The Making of " Körperwelten": Arbeit und Kommunikation im Hintergrund einer Ausstellung
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The Making of »Körperwelten«: Arbeit und Kommunikation im Hintergrund einer Ausstellung Von Reinhold Schmitt Das Kultereignis »Körperwelten« Beobachtung im Hintergrund von »Körperwelten« Lange Zeit stand sie in den Medien und im öffentlichen Bewusstsein: die Warteschlange vor dem Landesmuseum Meine Beobachtungen im Landesmuseum für Technik und für Technik und Arbeit (LTA) in Mannheim. Bis zu fünf Arbeit stehen im Zusammenhang mit Vorbereitungen zu Stunden warteten die Menschen - auch nachts - vor den einem Forschungsvorhaben, in dem ich Kommunika Türen und in den Gängen des Museums, um sich die Aus tionsprozesse am Arbeitsplatz untersuchen werde. Kon stellung »Körperwelten. Einblicke in den menschlichen kret beschäftigt mich die Frage, wie sich Anforderungen Körper« anzusehen. Die Besucher waren oft von weit her unterschiedlicher Arbeitsbereiche und Arbeitsplätze auf angereist und hatten sich stundenlang mit großer Geduld das sprachliche und kommunikative Verhalten der Mitar Schritt für Schritt auf den Einlass hingearbeitet. Als die beiter auswirken, welche Form der Kooperation die Grup Ausstellung am 1. März kurz vor 24.00 Uhr die Türen pe unter den gegebenen Bedingungen he endgültig schloss, waren es etwa 786. 000 rausbildet und welchen kommunikativen Besucher, die die Plastinate von Günther Gruppenstil sie dabei entwickelt. Es geht von Hagens gesehen hatten. Der immen also darum zu beschreiben, worin der Stil se Andrang, das enorme öffentliche Inte einer Arbeitsgruppe besteht und worin sich resse, die 24-stündige Öffnungszeit in den Stile von unterschiedlichen Arbeitsgruppen letzten sechs Tagen und die stoische Be unterscheiden. Hat man die Möglichkeit, Ar reitschaft der Besucher - wie in Notzei beitsgruppen über einen längeren Zeitraum ten für Brot - stundenlang anzustehen, zu beobachten, gewinnt man Einblicke in machten die Ausstellung zu einem sozia die Kommunikationskultur dieser Gruppen. len Ereignis mit Kultstatus. Die Kommunikationskultur einer Gruppe besteht aus einem Repertoire verschiedener Ich hatte die Gelegenheit, die letzten 14 kommunikativer Formen, das bei der Lö Tage der Ausstellung aus unmittelbarer sung immer wiederkehrender Anforderun Nähe zu verfolgen, als Wissenschaftler, gen entstanden ist. Ist dieses erst einmal der sich mit kommunikativen Prozessen vorhanden und hat es sich bei der Bearbei am Arbeitsplatz beschäftigt. Nicht das tung der Probleme bewährt, wird es in der Phänomen der Warteschlange, die öffent Folgezeit mehr oder weniger fraglos weiter liche Meinung über die Ausstellung oder eingesetzt. Bei den Analysen werden die die Reaktionen der Besucher interessier sprachlichen und kommunikativen Beson ten mich, sondern die kommunikative und derheiten als Reaktionen auf die jeweiligen organisatorische Arbeit, die im Hinter Arbeitsplatzanforderungen und als Reflexi grund die Voraussetzung dafür schuf, dass on der jeweils gegebenen äußeren Bedin »Körperwelten« die erfolgreichste Aus gungen verstanden. stellung in Deutschland wurde und trotz Nachdruck mit freundlicher Ge der Menschenmassen, die geduldig auf nehmigung von Gunther von Ha Für das geplante Forschungsvorhaben ste Einlass warteten, harmonisch und prob gens. hen bislang Aufnahmen von unterschiedli lemlos über die Bühne ging. chen wissenschaftlichen Arbeitsgruppen, der Editorinnen- gruppe einer international tätigen Unternehmensberatung Die Möglichkeit, die interaktive Arbeit im Hintergrund und das Geschehen im Hintergrund der Ausstellung der Ausstellung zu beobachten und zu erleben, verdanke »Körperwelten« zur Verfügung. Das Korpus wird durch ich neben Gunther von Hagens vor allem Iva Kubrycht, die regelmäßigen Meetings zweier Entwicklergruppen der >Organisatorin vor Ort
