ZUSÄTZLICHES PRESSEMATERIAL - kimmel & metz ...
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TRANS — I GOT LIFE JOURNALISTIN ANKE STERNEBORG IM GESPRÄCH MIT DEN REGISSEURINNEN DORIS METZ UND IMOGEN KIMMEL
TRANS — I GOT LIFE DIE EINZIGE FRAU OBERST im deutschen Heer: Elisabeth Sophia Landsteiner © mindjazz pictures / Foto: Marcus Gruber Wie sind Sie auf das Thema gekommen? getroffen hatten, wurde ganz schnell klar, dass es hier um eine radikale Form der Ich-Suche Imogen Kimmel: In gewisser Weise hat das geht. Jeder Mensch beschäftigt sich damit, ins- Thema uns entdeckt, als wir 2015 im Flugzeug besondere in Pubertät und Midlife Crisis. Trans zufällig neben Dr. Schaff saßen. Irgendwann Menschen durchleben das in extremer Form fragte man: Was arbeiten Sie? und er erwiderte: und mit großen Schmerzen. Unsere Gespräche „Ich operiere Männer zu Frauen und Frauen zu haben uns oft sehr demütig gemacht. Wir haben Männern.“ Wir hatten beide früher schon mal viel gelernt, über das Ringen ums Ich, ums Kontakt mit Transgender, Doris hatte in den Menschsein. Man muss sich ja nur mal vorstel- 80er Jahren einen Artikel dazu geschrieben, ich len, was es bedeutet, ein Leben lang immer ge- wollte Anfang der 90er Jahre schon mal einen sagt zu bekommen, du bist nicht der, der du bist. Film zum Thema machen. Trotzdem ließ uns Du fühlst dich ganz klar als Mann oder Frau, dieser kleine Satz aufhorchen, weil er so vieles aber die anderen sagen alle, das stimmt nicht. in Frage stellt: Geschlechtsidentität. Mann und Sich gegen diese Mauer durchzusetzen, fordert Frau. Die Möglichkeit zu wechseln. Für uns ging sehr viel Kraft. Das in dieser Form mitzuerleben, es da auch um eine grundsätzliche und tief- hat uns beide sehr viel weitergebracht. gehende Auseinandersetzung mit dem Thema Identität. Dabei entstand die Idee, dieses Projekt Also im Grunde eine allgemein menschliche Frage gemeinsam anzugehen, statt wie sonst allein zu der Sinnsuche, die auf den Fokus Trans verengt arbeiten. wird? Doris Metz: 2016 gab es um das Thema ja noch Imogen Kimmel: Nicht ganz, vor allem geht es nicht diesen Hype wie heute. Wir fragten zu- um die Radikalität, die aus der Not heraus ent- nächst: Was hat das mit uns zu tun? Was macht steht. Im Inneren anders zu sein, als sie äußer- das so spannend? Warum wird Geschlechts- lich erscheinen, zwingt die trans Menschen zu identität plötzlich so häufig in Frage gestellt? radikalen Veränderungen. Es geht um den Mut, Das war die Motivation, uns auf diese fünfjährige gegen enorme Widerstände zu sich selbst zu Reise zu begeben. Solche Marathonläufe steht stehen. Schon der sogenannte Normalo tut sich man ja nur durch, wenn man persönlich berührt doch mit kleinsten Veränderungen sehr schwer. ist, wenn es ein Projekt ist, das einen immer neu Das Außergewöhnliche ist, dass dieses Ringen, fordert, weiterbringt und fasziniert. das sonst im Lauf eines ganzen Lebens passiert, bei trans Menschen auf einen relativ engen Zeit- Wie ging es nach dieser ersten Begegnung weiter? raum verdichtet ist, vergleichbar mit einem ge- schliffenen Diamanten, durch den das Licht viel Doris Metz: Als wir die ersten trans Personen klarer und stärker strahlt.
