Tatort Museum: Die außergewöhnliche Geschichte eines gestohlenen Schmetterlings am Museum A. Koenig

Die Seite wird erstellt Philine Harms
 
WEITER LESEN
Tatort Museum: Die außergewöhnliche Geschichte eines gestohlenen Schmetterlings am Museum A. Koenig
KOENIGIANA         Band 14 (1) 2020    23–30		   Bonn, Mai 2020       ISSN 2627-0005

Tatort Museum:
Die außergewöhnliche Geschichte
eines gestohlenen Schmetterlings am Museum A. Koenig

André Koch

Über      spektakuläre     Diebstähle     von   Museums führe und bei diesen Gelegen-
Kunstwerken und Juwelen, wie jüngst im          heiten sehr gerne über die umfangreichen
„Grünen Gewölbe“ des Residenzschlosses          wissenschaftlichen Sammlungen erzähle,
in Dresden, wird von Zeit zu Zeit immer wie-    betrifft dies unter anderem aufgrund der
der in den Medien berichtet. Auch Romane        Logistik jedoch ausschließlich die Abteilun-
und Verfilmungen gibt es zu diesem span-        gen der Ornithologie und der Herpetologie.
nenden Thema etliche. Dass jedoch auch          Zwar war mir bekannt, dass das Museum
Naturkundemuseen zum Tatort von aufse-          Koenig mit über zwei Millionen Exemplaren
henerregenden Kriminalfällen werden, ist        eine der größten Schmetterlingssammlun-
eher die Ausnahme. Dennoch kam es zum           gen in Deutschland beherbergt (Blume et al.
Beispiel in der Nacht vom 16. auf den 17.       2010) – nur die Käfersammlung des ZFMK
Mai 2013 zu einem Einbruch ins Museum           ist noch umfangreicher –, doch am inter-
Koenig, bei dem das Breitmaulnashorn (Ce-       essantesten für die Besucher ist meist die
ratotherium simum) in der afrikanischen         besondere Geschichte einzelner Exemplare.
Savanne, welches Alexander Koenig 1913
für sein im Aufbau befindliches Naturkun-       Da fiel mir ein, dass ich vor Jahren, als ich
demuseum erworben hatte, seiner beiden          noch neu als Diplomand am Museum Koe-
Hörner beraubt wurde (Klingelhöfer & Paul       nig war und mich erst langsam in die Mu-
2013). Doch von dieser traurigen Geschich-      seumspädagogik einarbeitete, von einem
te soll hier nicht die Rede sein, sondern von   wertvollen Schmetterling gehört hatte, wel-
der eines kleinen Schmetterlings, die weit      cher aus der ZFMK-Sammlung gestohlen
positiver verlief, und darauf stieß ich fol-    worden war und – um das bekannte Happy
gendermaßen:                                    End der Geschichte bereits vorweg zu neh-
                                                men – glücklicherweise viele Jahre später
Anlässlich einer Führung für Mitglieder des     zurück nach Bonn gelangte. Also begann
Bonner Uni-Clubs durch das Museum Koe-          ich zu recherchieren und möchte diese
nig am 5. Februar 2020, die von Professor       spannende Episode aus den wissenschaft-
Wolfgang Wägele initiiert worden war, wur-      lichen Sammlungen des Museum Koenig,
de ich aufgrund der großen Nachfrage kon-       die zum Teil auch Einzug in die damalige
taktiert, ob ich eine von drei Gruppen über-    Presse gehalten hat, mit den Leserinnen
nehmen könnte. Da der geplante Rundgang         und Lesern der Koenigiana teilen.
auch die Schmetterlingssammlung im Clas-
Naumann-Bau einschließen sollte, überlegte      Der bedeutendste Teil der Schmetter-
ich, was ich den Teilnehmern der Führung        lingssammlung des ZFMK geht auf die
hierzu erzählen könnte. Denn obwohl ich         Privatsammlung des Kaufmanns und
im Rahmen meiner museumspädagogi-               Amateur-Lepidopterologen Hermann Höne
schen Tätigkeiten regelmäßig auch Be-           (1883–1963; Abb. 1) zurück, der von
suchergruppen „hinter die Kulissen“ des         1946 bis zu seinem Tod im Jahr 1963 als
Tatort Museum: Die außergewöhnliche Geschichte eines gestohlenen Schmetterlings am Museum A. Koenig
24                                         André Koch

                                                  wurde Hermann Höne am 15. Dezember
                                                  1936, seinem 53. Geburtstag, die Ehren-
                                                  doktorwürde der Universität Bonn verlie-
                                                  hen.