geschehen ein Ausnahme- und in methodischer Hinsicht ge nach dem passenden Betrag stellte; von den Ausgangs- ein Glücksfall. Die Körperwelten-Aufnahmen rücken zum zählerinnen, die jeden Besucher mit einem Daumendruck einen das Bürogeschehen insgesamt in den Mittelpunkt auf ihrer Zählmaschine aus dem Ausstellungsraum ent und nicht ein bestimmtes Ereignis, für das - wie z.B. bei ließen; von den Mitarbeitern im Besprechungszimmer Arbeitsbesprechungen - ein spezieller Rahmen arrangiert beim gemeinsamen Essen; vom RTL-Team, das Gunther wird. Zum anderen dokumentieren sie ein Geschehen, das von Hagens auf dem Gang interviewte; von den Mitarbei für Arbeitsorganisationen typisch ist, bei dem sich meh tern, die Tausende von Katalogen auf Paletten durch die rere Mitarbeiter ein Büro teilen und sich daher aufeinan Gänge des Museums schoben; von der Warteschlange im der abstimmen müssen. Während es inzwischen in unter Sonnenschein und in der Nacht, im Freien und in den hell schiedlichen Arbeitszusammenhängen Untersuchungen zu erleuchteten Gängen des Landesmuseums; von der einzelnen Ereignistypen wie z.B. Meeting und Arbeitsbe Würstchenbude mit der Bierwerbung; von der Diskussi sprechung, Schlichtungsgespräch, Reklamationsgespräch, on zwischen Ausstellungsgegnern und Gunther von Ha Diagnosegesprächen zwischen Arzt und Patient gibt, sind gens, die auf der Videoleinwand über den Köpfen der Untersuchungen, die sich auf das gesamte Geschehen ei Warteschlange ausgetragen wurde; von der Begrüßung des nes Arbeitsplatzes (wie z.B. Büro etc.) konzentrieren, eher letzten Besuchers der Ausstellung und dem abschließen die Ausnahme. den Sektumtrunk der Mitarbeiter. Als ich erstmals die Gelegenheit hatte, mit Tonband und Nachdem die Ausstellung ihre Pforten endgültig geschlos Video hinter die Kulissen von »Körperwelten« zu hören sen hatte, die Mitarbeiter mit gefüllten Sektgläsern im OB und zu blicken, kannte ich die Ausstellung bereits aus der zusammenstanden, trug ein stimmgewaltiger Mitarbeiter Besucherperspektive von ihrer Eröffnung. Jetzt ging mein und Entertainer des Teams im abgedunkelten Organisati Blick an den Plastinaten vorbei und richtete sich auf all onsbüro den Song »My way« von Frank Sinatra vor, bei das, was organisatorisch und kommunikativ getan wer dem die übermüdeten Mitarbeiter den Refrain »I did it my den musste, damit die vielen Besucher reibungslos durch way« wie bei einem Kirchenlied mitsangen: »My way« die Ausstellung geschleust werden konnten. Bei der Fra bekam dadurch die Qualität eines religiösen Rituals, mit ge, welche Situationen ich beobachten und für die Zwe dem die Mitarbeiter ihren gemeinsamen Erfolg feierten. cke der späteren Analyse als Ton- und Videoaufnahmen Aber nicht erst seit diesem spontanen »sakralen« Gesche dokumentieren wollte, stand eine Entscheidung bereits vor hen wusste ich, dass ich an einem außergewöhnlichen meinem ersten Besuch hinter den Kulissen