Zeitung lesen auf dem Stundenplan
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Zeitung lesen auf dem Stundenplan Dr. Franz-Josef Payrhuber in Zusammenarbeit mit der Mainzer Projektgruppe Ausgangssituation Voraussetzungen und Intentionen Im Elternhaus vieler Kinder gehört die Tageszeitung zur Das derzeit wieder zu Ehren kommende Prinzip „Lesen täglichen Lektüre, bevorzugt am Morgen. Manche Kinder lernt man nur durch Lesen“ (Richard Bamberger) gilt mögen sogar ab und zu selbst einen Blick in die Zeitung selbstverständlich auch für das Zeitung lesen in der werfen. Zum Kreis regelmäßiger Zeitungsleser gehören Schule. Es ist Gewöhnung erforderlich, eine einmalige Kinder aber nicht, und schon gar nicht diejenigen, deren Aktion ist wirkungslos. Andererseits muss aber auch da- Eltern zu Hause keine Tageszeitung haben. Ihnen fehlt rauf geachtet werden, dass nicht des Guten zuviel getan jeglicher Impuls durch ein Vorbild. wird. Zwei Wochen tägliche Zeitungslektüre erweisen Steht das Zeitung lesen auf dem Stundenplan der Schu- sich für eine erste Beschäftigungsphase mit dem Me- le, wird bei einem Teil der Kinder fehlende Erfahrung aus- dium als angemessene Zeitspanne. geglichen, bei einem anderen vorhandene Erfahrung be- Im Mainzer Feldversuch steht das Vorhaben unter der stärkt. Gemeinsam bekommen sie das Angebot, mit der Leitlinie freien Lesens. Es geht um das Vertrautwerden Tageszeitung ein Lesemedium kennen zu lernen, das im mit dem Medium, ohne dass die Lehrkraft Vorgaben Alltag eine wichtige Rolle spielt, in der ‚Eigenwelt‘ der macht, was gelesen werden soll, ohne dass Leitfragen Schule aber – zumindest bisher – nicht oder nur selten gestellt und Interessen gelenkt werden. vorkommt. Voraussetzung für die Durchführung des Vorhabens ist, Wer dies ändern will, muss eine Schwierigkeit bedenken: dass während seiner Laufzeit die Tageszeitung täglich Die Schule kann die Alltagswirklichkeit in ihr pädago- und in Klassenstärke geliefert wird. Für die Schüler ist es gisch-didaktisches Handeln zwar einbeziehen, aber sie wichtig, dass sie ihr ganz persönliches Zeitungsexemplar ist nicht die Wirklichkeit selbst. So selbstverständlich bekommen und nicht Mitleser mit einem Partner oder in diese Bedingung ist, so oft wird sie übersehen. Auch das einer Gruppe sind. Zeitung lesen in der Schule entspricht nicht der realen Die Lesezeit ist fest auf den Stundenplan zu setzen, und Lektürepraxis. dies möglichst früh am Morgen, damit Spannung und Unter dieser einschränkenden Bedingung sind zwei Neugier noch nicht verflogen sind. Auch bei einem offe- Merkmale der Zeitungslektüre von der Schule zu über- nen Unterrichtsbeginn bietet sich an, die Lesezeit am nehmen: Zeitungen werden täglich gelesen und Zeitun- Anfang des Tages anzusetzen, gut geeignet ist auch die gen werden selektiv gelesen. Sporadisch über einzelne Phase vor der Frühstückspause. Tage verstreute Lektüre ist beim Zeitung lesen ebenso Zu bedenken ist von der Lehrkraft vorab, dass das große unüblich wie die vollständige Lektüre von der ersten bis Format der Zeitung Schwierigkeiten machen kann. Es zur letzten Seite. Oft geht dies schon wegen des Um- erschwert den Kindern nicht nur die inhaltliche Orientie- fangs nicht, vor allem aber geschieht es nicht, weil die rung, sondern stellt auch vor ganz praktische Probleme: verschiedenartigen Themen der Zeitung nicht alle glei- Auf den Schülertischen muss hinreichend Platz sein, die chermaßen interessieren. Der geübte Zeitungsleser liest Zeitung auszubreiten; und wenn es hier zu eng wird, soll- selektiv. Er hat sich bei der Auswahl und beim Lesen te erlaubt sein, dass sich die Kinder auf den Boden set- angewöhnt, eigene Schwerpunkte zu setzen, indem er zen, in die Leseecke zurückziehen oder sonst einen ge- für ihn Unwichtiges auslässt oder lediglich überfliegt. eigneten Ort suchen. Solche Leseplätze sind der Zeitung ohnehin nicht