Tatort Museum: Die außergewöhnliche Geschichte eines gestohlenen Schmetterlings am Museum A. Koenig
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KOENIGIANA Band 14 (1) 2020 23–30 Bonn, Mai 2020 ISSN 2627-0005 Tatort Museum: Die außergewöhnliche Geschichte eines gestohlenen Schmetterlings am Museum A. Koenig André Koch Über spektakuläre Diebstähle von Museums führe und bei diesen Gelegen- Kunstwerken und Juwelen, wie jüngst im heiten sehr gerne über die umfangreichen „Grünen Gewölbe“ des Residenzschlosses wissenschaftlichen Sammlungen erzähle, in Dresden, wird von Zeit zu Zeit immer wie- betrifft dies unter anderem aufgrund der der in den Medien berichtet. Auch Romane Logistik jedoch ausschließlich die Abteilun- und Verfilmungen gibt es zu diesem span- gen der Ornithologie und der Herpetologie. nenden Thema etliche. Dass jedoch auch Zwar war mir bekannt, dass das Museum Naturkundemuseen zum Tatort von aufse- Koenig mit über zwei Millionen Exemplaren henerregenden Kriminalfällen werden, ist eine der größten Schmetterlingssammlun- eher die Ausnahme. Dennoch kam es zum gen in Deutschland beherbergt (Blume et al. Beispiel in der Nacht vom 16. auf den 17. 2010) – nur die Käfersammlung des ZFMK Mai 2013 zu einem Einbruch ins Museum ist noch umfangreicher –, doch am inter- Koenig, bei dem das Breitmaulnashorn (Ce- essantesten für die Besucher ist meist die ratotherium simum) in der afrikanischen besondere Geschichte einzelner Exemplare. Savanne, welches Alexander Koenig 1913 für sein im Aufbau befindliches Naturkun- Da fiel mir ein, dass ich vor Jahren, als ich demuseum erworben hatte, seiner beiden noch neu als Diplomand am Museum Koe- Hörner beraubt wurde (Klingelhöfer & Paul nig war und mich erst langsam in die Mu- 2013). Doch von dieser traurigen Geschich- seumspädagogik einarbeitete, von einem te soll hier nicht die Rede sein, sondern von wertvollen Schmetterling gehört hatte, wel- der eines kleinen Schmetterlings, die weit cher aus der ZFMK-Sammlung gestohlen positiver verlief, und darauf stieß ich fol- worden war und – um das bekannte Happy gendermaßen: End der Geschichte bereits vorweg zu neh- men – glücklicherweise viele Jahre später Anlässlich einer Führung für Mitglieder des zurück nach Bonn gelangte. Also begann Bonner Uni-Clubs durch das Museum Koe- ich zu recherchieren und möchte diese nig am 5. Februar 2020, die von Professor spannende Episode aus den wissenschaft- Wolfgang Wägele initiiert worden war, wur- lichen Sammlungen des Museum Koenig, de ich aufgrund der großen Nachfrage kon- die zum Teil auch Einzug in die damalige taktiert, ob ich eine von drei Gruppen über- Presse gehalten hat, mit den Leserinnen nehmen könnte. Da der geplante Rundgang und Lesern der Koenigiana teilen. auch die Schmetterlingssammlung im Clas- Naumann-Bau einschließen sollte, überlegte Der bedeutendste Teil der Schmetter- ich, was ich den Teilnehmern der Führung lingssammlung des ZFMK geht auf die hierzu erzählen könnte. Denn obwohl ich Privatsammlung des Kaufmanns und im Rahmen meiner museumspädagogi- Amateur-Lepidopterologen Hermann Höne schen Tätigkeiten regelmäßig auch Be- (1883–1963; Abb. 1) zurück, der von suchergruppen „hinter die Kulissen“ des 1946 bis zu seinem Tod im Jahr 1963 als
