The Making of " Körperwelten": Arbeit und Kommunikation im Hintergrund einer Ausstellung

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The Making of »Körperwelten«:
    Arbeit und Kommunikation im Hintergrund
                einer Ausstellung
                                              Von Reinhold Schmitt

Das Kultereignis »Körperwelten«                                 Beobachtung im Hintergrund von
                                                                »Körperwelten«
Lange Zeit stand sie in den Medien und im öffentlichen
Bewusstsein: die Warteschlange vor dem Landesmuseum
                                                                Meine Beobachtungen im Landesmuseum für Technik und
für Technik und Arbeit (LTA) in Mannheim. Bis zu fünf
                                                                Arbeit stehen im Zusammenhang mit Vorbereitungen zu
Stunden warteten die Menschen - auch nachts - vor den
                                                                einem Forschungsvorhaben, in dem ich Kommunika­
Türen und in den Gängen des Museums, um sich die Aus­
                                                                tionsprozesse am Arbeitsplatz untersuchen werde. Kon­
stellung »Körperwelten. Einblicke in den menschlichen
                                                                kret beschäftigt mich die Frage, wie sich Anforderungen
Körper« anzusehen. Die Besucher waren oft von weit her
                                                                unterschiedlicher Arbeitsbereiche und Arbeitsplätze auf
angereist und hatten sich stundenlang mit großer Geduld
                                                                das sprachliche und kommunikative Verhalten der Mitar­
Schritt für Schritt auf den Einlass hingearbeitet. Als die      beiter auswirken, welche Form der Kooperation die Grup­
Ausstellung am 1. März kurz vor 24.00 Uhr die Türen
                                                                              pe unter den gegebenen Bedingungen he­
endgültig schloss, waren es etwa 786. 000                                     rausbildet und welchen kommunikativen
Besucher, die die Plastinate von Günther
                                                                              Gruppenstil sie dabei entwickelt. Es geht
von Hagens gesehen hatten. Der immen­
                                                                              also darum zu beschreiben, worin der Stil
se Andrang, das enorme öffentliche Inte­
                                                                              einer Arbeitsgruppe besteht und worin sich
resse, die 24-stündige Öffnungszeit in den                                    Stile von unterschiedlichen Arbeitsgruppen
letzten sechs Tagen und die stoische Be­                                      unterscheiden. Hat man die Möglichkeit, Ar­
reitschaft der Besucher - wie in Notzei­                                      beitsgruppen über einen längeren Zeitraum
ten für Brot - stundenlang anzustehen,                                        zu beobachten, gewinnt man Einblicke in
machten die Ausstellung zu einem sozia­                                       die Kommunikationskultur dieser Gruppen.
len Ereignis mit Kultstatus.
                                                                              Die Kommunikationskultur einer Gruppe
                                                                              besteht aus einem Repertoire verschiedener
Ich hatte die Gelegenheit, die letzten 14                                     kommunikativer Formen, das bei der Lö­
Tage der Ausstellung aus unmittelbarer                                        sung immer wiederkehrender Anforderun­
Nähe zu verfolgen, als Wissenschaftler,
                                                                              gen entstanden ist. Ist dieses erst einmal
der sich mit kommunikativen Prozessen
                                                                              vorhanden und hat es sich bei der Bearbei­
am Arbeitsplatz beschäftigt. Nicht das
                                                                              tung der Probleme bewährt, wird es in der
Phänomen der Warteschlange, die öffent­
                                                                              Folgezeit mehr oder weniger fraglos weiter
liche Meinung über die Ausstellung oder                                       eingesetzt. Bei den Analysen werden die
die Reaktionen der Besucher interessier­
                                                                              sprachlichen und kommunikativen Beson­
ten mich, sondern die kommunikative und
                                                                              derheiten als Reaktionen auf die jeweiligen
organisatorische Arbeit, die im Hinter­
                                                                              Arbeitsplatzanforderungen und als Reflexi­
grund die Voraussetzung dafür schuf, dass
                                                                              on der jeweils gegebenen äußeren Bedin­
»Körperwelten« die erfolgreichste Aus­
                                                                              gungen verstanden.
stellung in Deutschland wurde und trotz      Nachdruck mit freundlicher Ge­
der Menschenmassen, die geduldig auf         nehmigung von Gunther von Ha­
                                                                               Für das geplante Forschungsvorhaben ste­
Einlass warteten, harmonisch und prob­       gens.
