                                                                         mieten einzuhegen, gibt es eine Berli-
                                                                                         ner Initiative im Bundesrat, die dort al-
                                                                                         lerdings keine Mehrheit findet.
                                                                                            In der Schlussrunde beschrieb Dr. Ga-
                                                                                         briele Schlimper, wie der Paritätische
                                                                                         Berlin in der schwierigen Lage seine Ak-
                                                                                         tivität erweitert und eine Wohnungs-
                                                                                         baugenossenschaft gegründet hat: »Ich
                                                                                         nenne es Selbsthilfe 2.0: Wir bauen jetzt
                                                                                         selbst.« Sie appellierte an das Land Ber-
                                                                                         lin, »der Zivilgesellschaft zu vertrauen«
                                                                                         und soziale Projekte bei der Gestaltung
                                                                                         von Wohn- und Sozialraum einzubin-
                                                                                         den. Damit sei Berlin bisher immer gut
                                                                                         gefahren.               Martin Thoma, freier Autor

Paritätischer Rundbrief — 4. Quartal 2020	                                                                                              13
Landesgeschäftsstelle

Übergabe von 50.000 Protestpostkarten
»Hauptstadtzulage für alle!«
Der Paritätische Berlin hat mit vielfältigen Aktionen auf die Ungleichbehandlung in der Auszahlung hingewiesen
und eine Zahlung für alle gefordert

Übergabe der Postkarten an die Fraktionsvorsitzenden                                                               Foto: Holger Groß

S
       eit dem 1. November 2020 erhal-       Veranstaltungen, wie dem Zukunftsdia-        Für eine Protestaktion haben wir
       ten Beschäftigte im öffentlichen      log der Linken, in SPD-Gesprächen etc.,   100.000 Karten drucken lassen und an
       Dienst in Berlin eine sogenannte      gegen die einseitige Bevorzugung ge-      500 Mitgliedsorganisationen aus dem
Hauptstadtzulage von 150 Euro monat-         wendet.                                   Bereich Kita mit rund 45.000 Betreu-
lich. Das hat der Senat am 8. September        Über den Beschluss zur Hauptstadt-      ungsplätzen verteilt. Mitarbeitende wie
2020 so beschlossen. Die Zulage wird         zulage sind wir genauso empört wie        Eltern haben die Karten mit der Forde-
auch den Beschäftigten der Eigenbe-          die Vertreterinnen und Vertreter unse-    rung »Hauptstadtzulage für alle« unter-
triebe und der Betriebe nach Paragraf 26     rer Mitgliedsorganisationen, und wir      schrieben. Die ersten 50.000 Protest-
LHO gewährt.                                 werden nicht aufhören, uns zu positio-    postkarten wurden am 27. Oktober
   Der Wohlfahrtsverband Berlin hat die      nieren, wie unter anderem in der rbb-     2020 vor dem Roten Rathaus an Vertre-
Hauptstadtzulage für den öffentlichen        Abendschau vom 18. September 2020         terinnen und Vertreter der Regierungs-
Dienst direkt nach dem Bekanntwer-           oder im Brief an die jugendpolitischen    koalition übergeben. Die Fraktionsvor-
den der Pläne und seither immer wie-         Sprecherinnen und Sprecher im Abge-       sitzenden Raed Saleh (SPD), Silke Gebel
der kritisiert. Gemeinsam mit der Liga       ordnetenhaus. Viele unserer Mitglieder    (Bündnis90/Die Grünen) und Cars-
haben wir im Mai 2020 auf einer Pres-        haben sich bereits ebenso kritisch zu     ten Schatz (Die Linke) nahmen sie ent-
sekonferenz Heldenprämie und Haupt-          Wort gemeldet und protestiert. Das be-    gegen.
stadtzulage als Ungleichbehandlung           grüßen wir sehr, denn nur gemeinsam          Rund 120 Personen hatten sich für die
kritisiert, haben uns dazu in diversen       können wir erreichen, dass die Arbeit     Übergabe vor dem Roten Rathaus ver-
Nachrichtenformaten, etwa bei rbb24,         der Beschäftigten freier gemeinnütziger   sammelt und forderten lautstark eine
in der rbb-Abendschau vom 13. August         Träger genauso wertgeschätzt wird, wie    »Hauptstadtzulage für alle!«, darunter
2020 und anderen, in den digitalen so-       die der Beschäftigten im öffentlichen     waren Erzieherinnen und Erzieher aus
zialen Netzwerken und in politischen         Dienst!                                   Kitas freier Träger sowie Eltern und Ver-