24 André Koch wurde Hermann Höne am 15. Dezember 1936, seinem 53. Geburtstag, die Ehren- doktorwürde der Universität Bonn verlie- hen. Bei dem besagten außergewöhnlichen Schmetterling der ZFMK-Sammlung han- delt es sich nicht etwa um einen schillernd blauen Morphofalter aus den südamerikani- schen Tropen, wie ich irrtümlich angenom- men hatte, sondern um einen Apollofalter der Gattung Parnassius Latreille, 1804. Eine nah verwandte Art, der in Europa zwar weit verbreitete, jedoch heute stark be- drohte und streng geschützte (rote) Apol- lofalter Parnassius apollo (Linnaeus, 1758), ist mit einer endemischen Unterart, dem Mosel-Apollo (Parnassius apollo vinningen- sis Stichel, 1899), nicht weit von Bonn ent- fernt im unteren Moseltal zu finden. Die- se Population zwischen der Typuslokalität Winningen und der Ortschaft Bremm ist ei- Abb. 1. Der bedeutendste Teil der Lepidop- nes der letzten Vorkommen dieses schönen teren-Sammlung des Museum Koenig geht auf Schmetterlings in Deutschland (Nakonieczny die Privatsammlung von Hermann Höne (1883– et al. 2007, Mader 2014). 1963) zurück. Darunter befand sich auch der seltene Apollofalter Parnassius (acco) przewal- skii. Foto: aus Mannheims (1964). Schmetterlingskurator am Museum Koe- nig tätig war (Mannheims 1964, Back 1977). Seine Sammlung umfasst etwa 500.000 Exemplare aus China, wo Höne mit Unter- brechungen von 1918 bis 1946 als techni- scher Leiter von AGFA arbeitete und seine Freizeit nutzte, um die Schmetterlingsfauna dieses großen und bis dato lepidopterolo- gisch unerforschten Landes zu erfassen. Zur Unterstützung bildete er Chinesen zu kompetenten Schmetterlingssammlern aus Abb. 2. Das Typusexemplar von Parnas- und schickte sie in entlegene Gebiete des sius (acco) przewalskii, welches 1981 aus der ZFMK-Sammlung gestohlen wurde und – glück- riesigen Reichs der Mitte. Ursprünglich um- licherweise – 2003 aus Japan wieder zurück fasste die Sammlung wahrscheinlich über nach Bonn gelangte. Foto: ZFMK. eine Million Exemplare, doch gut die Hälfte wurde mutwillig von chinesischen Solda- Ihre höchste Artendichte erreichen die ten zerstört (Niethammer 1964). Dennoch zu den Ritterfaltern (Papilionidae) gehö- stellt die Sammlung Höne wahrscheinlich renden Apollos in der östlichen Paläarktis die umfangreichste Sammlung chinesi- von Pakistan über Zentralasien bis China scher Schmetterlinge außerhalb Chinas dar (Weiss 1991–1999). So stammt auch der (D. Stüning, pers. Mittl.). In Anerkennung (einst) sehr seltene Parnassius przewalskii seiner herausragenden Sammeltätigkeit aus Tibet und West-China (Abb. 2), wo
Tatort Museum: Geschichte eines gestohlenen Schmetterlings am ZFMK 25 er ausschließlich in hohen Gebirgslagen vorkommt. Namenspatron dieser charis- matischen Schmetterlingsart war der be- kannte russische Offizier und Forschungs- reisende Nikolai Michailowitsch Prschewalski (1839–1888), für dessen Familiennamen etliche Schreibvarianten existieren (Abb. 3). Berühmt wurde Prschewalski durch seine Entdeckungsreisen nach Zentralasien und deren umfassende wissenschaftliche Aus- beute. Neben etlichen Pflanzen wurden unter anderem alleine sechs Echsenarten – und am bekanntesten sicherlich das Prsche- walski-Pferd (Equus [ferus] przewalskii) – ihm zu Ehren benannt (Poljakow 1881). Nicht unerwähnt soll die Tatsache bleiben, dass Prschewalskis Einstellung und Vorgehen gegenüber der angestammten Bevölkerung der Gebiete, welche er bereiste, als impe- rialistisch und vorurteilsbehaftet angesehen werden muss (Meyer & Blair Brysac 1999). Abb. 3. Nikolai Prschewalski (1839–1888), der Namenspatron