                                                  Bei dem besagten außergewöhnlichen
                                                  Schmetterling der ZFMK-Sammlung han-
                                                  delt es sich nicht etwa um einen schillernd
                                                  blauen Morphofalter aus den südamerikani-
                                                  schen Tropen, wie ich irrtümlich angenom-
                                                  men hatte, sondern um einen Apollofalter
                                                  der Gattung Parnassius Latreille, 1804. Eine
                                                  nah verwandte Art, der in Europa zwar
                                                  weit verbreitete, jedoch heute stark be-
                                                  drohte und streng geschützte (rote) Apol-
                                                  lofalter Parnassius apollo (Linnaeus, 1758),
                                                  ist mit einer endemischen Unterart, dem
                                                  Mosel-Apollo (Parnassius apollo vinningen-
                                                  sis Stichel, 1899), nicht weit von Bonn ent-
                                                  fernt im unteren Moseltal zu finden. Die-
                                                  se Population zwischen der Typuslokalität
                                                  Winningen und der Ortschaft Bremm ist ei-
Abb. 1. Der bedeutendste Teil der Lepidop-        nes der letzten Vorkommen dieses schönen
teren-Sammlung des Museum Koenig geht auf         Schmetterlings in Deutschland (Nakonieczny
die Privatsammlung von Hermann Höne (1883–        et al. 2007, Mader 2014).
1963) zurück. Darunter befand sich auch der
seltene Apollofalter Parnassius (acco) przewal-
skii. Foto: aus Mannheims (1964).

Schmetterlingskurator am Museum Koe-
nig tätig war (Mannheims 1964, Back 1977).
Seine Sammlung umfasst etwa 500.000
Exemplare aus China, wo Höne mit Unter-
brechungen von 1918 bis 1946 als techni-
scher Leiter von AGFA arbeitete und seine
Freizeit nutzte, um die Schmetterlingsfauna
dieses großen und bis dato lepidopterolo-
gisch unerforschten Landes zu erfassen.
Zur Unterstützung bildete er Chinesen zu
kompetenten Schmetterlingssammlern aus            Abb. 2. Das Typusexemplar von Parnas-
und schickte sie in entlegene Gebiete des         sius (acco) przewalskii, welches 1981 aus der
                                                  ZFMK-Sammlung gestohlen wurde und – glück-
riesigen Reichs der Mitte. Ursprünglich um-
                                                  licherweise – 2003 aus Japan wieder zurück
fasste die Sammlung wahrscheinlich über           nach Bonn gelangte. Foto: ZFMK.
eine Million Exemplare, doch gut die Hälfte
wurde mutwillig von chinesischen Solda-           Ihre höchste Artendichte erreichen die
ten zerstört (Niethammer 1964). Dennoch           zu den Ritterfaltern (Papilionidae) gehö-
stellt die Sammlung Höne wahrscheinlich           renden Apollos in der östlichen Paläarktis
die umfangreichste Sammlung chinesi-              von Pakistan über Zentralasien bis China
scher Schmetterlinge außerhalb Chinas dar         (Weiss 1991–1999). So stammt auch der
(D. Stüning, pers. Mittl.). In Anerkennung        (einst) sehr seltene Parnassius przewalskii
seiner herausragenden Sammeltätigkeit             aus Tibet und West-China (Abb. 2), wo
Tatort Museum: Die außergewöhnliche Geschichte eines gestohlenen Schmetterlings am Museum A. Koenig
Tatort Museum: Geschichte eines gestohlenen Schmetterlings am ZFMK              25

er ausschließlich in hohen Gebirgslagen
vorkommt. Namenspatron dieser charis-
matischen Schmetterlingsart war der be-
kannte russische Offizier und Forschungs-
reisende Nikolai Michailowitsch Prschewalski
(1839–1888), für dessen Familiennamen
etliche Schreibvarianten existieren (Abb. 3).