   Paritätischer Rundbrief — 4. Quartal 2020
14	
Landesgeschäftsstelle

treterinnen des Paritätischen Wohl-
fahrtsverbands Berlin.
  Der Paritätische Berlin und seine Mit-
gliedsorganisationen stehen für glei-
che Bedingungen ein, die es allen Kita-
trägern ermöglicht, Arbeit auch gleich
zu bezahlen. Eine gute und gleiche Be-
zahlung ist notwendige Voraussetzung
zur Überwindung des Fachkräfteman-
gels, der die soziale Zukunft Berlins
akut bedroht. Die Hauptstadtzulage
spaltet, anstatt zu einen. Parallel liefen
unsere Social-Media-Protestaktionen
in den digitalen sozialen Netzwerken
Facebook und Twitter mit den Hash-
tags #NichtOkayR2G und #WirSindEin-              Beim Packen und Versenden der Postkarten: Kitareferentin Sabine Radtke und
Berlin.                                         Kitareferent André Borgmann                                           Foto: Kathrin Zauter

70 Jahre Paritätischer Berlin in Bildern

 Aufnahme der Vernissage für Facebook Live                                                                                 Foto: Martin Hoyer

Am 21. September 2020 haben wir unsere Vernissage zur Fotoausstellung coronakonform auf Facebook live übertragen. Fotograf und
Kurator Martin Thoma führte unsere Geschäftsführerin Dr. Gabriele Schlimper (l.) dabei durch die Tagungsräume des Landesverbands in der
Brandenburgischen Straße 80. Von der Gründungsurkunde über prägende Persönlichkeiten bis hin zu herausragenden Treffen, Demonstra-
tionen und Veranstaltungen sprachen beide über die Meilensteine der Verbandsgeschichte. Lust auf eine Führung? Hier zum Nachschauen:
https://www.facebook.com/ParitaetBerlin/videos/329723248477298/ oder hier: https://www.berlinbessermachen.de/70jahre

                                                                           Ein Foto in der Ausstellung:
                                                                           »Spree-Demo« im September 2003 – Protestzug von
                                                                           29 Schiffen gegen die Kürzungen des Berliner Senats im
                                                                          ­Bereich Jugendhilfe
                                                                          Foto: Petra Engel

Paritätischer Rundbrief — 4. Quartal 2020	                                                                                                  15
Landesgeschäftsstelle

                                              70 Jahre Paritätischer Berlin
                                              Uns haben weiterhin zahlreiche Geburtstagsgrüße erreicht. Hier zeigen wir eine Auswahl – und sagen Danke!
                                              Sie sind uns Ansporn für künftiges Engagement

                                         A
                                                      m 23. Mai 1950 wurde der Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin im Hörsaal der Kinderklinik im Kaiserin-
                                                      Auguste-Viktoria-Haus in Charlottenburg von damals zwölf Organisationen gegründet. In den vergange-
                                                      nen 70 Jahren entwickelte sich der Verband zum größten Wohlfahrtsverband Berlins mit heute mehr als
                                              800 Mitgliedsorganisationen aus vielen, ganz verschiedenen sozialen Bereichen. Sie alle arbeiten für ein soziales
                                              Berlin. Wie haben sie die Stadt mitgeprägt? Bereits in Rundbrief 3/2020 haben wir zahlreiche Glückwünsche
                                              von – internen wie externen – Gratulanten veröffentlicht, was wir auch diesmal wieder machen.

