Universal. Reclams Jahrhundertidee - Stephanie Jacobs

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Universal. Reclams Jahrhundertidee - Stephanie Jacobs
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     Stephanie Jacobs

     Universal. Reclams Jahrhundertidee
     Die Ausstellung im Deutschen                            eine zentrale Rolle. Auch deshalb verdient Reclams
     Buch- und Schriftmuseum widmet                          Taschenbuchreihe der Universal-Bibliothek in einer
     sich der Gründung von Reclams                           Zeit, in der die Frage nach der Bedeutung des Ur-
     Universal-Bibliothek vor 150 Jahren                     heberrechts in der digitalen Welt in den Feuilletons
                                                             diskutiert wird, einen neuen Blick – betitelt die
                                                             Süddeutsche Zeitung ihre Ausstellungsrezension
                                                             doch nicht zufällig: »Das Reclam-Heft war eine
                                                             Jahrhundertidee«.

     Verlagswerbung »Reclam braucht keine Reklame«
     (Blatt 1 von 3). Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig,
     10. Mai 1925
     Abbildung: Reclam-Sammlung Dr. habil. Hans-Jochen
     Marquardt, Halle (Saale)

     Mit der Gründung von Reclams Universal-Biblio-
     thek (RUB) im Jahr 1867 widmet sich das Deutsche
     Buch- und Schriftmuseum der Deutschen Natio-            Anton Philipp Reclam (1807 – 1896) in jungen Jahren.
                                                             Fotografie nach dem verschollenen Gemälde eines unbe-
     nalbibliothek einem Thema, das sowohl verlagshis-       kannten Malers/einer unbekannten Malerin, um 1830
                                                             Abbildung: Reclam Verlag, Ditzingen
     torischen Charakter hat als auch von nationalem
     kulturellen und bildungshistorischen Rang ist: Ei-
     nerseits galt der Reclam-Verlag als ein Grund­pfeiler
     im Selbstverständnis Leipzigs als die europäische       Literaturversorgung für alle
     Verlagsstadt des 19. Jahrhunderts, andererseits
     steht Reclams Taschenbuchreihe für die moderne          Reclams Universal-Bibliothek – im Jahre 1867 von
     Idee einer Verbreitung von Texten für alle Bevöl-       Anton Philipp Reclam in Leipzig gegründet – steht
     kerungsschichten. Dabei spielt das Urheberrecht         als Herzstück des Reclam-Verlages für den Gedan-