des seltenen Apollofalters. Der seltene Parnassius przewalskii wur- Während seiner vierten Forschungsreise ins ti- de am 2. Juli 1884 während Prschewalskis betische Hochland wurden die drei ersten Exem- vierter Forschungsreise im Burchan-Bud- plare dieser Schmetterlingsart gefangen. dha-Gebirge (was Gott Buddha bedeutet) Foto: www.wikipedia.de. in der chinesischen Provinz Qinghai des tibetischen Hochlandes entdeckt. Nur drei Dass dieser seltene Schmetterling irgend- Exemplare dieses Apollofalters (ein Männ- wann in den folgenden Jahren (wahrschein- chen und zwei Weibchen) konnten ge- lich 1981) gestohlen wurde, blieb zunächst fangen werden und gelangten zusammen unbemerkt. Erst im Herbst 1983 machte mit dem übrigen Sammlungsmaterial ans ein Gastwissenschaftler aus Japan Dieter Zoologische Museum in Sankt Petersburg, Stüning, der seit Anfang desselben Jahres wo es wissenschaftlich ausgewertet und Schmetterlingskurator am Museum Koenig bearbeitet wurde. Basierend auf diesen drei war, darauf aufmerksam, dass ein japani- Originalexemplaren beschrieb der russische scher Insektenhändler einige Monate zuvor Entomologe Sergej Alphéraky (1850–1918) ein Exemplar des wohl seltensten Schmet- im Jahr 1887 eine neue Schmetterlingsart terlings der Welt, des Prschewalski-Apollo- unter dem Namen Parnassius przewalskii falters, in der philippinischen Hauptstadt (Alphéraky 1887). Von Steiner (2015b) erfah- Manila von einem deutschen Schmetter- ren wir, dass Hermann Höne eines der drei lingssammler erworben habe (Heine 2003). Typusexemplare (genauer gesagt einen Seine spektakuläre Errungenschaft hatte Paratypus) in den 1940er Jahren für seine der Händler in einer japanischen Amateur- private Sammlung erwarb und es so letzt- zeitschrift unter dem vielsagenden Titel “I endlich ans Museum Koenig nach Bonn got Przewalskii!“ kundgetan, um potenti- gelangte. Hier wurde es von internationa- elle Interessenten darauf aufmerksam zu len Wissenschaftlern wiederholt zu Ver- machen. gleichszwecken konsultiert und fotografiert (Abb. 2), vor dem Diebstahl zuletzt 1979.
26 André Koch Ich vermute, dass Apollofalter aufgrund ih- Obwohl der Aufenthaltsort des gestohle- res Farbmusters aus großen roten Flecken nen Schmetterlings also bekannt war und auf weißem Untergrund, das entfernt an trotz bestehender Rechtshilfeabkommen die Nationalflagge Japans erinnert, die auf mit Japan, sah sich der Käufer im Recht Japanisch 日章旗 [Nisshōki] ‚Sonnenwap- und wollte seinen seltenen Sammlungszu- penflagge‘ oder auch 日の丸 [Hi no Maru] gang nicht wieder hergeben. Auch Interpol ‚Sonnenscheibe‘ genannt wird (Der landes- war machtlos. Die delikate Angelegenheit eigene Name Nippon für Japan bedeutet im sprach sich schnell unter japanischen Ento- Übrigen „Ursprung der Sonne“, woher sich mologen herum, doch Jahre vergingen die Bezeichnung „Land der aufgehenden und nichts geschah. Da dies unter den Sonne“ ableitet), begehrte Sammlerstücke Lepidopterologen bald als eine Art natio- vor allem bei japanischen Schmetterlings- naler Schande empfunden wurde, nahm liebhabern sind. Und wie so oft gilt auch sich schließlich Professor Dr. Keiichi Omo- hier die Devise: Je seltener, desto begehrter to, ein Humangenetiker und Schmetter- und folglich wertvoller. So soll denn auch lingsexperte aus Osaka, der in Heidelberg der Prschewalski-Apollofalter damals für den studiert hatte, der Sache an. Eines seiner angeblichen Kaufpreis