UNICEF-Foto des Jahres 2020

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UNICEF-Foto des Jahres 2020
UNICEF-Foto des Jahres 2020

Erster Preis 2020

Lesbos, Griechenland: Die brennende Not
Eine Katastrophe in der Katastrophe: Am 9. September 2020 zerstört im Flüchtlingslager Moria auf der
griechischen Insel Lesbos ein Feuer die Unterkünfte von 13.000 Menschen, darunter 4.000 Kinder. Sie
sind dem Krieg in Syrien entflohen, der Gewalt in Afghanistan, ihrer Angst im Irak. Sie haben unter
elenden Bedingungen ausgeharrt, viele seit Jahren. Das Lager ist grotesk überfüllt, Krankheiten
grassieren, immer wieder werden Lebensmittel und sauberes Wasser knapp. Und nun das Feuer. Es
breitet sich rasend schnell aus, den Flüchtlingen bleibt nur, in die Hand zu nehmen, was sie greifen
können. Unter den vielen Bildern von dieser Inferno-Nacht hat der griechische Fotograf Angelos
Tzortzinis die eindrucksvollsten vom Leiden der Kinder gemacht. Von Kindern mit Atemschutzmasken
vorm Gesicht, die Hand in Hand durch Rauchwolken gehen. Von Schockmomenten und
Zusammenbrüchen, vom Entsetzen und Weinen. Und jenes Foto, das alles gleichzeitig zeigt: Flucht
und Tapferkeit, Fassungslosigkeit und Hilfsbereitschaft in höchster Not. Die Stärke des Kleinen, der
dem noch Kleineren die heile Haut bewahrt. Im Blick des jungen Retters: die ganze Hoffnung, es
möge ein anderes, ein besseres Leben kommen. Unter den nach UNO-Schätzungen gegenwärtig rund
79,5 Millionen Menschen auf der Flucht sind etwa 32 Millionen Kinder und Jugendliche.

Fotograf: Angelos Tzortzinis, Griechenland (AFP)

                             © Angelos Tzortzinis, Griechenland (AFP)
UNICEF-Foto des Jahres 2020
Zweiter Preis 2020

Indien: Der Fluch der Kohle
Die Kohlefelder von Jharia im indischen Bundesstaat Jharkhand gehören zu den größten in ganz Asien.
Auf 280 Quadratkilometern wird hier Kohle im Tagebau gewonnen. Es ist das Land der schwarzen
Gesichter. Giftiges Land, denn seit über 100 Jahren steigen hier aus ungezählten unterirdischen
Feuern toxische Gase auf: Schwefeldioxid, Kohlenmonoxid. Luft und Trinkwasser sind verschmutzt,
Asthma, Tuberkulose und Hautkrankheiten grassieren. Trotzdem halten es Menschen hier aus, ziehen
sogar auf der Suche nach Arbeit hierher. Und auch Kinder arbeiten in den offenen Minen, schleppen
Steine. Der indische Fotograf Supratim Bhattacharjee hat in den Gesichtern dieser Kinder ihr ganzes
Elend eingefangen, Entsetzen, Erschöpfung, Zerstörung. Szenen, die aus einem dystopischen Film
kommen könnten; Gesichter, die man nur schwer vergessen kann. Die Eltern sind meist Analphabeten.
Der Tageslohn, umgerechnet ein bis zwei US-Dollar, in den oft illegal betriebenen Minen am Rande
der großen Kohlefelder ist derart gering, dass schon Vier-, Fünf-, Sechsjährige zur Mitarbeit
gezwungen sind. Viele Mädchen und Jungen sind mangelernährt; zur Schule gehen sie nicht.