                                                                               hen bislang Aufnahmen von unterschiedli­
lemlos über die Bühne ging.                                     chen wissenschaftlichen Arbeitsgruppen, der Editorinnen-
                                                                gruppe einer international tätigen Unternehmensberatung
Die Möglichkeit, die interaktive Arbeit im Hintergrund
                                                                und das Geschehen im Hintergrund der Ausstellung
der Ausstellung zu beobachten und zu erleben, verdanke
                                                                »Körperwelten« zur Verfügung. Das Korpus wird durch
ich neben Gunther von Hagens vor allem Iva Kubrycht,
                                                                die regelmäßigen Meetings zweier Entwicklergruppen
der >Organisatorin vor Ort
geschehen ein Ausnahme- und in methodischer Hinsicht          ge nach dem passenden Betrag stellte; von den Ausgangs-
ein Glücksfall. Die Körperwelten-Aufnahmen rücken zum         zählerinnen, die jeden Besucher mit einem Daumendruck
einen das Bürogeschehen insgesamt in den Mittelpunkt          auf ihrer Zählmaschine aus dem Ausstellungsraum ent­
und nicht ein bestimmtes Ereignis, für das - wie z.B. bei     ließen; von den Mitarbeitern im Besprechungszimmer
Arbeitsbesprechungen - ein spezieller Rahmen arrangiert       beim gemeinsamen Essen; vom RTL-Team, das Gunther
wird. Zum anderen dokumentieren sie ein Geschehen, das        von Hagens auf dem Gang interviewte; von den Mitarbei­
für Arbeitsorganisationen typisch ist, bei dem sich meh­      tern, die Tausende von Katalogen auf Paletten durch die
rere Mitarbeiter ein Büro teilen und sich daher aufeinan­     Gänge des Museums schoben; von der Warteschlange im
der abstimmen müssen. Während es inzwischen in unter­         Sonnenschein und in der Nacht, im Freien und in den hell
schiedlichen Arbeitszusammenhängen Untersuchungen zu          erleuchteten Gängen des Landesmuseums; von der
einzelnen Ereignistypen wie z.B. Meeting und Arbeitsbe­       Würstchenbude mit der Bierwerbung; von der Diskussi­
sprechung, Schlichtungsgespräch, Reklamationsgespräch,        on zwischen Ausstellungsgegnern und Gunther von Ha­
Diagnosegesprächen zwischen Arzt und Patient gibt, sind       gens, die auf der Videoleinwand über den Köpfen der
Untersuchungen, die sich auf das gesamte Geschehen ei­        Warteschlange ausgetragen wurde; von der Begrüßung des
nes Arbeitsplatzes (wie z.B. Büro etc.) konzentrieren, eher   letzten Besuchers der Ausstellung und dem abschließen­
die Ausnahme.                                                 den Sektumtrunk der Mitarbeiter.

Als ich erstmals die Gelegenheit hatte, mit Tonband und       Nachdem die Ausstellung ihre Pforten endgültig geschlos­
Video hinter die Kulissen von »Körperwelten« zu hören         sen hatte, die Mitarbeiter mit gefüllten Sektgläsern im OB
und zu blicken, kannte ich die Ausstellung bereits aus der    zusammenstanden, trug ein stimmgewaltiger Mitarbeiter
Besucherperspektive von ihrer Eröffnung. Jetzt ging mein      und Entertainer des Teams im abgedunkelten Organisati­
Blick an den Plastinaten vorbei und richtete sich auf all     onsbüro den Song »My way« von Frank Sinatra vor, bei
das, was organisatorisch und kommunikativ getan wer­          dem die übermüdeten Mitarbeiter den Refrain »I did it my
den musste, damit die vielen Besucher reibungslos durch       way« wie bei einem Kirchenlied mitsangen: »My way«
die Ausstellung geschleust werden konnten. Bei der Fra­       bekam dadurch die Qualität eines religiösen Rituals, mit
ge, welche Situationen ich beobachten und für die Zwe­        dem die Mitarbeiter ihren gemeinsamen Erfolg feierten.