fest: Ich wusste Ereignis teilnahm und dieses in größeren Ausschnitten auf von Iva Kubrycht, dass sie zweimal am Tag Einsatz Video festhalten konnte. Nicht nur die Besucher in der besprechungen abhielt, bei denen die Arbeit eingeteilt, die Warteschlange erlebten etwas Besonderes, auch die Mit verschiedenen Dienste vergeben und die wichtigen orga arbeiter des Körperwelten-Teams schufen und erlebten im nisatorischen Belange besprochen wurden. Ich habe alle organisatorischen und kommunikativen Hintergrund der Einsatzbesprechungen der letzten 14 Tage, die jeweils Ausstellung etwas Einmaliges. morgens um 7.30 Uhr und nachmittags um 15.00 Uhr statt fanden, aufgezeichnet. Das Organisationsbüro Die Entscheidung, über die Einsatzbesprechungen hinaus auch das Geschehen im Organisationsbüro der Ausstel Das OB ist ein mit Schreibtischen, Regalen, Computern lung (OB) aufzunehmen, fiel erst aufgrund meiner Beob und Telefonen voll gestellter betriebsamer, zuweilen hek achtungen vor Ort. Bereits beim tisch er Ort. O ftm als erstmaligen Betreten beeindruck klingeln mehrere Tele te mich die Atmosphäre des Or fone gleichzeitig , ganisationsbüros hinsichtlich ih Handys schrillen und rer ‘sozialen Dichte’. Mein spon auch Funkgeräte plärren taner Eindruck: Hier ist ein kom und krachen. Drucker, munikativer Knotenpunkt, hier K opierer, Faxgeräte, schlägt das Herz der A usstel (Telefon-)G espräche lungsorganisation. Im Organisa der Mitarbeiter, Geräu tionsbüro habe ich den größten sche vom Flur, T ür Teil meiner Zeit verbracht und klopfen, Interviews, die dabei an verschiedenen Tagen gegeben werden, lassen m ehrstündige Phasen des Ar nur selten kurze Phasen beitsalltags dokumentiert. von Stille aufkommen, in denen man dann die Darüber hinaus habe ich weitere Neonröhren brummen Situationen aufgezeichnet: von hört. Das OB ist ein der Kasse, an der ein Mitarbeiter Taubenschlag, dessen die Kataloge im Rhythmus eines Tür kaum für längere Akkordarbeiters verkaufte und dabei mit den immer glei Zeit geschlossen bleibt. Es ist auch die Anlaufstelle für chen Worten und der immer gleichen Intonation die Fra- Kontakte nach draußen: Journalisten erhalten hier ihren 3/98 9
Ausweis für die Ausstellung und werden mit Informati Die morgendliche Einsatzbesprechung ist bereits in vol onsmaterial versorgt. Besucher, die trotz des Verbotes in lem Gange und Iva ist damit beschäftigt, die einzelnen der Ausstellung fotografiert haben, werden hierher gebe Mitarbeiter für die verschiedenen Aufgaben einzuteilen. ten und müssen ihre Filme aushändigen und sich bei Wei Sie wird dabei von Mitarbeitern gestört, die verspätet ins gerung mit der Polizei auseinander setzen. Und auch die Besprechungszimmer kommen. Iva fordert diese in einem Fernsehteams stehen mit Kamera, Mikrofon und sonsti direktiven, harten Tonfall auf, hereinzukommen. Dass die gem Equipment in der Tür. Verspäteten nicht nur Iva, die >Chefinstö- sammenarbeit ist weder Zufall noch Selbstverständlich ren< und sich dafür entschuldigen: Ich kann da drüben keit. Er hat zum einen organisatorische Voraussetzungen, nicht mehr telefonieren. Tut mir leid, aber da drüben hab ist zum anderen auch Ergebnis kommunikativer Arbeit und ich keine Sekunde Ruhe. Ich weiß, wie nervig das ist, wenn letztlich auch Folge nicht planbarer, emergenter Prozes man nicht mal mehr in Ruhe sein Mittagessen haben kann. se. Auf den wenigen Quadratmetern