von umgerechnet Forschungsgebiete ist die Gattung Parnas- circa 14.000 Euro in die Privatsammlung ei- sius (Omoto et al. 2009). Über einen Freund nes japanischen Millionärs gelangt sein. gelang es ihm nach einem Jahr Kontakt zu dem wohlhabenden Käufer aufzuneh- Ein fachkundiger Blick in die ZFMK-Samm- men und ihn zum Abendessen zu treffen. lung bestätigte schnell die Vermutung: das Nachdem Professor Omoto das Vertrauen Bonner Exemplar dieser besonderen Spe- des Sammlers gewonnen hatte, durfte er zies, von der damals noch immer lediglich einige Zeit später sogar die Privatsammlung drei Individuen weltweit bekannt waren, des Millionärs und den seltenen Prschewal- war gestohlen worden! Da der Täter die ski-Apollofalter besichtigen. Anhand von entstandene Lücke im Sammlungskasten Fotos ließ sich zweifelsfrei nachweisen, dass durch ein Exemplar einer täuschend ähnlich es sich um das Exemplar aus dem Museum aussehenden Schmetterlingsart kaschiert Koenig handelte (Steiner 2015b). und sogar die Originaletiketten an den Ersatz gesteckt hatte, blieb der Diebstahl Dank Professor Omotos diplomatischen am ZFMK lange Zeit unbemerkt. Allem An- Geschickes ließ sich der Privatsammler schein nach war also ein wahrer Kenner am schließlich überzeugen, den Schmetterling Werk gewesen. Sogleich stellte Dr. Stüning zurückzugeben (Omoto 2005), so dass das umfangreiche Recherchen an, um die Tat außergewöhnliche Insekt in einer Feierstun- zu rekonstruieren. Korrespondenzen der de und unter großem medialen Interesse vergangenen Jahre und das Gästebuch der dem Museum Koenig wieder übergeben Schmetterlingsabteilung sowie diverse an- werden konnte (Abb. 4). Die entsprechen- dere Quellen wurden herangezogen, um de Pressemitteilung wurde vom ZFMK zwar herauszufinden, wer als potentieller Dieb am 1. April 2003 herausgegeben (Heine in Frage kam. Letztendlich gelang es Dieter 2003), doch in diesem Fall handelte es sich Stüning aufzuklären, wohin der vermisste nicht um einen April-Scherz. Am folgenden Falter gelangt war, und brachte den kri- Tag, war es endlich soweit: Nach 22 Jahren minellen Vorfall zur Anzeige, doch leider kehrte Prschewalskis Apollofalter nach Bonn reichten die Beweise für eine Anklage nicht zurück und die Tagespresse berichtete hier- aus. über (Agthe 2003, Pichler 2003). Prof. Omo- to wird in den Medien mit den folgenden
Tatort Museum: Geschichte eines gestohlenen Schmetterlings am ZFMK 27 len Zugriffen sicher waren, sind mittlerweile verschwunden. Laut Steiner (2015b) herrscht unter Lepidop- terologen Konsens darüber, wer der Lang- finger war, der sich in den 1980er Jahren auf kostbare Schmetterlinge spezialisiert hatte, doch fehlten eindeutige Beweise, um ihn dingfest zu machen. Nachdem besagte Person lange Zeit nicht in Erscheinung ge- treten ist, werden seit einigen Jahren jedoch sogar wieder wissenschaftliche Arbeiten des kriminellen Kollegen von einigen Zeit- schriften veröffentlicht (Steiner 2015b); es scheint Gras über die Sache gewachsen zu Abb. 4. Die feierliche Rückführung des sein. Der immaterielle Schaden, der durch seltenen Apollofalters fand am 2. April 2003 das Verschwinden wichtiger Exemplare von statt. Neben Professor Dr. Clas M. Naumann (1939–2004), dem ehemaligen Direktor des seltenen Arten für die Wissenschaft ent- ZFMK, sind der damalige Schmetterlings-Kura- standen ist, bleibt jedoch bestehen. tor Dr. Dieter Stüning und Professor Keiichi Omo- to aus Japan mit dem Apollofalter zu sehen. Da seit den 1980er Jahren weitere Exem- Foto: ZFMK. plare von Parnassius przewalskii gefangen Worten über den Privatsammler zitiert: „Er worden sind, ist der Sammlerpreis dieser darf ein gutes Gewissen haben. Er hat das ikonischen Art deutlich gesunken. Den- Geld verloren, aber etwas Gutes getan.