Umgang mit psychisch beeinträchtigten Beschäftigten - Handlungsleitfaden für Führungskräfte - DGUV ...
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
206-030 DGUV Information 206-030 Umgang mit psychisch beeinträchtigten Beschäftigten Handlungsleitfaden für Führungskräfte September 2020
kommmitmensch ist die bundesweite Kampagne der gesetzlichen Unfallversicherung in Deutschland. Sie will Unternehmen und Bildungseinrichtungen dabei unterstützen eine Präventionskultur zu entwickeln, in der Sicherheit und Gesundheit Grundlage al- len Handelns sind. Weitere Informationen unter www.kommmitmensch.de Impressum Herausgegeben von: Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V. (DGUV) Glinkastraße 40, 10117 Berlin Telefon: 030 13001-0 (Zentrale) Fax: 030 13001-9876 E-Mail: info@dguv.de Internet: www.dguv.de Sachgebiet Psyche und Gesundheit in der Arbeitswelt des Fachbereichs Gesundheit im Betrieb der DGUV Dr. Fritzi Wiessmann (Berufsgenossenschaft Verkehrswirtschaft Post-Logistik Telekommunikation); Heike Merboth (Unfallkasse Sachsen); Gudrun Wagner (Berufsgenossenschaft Holz und Metall) Fachliche Unterstützung zum Kapitel 6 „Arbeitsrechtliche Aspekte“: Herr Konrad Kraft (Berufsgenossenschaft Verkehrswirtschaft Post-Logistik Telekom- munikation); Frau Sabine Ernst (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung) Ausgabe: September 2020 DGUV Information 206-030 zu beziehen bei Ihrem zuständigen Unfallversicherungsträger oder unter www.dguv.de/publikationen Webcode: p206030
Umgang mit psychisch beeinträchtigten Beschäftigten Handlungsleitfaden für Führungskräfte DGUV Information 206-030 September 2020
Inhaltsverzeichnis Seite Anliegen und Ziel der Broschüre........................................................................................................ 5 1 Psychische Auffälligkeiten und psychische Störungen ..................................... 6 2 Erkennen von psychischen Gesundheitsbeeinträchtigungen bei Beschäftigten...................................................................................................................... 10 3 Tipps und praktische Hilfen................................................................................................ 12 4 Rückkehr nach Krankheit in das Unternehmen....................................................... 18 5 Wege zur psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz............................................. 20 6 Arbeitsrechtliche Aspekte................................................................................................... 22 Anlage 1 Kurzbeschreibung ausgewählter psychischer Störungen..................................................... 25 Anlage 2 Leitfäden für Gesprächsvorbereitung und -durchführung..................................................... 28 4
Anliegen und Ziel der Broschüre Während in der Vergangenheit meist die der Arbeit einbeziehen sollte. Sie muss physische Gesundheit zum Erhalt der frühzeitig wahrnehmen, wenn Mitarbeite- beruflichen Leistungsfähigkeit im Vor- rinnen und Mitarbeiter sich in ihrem Leis- dergrund stand, ist es angesichts grund- tungs- und Sozialverhalten verändern, legender Veränderungen in der Arbeits- denn verändertes Verhalten kann ein An- welt notwendig geworden, sich verstärkt zeichen möglicher Überforderung und/ auch mit der psychischen Gesundheit oder gesundheitlicher Beeinträchtigun- von Beschäftigten auseinanderzuset- gen sein. Es gilt, rechtzeitig zu reagieren zen. Grund dafür sind unter anderem die und den Betroffenen Hilfe anzubieten. Herausforderungen der neuen Arbeits- welt: eine Beschleunigung des Arbeits- Der vorliegende Leitfaden will für das handelns, eine steigende Arbeitsinten- Thema „Beeinträchtigung psychischer sität, die Verkürzung von Planungs- und Gesundheit“ sensibilisieren und infor- Handlungszeiten sowie der zuneh- mieren. Führungskräfte sollen ermutigt mende Einfluss von Kommunikations- und unterstützt werden, auf psychisch und Informationstechnologien auf die auffällige beziehungsweise beeinträch- Arbeit. Oftmals resultieren daraus Zeit-, tigte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Termin- und Leistungsdruck für Beschäf- zuzugehen und diese anzusprechen. Er tigte, Führungskräfte, Unternehmerin- soll eine praktische Hilfestellung für den nen und Unternehmer. Hinzu kommen Umgang mit diesen Beschäftigten sein. Anforderungen, die der demographische Wandel mit sich bringt. Gesunde Beschäftigte braucht jedes Unternehmen. Engagiertes, achtsames Um dies alles bewältigen zu können, und mutiges Handeln der Führungskräf- bedarf es zunehmend sowohl gesund- te kann dazu beitragen, dass Beschäf- heitserhaltender Arbeitsbedingungen tigte über ein gesamtes Arbeitsleben ge- als auch eines sozialkompetenten Füh- sund, leistungsfähig und zufrieden sind. rungsverhaltens. Für eine menschengerechte Arbeitsge- staltung ist in erster Linie die Führungs- kraft verantwortlich, wobei sie partizi- pativ Beschäftigte als Expertinnen und Experten ihrer Tätigkeit in die Gestaltung 5