TRANS — I GOT LIFE RIKKU bei Ankunft am Flughafen München © mindjazz pictures / Foto: Still Film Doris Metz: Wenn man sich als trans Person auf damit zu beschäftigen, haben alle noch abge- die Reise machst, zieht man auch das gesamte wunken. Dann wurde es zunehmend präsenter, Umfeld, Eltern, Partner, Kinder, Freunde in seit 2017 tauchten auch auf den Laufstegen diesen Strudel. Da macht man sich als Ehemann immer häufiger Models auf, die trans sind, dann auf den Weg und am Ende hat deine Frau eine auch in der TV-Show Germany‘s Next Topmodel. Ehefrau, oder umgekehrt. Alle Menschen im Hochglanz-Magazine beschäftigten sich mit dem Umfeld sind gezwungen, damit umzugehen: Lass Thema. In diesen fünf Jahren hat sich unglaub- ich mich scheiden oder nicht? Der Druck von lich viel bewegt. Im Grunde geht es ja gar nicht außen ist groß. Allein deshalb betrifft die Trans- nur um Mann oder Frau. Unsere ganze abend- identität nicht nur eine statistische Minderheit. ländische Kultur ist auf dem bipolaren Denken aufgebaut. Schwarz oder weiß, gut oder böse: Gibt es greifbare Angaben, wie viele Menschen Alle Begriffe müssen in den einen oder den tatsächlich mit so einer verschobenen Ge- anderen Topf. Das beginnt jetzt langsam aufzu- schlechtsidentität ringen? brechen, wir leben in einer Zeit des Wandels, in der über Identitätspolitik hart diskutiert wird. Imogen Kimmel: Exakte Zahlen gibt es nicht, Das ganze System muss neu gedacht werden. weil die deutschen Einwohnermeldeämter Durch die Arbeit an dem Film wurde uns klar, statistisch nur erfassen, wenn der Eintrag des dass der Boden, den wir immer für sehr stabil Geschlechts formal von Mann zu Frau oder Frau hielten, in Wirklichkeit sehr schwankend ist. zu Mann geändert wird. Seit dem Urteil des Bun- Viele Mitglieder des Teams, die sich immer für desverfassungsgerichts in Karlsruhe von 2018 sehr aufgeschlossen hielten, haben im Laufe des gibt es eine dritte Kategorie „divers“. Es heißt Drehs begriffen, dass die Strukturen, in denen immer, in Deutschland seien ungefähr so viele wir denken, sehr alt und festzementiert sind. betroffen, wie es Postbot:innen gibt, also etwa 0,5 Prozent der Gesamtbevölkerung. Doris Metz: In der Modebranche haben sich die alten Rollenbilder schon viel früher aufgelöst. Durch das Coming out berühmter Regisseurinnen Trans Models mit ihren androgyn-femininen wie Lana und Lilly Wachowski, oder Darsteller wie Körpern sind Kult. Auf der einen Seite gibt es Ellen Page, der zu Elliott Page wurde, oder Asia also längst diese Transformation, die Auflösung Kate Dillon, die sich offiziell als non-binär be- der starren Mann-Frau-Stereotype, auf der an- zeichnet, hat das Thema inzwischen mehr Präsenz deren Seite haben wir eine Verhärtung, die wir in der öffentlichen Wahrnehmung. Ist das auch ein in den vier Trump-Jahren in Amerika, aber auch Modethema? hier mitten in Europa, leidvoll erlebt haben: eine Ablehnung von allem, was mit Vielfalt, Offenheit Imogen Kimmel: Als wir 2015/16 anfingen, uns und liberaler, demokratischer Gesellschaft zu
TRANS — I GOT LIFE Eishockey-Trainer Mik „Panci“ im Bad © mindjazz pictures / Foto: Antje Kröger tun hat. Für unsere trans Protagonist:innen be- urgin und trans Frau Dr. Marci Bowers sagt, dass deutet das, dass sie in München, nachts allein es in der Natur niemals nur zwei Möglichkeiten, an der Trambahn-Haltestelle Angst haben, oder sondern immer ein größeres Spektrum gibt. sich nicht allein in ein Lokal trauen. Das war für uns einer der Kernsätze. In der Natur geht es immer ums Weiterleben, und das Der Komponist Gregor Schwellenbach hat im Weiterleben braucht Vielfalt. Gespräch mit Ihnen beiden die Hoffnung auf eine non-binäre Welt geäußert: Für wie realistisch Doris Metz: Binäre Welt - da geht es ja nicht nur halten Sie beide das? um stereotype Zuschreibungen von Mann und Frau. Binarität ist auch das Fundament unserer Doris Metz: Non-binäre Welt heißt ja nicht, dass kapitalistischen Welt. Obwohl im Grundgesetz man nicht glücklich als Frau oder als Mann le- steht, dass alle Menschen gleich sind, ist ein ben darf, sondern, dass es andere Möglichkeiten Mann in diesem System scheinbar mehr „wert“ jenseits der bestehenden Zwangsordnung gibt. als eine Frau. Stichwort Gender Pay Gap. Es Die non-binäre Welt ist eine Welt, die Luft lässt sind die Männer, die bisher von der binären Welt für Zwischenräume und Zwischentöne. Ohne die profitiert haben. Als Frauen stellen wir 50% der Forderung, Geschlechtsstereotype zu erfüllen, Menschheit, und müssen doch um Gleichberech- als