des OB arbeiten viele Mitarbeiter, was permanente Kontakte und wechselseiti Organisatorisches und Emergentes ge Beeinträchtigungen unvermeidbar macht. Der Einzel ne befindet sich ständig in Sicht- und Reichweite der an Zu den günstigen organisatorischen Voraussetzungen ge deren, er ist exponiert. Das OB ist kollektives Terrain, ohne hören folgende Punkte: Das Team ist sehr homogen: Die verbrieften Anspruch auf privaten Raum. Die Arbeitsplät Mitarbeiter sind Anfang bis Mitte 20 und bis auf wenige ze an den mit Unterlagen und Papieren übersäten Schreib Ausnahmen Studenten (zumeist der Medizin). Die Mitar tischen sind nicht personell zugeordnet: Wer zuerst kommt beiter werden gut bezahlt und innerhalb der Gruppe exis (und sitzt), besetzt für die Dauer seiner Arbeit diese Ecke tiert nur eine sehr flache Hierarchie. All dies stiftet Moti Schreibtisch als sein kleines >Büro
Sprachliche und kommunikative Wir- Dialekt fällt. Solche Spielinitiativen werden sofort von anderen aufgegriffen und weiterentwickelt. Symbole Die Mitarbeiter zeigen sich untereinander an, dass sie ein Die Arbeit an der gemeinsamen Sache wurde ausnahms Team sind, dass sich der Einzelne einordnet und für den los per »Du« geleistet: Das »Du« verband die Studenten anderen da ist. Dies zeigt sich am auffälligsten in der Be mit der Chefin vor Ort ebenso wie mit den inzwischen deutung der Körperlichkeit im Umgang miteinander: Ohne weltweit bekannt gewordenen Organisatoren der Ausstel dass es die jeweiligen Aufgaben erfordern, haben die Mit lung. Dieses »Du« als sprachliches Symbol von Zusam arbeiter auf unterschiedliche Weise kurzen körperlichen mengehörigkeit war jedoch nur ein Aspekt, der die starke Kontakt. Dabei ist nicht nur die Tatsache an sich interes Teamorientierung förderte. Auch die bereits erwähnten sant, dass sich Mitarbeiter im Arbeitskontext immer wie Einsatzbesprechungen, die Iva Kubrycht morgens und der einmal kurzzeitig berühren, sondern die Häufigkeit, nachmittags mit der jeweiligen Schicht von Mitarbeitern abhielt, spielen eine wichtige Rolle. Iva teilte die Mitar beiter nicht nur auf die verschiedenen Arbeitsstellen in den Ausstellungsräumen, im Freibereich oder im Organi sationsbüro auf. Die Besprechungen wurden von ihr auch als Gelegenheit genutzt, um die Geschichte der Ausstel lung und des Ausstellungsteams zu erzählen. Iva infor mierte die Mitarbeiter regelmäßig, was während deren Ab wesenheit alles passiert war. Dadurch entstand eine für den Einzelnen ununterbrochene gemeinsame Geschichte, die mit dem Erfolg der Ausstellung auch zur Erfolgs geschichte des Teams wurde. Jeder war immer auf dem Laufenden, wusste, was die anderen in der Schicht zuvor erlebt hatten. Die wichtigsten Ereignisse wurden in szeni mit der dies geschieht, die vielen Personen, die diesem scher Ausgestaltung für die anderen inszeniert und durch Kontaktzirkel angehören, und die vielen Formen, in de gemeinsames Lachen ratifiziert und verarbeitet. In diesen nen sich der Kontakt ereignet. Dies alles macht den Aspekt Erzählungen konnte sich der Einzelne in den Erlebnissen der Körperlichkeit für den Kooperationsstil der Gruppe der anderen wiederfinden und sie durch seine Rezeption typisch und für den Wissenschaftler interessant. zu seinen eigenen Erlebnissen machen. Die Einsatz besprechungen bieten in dieser Hinsicht die Gelegenheit, Ohne die Aufnahmen bereits systematisch unter diesem