Fotograf: Supratim Bhattacharjee, Indien

                                  © Supratim Bhattacharjee, Indien
UNICEF-Foto des Jahres 2020
Dritter Preis 2020

Brasilien: Das Favela-Ballett
Gewalt und Drogen kennenzulernen, früh schwanger zu werden – das gehört zu den
Alltagserfahrungen von Kindern und Jugendlichen in den Favelas von Rio de Janeiro. Eine Gruppe von
Mitgliedern einiger der besten Tanz-Akademien Brasiliens aber hat beschlossen, für eine Alternative
zu sorgen: In der Favela Manguinhos haben sie eine Ballettschule eröffnet. 250 Mädchen und junge
Frauen soll sie den Weg aus der täglichen Misere zeigen. Durch Freude und Spiel, durch Disziplin und
ein neues Selbstbewusstsein. Eine Bibliothek gehört zur Schule – und viermal im Monat ein Ausflug in
das imposante Teatro Municipal, wo den Mädchen eine persönliche Begegnung mit ihren Idolen
geboten wird. Der in Deutschland lebende russische Fotograf Evgeny Makarov hat die
Ballettschülerinnen von Manguinhos auf ihren Wegen durch die Favela begleitet, beim Training in der
Schule, die er als einen „Schutzbunker“ beschreibt, beim Training zuhause, wo sie in armseliger
Umgebung „Arabesque“ und „Grand Plié“ üben – und in einer Gemeinschaft, die sie glücklich macht.

Fotograf: Evgeny Makarov, Deutschland/Russland (Agentur Focus)

                     © Evgeny Makarov, Deutschland/Russland (Agentur Focus)
UNICEF-Foto des Jahres 2020
Ehrenvolle Erwähnung 2020

Syrien: Sport statt Krieg, Spaß statt Angst
Im Dorf Aljiina in der Nähe der syrischen Stadt Aleppo hat der Karate-Lehrer Wasim Satot eine Schule
für Kinder eröffnet. Das Besondere an ihr: Hier werden Mädchen und Jungen mit und ohne
Behinderung gemeinsam unterrichtet. Ihr Alter: zwischen sechs und 15 Jahre. Das Ziel ist es, ein
Gemeinschaftsgefühl zu wecken. Und etwaige Kriegserfahrungen – Aleppo war hart umkämpft – in den
Köpfen der Kinder zu überwinden. Der syrische Fotograf Anas Alkharboutli hat dokumentiert, wie sehr
der Plan des Karate-Lehrers aufzugehen scheint, Kinder fröhlich, stark und selbstbewusst zu machen;
ihre Widerstandskraft zu fördern und ihnen unbeschwerte Stunden zu schenken.

Fotograf: Anas Alkharboutli, Syrien (dpa)

                                 © Anas Alkharboutli, Syrien (dpa)
UNICEF-Foto des Jahres 2020
Ehrenvolle Erwähnung 2020

Italien: Die Ragazzi von Catania
Catania, Sizilien. In den „sozialen Brennpunkten“ dieser Stadt sind die Schulabschlussraten gering und
ist die Kriminalitätsrate hoch. Von Diebstahl und Drogen-Dealerei leben hier viele Jugendliche,
unterstützen ihre Mütter damit, wenn die Väter „attaccato“ sind, also im Gefängnis sitzen. Der
Familienzusammenhalt ist eng – und hat eine Verwandtschaft, wie der italienische Fotograf Daniele
Vita sagt, zu den „Respekt“-Gesetzen der hier immer noch lebendigen Mafia-Kultur; einem fast schon
„normalen“ Leben zwischen Freiheit und Gefängnis. Vita hat Jugendliche aus berüchtigten
„Quatteri“, Nachbarschaften, beim Erproben des Erwachsenseins begleitet: Zehn- bis 15-Jährige, die
sich an den Cliffs am Meer treffen, um Vieles zum ersten Mal auszuprobieren: erste Zigaretten, erste
Drogen, erste Küsse, ersten Sex. Gewalterfahrungen haben sie oft schon hinter sich, manche hatten
auch schon eine Waffe in der Hand – und sind zugleich noch Kinder. Mitschwimmen wollen sie – aber
wohin?