Mann stark sein zu müssen, nicht weinen zu tigung kämpfen. Die Tatsache, dass wir diese dürfen, Krieger zu sein. Die non-binäre Welt ist Form der Diskriminierung täglich erleben, ver- ein Denk-Raum, der uns alle freier macht, weil bindet uns in gewisser Weise mit der Minderheit er mehr Spielräume eröffnet. Ich fühle mich der trans Menschen. Schon deshalb kämpfen wir komplett als Frau, es kam mir nie in den Kopf, für eine non-binäre Welt, die mehr Gerechtigkeit Mann sein zu wollen, trotzdem möchte ich keine schafft. weiblichen Stereotype erfüllen. Die Zukunfts- vision des Non-binären eröffnet Mann und Frau Was müsste sich da rechtlich verändern? mehr Gender-Fluidität. Es gibt zwei Pole, Mann und Frau, und dazwischen eine große Bandbreite Doris Metz: Der Urteilspruch des Bundesverfas- an Möglichkeiten. Dieser gesellschaftliche Pro- sungsgerichts hat den Weg geebnet: Nirgendwo zess dauert sicher noch ein, zwei Generationen. im Grundgesetz ist verankert, dass es nur Mann Interessant ist, dass die jüngere Generation und Frau geben darf. Das hat eine große gesell- schon sehr viel geschmeidiger damit umgeht als schaftliche Debatte in Gang gesetzt und zwingt wir früher, die nehmen sich viel größere Frei- die Politik zum Handeln. Man hat dann als dritte heiten. Option neben Mann und Frau den umstrittenen Begriff „divers“ eingeführt. Transgender geht je- Imogen Kimmel: Die amerikanische Transchir- doch über die bloßen Kategorien Mann, Frau, Di-
TRANS — I GOT LIFE CONNY © mindjazz pictures / Foto: Antje Kröger vers hinaus. Es gibt ja auch Menschen, die sich den Prozess irreversibel machen. keinem Geschlecht eindeutig zugehörig fühlen, sondern sich in einem Spektrum bewegen. Poli- Doris Metz: Wir sind nicht pauschal dafür, das tisch ist jedenfalls das Selbstbestimmungsrecht Skalpell an den eigenen Körper anzulegen, das des Menschen bezüglich des Geschlechts noch sollte der letzte Schritt sein. Aber mit dem Stau- längst nicht durch, das wird von konservativer nen über die Möglichkeiten der ärztlichen Kunst Seite nach wie vor blockiert. Bis heute greift in und dem Miterleben der Not der Betroffenen Deutschland ein Gesetz von 1981. Bis vor kur- verändert sich auch der Blick. Entscheidend ist: zem galt Transsexualität laut WHO quasi noch Wenn die Gesellschaft insgesamt großzügiger als Geisteskrankheit. Wenn man nicht in eines ist, verkleinert sich auch der Druck, die Transi- der beiden Kästchen Mann oder Frau passte, tion durch eine OP zu vollenden. wurde man in die Psychiatrie abgeschoben. Der Wandel ist längst noch nicht so weit, wie er sein Aber richtet sich nicht genau darauf die große sollte. Interessanterweise sagt der Transchirurg Sehnsucht vieler Betroffenen? Dr. Schaff, dass die Jurist:innen den Medizi- ner:innen und der Gesellschaft weit voraus Imogen Kimmel: Die OP wird oft mit einer seien. Sie seien die Pfadfinder und schlagen mit großen Party als zweiter Geburtstag gefeiert. ihren Urteilen Pflöcke ein. Viele trans Personen empfinden, dass sie hier das Leben erst wirklich geschenkt bekommen. Imogen Kimmel: Damit sich wirklich etwas ver- Darum haben wir in unseren Filmtitel auch ändert, muss ein kulturelles und gesellschaft- das I Got Life! reingenommen. Zum Glück gibt liches Umdenken in Gang kommen. Aber das es in Deutschland, anders als z.B. in Amerika, binäre Denken ist tief in unserem System ver- den Freiraum, zu entscheiden, wie weit man wurzelt. Zum Beispiel muss das Transsexuellen- operativ mit der Umgestaltung seines Körpers Gesetz dringend überarbeitet werden. Und da gehen möchte. Also, wie weit man es psychisch zeigt sich, wie schnell Änderungen komplizierte braucht. Das hat sich erst in den letzten Jahren Fragen aufwerfen: Zahlen beispielsweise die entwickelt, früher gab es auch hier das Dogma, Krankenkassen die OP noch, wenn trans nicht sich für das eine oder das andere Geschlecht mehr als „Krankheit“ definiert ist? Oder wie entscheiden zu müssen, und wenn man den Weg geht man mit der Gabe von Hormonblockern in geht, ihn auch vollständig zu beschreiten. Darum der Pubertät um, die zur Identitätssuche nun haben wir im Film mit Julius bewusst auch einen mal dazu gehört? Überhaupt stellt sich die Fra- Protagonisten, der sich dem nicht vollständig ge, wie früh greift man in die Entwicklung eines unterwirft, der sich klar als Mann empfindet, Menschen ein? Besonders beschäftigt das die aber sagt, er braucht keinen Penis. Generell ist Chirurg:innen, die konkret Hand anlegen und Transition nie beendet, es ist ein lebenslan-
