TRÖPFCHEN IN DER ZELLSUPPE - MAX-PLANCK-GESELLSCHAFT

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TRÖPFCHEN IN DER ZELLSUPPE - MAX-PLANCK-GESELLSCHAFT
Tröpfchen in der
     zellsuppe
     Text: Tim Schröder

     Jahrzehntelang interessierte sich
          ­niemand für die Bläschen, die
        Biologinnen und Biologen bei der
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        ­Beobachtung von Zellen unter dem
                                                           rende Weise zu Bläschen zusammen,      bilden sich nicht zufällig, sondern ihr
     ­Mikroskop ­beobachteten. Cliff                       die hier und da auftauchen und mitei- Wachsen und ihr Vergehen werden
       ­Brangwynne und A     ­ nthony Hyman                nander verschmelzen. Manchmal ent-    von den Zellen aktiv gesteuert. An­
     vom Dresdner Max-Planck-Institut                      stehen innerhalb von Minuten Dut-      thony Hyman, Direktor am Max-
          für molekulare ­Zellbiologie und                 zende solcher Körperchen, die dann     Planck-Institut für molekulare Zell-
                                                           ebenso schnell wieder verschwinden.    biologie und Genetik in Dresden,

                                                                                                                                              Bi l d: Moha m ad A l m e dawa r /M PI f ü r mol e k u l a r e Z e l l biol o gi e u n d Ge n et i k
     Genetik gehören zu den ersten                         Seit es Mikroskope gibt, kennen For-   nennt diese Eiweißstrukturen „Kon-
      ­Forschern, die diese rätselhaften                   schende die Bläschen, die als undefi-  densate“. Sie entstehen, wenn sich
         ­Phänomene näher untersuchten.                    nierte kleine Kleckse zu sehen waren.  Proteine in der Zellflüssigkeit zusam-
                                                           Doch hatte sich lange Zeit niemand     menfinden und eine dichtere Masse
                                                           wirklich dafür interessiert. Bis der   bilden, also in eine neue „Phase“
                                                           Zellbiologe Anthony Hyman und sein     übergehen.
             Der Aufbau von Zellen ist heute Schul-        damaliger Mitarbeiter Cliff Brang-
               stoff. Sie werden meist als kleine Bla-     wynne im Jahr 2008 in einem Physio- Viele Wissenschaftlerinnen und Wissen-
               sen oder Vierecke dargestellt, in de-       logiekursus eine erstaunliche Entde-   schaftler gehen nun davon aus, dass
               nen ein Zellkern und mehrere Orga-          ckung machten. Die Gruppe betrach-     diese Proteinkondensate eine wich-
               nellen herumschwimmen: der soge-            tete gerade Eier des Fadenwurms        tige Rolle bei biochemischen Prozes-
               nannte Golgi-Apparat, in dem Pro-           Caenorhabditis elegans unter dem Mi-   sen in den Zellen spielen, sei es bei der
               teine verändert werden, oder die            kroskop. Cliff Brangwynne bemerkte    Zellteilung, beim Ablesen des geneti-
               Mitochondrien, die Kraftwerke der           in den Zellen einige auffällig große   schen Codes und der Herstellung von
               Zelle. Viel mehr, so suggerieren diese      Körper, die sich wie Öltropfen im      Proteinen oder auch bei der Entste-
               Schulbuchzeichnungen, ist in einer          Wasser verhielten. Das Interesse der   hung von Krankheiten. „In den meis-
               Zelle nicht enthalten.                      Forscher war geweckt!                  ten Fällen wissen wir noch immer
                                                                                                  nicht genau, was die Bildung der Kon-
             Tatsächlich aber sind die Zellen randvoll   Seitdem hat Forschende weltweit die      densate antreibt und welche Funktion
               gefüllt. Man schätzt, dass das Innere       Faszination für Bläschen gepackt.      die verschiedenen Körperchen besit-
               einer jeden Zelle rund fünf Milliar-        Heute weiß man, dass es sich bei die-  zen“, sagt Hyman. Zum Vergleich:
               den Proteinmoleküle enthält. Und die        sen Körpern um Ansammlungen von        Ersetzte man die fünf Milliarden Pro-
               schwimmen nicht einfach nur herum.          Proteinen und anderen großen Mole-     teinmoleküle durch Menschen und
               Vielmehr fügen sie sich auf faszinie-       külen wie Nukleinsäuren handelt. Sie   behielte die Dichte bei, so fänden alle

                                                              Max Planck Forschung · 3 | 2021
TRÖPFCHEN IN DER ZELLSUPPE - MAX-PLANCK-GESELLSCHAFT
wissen
                                Aus
                              biologie & medizin

