Unterwegs - Arche Deutschland-Österreich
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unterwegs Rundbrief der Arche Deutschland und Österreich Ausgabe 20 Sommer 2020 Corona- Geschichten Die Covid-19-Pandemie hat über Monate das soziale Leben beeinträchtigt. Auch in den Archen hat sich durch die Einschränkungen vieles verändert. Wie haben sie die „Corona-Zeit“ erlebt? Wir haben Erfahrungsberichte aus den Gemeinschaften in Deutschland und Österreich, in Schottland und Uganda gesammelt. > Siehe dazu die Seiten 2-3 Liebe Freundinnen und Freunde der Arche, Arche Tirol: Die neue Leiterin Sidonie Tomaschitz Diesen Frühling und Som- und Beeinträchtigungen auch mer werden wir wohl alle manche positive Erfahrung mit Seite 6 noch lange im Gedächtnis sich. Einiges davon haben wir in behalten: Ein Virus hat die diesem Heft zusammengetragen. Arche Uganda: ganze Welt verändert. Wo- Erfahrungen einer chen von Kontaktverboten, In ärmeren Ländern waren die Ein- Freiwilligen die Absage nahezu aller schnitte für die Arche-Gemein- Seite 8 öffentlicher Veranstaltun- schaften zum Teil noch drastischer Thomas Bastar gen einschließlich der als bei uns. Wegen Ausgangssper- „Superhelden“: ist verantwortlich Gottesdienste, dann die ren blieben etwa Lebensmittel- Stellungnahme zum für die Öffentlich- Maskenpflicht. Zum Glück spenden aus. Arche-Mitglieder, die Pränatal-Test keitsarbeit mussten wir über keine in ihren Familien leben, durften Seite 10 Erkrankungen berichten. nicht mehr die Werkstätten und Doch für die Arche-Häuser galten Tageseinrichtungen besuchen. Für Eine von 10.000: besondere Hygiene-Maßnahmen die von Corona betroffenen Archen Manca Kastelic und ein striktes Besuchsverbot. in ärmeren Ländern, aber auch für aus Slowenien alle anderen Aufgaben der Archen Die stille „Corona-Zeit“ brachte al- weltweit bitten wir daher um Ihre Seite 12 lerdings neben allen Einschnitten Spende. Bleiben Sie gesund!
2 Miteinander unterwegs 20/2020 Corona-Geschichten Die weltweite Pandemie hat auch das Leben der Arche stark betroffen. Wir erfuhren schmerzhafte Einschränkungen, manche erlebten aber auch beglückenden Momente und machten schöne Erfahrungen Frühlingsgefühle Urlaub ohne Koffer gehen und Elisabeth legte einen „Well- ness-Beauty-Tag“ beim Frisör ein. Kulina- Es war im März 2020: Die Geschäfte, die Auch wenn wir für diesen Urlaub keine risch zog es uns Richtung Asien mit ver- Straßen und die Kirchen waren leer. Nie- Koffer packen mussten, hätte eine Weltrei- schiedenen Currys und gebratenen Nudeln. mand kam aus den Häusern heraus. Viele se nicht spannender sein können als unser Tag drei wurde zum Urlaubs-Highlight: hatten Angst und waren traurig, aber der Urlaub in Tecklenburg. Gleich am ersten Wir gingen in den Zoo! Vor allem Dieter Frühling wusste das nicht. Der Schnee ist Tag stand ein Abenteuer an: der Baumwip- war von den Pinguinen gar nicht mehr weg- geschmolzen, die Sonne strahlte. Die Men- felpfad in Bad Iburg. Mutig begaben wir zubekommen. Und was wäre ein Urlaub schen haben Masken getragen und sie durf- uns in luftige Höhen und wanderten über ohne eine gute Party? Wie praktisch, dass ten ihre Lieben nicht besuchen und umar- den Baumwipfeln. Dabei lernten wir eini- Jörg Geburtstag hatte. So feierten wir mit men; aber der Frühling wusste das nicht. ges über den Wald und seine Bewohner. Kaffee und Kuchen und einem „Tanztee“. Die Bäume haben Knospen getragen, die Zurück am Boden hatten wir uns den Ca- Vögel haben noch lebendiger gesungen. fébesuch redlich verdient. Am Abend nahm Den letzten Urlaubstag verbrachten wir unterwegs uns Anna mit nach Italien und zeigte uns, entspannt am Torfmoorsee und am Abend Es war im Frühling, als viele Menschen wie- wie wir Gnocchi nicht nur richtig ausspre- in einem Restaurant mit leckerem Essen, derentdeckten, wie schön es ist, in der Fami- chen, sondern auch zubereiten. Molto bene! viel Lachen und guter Laune. Man muss al- lie gemeinsam zu essen und zu spielen. Wir so manchmal gar nicht weit weg fahren, um sind kreativer geworden. Wir haben wieder Am zweiten Tag machten einige eine Wan- etwas zu erleben. Briefe geschrieben und „online“ Kaffee ge- derung, andere ließen es sich zu Hause gut Sarah Niggemann, Arche Tecklenburg trunken mit unseren Lieben. Wir haben uns über kleine Dinge gefreut. Es war Frühling, als das Leben langsamer und ruhiger wurde. Wir haben Zeit als Ge- schenk bekommen: auf uns und aufeinan- der zu schauen, miteinander und füreinan- der zu beten, das Leben zu schätzen. Dann kam der Sommer. Es war ein wunderschö- ner Tag, als die Menschen wieder aus den Häusern herauskamen, hinter den Masken ein Lächeln trugen und wussten, wie wert- voll das Leben, die Zeit und der Glaube sind. Laura Szabo, Arche Tirol Herzlicher Spaß: drei „maskierte“ Assistentinnen aus der Arche Tirol Entspannte Zeiten etwa bei Spaziergängen, beim Erdbeerpflü- die Assistent/-innen aufmerksam reagiert cken und bei Gymnastikübungen im Haus. und auch einige Bewohner/-innen sind be- „Die Entschleunigung während des Shut- Bewohner/-innen, die nicht sehr verkehrssi- müht gewesen, alle im Haus wieder zusam- downs hat uns nicht nur Schwierigkeiten cher sind, wurden öfter beim Fahrradfah- men zu bringen, berichtet Bianca Berger. bereitet, sondern auch sehr gutgetan“, be- ren begleitet. Der positive Nebeneffekt: Alle richtet Bianca Berger, Gemeinschaftsleite- haben an Gewicht abgenommen. Nicht zuletzt hat das spirituelle Leben der rin der Arche Landsberg. Viele