1 Psychische Auffälligkeiten und psychische Störungen Problematik und Abgrenzung Ist das veränderte Verhalten eines Mit Je besser eine Führungskraft ihrer Auf- arbeitenden nur eine vorübergehen gabe, ein Team zu leiten, gerecht wird, de Laune oder ein ernstzunehmendes umso besser kennt sie ihre Mitarbei- gesundheitliches Warnsignal? Sind terinnen und Mitarbeiter und umso ihre oder seine Aggressionen ein Man frühzeitiger kann sie deren Verhaltens- gel an Selbstbeherrschung, die Folgen veränderungen wahrnehmen und an- von erlebtem Stress oder eine Begleit sprechen. Spätestens handeln muss erscheinung einer psychischen Störung? eine Führungskraft dann, wenn das Ver- Handelt es sich bei der deutlich nach halten von Beschäftigten so auffällig ist lassenden Leistung um eine Arbeitsver oder wird, dass es den Arbeitsprozess weigerung oder steckt eine Depression beeinträchtigt und das Teamklima nega dahinter? tiv beeinflusst. Jede Führungskraft, die sich solche oder Auffälliges Verhalten kann Ausdruck von ähnliche Fragen schon einmal gestellt psychischen Eigenheiten, psychischen hat, weiß, wie schwer es ist, darauf eine Beeinträchtigungen oder psychischen zufriedenstellende Antwort zu finden. Störungen sein. Führungsverantwort- liche müssen unabhängig von dieser Der Übergang zwischen psychisch ge- Unterscheidung im Rahmen ihrer Fürsor- sundem, psychisch beeinträchtigtem gepflicht und Organisationsverantwor- und psychisch krankem Verhalten ist tung eingreifen und für Abhilfe sorgen. oft fließend. Hinzu kommt: Was man- che noch als normal bewerten, ist für Um Führungskräften eine Hilfestellung andere schon auffällig, so dass die Ein- zu geben, wie sie Verhaltensweisen schätzung „gesund“, „beeinträchtigt“ ihrer Mitarbeitenden einordnen können, oder „krank“ nicht selten auch von der sollen die oben genannten Unterschei- eigenen Sichtweise abhängig ist. Dar dungen nachfolgend näher beschrieben über hinaus sind psychische Beein- werden. trächtigungen oder psychische Störun- gen häufig gesellschaftlich tabuisiert und werden mit persönlicher Schwäche, Unwilligkeit und gänzlicher Arbeits unfähigkeit gleichgesetzt. 6
Psychische Auffälligkeiten und psychische Störungen Psychische Eigenheiten Psychische Beeinträchtigungen Ist eine Beschäftigte oder ein Beschäf- Psychische Beeinträchtigungen sind tigter psychisch auffällig, kann es sich mehr als nur charakterliche Besonder- um ausgeprägte individuelle Besonder- heiten. Sie lassen auf aktuelle psychi- heiten im Charakter handeln, die eine sche Probleme schließen, die privat Zusammenarbeit mit dieser oder diesem und/oder beruflich bedingt sein kön- Beschäftigten schwierig gestalten kön- nen. Das psychische Wohlbefinden ist nen. Schnelles Aufgebrachtsein, ein bar- beeinträchtigt, was sich unter anderem scher Ton oder ein Einzelgängertum kön- in Unwohlsein, Unzufriedenheit, innerer nen solche Charaktermerkmale sein. Zerrissenheit und emotionaler Aufge- wühltheit zeigen kann. 7
Psychische Auffälligkeiten und psychische Störungen Psychische Störungen Klassifiziert und diagnostiziert werden die psychischen Störungen anhand der Der Begriff der psychischen Störung hat ICD (International Statistical Classifi- in der Psychiatrie und der Psychothera- cation of Diseases and Related Health pie den Begriff der psychischen Erkran- Problems). kung abgelöst. Häufig werden die Be- griffe synonym verwendet. Typisch für psychische Störungen ist die lange Zeitdauer bis zur Genesung. Die- Bei psychischen Störungen handelt es se Beschäftigten fallen häufig für das sich um erhebliche Abweichungen von Unternehmen über eine lange Zeit aus. der gesellschaftlichen Norm im Wahr- Je früher eine psychische Störung er- nehmen, Denken, Fühlen und Handeln kannt und behandelt wird, desto erfolg- eines Menschen. reicher ist in der Regel der Genesungs- prozess. Psychische Störungen zählen Häufige psychische Störungen sind inzwischen mit zu den häufigsten Dia- Angsterkrankungen, affektive Störungen gnosen für Arbeitsunfähigkeit und ste- (vor allem Depression) und die Abhän- hen an erster Stelle der Ursachen für gigkeit von psychotropen Substanzen, krankheitsbedingte Frühverrentungen. wie zum Beispiel von Drogen, Alkohol und Medikamenten (vgl. Anlage 1). 8
Psychische Auffälligkeiten und psychische Störungen Auf eine weitere psychische Besonder Erstbetreuer aus dem Kollegenkreis un- heit soll hingewiesen werden: mittelbar nach solchen Ereignissen Unterstützung geben. Akute psychische Krisen Solche extremen Vorkommnisse sind auf alle Fälle zu dokumentieren, zumin- Eine akute psychische Krise stellt einen dest im Verbandbuch. Außerdem wird psychischen Ausnahmezustand dar. empfohlen, eine Unfallanzeige an den Wenn jemand plötzlich extreme Ver- Unfallversicherungsträger zu senden, haltensweisen zeigt, die von aggressiv auch wenn kein körperlicher Schaden über desorientiert und verwirrt bis hin vorliegt. Die jeweilige Berufsgenossen- zu nicht mehr ansprechbar reichen kön- schaft oder Unfallkasse kann nach Ein- nen, dann kann eine akute psychische zelfallprüfung psychotherapeutische Krise vorliegen. Weitere Beispiele für Hilfe bewilligen und zeitnah vermitteln, akute psychische Krisen sind angstaus- so dass der Entwicklung einer psychi- lösende Panikattacken, Wahnvorstel- schen Störung vorgebeugt werden kann. lungen und Suizidversuche im Affekt. Ursachen für akute psychische Krisen Psychische Störungen und akute psy- können Extremereignisse mit physischer chische Krisen können krankheitswertig und/oder psychischer Gewalt sein, mit sein und werden oft von körperlichen denen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Symptomen wie Schmerzen, Schlafstö- während der Arbeit konfrontiert werden rungen, verstärkter Ermüdung und Er- (zum Beispiel verbale und/oder tätliche schöpfung begleitet. Übergriffe, Überfälle, schwere Unfälle, Nötigung, Erpressung, Morddrohung, Amoklauf). Nach solchen plötzlichen arbeitsbe- dingten Extremereignissen kann es zu massiven psychischen Beeinträchtigun- gen kommen. Hilfreich für eine betrof- fene Person ist es, wenn ausgebildete psychologische Erstbetreuerinnen und 9