“ noch offenbart eine Internetsuche, dass für manche Apollofalter heutzutage im- Seit diesen aufregenden Ereignissen ist mer noch einige Hundert Euro verlangt wieder Ruhe in die Schmetterlingssamm- werden. Zu meiner großen Verwunderung lung des ZFMK eingekehrt. Doch war der befinden sich unter diesen Individuen sogar Apollofalter nicht das einzige Exemplar, das Typusexemplare wie zum Beispiel ein Para- am Museum Koenig entwendet wurde. So typus von Parnassius romanovi marusya aus werden seit 1981 in der Sektion Lepidop- Tadschikistan, der erst 2012 wissenschaft- tera rund 100 seltene Schmetterlinge im lich beschrieben wurde (Churkin & Pletnev Verkaufswert von damals etwa 60.000 DM 2012). Wie die Autoren angeben, befindet vermisst (Steiner 2015b); sie sind bis heu- sich lediglich der namenstragende Holo- te verschollen und für die Wissenschaft typus in einem öffentlichen Naturkunde- wahrscheinlich für immer verloren. Neben museum in Moskau, während die übrigen Bonn wurde auch das Naturkundemuseum Exemplare der Erstbeschreibung in Privat- in Karlsruhe von dem vermeintlichen Täter sammlungen in Russland und Deutschland heimgesucht, denn zur gleichen Zeit ver- aufbewahrt werden, was eine bedenkliche schwanden dort damals ebenfalls etliche Praxis darstellt, da ihre Zugänglichkeit und wertvolle Schmetterlinge. Und selbst die langfristige Aufbewahrung auf diese Weise beiden übrigen Sankt Petersburger Original- nur bedingt sicher gestellt sind. exemplare des Prschewalski-Apollofalters, die zum Zeitpunkt des ZFMK-Diebstahls Heute wird das Taxon przewalskii im Üb- hinter dem „eisernen Vorhang“ vor illega- rigen oft als Unterart von Parnassius acco Gray, 1853 angesehen. Ähnlich umstritten
28 André Koch scheint der taxonomische Status anderer Eine der prominentesten Persönlichkeiten, Falter innerhalb der Gattung Parnassius zu die des Betrugs und Diebstahls von Muse- sein, denn ihre Artenanzahl variiert zwi- umsexemplaren überführt werden konnte schen 38 und 47 je nach Autor (Weiss 1991- (Knox 1993, Nowak 2005), war der briti- 1999, Omoto et al. 2009). Hinzu kommen sche Oberst, Ornithologe und Spion Richard etliche Unterarten, die bis heute immer Meinertzhagen (1878–1967; Namenspate noch neu beschrieben werden. Alleine bei des Riesenwaldschweins (Hylochoerus mei- unserem einheimischen (roten) Apollofal- nertzhageni)). Es ist bekannt, dass er seine ter (P. apollo) sind es an die 300 Subspezies umfangreiche ornithologische Privatsamm- im gesamten Verbreitungsgebiet, das sich lung, die knapp 20.000 Exemplare umfass- von Europa bis Zentralasien erstreckt! Um te, durch Bälge seltener Vogelarten, wie deren taxonomische Gültigkeit überprüfen etwa des Blewitt- oder Bändersteinkauzes zu können – denn jede (Unter-)Artbeschrei- (Athene blewitti) aus Zentralindien erwei- bung ist zugleich eine Hypothese (Haszprun- terte, von dem bis zum Ende des 20. Jahr- ar 2011) –, sind die Originalexemplare von hunderts lediglich sieben historische Muse- großer Bedeutung. Somit ist das Bonner umsexemplare bekannt waren (Rasmussen & Exemplar von