Berühmt wurde Prschewalski durch seine
Entdeckungsreisen nach Zentralasien und
deren umfassende wissenschaftliche Aus-
beute. Neben etlichen Pflanzen wurden
unter anderem alleine sechs Echsenarten –
und am bekanntesten sicherlich das Prsche-
walski-Pferd (Equus [ferus] przewalskii) –
ihm zu Ehren benannt (Poljakow 1881).
Nicht unerwähnt soll die Tatsache bleiben,
dass Prschewalskis Einstellung und Vorgehen
gegenüber der angestammten Bevölkerung
der Gebiete, welche er bereiste, als impe-
rialistisch und vorurteilsbehaftet angesehen
werden muss (Meyer & Blair Brysac 1999).
                                                Abb. 3. Nikolai    Prschewalski    (1839–1888),
                                                der Namenspatron des seltenen Apollofalters.
Der seltene Parnassius przewalskii wur-         Während seiner vierten Forschungsreise ins ti-
de am 2. Juli 1884 während Prschewalskis        betische Hochland wurden die drei ersten Exem-
vierter Forschungsreise im Burchan-Bud-         plare dieser Schmetterlingsart gefangen.
dha-Gebirge (was Gott Buddha bedeutet)          Foto: www.wikipedia.de.
in der chinesischen Provinz Qinghai des
tibetischen Hochlandes entdeckt. Nur drei       Dass dieser seltene Schmetterling irgend-
Exemplare dieses Apollofalters (ein Männ-       wann in den folgenden Jahren (wahrschein-
chen und zwei Weibchen) konnten ge-             lich 1981) gestohlen wurde, blieb zunächst
fangen werden und gelangten zusammen            unbemerkt. Erst im Herbst 1983 machte
mit dem übrigen Sammlungsmaterial ans           ein Gastwissenschaftler aus Japan Dieter
Zoologische Museum in Sankt Petersburg,         Stüning, der seit Anfang desselben Jahres
wo es wissenschaftlich ausgewertet und          Schmetterlingskurator am Museum Koenig
bearbeitet wurde. Basierend auf diesen drei     war, darauf aufmerksam, dass ein japani-
Originalexemplaren beschrieb der russische      scher Insektenhändler einige Monate zuvor
Entomologe Sergej Alphéraky (1850–1918)         ein Exemplar des wohl seltensten Schmet-
im Jahr 1887 eine neue Schmetterlingsart        terlings der Welt, des Prschewalski-Apollo-
unter dem Namen Parnassius przewalskii          falters, in der philippinischen Hauptstadt
(Alphéraky 1887). Von Steiner (2015b) erfah-    Manila von einem deutschen Schmetter-
ren wir, dass Hermann Höne eines der drei       lingssammler erworben habe (Heine 2003).
Typusexemplare (genauer gesagt einen            Seine spektakuläre Errungenschaft hatte
Paratypus) in den 1940er Jahren für seine       der Händler in einer japanischen Amateur-
private Sammlung erwarb und es so letzt-        zeitschrift unter dem vielsagenden Titel “I
endlich ans Museum Koenig nach Bonn             got Przewalskii!“ kundgetan, um potenti-
gelangte. Hier wurde es von internationa-       elle Interessenten darauf aufmerksam zu
len Wissenschaftlern wiederholt zu Ver-         machen.
gleichszwecken konsultiert und fotografiert
(Abb. 2), vor dem Diebstahl zuletzt 1979.