cke der späteren Analyse als Ton- und Videoaufnahmen          Aber nicht erst seit diesem spontanen »sakralen« Gesche­
dokumentieren wollte, stand eine Entscheidung bereits vor     hen wusste ich, dass ich an einem außergewöhnlichen
meinem ersten Besuch hinter den Kulissen fest: Ich wusste     Ereignis teilnahm und dieses in größeren Ausschnitten auf
von Iva Kubrycht, dass sie zweimal am Tag Einsatz­            Video festhalten konnte. Nicht nur die Besucher in der
besprechungen abhielt, bei denen die Arbeit eingeteilt, die   Warteschlange erlebten etwas Besonderes, auch die Mit­
verschiedenen Dienste vergeben und die wichtigen orga­        arbeiter des Körperwelten-Teams schufen und erlebten im
nisatorischen Belange besprochen wurden. Ich habe alle        organisatorischen und kommunikativen Hintergrund der
Einsatzbesprechungen der letzten 14 Tage, die jeweils         Ausstellung etwas Einmaliges.
morgens um 7.30 Uhr und nachmittags um 15.00 Uhr statt­
fanden, aufgezeichnet.
                                                              Das Organisationsbüro
Die Entscheidung, über die Einsatzbesprechungen hinaus
auch das Geschehen im Organisationsbüro der Ausstel­          Das OB ist ein mit Schreibtischen, Regalen, Computern
lung (OB) aufzunehmen, fiel erst aufgrund meiner Beob­        und Telefonen voll gestellter betriebsamer, zuweilen hek­
achtungen vor Ort. Bereits beim                                                                  tisch er Ort. O ftm als
erstmaligen Betreten beeindruck­                                                                 klingeln mehrere Tele­
te mich die Atmosphäre des Or­                                                                   fone      gleichzeitig ,
ganisationsbüros hinsichtlich ih­                                                                Handys schrillen und
rer ‘sozialen Dichte’. Mein spon­                                                                auch Funkgeräte plärren
taner Eindruck: Hier ist ein kom­                                                                und krachen. Drucker,
munikativer Knotenpunkt, hier                                                                    K opierer, Faxgeräte,
schlägt das Herz der A usstel­                                                                   (Telefon-)G espräche
lungsorganisation. Im Organisa­                                                                  der Mitarbeiter, Geräu­
tionsbüro habe ich den größten                                                                   sche vom Flur, T ür­
Teil meiner Zeit verbracht und                                                                   klopfen, Interviews, die
dabei an verschiedenen Tagen                                                                     gegeben werden, lassen
m ehrstündige Phasen des Ar­                                                                     nur selten kurze Phasen
beitsalltags dokumentiert.                                                                       von Stille aufkommen,
                                                                                                 in denen man dann die
Darüber hinaus habe ich weitere                                                                  Neonröhren brummen
Situationen aufgezeichnet: von                                                                   hört. Das OB ist ein
der Kasse, an der ein Mitarbeiter                                                                Taubenschlag, dessen
die Kataloge im Rhythmus eines                                                                   Tür kaum für längere
Akkordarbeiters verkaufte und dabei mit den immer glei­       Zeit geschlossen bleibt. Es ist auch die Anlaufstelle für
chen Worten und der immer gleichen Intonation die Fra-        Kontakte nach draußen: Journalisten erhalten hier ihren

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Ausweis für die Ausstellung und werden mit Informati­           Die morgendliche Einsatzbesprechung ist bereits in vol­
onsmaterial versorgt. Besucher, die trotz des Verbotes in       lem Gange und Iva ist damit beschäftigt, die einzelnen
der Ausstellung fotografiert haben, werden hierher gebe­        Mitarbeiter für die verschiedenen Aufgaben einzuteilen.
ten und müssen ihre Filme aushändigen und sich bei Wei­         Sie wird dabei von Mitarbeitern gestört, die verspätet ins
gerung mit der Polizei auseinander setzen. Und auch die         Besprechungszimmer kommen. Iva fordert diese in einem
Fernsehteams stehen mit Kamera, Mikrofon und sonsti­            direktiven, harten Tonfall auf, hereinzukommen. Dass die
gem Equipment in der Tür.                                       Verspäteten nicht nur Iva, die >Chefinstö-     sammenarbeit ist weder Zufall noch Selbstverständlich­
ren< und sich dafür entschuldigen: Ich kann da drüben           keit. Er hat zum einen organisatorische Voraussetzungen,
nicht mehr telefonieren. Tut mir leid, aber da drüben hab       ist zum anderen auch Ergebnis kommunikativer Arbeit und
ich keine Sekunde Ruhe. Ich weiß, wie nervig das ist, wenn      letztlich auch Folge nicht planbarer, emergenter Prozes­
man nicht mal mehr in Ruhe sein Mittagessen haben kann.         se.