Fotograf: Daniele Vita, Italien

                                       © Daniele Vita, Italien
UNICEF-Foto des Jahres 2020
Ehrenvolle Erwähnung 2020

Russland: Von der Schule des Lebens in die Schule des Staates
Sie werden in der Kälte geboren, wachsen in Zelten auf, ziehen mit ihren Eltern auf Schlitten umher,
von Rentieren gezogen: Die Kinder der Nenzen, einem der 44 indigenen Völker auf russischem
Territorium, wachsen in großer Freiheit auf. Als Nomaden im äußersten Nordwesten Russlands. Weder
eine Heizung noch Elektrizität kennen die Kinder; Wasser wird aus geschmolzenem Schnee gewonnen,
Strom liefert zwei bis drei Stunden am Tag ein Generator. Aber dann, wenn sie sieben Jahre alt sind,
landen Helikopter, um die Nenzen-Kinder in eine zentrale Schule zu bringen. Für neun Monate jedes
Jahr. Bis sie 17 sind. Das alles ist kostenfrei. Und doch ungewohnt für die Kinder, die zunächst kein
Russisch sprechen und sich zwischen zwei Kulturen zu orientieren haben. Die Fotografin Elena
Chernyshova hat die Kinder der Rentierzüchter in beiden Leben begleitet: in der Tundra und in der
Stadt; eingepackt in Felle und beim Turnen in der Schule; unter dem großen Himmel – und unter
Beobachtung der Lehrer.

Fotograf: Elena Chernyshova, Russland/Frankreich (Panos Pictures)

                    © Elena Chernyshova, Russland/Frankreich (Panos Pictures)
UNICEF-Foto des Jahres 2020
Ehrenvolle Erwähnung 2020

Iran: Corona – und die kleine Freiheit auf dem Dach
Geschlossene Kindergärten und Schulen, kollabierende Gesundheitssysteme, in die Arbeitslosigkeit
entlassene Väter und Mütter, verschärftes Elend: Die weltweite Corona-Pandemie hat fatale
Auswirkungen auch auf Abermillionen Kinder; besonders in ärmeren Ländern. Dort, wo Abstandsregeln
illusorisch und Schutzmasken Luxus sind; wo Selbstisolation in winzigen Behausungen betrieben
werden soll; wo Menschen statt im Auto in vollgepfropften Zügen und Bussen unterwegs sein müssen.
In Teheran, Irans Hauptstadt, hat der Fotograf Erfan Kouchari etwas freundlichere Szenen von einem
Land in Corona-Zeiten eingefangen. Einem Land, in dem bis Dezember 2020 fast 50.000 Menschen an
Corona starben, obwohl auch hier Lockdowns verordnet wurden. Kouchari zeigt die kleinen Fluchten
der Kinder auf die Flachdächer der Häuser. Zeigt, wie sie dort spielen, skaten, Drachen steigen
lassen; wie sie dort turnen, Zelte bauen oder Gärten bepflanzen.

Fotograf: Erfan Kouchari, Iran (Tasnim News Agency)

                           © Erfan Kouchari, Iran (Tasnim News Agency)
UNICEF-Foto des Jahres 2020
Ehrenvolle Erwähnung 2020

Iran: Ein Herz, zwei Leben
Etwa 25.000 Menschen im Iran stehen auf einer Warteliste für Spenderorgane. Nach offiziellen
Angaben konnten 2018 knapp 1.000 Transplantationen vorgenommen werden. Die Dramen hinter
diesen Zahlen bleiben in der Regel unveröffentlicht. Eine dieser Geschichten, bei der das Schreckliche
und das Schöne so nahe beieinanderliegen können, hat der Fotograf Hamed Malekpour in seinen
Bildern nacherzählt. Es ist die Geschichte von Sajjad Darwishali, einem neun Jahre alten Jungen, der
tödlich verletzt wird, als er auf der Straße seines Heimatortes überfahren wird. Nachdem der Hirntod
des Jungen festgestellt worden ist, entscheidet sich seine Familie, sowohl sein Herz wie seine Leber,
sowohl die Hornhaut der Augen wie seine Nieren für Menschen in höchster Not zu spenden. Das Herz
Sajjads wird in Teheran einem zehn Jahre alten Jungen eingepflanzt, der seit vier Jahren an einer
Erkrankung der Arterien leidet, mit dem Effekt einer lebensgefährlichen Herzmuskelerkrankung. Die
Transplantation ist erfolgreich. Malekpour hat das Schicksal zweier Kinder und ihrer Familien in
Bildern von großer Trauer und ebenso großer Erleichterung eingefangen.