26                                       André Koch

Ich vermute, dass Apollofalter aufgrund ih-     Obwohl der Aufenthaltsort des gestohle-
res Farbmusters aus großen roten Flecken        nen Schmetterlings also bekannt war und
auf weißem Untergrund, das entfernt an          trotz bestehender Rechtshilfeabkommen
die Nationalflagge Japans erinnert, die auf     mit Japan, sah sich der Käufer im Recht
Japanisch 日章旗 [Nisshōki] ‚Sonnenwap-            und wollte seinen seltenen Sammlungszu-
penflagge‘ oder auch 日の丸 [Hi no Maru]           gang nicht wieder hergeben. Auch Interpol
‚Sonnenscheibe‘ genannt wird (Der landes-       war machtlos. Die delikate Angelegenheit
eigene Name Nippon für Japan bedeutet im        sprach sich schnell unter japanischen Ento-
Übrigen „Ursprung der Sonne“, woher sich        mologen herum, doch Jahre vergingen
die Bezeichnung „Land der aufgehenden           und nichts geschah. Da dies unter den
Sonne“ ableitet), begehrte Sammlerstücke        Lepidopterologen bald als eine Art natio-
vor allem bei japanischen Schmetterlings-       naler Schande empfunden wurde, nahm
liebhabern sind. Und wie so oft gilt auch       sich schließlich Professor Dr. Keiichi Omo-
hier die Devise: Je seltener, desto begehrter   to, ein Humangenetiker und Schmetter-
und folglich wertvoller. So soll denn auch      lingsexperte aus Osaka, der in Heidelberg
der Prschewalski-Apollofalter damals für den    studiert hatte, der Sache an. Eines seiner
angeblichen Kaufpreis von umgerechnet           Forschungsgebiete ist die Gattung Parnas-
circa 14.000 Euro in die Privatsammlung ei-     sius (Omoto et al. 2009). Über einen Freund
nes japanischen Millionärs gelangt sein.        gelang es ihm nach einem Jahr Kontakt
                                                zu dem wohlhabenden Käufer aufzuneh-
Ein fachkundiger Blick in die ZFMK-Samm-        men und ihn zum Abendessen zu treffen.
lung bestätigte schnell die Vermutung: das      Nachdem Professor Omoto das Vertrauen
Bonner Exemplar dieser besonderen Spe-          des Sammlers gewonnen hatte, durfte er
zies, von der damals noch immer lediglich       einige Zeit später sogar die Privatsammlung
drei Individuen weltweit bekannt waren,         des Millionärs und den seltenen Prschewal-
war gestohlen worden! Da der Täter die          ski-Apollofalter besichtigen. Anhand von
entstandene Lücke im Sammlungskasten            Fotos ließ sich zweifelsfrei nachweisen, dass
durch ein Exemplar einer täuschend ähnlich      es sich um das Exemplar aus dem Museum
aussehenden Schmetterlingsart kaschiert         Koenig handelte (Steiner 2015b).
und sogar die Originaletiketten an den
Ersatz gesteckt hatte, blieb der Diebstahl      Dank Professor Omotos diplomatischen
am ZFMK lange Zeit unbemerkt. Allem An-         Geschickes ließ sich der Privatsammler
schein nach war also ein wahrer Kenner am       schließlich überzeugen, den Schmetterling
Werk gewesen. Sogleich stellte Dr. Stüning      zurückzugeben (Omoto 2005), so dass das
umfangreiche Recherchen an, um die Tat          außergewöhnliche Insekt in einer Feierstun-
zu rekonstruieren. Korrespondenzen der          de und unter großem medialen Interesse
vergangenen Jahre und das Gästebuch der         dem Museum Koenig wieder übergeben
Schmetterlingsabteilung sowie diverse an-       werden konnte (Abb. 4). Die entsprechen-
dere Quellen wurden herangezogen, um            de Pressemitteilung wurde vom ZFMK zwar
herauszufinden, wer als potentieller Dieb       am 1. April 2003 herausgegeben (Heine
in Frage kam. Letztendlich gelang es Dieter     2003), doch in diesem Fall handelte es sich
Stüning aufzuklären, wohin der vermisste        nicht um einen April-Scherz. Am folgenden
Falter gelangt war, und brachte den kri-        Tag, war es endlich soweit: Nach 22 Jahren
minellen Vorfall zur Anzeige, doch leider       kehrte Prschewalskis Apollofalter nach Bonn
reichten die Beweise für eine Anklage nicht     zurück und die Tagespresse berichtete hier-
aus.                                            über (Agthe 2003, Pichler 2003). Prof. Omo-
                                                to wird in den Medien mit den folgenden
Tatort Museum: Geschichte eines gestohlenen Schmetterlings am ZFMK              27

                                                    len Zugriffen sicher waren, sind mittlerweile
                                                    verschwunden.