2 Erkennen von psychischen Gesundheits- beeinträchtigungen bei Beschäftigten Wahrnehmen von Veränderungen Um die richtigen Maßnahmen bei auf Veränderungen in der fälligem Verhalten von Beschäftigten Arbeitsdisziplin ergreifen zu können, müssen Verhal tensänderungen erst einmal wahr • Unpünktlichkeit genommen und erkannt werden. • Häufige Verspätung ohne erkenn Führungskräfte kennen Ihre Mitarbeite bare Gründe rinnen und Mitarbeiter. Veränderungen • Arbeitsunterbrechungen, Pausen, können durch Beobachtung und/oder Verlassen des Arbeitsplatzes im Gespräch festgestellt werden. • Unentschuldigtes Fehlen • Verspätete Abgabe von Krank Verhaltensauffälligkeiten können sich meldungen in vielfältiger Weise zeigen. Folgen- • Nichteinhalten von Terminen de Verhaltensmerkmale im Arbeits • Arbeit bleibt liegen und/oder zieht leben können Signale dafür sein, dass sich unverhältnismäßig lange hin Beschäftigte Probleme haben, ge- sundheitlich beeinträchtigt oder gar erkrankt sind: Veränderungen im Leistungsverhalten • Auffällige qualitative und/oder quantitative Leistungsminderungen • Starke Leistungsschwankungen • Hohe Fehlerquote und häufige Flüch- tigkeitsfehler • Häufiges Nachfragen trotz langjähriger Arbeitserfahrung • Ständiges eigenes Kontrollieren der ausgeführten Aufgaben, auch bei Routinearbeiten (Kontrollzwang) • Vermeiden von bestimmten Tätig- keiten, zum Beispiel von Telefonaten und/oder persönlichen Gesprächen mit Kundinnen oder Kunden 10
Erkennen von psychischen Gesundheitsbeeinträchtigungen Veränderungen im Sozialverhalten • Zunehmender Suchtmittelgebrauch wie zum Beispiel Zigaretten, Alkohol • Vermeidung von Kontakten zu Kolle- und M edikamente ginnen und Kollegen und Vorgesetzten (zum Beispiel in Teambesprechungen, Wichtig: Häufig ist es nicht nur ein Merk- Pausen oder bei betrieblichen Feier- mal, welches auf eine kritische Situation lichkeiten) einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbei- • Unangemessenes Verhalten gegen- ters hinweist. In der Regel sind es meh- über Führungskräften, Kolleginnen rere Merkmale, die das Bild abrunden. und Kollegen sowie Kundinnen und Kunden (zum Beispiel Distanzlosig- Zusätzlich ist zu beachten, dass derarti- keit, Gereiztheit und Aggressivität) ge Veränderungen bei psychisch beein- • Übersteigerte Reaktionen gegen- trächtigten beziehungsweise erkrankten über Kritik (zum Beispiel weinen, Mitarbeitenden auch negative Folgen laut werden) für die Arbeitskolleginnen und -kollegen • Auffallende Unzuverlässigkeit haben können. Sie müssen gegebenen- falls Mehrarbeit leisten und/oder sind mit einem auffälligen Sozialverhalten Darüber hinaus gibt es weitere der Betroffenen konfrontiert. Auffälligkeiten im Verhalten Wichtig: Eine Führungskraft ist kein • Außergewöhnliche Unruhe, extreme Therapeut beziehungsweise keine Angespanntheit Therapeutin. Es ist nicht Aufgabe der • Andauernde Traurigkeit und/oder Führungskraft (Krankheits-)Diagnosen Niedergeschlagenheit, vor sich hin- zu stellen. Aber es gehört zur Fürsorge- starrend pflicht einer Führungskraft, Änderungen • Führen von Selbstgesprächen im Verhalten von Betroffenen wahrzu- • Häufige Kurzerkrankungen nehmen und betriebliche Hilfsangebote • Verändertes Essverhalten aufzuzeigen. Und: Nicht jede psychisch • Ungepflegte Kleidung bedingte Beeinträchtigung von Mit- • Vernachlässigung der Körperpflege arbeitenden kann von der Führungskraft wahrgenommen beziehungsweise er- kannt werden. 11
3 Tipps und praktische Hilfen Gespräche und Anlaufstellen Wenn eine Führungskraft bei einer Mit Beobachtungsmerkmale sind die in arbeiterin oder einem Mitarbeiter Ver apitel 2 genannten Veränderungen in K änderungen im Verhalten wahrnimmt, der Arbeitsdisziplin, im Leistungs- und ist es ihre Aufgabe, diese Auffälligkeiten Sozialverhalten sowie weitere Verhal- rechtzeitig anzusprechen und Unter tensauffälligkeiten. stützungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Liegen Verhaltensauffälligkeiten vor, gilt Ein frühzeitiges Ansprechen von Verhal- es, möglichst schnell durch Gespräche tensänderungen kann eine Verschlim- mit den Betroffenen die Ursachen dafür merung des Befindens der betroffenen zu finden. Die Ursachen können sowohl Person und eine unnötige Zuspitzung betrieblich als auch privat bedingt sein. der Arbeitssituation verhindern. Auf der betrieblichen Seite kommen als Auslöser für psychische Gesundheitsbe- Die dazu erforderliche Vorgehensweise einträchtigungen zum Beispiel schlechte kann in Betriebs- oder Dienstvereinba- Arbeitsbedingungen, eine mangelhafte rungen geregelt sein. Vereinbarungen Arbeitsorganisation und/oder Fehlver- sind sowohl für Beschäftigte als auch für halten im sozialen Umfeld in Betracht. Führungskräfte hilfreich, da sie Transpa- renz, Verbindlichkeit und Rechtssicher- Die Führungskraft ist hauptverantwort- heit bedeuten. lich für die Behebung derartiger Defizite und muss gleichzeitig auf einer Verände- Um Veränderungen wahrnehmen und rung im Leistungs- und Sozialverhalten ansprechen zu können, ist ein regel- der betroffenen Mitarbeiterin oder des mäßiger persönlicher Kontakt mit wert- betroffenen Mitarbeiters bestehen. Sie schätzender Kommunikation zwischen bietet für diesen Veränderungsprozess der Führungskraft und ihren Mitarbeiten- ihre Unterstützung an, verweist aber den eine unabdingbare Voraussetzung. auch eindeutig auf die Verantwortung je- Denn nur dann öffnen sich Betroffene der Mitarbeiterin oder jedes Mitarbeiters auch im Gespräch. Ohne die Bereit- für die eigene psychische Gesundheit. schaft von Beschäftigten, über Probleme offen zu reden und Hilfsangebote anzu- Offenheit auf beiden Seiten im Hinblick nehmen, hat auch die Führungskraft kei- auf die problematische Situation und ne Chance, hilfreich zu intervenieren. das Annehmen von Rückmeldungen 12