Auf den wenigen Quadratmetern des OB arbeiten viele
Mitarbeiter, was permanente Kontakte und wechselseiti­          Organisatorisches und Emergentes
ge Beeinträchtigungen unvermeidbar macht. Der Einzel­
ne befindet sich ständig in Sicht- und Reichweite der an­       Zu den günstigen organisatorischen Voraussetzungen ge­
deren, er ist exponiert. Das OB ist kollektives Terrain, ohne   hören folgende Punkte: Das Team ist sehr homogen: Die
verbrieften Anspruch auf privaten Raum. Die Arbeitsplät­        Mitarbeiter sind Anfang bis Mitte 20 und bis auf wenige
ze an den mit Unterlagen und Papieren übersäten Schreib­        Ausnahmen Studenten (zumeist der Medizin). Die Mitar­
tischen sind nicht personell zugeordnet: Wer zuerst kommt       beiter werden gut bezahlt und innerhalb der Gruppe exis­
(und sitzt), besetzt für die Dauer seiner Arbeit diese Ecke     tiert nur eine sehr flache Hierarchie. All dies stiftet Moti­
Schreibtisch als sein kleines >Büro
Sprachliche und kommunikative Wir-                            Dialekt fällt. Solche Spielinitiativen werden sofort von
                                                              anderen aufgegriffen und weiterentwickelt.
Symbole
                                                              Die Mitarbeiter zeigen sich untereinander an, dass sie ein
Die Arbeit an der gemeinsamen Sache wurde ausnahms­           Team sind, dass sich der Einzelne einordnet und für den
los per »Du« geleistet: Das »Du« verband die Studenten        anderen da ist. Dies zeigt sich am auffälligsten in der Be­
mit der Chefin vor Ort ebenso wie mit den inzwischen          deutung der Körperlichkeit im Umgang miteinander: Ohne
weltweit bekannt gewordenen Organisatoren der Ausstel­        dass es die jeweiligen Aufgaben erfordern, haben die Mit­
lung. Dieses »Du« als sprachliches Symbol von Zusam­          arbeiter auf unterschiedliche Weise kurzen körperlichen
mengehörigkeit war jedoch nur ein Aspekt, der die starke      Kontakt. Dabei ist nicht nur die Tatsache an sich interes­
Teamorientierung förderte. Auch die bereits erwähnten         sant, dass sich Mitarbeiter im Arbeitskontext immer wie­
Einsatzbesprechungen, die Iva Kubrycht morgens und            der einmal kurzzeitig berühren, sondern die Häufigkeit,
nachmittags mit der jeweiligen Schicht von Mitarbeitern
abhielt, spielen eine wichtige Rolle. Iva teilte die Mitar­
beiter nicht nur auf die verschiedenen Arbeitsstellen in
den Ausstellungsräumen, im Freibereich oder im Organi­
sationsbüro auf. Die Besprechungen wurden von ihr auch
als Gelegenheit genutzt, um die Geschichte der Ausstel­
lung und des Ausstellungsteams zu erzählen. Iva infor­
mierte die Mitarbeiter regelmäßig, was während deren Ab­
wesenheit alles passiert war. Dadurch entstand eine für
den Einzelnen ununterbrochene gemeinsame Geschichte,
die mit dem Erfolg der Ausstellung auch zur Erfolgs­
geschichte des Teams wurde. Jeder war immer auf dem
Laufenden, wusste, was die anderen in der Schicht zuvor
erlebt hatten. Die wichtigsten Ereignisse wurden in szeni­    mit der dies geschieht, die vielen Personen, die diesem
scher Ausgestaltung für die anderen inszeniert und durch      Kontaktzirkel angehören, und die vielen Formen, in de­
gemeinsames Lachen ratifiziert und verarbeitet. In diesen     nen sich der Kontakt ereignet. Dies alles macht den Aspekt
Erzählungen konnte sich der Einzelne in den Erlebnissen       der Körperlichkeit für den Kooperationsstil der Gruppe
der anderen wiederfinden und sie durch seine Rezeption        typisch und für den Wissenschaftler interessant.