TRANS — I GOT LIFE Dr. Jürgen Schaff beim OP-Einsatz in Moskau © mindjazz pictures / Foto: Andreas Steffan ger Prozess, da der biologische Körper bleibt tun zu haben, die wirkliches Interesse an ihnen und mit Hormonen überlistet werden muss. Da hatten, was zu einem innigen Austausch geführt haben wir sehr viel gelernt, auch von den beiden hat. Wir waren so involviert, dass wir das Gefühl Vorständen von Transmann e.V., die uns bei der hatten, keinen Film mehr über ein Thema zu Entstehung des Films begleitet und beraten drehen, sondern einen Film, mit dem wir selber haben. viel über das Leben lernen. Wie man zu dieser großen Freiheit des Denkens kommen kann, sich Doris Metz: Wenn diese Menschen keine Hilfe zu verändern und nicht in dieser festgefahrenen bekommen, wenn sie den medizinischen Trans- Zuordnung zu leben. Eine der Protagonistin- weg nicht beschreiten können, führt das sehr nen sagt „Du musst dich verändern, um die zu häufig zu Selbstverletzungen oder sogar zum werden, die du bist.“ In dem Moment wurde uns Suizid. Aber Transsein und Transition gibt es klar, wir sprechen über etwas viel Größeres, nicht nur von Frau zu Mann, und von Mann zu als Transgender. Das ist ein Thema, das weit Frau, dazwischen liegt ein großes Spektrum, über Einzelschicksale hinausgeht und mit der auf dem jeder selbst bestimmen muss, wie weit Gesamtgesellschaft zu tun hat. er oder sie gehen will. Darum war es uns so wichtig, nicht ein einziges Schicksal ins Zent- Doris Metz: Um dieses Vertrauen gewinnen rum unseres Films zu stellen, sondern sieben zu können, braucht man vor allem eines, und verschiedene Perspektiven von sieben Protago- das ist viel Zeit. Einerseits wollen sie gesehen nist:innen zu zeigen, in denen sich immer neue werden, andererseits haben sie gespürt, dass und vielfältige Facetten eröffnen. Wir brauchten wir uns ehrlich interessieren, für ihre Not, ihr diese sieben Perspektiven, um uns dem Trans- Ringen, ihr Leid, nicht als Opfer, sondern auf sein in seiner Komplexität annähern zu können. Augenhöhe, in Teilhabe. Dass wir keinen Film über, sondern einen Film mit trans Menschen Wie schwer war es denn, die Protagonist:innen machen wollten. Wichtig war auch, dass wir uns dazu zu bringen, sich so zu öffnen, das Filmteam gegen oberflächlichen Boulevard und Fernseh- und die Zuschauer so nah, bis an die Tränengrenze Voyeurismen abgegrenzt haben. an sich heranzulassen? Imogen Kimmel: Beim ersten Gespräch mit Dr. Imogen Kimmel: Dahinter stand keine Strategie, Schaff fanden wir die OP-Bilder, die er uns ge- es war eher so, dass wir beide beim Drehen zeigt hat, schockierend. Alles, was wir bisher immer wieder sehr bewegt waren. Unsere Er- zu wissen glaubten, auch über unsere eigene schütterung führte auch dazu, dass wir uns Geschlechtsidentität, geriet da in Bewegung. selbst sehr geöffnet haben. Und sie wiederum So haben wir viele Situationen erlebt, die unser waren froh, es mit Gesprächspartnerinnen zu eigenes Denken radikal in Frage gestellt haben,
TRANS — I GOT LIFE VERENA beim Tanzen © mindjazz pictures / Foto: Antje Kröger aber diese Annäherung, dieses zunehmen- daraus entstand nach der ersten Begegnung mit de Verstehen ist ja auch das Beglückende auf Dr. Schaff die Idee, einen Dokumentarfilm über dem Weg zur Entstehung eines Films. Vor den das Thema zu drehen. Sonst mache ich ja Spiel- ersten Treffen mit den Protagonist:innen waren filme, und natürlich trete ich den Menschen in wir nervös und unsicher, wie wir ihnen als Cis- einem Dokumentarfilm anders gegenüber, mit Frauen richtig gegenübertreten. Dabei geht es einer größeren Unmittelbarkeit und Offenheit. nur darum, den Menschen zu sehen, der einem Ich will sie nicht inszenieren, ihnen nicht meine da gegenübersitzt, direkt und offen, ohne Vor- Vision überstülpen, sondern wirklich bei ihnen urteile aufeinander zuzugehen. Das war ein sein, mich annähern, so weit es geht. Lernprozess. Die Betroffenen sind in der Regel schon weiter und haben darum oft auch einen Doris Metz: Seit meiner ersten Berlinale in schrägen Humor. Transsein ist ein ernstes The- den frühen Achtzigerjahren, und später als ich ma, aber du überlebst nur, wenn du es schaffst, beruflich, als Medienredakteurin der Süddeut- deinen eigenen humorvollen Umgang damit zu schen Zeitung regelmäßig viele Filme gesehen finden. habe, hat mich dieses Zwischendrin immer be- rührt und fasziniert, diese nicht festgeschriebe- Doris Metz: Auch wir sind ins Risiko gegangen nen Rollen. Das begann mit den ersten Filmen und haben eine eigene Produktionsfirma ge- von