im Haus Gemeinschaft profitiert. Beim Morgengebet seien trotz der starken Einschränkungen „Ich habe gestaunt, wie gut unsere Bewoh- – sonst nur mit den Assistent/-innen im deutlich entspannter gewesen. Der Garten nerinnen und Bewohner mit den Ein- Haus – war nun die ganze Gemeinschaft war selten so gepflegt. Es wurde gemein- schränkungen umgegangen sind“, sagt die beisammen. Auch die Gottesdienste musste sam musiziert und Kulinarisches auspro- Gemeinschaftsleiterin. Denn fast alles, was die Arche ohne externe Geistliche eigen- biert. Verzierte Steine schmücken jetzt sie sonst gern tun, war ja nicht möglich. ständig kreativ gestalten. Bianca Berger: Haus und Garten – und manche Wege in Kontakte haben sie per Briefpost oder digi- „Wir konnten um Hilfe und Beistand bitten der Stadt. „Die gemeinsamen Aktionen ha- tal gepflegt. Auch Konflikte waren relativ und auch unsere Dankbarkeit zum Aus- ben uns alle stärker zusammengeschweißt“, selten, obwohl doch alle von morgens bis druck bringen – über unsere Gemeinschaft, so Bianca Berger. Auch die Bewegung kam abends beisammen sein mussten. Als nach den schönen Garten – und dass alle gesund während der Corona-Zeit nicht zu kurz: einiger Zeit Cliquenbildung drohte, haben geblieben sind.“ Thomas Bastar
Miteinander unterwegs 20/2020 3 Der Feiertag Anny wohnt im Arche-Haus in St. Jodok/Tirol. Der Wochenrythmus mit wiederkehrenden Aktivitäten und der Jahreskreis mit den Jahres- zeiten und Feiertagen geben ihr viel Orientierung. Wenn zum Beispiel das Schwimmen am Freitag entfällt, geschieht dies aufgrund eines beson- deren Anlasses oder eines Feiertages. An ihrem Geburtstag im Mai rief ich sie an. Anny fragte mich: „Wann ge- Glücksmomente: Erdbeeren hen wir wieder schwimmen?” Ich pflücken in Landsberg, Besuch sagte ihr, dass das zur Zeit nicht geht, des Zoos mit der Arche weil die Schwimmbäder geschlossen Tecklenburg, das erste Eis nach haben. Darauf erwiderte Anny: „Co- Wiedereröffnung der Eiscafés rona heißt der Feiertag.” in Ravensburg Gottfried Lamprecht, Arche Tirol Schwere Verluste Überstürzte Abreise Zwar hatte ich die Entwicklung der Co- vid-19-Pandemie schon zuvor in den Nach- Die Arche in Schottland und in ganz Groß- Für einen Freiwilligendienst in der Arche richten mitverfolgt. Doch für mich schien britannien profitiert sehr von Assistentin- Uganda hatte ich mich im August 2019 auf dieses Geschehen zunächst noch ganz weit nen und Assistenten aus Deutschland. Eini- den Weg gemacht, um ein Jahr lang dort zu weg zu sein. Uganda hatte bis zu meiner ge kommen für ein Jahr, oft über eine leben und mitzuarbeiten. Doch knapp in Abreise keinen einzigen bestätigten Coro- Freiwilligenorganisation. Andere kommen der Hälfte meiner Dienstzeit hat Corona na-Fall. Die Schulen waren noch geöffnet, und bleiben länger. Dafür sind wir sehr mir einen Strich durch die Rechnung ge- eine Ausgangssperre war nicht in Sicht. dankbar. Als Mitte März in Großbritannien macht. Nach sieben wundervollen Monaten die Zahl der Covid-Infektionen zu steigen in der Arche hat meine Entsendeorganisati- Die Situation begann sich zu verändern, als begann, entstand für viele Freiwillige ein on Eirene – auf Empfehlung des Bundesent- plötzlich einige der Nachbarländer Ugandas schmerzhafter Loyalitätskonflikt. In der Ar- wicklungsministeriums – entschieden, die ersten Corona-Infektionen bestätigten. che Edinburgh zum Beispiel mit insgesamt mich und meine Mitfreiwilligen nach Die Regierung Ugandas reagierte sehr 44 Assistent/-innen arbeiteten sechs junge Deutschland zurückzuholen. schnell und, ehe man sich versah, waren die Leute aus Deutschland. Die deutsche Regie- Grenzen geschlossen und andere Maßnah- rung verlangte von ihnen zurückzukehren men beschlossen, um die Menschen vor der – und ihre Familien wünschten verständli- Pandemie zu schützen. Auch in der Arche cherweise dasselbe. Alle sechs und vier wei- wurden Vorsichtsmaßnahmen getroffen: tere Freiwillige aus anderen Ländern verlie- Gründliches Händewaschen und andere ßen die Gemeinschaft. Es war der größte Hygieneregeln gehörten nun fest zu unse- Verlust innerhalb einer Woche seit Grün- rem Alltag. Zudem mussten die Assis- dung der Arche Edinburgh vor 30 Jahren. tent/-innen, die außerhalb leben, zu Hause Für die Archen war das ein Schock. Die Ge- bleiben. meinschaftsleiter/-innen baten daraufhin Menschen, die bereits in irgendeiner Weise In den Monaten, in denen ich in der Arche mit der Arche zu tun hatten, um Mithilfe. lebte, sind mir viele der Assistent/-innen und Bewohner/-innen sehr ans Herz ge- Fünf der sechs deutschen Assistent/-innen wachsen. Es fiel mir schwer, sie nun so über- wären gern im Sommer für einige Wochen stürzt verlassen zu müssen. Während einer nach Edinburgh zurückgekehrt, konnten es kleinen Abschiedsfeier habe ich es genos- aber nicht wegen der Quarantäne-Vor- sen, ein letztes Mal in der großen Runde schriften. Immerhin hat die Arche drei zusammen zu sitzen. Meine Abreise erfolg- neue Freiwillige aus Deutschland gefunden, te gerade rechtzeitig. Denn ein Tag später die im September beginnen. Alle britischen wurde auch der Flughafen geschlossen. Archen suchen weiterhin Assistent/-innen Jule Welling und ich ermutige jede/n, sich zu bewerben. Anthony Kramers, Regional-Leiter der So geht der Corona-Gruß: Jule Welling und Mehr über die Erfahrungen von Jule Welling Arche für Schottland und Nordengland eine Bewohnerin der Arche Uganda in der Arche Uganda ist auf Seite 8 zu lesen.