zu seinen eigenen Erlebnissen machen. Die Einsatz­
besprechungen bieten in dieser Hinsicht die Gelegenheit,      Ohne die Aufnahmen bereits systematisch unter diesem
das Entstehen eines »Mythos« zu beobachten.                   Aspekt analysiert zu haben, finden sich Hinweise auf sehr
                                                              unterschiedliche Formen des körperlichen Kontaktes:
Das Team der Körperwelten-Mitarbeiter ist insgesamt
nicht nur eine Arbeits-, sondern auch eine Erzählge­          •   Gunther von Hagens, der Chef, klopft einem Mitarbei­
meinschaft, die sich regelmäßig mit ihrem eigenen Tun             ter mehrmals als Zeichen seiner Anerkennung und als
beschäftigt. Eigene Erlebnisse und Erfahrungen werden             Ausdruck von Lob auf die Schulter.
berichtet, unerwartete und ungewöhnliche Situationen
                                                              •   Während der Einsatzbesprechung und auch im OB
werden für die anderen in bühnenreifer Inszenierung vor­
                                                                  lehnen sich Mitarbeiter, sei es, dass sie sich im Ge­
getragen. Witzige oder skurrile Anrufe werden nach Be­
                                                                  spräch mit jemandem befinden oder dass sie zu einem
endigung des Gesprächs kabarettistisch nachgestellt oder
                                                                  Gespräch hinzukommen, an einen in ihrer unmittel­
bereits während des Gesprächs für die anderen Mitarbei­
                                                                  baren Nähe Stehenden an.
ter gestisch und mimisch als »witzig«, »abgedreht« oder
»cool« präsentiert.                                           •   Eine Mitarbeiterin sucht Unterlagen auf dem Schreib­
                                                                  tisch und beugt sich dabei über einen am Tisch Sitzen­
Des Weiteren werden häufig Witze über ausstellungs­               den, legt ihm ihre Hand auf die Schulter und lässt sie
bezogene Themen gemacht. Als z.B. eine Gruppe von                 dort eine Weile liegen.
Körperspendern durch die Ausstellung geführt wurde, war       •   Mitarbeiter verabschieden sich, indem sie sich umar­
dies der Anlass für ironisch-witzige Kommentare. Ein              men, drücken und sich dabei über den Rücken strei­
Mitarbeiter schlüpfte in die Rolle eines Körperspenders,          chen und/oder sich auf die Wangen oder den Hals
der auf den Ausstellungsrundgang wartet, und liefert fol­         küssen.
gende - bewusst missverständliche - kurze Präsentation        •   Ein Mitarbeiter, der am Computer Daten eingibt,
ab: Sagen Sie, wo geht’s denn zur Ausstellung. Ich bin            streckt, als er sieht, dass ein anderer Mitarbeiter hin­
Körperspender und so aufgeregt. Ich wollt es wär endlich          ter ihm vorbeigeht, seinen Arm aus, um den Vorbei­
so weit. Dieser kurze Gag wird mit Lachen der anderen             laufenden kurz zu berühren.
belohnt und es werden weitere witzige Situationen erfun­
                                                              •   Eine Mitarbeiterin steht von ihrem Platz auf, geht zu
den und gespielt. Häufig werden arbeitsplatzrelevante Fra­
                                                                  einem Mitarbeiter, der am Computer Daten eingibt,
gen oder Kommentare spielerisch dadurch verfremdet,
                                                                  und setzt sich auf seinen Schoß.
dass ein Mitarbeiter plötzlich mit einem starken slawischen
Akzent spricht oder in schwäbischen oder bayerischen

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•    Die gleiche Mitarbeiterin beginnt, als sie Feierabend     Die Arbeit ist zeitlich befristet, daher spielen Aspekte von
     hat, eine regelrechte Verabschiedungstour durch das       Zwangskommunikation, die für viele andere Arbeits­
     OB, wobei sie mit allen Anwesenden körperlichen           kontexte prägend sind, keine Rolle. Die Mitarbeiter sind
     Kontakt hat.                                              - von wenigen Ausnahmen abgesehen - gleichaltrig und
•    Zwei Mitarbeiter schlagen sich mit den offenen Hand­      bringen als Studenten einen vergleichbaren Erfahrungs­
     flächen ab, so als hätten sie gerade einen besonders      hintergrund mit. Die flache Hierarchie bietet weder Not­
     schönen oder wichtigen Korb geworfen, das definiti­       wendigkeit noch Möglichkeit, sich auf Kosten anderer zu
     ve Tor gemacht oder dem Gegner einen fulminanten          profilieren und Individualität zu demonstrieren. Monoto­
     Schmetterball um die Ohren gehauen.                       nie der Arbeit wird durch den steten Wechsel der Arbeits­
                                                               plätze verhindert. Die Bedeutung der eigenen Arbeit und
                                                               deren soziale Anerkennung wird unmittelbar in Zeitungs­
Für sich genommen (d.h. als allgemeine Ausdrucksgestalt)
                                                               meldungen, Rundfunk- und Fernsehsendungen und den
sind diese verschiedenen Formen des körperlichen Kon­
                                                               täglich neuen Besucherrekorden sichtbar.