                                                                              »Es gibt eine Fülle von Dienstleistungen, ohne die unsere Gesellschaft nicht denkbar wäre. Sie
Foto: Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf

                                                                              würde irgendwie funktionieren, lebenswertes Leben entsteht aber nur, weil es Menschen gibt,
                                                                              die sich zusätzlich und oft für andere Menschen einsetzen. Unter dem Dach des Paritätischen
                                                                              Wohlfahrtsverbands Berlin gibt es 780 eigenständige, gemeinnützige Organisationen, in
                                                                              denen sich Tausende hauptberuflich und ehrenamtlich für ein soziales Berlin engagieren. Seit
                                                                              70 Jahren bündeln sie eine enorme integrative und verbindende Strahlkraft für gesellschaft-
                                                                              liche Vielfalt und sind als Sprachrohr von oftmals Benachteiligten unverzichtbar. Zu seinem
                                                                              70-jährigen Bestehen gratuliere ich dem Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin und allen sei-
                                                                              nen haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern sehr herzlich!«
                                                                              Reinhard Naumann, Bezirksbürgermeister Charlottenburg-Wilmersdorf

                                                                        »Ich gratuliere Frau Prof. John                                   »Der Paritätische Wohlfahrtsver-
Foto: Bezirksamt Reinickendorf

                                                                                                             Foto: Uwe Steinert

                                                                        und Ihrem Team herzlich zum                                       band Berlin wird 70 Jahre alt. Das
                                                                        Verbandsjubiläum. Unser Ge-                                       bedeutet 70 Jahre Frieden, 70
                                                                        meinwesen wäre ohne Ihr wert-                                     Jahre Engagement für eine gleich-
                                                                        volles Engagement in der freien                                   berechtigte und gleichwertige Ge-
                                                                        Wohlfahrtspflege undenkbar. Ich                                   meinschaft und seit 70 Jahren eine
                                                                        wünsche Ihnen im Namen des                                        gute Partnerschaft für das Land
                                                                        Bezirks Reinickendorf alle Gute!«                                 Berlin. Herzliche Glückwünsche!«
                                                                        Frank Balzer, Bezirksbürger­                                      Carolina Böhm, Bezirksbürgermeis-
                                                                        meister Reinickendorf                                             terin Steglitz-Zehlendorf

                                                     »Dem Paritätischen Berlin wünsche ich für die Zukunft weiterhin
                                                                                                                                                                               Foto: Beate Laudzim

                                                          ­Respekt, Toleranz und ­Offenheit. Mit Ihren Organisationen,
                                                  Mitarbeitenden und vielen Ehrenamtlichen sind Sie aus Berlin nicht
                                                        wegzudenken! Ihre Arbeit ist systemrelevant – und das nicht
                                                                          erst seit Corona. Herzlichen Glückwunsch!«
                                                                 Oliver Igel, Bezirksbürgermeister Treptow-Köpenick

                                                 Paritätischer Rundbrief — 4. Quartal 2020
                                              16	
Landesgeschäftsstelle

                                                                    »Glückwunsch und Dank für 70 Jahre im Dienst für die Berlinerinnen und Berliner.
Foto: privat

                                                                    Die Paritäter sind mit ihrer fachlichen und organisatorischen Beratung der vielen
                                                                    sozial engagierten und gemeinnützigen Vereinigungen ein Eckpfeiler im Bemühen
                                                                    um menschliches Miteinander, nicht wegzudenken in der einst gespaltenen und
                                                                    dann wiedervereinigten Stadt. Beachtenswert für den Berliner Landesverband war
                                                                    immer der ausgewogene fachliche Rat und der Blick auf die Herausforderungen der
                                                                    ganzen Stadt.«
                                                                    Eberhard Diepgen, von 1991 bis 2001 Regierender Bürgermeister von Berlin

                                                                                                                                                                    Foto: Holger Groß
                                              »Eine Metropole wie Berlin braucht verschiedenste soziale Organisationen,
                                             die für Werte wie Offenheit, Toleranz und Respekt einstehen. Aus dieser Viel-
                                               falt entsteht unsere gemeinsame Kraft, die es nach außen zu bündeln und
                                                                  nach innen zu stärken gilt. Dafür steht der Paritätische.«
                                                                                      Malte Andersch, Vorstandsmitglied
Foto: René Löffler