48   Dialog mit Bibliotheken 2018/1                                                                  CC BY-SA 3.0
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ken einer Literaturversorgung für alle. Der niedrige    gebung Alfred Finsterer, der der RUB 1970 das fri-
Preis bei hoher Auflage erlaubt eine maximale Ver-      sche Gelb verordnete. Mit ihren zahlreichen Unter-
breitung von Texten. Die älteste noch existieren-       und Nebenreihen und deren jeweils ganz eigenen
de deutschsprachige Taschenbuchreihe – bis heute        Gestaltung wusste die RUB aber auch spezifische
die Marke des Verlags – versprach »ein Erscheinen       Leserkreise zu binden: ob die Novellen-Bibliothek,
sämtlicher classischer Werke unserer Literatur« zum     die Miniaturbibliothek oder die Unterhaltungsbi-
Niedrigpreis. Politisch vom Vormärz geprägt, ver-       bliothek für Reise und Haus, ob die Meisterbände,
band Reclam die goethezeitliche Bildungstradition       die Reihe Volk und Buch oder die Bunten Reclam
mit verlegerischem Geschäftssinn. Ausgangspunkt         Bücher.
für die Erfolgsgeschichte der RUB war die Neurege-      Neben dem editorischen Konzept spielt auch die
lung des Urheberrechts im Norddeutschen Bund:           technische Innovation eine zentrale Rolle in der Er-
Alle literarischen Werke, deren Verfasserin oder        folgsgeschichte des Reclam-Verlages: Unter dem Ti-
Verfasser mindestens 30 Jahre tot waren, wurden         tel »Gewusst wie – Die Herstellung« zeigt die Schau,
gemeinfrei. Das Gesetz, am 9. November 1867 in          wie erst die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhun-
Kraft getreten, befreite die Verlegerin oder den Ver-   derts entwickelten neuen Techniken des Drucks,
leger von der Vergütung der Autorinnen und Au-          der Illustration und der Papierfabrikation den Weg
toren.                                                  für das Buch als Massenware freigemacht haben.
Anhand ausgewählter Exponate, vorwiegend aus            Vor allem die Schnellpresse sorgte dafür, dass ein
der Sammlung von Hans-Jochen Marquardt, Halle,          rasant wachsender Markt bedient werden konnte.
konzentriert sich die Schau auf wenige Schlaglich-      Der Vierfarbendruck sorgte für farbliche Brillanz.
ter mit dem Schwerpunkt der Leipziger Produk­           Eine unverwechselbare Marketingstrategie verfolgte
tion. Ausgehend vom »Klassikerjahr« 1867 wird           der Reclam-Verlag mit seinen Bücher-Automaten:
der Blick nicht nur auf Buchgestaltung, technische      Um die Lese-Kundschaft allzeit mit Lektüre versor-
Herstellung und Werbemethoden der Reihe ge-             gen zu können, wurden – erstmals 1912 in Erfurt,
richtet, sondern fragt auch nach Reclams Univer-        in den Folgejahren dann an 2.000 Orten – Auto-
sal Bibliothek im Krieg und nimmt Feldbücherei          maten an viel frequentierten Plätzen aufgestellt: in
und Tarnschriften in den Blick. Ferner stellt die       Bahnhöfen, auf Schiffen, in Krankenhäusern und
Kabinettausstellung Reclams berühmten Bücher-           in Kasernen. Trotz gestiegener Verkaufszahlen en-
automaten vor, vermittelt einen Eindruck von der        dete das Experiment mit dem Lesestoff für kleines
Universal-Bibliothek in der DDR und zeigt, wie der      Geld Anfang der 1930er-Jahre, da die Reparatur­
Verlag seine zahlreichen Jubiläen immer schon zu        kosten zu hoch wurden.
feiern wusste.

150 Jahre in acht Kapiteln

Die Kabinettausstellung gliedert sich in acht The-
menmodule: Unter dem Titel »Bildung für alle –
Reclams Jahrhundertidee« blickt die Ausstellung
auf den 9. November 1867; der Tag seit dem alle
Texte als gemeinfrei nachgedruckt werden durften,
deren Autorinnen oder Autoren vor 1837 gestorben
waren – ein maßgeblicher Schub für die Verbrei-
tung klassischer Literatur.
Das Kapitel »In der Reihe gedacht« widmet sich
der »Marke Reclam«, die seit 150 Jahren maßgeb-
lich durch die Einheitlichkeit der Buchgestaltung       Leipziger Buchautomat, 1912 erstmals aufgestellt,
                                                        Entwurf: Peter Behrens
geprägt wurde – heute vor allem durch die Farb-         Foto: Reclam Verlag, Ditzingen