wesensfremd, sie wird auch zu Hause an den unterschiedlichsten Orten gelesen. Mit der täglichen Lektürephase verbindet sich die Erwar- tung, dass Interesse am (regelmäßigen) Zeitung lesen entsteht, wenn die Kinder erst einmal entdeckt haben, welche interessanten, spannenden, wissenswerten und lustigen Dinge in der Zeitung stehen. Vereinzelt mag es auch die Situation geben, dass ein Kind nur ganz oberflächlich in der Zeitung blättert oder sie gar nicht lesen möchte. Hier sollte das Prinzip der Freiwilligkeit regieren; es muss auch das Recht eines Kindes respektiert werden, nicht zu lesen. 8
Vorgehensweise im Feldversuch Für die tägliche Zeitungslektüre in den Projektklassen waren zwanzig bis dreißig Minuten eingeplant. Es war den Schülern freigestellt zu lesen, was sie wollten. Um die Beobachtungen zum Leseinteresse und zur Reichweite der Lesekompetenz verifizieren zu können, wurden die Kinder aufgefordert, täglich den Artikel auszuschneiden, der sie am meisten inte- ressiert hatte, ihn auf ein Blatt zu kleben und mit (mindestens) einem Satz zu kommentieren. Die Blätter wurden in einer Mappe (einem Schnellhefter o. ä.) gesammelt. Im Anschluss an die Lektürephase erfolgte eine Aussprache über die gelesenen (ausgeschnittenen) Artikel. In den meisten Projektklassen fand dieses Gespräch im Sitzkreis statt. Ich bin gegen einen Krieg, aber die Nato muss etwas dagegen unternehmen. Ich frage mich, was Nordkorea mit der Atombombe anstel- len will. Ich finde es unfair von dem Staat, dass wir so viel Steuern bezahlen müssen und dafür bauen sie nur Schrott. Ich finde, sie könnten wenigstens die Wasserspiele in Gang setzen. Ich finde es schrecklich, dass die Menschen für Panzer so viel Geld ausgeben. Sie könn- ten doch das Geld in ärmere Länder schicken. 9
Kathy jagt alle Briefträger. Das Bild sieht süß aus. Ich liebe Katzen und ich habe selber zwei Katzen. Ich habe das ausgeschnitten, weil ich das komisch finde. Wir haben selbst zwei Katzen. Sie heißen Freda und Felix. Ich finde, dass Marie von ihrer Meinung her recht hat, Ich aber wie sie es gemacht hat, habe dieses Bild finde ich nicht so gut. Sie genommen, weil ich war aber sehr mutig. Fußball mag und dies ein böses Foul war. 10
Beobachtungen In den Projektklassen konnte eine Reihe von Beobachtungen gemacht werden, die den Charakter von Einzelwahrnehmungen überschritten. Die Kinder genossen die Freiheit, das lesen zu können, was sie wollten, und fan- den es toll, ihr eigenes Zeitungsexemplar zu bekommen, das sie auch nach Hause mitnehmen konnten. Das tägliche Zeitung lesen entwickelte sich schnell zum Ritual, das lieb gewon- nen und auch eingefordert wurde. Zu Anfang war eine gewisse Unsicherheit im Umgang mit der Zeitung spürbar. Probleme bereiteten das große Format der Zeitung. Außerdem hatten die Kinder Schwierigkeiten, sich in der Zeitung zu orientieren, das heißt gesuchte Themen wie „Sport” oder „Tiere” auf Anhieb zu finden. Diese Unsicherheiten wurden jedoch mit jedem Tag geringer, wobei die Dritt- klässler erwartungsgemäß länger brauchten als die Viertklässler. Die positive Auswirkung der Gewöhnung war allerdings in beiden Klassenstufen deutlich er- kennbar. Die meisten Kinder beschäftigten sich eingehend mit der Zeitungslektüre, und zwar je geübter um so ausdauern- der und intensiver. Manche Kinder vertieften sich sogar derart in die Lektüre, dass sie vergaßen, „ihren” Artikel auszuschneiden. Kinder, die die Zeitung nur oberfläch- lich durchblätterten, waren nur ver- einzelt zu beobachten. Verweigerer gab es nicht. Interessiertes, konzentriertes Lesen war auch bei den Kindern zu beobach- ten, die sonst Probleme beim Lesen haben. Besonders in der Ausdauer waren Un- terschiede zwischen dem dritten und dem vierten Schuljahr erkennbar. Bei Drittklässlern ließ die Motivation schneller nach. Sehr intensiv war der Austausch über die Artikel im Partner- oder Gruppen- gespräch. Der