das Entstehen eines »Mythos« zu beobachten. Aspekt analysiert zu haben, finden sich Hinweise auf sehr unterschiedliche Formen des körperlichen Kontaktes: Das Team der Körperwelten-Mitarbeiter ist insgesamt nicht nur eine Arbeits-, sondern auch eine Erzählge • Gunther von Hagens, der Chef, klopft einem Mitarbei meinschaft, die sich regelmäßig mit ihrem eigenen Tun ter mehrmals als Zeichen seiner Anerkennung und als beschäftigt. Eigene Erlebnisse und Erfahrungen werden Ausdruck von Lob auf die Schulter. berichtet, unerwartete und ungewöhnliche Situationen • Während der Einsatzbesprechung und auch im OB werden für die anderen in bühnenreifer Inszenierung vor lehnen sich Mitarbeiter, sei es, dass sie sich im Ge getragen. Witzige oder skurrile Anrufe werden nach Be spräch mit jemandem befinden oder dass sie zu einem endigung des Gesprächs kabarettistisch nachgestellt oder Gespräch hinzukommen, an einen in ihrer unmittel bereits während des Gesprächs für die anderen Mitarbei baren Nähe Stehenden an. ter gestisch und mimisch als »witzig«, »abgedreht« oder »cool« präsentiert. • Eine Mitarbeiterin sucht Unterlagen auf dem Schreib tisch und beugt sich dabei über einen am Tisch Sitzen Des Weiteren werden häufig Witze über ausstellungs den, legt ihm ihre Hand auf die Schulter und lässt sie bezogene Themen gemacht. Als z.B. eine Gruppe von dort eine Weile liegen. Körperspendern durch die Ausstellung geführt wurde, war • Mitarbeiter verabschieden sich, indem sie sich umar dies der Anlass für ironisch-witzige Kommentare. Ein men, drücken und sich dabei über den Rücken strei Mitarbeiter schlüpfte in die Rolle eines Körperspenders, chen und/oder sich auf die Wangen oder den Hals der auf den Ausstellungsrundgang wartet, und liefert fol küssen. gende - bewusst missverständliche - kurze Präsentation • Ein Mitarbeiter, der am Computer Daten eingibt, ab: Sagen Sie, wo geht’s denn zur Ausstellung. Ich bin streckt, als er sieht, dass ein anderer Mitarbeiter hin Körperspender und so aufgeregt. Ich wollt es wär endlich ter ihm vorbeigeht, seinen Arm aus, um den Vorbei so weit. Dieser kurze Gag wird mit Lachen der anderen laufenden kurz zu berühren. belohnt und es werden weitere witzige Situationen erfun • Eine Mitarbeiterin steht von ihrem Platz auf, geht zu den und gespielt. Häufig werden arbeitsplatzrelevante Fra einem Mitarbeiter, der am Computer Daten eingibt, gen oder Kommentare spielerisch dadurch verfremdet, und setzt sich auf seinen Schoß. dass ein Mitarbeiter plötzlich mit einem starken slawischen Akzent spricht oder in schwäbischen oder bayerischen 3/98 11
• Die gleiche Mitarbeiterin beginnt, als sie Feierabend Die Arbeit ist zeitlich befristet, daher spielen Aspekte von hat, eine regelrechte Verabschiedungstour durch das Zwangskommunikation, die für viele andere Arbeits OB, wobei sie mit allen Anwesenden körperlichen kontexte prägend sind, keine Rolle. Die Mitarbeiter sind Kontakt hat. - von wenigen Ausnahmen abgesehen - gleichaltrig und • Zwei Mitarbeiter schlagen sich mit den offenen Hand bringen als Studenten einen vergleichbaren Erfahrungs flächen ab, so als hätten sie gerade einen besonders hintergrund mit. Die flache Hierarchie bietet weder Not schönen oder wichtigen Korb geworfen, das definiti wendigkeit noch Möglichkeit, sich auf Kosten anderer zu ve Tor gemacht oder dem Gegner einen fulminanten profilieren und Individualität zu