                                                    Laut Steiner (2015b) herrscht unter Lepidop-
                                                    terologen Konsens darüber, wer der Lang-
                                                    finger war, der sich in den 1980er Jahren
                                                    auf kostbare Schmetterlinge spezialisiert
                                                    hatte, doch fehlten eindeutige Beweise, um
                                                    ihn dingfest zu machen. Nachdem besagte
                                                    Person lange Zeit nicht in Erscheinung ge-
                                                    treten ist, werden seit einigen Jahren jedoch
                                                    sogar wieder wissenschaftliche Arbeiten
                                                    des kriminellen Kollegen von einigen Zeit-
                                                    schriften veröffentlicht (Steiner 2015b); es
                                                    scheint Gras über die Sache gewachsen zu
Abb. 4. Die feierliche Rückführung des              sein. Der immaterielle Schaden, der durch
seltenen Apollofalters fand am 2. April 2003        das Verschwinden wichtiger Exemplare von
statt. Neben Professor Dr. Clas M. Naumann
(1939–2004), dem ehemaligen Direktor des            seltenen Arten für die Wissenschaft ent-
ZFMK, sind der damalige Schmetterlings-Kura-        standen ist, bleibt jedoch bestehen.
tor Dr. Dieter Stüning und Professor Keiichi Omo-
to aus Japan mit dem Apollofalter zu sehen.         Da seit den 1980er Jahren weitere Exem-
Foto: ZFMK.                                         plare von Parnassius przewalskii gefangen
Worten über den Privatsammler zitiert: „Er          worden sind, ist der Sammlerpreis dieser
darf ein gutes Gewissen haben. Er hat das           ikonischen Art deutlich gesunken. Den-
Geld verloren, aber etwas Gutes getan.“             noch offenbart eine Internetsuche, dass
                                                    für manche Apollofalter heutzutage im-
Seit diesen aufregenden Ereignissen ist             mer noch einige Hundert Euro verlangt
wieder Ruhe in die Schmetterlingssamm-              werden. Zu meiner großen Verwunderung
lung des ZFMK eingekehrt. Doch war der              befinden sich unter diesen Individuen sogar
Apollofalter nicht das einzige Exemplar, das        Typusexemplare wie zum Beispiel ein Para-
am Museum Koenig entwendet wurde. So                typus von Parnassius romanovi marusya aus
werden seit 1981 in der Sektion Lepidop-            Tadschikistan, der erst 2012 wissenschaft-
tera rund 100 seltene Schmetterlinge im             lich beschrieben wurde (Churkin & Pletnev
Verkaufswert von damals etwa 60.000 DM              2012). Wie die Autoren angeben, befindet
vermisst (Steiner 2015b); sie sind bis heu-         sich lediglich der namenstragende Holo-
te verschollen und für die Wissenschaft             typus in einem öffentlichen Naturkunde-
wahrscheinlich für immer verloren. Neben            museum in Moskau, während die übrigen
Bonn wurde auch das Naturkundemuseum                Exemplare der Erstbeschreibung in Privat-
in Karlsruhe von dem vermeintlichen Täter           sammlungen in Russland und Deutschland
heimgesucht, denn zur gleichen Zeit ver-            aufbewahrt werden, was eine bedenkliche
schwanden dort damals ebenfalls etliche             Praxis darstellt, da ihre Zugänglichkeit und
wertvolle Schmetterlinge. Und selbst die            langfristige Aufbewahrung auf diese Weise
beiden übrigen Sankt Petersburger Original-         nur bedingt sicher gestellt sind.