Tipps und praktische Hilfen sind Voraussetzungen für eine gelin- Die Führungskraft sollte sich im Vorfeld gende Intervention. Unabhängig davon überlegen, wie sie mit Einwänden und muss die Führungskraft der betroffenen heftigen emotionalen Reaktionen der Person aber auch verdeutlichen, dass Mitarbeiterin oder des Mitarbeiters um- bei nicht erfolgenden Änderungen im gehen will. „Schwierige Gespräche“ ent- Leistungs- und Sozialverhalten gegebe- wickeln oft eine unerwartete Dynamik. nenfalls mit arbeitsrechtlichen Konse- quenzen zu rechnen ist. Beim ersten Gespräch geht es vorrangig darum, der Mitarbeiterin oder dem Mit- arbeiter zu signalisieren, dass die Füh- Vorbereitung und Durchführung rungskraft eine negative Veränderung im von Gesprächen mit betroffenen Verhalten wahrgenommen hat und sie Mitarbeitenden sich Sorgen macht. Weiterhin sollten im Gespräch die möglichen Ursachen für die Voraussetzung für eine erfolgreiche Ge- Verhaltensänderungen geklärt werden. sprächsführung ist eine gute Gesprächs- vorbereitung. Sowohl für die Vorberei- tung als auch für die Durchführung der Gespräche helfen die Leitfäden auf den Seiten 28 ff. Bei den Gesprächen ist zu bedenken, dass die Gesprächsinhalte generell sehr sensible Themen berühren und mit Ängs- ten und Unsicherheiten bei allen Betei- ligten verbunden sein können. In den Gesprächen sind unbedingt Spekulatio- nen oder Diagnosen zu vermeiden. Wenn die oder der Beschäftigte dies wünscht, kann eine Person des Vertrauens zum Gespräch hinzugezogen werden. 13
Tipps und praktische Hilfen Im Gespräch ist es von großer Bedeu- Gesprächsdurchführung – tung, dass die Führungskraft dem oder Leitfragen der Betroffenen ausschließlich das be- obachtete und wahrgenommene Verhal- Eine gute inhaltliche Vorbereitung ist ten mitteilt und keine Interpretation und Voraussetzung für ein erfolgreiches Bewertung des Verhaltens vornehmen Gespräch. Folgende Leitfragen sind darf. Noch einmal: die Führungskraft Anregungen: stellt keine Krankheitsdiagnose und • Was soll mit dem Gespräch erreicht macht keine Therapievorschläge. werden? –– Normalisierung des Arbeits- und Sozialverhaltens, Ruhe ins Team Organisatorische Gesprächs bringen … vorbereitung • Welche auffälligen Veränderungen im Leistungs- und Sozialverhalten sowie • Je früher das Gespräch bei wiederhol- im Wesen der oder des Betroffenen ten Verhaltensauffälligkeiten geführt wurden beobachtet und sollen ange- wird, desto besser. sprochen werden? • Der Mitarbeiterin oder dem Mitarbei- –– Auffällig sind zum Beispiel häufige ter werden Anlass und Ziel des Ge- Fehltage, fehlerhaftes Arbeiten, starke sprächs vorher genannt. Leistungsschwankungen, ausgepräg- • Inhalt und Termin des Gesprächs te Stimmungsschwankungen, gereiz- werden der Mitarbeiterin oder dem tes Verhalten, sozialer Rückzug … Mitarbeiter persönlich übermittelt. • Wie hat sich die Zusammenarbeit zwi- • Es ist für eine gute Gesprächsatmo schen Führungskraft beziehungsweise sphäre zu sorgen: Sitzordnung über zwischen Team und der betroffenen Eck, Tür schließen, Getränke anbieten, Person verändert? Störungen vermeiden. –– Früher war die Mitarbeiterin oder • Für das Gespräch ist ausreichend Zeit der Mitarbeiter Kritik gegenüber einzuplanen. aufgeschlossen und ein Teamplayer, heute ist sie oder er ein Einzel kämpfer … 14
Tipps und praktische Hilfen • Wie erleben die Kollegen und Kolle- Gesprächsdurchführung – Ablauf ginnen den Mitarbeiter oder die Mit- arbeiterin? Erstes Gespräch unter vier Augen –– Sie müssen Mehrarbeit leisten, sind Beim ersten Gespräch handelt es sich mit aggressivem oder Rückzugs um ein informelles Vier-Augen-Gespräch verhalten der betroffenen Person ohne disziplinarische Konsequenzen. konfrontiert … Die Führungskraft verdeutlicht, dass sie • Welche Ursachen für diese negative von der betroffenen Person eine positive Verhaltensänderung sieht die oder der Verhaltensänderung erwartet und sichert Mitarbeitende selbst? für dieses Gespräch Vertraulichkeit zu. –– Abzuklären sind arbeitsbezogene Dadurch bringt sie ihre Fürsorgepflicht Belastungen, private Ursachen … als Führungskraft zum Ausdruck. Die Er- • Welche konkreten positiven Verhal- gebnisse des Gesprächs sollten doku- tensveränderungen werden von der mentiert, von der Mitarbeiterin oder dem betroffenen Person erwartet? Mitarbeiter unterschrieben und ihr bezie- –– Reduzierung der Fehltage, korrektes hungsweise ihm ausgehändigt werden. Arbeiten, angemessenes soziales Verhalten, offenes Ansprechen von Zweites Gespräch Schwierigkeiten bei der Arbeit … Der Verlauf des zweiten Gesprächs • Welche Wege zur Verhaltensänderung hängt davon ab, ob die Person nach werden verbindlich eingefordert? dem ersten Gespräch Verhaltensände- –– Die betroffene Person nimmt Hilfen rungen gezeigt hat. an, sucht Beratungsstellen auf … • Welche Unterstützung kann die Haben sich positive Verhaltensänderun- Führungskraft oder das Unternehmen gen ergeben, dann erhalten Beschäftigte Mitarbeitenden anbieten? eine entsprechende positive Rückmel- –– Gesprächsangebote bei Bedarf, dung. Hat sich die Situation nicht verän- Angebote von externen Beratungs- dert oder sogar verschlechtert und wurden stellen, Arbeitsplatzwechsel … vom Mitarbeiter oder von der Mitarbeite- • Wann wird ein neues Gespräch statt- rin keine Schritte zur Veränderung einge- finden? leitet, dann ist Folgendes notwendig: –– nach ca. 4–6 Wochen. • Die oder der Betroffene erhält Rück- meldung über den negativen Verlauf. 15
Tipps und praktische Hilfen • Es wird verdeutlicht, dass man zwar z ufriedenstellende Lösung erreicht wer- Hilfe und Unterstützung vom Unter- den. In solchen Fällen müssen weitere nehmen erhalten kann, aber jede und Maßnahmen eingeleitet werden, gege- jeder auch Verantwortung für die eige- benenfalls auch mit arbeitsrechtlichen ne Gesundheit übernehmen muss. Konsequenzen, wie zum Beispiel Ermah- • Die Führungskraft muss betonen, dass nung, Abmahnung, Kündigung. sie im Spannungsfeld zwischen Fürsor- gepflicht für Mitarbeitende und Verant- Die beiden Gesprächsleitfäden auf Seite wortung für das Unternehmen steht. 