Derek Jarman und Tilda Swinton, die sich gründet. Um die Protagonist:innen schützen zu schon damals als Persönlichkeit jenseits nor- können, konnten wir uns keinem Produzenten mierter Rollen bewegt hat. Das waren die ersten ausliefern, der dann über unsere Köpfe hinweg Filme, in denen sich diese Strukturen auflösten, Entscheidungen trifft. Mit André Schäfer von während es sonst in erster Linie männliche und Florianfilm haben wir einen Produzenten ge- wenige weibliche Helden gab. Seitdem hat mich funden, der bereit war, diesen Film mit uns zu- das immer beschäftigt, dieses filigrane Dazwi- sammen entstehen zu lassen. schensein, das mir auch bei Eddie Redmayne in The Danish Girl gefallen hat. In gewisser Es hat in letzter Zeit auch immer mehr Spielfilme Weise war das schon damals eine unbewusste zum Thema gegeben, Boys don’t Cry von Kimberly Suche nach dem Non-binären, nach offeneren Pierce, Célines Sciammas Tomboy, The Danish Girl Zuschreibungen, nach dem Vielschichtigen auch von Tom Hooper: Gab es irgendwelche Inspiratio- in der Körperlichkeit eines Schauspielers, einer nen, die Sie aus diesen Filmen gewonnen haben? Schauspielerin. Imogen Kimmel: The Danish Girl war ein Film, Imogen Kimmel: Mein erster großer Kinofilm, der mich sehr beeindruckt und berührt hat, weil den ich in England gemacht habe, erzählte von er so feinfühlig erzählt und gespielt ist. Auch Sumo-Ringerinnen, also wirklich sehr dicken
TRANS — I GOT LIFE Hobby-Fliegerin Frau Oberst Landsteiner © mindjazz pictures / Foto: Andreas Steffan Frauen. Wir haben damals intensiv geprobt, weil in einem halben Jahr und drehen wieder. Diese diese auch sehr dicken Schauspielerinnen alle Verbindung muss auch über die drehfreien Zei- Sumo-Ringen lernen mussten. Damals wurde ten hinweg gehalten werden. Und man darf nicht mir zum ersten Mal klar, in welchem Maße vergessen, einige von diesen Menschen outen Kategorien wie dick und dünn, Mann und Frau, sich mit diesem Film zum ersten Mal öffentlich, Körper und Geist gesellschaftlich konditionierte das hat etwas von einer Mutprobe und macht Zwänge sind. Das Erstaunliche war, dass mir, sie auch verwundbar. Conny beispielsweise war nach einem halben Jahr Proben und Dreh auf als Harald im Motorsport aktiv, ähnlich wie das der Insel, die dicken Menschen, von denen ich Militär ist das ein extrem männliches Terrain, in dort immer umgeben war, die sich ja auch ganz dem sie sich nie offiziell geoutet hat. anders bewegen, sehr vertraut wurden. Das Leben draußen kam mir danach viel eckiger Imogen Kimmel: Auch unser Busfahrer Julius, vor, dünne Menschen erschienen mir plötzlich der bei den Münchner Verkehrsbetrieben arbei- ganz fremd. Das war für mich eine intensive Ver- tet, geht das Risiko ein, durch den Film geoutet unsicherung. Mir wurde klar, in welchem Maße zu werden und will das auch bewusst eingehen. Wahrnehmung durch die Umgebung bestimmt wird. Nichts ist per se „normal“. Doris Metz: Da besteht immer die Gefahr, aus der Kurve getragen zu werden. Wie öffentlich Gab es in der Arbeit als Regie-Duo unterschied- will ich das machen und leben? Man weiß nie, liche Rollenverteilungen? was für ein Shitstorm einen da erwartet. Trotz- dem haben alle Protagonist:innen ein gewisses Imogen Kimmel: Wir waren absolut gleichbe- Sendungsbewusstsein, ein Verantwortungsge- rechtigt und haben uns optimal ergänzt, gerade fühl, über ihre Erfahrungen zu sprechen, um an- auch bei den Interviews, bei denen viel Fein- dere trans Personen zu unterstützen. Nicht alle, fühligkeit nötig war. Gemeinsam konnten wir uns aber viele von ihnen haben eine gesellschaft- langsam aus unseren sehr unterschiedlichen liche Mission, sie wollen etwas verändern. Das Perspektiven vortasten. Heute denken wir, dass wiederum hat uns auch darin bestärkt, diesen keine von uns den Film alleine hätte machen Film zu machen. können. Wir brauchten das Gespräch miteinan- der, um uns immer neu zu orientieren. Sie haben früh entschieden, das Transerlebnis auch in die Bildsprache zu übertragen, also nicht Doris Metz: Bei sieben Protagonist:innen käme einfach einen Dokumentarfilm auf der Basis von man alleine schnell an die Grenzen. Man muss Talking Heads zu machen. Wie sind Sie da heran- dieses erworbene Vertrauen ja auch pflegen, gegangen? und kann nicht einfach sagen, okay wir kommen