Ein fluoreszierendes,
zuckerspaltendes Enzym
färbt Endothelzellen
violett. Leiden die Zellen
unter Sauerstoffmangel,
lagern sich bestimmte
Proteine zusammen
(grüne Punkte). In den
weißen Flecken kommen
diese Proteine und das
zuckerspaltende Enzym
zusammen.
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wissen aus

        Menschen auf der Fläche des Comer          menbau der sogenannten Mikrotubuli      Tröpfchen mit FUS-Proteinen her-
        Sees Platz. Das Faszinierende daran:      – langer, fadenförmiger Moleküle, die    stellte, die in ähnlicher Weise wie bei
        Die Proteine können sich innerhalb        Teil des Zellskeletts sind. Nimmt das    ALS mutiert waren, machten sie eine
        weniger Sekunden neu anordnen und         Tau-Protein eine falsche dreidimen­      beunruhigende Entdeckung: Nach
        dabei auch Kondensate bilden.              sionale Struktur an, bildet es die für  wenigen Stunden waren die Tröpf-
                                                   die Alzheimer-Krankheit typischen       chen zu „schrecklichen Aggregaten“
                                                  Ablagerungen. Die amyotrophe Late­       erstarrt, wie Hyman es formuliert.
                       Schreckliche                ralsklerose (ALS) ist ein weiteres Bei- Die mutierten Proteine trieben offen-
                         Aggregate                 spiel. Dabei handelt es sich um eine
                                                   Erkrankung, bei der Nervenzellen ab-
                                                                                           sichtlich einen Phasenübergang von
                                                                                           einem flüssigen in einen festen,
                                                   sterben, welche die Muskeln steuern.    kristallähn­ lichen Zustand an, der
     Zusammen mit seinem Team untersucht          Versagen diese Zellen ihren Dienst,      auch die Krankheit verursachen
       Anthony Hyman, wann und wie die             kann der Körper ansonsten intakte       könnte.
       Proteine in den Zellen zueinander­          Muskeln nicht mehr bewegen. Hyman
       finden – beispielsweise bei welchen         und seine Mitarbeitenden haben das Phänomene wie die Phasenübergänge
       Temperaturen oder Salzgehalten sich         Protein „Fused in sarcoma“ (FUS)        von fest zu flüssig und die Bildung
       die Proteinkondensate bilden. Dieses        untersucht, dessen mutierte Formen      von Kondensaten sind heute prinzipi-
       Wissen ist wichtig, weil viele Krank-       mit ALS in Verbindung gebracht          ell gut verstanden. Physiker haben sol-
       heiten wahrscheinlich dann entste-         werden. Normalerweise befindet sich      che Phänomene genauer erforscht
       hen, wenn der natürliche Rhythmus           das FUS-Protein im Zellkern. Aber       und beschrieben. Die Konzentration
       aus Bildung und Auflösung der Kon-          in Zellen, die Umweltstress ausge-      von Stoffen, die Ladung von Protei-
       densate aus dem Takt gerät. Ein Bei-        setzt sind, verlässt es den Kern und    nen oder die Tatsache, dass be-
       spiel ist ein Protein namens Tau. In        formt Tröpfchen in der Zellflüssig-     stimmte Proteinabschnitte eher was-
       den Zellen reguliert es den Zusam-          keit. Als Hymans Gruppe im Labor        seranziehend oder eher -abweisend

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     Hari Raj Singh (links) und Sina Wittmann im Labor am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie
     und Genetik. Zusammen mit ihren Kolleginnen und Kollegen wollen sie herausfinden, wie sich Biokondensate
     in Zellen bilden und welche Funktion sie haben.

                                                                                                                                     F o t o: M PI f ü r mol e k u l a r e Z e l l biol o gi e u n d Ge n et i k

                                                               Max Planck Forschung · 3 | 2021
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biologie & medizin

                                                                                                         ng                           Ak
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                                                                                                                                                                                Noch sind die Aufgaben
                                                                                                                                                                                von Kondensaten in
                                                                                                                                                                                Zellen nicht alle bekannt.
                                                                                                                                                                                Diskutiert werden (von
                                                                                                                                                                                oben im Uhrzeigersinn):
                                                                                                                                                                                die Aktivierung von
Gr af i k : G C O nach C e l l . 2 019 Ja n 24; 176 (3)

                                                                                                                                                                                Reaktionen; die Speiche-
                                                            ren

                                                                                                                                                                          Puf
                                                                                                                                                                                rung überschüssiger
                                                          Se nso

