Technik & wissen - Institut für Leichtbau mit Hybridsystemen (ILH)
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technik & wissen Blech war gestern: Leichtbau mit umformbaren Mehrschichtverbunden Hybridwerkstoffe für die Umformpresse Hybrider Leichtbau | „Leichtbau leicht gemacht“ – dieses Ziel wollen die Forschenden des Verbundprojektes HyOpt mit ihrer neuen Technologie verwirklicht sehen: Sie arbeiten an leichten Mehrschichtverbunden, die sich auf konventionellen Pressen umformen lassen. Das Know-how für Design und rationelle Fertigung wird der Rechner liefern. 52 Industrieanzeiger 01/02.21
Ein vorderer Längsträger aus einem Professor Thomas Tröster, maßgeschneidertem hybriden Mehr- Konsortialleiter des schichtverbund – vor und nach einem HyOpt-Projektes, berich- Crashtest. Bild: Bessima Zhiqi, tet über die Vorzüge Universität Paderborn hybrider Faser-Metall- Laminate: „Wir erschlie- ßen bis dato ungenutzte Leichtbaupotenziale Am Institut für Leichtbau mit Hybridsystemen (ILH) durch die beanspru- der Universität Paderborn forschen mehr als 170 Wis- chungsgerechte Kombi- senschaftler. Ein Team aus Forschung und Industrie nation artfremder entwickelt im Rahmen von HyOpt eine Leichtbau- Werkstoffe.“ Bild: technologie, bei der sich hybride Werkstoffe mit maß- Universität Paderborn geschneiderten Funktionseigenschaften nicht nur auto- matisiert fertigen, sondern auch automatisiert auslegen und designen lassen. „Eine Werkstoffentwicklung, die bis dato ungenutzte Leichtbaupotenziale erschließt, indem sie konventionelle Materialien beanspruchungs- gerecht kombiniert“, umreißt Konsortialleiter Professor Thomas Tröster vom Lehrstuhl für Leichtbau im Hybride Mehrschichtverbunde – bis zu 30 % leichter Automobil der Uni Paderborn den Ansatz. Dieser zielt Hohe Leichtbaupotentiale bieten die aus der Luft- und darauf ab, die Vorteile von bewährten, rationellen Raumfahrt bekannten Mehrschichtverbunde, die auch Fertigungsmethoden auch mit neuartigen Leichtbau- als Faser-Metall-Laminate (FML) bekannt sind. Sie materialien zu nutzen. kombinieren Werkstoffe mit unterschiedlichen Eigen- Die Ausgangssituation: Leichtbau ist unverzichtbar. schaften zu einem flächigen Halbzeug. Der wohl be- Das gilt insbesondere auch für moderne Elektromobile kannteste Vertreter dieser Werkstoffklasse „Glare“ ist mit ihren schweren Antriebsbatterien. Konventionelle ein Verbund aus mehreren alternierenden Schichten aus Konstruktionswerkstoffe wurden in den vergangenen Aluminium und Glasfaser-verstärktem Kunststoff und Jahren bedeutend weiterentwickelt. Doch die hohe kommt für große Rumpfbereiche des Airbus A380 zur Dichte von Stahl und der verhältnismäßig niedrige Anwendung. Ein direkter Technologietransfer in die E-Modul von Aluminium limitieren das Leichtbau- Automobilfertigung ist jedoch nicht ohne weiteres mög- potenzial dieser Werkstoffklassen. Eine Alternative mit lich. Die Fertigungstechnologien und Prozesszeiten hohem Gewichtseinsparpotential bilden Faserverbund- genügen nicht den automobiltypischen Kosten- und kunststoffe (FVK). Hohe Werkstoff- und Produktions- Taktzeitvorgaben. Die Kombination von Werkstoffen kosten und eine komplexe Bauteilauslegung begrenzen mit teils konträren Eigenschaften stellt zudem vor neue jedoch ihren Einsatz zumeist auf Fahrzeuge des Premi- Herausforderungen. umsegments. Eine aktuelle Studie des ILH ergab, dass Bauteile aus FVK bei lediglich 16 von 138 analysierten Karosserien verbaut wurden. Einen Paradigmenwechsel verspricht der Hybrid- leichtbau. Durch die gezielte Kombination von Metall und FVK kann er zu hohen gewichtsspezifischen Bau- Die Projektpartner in HyOpt teileigenschaften bei wirtschaftlich vertretbaren Mehr- kosten führen. Beispiele aus der Praxis belegen, dass Industrie sich dünnwandige Hohlstrukturen mittels FVK lokal so D&S Holding (Strahltechnik), EMS (Werkzeugbau), Thyssenkrupp verstärken lassen, dass das Gewicht deutlich sinkt – Steel Europe (Stahlwerkstoffe), Erichsen (Mess- und