demonstrieren. Monoto Schmetterball um die Ohren gehauen. nie der Arbeit wird durch den steten Wechsel der Arbeits plätze verhindert. Die Bedeutung der eigenen Arbeit und deren soziale Anerkennung wird unmittelbar in Zeitungs Für sich genommen (d.h. als allgemeine Ausdrucksgestalt) meldungen, Rundfunk- und Fernsehsendungen und den sind diese verschiedenen Formen des körperlichen Kon täglich neuen Besucherrekorden sichtbar. taktes weder neu noch interessant. Sie sind uns aus ande ren Kontexten (Sport, Freundschaft, Verliebtsein, Fürsor Das Zusammentreffen all dieser Faktoren macht das ge etc.) durchaus geläufig. Bedeutung erhalten sie dadurch, Ausstellungsgeschehen für systematische Vergleiche mit dass sie aus diesen Kontexten importiert und für den anderen Arbeitsplätzen interessant. Im Kontrast mit Arbeitszusammenhang produktiv gemacht werden. Der Kooperations- und Konkurrenzbedingungen in anderen körperliche Kontakt ist in dieser Hinsicht eine gemeinsa Bereichen (z.B. auch in der Wissenschaft) lässt sich be me Hervorbringung, mit der die Mitarbeiter im Laufe der schreiben, unter welchen Voraussetzungen sich Teamgeist Zeit auf wiederkehrende Anforderungen ihrer Arbeitssi und kollektive Orientierung anstatt Individualismus und tuation reagieren. In der Hektik und der räumlichen Enge egoistische Zielverfolgung herausbilden. Im Vergleich un des tagtäglichen Kontaktes sind diese kurzen Berührun terschiedlicher Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen lernt gen ein angemessenes Mittel der Beziehungspflege. Sie man so einiges über positive und negative externe Fakto sind eine ökonomische Lösung für die Anforderung, sich ren von Kooperation. Man kann sehen, in welcher Weise zu zeigen, dass man zusammengehört, man den anderen die Arbeitsbedingungen selbst wieder im Arbeitsalltag der mag und versteht und an einem Strang zieht. Diese Form Mitarbeiter bearbeitet werden und sich so funktional-sti der Beziehungspflege lässt sich nebenbei erledigen und listische Formen als Antworten auf wiederkehrende An ist effektiver, weil situationsunabhängiger als der explizi forderungen des Arbeitsplatzes herausbilden. Ist man an te Diskurs darüber. So wie die Berührung die Mitarbeiter solchen Fragen interessiert, dann ist es wichtig, möglichst für einen kurzen Moment tatsächlich körperlich verbin viele und möglichst unterschiedliche Arbeitsgruppen als det, so verbindet die Arbeit für die gemeinsame Sache unter Kommunikationsensembles zu untersuchen. den für alle gleichen Situationsbedingungen die Mitar beiter in sozialer Hinsicht. Auch wenn die Ausstellung ein außergewöhnliches und für die Mitarbeiter vielleicht sogar einmaliges Ereignis In der Endphase der Ausstellung, als viele Mitarbeiter ihre war, so ist das Körperwelten-Team als Arbeitsgruppe Dienste müde, erkältet oder verschnupft versahen, war der durchaus kein einmaliger Fall. Vielmehr zeigen sich in körperliche Kontakt auch eine Form der Anerkennung für der Zusammenarbeit der Mitarbeiter allgemeine Verhal die gebrachte Leistung und der Aufmunterung angesichts tensweisen in einer Deutlichkeit und Rekurrenz, die sich erkennbarer Erschöpfung und dem für alle gleichen Schlaf auch in anderen Arbeitszusammenhängen zumindest als defizit. In einigen Situationen kam es zu expliziten Für temporäre Phänomene beobachten lassen (z.B. eine star sorgeaktivitäten füreinander. Als eine Mitarbeiterin ge ke