4 Miteinander unterwegs 20/2020 Auf dem Weg zu einem Schutzkonzept für alle Menschen, die in der Arche leben Die Enthüllungen über den geistlichen und sexuellen Missbrauch durch den Arche-Gründer Jean Vanier haben alle in der Arche schockiert. Die Verarbeitung dieser erschreckenden Taten wird noch Zeit brauchen. Wir haben aber sogleich unsere Konzepte zur Prävention von Missbrauch einer Überarbeitung unterzogen. Das Ziel ist es, unterwegs für alle in der Arche eine bestmögliche Sicherheit zu gewährleisten Ablaufplan für ein Schutzkozept, entworfen von der Internationalen Arche Am Anfang standen Erschütterung und Trauer. Wohl Menschen mit Behinderung waren hiervon nicht be- alle Mitglieder der Arche weltweit waren schockiert zu troffen. erfahren, dass der Arche-Gründer Jean Vanier in geist- lichen und sexuellen Missbrauch verstrickt gewesen ist. Wir haben die Ergebnisse der Untersuchung in Nachdem die Missbrauchstaten seines geistlichen Men- Deutschland und Österreich durch eine Presseerklä- tor P. Thomas Philippe 2015 bekannt geworden waren, rung, einen Newsletter und einen Beitrag auf unserer gab es Hinweise von Frauen, die auch Jean Vanier be- Website bekannt gemacht. Im deutschsprachigen schuldigten. Die Internationale Arche hat dies durch Raum gab es dazu rund 30 Veröffentlichungen, über- eine externe Organisation untersuchen lassen. Die Er- wiegend in regionalen und kirchlichen Medien, die gebnisse wurden im Februar 2020 veröffentlicht. Sie weitgehend sachlich und ausgewogen über die Er- belegen, dass der Arche-Gründer Jean Vanier nicht nur kenntnisse berichteten. Negative und teilweise auch früh von den Missbrauchstaten seines geistlichen Men- polemische Berichte, wie sie in anderen Ländern wie tors gegenüber erwachsenen Frauen wusste, sondern den USA und Kanada vor allem in den Sozialen Medien dass er auch selbst im Rahmen geistlicher Begleitung kursierten, tauchten in Deutschland und Österreich gegenüber Frauen sexuelle Übergriffe begangen hat. nicht auf. Schutz für alle: Gruppenbild während der Begegnungs- tage 2019
Miteinander unterwegs 20/2020 5 Die erste Konsequenz aus diesen erschreckenden Er- kenntnissen über Jean Vanier war zu beraten, wie wir die Missbrauchstaten auf unserer Website angemessen darstellen können. Wir haben entschieden, dafür dau- erhaft eine eigene Unterseite einzurichten und dort zugleich die Präventionsmaßnahmen zu skizzieren, die Corina Demmeler, Missbrauch künftig verhindern sollen. So können wir transparent mit den Geschehnissen umgehen. Bewohnerin der Arche Landsberg Auf der Ebene der Internationalen Arche wurde ein Komitee aus Mitgliedern des internationalen Leitungs- teams und des internationalen Aufsichtsrats eingerich- Corina Demmeler ist Gründungsmitglied der Arche Landsberg und tet, das die Nachbereitung der Untersuchung koordi- wohnt seit sechs Jahren im „Ambulant Betreuten Wohnen“ der Ge- niert. Dazu wurden Arbeitsgruppen eingerichtet zu meinschaft. Ein Ausdruck ihres Glaubens ist es, dass sie regelmäßig in folgenden Themen: Prävention und Fortbildung, Ge- den katholischen Kirchen in Landsberg und Erpfting als Ministrantin schichte der Arche, Präventions-Praxis sowie ein Unter- stützungsteam für die Opfer sexuellen Missbrauchs. tätig ist. Sie singt im „Rabenchor“, der mehrmals im Jahr den Gottes- Zudem soll zukünftig in regelmäßigen Abständen eine dienst mitgestaltet, und hilft ehrenamtlich beim Senioren-Café. externe Evaluation der Präventions-Praxis der Arche Corina, woran glaubst Du? durchgeführt werden. Corina: An Gott. In der Arche Deutschland und Österreich haben wir Wenn ich mich über etwas freue, unsere Präventionspraxis neu bedacht. Dazu haben wir begonnen, den von der Internationale Arche im vergan- zum Beispiel wenn wir in Urlaub fahren. genen Jahr verabschiedeten Verhaltenskodex an unsere Gott hat für mich etwas mit Freude zu tun. Gegebenheiten anzupassen. In einem ersten Schritt Ich gehe ministrieren, weil ich an Gott glaube; weil mich das freut. haben sich die Vorstände der vier Arche-Gemeinschaf- ten sowie der Arche Deutschland und Österreich mit Warum glaubst Du an Gott? dem Verhaltenskodex befasst und Änderungswünsche Corina: Ich brauche Gott, wenn jemand gestorben ist, formuliert. Dabei ging es um unklare Formulierungen in der Übersetzung, um den Wunsch, neben Miss- dass man dann beten kann dafür. brauch auch andere Übergriffe wie Gewalt, Diebstahl Was liegt Dir am Herzen? oder Mobbing im Kodex zu berücksichtigen und um die Frage, in welchen Situationen externe Ansprech- Corina: Dass ich bald wieder meinen Bruder besuchen kann und partner einzubeziehen sind. Auch ob Bewohner/-innen die Hunde Lara und Nero wiedersehe. den Kodex unterzeichnen sollten und deshalb eine Und auch die Arche-Gemeinschaft hier in Landsberg, aber auch Übersetzung in Leichte Sprache nötig sei, soll bedacht werden. Diese umfangreichen Rückmeldungen werden die anderen Arche-Gemeinschaften. in den kommenden Monaten von einer Arbeitsgruppe, Was trägt Dich, worauf kannst Du Dich verlassen? bestehend aus Vertreter/-innen der verschiedenen Ge- meinschaften, bearbeitet. Das Ziel ist es, den Verhal- Corina: Dass die Assistentinnen und Assitenten mir alles tenskodex Ende des Jahres fertigzustellen und in den mitteilen, was mich betrifft. Gemeinschaften zu implementieren. Und dass Gott da ist, wenn ich an jemanden denke. Der nächste Schritt wird dann sein, ein übergreifendes Worauf hoffst Du? institutionelles Schutzkonzept zu entwickeln, um die Prävention in der Arche gut zu verankern. Dieses Corina: Dass nächstes Jahr die Begegnungstage stattfinden! Schutzkonzept beinhaltet neben dem Verhaltenskodex Dass Gott für mich da ist, wenn etwas traurig ist. eine Risikoanalyse, die offenlegt, wo die „verletzlichen“ Zum Beispiel als ich geweint habe, als mein Arm gebrochen war. Stellen unserer Institution liegen. Zudem soll dazu ge- hören: Personalauswahl, Fortbildungen, Führungs- Was macht Gott? zeugnis, das Melde- und Beschwerdeverfahren und ein Aktionsplan, wie bei Verdacht sexuellen Missbrauchs Corina: Beten und Singen. genau zu verfahren ist. Auch wenn derzeit noch man- Die Fragen stellte Bianca Berger ches unklar und offen ist, so hat sich die Arche Deutsch- land und Österreich auf den Weg gemacht, aus den er- schreckenden Enthüllungen zu lernen und für einen guten Schutz aller ihrer Mitglieder zu sorgen. Claus Michel, Leiter der Arche Deutschland und Österreich