TRANS — I GOT LIFE Frau Oberst Landsteiner mit Ehefrau © mindjazz pictures / Foto: Andreas Steffan Imogen Kimmel: Mit filmischen Mitteln kann ohne dass es eine Freakshow wird? Dazu diese man Atmosphäre schaffen und sich Zuständen übermenschliche Konzentration der Ärzt:innen, annähern. Da haben wir lange gesucht, wie die in Moskau zehn Stunden am Stück operieren, könnte das aussehen? Wir wollten die Protago- ohne zu trinken, weil es so schwierig ist und nist:innen nicht inszenieren, sie sollten sich ih- unbedingt gelingen muss. Zusammen mit der ren Raum selbst erschaffen können. Und da gab Kamerafrau Sophie Maintigneux haben wir eine es schnell das Schlüsselwort „Bewegung“, wir Sprache gefunden, eine Form von Reinheit und wollten sie in Bewegung zeigen, weil der Trans- Konzentration, in der man spürt, da kann etwas weg ja nie abgeschlossen ist. Das Fließende des Neues entstehen. Vor diesen Bildern muss Transweges haben wir auch im Lebensumfeld niemand Angst haben, und trotzdem sind sie unserer Protagonist:innen gefunden, die wogen- nicht geschönt. Es war uns wichtig, spürbar zu den Weizenfelder sind Teil der ostwestfälischen machen, dass Transition ein extrem radikaler Landschaft, in der die Autorallye tatsächlich Vorgang ist. Da müssen wir auch mit den Bildern stattfand. Der Spaziergang am Meer in Amerika und den Gefühlen an die Schmerzgrenze gehen. war ein Vorschlag von Dr. Marci Bowers. Wie im Wenn jemand weint, liegt das daran, dass das Leben dieser Menschen ist auch im Wasser alles keine abgeklärten Prozesse sind, wenn man im Fluss, im Spiel. Da ist nichts beliebig gesetzt, nicht weiß, ob das neue Geschlechtsteil nach der alle Drehorte ergaben sich aus den Erzählungen OP nutzbar ist, wie Partner:innen damit umge- der Protagonist:innen, die sich darin aufgehoben hen, wie alles neu erobert werden muss. fühlen. Im Film gibt es drei Paare, die den Transitionsweg Doris Metz: Man muss immer wieder genau eines Partners gemeinsam getragen haben und überlegen, was für den Film dramaturgisch auch immer noch zusammen sind. Ist das reprä- und inhaltlich stimmig ist Die Tanzszene in sentativ? Trennen sich die Paare nicht auch oft? Clärchens Ballhaus, das Zusammenführen der Protagonist:innen, ist eine Art Inszenierung, Imogen Kimmel: Es kommt schon häufig vor, aber das Feiern des neuen Lebens und der dass Paare sich trennen, oder nehmen wir „Neugeburt“ ist in sich stimmig. Es erzählt Verena in unserem Film, die alle Freunde ver- etwas vom Lebensgefühl des Transseins. Auch loren hat, oder eine andere trans Frau, die die Narben-Landschaften am Anfang des Films wir kennengelernt haben, die um ihre Kinder sind Montage. Aber das sind die „Wundmale“ am kämpft, die sich von ihr losgesagt haben. Und Transkörper, Landschaften von Gefühlen und viele sind in dieser Zeit der Selbstfindung und Spuren von Erlebtem. Unsicherheit ohnehin oft alleine. In der Selbst- Wir haben auch lange überlegt, wie wir mit den hilfegruppe in Berlin gab es viele trans Frauen, Operationen umgehen. Wie kann man sie zeigen, die schon im fortgeschrittenen Alter waren und
TRANS — I GOT LIFE VERENA beim Shoppen © mindjazz pictures / Foto: Marcus Gruber in festen Paar-Konstellationen lebten. Aber es Norm entsteht nur durch gesellschaftliche Zu- gibt eben auch die Partner:innen, die mit der schreibungen. veränderten Situation nicht umgehen können und sich abwenden. Das hat auch mit sexuellen Imogen Kimmel: Da sind viele aus der jungen Orientierungen zu tun, möchte eine trans Frau Generation schon sehr viel weiter. Da gibt es einen männlichen Partner haben oder weiterhin kaum Verstörung, sondern Offenheit, Mensch- mit Frauen leben? Jonas vom Transmann e.V. lichkeit und Toleranz jenseits des normierten war vorher als Frau verheiratet und hat sich gesellschaftlichen Denkens und Handelns, so scheiden lassen, als er merkte, er möchte als wie der Freund von Jana, der sie einfach akzep- schwuler Mann leben. tiert wie sie ist. Doris Metz: Ich habe großen Respekt für die Wie haben die Protagonist:innen denn bei der ers- Partner:innen von trans Menschen. Ihre Offen- ten Vorführung des Films reagiert? heit und Toleranz ist oft bewundernswert, denn sie werden ja in diesen Strudel einfach mit Doris Metz: Wir hatten den Film schon in der hineingerissen. Das ganze Umfeld der Ehefrau Schnittphase Testsehern aus der trans Com- von Frau Oberst Landsteiner beispielsweise war munity gezeigt, weil wir eine Rückversicherung der Meinung, sie müsste sich scheiden lassen. brauchten: Ist es richtig, wie wir das erzählen, Gegenüber der Gesellschaft müssen sie sich wie wir es montieren? Als der Film dann fertig ständig rechtfertigen, weil sie zusammen- war haben wir ein Kino gemietet für eine Vor- bleiben. Wenn sich ein heterosexuelles in ein führung mit allen Protagonisten:innen, die von homosexuelles Paar verwandelt, stellt das alle überall her angereist kamen. Wir waren natür- Normen auf den Kopf. In der binären Schwarz- lich sehr aufgeregt. Und dann lief der Film, und weiss-Welt ist das eine enorme Herausforde- danach gab es erst mal dieses absolut unglaub- rung. Das fängt ja bei den Behörden an, wenn liche Schweigen. Und dann sagte Frau Oberst es die Frau Landsteiner plötzlich zweimal gibt. Landsteiner als erste nur: „So ist es.