Wir-Orientierung als Kooperationsgrundlage). Sie ha sundheitlich sichtlich angeschlagen war, wurde der be ben dort aufgrund anderer externer Bedingungen eventu reits erwähnte stimmgewaltige Sänger gebeten, zu ihrer ell eine andere Ausdrucksgestalt, sie sind aber unmittel Aufmunterung ein Lied zu singen. Diesem Wunsch kam bar vergleichbar in ihrer Symbolisierungsqualität und ih er nach, nachdem er sich - zur Freude und Unterhaltung rer Bedeutung für die Gruppenbildung und den Gruppen aller - eine ganze Weile nach allen Regeln der Kunst ge stil. So konstituieren sich Teilnehmer einer wissenschaft ziert hatte. Das Ende seines Songs wurde von lautem Klat lichen Analysesitzung über Formen des wechselseitigen schen und Begeisterungsrufen begleitet. Als Dank für sei expliziten verbalen Bezuges als Gruppe. Sie signalisieren ne Darbietung erhielt er von allen anwesenden Frauen im sich z.B. über die Einhaltung von symbolhaltigen Formen OB einen Kuss auf dieWange. Danach gingen alle kom und Formeln wissenschaftlicher Kommunikation wie Ich mentarlos wieder ihrer Arbeit nach. möchte noch einmal den Gedanken von Peter aufgreifen oder Als Ergänzung zu dem, was Erna gesagt hat, will ich Schlussbemerkung noch anfügen, dass sie als Wissenschaftlergruppe zusam mengehören. Ohne bereits detaillierte Analysen durchgeführt zu haben, finden sich doch jetzt schon Hinweise auf wichtige Aspek Letzten Endes ist das Ausstellungsgeschehen also nicht te und Anforderungen des Arbeitsplatzes, die zu der He nur als besonderer Einzelfall interessant. Die Bedeutung rausbildung des beschriebenen Arbeits- und Kommunika der dokumentierten Ereignisse liegt vielmehr auch darin tionsstils des Körperwelten-Teams beitragen: begründet, dass sie - in der Reaktion auf spezifische Bedin 12 S P R IC H RtPORT
gungen - spezifische Ausprägungen allgemeiner Verhal Nothdurft, Werner (1995) (Hg.): Streit schlichten. Gesprächs tensweisen von Arbeitsgruppen zeigen und untersuchbar analytische Untersuchungen zu institutioneilen Formen machen. konsensueller Konfliktregelung. Beriin/New York. Schwartzman, Helen, B. (1989): The meeting. Gatherings in Literatur: organizations and communities. New York/London. Simmel, Georg (1983): Soziologie. Untersuchungen über die Fiehler, Reinhard/Kindt, Walther (1994): Reklamations- Formen der Vergesellschaftung. Berlin. gespräche. Schulungsperspektiven auf der Basis von Ergebnis Spranz-Fogasy, Thomas (1992): Ärztliche Gesprächsführung - sen diskursanalytischer Untersuchungen. In: Bartsch, Elmar Inhalte und Erfahrungen gesprächsanalytisch fundierter Wei (Hg.): Sprechen, Führen, Kooperieren in Betrieb und Verwal terbildung. In: Fiehler, Reinhard/Sucharowski, Wolfgang tung. Kommunikation in Unternehmen. München/Basel, (Hg.): Kommunikationsberatung und Kommunikations S.255-269. training. Opladen, S. 68 - 78. Garfinkei, Harold (1986) (ed.): Ethnomethodological studies of work. London. Fotos: Reinhold Schmitt. Müller, Andreas Paul (1997): ‘Reden ist Chefsache’. Linguisti sche Studien zu sprachlichen Foimen sozialer ‘Kontrolle’ in in nerbetrieblichen Arbeitsbesprechungen. Tübingen. Meier, Christoph (1998): Arbeitsbesprechungen. Interaktions Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für' deut struktur, Interaktionsdynamik und Konsequenzen einer sozia sche Sprache in Mannheim. len Form. Opladen. 3/98 13
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