Fotograf: Hamed Malekpour, Iran

                                     © Hamed Malekpour, Iran
UNICEF-Foto des Jahres 2020
Ehrenvolle Erwähnung 2020

Kolumbien: Auf der Flucht aus Venezuela
Von der Weltöffentlichkeit wenig wahrgenommen, fliehen seit 2016 Menschen aus dem Krisenstaat
Venezuela ins benachbarte Kolumbien: vor politischer Unsicherheit und Gewalt, vor dem Hunger und
einem zerrütteten Gesundheitssystem. Nach Schätzungen von UNICEF ist der Flüchtlingsstrom auf 1,7
Millionen Menschen gewachsen, darunter über 430.000 Kinder und Jugendliche. Zwar leisten
kolumbianische Organisationen bereits an der Grenze eine Art erste Hilfe, verteilen Lebensmittel,
Trinkwasser und Medikamente. Doch das Gros der Flüchtlinge versucht, die Hauptstadt Bogotá zu
erreichen. Oder auch, sich weiter bis nach Ecuador durchzuschlagen. Sie begeben sich auf
abenteuerliche Wege zu Fuß, und manche schaffen es, dass sie auf Lastwagen reisen können. Eine
solche Szene hat der in Kolumbien lebende italienische Fotograf Nicoló Filippo Rosso festgehalten:
einen Kindertransport in einem Truck, der sonst Kohle befördert.

Fotograf: Nicoló Filippo Rosso, Italien

                                   © Nicoló Filippo Rosso, Italien
Ehrenvolle Erwähnung 2020

Bangladesch: Ihr Bett ist die Straße
Kein Dach über den Kopf, keine Schule, kein Zugang zu Gesundheitsdiensten und eine Familie, die
nicht mehr behütet, vor nichts mehr bewahrt: In Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch, leben
Kinder Tag und Nacht auf Bürgersteigen, schlafen auf Bänken, Pappen, Bambusmatten. Am Fluss,
neben vierspurigen Straßen, vor Bahnhöfen, auf Fabrikgeländen. Manchmal haben sie eine alte Decke
zwischen sich und dem Pflaster, manchmal ein Kissen aus Lumpen. Schätzungen über die Zahl der
Straßenkinder in Bangladesch sind schwierig; vermutlich sind es Hunderttausende. Es wird davon
ausgegangen, dass fast die Hälfte von ihnen nicht einmal zehn Jahre alt sind. Und dass es immer mehr
von ihnen werden, weil der Zustrom verarmter Familien vom Land nicht abreißen will. Mit
Botengängen, als Müllsammler und Kulis verdienen die Kinder der Straße ihr Geld, als Bettler und mit
Taschendiebstählen versuchen sie zu überleben. Der Fotograf Sumon Yusuf ist durch die nächtlichen
Straßen der 20-Millionen-Einwohnerstadt gestreift, um zu dokumentieren, was er „sleeping beauty“
nennt. Schlafende Schönheit. Hinter dem poetischen Titel steht Yusufs Appell, sich die Würde und
Tapferkeit der Kinder in der Gosse bewusst zu machen.

Fotograf: Sumon Yusuf, Bangladesch

                                   © Sumon Yusuf, Bangladesch

Texte: © Peter-Matthias Gaede für UNICEF, November 2020
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