28 ff. dienen zum Vorbereiten und Durch- • Die betroffene Person wird darü- führen der Gespräche. Die Fragen und An- ber informiert, dass weitere interne regungen sind vor allem als Orientierung Stellen bei notwendigen künftigen gedacht, sind also exemplarisch und kön- Gesprächen hinzugezogen werden nen je nach Fall auch variiert oder ergänzt müssen (Betriebsärztin oder Betriebs- werden. Eine strikte Abfolge ist nicht arzt, Personalabteilung, Interessen- vorgegeben. Die beiden Leitfäden kön- vertretung, Sozialberatung, weitere nen als Kopiervorlagen genutzt werden. Vorgesetzte …). • Der Mitarbeiterin oder dem Mitarbei- ter wird verdeutlicht, dass es arbeits- Innerbetriebliche und außer rechtliche Konsequenzen haben wird, betriebliche Anlaufstellen wenn sich das Verhalten nicht ändert. • Die Ergebnisse des Gesprächs werden Betroffene wie auch Führungskräfte dokumentiert, von der oder dem Mit- können sich sowohl innerbetrieblich arbeitenden unterschrieben und ihr als auch extern Unterstützung und Hilfe oder ihm ausgehändigt. holen. Innerbetriebliche Anlaufstellen sind – sofern vorhanden – die Betriebs- Folgegespräche ärztin oder der Betriebsarzt, die sozialen Die nachfolgenden Gespräche sind Beratungsstellen im Unternehmen, die abhängig vom Verlauf der Verhaltens- Personalabteilung, die Interessenver- änderungen der oder des betroffenen tretung. Gemeinsam mit diesen internen Mitarbeitenden. Trotz aller Bemühun- Anlaufstellen können die erforderlichen gen kann es ungünstige Entwicklun- Handlungsschritte erarbeitet und einge- gen geben beziehungsweise keine leitet werden. 16
Tipps und praktische Hilfen Darüber hinaus kann das Unternehmen Alle inner- und außerbetrieblichen An- eine externe Mitarbeiterberatung (EAP – gebote sind besonders wirksam, wenn Employee Assistance Program) in An- sie in ein Betriebliches Gesundheits spruch nehmen, die Beschäftigten Hil- management integriert sind. fe bei der Lösung ihrer beruflichen und privaten Probleme anbietet. Umgang mit akuten psychischen Fachärztinnen und Fachärzte, Psycho- Krisen therapeutinnen und Psychotherapeu- ten, Fachkliniken, Beratungsstellen, Akute psychische Krisen stellen sowohl Telefonseelsorge und Selbsthilfegrup- eine Gefahr für Betroffene als auch für pen bieten ebenfalls externe Unter- deren soziales Umfeld dar (vgl. Kapitel 1). stützung für Betroffene an. Betroffe- Derartige Notfallsituationen kommen ne können auch Online-Therapie oder zwar selten vor, erfordern aber ein sofor- Gesundheits-Apps nutzen. tiges Eingreifen und Handeln: • Die oder der Mitarbeitende ist in ihrer Relativ neu ist die Idee, eine Sprech- oder seiner Verwirrtheit und Verzweif- stunde „Psychische Gesundheit“ im Be- lung zu akzeptieren und darf nicht al- trieb einzurichten. Basierend auf einer lein gelassen werden. Kooperation zwischen Betrieb und ex- • Dabei ist wichtig, dass mit der oder ternem ärztlichen oder psychotherapeu- dem Betroffenen ruhig und ohne tischen Fachpersonal können Betroffene jegliche Vorwürfe gesprochen wird. zeitnah und unkompliziert eine Bera- • Eventuell geäußerte Suizidgedanken tung in der Regel während der Arbeits- sind unbedingt ernst zu nehmen. zeit in Anspruch nehmen. Diese Sprech- • Gegebenenfalls ist professionel- stunde wird in regelmäßigen Abständen le Hilfe zu organisieren: Rettungs- (zum Beispiel 14-tägig) im Unternehmen dienst (Telefon 112), Polizei (Telefon angeboten. Mit diesem Angebot können 110), sozialpsychiatrischer Notdienst Fehlbeanspruchungen und physische (regionale Anlaufstellen). oder psychische gesundheitliche Be- • Die Familienangehörigen sind zu schwerden erkannt und mit dem Fach- informieren. personal besprochen werden. 17
4 Rückkehr nach Krankheit in das Unternehmen Wiedereingliederung und Integration Psychische Erkrankungen haben den Ziele von Wiedereingliederung in das gleichen Stellenwert wie körperliche Unternehmen sind: Erkrankungen. Die Führungskraft sollte • Wiederherstellung der Arbeitsfähig- Vorbild für die Kolleginnen und Kolle keit von Mitarbeitenden gen sein und der oder dem Betroffenen • Aufzeigen und Beseitigen eventu- signalisieren: „Willkommen zurück“. eller betrieblicher Ursachen für die Erkrankung Kehrt eine Beschäftigte oder ein Be- • Ableitung passgenauer Maßnahmen schäftigter nach Erkrankung wieder in für die Mitarbeiterin oder den Mit- den Betrieb zurück, gibt es verschiede- arbeiter entsprechend der aktuellen ne Wege und Maßnahmen für die be- Leistungsfähigkeit triebliche Reintegration. • Schaffen einer Vertrauensbasis zwi- schen Rückkehrenden, der Führungs- Bei den betrieblichen Maßnahmen steht kraft und den Kolleginnen und Kollegen nicht die Krankheitsdiagnose im Vorder- • Vorbeugung einer erneuten Arbeits grund, sondern die mehr oder weniger unfähigkeit stark ausgeprägten Krankheitsfolgen so- wie die darauf abzustimmende Wieder- Möglichkeiten der Wiedereingliederung eingliederung. (in Abhängigkeit von der Krankheits dauer) sind: • Krankenrückkehrgespräch • Stufenweise Wiedereingliederung (Hamburger Modell) • Betriebliches Eingliederungsmanage- ment (BEM) Auch während einer Erkrankung und vor Rückkehr in das Unternehmen ist es vie- len betroffenen Beschäftigten wichtig, dass sie nach wie vor Kontakt zum je- weiligen Arbeitsteam und zu Vorgesetz- ten haben. Sie erleben es oft als positiv, wenn man sich nach ihrem Befinden 18
Rückkehr nach Krankheit in das Unternehmen erkundigt und sie über betriebliche Be- • Gegebenenfalls ist ein Arbeitsplatz- lange und Veränderungen informiert wechsel innerhalb des Unternehmens werden. Dies sollte natürlich nur dann in Betracht zu ziehen. geschehen, wenn die Mitarbeiterin oder • Die betroffene Person wird gebeten, der Mitarbeiter dies wünscht. auftretende Schwierigkeiten im Arbeitsprozess und/oder eine Ver- Zu bedenken ist grundsätzlich, dass schlechterung des Gesundheitszu- eine Rückkehr nach psychischer Störung stands zeitnah mit der Führungskraft für Betroffene eine große emotionale zu besprechen. Belastung sein kann. • Die Führungskraft sollte den Verlauf der Reintegration ins Team beobachten: Jede psychische Erkrankung verläuft Gibt es zwischenmenschliche Konflik- anders und deshalb gibt es keine Stan- te und müssen gegebenenfalls weitere dardlösung für die Wiedereingliederung. Anpassungen vorgenommen werden? Folgende Empfehlungen