Prschewalskis Apollofalter das Collar 1999). Neben dem Natural History einzige erhaltene, das helfen könnte durch Museum in London, „bediente“ sich Mei- entsprechende molekulargenetische und nertzhagen unrechtmäßig auch der Samm- morphologische Analysen die Frage nach lungen in Sankt Petersberg, Paris und New dem taxonomischen Status dieses Schmet- York (Cocker 1990). Interessanterweise soll terlings zu beantworten. Meinertzhagen eines der Vorbilder für Ian Fle- mings (1908–1964) Romanfigur James Bond Als kurzer Zusatz sei erwähnt, dass es in gewesen sein, dessen Namenspate der der Vergangenheit auch bei anderen Tier- US-amerikanische Ornithologe James Bond gruppen immer wieder zu Diebstählen an (1900–1989) war, auf dessen Werke Fle- Naturkundemuseen oder in Privatsamm- ming als begeisterter Vogelbeobachter stieß. lungen kam (Dohrn 1866). So waren un- Und tatsächlich gab sich Pierce Brosnan, als ter entomologischen Kleptomanen des Geheimagent im Auftrag Ihrer Majestät, 19. Jahrhunderts Hüte sehr beliebt, da in im Film „Stirb an einem anderen Tag“ auf ihrem Innenfutter viele entwendete Insek- Kuba zur Tarnung als Ornithologe aus, wo- ten zeitweilig Platz fanden (Steiner 2015a). bei er Bonds (1936) Buch „Birds of the West Eine spezielle Insektenart, die aufgrund ih- Indies“ verwendete. res wissenschaftlichen Namens in bestimm- ten Personenkreisen stark nachgefragt ist, Diebstähle an Naturkundemuseen und ist Anophthalmus hitleri: ein nur 0,5 Zenti- anderswo wird es wohl leider immer wie- meter kleiner, blinder, brauner Höhlenkäfer der geben, so lange Menschen ihre aus aus Slowenien, der zu zweifelhaften Eh- Egoismus oder Geltungsdrang motivierte ren von Adolf Hitler (1889–1945) benannt Sammel- und Besitzsucht nicht in den Griff wurde (Scheibel 1937). Da manche Samm- kriegen. Wie viele einzigartige Kunstwerke ler von Nazi-Memorabilien angeblich über oder Exponate sind nicht schon auf dubi- 1.000 Euro für eines dieser sechsbeinigen ose Art und Weise in Privatsammlungen Kerbtiere bezahlen, sollen fast alle Exem- verschwunden? Manche, wie der Prsche- plare von A. hitleri aus der Zoologischen walski-Apollofalter des ZFMK oder die Gur- Staatssammlung in München gestohlen litt-Gemäldesammlung, sind irgendwann worden sein (Anonym 2006). wieder aufgetaucht oder entdeckt worden (Remy 2017), doch viele bleiben für immer
Tatort Museum: Geschichte eines gestohlenen Schmetterlings am ZFMK 29 verschwunden. Daher ist es die Aufgabe der Blume, C., Etzbauer, C., Gaedike, R., Heidenreich, Kuratoren und technischen Museumsange- U., Kleikamp, U., Schnug, L., Speidel, W. & D. Stüning (2010): Type material of Lepidoptera stellten, ihre Sammlungen nicht nur gegen and Trichoptera in the ZFMK collection, Bonn. den zeitlich bedingten Verfall zu schützen, – Bonn zoological Bulletin 58: 169–215. was bei einigen Millionen Exemplaren be- Bond, J. (1936): Birds of the West Indies. 1. Auf- reits eine Sisyphusarbeit sein kann, sondern lage. – Academy of Natural Sciences of Phil- auch gegen mutwillige Zerstörung oder adelphia. Churkin, S.V. & V.A. Pletnev (2012): New data eben Diebstahl. Denn nur in öffentlichen about Parnassius charltonius Gray, 1852 (Lepi- Museen und Sammlungen stehen (wissen- doptera, Papilionidae). – Atalanta 43 (1/2): schaftliche) Präparate und Objekte der brei- 95–105. ten Öffentlichkeit sowie der Forschung zur Cocker, M. (1990): Richard Meinertzhagen: Soldier, Verfügung, um