Prüftechnik), auch unter Serienbedingungen. Der hybride Dachquer- Clean-Lasersysteme (Lasersysteme), Kraiburg (Elastomere) träger des Audi A6 von 2004 gilt als Vorreiter auf die- sem Gebiet. Heute kommen hybride Strukturen speziell Forschung bei Karosserien von BMW zum Einsatz, wie beispiels- Fachgruppen des Instituts für Leichtbau mit Hybridsystemen: weise im 7er, 8er oder auch bei dem neusten E-Fahrzeug Leichtbau im Automobil (LiA), Werkstoffkunde (LWK), Umformen- von BMW, dem iX. Porsche setzt bei dem aktuellen de und Spanende Fertigungstechnik (LUF), Coatings, Materials & Modell des 911 Cabrio ebenfalls auf eine A-Säule in Polymers (CMP) – sowie Technik & Diversity (TuD), alle Univer- Hybridbauweise. Tesla hingegen nutzt die Vorteile des sität Paderborn Hybridleichtbaus bei Fahrwerksteilen des Model 3, X und Y. Industrieanzeiger 01/02.21 53
technik & wissen „Konkret geht es um die Entwicklung von CAE- Methoden sowie smarten und flexiblen Produktions- prozessen, um Hybridwerkstoffe mit maßgeschneider- ten Eigenschaften herzustellen“, erklärt Konsortialleiter Prof. Tröster. Unter Hybridwerkstoffen werden dabei Verbunde aus faserverstärkten Kunststoffen und metal- lenen Blechen verstanden, die sich in ihren Eigenschaf- ten anpassen lassen. Tröster, der auch die Position des Vorstandvoritzenden des ILH bekleidet, betont dabei das hohe Potential, das gerade im Top-Down-Ansatz von solch anforderungsgerecht (in Struktur- wie auch Fertigungseigenschaften) ausgelegten Multi-Materialien liegt. Die konsequente Übertragung auf die Halbzeug- ebene erfordert jedoch eine ganzheitliche Betrachtung. Neben den Grundwerkstoffen im Verbund schließt sie auch Oberflächeneigenschaften, Haftvermittlersysteme, ökologische Aspekte, Wirtschaftlichkeit und die gesell- schaftliche Akzeptanz ein, die im Projekt ebenfalls thematisiert wird. Mit HyOpt App zum richtigen Werkstoffverbund Die Arbeitsgruppe Leichtbau im Automobil (LiA) er- forscht in der Prozess- und Methodenentwicklung die ganzheitliche Auslegung durch CAE. Ausgehend von der Endgeometrie und vorgegebenen Randbedingungen wird zunächst in der Struktursimulation eine optimale Materialverteilung für die hybriden Mehrschichtver- bunde ermittelt. Das umformtechnische Verhalten die- ser werkstoffseitig optimierten Halbzeuge ist in diesem Stadium noch unbekannt. Deshalb wird anschließend So funktioniert die rechnergestützte Auslegung der leichten die Umformbarkeit evaluiert. Im iterativen Optimie- Faser-Metall-Laminate: Der Nutzer benötigt keine Zusatzkennt- rungsprozess entsteht durch die Auswahl von Material- nisse. Quelle: LiA, Universität Paderborn verteilung und Faserorientierungswinkeln ein Entwurf für ein hinsichtlich mechanischen Eigenschaften und Umformbarkeit optimales hybrides Halbzeug. Aufgrund der hohen Anzahl an Werkstoffparametern Um die Vorzüge hybrider Mehrschichtverbunde auch und strukturellen Lastfällen erfolgt die werkstoffseitige für Automobilanwendungen zugänglich zu machen, legt Auslegung mithilfe von künstlichen neuronalen Netzen. das interdisziplinäre Forschungsprojekt HyOpt den Effiziente numerische Verfahren automatisieren den Fokus auf eine optimierungsbasierte Entwicklung. Es Auslegungsprozess und beschleunigen ihn signifikant. startete im Mai 2019 am ILH und läuft bis Mitte 2022. Die Bewertung der Umformbarkeit wiederum erfolgt Ziel ist es, den anforderungsgerechten Leichtbau mit mit der Finite-Elemente-Methode (FEM) als heute weit flächigen Hybridwerkstoffen durch numerische Verfah- verbreitetem Simulationswerkzeug. ren und Automatisierung voranzutreiben. Wie die abgewickelte Platine aussehen muss, leitet Dafür entwickelt das Projektkonsortium eine Tool- sich aus der Endgeometrie ab. Hierzu entwickelt das box, die dem Design und der Herstellung neuer Team eine inverse FE-Methodik, die zudem eine Vorher- Hybridwerkstoffe dient. Getreu dem Credo „der richti- sage über die Orientierung der Fasern in der Endgeome- ge Werkstoff an der richtigen Stelle“ wird