haben sich für eine erfolgreiche Rückkehr von erkrank- Empirische Untersuchungen haben be- ten Mitarbeitenden bewährt: legt, dass die Wahrscheinlichkeit eines • Im Vorfeld muss die Führungskraft mit Rückfalls bei psychisch Erkrankten nach der oder dem Rückkehrenden bespre- neun bis elf Monaten am größten ist. Da- chen, welche Wünsche und Vorstellun- raus ergibt sich die Notwendigkeit einer gen die betroffene Person hinsichtlich länger währenden betrieblichen Beglei- ihrer Arbeitstätigkeit, ihrer Arbeitszeit tung nach Rückkehr in das Unternehmen. und des sozialen Miteinanders hat. Die Führungskraft prüft, ob die geäu- ßerten Wünsche und Vorstellungen mit der betrieblichen Realität in Ein- klang gebracht werden können. • Die Kolleginnen und Kollegen sind von der Führungskraft über die bevorste- hende Rückkehr zu informieren. Mit- geteilt werden die notwendigen Maß- nahmen und Veränderungen, die die Arbeit und das Team betreffen. 19
5 Wege zur psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz Gestaltung der Arbeitsbedingungen und Führungsverhalten Gute Arbeitsbedingungen und ein gu • Klare Regelung und Abgrenzung tes Führungsverhalten spielen eine ent von Aufgaben, Zuständigkeiten und scheidende Rolle für das Wohlbefinden Verantwortungsbereichen eines Menschen an seinem Arbeitsplatz. • Anerkennung für erbrachte Leistungen Können Beschäftigte unter gesunderhal • Unterstützendes und wertschätzen- tenden Bedingungen arbeiten, wirkt sich des Führungsverhalten das auf die Leistungsbereitschaft und • Kollegiales, von Hilfsbereitschaft die Leistungsfähigkeit positiv aus. Sie geprägtes Arbeitsklima gehen gerne zur Arbeit, engagieren sich • Keine körperliche Gewalt und/oder und erzielen gute Arbeitsergebnisse. keine psychische Ausgrenzung und Diskriminierung Es liegt vor allem in der Verantwortung • Ergonomisch gestaltete Arbeitsplätze der Führungskraft, sich für gesunderhal- und Arbeitsmittel tende Arbeitsbedingungen einzusetzen. • Arbeitsmittel von guter Qualität • Keine gesundheitsschädigenden Als solche haben sich bewährt: Belastungen durch Lärm, Hitze, Kälte, • Ausreichender eigener Handlungs- Gerüche oder Zugluft und Entscheidungsspielraum bei der • Begrenzte Überstunden Aufgabenbearbeitung • Ein Schichtsystem nach arbeits • Abwechslungsreiche Tätigkeiten, wissenschaftlichen Erkenntnissen welche die Mitarbeitenden inhaltlich • Ein sicherer Arbeitsplatz weder über- noch unterfordern • Gerechte Entlohnung • Ein von den Mitarbeitenden bewältig- bares Maß an Arbeitsintensität • Ausreichendes Vertretungspersonal bei Krankheit und/oder Urlaub • Das passende Angebot von Fortbil- dungs-, Entwicklungs- und Aufstiegs- möglichkeiten 20
Wege zur psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz Gutes Führungsverhalten bedeutet in Diese oben genannten leistungsförderli- der Führungspraxis: chen und gesunderhaltenden Arbeitsbe- • Arbeitsziele setzen, kommunizieren dingungen können in den betrieblichen und kontrollieren Alltag integriert werden über: • Arbeitstätigkeiten im Team koordinieren • Einen partizipativen Ansatz, der die • Entscheidungen treffen und dafür Beschäftigten bei der Arbeitsgestal- Verantwortung übernehmen tung einbezieht • Freundlichen und wertschätzenden • Die gesetzlich geforderte Gefähr- Umgang untereinander fördern dungsbeurteilung (§ 5 ArbSchG) • Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei • Das Betriebliche Gesundheitsmanage- Bedarf unterstützen ment (BGM) • Mitarbeitenden Mitsprachemöglich- keiten einräumen Nicht zuletzt kann eine gute Personal- • Für planbare Arbeitszeiten sorgen planung und Personalentwicklung eine • Eindeutige und ausreichende Informa- Über- oder Unterforderung mit negati- tionen geben ven gesundheitlichen Folgen für die Be- • Regelmäßige Teambesprechungen und schäftigten verhindern. Ziel ist es, die Mitarbeitergespräche durchführen „Passfähigkeit“ zwischen den Arbeits- • Führungsverhalten berechenbar und anforderungen und den fachlichen so- transparent machen wie sozialen Kompetenzen der Beschäf- • Positive Rückmeldungen für gute ge- tigten anzustreben. leistete Arbeit geben • Minderleistungen einer oder eines Auch die Mitarbeitenden selbst tragen Mitarbeitenden ansprechen Verantwortung für ihre Gesundheit, zum • Mitarbeitende bei der Gestaltung des Beispiel mit Ausgleichs- und Erholungs- Arbeitsplatzes und bei betrieblichen möglichkeiten durch aktive Pausen oder Veränderungen von Arbeitsabläufen körperliche Bewegungs- und Entspan- einbeziehen nungsübungen. Darüber hinaus können Seminarangebote zu Stressbewältigung, Zeitmanagement und Kommunikation genutzt werden. 21
6 Arbeitsrechtliche Aspekte Handlungsmöglichkeiten für Arbeitgebende und Führungsverantwortliche Der nachfolgende Fragenkatalog soll Wenn das Verhalten einer oder eines einen Überblick über die in Betracht Beschäftigten negative Auswirkungen kommenden arbeitsrechtlichen Hand- auf die arbeitsvertragliche Pflichterfül- lungsmöglichkeiten für Führungskräfte lung hat oder zu betrieblichen Störun- im Umgang mit psychisch auffälligen gen führt (zum Beispiel massive Ag- Beschäftigten geben. Pauschale arbeits- gressionen im Team, schwerwiegende rechtliche Handlungsempfehlungen Beeinträchtigungen der Arbeitsabläu- können hierzu nicht erfolgen, da stets fe, wiederholt ausfallende Äußerungen die jeweiligen Umstände des Einzelfal- gegenüber Kolleginnen und Kollegen) les zu berücksichtigen sind. Die nach- muss die Führungskraft eingreifen. In folgende Übersicht kann eine fundierte Betracht kommen Maßnahmen rechtliche Beratung nicht ersetzen. Füh- • zur Unterstützung der psychisch auf- rungsverantwortliche sind Adressaten fälligen Beschäftigten: zum Beispiel dieses Kapitels soweit ihnen von der Gespräche führen, interne und exter- Arbeitgeberin beziehungsweise vom ne Hilfsangebote aufzeigen, Kontakte Arbeitgeber die erforderlichen Befug- zu