                                                                    »Die Berliner Stadtteilzentren haben mit dem Paritätischen ­Berlin einen starken
                                                                    und verlässlichen Partner an ihrer Seite. Gemeinsam sorgen wir dafür, dass Ber-
                                                                    lin für alle Menschen eine ­lebenswerte und soziale Stadt bleibt – offen für alle.«
                                                                    Thomas Mampel, Geschäftsführer Stadtteilzentrum Steglitz

                     Schlange stehen für Masken

                     Der Paritätische Landesverband Berlin hat eine Großspende an Einwegmasken vom Gesamtverband, vermittelt von der Bundesregie-
                     rung, erhalten. Diese Masken wurden im September 2020 an unsere Mitglieder verteilt – bis zu 2000 Stück je Organisation. Die Masken
                     werden dringend gebraucht, um Angebote für Klienten und Besucherinnen aufrechterhalten zu können.                         Foto: Nina Peretz

                     Paritätischer Rundbrief — 4. Quartal 2020	                                                                                              17
Landesgeschäftsstelle

      berlinbessermachen

E
     s macht uns selbst große Freude, die Menschen aus unse-             bessermachen unter unseren Mitgliedern und darüber hinaus
     ren Mitgliedsorganisationen vorzustellen, die #berlin-              einen so großen Anklang findet.
     bessermachen, egal, aus welchem sozialen Bereich, egal,
ob haupt- oder ehrenamtlich – es ist beeindruckend und es
inspiriert. Das ist auch das Ziel der Aktion: zu zeigen, dass es           Wissenswertes
sich lohnt, sich einzubringen, gemeinsam #berlinbesserma-                  Die Website finden Sie unter: www.berlinbessermachen.de
chen! Schauen Sie auf unsere Website berlinbessermachen.de
                                                                           Wenn Sie Ideen, Anregungen oder Informationen für #berlin­
und hören Sie sich die dazugehörige Podcastserie #berlinbes-
                                                                           bessermachen haben, dann schicken Sie uns eine E-Mail mit dem
sermachen auf Spotify oder Apple Podcasts an. Und danke für                Stichwort #berlinbessermachen an: presse@paritaet-berlin.de
das tolle Feedback, wir freuen uns, dass unsere Aktion #berlin-

»Unsere Aufgabe ist es, Familien zu entlasten, schwer kranke Kinder auf ihrem Lebensweg
zu begleiten und ihnen Dinge zu ermöglichen.«
Philipp Ramm, Gesundheits- und Krankenpfleger im Sonnenhof – Hospiz für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene der Björn Schulz Stiftung