das jeweilige trie trifft und somit Aussagen über die Umformbarkeit Eigenschaftsprofil direkt aus Simulationen abgeleitet des hybriden Werkstoffsystems macht. Um Umformfeh- und berücksichtigt neben den Strukturanforderungen ler wie Faltenbildung oder Materialversagen zu vermei- an das Bauteil auch die Fertigungsrestriktionen des den, passt das CAE-Tool die Faserorientierungen in den umzuformenden Halbzeugs. Der Vorteil liegt in einem kritischen Bereichen der einzelnen Laminatschichten an. einfach handhabbaren Prozess, der die in der Blechum- Nun kann der eigentliche Fertigungsprozess beginnen. formung bewährte Anlagentechnik nutzt. Die erzielbare In einem automatisierten Ablege-Verfahren gelangen die Gewichtseinsparung gegenüber konventionellen Blech- optimierten Faserlagen auf die Blechplatinen. Auch die- formteilen liegt zwischen 25 bis 30 %. sen Prozessschritt bildet das CAE-System ab. 54 Industrieanzeiger 01/02.21
Für die Produzenten der hybriden Leichtbauteile Bereits das Logo des sollen sich die Abläufe so einfach wie möglich gestalten. Projekts HyOpt deutet Die Wissenschaftler planen daher, alle Teilaspekte der an, worum es bei der optimierungsbasierten Auslegung in einer benutzer- neuen Leichtbautechno- freundlichen Software zusammenzuführen – der HyOpt logie geht: um flächige, App. Die Software wird dabei so konzipiert, dass die hybride Mehrschicht- Eingabe keine speziellen Anwenderkenntnisse voraus- verbunde, die sich ähn- setzt. Die einzelnen Funktionen laufen im Hintergrund lich wie Blech umformen ab. Auf diese Weise lassen sich die Forschungsergebnisse lassen. Bild: ILH, Univer- einem breiten industriellen Anwenderkreis zur Verfü- sität Paderborn gung stellen. Angepasste Umformtechnik „Click-Chemie“ verbessert Umformeigenschaften Die umformtechnischen Fertigungsanforderungen an Werden artverschiedene Materialien flächig verbunden, die hybriden Halbzeuge stehen allerdings oftmals im so wird meist auf das Kleben zurückgegriffen. Beim Konflikt mit den Anforderungen an die Bauteile im Umformen hybrider Mehrschichtverbunde kann der Betrieb. Je nach Endgeometrie kann es zu Umformfeh- Klebstoff jedoch in Bereiche niedriger Flächenpressung lern kommen, die die Bauteile schwächen. Zum Beispiel verdrängt werden. Dies führt zu inhomogenen Wand- können sich Falten bilden oder Verstärkungsfasern ver- stärken des Bauteils und erhöht das Risiko von Defek- schieben. Um solchen Defekten entgegenzuwirken, wer- ten. Um diesen negativen Erscheinungen entgegen- den am Lehrstuhl für Umformende und Spanende Ferti- zuwirken, widmet sich der Arbeitskreis Coatings, gungstechnik (LUF) unter anderem die Wirkzusammen- Materials & Polymers (CMP) der Entwicklung von hänge zwischen Prozessparametern und dem Umform- Klebstoffen, deren Fließfähigkeit sich einstellen lässt. verhalten der Hybridplatinen erforscht. Anhand dieser Die sogenannte „Click-Chemie“ steuert die thermisch Erkenntnisse werden Maßnahmen erarbeitet, um das reversible Vernetzung zwischen Epoxidharz und speziel- Prozessdesign anzupassen. Mit speziellen Zwischenele- lem Härter. Die wirtschaftliche Herstellung solcher menten sowie Vorgaben zur Faserpositionierung in kri- thermoreversibler Härter bildet einen zentralen Schwer- tischen Umformzonen lassen sich Umformfehler deut- punkt der Entwicklungen. lich reduzieren und so die Form- und Maßgenauigkeit Wird der Hybridwerkstoff bei erhöhten Temperatu- der hybriden Bauteile steigern. Schließlich forscht das ren umgeformt, können die Verknüpfungspunkte LUF gemeinsam mit der EMS GmbH & Co. KG an schnell geöffnet und nach dem Prozess wieder geschlos- einer automatisierten Fertigung der maßgeschneiderten sen werden. Das Harz erhält kurzfristig thermoplasti- Hybridhalbzeuge, die deren industrielle und wirtschaft- sche Eigenschaften, verhält sich im Bereich der Betriebs- liche Nutzbarkeit sicherstellt. temperaturen aber wieder duroplastisch. Die Click- Links: umgeformter Hybridverbund ohne gesonderte Maßnahmen, Rechts: Umform- Ein umgeformter Längslenker aus einem hybriden Mehrschichtverbund. Seine ergebnis eines Mehrschichtverbunds, bei dem vor dem Besäumen in HyOpt besondere Beschaffenheit als Leichtbaustruktur wird am Rand sichtbar. entwickelte Maßnahmen umgesetzt wurden. Bild: LUF, Universität Paderborn Bild: LiA, Universität Paderborn Industrieanzeiger 01/02.21 55