Expertinnen und Experten herstel- nisse zur Ergreifung der entsprechenden len und arbeitsrechtlichen Maßnahmen wirksam • zum Schutz von Betroffenen und/oder übertragen worden sind. Ist die Pflich- Dritten (Kolleginnen und Kollegen, tenübertragung durch die Arbeitgeberin Kundinnen und Kunden) sowie zum oder den Arbeitgeber an die Führungs- Schutz der wirtschaftlichen/betrieb- verantwortlichen nicht erfolgt, bleibt al- lichen Interessen der Arbeitgebenden: lein die Arbeitgeberin beziehungsweise zum Beispiel der oder dem Beschäf- der Arbeitgeber in der Verantwortung. tigten anbieten, eine ärztliche Unter- suchung durchführen zu lassen und ? andere arbeitsrechtliche Maßnahmen Welche Handlungsmöglichkeiten ha- wie zum Beispiel Übertragung ande- ben Führungskräfte bei psychischen rer Aufgaben, Umsetzung, Versetzung, Auffälligkeiten einer Mitarbeiterin Abmahnung oder (Änderungs-)Kündi- oder eines Mitarbeiters? gung nach den jeweils einschlägigen arbeitsrechtlichen Vorschriften. 22
Arbeitsrechtliche Aspekte ? Arbeitgebende dürfen die je nach Ein- Welche Handlungsmöglichkeiten zelfall angemessenen arbeitsrechtli- hat eine Führungskraft bei attestier- chen Maßnahmen ergreifen, wenn sie ten psychischen Störungen und de- zuvor die ihnen möglichen Handlungs- ren Auswirkungen wie zum Beispiel möglichkeiten zur Unterstützung der krankheitsbedingte Leistungsminde- betroffenen Person ausgeschöpft haben rung oder häufige Kurzerkrankungen? und über einen definierten Zeitraum kei- ne Änderungen bei der oder dem Betrof- Die Vorgehensweise der Führungskraft fenen festzustellen sind. gegenüber einer Mitarbeiterin oder einem Mitarbeiter mit einer psychischen Störung ? ist vergleichbar mit dem Handeln bei Was kann eine Führungskraft tun, psychischen Auffälligkeiten bei Beschäf- wenn sie den begründeten Verdacht tigten. In Betracht kommen Unterstüt- hat, dass eine Mitarbeiterin oder ein zungsmaßnahmen und arbeitsrechtliche Mitarbeiter infolge des Gesundheitszu- Maßnahmen. Die Einzelfallentscheidung stands die Tätigkeit nicht ohne Gefahr ist auch abhängig von der gesundheitli- für sich oder andere ausführen kann? chen Situation und der Bereitschaft von Beschäftigten, an einer Verbesserung der Situation mitzuwirken, zum Beispiel Wenn die oder der Beschäftigte eine durch Wiederaufnahme einer gegebenen- Gefahr für Leib und Leben für sich und falls unterbrochenen Medikation. Aller- andere darstellt, kommt eine Freistel- dings gibt es keine arbeitsvertragliche lung der oder des Betroffenen eventuell Pflicht für Beschäftigte, sich einer Thera- unter Fortbestehen des Lohnanspruchs pie zu unterziehen. Dies kann nur auf frei- der oder des Betroffenen in Betracht. williger Basis erfolgen. Außerdem dürfen Arbeitgebende im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht eine ärzt- Je nach Einzelfall muss die Führungskraft liche Untersuchung veranlassen. Gege- Leistungsminderungen und/oder häufi- benenfalls kann eine Freistellung bis zur ge Kurzerkrankungen hinnehmen, soweit Vorlage der ärztlichen Bescheinigung die Negativfolgen der Beeinträchtigung erforderlich sein. für sie im Sinne einer Abwägung ihrer Interessen und der Interessen der oder des Beschäftigten noch zumutbar sind. 23
Arbeitsrechtliche Aspekte ? Kann die Führungskraft auf Bekanntga- aus, sondern es müssen begründete be der Krankheitsdiagnose bestehen? Feststellungen vorliegen. Weigert sich die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter, Nein, die Diagnose geht die Führungs- so kann die Verweigerung arbeitsrecht- kraft nichts an. Weigern sich Beschäf- liche Konsequenzen nach sich ziehen, tigte die Krankheitsdiagnose anzu- bis hin zur Kündigung. geben, dürfen ihnen dadurch keine Nachteile entstehen. Betroffene sind nicht verpflichtet, die Ärztin oder den Arzt von der Schweige- ? pflicht zu entbinden. Sie sind lediglich Darf die Führungskraft Beschäftigte dazu verpflichtet, eine ärztliche Beschei- zu einer ärztlichen Untersuchung zur nigung vorzulegen, aus der hervorgeht, Feststellung der Leistungsfähigkeit ob sie zur Leistung der arbeitsvertraglich verpflichten? geschuldeten Tätigkeit in der Lage sind. Die Durchführung einer ärztlichen Unter- ? suchung bedarf grundsätzlich einer Kann psychisch beeinträchtigten Rechtsgrundlage. Eine solche kann sich oder erkrankten Mitarbeitenden ergeben aus öffentlich-rechtlichen Geset- gekündigt werden? zen (zum Beispiel Jugendarbeitsschutz- gesetz) und Rechtsverordnungen (zum Psychische Beeinträchtigungen oder Beispiel GefahrstoffVO) sowie privat- Erkrankungen schützen grundsätzlich rechtlichen Vereinbarungen (Tarifvertrag, nicht vor einer Kündigung, wobei die Betriebsvereinbarung, Arbeitsvertrag). Kündigung stets das letzte Mittel der Wahl ist. Erst wenn die Führungskraft Darüber hinaus kann sich eine Pflicht sämtliche zumutbaren Maßnahmen er- zur Untersuchung auch aus einem kon- folglos ausgeschöpft hat und eine Wei- kreten Anlass ergeben, wenn die Füh- terbeschäftigung nicht zumutbar ist, rungskraft berechtigte Zweifel an der kann eine Kündigung des Arbeitsver- Arbeits- und Leistungsfähigkeit von Be- hältnisses unter Berücksichtigung der schäftigten hat, zum Beispiel bei nicht strengen rechtlichen Voraussetzungen unerheblicher Leistungsminderung. Ver- in Betracht kommen. mutungen reichen hierbei jedoch nicht 24