6 Miteinander unterwegs 20/2020 „Ich bin mit der Arche mitgewachsen“ Sidonie Tomaschitz (46) gehört seit 26 Jahren zur Arche Tirol. Seit März 2020 ist sie die neue Leiterin der Gemeinschaft Liebe Sidonie, herzlichen Glückwunsch zu deiner Ernennung als Leiterin der Arche Tirol! Wie bist du zur Arche gekommen? Sidonie Tomaschitz: Ich komme ursprüng- lich aus Kärnten. Nach meiner Matura (Abi- tur) habe ich ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Arche Tirol in Gries gemacht. Das war im Jahr 1994. Eigentlich wollte ich nur die- Sidonie unterwegs ses eine Jahr dort verbringen. Doch dann ist Tomaschitz es weitergegangen – und ich bin in der Ar- che geblieben. Ich habe berufsbegleitend in Innsbruck eine Ausbildung zur Fachsozial- im Dienstplan klare Arbeitszeiten festle- Was wünscht du dir für deine neue Aufgabe? betreuerin gemacht und dann Pädagogik gen. Trotzdem können wir gut Gemein- Sidonie: Gegenseitiges Vertrauen wünsche studiert. Während dieser ganzen Zeit habe schaft leben, auch wenn wir nicht zehn ich mir vor allem. Das ist mir ja entgegenge- ich in der Arche mitgearbeitet, ab 2002 im Stunden lang im Haus sind. bracht worden, als ich für diese Stelle vor- damals neu gegründeten Haus in St. Jodok, geschlagen worden bin. Wichtig sind auch später in der Arche-Werkstatt. 2007 habe Was hat dich an der Arche begeistert, dass ein gutes Miteinander, eine gute Gesprächs- ich das Studium abgeschlossen und danach du vor 25 Jahren einfach in der Arche geblie- kultur und gute Beziehungen zu den Be- die Hausleitung in St. Jodok übernommen. ben bist und heute noch dazu gehörst? wohnerinnen und Bewohnern. In den vergangenen zwei Jahren habe ich Sidonie: Ganz am Anfang war es wie ein noch eine Spezialausbildung zum Thema Funke, der übergesprungen ist. Diese Idee Was waren Herausforderungen in den ersten Autismus gemacht. vom Zusammenleben mit Menschen mit Monaten für dich? geistiger Behinderung hat mich begeistert. Sidonie: Eine echte Herausforderung in Du bist jetzt seit 26 Jahren in der Arche. Das war natürlich ein Idealbild, das wir da- den ersten Monaten als Leiterin der Arche Dann bist du wohl mittlerweile die dienstäl- mals hatten. Heute sehe ich manches realis- Tirol war es für mich, die Fülle der verschie- teste Mitarbeiterin der Arche Tirol? tischer. Das war eine Entwicklung, eine Ba- denen Themen zu bearbeiten: von den viel- Sidonie: Genau, ich bin nicht die Älteste, lance zu finden zwischen dem Idealismus fältigen Aufgaben in unserer Gemeinschaft aber die Dienstälteste (lacht). In all den Jah- und der manchmal nicht so idealen Reali- über die Öffentlichkeitsarbeit bis zur Ebene ren habe ich mich mit der Arche zusammen tät. Für ein gutes Zusammenleben zum der Arche Deutschland und Österreich. Zu- verändert und bin mit der Arche mitge- Beispiel braucht man nicht zehn Stunden dem war es während der Corona-Zeit eine wachsen. zusammen zu sein. Wichtig ist die Auf- besondere Herausforderung, die geeigne- merksamkeit füreinander im Alltag. Ge- ten Maßnahmen umzusetzen, damit alle Wie hat sich die Arche denn verändert in die- meinschaft leben heißt die Feste zu feiern, gesund bleiben. sen 26 Jahren? wie sie fallen – von den kirchlichen Feierta- Sidonie: Am Anfang war es diese ganz klei- gen bis zu den Geburtstagen –, und ebenso, Als Letztes: was bedeutet es dir, dass die Ar- ne Gemeinschaft in Gries mit vier Bewoh- dass man sich nach der Arbeit zusammen- che ein internationales Netzwerk ist? ner/-innen. Da hat sich alles rund um die setzt und gemeinsam einen Kaffee trinkt. Sidonie: Die Internationalität der Arche Hausgemeinschaft herum abgespielt. Wir war für mich immer inspirierend. Ich durf- haben damals sehr viel Zeit miteinander Die Arche ist ja auch eine spirituelle Gemein- te bei zwei Föderationstreffen dabei sein, in verbracht. Wir haben nicht die Arbeitszei- schaft. Was ist dein spiritueller Hintergrund? Atlanta und in Belfast. Es war beeindru- ten eingeteilt, sondern nur unsere Pausen. Sidonie: Ich bin in der katholischen Tradi- ckend zu erleben, dass wir zu einer so gro- Dann ist die Arche größer geworden, und tion aufgewachsen. Was ich in der Arche ßen weltweiten Gemeinschaft gehören. Es auch die rechtlichen Rahmenbedingungen gelernt habe, ist ein weiter Blick, dass die ist aber auch eine Herausforderung, die haben sich verändert, so dass es einfach Grenzen zwischen den Konfessionen flie- Balance zu halten: den Blick auf den Alltag nicht mehr geht, dass wir so viel Stunden ßend sind. Wir versuchen das auch in unse- in Tirol zu richten und sich zugleich den wie früher arbeiten. Heute ist alles geregel- ren Gottesdiensten zu leben, die ja oft sehr Blick in die weltweite Arche zu erhalten. ter und auch abgegrenzter. Jetzt müssen wir kreativ und unkonventionell sind. Die Fragen stellte Thomas Bastar