technik & wissen Chemie lässt sich auch für die polymere Matrix von Auch hier gibt es bereits Ergebnisse. In einer eigens Faserverbunden nutzen: Während des Umformens kann für das Projekt entwickelten Anlage werden zum sie das Fasergleiten positiv beeinflussen und auf diese Beispiel verzinkte Stahlbleche anodisiert. Auf der Blech- Weise die Faserschädigung minimieren. oberfläche bildet sich eine poröse Zinkoxidschicht. Diese Schicht besitzt sehr gute Benetzungseigenschaften Gradierte Oberflächen im Schichtverbund und ist daher besonders für das adhäsive Fügen mit Eine gradierte Oberflächenstrukturierung der metalli- faserverstärkten Kunststoffen geeignet. Die Forschen- schen Komponente bietet die Möglichkeit, die Haft- den arbeiten daran, die Zinkoxidschicht gezielt lokal zu festigkeit zwischen den einzelnen Schichten und das variieren und dafür die Anlagentechnik weiterzuentwi- Umformverhalten des Hybridverbunds zu beeinflussen. ckeln. Am Lehrstuhl für Werkstoffkunde (LWK) werden dafür Durch vorangegangene Forschungsvorhaben ist das Verfahren wie Anodisieren, Laserstrukturieren und Laserstrukturieren der Bleche mit Pulslasern bereits Sandstrahlen analysiert und weiterentwickelt. Ein etabliert. Die Methode wird zusammen mit der Clean- besonderer Fokus liegt darauf, die Verfahren zu be- Lasersysteme GmbH weiterentwickelt. Bei diesem schleunigen und den Materialverzug durch fertigungs- Verfahren erhält das Grundmaterial durch kurzes bedingte Eigenspannungen zu minimieren. Aufschmelzen und Wiedererstarren sowie Verdampfen und Deposition eine völlig neue Oberflächenstruktur. Die Scangeschwindigkeit mit dem Laser beträgt bis zu 42 m/s. Durch gezielte Einstellung der Laserparameter lässt sich eine präzise Gradierung der Hafteigenschaften bei hoher Zeiteffizienz erreichen. Die D&S Holding GmbH hingegen erzeugt gradierte Oberflächenstrukturierungen durch Substratstrahlen. Evaluiert wird derzeit, wie sich Strahldruck und Kör- nung auf Oberflächenstrukturierung, Hafteigenschaften und den potentiellen Materialverzug auswirken. Fazit: Umformteile werden leichter Die in HyOpt entwickelte Auslegungs- und Prozesstech- nik macht die Vorzüge hybrider Mehrschichtverbunde auch außerhalb der Luft- und Raumfahrt zugänglich. Sie hebt das Leichtbaupotential von Umformteilen auf ein neues Niveau. Neben der Automobilindustrie bieten sich die neuartigen Hybridverbunde für alle Märkte an, die von leichten Bauteilen profitieren. Zu den zentralen Ein Forschungsteam aus ILH und Industrieunternehmen widmet sich neuartigen, umformbaren Anforderungen zählen neben dem Gewichtsvorteil Halbzeugen aus Metall und Faserverbundkunststoffen für den Leichtbau. Bild: ILH, Universität immer auch die Kosteneffizienz und eine einfache Paderborn Prozesshandhabung. Bei HyOpt steht die Prämisse im Vordergrund, dass die Technologien keine speziellen Kenntnisse voraussetzen und einfach anzuwenden sind. Alles Know-how fließt in die HyOpt App ein. Leichtbau leicht gemacht – für die Praxis. • Alan A. Camberg Projektkoordinator HyOpt an der Universität Paderborn Für die finanzielle Förderung im Rahmen des Forschungsprojektes „HyOpt“ (www.hyopt.de) danken die Autoren dem Europäischem Fond für Regionale Entwicklung (EFRE) der EU, Das großflächige Anodisieren eines verzinkten Stahlblechs verbessert die Hafteigenschaften von dem Land Nordrhein-Westfalen sowie dem Klebstoffen und Haftvermittlern. Links die Gefügeübersicht, rechts die nanoporöse Zinkoxid- Projektträger Jülich (PTJ) für die Betreuung. struktur. Bild: LWK, Universität Paderborn 56 Industrieanzeiger 01/02.21
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