exemplare des Prschewalski-Apollofalters,
die zum Zeitpunkt des ZFMK-Diebstahls               Heute wird das Taxon przewalskii im Üb-
hinter dem „eisernen Vorhang“ vor illega-           rigen oft als Unterart von Parnassius acco
                                                    Gray, 1853 angesehen. Ähnlich umstritten
28                                       André Koch

scheint der taxonomische Status anderer         Eine der prominentesten Persönlichkeiten,
Falter innerhalb der Gattung Parnassius zu      die des Betrugs und Diebstahls von Muse-
sein, denn ihre Artenanzahl variiert zwi-       umsexemplaren überführt werden konnte
schen 38 und 47 je nach Autor (Weiss 1991-      (Knox 1993, Nowak 2005), war der briti-
1999, Omoto et al. 2009). Hinzu kommen          sche Oberst, Ornithologe und Spion Richard
etliche Unterarten, die bis heute immer         Meinertzhagen (1878–1967; Namenspate
noch neu beschrieben werden. Alleine bei        des Riesenwaldschweins (Hylochoerus mei-
unserem einheimischen (roten) Apollofal-        nertzhageni)). Es ist bekannt, dass er seine
ter (P. apollo) sind es an die 300 Subspezies   umfangreiche ornithologische Privatsamm-
im gesamten Verbreitungsgebiet, das sich        lung, die knapp 20.000 Exemplare umfass-
von Europa bis Zentralasien erstreckt! Um       te, durch Bälge seltener Vogelarten, wie
deren taxonomische Gültigkeit überprüfen        etwa des Blewitt- oder Bändersteinkauzes
zu können – denn jede (Unter-)Artbeschrei-      (Athene blewitti) aus Zentralindien erwei-
bung ist zugleich eine Hypothese (Haszprun-     terte, von dem bis zum Ende des 20. Jahr-
ar 2011) –, sind die Originalexemplare von      hunderts lediglich sieben historische Muse-
großer Bedeutung. Somit ist das Bonner          umsexemplare bekannt waren (Rasmussen &
Exemplar von Prschewalskis Apollofalter das     Collar 1999). Neben dem Natural History
einzige erhaltene, das helfen könnte durch      Museum in London, „bediente“ sich Mei-
entsprechende molekulargenetische und           nertzhagen unrechtmäßig auch der Samm-
morphologische Analysen die Frage nach          lungen in Sankt Petersberg, Paris und New
dem taxonomischen Status dieses Schmet-         York (Cocker 1990). Interessanterweise soll
terlings zu beantworten.                        Meinertzhagen eines der Vorbilder für Ian Fle-
                                                mings (1908–1964) Romanfigur James Bond
Als kurzer Zusatz sei erwähnt, dass es in       gewesen sein, dessen Namenspate der
der Vergangenheit auch bei anderen Tier-        US-amerikanische Ornithologe James Bond
gruppen immer wieder zu Diebstählen an          (1900–1989) war, auf dessen Werke Fle-
Naturkundemuseen oder in Privatsamm-            ming als begeisterter Vogelbeobachter stieß.
lungen kam (Dohrn 1866). So waren un-           Und tatsächlich gab sich Pierce Brosnan, als
ter entomologischen Kleptomanen des             Geheimagent im Auftrag Ihrer Majestät,
19. Jahrhunderts Hüte sehr beliebt, da in       im Film „Stirb an einem anderen Tag“ auf
ihrem Innenfutter viele entwendete Insek-       Kuba zur Tarnung als Ornithologe aus, wo-
ten zeitweilig Platz fanden (Steiner 2015a).    bei er Bonds (1936) Buch „Birds of the West
Eine spezielle Insektenart, die aufgrund ih-    Indies“ verwendete.
res wissenschaftlichen Namens in bestimm-
ten Personenkreisen stark nachgefragt ist,      Diebstähle an Naturkundemuseen und
ist Anophthalmus hitleri: ein nur 0,5 Zenti-    anderswo wird es wohl leider immer wie-
meter kleiner, blinder, brauner Höhlenkäfer     der geben, so lange Menschen ihre aus
aus Slowenien, der zu zweifelhaften Eh-         Egoismus oder Geltungsdrang motivierte
ren von Adolf Hitler (1889–1945) benannt        Sammel- und Besitzsucht nicht in den Griff
wurde (Scheibel 1937). Da manche Samm-          kriegen. Wie viele einzigartige Kunstwerke
ler von Nazi-Memorabilien angeblich über        oder Exponate sind nicht schon auf dubi-
1.000 Euro für eines dieser sechsbeinigen       ose Art und Weise in Privatsammlungen
Kerbtiere bezahlen, sollen fast alle Exem-      verschwunden? Manche, wie der Prsche-
plare von A. hitleri aus der Zoologischen       walski-Apollofalter des ZFMK oder die Gur-
Staatssammlung in München gestohlen             litt-Gemäldesammlung, sind irgendwann
worden sein (Anonym 2006).                      wieder aufgetaucht oder entdeckt worden
                                                (Remy 2017), doch viele bleiben für immer
Tatort Museum: Geschichte eines gestohlenen Schmetterlings am ZFMK                  29

verschwunden. Daher ist es die Aufgabe der          Blume, C., Etzbauer, C., Gaedike, R., Heidenreich,
Kuratoren und technischen Museumsange-                U., Kleikamp, U., Schnug, L., Speidel, W. & D.