Miteinander unterwegs 20/2020 7 Dafür brauchen wir Ihre/Eure Spende! Ein neues Dach für die Corona-Hilfe für die Arche Ravensburg Arche Chennai In der Arche Ravensburg leben seit Die Arche in Chennai/Indien mehr als 20 Jahren Menschen mit ist die Partnergemeinschaft und ohne Behinderung unter einem der Arche Ravensburg. Auch Dach. Nach Fertigstellung des Neu- in Indien, das stark von der baus nimmt die Gemeinschaft nun Pandemie betroffen ist, gilt die dringend erforderliche Sanierung des ein Besuchsverbot für Ein- Altbaus in Angriff. Vor allem ein dichtes richtungen mit Menschen Dach ist nötig. Dafür gibt es nur begrenzt mit Behinderung. Daher be- öffentliche Fördermittel. Wir rechnen mit kommt die Arche derzeit einer Bausumme von rund 700.000 Euro. deutlich weniger Lebensmittelspenden. Wir Spenden helfen, das aufzunehmende Darle- wollen die Gemeinschaft in dieser schwieri- hen so niedrig wie möglich zu halten. Spen- gen Situation finanziell unterstützen. Spen- den-Stichwort: Ravensburg Dach. den-Stichwort: Corona-Hilfe Chennai. Ideen für Unterstützerinnen und Unterstützer • Geburtstagsfeier, Jubiläum, Hoch- • Auf der Spendenplattform www. • Auch wer im Internet einkauft, zeit, Trauerfall: Es gibt viele Anlässe, betterplace.org kann jede/r eine eige- Reisen bucht oder Handyverträge ab- Geschenke für ein Arche-Projekt ne Online-Spendenaktion starten. schließt, kann dabei die Arche unter- zu erbitten. Entweder die Geschenk- Dabei kann entweder die Spendenseite stützen. Dazu muss man über das Web- spenden werden während der Feier der Arche Solidarität (für Simbabwe) portal www.wecanhelp.de auf die gesammelt und dann überwiesen oder als Spendenzweck angegeben oder ein Seite des Anbieters gehen. Also einfach die Gäste werden gebeten, einzeln auf eigenes Arche-Spendenprojekt ins Le- einloggen, die Arche als Spenden- unser Konto einzuzahlen. In jedem Fall ben gerufen werden (dazu bitte Rück- empfänger angeben, dann einkaufen. versenden wir gern Spendenbescheini- sprache mit unserem Fundraiser Tho- Die Spenden, welche die Firmen aus- gungen. mas Bastar: Kontaktdaten siehe Seite 12). schütten, kommen so der Arche zugute. Mit einem Dauerauftrag, z.B. 20 Euro im Monat, unterstützen Sie unsere Arbeit am besten. Bitte ausschneiden oder kopieren und im Geldinstitut abgeben. Spendenkonto: Arche Deutschland und Österreich e.V. bei der Kreissparkasse Steinfurt. IBAN: DE61 4035 1060 0031 1130 61, BIC: WELADED1STF Auftraggeber/-in Geldinstitut IBAN BIC Ich / Wir spende/n monatlich / zweimonatlich / vierteljährlich / halbjährlich* ab 2020 Euro. Verwendungszweck: Solidarität / Deutschland-Österreich / Ravensburg Dach / Corona-Hilfe Chennai / anderes Projekt: Ort, Datum, Unterschrift * Nichtzutreffendes bitte streichen
8 Miteinander unterwegs 20/2020 Die kleinen Momente, die Freude machen Jule Welling war als Freiwillige in der Arche Uganda, bis die Corona-Pandemie sie zwang, vorzeitig zurückzukehren. Hier schildert sie ihre Erlebnisse in der ostafrikanischen Gemeinschaft Die Vorbereitung auf meinen Freiwilligen- grund seiner Hautfarbe nicht in der Men- dienst durch die Entsendeorganisation schenmenge verstecken kann. Es brauchte Eirene war intensiv: Nach Infoseminar, Be- seine Zeit, bis ich mich an die häufigen Ru- werberseminar und einem Vorbereitungs- fe „Muzungu“ gewöhnte. Das heißt Frem- wochenende folgte der zweiwöchige Aus- der oder Verirrter und wird allen Menschen reisekurs, bei dem wir uns mit Themen wie hinterhergerufen, die eine etwas hellere Selbstwahrnehmung, Erwartungen an uns Hautfarbe haben als die meisten Ugander. selbst, Ängste und Abschied von Freunden und Familie beschäftigten. Zusätzlich hat- Danach suchte ich für eine erste Orientie- ten wir zur länderspezifischen Vorberei- rungswoche meinen Einsatzort auf, die Ar- unterwegs tung die Möglichkeit, mit zwei ehemaligen che, die in einem Vorort von Kampala liegt. Uganda-Freiwilligen zu sprechen. Dort wurde ich herzlich und mit ganz vie- len Umarmungen empfangen – vor allem Dann ging es los: Nach einem rund zwölf- von George, der, wie ich schnell gemerkt stündigen Flug kamen wir gegen sieben habe, Umarmungen über alles liebt. Leider Uhr am Morgen in Uganda an. Meinen ers- erwischte mich gleich am zweiten Abend ten Eindruck, als ich aus dem Flugzeug Malaria – trotz Prophylaxe, langer Kleidung stieg, werde ich so schnell nicht vergessen: und Mückenspray. Bis zum Ende der Wo- kleine grüne Hügel, rötlich gefärbter Boden che lag ich flach. Danach lernte ich in einem und die Sonne, deren einzelne Strahlen in Vier-Wochen-Kurs die Landessprache Lu- der Morgendämmerung bereits hinter den ganda und stieg dann voll in die Arbeit in Wolken hervorschienen. Einfach unbe- der Arche ein. schreiblich! Die ersten Tage verbrachten wir noch als Freiwilligengruppe gemein- Ich wohnte zusammen mit sieben Bewoh- Stoffen und machen Kerzen, die sie an um- sam in der Hauptstadt Kampala und erkun- ner/-innen und vier Assistent/-innen im liegende Kirchen verkaufen. Auf der „Farm“ deten das Stadtzentrum. Diese Masse an kleineren Lamulah-Haus. Die Arbeitsberei- werden Mais, Kartoffeln, Gemüse und Menschen in der Stadt fand ich etwas über- che befinden sich alle beim größeren Tho- Früchte wie Papaya angebaut. Zudem wol- fordernd, vor allem wenn man sich auf- mas-Haus. Im „Craft-Sektor“ stellen Bewoh- len auch zwei Schweine, zwei Ziegen und ner/-innen zusammen mit zwei Assistenten die Hühner versorgt werden. Ich war er- Schmuck wie Ketten, Armbänder und Ohr- staunt, wie viel Spaß mir die Arbeit auf der ringe her. Außerdem nähen sie wunder- Farm gemacht hat – trotz totaler Erschöp- schöne Schürzen aus bunt gemusterten fung am Ende jeden Tages. Besonders hat mir gefallen, bei den Frühstückspausen mit einer Tasse Tee in der einen und einer Tasse Die Arche Uganda Info Popcorn in der anderen Hand mit meinen Seit knapp 30 Jahren gibt es die Ar- Mitfarmer/-innen bei strahlender Sonne che in Ugandas Hauptstadt Kampa- unter den Bananenbäumen zu sitzen. la. Aufgeteilt auf zwei Häuser, das größere Thomas-Haus und das klei- Im „Day care-Sektor“ verbringen 20 Men- nere Lamulah-Haus, ist sie das Zu- schen mit und ohne Behinderung zusam- hause von 19 Bewohner/-innen im men ihren Tag. Mal haben wir auf einer Alter zwischen sechs und 60 Jahren Wiese Sport getrieben, mal getanzt, wir und 11 Assistent/-innen. 14 weitere sind Schwimmen gegangen und haben ein- Arche-Mitglieder kommen von au- ander Geschichten erzählt, gebastelt oder ßerhalb tagsüber in die Arche, um in Lesen und Rechnen geübt. Langweilig wur- einem der verschiedenen „Sekto- de es mir dort nie. Es waren kleine Momen- ren“ (Kunsthandwerk, Farm, Ta- te, die mich überrascht und gefreut haben: gespflege) mitzuarbeiten und den zum Beispiel mit wie viel Gelassenheit und Teepause bei der Farmarbeit Tag zu verbringen. Präzision Kilonde kleine Teile in ein Holz-