“ Oder die Frau von trans Mann Julius, die sich früher nie hätte vorstellen können in einer Hete- Imogen Kimmel: Die waren alle sehr berührt, ro-Beziehung zu leben. Aber sie liebt diese Part- weil sie ihren eigenen Weg noch mal nacherlebt nerin, die dann ihr Partner wurde, so sehr, dass haben und gleichzeitig zum ersten Mal auch die sie sogar dieses heteronormative Lebensmodell Wucht der sechs anderen Transwege gespürt der Ehe annimmt. Menschen wie sie geben die haben. Das war so stark, dass sie alle erstmal Richtung vor, wie eine non-binäre Gesellschaft reglos im Sessel klebten. funktionieren könnte. Meiner Meinung nach ist jeder Mensch im Grunde bisexuell, die Hetero-
TRANS — I GOT LIFE DER SOUND VON TRANS Viele trans Frauen verzweifeln am Klang ihrer Stimme. „Ich sehe aus wie eine Frau und klinge wie ein Mann“ – so oder so ähnlich hörten wir es immer wie- der von unseren Protagonistinnen. Tatsächlich ist die Stimme die letzte und meist schwer einzunehmende Bastion auf dem Weg vom Mann zur Frau. In der Pubertät von den ‚falschen‘ Hormonen ausgebildet, widersetzt sie sich hart- näckig selbst langwierigem Stimmtraining oder heiklen operativen Eingriffen. Auch trans Männer sind häufig nicht wirklich glücklich mit ihr. Transstimmen haben einfach oft einen ganz besonderen, eigenen Klang. Vielleicht tönt aus ihnen für immer das Ringen mit der Identität; das Suchende, Tastende, Fra- gende bleibt ihr als Kennzeichen. Was also ist der besondere Sound der Transerfahrung? Wie kann unser Film davon erzählen? Die Suche nach einer Antwort führte uns von der trans Künstlerin Anohni mit ihrer transzendenten Kopfstimme über Arca‘s hypermodern minimalisti- schen Gesang zu dem Kölner Komponisten und Experimentalmusiker Gregor Schwellenbach. Es war ein Glücksfall. Gregor hatte 2013 den Elektro-Sound des Kölner Labels KOMPAKT für Kammermusik-Ensemble mit klassischen Instrumenten übersetzt und damit 2014 den renommierten VIA! VUT Indie Award gewonnen. Grenzüberschreitungen sind sein Ding, er verstand sofort, was wir spürten und suchten. Die von ihm als faszinierend und anziehend erlebte Verunsicherung bei seinen ersten Begegnungen mit trans Menschen machte Gregor zum Leit-
TRANS — I GOT LIFE motiv für die musikalische Arbeit. Auf der Stimme sollte ein besonderer Fokus liegen, den Rhythmus wollte er an den Geräuschen aus dem OP, dem Klim- pern, Klirren, Klopfen und Pochen entlang entwickeln. Als Lyrics schlug er uns die Einleitung von Ovids „Metamorphosen“ vor. Wir waren auf dem Weg. Aber was war die ‚richtige‘ Stimme? Androgyn, non binär, wie von zwischen den Welten? Erste Versuche, die Stimme technisch zu verändern – so wie auch die Körper von trans Menschen mit Hilfe von Technik, Medizintechnik, verändert werden – stellten ihn nicht zufrieden. Er erinnerte sich plötzlich an ein zufälliges Treffen vor vielen Jahren mit dem queeren, halbkubanischen, in Thüringen aufgewachsenen Jazzsänger Michèl Felgner. Bald folgten Aufnah- mesessions, viel Nacharbeiten und Collagieren, bis sie den richtigen Sound gefunden hatten. Einen Sound, der „Schmerz und Freude gleichermaßen beinhaltet, der eine Zukunft verheißt, in der sich Menschlichkeit und Technik vereinen.“ (Gregor Schwellenbach) Mit Gregor Schwellenbachs Musik, dem Chor der Stimmen aus der Oral Histo- ry unserer trans Progatonist:innen und den Zukunftserzählungen der Trans- chirurgen fand unser Film schließlich seine eigene Stimme. er künstlerisch arbeite. MÜNCHEN, IM APRIL 2021 Imogen Kimmel und Doris Metz
TRANS — I GOT LIFE DIE REGISSEURINNEN IM GESPRÄCH MIT DEM KOMPONISTEN GREGOR SCHWELLENBACH ZU SEINER ARBEIT AN TRANS – I GOT LIFE