E
      igentlich wollte Philipp Ramm Heb-
      amme werden. Daraus wurde nichts
      – doch die Arbeit, die er seit elf Jah-
ren macht, ist seinem ursprünglichen Be-
rufsziel näher, als es scheint. Als Pfleger im
Kinderhospiz Sonnenhof begleitet er Fa-
milien mit lebensverkürzend erkrankten
Kindern und durchlebt mit ihnen inten-
sive Momente. »Ich wollte immer mit Kin-
dern arbeiten und etwas Besonderes ma-
chen«, erzählt er. Oder mit den Worten der
Begründerin der modernen Hospizbewe-
gung Cicely Saunders: Nicht dem Leben
mehr Tage geben, sondern den Tagen
mehr Leben. Das bringt auf den Punkt,
was Philipp Ramms Arbeit ausmacht: »Kin-
der sind wissbegierig und wollen was er-
leben. Unsere Aufgabe ist es, Familien zu
entlasten und auf ihrem Lebensweg zu be-               Phillip Ramm                                                     Foto: Björn Schulz Stiftung
gleiten, Dinge zu ermöglichen, Freiräume
zu schaffen.« Manchmal heißt das, mit
dem kranken Kind einen Ausflug zu ma-            Ende eines solchen Weges entgegen-               wollen, bereitet die Eltern auf das vor, was
chen, damit die Eltern Zeit für sich oder        schlägt – das sind schon beeindruckende          kommt.
die Geschwisterkinder haben. Manchmal            Erlebnisse.« Als Pfleger im Krankenhaus            Das Sterben nicht zu tabuisieren und
gibt es nächtliche Kochsessions, wenn sich       wäre all das undenkbar: Zeit, um herumzu-        offen darüber zu sprechen – das zu vermit-
das ein Kind wünscht und es ihm zu die-          albern, laut Musik zu machen, sich auf die       teln, ist Philipp Ramm ein Anliegen, nicht
ser Zeit besser geht. Einmal zwängte Phi-        Kinder und Jugendlichen einzulassen. Im          nur gegenüber seinen Gästen. Auch die
lipp Ramm sechs Matratzen in das Zim-            Kinderhospiz Sonnenhof nimmt man sich            Gesellschaft würde davon profitieren, fin-
mer eines sterbenden Kindes, damit die-          die Zeit, zu leben. Aber eben auch zu ster-      det er. Blutrünstige Krimis gibt es zuhauf,
ses seine letzten Momente in der Nähe der        ben. »Wir sind eine Einrichtung, die den         aber ernsthaft über den Tod reden will nie-
weit angereisten Verwandten verbringen           Tod als Teil des Lebens betrachtet«, sagt        mand. Dabei gehört er zum Leben wie die
konnte. »Geht nicht gibt‘s bei uns nicht«,       Philipp Ramm. Er hört zu, wenn die Kin-          Geburt.
sagt er. »Die Dankbarkeit, die einem am          der über den bevorstehenden Tod reden                                          Nina Roßmann, Autorin

   Paritätischer Rundbrief — 4. Quartal 2020
18	
Landesgeschäftsstelle

»Die soziale Arbeit sollte eine höhere Akzeptanz und Relevanz haben,
auch, wenn es um deren Finanzierung geht.«
Martina Sawaneh, Leiterin des Kieztreffs Lichterfelde-Süd, Stadtteilzentrum Steglitz

R
      iesige Hochhäuser ste-          Tag hier sitzen, weil sie jeman-       Menschen zu tun«, erzählt sie.
      hen rund um den Kiez-           den zum Reden brauchen«, sagt          Zurück in Deutschland enga-
      treff Lichterfelde-Süd. Hier    die 43-Jährige. Aber auch allein-      gierte sie sich in der Flüchtlings-
in der Thermometersiedlung            erziehende Mütter und Geflüch-         arbeit. »Da habe ich gemerkt,
sind sie bis zu 16 Etagen hoch.       tete, die ab 2015 kamen, gehö-         dass ich nicht acht oder neun
Zwischen dem Beton befindet           ren zum Kieztreff. So ist ein ira-     Stunden am Tag im Büro sit-
sich der Treff mit seiner grünen      kischer Vater, der mit seinem          zen kann, damit der Chef einen
Oase – ein interkultureller Gar-      Sohn und ohne Deutschkennt-            neuen Ferrari hat«, sagt sie.
ten, 100 Quadratmeter groß.           nisse in Berlin ankam, »jetzt ein         Der Kieztreff ist für Martina             Martina Sawaneh
Hier arbeitet Martina Sawaneh.        absoluter Bestandteil des Kiez-        Sawaneh ein wichtiger Ort der                Foto: Cathleen Herwarth von Bittenfeld
Seit 2018 leitet sie den Kieztreff.   treffs«. Er hilft im Garten, kocht     Begegnung und für Projekte
»Das ist noch ein echter Kiez.        und repariert und will den Men-        wie dem neuesten, bei dem Ju-                sozialen Wohnraum, die Mie-
Hier gibt es ganz verschiedene        schen, die ihn auffingen, etwas        gendliche älteren Menschen                   ten sind zu teuer. Da muss was
Gruppen, wir führen sie zusam-        zurückgeben. Wenn Martina Sa-          zeigen, mit Smartphones und                  passieren.« Wenn Menschen
men, hören zu, beraten, unter-        waneh, die als Industriekauffrau       Tablets umzugehen. »Die so-                  mit geringem Einkommen bei
stützen«, fasst sie ihre Aufgabe      ins Berufsleben startete, solche       ziale Arbeit sollte eine höhere              der Wohnungssuche gar keine
zusammen.                             positiven Entwicklungen sieht,         Akzeptanz und Relevanz haben,                Chance haben, dann ärgert das
   Zu ihren Besuchern gehö-           weiß sie, warum sie heute lieber       auch wenn es um deren Finan-                 die Leiterin des Kieztreffs: »Ich
ren viele Ältere; Einsamkeit ist      im sozialen Bereich arbeitet.          zierung geht«, sagt sie. Auch an             wünsche mir, dass Vermieter an-
ein großes Thema. »Wir haben             »Ich habe lange in Kanada           die Politik hat Martina Sawaneh              ders damit umgehen.«
viele Menschen, die den ganzen        gearbeitet, hatte dort viel mit        einen Wunsch: »Es gibt zu wenig                              Dominique Hensel, Autorin