Miteinander unterwegs 20/2020 9 Therapiezentrum in Simbabwe: guter Start, plötzlicher Stillstand, langsamer Neubeginn Bevor die Corona-Pandemie auch Simbabwe erreichte, war der Betrieb des neuen Therapiezentrums der Arche Simbabwe gut angelaufen. Nach der Einweihung im vergangenen Jahr hatte das Arche-Team die Zahl der Therapien hochgefahren. Die beiden Therapeuten konnten regelmäßig 23 Arche-Bewohner/-innen und mehr als 30 Menschen mit Behinderungen von außerhalb behan- Oben: die Gemeinschaft der Arche Uganda, deln. Zugleich war das „Outreach-Programm“ mit Besuchen bei links oben: Jule Welling mit einem Arche-Bewohner, betroffenen Familien im Umfeld der Arche und Angeboten in Kir- darunter: Tanzen beim Sport- und Talenttag“ chengemeinden sehr erfolgreich gestartet. Doch dann verhängte die Regierung wegen der Pandemie für fünf Wochen eine Aus- gangssperre: Extern lebende Assistent/-innen und die Therapeu- puzzle legte oder als mich Kakooza mit ei- nem strahlenden Lächeln ansah und mir ten durften nicht mehr in die Arche-Häuser kommen. Immerhin dankte, dass ich mit ihm gearbeitet habe. konnten die Therapeuten per WhatsApp kleine Videos mit Gymnastik- und Fitnessübungen in die Gemeinschaften senden. Jedes Jahr veranstaltet die Arche ihren Mittlerweile ist der Betrieb, wenn auch noch reduziert, wieder „Sport- und Talenttag“. Viele Eltern und angelaufen. Einige Menschen mit Behinderungen, die sonst in die Freund/-innen der Arche kamen, um an die- Tagesförderung oder die Arche-Werkstatt kommen, werden in sem Tag die Talente jeder/s Einzelnen von uns zu feiern. Einige stellten in einer Mo- ihren Familien besucht. Dass die Arche Simbabwe während des denschau ihre meist selbstgemachten Klei- „Lockdown“ nicht vergessen wurde, freut den Gemeinschaftslei- der zur Schau und posierten vor begeister- ter Time Baluwa: „Wir haben Botschaften der Sorge und Liebe tem Publikum. Auch ein traditioneller von Partner-Gemeinschaften auf der ganzen Welt erhalten.“ ugandischer Tanz wurde im Vorhinein mit einer Choreografin einstudiert, um ihn den Gästen vorzuführen. Spiele für Groß und Klein rundeten den Tag ab, sodass jeder mit Australien: Orden für Arche-Bewohnerin einem großen Lächeln im Gesicht nach Hause ging. Was ich an diesem Tag wirklich Anne Walsh, ein langjähriges Mitglied der Arche Canberra in genossen habe, war vor allem das Gefühl Australien, hat kürzlich eine der höchsten Auszeichnungen des der Gemeinschaft. Alle wurden auf ihre ei- Landes erhalten: die Medaille des Ordens von Australien. Sie er- gene Art und Weise integriert, egal ob sie hielt dieses Ehrenzeichen für ihre herausragende Arbeit mit Men- im Rollstuhl sitzen, eine psychische Beein- schen mit geistiger Behinderung. Anne Walsh, die selbst eine ge- trächtigung haben oder einfach nur etwas sitige Behinderung hat, hatte zuvor schon eine Medaille bei den schüchtern sind. Paralympics gewonnen und 2017 den vom Premierminister der Gerne erinnere ich mich an die vielen schö- australischen Hauptstadtregion verliehenden Inklusionspreis. nen Momente in der Arche zurück: wie wir „Anne ist eine ruhige, aber selbstbewusste Anwältin für andere, miteinander singen, bei jedem sich erge- die mit der Erfahrung geistiger Behinderung leben“, sagte der bendem Anlass wild durcheinander tanzen Leiter der Arche Canberra, Brendan Price. Sie sei sehr offen und oder in Stille beieinandersitzen und beten. mutig in Bezug auf ihre eigene Behinderung: „Sie hat ihre Ängste Oft waren es solche Momente, die meine Zeit in der Arche trotz aller kleinen Schwie- während ihres ganzen Lebens kontinuierlich überwunden und an- rigkeiten zu etwas ganz Besonderem für dere ermutigt, es ihr gleich zu tun.“ mich gemacht haben. Jule Welling
10 Miteinander unterwegs 20/2020 Plädoyer für Superhelden Vorgeburtliche Tests auf das Down-Syndrom sind umstritten: Sollen sie eine Regelleistung der Geburtsvorsorge werden oder gefährden sie das Lebensrecht von Menschen mit Behinderungen? Wir haben als Stellungnahme zu dieser Debatte Arche-Mitglieder mit Down-Syndrom öffentlich zu Wort kommen lassen Sollten Pränatal-Tests auf das Down-Syndrom zum Standard in der Geburtsvorsorge werden? Bereits seit mehreren Jahren dreht sich um diese Frage eine gesellschaftliche Kontroverse. Im Frühjahr 2019 wurde das Thema in einer vielbeachteten Parlamentsdebatte auch im Deutschen Bundestag behandelt. Eine politische Entschei- unterwegs dung steht allerdings bis heute aus. Bei vielen unmittelbar Betrof- fenen, ihren Familien, in Behinderteneinrichtungen und nicht zu- Zwei „Superhelden“ aus Landsberg, die in der Stellungnahme der letzt auch in den Arche-Gemeinschaften führen die anhaltenden Arche zu Wort kommen, im Bild mit dem Assistenten Marius Geiger Diskussionen zu einiger Verunsicherung und Besorgnis. vorzuschalten, die nicht ausschließlich therapeutische Ziele ver- Im Kern geht es in der Kontroverse um Bluttests in der frühen folgt, sondern automatisch mit der Frage verknüpft sei, ob ein Ab- Schwangerschaft, mit denen sich feststellen lässt, ob Babys das bruch vorgenommen werden solle. Auf diese Weise würde sich in Down-Syndrom (Trisomie 21) haben oder nicht. Befürworter/-in- der Bevölkerung die Einstellung zum Lebensrecht von Menschen nen solcher Pränatal-Tests – wie etwa die Evangelische Kirche in mit Behinderungen verschieben. Es dürfe nicht dazu kommen, Deutschland (EKD) – betonen die Bedeutung des Selbstbestim- dass sich Eltern rechtfertigen müssen, die diese Diagnostik bewusst mungsrechts werdender Mütter. Die EKD plädiert dafür, vorgeburt- nicht in Anspruch nehmen. In einer neuen Veröffentlichung der liche Untersuchungen allen Schwangeren als Kassenleistung anzu- DBK (siehe links) wird kritisiert, das Geborenwerden mit einer Be- bieten. Finanziell schlechter gestellten Frauen dürfe kein größeres hinderung gelte immer mehr als vermeidbar. Nicht nur (werdende) Risiko einer Fehlgeburt zugemutet