                                                                                                                                                                                Moleküle (Puffer); die

                                                                                                                                                                          fer
                                                                                                                                                                                Erzeugung mechanischer
                                                                                                                                                                                Kräfte; die Veränderung
                                                                                                                                                                                der Größe von Membran-
                                                                                                                                                                                poren (Filter) sowie die
                                                                                                                                                                                Lokalisierung von Mole-
                                                                                                                                                                                külen an einem Ort.
                                                                                                                                                                                Wenn die Kondensate
                                                                                                                                                                                nur unter bestimmten Be-
                                                                                                                                                                                dingungen entstehen,
                                                                                                                                                                                könnten sie auch als
                                                                                                                                                                                Sensoren dienen. Zudem
                                                                   Lo

                                                                                                                                                                                könnten sie Reaktionen
                                                                   ka

                                                                                                                                                                                zwischen Molekülen
                                                                    li

                                                                                                                                                                                verhindern, indem
                                                                        si

                                                                                                                                                                     E
                                                                        er

                                                                                                                                                                                sie diese getrennt halten

                                                                                                                                                                     FT
                                                                         u

                                                                             g

                                                                                                                                                                 Ä
                                                                                                                                                                                (Inaktivierung).
                                                                             n

                                                                                                                                                                 R
                                                                                                                                                                 K

                                                                                                                                                                                                             55

                                                                                                              F i lt e r

                                                            sind, spielen hier eine Rolle. Doch wie die gesamte Energie liefert. Hyman     Konzentration würde also die Lös-
                                                            der Prozess der Phasentrennung und      wurde hellhörig, als seine Mitarbei-   lichkeit der Proteinkondensate beein-
                                                            Kondensation in den Zellen gestartet    tenden ATP zu Proteinkondensaten       flussen. „Möglicherweise hat sich
                                                            und gestoppt und wie er gesteuert       gaben und feststellten, dass die Kon-  ATP ursprünglich als biologisches
                                                            wird, ist immer noch unbekannt.         densate verschwanden. Offenbar ver-    Hydrotrop entwickelt, um Biomole-
                                                            Grundsätzlich gilt, dass die Konzent-   hindert ATP eine Zusammenlage-         küle in hoher Konzentration löslich
                                                            ration der Proteine in den Zellen hoch  rung der Proteine auch bei den hohen   zu halten. Erst später nutzte das Le-
                                                            sein muss, damit sich Kondensate bil-   Konzentrationen in einer Zelle.        ben es als Energiequelle“, erklärt
                                                            den können. Anthony Hyman fragte                                               Hyman. Diese Hypothese ist jedoch
                                                            sich deshalb nicht nur, warum sich die                                         experimentell nur schwer zu bewei-
                                                            Bläschen bei bestimmten Krankhei-                       Bessere Löslichkeit    sen. Denn die hydrotropen Eigen-
                                                            ten bilden, sondern auch, wie in ge-
                                                            sunden Zellen die Zusammenlage-
                                                                                                                             in Wasser     schaften von ATP lassen sich kaum
                                                                                                                                           verändern, ohne dass zugleich seine
                                                            rung gestartet oder gehemmt wird.                                              Funktion als Energiespender beein-
                                                           „Warum ist die Zelle kein Rührei, in ATP scheint wie sogenannte hydro­trope     flusst wird. „Aber wenn es stimmt,
                                                            dem die Proteine miteinander ver-       Stoffe zu wirken. Diese Substanzen     dann wäre es eine Erklärung dafür,
                                                            klumpt sind? Schließlich sind die Pro-  sind selbst keine Lösungsmittel, wer-  warum sich bei Alters­erkrankungen
                                                            teine in der Zellflüssigkeit so hoch    den aber in der chemischen Industrie   häufig Proteinaggregate bilden, denn
                                                            konzentriert, dass sie eigentlich aus   eingesetzt, um die Löslichkeit organi- mit dem Alter lässt die ATP-Produk-
                                                            der Lösung ausfallen müssten.“          scher Verbindungen in Wasser zu er-    tion nach.“
                                                                                                    höhen. ATP ist ein Molekül, das in
                                                          Möglicherweise hat Anthony Hyman          Zellen in großen Mengen vorkommt. Auch während der Zellteilung könnten
                                                            nun ein Schlüsselmolekül gefunden:      Denkbar ist, dass ATP nur in be-       Proteinkondensate wichtig sein. Be-
                                                            Adenosintriphosphat (ATP). ATP ist      stimmten Konzentrationen hydro­        vor sich eine Zelle teilt, ordnen sich
                                                            das Molekül, das lebenden Zellen fast   trop wirkt. Eine Veränderung der       die Chromosomen in der Mitte der