»Berlin muss noch einige Barrieren auf den Straßen und in den Köpfen beseitigen.«
Janine Malik, Mitarbeiterin für Öffentlichkeitsarbeit in der Geschäftsstelle der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) Berlin

V
        or vier Jahren wurde Ja-      einen monatlichen Stammtisch           Aktionen von Verbänden sein.
        nine Malik von einer Fuß-     ins Leben. Weil er Betroffene          Im Zusammenhang mit Corona
        gängerin zur Rollstuhl-       und Angehörige aus der gan-            war die Frage, ob MS-Erkrankte
fahrerin. Zu dem Zeitpunkt            zen Stadt anzog, fand er bald          besonders gefährdet seien und
lebte sie bereits 14 Jahre mit        drei Nachfolger: im Süden, im          worauf sie achten müssten.
Multipler Sklerose (MS). Als Roll-    Osten und einen englischspra-             Janine Malik ärgerte es, dass
stuhlfahrerin veränderte sich ihr     chigen. Einmal im Jahr treffen         es zunächst keine Informatio-
Blick auf ihr Umfeld. Das Kopf-       sich die vier Gruppen zu einem         nen in Gebärdensprache gab.
steinpflaster konnte sie kaum         großen Fest, fast 100 Menschen.        »Hier werden Menschen behin-
überqueren. Die Behinderten-          »Sie fühlen sich angenommen            dert, gleichberechtigt am ge-
toiletten im Einkaufszen­   trum      und verstanden, und es macht           sellschaftlichen Leben teilzu-
erreichte sie nur, nachdem            mich glücklich, dazu beizutra-         haben. Das darf nicht sein«, ist
sie zuvor zwei verschiedene           gen«, kommentiert die unter-           sie überzeugt. Noch gebe es
Fahrstühle benutzt hatte. Das         nehmungslustige Frau.                  baulich, sprachlich und in den
schrieb sie einem Reinicken-             Heute leistet sie für die DMSG      Köpfen in Berlin etliche Barrie-
dorfer Kommunalpolitiker. Der         Berlin Öffentlichkeitsarbeit in        ren, findet sie. Ehrenamtliche
nahm ihre Kritik auf und sorgte       den sozialen Medien. Wie in            sieht sie vom Senat nicht aus-
daraufhin für geteerte Über-          ihrem ursprünglichen Beruf             reichend unterstützt, bekom-
gänge an Kreuzungen.                  geht es um feinfühligen Kontakt.       men diese doch oft nicht mal
   Die 38-Jährige suchte Gleich-      »Ich poste, was uns alle angeht«,      die Sachmittel für ihre Projekte.
gesinnte, die wie sie lachen          erklärt die Friseurmeisterin. Das      Es bleibt also tun für Menschen
und leben wollen, auch mit MS.        können neue Erkenntnisse über          wie Janine Malik viel zu tun.
Im Norden von Berlin rief sie         Multiple Sklerose ebenso wie                             Barbara Leitner, Autorin   Janine Malik               Foto: privat

Paritätischer Rundbrief — 4. Quartal 2020	                                                                                                                    19
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