Anlage 1 Kurzbeschreibung ausgewählter psychischer Störungen Affektive Störungen Burnout (Depression und andere Formen) Burnout wird nach ICD 10 definiert als Affektive Störungen sind Störungen, die „Probleme mit Bezug auf Schwierigkei- durch extreme Stimmungslagen gekenn- ten bei der Lebensbewältigung inklusive zeichnet sind. Zu den bekanntesten affek- Ausgebranntsein [Burnout]“. tiven Störungen zählen die Depression, die Manie und die bipolare Störung. Bei Burnout wird oft in Zusammenhang der bipolaren Störung wechseln sich de- mit Depression gebracht beziehungs- pressive und manische Phasen ab. Affek- weise Depression in Zusammenhang tive Störungen können einmal oder wie- mit Burnout. derkehrend auftreten oder sind chronisch. • Die Hauptsymptome einer Depression Wesentliche Unterschiede zwischen sind eine gedrückte, niedergeschlagene Burnout und Depression sind: Stimmung, Gleichgültigkeit und Antriebs- • Burnout ist meist kontextbezogen losigkeit sowie eine rasche Erschöpfung. (häufig ist der Kontext die Arbeit), eine Begleitet werden die psychischen Kenn- Depression ist eher kontextfrei. zeichen häufig durch körperliche Symp- • Burnout verläuft in Phasen. Burn- tome. Menschen mit Depression haben out-Gefährdete zeigen insbesondere oft die Lust am Leben verloren und kön- in der Anfangsphase Überengage- nen suizidgefährdet sein. ment, Kämpfertum und Willensstärke. • Die Manie ist gekennzeichnet durch Der Phasenverlauf findet sich nicht bei ein situationsunangemessenes und einer depressiven Symptomatik. unbegründetes Hochgefühl, welches mit Rastlosigkeit und übersteigertem Im fortgeschrittenen Stadium unter- Selbstwertgefühl einhergeht. scheiden sich die Symptome von Burn- • Bei der bipolaren Störung (früher als out und Depression nicht mehr. manisch-depressive Störung bezeich- net) erleben Betroffene abwechselnd Burnout ist keine eigenständige Phasen von extremer Niedergeschla- Krankheit, sondern eine Zusatzdiag- genheit und grenzenloser Euphorie, nose im Zusammenhang mit anderen wobei die depressiven Phasen meist Erkrankungen. länger anhalten und überwiegen. 25
Anlage 1 Angststörungen Posttraumatische Belastungs störung Von Angststörungen spricht man, wenn eine Person übersteigerte Angstempfin- Eine Posttraumatische Belastungsstö- dungen hat. Dabei entspricht die Inten- rung (PTBS) kann sich nach dem Er- sität der erlebten Angst nicht der realen leben von traumatischen Ereignissen Bedrohung oder Gefahr. wie Gewalttaten, schweren Unfällen, Kriegserlebnissen, Naturkatastrophen Es gibt verschiedene Angststörungen: entwickeln. Solche Extremsituationen • Phobien sind starke unangemessene sind existenzielle Grenzerfahrungen für Ängste, die sich auf bestimmte Lebe- Betroffene und lösen heftige Erregungs- wesen, Objekte oder Situationen be- zustände aus. Charakteristisch für eine ziehen. Besonders bekannt sind die PTBS sind ständige wiederkehrende soziale Phobie (die Angst vor Bewer- Bilder, Gedanken, Träume, Geräusche tung durch andere Menschen), die in Verbindung mit dem Ereignis (Flash- Hundephobie, die Spinnenphobie und backs), ein erhöhtes Erregungsniveau die Klaustrophobie (Furcht vor beeng- und Vermeidungsverhalten. Diese Sym- ten Räumen). ptome können lange bestehen bleiben. • Panikstörungen sind Angstanfälle die scheinbar aus „heiterem Himmel“ kommen, verbunden mit heftigen Störungen durch psychotrope körperlichen und psychischen Angst- Substanzen/Abhängigkeits symptomen. erkrankungen • Generalisierte Angststörungen be- ziehen sich nicht nur auf bestimmte Psychotrope Substanzen sind Stoffe, Objekte oder Situationen. Betroffene die physisch und psychisch wirken und leiden unter einer Dauerangst und sor- abhängig machen können, das heißt, gen sich um alles: um die Zukunft, um das Verlangen kann nicht mehr selbst ihren Arbeitsplatz, um ihr mögliches gesteuert werden. Derartige Stoffe sind Versagen, um ihre Gesundheit, vor zum Beispiel Alkohol, illegale Drogen dem Alter … und Medikamente. An erster Stelle der Abhängigkeitserkrankungen steht nach wie vor die Alkoholabhängigkeit. Die 26
Anlage 1 Abhängigkeit von illegalen Drogen und/ oder Medikamenten nimmt jedoch stark zu. Es gibt auch nichtstoffliche Abhän- gigkeiten, wie zum Beispiel von Internet oder von Spielen. Somatoforme Störungen (Psychosomatische Beschwerden) Somatoforme Störungen sind Befind- lichkeitsstörungen ohne organischen Befund. Körperliche Befindlichkeitsstö- rungen wie Kopf-, Rücken-, Bauch- oder Gelenkschmerzen, Schlafstörungen, Herz-Kreislauf-Beschwerden, Müdigkeit und Erschöpfung sind durch psychische Probleme bedingt. 27
Anlage 2 Leitfäden für Gesprächsvorbereitung und -durchführung Leitfaden 1 Organisatorische Gesprächsvorbereitung • Je früher das Gespräch bei wiederholten Verhaltensauffälligkeiten geführt wird, desto besser. • Der Mitarbeiterin oder dem Mitarbeiter werden Anlass und Ziel des Gesprächs genannt. • Inhalt und Termin des Gesprächs werden der oder dem Mitarbeitenden persönlich übermittelt. • Es ist für eine gute Gesprächsatmosphäre zu sorgen: Sitzordnung über Eck, Tür schließen, Getränke anbieten, Störungen vermeiden. • Für das Gespräch ist ausreichend Zeit einzuplanen. Notizen: 28
Anlage 2 Leitfaden 2 Gesprächsdurchführung • Was soll mit dem Gespräch erreicht werden? • Welche auffälligen Veränderungen im Leistungs- und Sozialverhalten s owie im We- sen der oder des Betroffenen wurden beobachtet und sollen a ngesprochen werden? • Wie hat sich die Zusammenarbeit zwischen Führungskraft und der oder dem betroffenen Mitarbeitenden und zwischen Team und der oder dem betroffenen Mitarbeitenden v erändert? 29
Anlage 2 • Wie erleben die Kolleginnen und Kollegen die oder den Mitarbeitenden? • Welche Ursachen für diese negative Verhaltensänderung sieht die oder der Mitarbeitende selbst (arbeitsbedingte und/oder private Ursachen)? • Welche konkreten positiven Verhaltensänderungen werden von der oder dem Mitarbeitenden erwartet? 30
Anlage 2 • Welche Wege zur Verhaltensänderung werden von der Mitarbeiterin oder dem Mitarbeiter verbindlich eingefordert? • Welche Unterstützung kann die Führungskraft oder das Unternehmen der oder dem Mitarbeitenden anbieten? • Welcher Termin wird für ein erneutes Gespräch vereinbart? 31
Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V. (DGUV) Glinkastraße 40 10117 Berlin Telefon: 030 13001-0 (Zentrale) Fax: 030 13001-9876 E-Mail: info@dguv.de Internet: www.dguv.de
Sie können auch lesen