                                                                                                                Max Planck Forschung · 3 | 2021
wissen aus

                                 Zelle an. Innerhalb weniger Minuten     Tubulin hinzugefügt, das in die Tau-              es sich um Strukturen handelt, die
                                 bildet sich die sogenannte Spindel aus, Tröpfchen wanderte. Da das Tubulin                sich nach bestimmten molekularen
                                 eine Zugseilen ähnelnde Struktur.       nun in den Tau-Tropfen wesentlich                 Regeln bilden – und diese Regeln ver-
                                 Mit dieser zellulären Takelage wer-     stärker konzentriert war, löste es die            stehen die Experten immer besser.
                                 den die Chromosomen in die beiden       Bildung von Mikrotubuli aus. Hyman               „Mittlerweile deutet sehr vieles darauf
                                 Tochterzellen hineingezogen. Auch       und seine Kolleginnen und Kollegen                hin, dass es sich hier tatsächlich um
                                 die Spindel bildet sich durch die Kon-  vermuten daher, dass Zellen mittels               biochemische Mikro­     fabriken han-
                                 densation von Proteinen. Sie entsteht,  der Phasentrennung das Wachstum                   delt.“ Trotz dieser Erkenntnisse hal-
                                 indem sich in der Zellflüssigkeit ein-  der Mikrotubuli und die Zellteilung               ten manche die Kondensate für wenig
                                 zelne Tubulinmoleküle aneinander­       initiieren.                                       relevant. Andere Forschende betrach-
                                 lagern und lange Ketten bilden – die                                                      ten sie als eine der wichtigsten Entde-
                                 Mikrotubuli. Doch wie läuft die Bil- Wie groß die Bedeutung der Kondensate                ckungen der modernen Biologie.
                                 dung dieser Mikrotubuli ab? In einem    letztlich ist, kann Hyman derzeit                „Was stimmt oder ob die Wahrheit
                                 Experiment haben Hyman und sein         noch nicht sagen. Früher hat man die              vielleicht in der Mitte liegt, das müs-
                                 Team Kondensate des Mikrotubuli         Kondensate lediglich als Kleckse be-              sen wir erst noch herausfinden“, sagt
                                 bindenden Tau-Proteins erzeugt und      trachtet, heute weiß man jedoch, dass             Anthony Hyman.

                                 Anthony Hyman gilt als einer der Entdecker der Phasenseparierung in Zellen.
                                 Bei der Untersuchung von Eiern des Fadenwurms C. elegans kam ihm die
                                 Idee, dass sich die in den Zellen befindlichen Ansammlungen von RNA-Molekülen
                                 wie Öltropfen in Wasser verhalten.

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                                                                                                                         Auf den Punkt
                                                                                                                         gebracht
     F o t o: Sv e n D ör i ng

                                                                                                                         Proteine können in einer
                                                                                                                         Zelle bläschenförmige
                                                                                                                         Ansammlungen bilden.
                                                                                                                         Diese Kondensate können
                                                                                                                         innerhalb von Sekunden
                                                                                                                         oder Minuten entstehen
                                                                                                                         und sich wieder auflösen.

                                                                                                                         Kondensate spielen
                                                                                                                         wahrscheinlich bei funda-
                                                                                                                         mentalen Vorgängen
                                                                                                                         wie der Zellteilung und der
                                                                                                                         Proteinproduktion eine
                                                                                                                         Rolle.

                                                                                                                         Erkrankungen wie
                                                                                                                         Parkinson oder Alzheimer
                                                                                                                         entstehen vermutlich
                                                                                                                         dadurch, dass sich in den
                                                                                                                         Zellen unkontrolliert
                                                                                                                         Proteinkondensate bilden.

                                                                                       Max Planck Forschung · 3 | 2021
WARUM SCHEITERN EHEN?
                                    WIE BEEINFLUSST DIE
                                    UMWELT UNSER GEHIRN?
                                           WIE TREFFEN WIR BESSERE
                                           ENTSCHEIDUNGEN?
                                 WIE FUNKTIONIERT
                                 MULTIKULTI? WARUM SPRECHEN WIR,
                               WAS BEDEUTET WIE WIR SPRECHEN?
                               WOHNUNGSLOSIGKEIT?
                                    WARUM IST ABNEHMEN
                                    SO SCHWER?

                                            Geistes- und
                                            Sozialwissen-
                                            schaftler:innen
                                            im Gespräch

Die neue Podcastserie von detektor.fm
und der Max-Planck-Gesellschaft
Jetzt auf allen Plattformen!

                                             www.mpg.de/16838013
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