taktes weder neu noch interessant. Sie sind uns aus ande­
ren Kontexten (Sport, Freundschaft, Verliebtsein, Fürsor­
                                                               Das Zusammentreffen all dieser Faktoren macht das
ge etc.) durchaus geläufig. Bedeutung erhalten sie dadurch,
                                                               Ausstellungsgeschehen für systematische Vergleiche mit
dass sie aus diesen Kontexten importiert und für den
                                                               anderen Arbeitsplätzen interessant. Im Kontrast mit
Arbeitszusammenhang produktiv gemacht werden. Der
                                                               Kooperations- und Konkurrenzbedingungen in anderen
körperliche Kontakt ist in dieser Hinsicht eine gemeinsa­
                                                               Bereichen (z.B. auch in der Wissenschaft) lässt sich be­
me Hervorbringung, mit der die Mitarbeiter im Laufe der
                                                               schreiben, unter welchen Voraussetzungen sich Teamgeist
Zeit auf wiederkehrende Anforderungen ihrer Arbeitssi­
                                                               und kollektive Orientierung anstatt Individualismus und
tuation reagieren. In der Hektik und der räumlichen Enge
                                                               egoistische Zielverfolgung herausbilden. Im Vergleich un­
des tagtäglichen Kontaktes sind diese kurzen Berührun­
                                                               terschiedlicher Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen lernt
gen ein angemessenes Mittel der Beziehungspflege. Sie
                                                               man so einiges über positive und negative externe Fakto­
sind eine ökonomische Lösung für die Anforderung, sich
                                                               ren von Kooperation. Man kann sehen, in welcher Weise
zu zeigen, dass man zusammengehört, man den anderen
                                                               die Arbeitsbedingungen selbst wieder im Arbeitsalltag der
mag und versteht und an einem Strang zieht. Diese Form
                                                               Mitarbeiter bearbeitet werden und sich so funktional-sti­
der Beziehungspflege lässt sich nebenbei erledigen und
                                                               listische Formen als Antworten auf wiederkehrende An­
ist effektiver, weil situationsunabhängiger als der explizi­
                                                               forderungen des Arbeitsplatzes herausbilden. Ist man an
te Diskurs darüber. So wie die Berührung die Mitarbeiter
                                                               solchen Fragen interessiert, dann ist es wichtig, möglichst
für einen kurzen Moment tatsächlich körperlich verbin­
                                                               viele und möglichst unterschiedliche Arbeitsgruppen als
det, so verbindet die Arbeit für die gemeinsame Sache unter
                                                               Kommunikationsensembles zu untersuchen.
den für alle gleichen Situationsbedingungen die Mitar­
beiter in sozialer Hinsicht.