                                                      Stüning (2010): Type material of Lepidoptera
stellten, ihre Sammlungen nicht nur gegen             and Trichoptera in the ZFMK collection, Bonn.
den zeitlich bedingten Verfall zu schützen,           – Bonn zoological Bulletin 58: 169–215.
was bei einigen Millionen Exemplaren be-            Bond, J. (1936): Birds of the West Indies. 1. Auf-
reits eine Sisyphusarbeit sein kann, sondern          lage. – Academy of Natural Sciences of Phil-
auch gegen mutwillige Zerstörung oder                 adelphia.
                                                    Churkin, S.V. & V.A. Pletnev (2012): New data
eben Diebstahl. Denn nur in öffentlichen              about Parnassius charltonius Gray, 1852 (Lepi-
Museen und Sammlungen stehen (wissen-                 doptera, Papilionidae). – Atalanta 43 (1/2):
schaftliche) Präparate und Objekte der brei-          95–105.
ten Öffentlichkeit sowie der Forschung zur          Cocker, M. (1990): Richard Meinertzhagen: Soldier,
Verfügung, um sich daran zu erfreuen oder             Scientist & Spy. – Mandarin (London).
                                                    Dohrn, C.A. (1866): Ueber entomogripische
dem Erkenntnisgewinn aller zu dienen.                 Aberrationen. – Entomologische Zeitung Stet-
                                                      tin 27: 364–368.
                                                    Heine, S. (2003): Pressemitteilung vom 1.4.2003:
Danksagung                                            Nach 22 Jahren: Rückkehr eines der seltensten
                                                      Schmetterlinge ans Bonner Museum Koenig.
Professor Dr. Wolfgang Wägele möchte ich herz-        – http://idw-online.de/de/news61427
lich dafür danken, dass ich eine der drei Führun-   Klingelhöfer, I. & E. Paul (2013): Gips-Attrappen:
gen des Uni-Clubs übernehmen durfte, denn             Nashorn-Mafia vom Museum ausgetrickst.
ansonsten wäre ich (wahrscheinlich vorerst)           – Express vom 17. Mai 2013, https://www.
nicht auf die außergewöhnliche Geschichte von         express.de/bonn/gips-attrappen-nashorn-ma-
Prschewalskis Apollofalter am Museum Koenig           fia-vom-museum-ausgetrickst-4582864
gestoßen. Dr. Dieter Stüning, dem langjährigen      Knox, A.G. (1993): Richard Meinertzhagen – a case
Leiter der Abteilung Lepidoptera am ZFMK, dan-        of fraud examined. – lbis 135: 320–325.
ke ich sehr für hilfreiche Hinweise und Ergän-      Mader, D. (2014): Biographie und Kopulation
zungen zum Manuskript sowie das freundliche           des Apollofalters. – Galathea – Beiträge des
Zurverfügungstellen von Bildmaterial. Für seine       Kreises Nürnberger Entomologen 30: 65–118.
kollegialen Kommentare zum Text während des         Mannheims, B. (1964): Zum Gedenken Dr. phil. h.
Entstehens des vorliegenden Beitrags möchte           c. Hermann Hönes. – Bonner Zoologische Bei-
ich Dr. Hossein Rajaei vom Naturkundemuseum in        träge 14 (3/4): 245–247.