werden, heißt es zur Begrün- Eltern, sondern auch Ärztinnen und Ärzte gerieten zunehmend dung. Zugleich müsse aber unbedingt eine umfassende ethische unter den Druck, ein Leben mit Behinderung zu verhindern. und psychosoziale Beratung aller Schwangeren gewährleistet sein. Aller Unterschiede zum Trotz sind sich beide Kirchen in dem Be- Die Forderung eines umfassenden Beratungsangebots für werden- streben einig, vermehrte Schwangerschaftsabbrüche verhindern de Eltern teilt auch die katholische Kirche. Zugleich lehnt sie aber zu wollen – auch und gerade, wenn sie mit dem Vorliegen des flächendeckende Pränatal-Tests strikt ab und verweist dabei auf das Down-Syndroms begründet werden. Genau dieser traurigen Wirk- Gebot des Schutzes ungeborenen Lebens. Die Deutsche Bischofs- lichkeit stehen wir jedoch heute schon gegenüber: In Deutschland konferenz (DBK) warnt vor einem „Abtreibungsmechanismus“. Sie wie in anderen europäischen Ländern kommen immer weniger hält es für problematisch, jeder Schwangerschaft eine Art Prüfung Kinder mit Down-Syndrom zur Welt. Laut Expertenschätzung ent- scheiden sich bis zu neun von zehn Schwangeren bei einer Triso- mie für einen Abbruch. Ein Trend, der auch den Arche-Gemein- Hilfreiche Handreichung Info schaften in Deutschland und Österreich Sorge bereitet und dem Die Deutsche Bischofskonferenz wir gezielt entgegenwirken wollen. hat eine Arbeitshilfe zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen Wenn in der öffentlichen Diskussion um Pränatal-Tests suggeriert veröffentlicht. Unter dem Titel „Le- wird, dass ein Leben mit Down-Syndrom weniger lebenswert und ben und Glauben gemeinsam gestal- zudem belastend für die Allgemeinheit sei, dann wollen wir das ten“ sind Anregungen für das Zu- seitens der Arche so nicht stehen lassen. Denn unsere Erfahrung sammenleben von Menschen mit ist eine grundlegend andere. Es ist uns wichtig, Arche-Mitglieder und ohne Behinderungen zusam- mit Down-Syndrom selbst zu Wort kommen zu lassen. Wir haben mengestellt (mit Zusammenfassun- daher eine Zusammenstellung ihrer Statements veröffentlicht, die gen auch in leichter Sprache). Auch deutlich macht: Sie sind wahre Superhelden, Herzensmenschen die Kontroverse um Pränatal-Tests und Lebenskünstler – bereichernd für unserer Gemeinschaften, wird thematisiert. Zu erhalten bei: wie auch für unser aller Zusammenleben. Nachzulesen unter: www.dbk-shop.de. Titelseite der Arbeitshilfe www.arche-deutschland.de/statements. Jan-Thilo Klimisch
Miteinander unterwegs 20/2020 11 Geschichten aus der Arche Die Kunst, sich die Der harte Schwab gibt seinen Lebenslauf ab Schuhe zu binden Beitrag für einen Gedicht-Wettbewerb Am Tag bin ich harter Schwab immer auf meinem über alles geliebten Fahrrad. Bei Nacht träume ich von meinem nächsten Kaffee, der „Also, eines sag ich Dir gleich. Diese Arbeit erfordert eine ganze mir am Tag hundertprozentig reinläuft. Menge Ordnung und Disziplin.“ Dieses Zitat beschreibt die Da hab i so eine furchtbar nette Begleitung, mit der kann Atmosphäre im „Paradis“, der Werkstatt für Menschen mit ich über alles quatschen. Die sitzt gerade neben mir. Behinderung in einer kleinen schwedischen Provinzstadt wohl Bei Tag ist es immer schön hell, dass alle Pflanzen treiben können. am besten. Täglich wiederholt sich die Routine, bei der ganz oben Bei Nacht träume ich immer von meinem nächsten Kaffee, auf dem Programm steht zu lernen, wie man sich die Schuhe der mir bei Tag hundert Pro reinläuft. bindet. Und das seit Jahren jeden Tag. Bei Tag ist es schön hell, bei Nacht ist es immer dunkel, dass alle schlafen können. Die Werkstattmitarbeiter/-innen werden jäh aus ihrem Trott Susanne Kappel, Arche Ravensburg gerissen, als der arbeitslose Schauspieler Alex dort den Job als Betreuer übernimmt. Denn „Ordnung und Disziplin“ sind so gar Szenen aus der Arche Landsberg nicht seine Stärken. Stattdessen entdeckt er das Talent seiner Gruppe für Musik, welches er fortan vor allem fördern möchte. Beim Spülen nach dem Essen sagt die Assistentin Patricia Für die Schuhe gibt es ja schließlich auch Klettverschlüsse. Mit zu Fernando: „Hier, trockne mal ab!” und gibt ihm ein Handtuch. Fernandos Antwort: „Warum stehe ich immer seinen neuen Ideen sorgt er für jede Menge Wirbel. Denn als die so ungünstig?” Gruppe am Talentwettbewerb „Schweden sucht den Superstar“ teilnehmen möchte, sind nicht nur die Eltern der Bewohner/-in- Christian reicht „Batman“, einem Arche-Bewohner, der nen alles andere als begeistert. Auch konservative Sozialarbei- gern in das Kostüm des Superhelden schlüpft, Essen mit ter/-innen und bornierte Behörden versuchen, den Auftritt mit einem kleinem Löffel, als ob er nicht allein essen könnte. allen Mitteln zu verhindern. Regina fragt ihn: „Was bist Du, Batman, ein Baby?” Der Angesprochene antwortet prompt: „Ja, bei Gott bin ich ge- Der Film „Die Kunst, sich die Schuhe zu binden“ beruht auf der borgen. . . ”. (Da „Batman“ tatsächlich ein sehr spiritueller wahren Geschichte des „Glada Hudik-Theaters“, ein Theaterpro- Mensch ist, war die Antwort zwar witzig gemeint, hatte aber auch einen ernsten Hintergrund.) jekt, das 1996 im Tageszentrum für Menschen mit geistiger Behin- Bianca Berger, Arche Landsberg derung einer nordschwedischen Kleinstadt gegründet wurde und mittlerweile in ganz Schweden bekannt und beliebt ist. Der von Ohne mich? diesem Projekt inspirierte Film der schwedischen Regisseurin Le- na Koppel bringt einen zum Lachen und Weinen – und vor allem Auf die Frage, ob er bei einer Geburtstagsfeier auch dabei zum Nachdenken. Sarah Niggemann, Arche Tecklenburg sei, antwortet Marcus: „Klar doch! Ohne mich geht bei mir gar nichts.“ Birgit Lotthammer, Arche Ravensburg Bitte beachten: Wegen der Corona-Kri- 10.9.2020 Wort-Gottes-Feier der Ar- und viele andere Produkte aus der Ar- Termine se sind alle Termine (außer dem On- che Tirol: 10.30 Uhr im Arche-Haus Stei- che-Werkstatt sind zu erwerben (bis 23.12.) line-Auftritt am 27.8.) mit Vorbehalt. nach, Bahnhofstr. 