CC BY-SA 3.0                                                                   Dialog mit Bibliotheken 2018/1     49
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     Offensiv war Reclam nicht nur bei der Suche nach            in Stuttgart zum Stammhaus erklärt hatte, erschien
     neuen Vertriebswegen, sondern auch im Einsatz               RUB bis 1990 in zwei Reihen. Nach der Repriva-
     neuer Marketing- und Werbemaßnahmen. Der Ver-               tisierung 1992 wurde die Erfolgsreihe in Ditzingen
     lag begriff früh sowohl den Wert der Wiedererken-           weitergeführt. 2006 schloss der Leipziger Standort.
     nung und Standardisierung in der Buchgestaltung             Als einer der interessantesten Verlage in der DDR
     als auch die Bedeutung von guter Plakatgestaltung,          war Reclam einerseits an der Herausbildung einer
     von Verlagsverzeichnissen, Einlegern, Lesezeichen           kritischen Öffentlichkeit beteiligt – in RUB erschie-
     und Werbeschildern. Mit Preisausschreiben stellte           nen auch Texte kritischer Autorinnen und Autoren
     der Reclam-Verlag zusätzlich Kundenbindung für              und Erstausgaben der Gegenwartsliteratur. Ande-
     RUB her.                                                    rerseits aber war die Verlagsproduktion verstrickt
     Ein zeithistorisch besonders aufschlussreiches The-         in die sozialistische Literaturpolitik des Staates. Er-
     ma betrifft die RUB im Krieg – »zwischen Feld-              möglichtes und Verhindertes lagen nah beieinander.
     büchern und Tarnschriften«: 1938 waren die mit              Den Abschluss der kleinen Ausstellung bildet ein
     der Kontrolle des Reclam-Verlages beauftragten              Blick auf die Verlagsfeiern in 150 Jahren. Sowohl
     NS-Funktionäre »mit dem großen Aufräumen zu-                die Jahrestage der Verlagsgründung als auch diejeni-
     frieden«: Jüdische Autorinnen und Autoren waren             gen von RUB wurden im vergangenen Jahrhundert
     ebenso weitgehend aus dem Programm gestrichen               ausgiebig gefeiert: Angefangen mit dem Erscheinen
     wie Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die den         der Nummer 5.000, anlässlich derer im Jahre 1908
     Nationalsozialisten als entartet galten. Ein neues          ein Prachtband mit 1.225 Widmungsblättern er-
     Verkaufsgeschäft tat sich – wie bereits im Ersten           schien, über den Festakt zum 100. Jahrestag der
     Weltkrieg – mit der Versorgung der Frontsoldaten            Verlagsgründung im Gewandhaus mit Thomas
     mit Lektürestoff auf. Tragbare Feldbüchereien wur-          Mann als Laudator bis hin zum 150. Geburtstag
     den mit einer Mischung aus Kriegsliteratur, Klas-           des Reclam-Verlages, zu dem HAP Grieshaber 1978
     sikern und leichter Lektüre zu einem wichtigen              einen »Künstlerbrief« beisteuerte. Der Verlag wusste
     ökonomischen Baustein in der Verlagsproduktion.             sich, seine Bücher und Leserschaft stets zu feiern,
                                                                 die Jubliläen waren Teil der Marketingstrategie.

     Tragbare Feldbücherei aus dem Ersten Weltkrieg,
     die jeweils 100 Nummern der Universal-Bibliothek enthielt
     Reclam-Sammlung Dr. habil. Hans-Jochen Marquardt,
     Halle (Saale)
     Foto: Deutsche Nationalbibliothek, Julia Rinck

     Auf der anderen Seite war der RUB-Umschlag we-              Blick in den Ausstellungsraum
                                                                 Foto: Foto48, Carsten Dumke (urheberrechtlich geschützt)
     gen seiner großer Verbreitung auch die ideale Ver-
     kleidung für Tarnschriften mit Antikriegspropagan-
     da. Daher ist eine große Anzahl von Tarnschriften
     mit RUB-Umschlag erschienen.                                  Die Ausstellung ist noch bis zum 3. Juni in Leipzig zu
     Der DDR-Produktion des Reclam-Verlages ist das                sehen. Zur Buchmesse werden thematische Führungen
     Kapitel »An den Grenzen des Möglichen« gewid-                 durch die Ausstellungen des Deutschen Buch- und
                                                                   Schriftmuseums angeboten, unter anderem Führungen
     met. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es auch bei               mit dem Reclam-Sammler PD Dr. Hans-Jochen
     Reclams Universal-Bibliothek zur Teilung in Ost und           Marquardt, Halle (Saale).
     West: Nachdem Ernst Reclam 1953 das Verlagshaus

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