Stuttgart meinen Dank aussprechen. Für weitere      Meyer, K.E. & S. Blair Brysac (1999): Tournament
Informationen und Unterstützung bin ich au-           of Shadows: The Great Game and the Race for
ßerdem Sabine Heine und Ulrike Kleikamp zu Dank       Empire in Central Asia. – Basic Books.
verpflichtet.                                       Nakonieczny, M., Kedziorski, A. & K. Michalczyk
                                                      (2007): Apollo butterfly (Parnassius apollo L.)
                                                      in Europe: its history, decline and perspectives
Literatur                                             of conservation. – Functional Ecosystems and
Agthe, T. (2003): Die späte Heimkehr des Apol-        Communities 1: 56–76.
  lofalters. – Kölner Stadt-Anzeiger vom 2. April   Niethammer, G. (1964): Zur Geschichte der
  2003. https://www.ksta.de/die-spaete-heim-          „Sammlung Höne“. – Bonner Zoologische Bei-
  kehr-des-apollofalters-14009992                     träge 14 (3/4): 234–244.
Alphéraky, S. (1887): Diagnoses de quelques lépi-   Nowak, E. (2005): Wissenschaftler in turbulenten
  doptères inédits du Thibet. – Mémoires sur les      Zeiten. Erinnerungen an Ornithologen, Natur-
  Lépidoptères 3: 403–406.                            schützer und andere Naturkundler. – Stock &
Anonym (2006): Hitler lebt in einer Höhle in Slo-     Stein-Verlag (Schwerin).
  wenien. – Frankfurter Allgemeine Zeitung vom      Omoto, K. (2005): About German Natural Histo-
  17. August 2006, https://www.faz.net/aktuell/       ry Museums: 1. Alexander Koenig Museum of
  gesellschaft/umwelt/insekten-hitler-lebt-in-ei-     Bonn. – Butterflies 39: 42–47 [auf Japanisch]
  ner-hoehle-in-slowenien-1358470.html              Omoto, K., Yonezawa, T. & T. Shinkawac (2009):
Back, H.-E. (1977): Die Lepidopterensammlung          Molecular systematics and evolution of the
  im Zoologischen Forschungsinstitut und Mu-          recently discovered “Parnassian” butterfly
  seum Alexander Koenig. – Bonner Zoologi-            (Parnassius davydovi Churkin, 2006) and its
  sche Beiträge 28 (1/2): 198–206.
30                                           André Koch
   allied species (Lepidoptera, Papilionidae). –     Scheibel, O. (1937): Ein neuer Anophthalmus aus
   Gene 441 (1/2): 80–88.                              Jugoslawien. – Entomologische Blätter 33 (6):
Pichler, W. (2003.): Happy End im Schmetter-           438–440.
   lings-Krimi. – General-Anzeiger vom 7. April      Steiner, A. (2015a): Raben und Elstern (Teil 1). –
   2003,     https://www.general-anzeiger-bonn.        https://lepiblog.wordpress.com/2015/03/28/
   de/news/wissen-und-bildung/ueberregional/           raben-und-elstern-teil-1/
   happy-end-im-schmetterlings-krimi_aid-            Steiner, A. (2015b): Raben und Elstern (Teil 3). –
   39894231                                            https://lepiblog.wordpress.com/2015/10/31/
Poljakow, I. S. (1881): Przewalski’s horse (Equus      raben-und-elstern-teil-3/
   przewalskii sp. n.). – Isvestia Russki Geogra-    Weiss, J.-C. (1991–1999): The Parnassiinae of
   phiceski obsch-va 17: 1–20 [auf Russisch]           the World, Parts 1–3. – Venette: Sciences Nat.
Rasmussen, P.C. & N.J. Collar (1999): Major spe-
   cimen fraud in the Forest Owlet Heteroglaux
   (Athene auct.) blewitti. – Ibis 141 (1): 11–21.   Dr. André Koch,
Remy, M.P. (2017): Der Fall Gurlitt: Die wahre       Zoologisches Forschungsmuseum A. Koenig,
   Geschichte über Deutschlands größten Kunst-       Adenauerallee 160, 53113 Bonn;
   skandal. – Europa-Verlag.
                                                     E-Mail: a.koch@leibniz-zfmk.de
Sie können auch lesen