dadurch unvermeidlich wachsende Geräuschpegel in der Klasse ist als höchst „produktiv” zu werten. Zu Beginn der Beschäftigung mit der Zeitung besteht – insbesondere im dritten Schuljahr – größeres Interesse an kur- zen Texten; ebenso ist eine hohe Bildaffinität zu beobachten: Der Einsatz von Bildern und die Gestaltung von Überschriften sind sehr wichtig bei der Auswahl dessen, was gelesen wird. Bei wenig(er) geübten Lesern fiel auf, dass sie bevor- zugt ein Bild mit kurzer Überschrift als „ihren” Artikel ausschnitten. Im vierten Schuljahr bekunden mehrere Kinder die Absicht, auch über die Dauer des Projektes hinaus nun zu Hause regelmäßig die Zeitung zu lesen. 11
Themeninteresse Erwachsene interessieren sich bei der Zeitungslektüre an vorderster Stelle für das politische Geschehen sowohl in der Gemeinde als auch in Deutschland und dem Aus- land. Es folgen mit deutlich geringeren Werten der Sport, die Wirtschaftsberichterstat- tung, außergewöhnliche Ereignisse, Verbrechen und Katastrophen sowie praktische Alltagsfragen (Hippler/Witt 2001). Beobachtungen Bei den Kindern der Projektklassen waren die Interessen anders verteilt. Jungen favorisierten überwiegend Sport, insbesondere Fußball (wobei verstärkend gewirkt haben dürfte, dass während einer Projektphase gerade die Weltmeisterschaf- ten in Japan und Südkorea stattfanden). Mädchen bevorzugten Artikel über Tiere, allerdings war dieses Interesse nicht so domi- nant, dass nicht auch noch Artikel über andere Themen gelesen wurden. Politik spielte in den Klassen des 3. Schuljahrs so gut wie keine Rolle (Verständnis- problem), im vierten Schuljahr war das Interesse an Politik bereits stärker wahrnehm- bar, insbesondere bei Mädchen. Sie lasen durchweg auch bereits schwierigere Artikel. Beide Gruppen fanden Regionales und Lokales interessant sowie ungewöhnliche Er- eignisse aus aller Welt (‘Panorama‘). Nicht zuletzt wurden auch Witze und Comic-Strips gern gelesen. Bevorzugtes Interesse fand ein Artikel (unabhängig vom Thema und ungeachtet des Umfangs) immer dann, wenn zu dem Inhalt ein persönlicher Bezug bestand: z. B. zu Fußball, wenn ein Kind selbst in einer Fußballmannschaft spielt; oder zu Berichten über die Feuerwehr, weil es selbst bei der örtlichen Jugendfeuerwehr mitmachen will. Aufmerksamkeit fanden insbesondere „Großereignisse“, über die mehrere Tage lang berichtet wurde. Viele Kinder verfolgten die Entwicklung dieser Ereignisse dann über mehrere Tage. Zur Motivierung einer kontinuierlichen Zeitungslektüre sind solche Erfahrungen sehr wichtig. Arbeitsvorschläge Es kann hilfreich sein, die tägliche Zeitungslektüre durch Übungen zu unterstützen, die darauf zielen, dass die Kinder neugierig und zum Lesen motiviert werden, dass sie sich in der Zeitung besser zurecht finden und dadurch insgesamt mehr Sicher- heit gewinnen. Wichtig ist, dass diese Übungen nicht an die Stelle der freien Lektüre treten. Artikelsuche: Die Lehrkraft liest einen Artikel vor, die Kinder suchen ihn anschlie- ßend in der Zeitung. Überschrifteninterpretation: Die Lehrkraft liest eine Überschrift (Schlagzeile) vor; die Kinder äußern Vermutungen, was in einem zu der Überschrift passenden Artikel stehen könnte; anschließend suchen sie den entsprechenden Artikel in der Zeitung. Überschriftensuche: Die Lehrkraft schreibt mehrere Überschriften von Zeitungs- artikeln (Schlagzeilen) an die Tafel. Die Kinder suchen danach in der Zeitung und lesen den jeweiligen Artikel vor. Zuordnen von Zeitungsartikel: Von der Lehrkraft werden mehrere Zeitungsartikel aus verschiedenen Rubriken vorgegeben, die jeweils der zutreffenden zuzuord- nen sind. Artikelsuche: Es werden Suchaufträge nach Artikeln zu bestimmten Themen ge- stellt, zum Beispiel nach Beiträgen zum Thema „Kinder” (wobei offen bleiben kann, ob Artikel über Kinder oder Artikel für Kinder gemeint sind). 12
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