                                                               Auch wenn die Ausstellung ein außergewöhnliches und
                                                               für die Mitarbeiter vielleicht sogar einmaliges Ereignis
In der Endphase der Ausstellung, als viele Mitarbeiter ihre
                                                               war, so ist das Körperwelten-Team als Arbeitsgruppe
Dienste müde, erkältet oder verschnupft versahen, war der
                                                               durchaus kein einmaliger Fall. Vielmehr zeigen sich in
körperliche Kontakt auch eine Form der Anerkennung für
                                                               der Zusammenarbeit der Mitarbeiter allgemeine Verhal­
die gebrachte Leistung und der Aufmunterung angesichts
                                                               tensweisen in einer Deutlichkeit und Rekurrenz, die sich
erkennbarer Erschöpfung und dem für alle gleichen Schlaf­
                                                               auch in anderen Arbeitszusammenhängen zumindest als
defizit. In einigen Situationen kam es zu expliziten Für­
                                                               temporäre Phänomene beobachten lassen (z.B. eine star­
sorgeaktivitäten füreinander. Als eine Mitarbeiterin ge­
                                                               ke Wir-Orientierung als Kooperationsgrundlage). Sie ha­
sundheitlich sichtlich angeschlagen war, wurde der be­
                                                               ben dort aufgrund anderer externer Bedingungen eventu­
reits erwähnte stimmgewaltige Sänger gebeten, zu ihrer
                                                               ell eine andere Ausdrucksgestalt, sie sind aber unmittel­
Aufmunterung ein Lied zu singen. Diesem Wunsch kam
                                                               bar vergleichbar in ihrer Symbolisierungsqualität und ih­
er nach, nachdem er sich - zur Freude und Unterhaltung
                                                               rer Bedeutung für die Gruppenbildung und den Gruppen­
aller - eine ganze Weile nach allen Regeln der Kunst ge­
                                                               stil. So konstituieren sich Teilnehmer einer wissenschaft­
ziert hatte. Das Ende seines Songs wurde von lautem Klat­
                                                               lichen Analysesitzung über Formen des wechselseitigen
schen und Begeisterungsrufen begleitet. Als Dank für sei­
                                                               expliziten verbalen Bezuges als Gruppe. Sie signalisieren
ne Darbietung erhielt er von allen anwesenden Frauen im
                                                               sich z.B. über die Einhaltung von symbolhaltigen Formen
OB einen Kuss auf dieWange. Danach gingen alle kom­
                                                               und Formeln wissenschaftlicher Kommunikation wie Ich
mentarlos wieder ihrer Arbeit nach.
                                                               möchte noch einmal den Gedanken von Peter aufgreifen
                                                               oder Als Ergänzung zu dem, was Erna gesagt hat, will ich
Schlussbemerkung                                               noch anfügen, dass sie als Wissenschaftlergruppe zusam­
                                                               mengehören.
Ohne bereits detaillierte Analysen durchgeführt zu haben,
finden sich doch jetzt schon Hinweise auf wichtige Aspek­      Letzten Endes ist das Ausstellungsgeschehen also nicht
te und Anforderungen des Arbeitsplatzes, die zu der He­        nur als besonderer Einzelfall interessant. Die Bedeutung
rausbildung des beschriebenen Arbeits- und Kommunika­          der dokumentierten Ereignisse liegt vielmehr auch darin
tionsstils des Körperwelten-Teams beitragen:                   begründet, dass sie - in der Reaktion auf spezifische Bedin­

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                                                                                                                RtPORT
gungen - spezifische Ausprägungen allgemeiner Verhal­              Nothdurft, Werner (1995) (Hg.): Streit schlichten. Gesprächs­
tensweisen von Arbeitsgruppen zeigen und untersuchbar                analytische Untersuchungen zu institutioneilen Formen
machen.                                                             konsensueller Konfliktregelung. Beriin/New York.
                                                                   Schwartzman, Helen, B. (1989): The meeting. Gatherings in
Literatur:                                                           organizations and communities. New York/London.
                                                                   Simmel, Georg (1983): Soziologie. Untersuchungen über die
Fiehler, Reinhard/Kindt, Walther (1994): Reklamations-               Formen der Vergesellschaftung. Berlin.
  gespräche. Schulungsperspektiven auf der Basis von Ergebnis­     Spranz-Fogasy, Thomas (1992): Ärztliche Gesprächsführung -
  sen diskursanalytischer Untersuchungen. In: Bartsch, Elmar         Inhalte und Erfahrungen gesprächsanalytisch fundierter Wei­
  (Hg.): Sprechen, Führen, Kooperieren in Betrieb und Verwal­        terbildung. In: Fiehler, Reinhard/Sucharowski, Wolfgang
  tung. Kommunikation in Unternehmen. München/Basel,                 (Hg.): Kommunikationsberatung und Kommunikations­
  S.255-269.                                                         training. Opladen, S. 68 - 78.
Garfinkei, Harold (1986) (ed.): Ethnomethodological studies of
  work. London.
                                                                   Fotos: Reinhold Schmitt.
Müller, Andreas Paul (1997): ‘Reden ist Chefsache’. Linguisti­
 sche Studien zu sprachlichen Foimen sozialer ‘Kontrolle’ in in­
 nerbetrieblichen Arbeitsbesprechungen. Tübingen.
Meier, Christoph (1998): Arbeitsbesprechungen. Interaktions­       Der Autor ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für' deut­
 struktur, Interaktionsdynamik und Konsequenzen einer sozia­       sche Sprache in Mannheim.
 len Form. Opladen.

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