sich daran zu erfreuen oder Scientist & Spy. – Mandarin (London). Dohrn, C.A. (1866): Ueber entomogripische dem Erkenntnisgewinn aller zu dienen. Aberrationen. – Entomologische Zeitung Stet- tin 27: 364–368. Heine, S. (2003): Pressemitteilung vom 1.4.2003: Danksagung Nach 22 Jahren: Rückkehr eines der seltensten Schmetterlinge ans Bonner Museum Koenig. Professor Dr. Wolfgang Wägele möchte ich herz- – http://idw-online.de/de/news61427 lich dafür danken, dass ich eine der drei Führun- Klingelhöfer, I. & E. Paul (2013): Gips-Attrappen: gen des Uni-Clubs übernehmen durfte, denn Nashorn-Mafia vom Museum ausgetrickst. ansonsten wäre ich (wahrscheinlich vorerst) – Express vom 17. Mai 2013, https://www. nicht auf die außergewöhnliche Geschichte von express.de/bonn/gips-attrappen-nashorn-ma- Prschewalskis Apollofalter am Museum Koenig fia-vom-museum-ausgetrickst-4582864 gestoßen. Dr. Dieter Stüning, dem langjährigen Knox, A.G. (1993): Richard Meinertzhagen – a case Leiter der Abteilung Lepidoptera am ZFMK, dan- of fraud examined. – lbis 135: 320–325. ke ich sehr für hilfreiche Hinweise und Ergän- Mader, D. (2014): Biographie und Kopulation zungen zum Manuskript sowie das freundliche des Apollofalters. – Galathea – Beiträge des Zurverfügungstellen von Bildmaterial. Für seine Kreises Nürnberger Entomologen 30: 65–118. kollegialen Kommentare zum Text während des Mannheims, B. (1964): Zum Gedenken Dr. phil. h. Entstehens des vorliegenden Beitrags möchte c. Hermann Hönes. – Bonner Zoologische Bei- ich Dr. Hossein Rajaei vom Naturkundemuseum in träge 14 (3/4): 245–247. Stuttgart meinen Dank aussprechen. Für weitere Meyer, K.E. & S. Blair Brysac (1999): Tournament Informationen und Unterstützung bin ich au- of Shadows: The Great Game and the Race for ßerdem Sabine Heine und Ulrike Kleikamp zu Dank Empire in Central Asia. – Basic Books. verpflichtet. Nakonieczny, M., Kedziorski, A. & K. Michalczyk (2007): Apollo butterfly (Parnassius apollo L.) in Europe: its history, decline and perspectives Literatur of conservation. – Functional Ecosystems and Agthe, T. (2003): Die späte Heimkehr des Apol- Communities 1: 56–76. lofalters. – Kölner Stadt-Anzeiger vom 2. April Niethammer, G. (1964): Zur Geschichte der 2003. https://www.ksta.de/die-spaete-heim- „Sammlung Höne“. – Bonner Zoologische Bei- kehr-des-apollofalters-14009992 träge 14 (3/4): 234–244. Alphéraky, S. (1887): Diagnoses de quelques lépi- Nowak, E. (2005): Wissenschaftler in turbulenten doptères inédits du Thibet. – Mémoires sur les Zeiten. Erinnerungen an Ornithologen, Natur- Lépidoptères 3: 403–406. schützer und andere Naturkundler. – Stock & Anonym (2006): Hitler lebt in einer Höhle in Slo- Stein-Verlag (Schwerin). wenien. – Frankfurter Allgemeine Zeitung vom Omoto, K. (2005): About German Natural Histo- 17. August 2006, https://www.faz.net/aktuell/ ry Museums: 1. Alexander Koenig Museum of gesellschaft/umwelt/insekten-hitler-lebt-in-ei- Bonn. – Butterflies 39: 42–47 [auf Japanisch] ner-hoehle-in-slowenien-1358470.html Omoto, K., Yonezawa, T. & T. Shinkawac (2009): Back, H.-E. (1977): Die Lepidopterensammlung Molecular systematics and evolution of the im Zoologischen Forschungsinstitut und Mu- recently discovered “Parnassian” butterfly seum Alexander Koenig. – Bonner Zoologi- (Parnassius davydovi Churkin, 2006) and its sche Beiträge 28 (1/2): 198–206.
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