163; weiter immer am 2. 27.-29.11.2020 Treffen ehemaliger Ar- Bitte in den Gemeinschaften erfragen, Donnerstag im Monat che-Assistent/-innen in Ravensburg: An- ob die Veranstaltungen stattfinden. 3.10.2020 Die Arche Landsberg nimmt meldung: claus.michel@arche-deutschland.de am Landsberger Stadtlauf teil: ab 12 Uhr 29.11.2020 Dankgottesdienst der Ar- 27.8.2020 Online-Auftritt der Arche 8.11.2020 Die Arche Landsberg betei- che Tirol: 10 Uhr in der Pfarrkirche Gries Ravensburg „As I am – so wie ich bin“, ligt sich am Stadtlauf in München 5./6.12.2020 Die Arche Tecklenburg Thema Clownerie: 17 Uhr live im Internet 20.11.2020 Eröffnung der Verkaufsaus- beteiligt sich am Nikolausmarkt: ab 11 unter https://diestreamerei.de/formate/arche stellung der Arche Tirol: 17 Uhr im Haus Uhr in der Altstadt von Tecklenburg (Dort sind auch die früheren Auftritte noch Marillac, Sennstraße 3 in Innsbruck; Kerzen, 6.12.2020 Die Arche Landsberg betei- abrufbar.) Duftsäckchen, Töpferarbeiten, Perlenketten ligt sich am Landsberger Nikolauslauf
12 Miteinander unterwegs 20/2020 Wie Claus Michel die Welt sieht „Vermutlich kennen Sie alle Situationen, in denen Sie – Menschen vielleicht auch erst im Rückblick – realisiert haben, dass in der Arche: etwas Einschneidendes in Ihrem Leben passiert ist. Ich Manca Kastelic habe solch eine Situation bei einem Ausflug im März aus Slowenien erlebt. Das schöne Frühlingswetter hatte uns animiert, in einem Restaurant inmitten der Weinberge essen zu gehen. Beim Verlassen des Restaurants hörte ich jemand sagen: „Wir müssen diese Möglichkeit nutzen, solange wir es Ich wurde 1961 im damals kommunistischen Jugoslawien geboren noch können.“ Ich dachte bei mir: Wer sollte uns diese Möglichkeit nehmen? – In den darauffolgenden Tagen und wuchs in Slowenien auf. Mit 17 Jahren hatte ich das Glück, wurde durch die Covid-19-bedingten Einschränkungen das nach Taizé reisen zu dürfen. Die bescheidene Art der Brüder, die gesellschaftliche Leben in Deutschland, Österreich und in durch ihre Lebens- und Gebetsweise suchenden Menschen er- vielen anderen Ländern mehr oder weniger lahm gelegt. möglichen, die Liebe Gottes inmitten unserer zerrissenen Welt Mein Nicht-Wahrnehmen einer sich abzeichnenden funda- unterwegs zu entdecken, ist seitdem eine wichtige Lebensquelle für mich. mentalen Veränderung hat mich in den vergangenen Nach dem Uni-Abschluss in Literaturwissenschaft und Englisch Wochen stark beschäftigt. 1985 verbrachte ich zwei Jahre als Freiwillige in Taize und arbei- Ähnlich erging es mir, als ich erstmals tete dann als Bibliothekarin an der Universität in Ljubljana. Kurz von den damals noch vorläufigen Er- vor dem Ende des Kommunismus lernte ich als Übersetzerin Jean kenntnissen über den geistlichen und Vanier kennen. Seine charismatische Präsenz und die Kraft seines sexuellen Missbrauch des Arche- Wortes berührten mich tief. Ich war für die Gründung der Arche Gründers Jean Vanier erfahren habe. Slowenien verantwortlich, die 1997 ihr erstes Haus eröffnete. Ich kann mich noch genau an das Nicht-wahrhaben-Wollen und die Ge- 1999 heiratete ich Klemen, den ich in der Arche kennengelernt fühle der Enttäuschung, der Wut und hatte. Unsere beiden Kinder sind heute 19 und 16 Jahre alt. Seit Claus Michel ist der fundamentalen Erschütterung Leiter der Arche 2002 arbeite ich für die Internationale Arche, seit Februar 2020 erinnern. Vielen in und außerhalb der in Deutschland Arche ging es sicher ähnlich, als im zusammen mit meiner Kollegin Laurence Rahmaoui aus Lyon als und Österreich Februar die Missbrauchstaten von Jean stellvertretende Internationale Delegierte für die Gemeinschaf- Vanier öffentlich gemacht wurden. ten Europas und des Nahen Ostens (außer Frankreich und Groß- britannien). Daher werde ich in den kommenden Jahren auch viel Nach dem Tod von Jean Vanier im vergangenen Jahr mit der Arche in Deutschland und Österreich unterwegs sein. bedeutete die Konfrontation mit dem Missbrauch ein zweites Abschiednehmen von ihm. Der Abschied von den In all den Jahren in der Arche habe ich viele Höhen und Tiefen Vorstellungen, die ich mir von ihm gemacht hatte, war durchlebt. Wie wohl viele habe ich noch nicht völlig die schmerz- und ist schmerzhafter für mich als sein Tod. Es wird Zeit, lichen Enthüllungen über Jean bearbeitet. Trotz allem und immer Aufmerksamkeit und Mut brauchen, sich den unangeneh- men Wahrheiten zu stellen, die mit dem Missbrauch wieder bleibe ich in der Arche, weil ich das besondere Charisma, durch Jean Vanier verbunden sind. Was mich hoffen lässt, das Gott uns anvertraut zu haben scheint, sehe und daran glaube: ist, dass die Arche den Mut hatte, den Missbrauch wahrzu- die verwandelnde Kraft der gegenseitigen Beziehungen, die sich nehmen, ihn öffentlich zu benennen und erste Schritte uns vor allem durch unsere Geschwister offenbart, die mit einer der Aufarbeitung zu gehen. Ich sehe hierin einen Auftrag geistigen Behinderung leben, wenn wir es wagen, gemeinsam of- an uns, alles in unserer Macht Stehende zu tun, um fen, verletzlich und ehrlich zu sein. Manca Šinko Kastelic Missbrauch in unseren Gemeinschaften zu verhindern. IMPRESSUM Herausgeber: Arche Deutschland und Österreich e.V., Bodelschwinghweg 6, 49545 Tecklenburg • Gemeinschaften in Deutschland: Tecklenburg, Ravensburg, Landsberg/Lech •Gemeinschaft in Österreich: Tirol (mit Häusern in Steinach und St. Jodok) Vorstandsvorsitzender: Steffen Müller • Leiter der Arche in Deutschland und Österreich: Claus Michel; Telefon: 0049-(0)6341-511 74; E-Mail: claus.michel@arche-deutschland.de •Öffentlichkeitsarbeit und Fundraising: Thomas Bastar (V.i.S.d.P.) • Kontakt: Telefon: 0049-(0)40-712 02 95 E-Mail: kommunikation@arche-deutschland.de • Internet: www.arche-deutschland.de • Konzept/Grafikdesign: Judith Meyer-Fuß • Druck: Ge- meindebriefDruckerei.de • Hinweis: Nachdruck und anderweitige Verbreitung, auch auszugsweise, ist nur mit Genehmigung des Herausgebers zulässig.
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