TRANS — I GOT LIFE Was war dein Ziel, als Du mit der Arbeit begonnen Welche anderen musikalischen Elemente haben hast? eine Rolle gespielt? Ich wollte unbedingt eine Musik machen, die Für das Thema bei den Transoperationen, die sich von jedem Genre befreit, und keine der im Film gezeigt werden, habe ich die OP-Geräu- Schubladen benutzen, die beim Komponieren sche gesampelt, in der Hoffnung, musikalische von Filmmusik oft verwendet werden, um Filme Elemente zu finden: intim, positiv, befreiend. in ihrem Genre zu unterstützen. Vorbild war u.a. die Band Matmos, die 2001 aus Mein Interesse galt sofort der menschlichen den Geräuschen von Schönheits-OPs konzeptio- Stimme, die mit trans viel zu tun hat, in der nelle, elektronische Musik zum Thema Schön- Filmmusik aber ein seltenes Instrument ist. heits-Operationen gemacht haben („A Chance to Viele trans Künstler und trans Künstlerinnen be- Cut Is a Chance to Cure“). Letztendlich hat mich schäftigen sich mit dem Klang ihrer Stimme und das nicht wirklich ans Ziel gebracht. Das stun- bauen daraus Musik. denlange Anhören der Tonaufnahmen von den Zu Anfang stand die faszinierende, irritierende gedrehten Transoperationen war aber durchaus Verunsicherung, die ich bei meinen ersten Be- inspirierend. gegnungen mit trans Menschen erlebt hatte. Mir Die Sounds der OPs habe ich am Ende dann war klar, ich muss mich dem Thema bei meiner nicht gesampelt, aber elektronisch verarbei- Arbeit mit Vorsicht nähern und in die Verunsi- tet. Sie waren die Inspiration für Rhythmen und cherung reingehen. Sounds. Sie haben auch sehr gut auf der menta- len Inspirationsebene funktioniert. Nach was für einer Stimme hast Du gesucht? Für das „Taxi-Thema“ des Films habe ich noch einmal auf die Stimme zugegriffen, indem ich Ich suchte nach einer menschlichen Stimme, die u.a. Synthie-Pads, also liegende Akkordflächen, androgyn ist, und die wir mit einer Engelsstim- aus modulierten androgynen Stimmen gebaut me assoziieren können. Zuerst wollte ich eine habe. Stimme technisch verändern. Ich fand das eine schöne Idee, die Technik zu umarmen, sie als Chance zu sehen, um den menschlichen Körper Was ist für dich das zentrale Thema der Musik ge- in der gewünschten Richtung zu verändern. Ich wesen? pitchte Männerstimmen höher und Frauenstim- men niedriger. Aber die Ergebnisse waren nicht Ich habe mich immer wieder an unser erstes gut. Ich begann, nach einer natürlichen Stimme Gespräch erinnert. Wir haben über die schmerz- zu suchen, die wie von ‚zwischen den Welten‘ haften seelischen Erfahrungen von trans Men- klingt. Ich erinnerte mich an Michèl Felgener, schen gesprochen, wie auch über die konkreten den ich vor 10 Jahren zufällig bei Freunden ge- körperlichen Schmerzen, und dass aber all das troffen hatte, und die besondere Qualität seiner ein guter Weg ist – euphorisch und lebensbeja- Stimme. hend.
TRANS — I GOT LIFE Lebensbejahung und gleichzeitige Nähe zum immer wieder nachbearbeitet und collagiert. So Suizid liegen dicht nebeneinander, das wurde eine Arbeitsweise zu wagen war hier zwingend zu meinem musikalischen Ziel. Die Freude, sich erforderlich, weil die Stimme das dominierende selbst zu akzeptieren, das sollte meine Musik Instrument war. Und je feiner die Emotion ist, je ausdrücken. verästelter sie ist, umso komplizierter ist es. Generell liegt da auch meine Hoffnung für die Zukunft, in dem Sinne, wie ich es bei meiner Eine letzte Frage: Wenn man Dich im Internet Laudatio für Arca (bei den Via-Vut Indie Awards sucht, tauchen verschiedene Berufsbezeichnun- 2020) gesagt habe. Nämlich, dass wir hoffent- gen auf: Experimentalmusiker, Arrangeur, Multi- lich an der Schwelle zu einer freien non-binären instrumentalist. Was bist du? Welt stehen, in der die technischen Möglichkei- ten zur eigenen Freiheit benutzt werden können Ich verstehe mich vorrangig als Komponist. Oft und nicht, wie das in manchen Zukunftsvisionen arbeite ich dabei als „Übersetzer“, so wie ich beschrieben wird, zur Unterdrückung der Men- zum Beispiel die elektronische Musik von Kom- schen mit besonderer Persönlichkeit. Die Zu- pakt in Arrangements für klassische Kammer- kunft könnte so aussehen: Gefühle und Individu- musik-Ensemble übersetzt habe. Ich verstehe alität von uns Menschen können sich entfalten, mich als jemand, der sich an den Schnittstellen auch mit Hilfe der technischen Möglichkeiten. unterschiedlicher musikalischer Szenen bewegt, Wenn wir nicht sein können, wie wir sind, wenn sich dort Dingen mit liebevollem Blick nähert wir unglücklich damit sind, wie wir sind, und es und zwischen den Szenen vermittelt. Ich glaube, nicht lösen können, dann kann uns Technik viel- vieles zu verstehen und habe dann so einen An- leicht darin unterstützen, diejenigen zu werden, trieb, das zu teilen und weiterzugeben. Das ist die wir uns zu sein wünschen. oft die Triebfeder, ob ich journalistisch, pädago- gisch oder künstlerisch arbeite. Du hast von dem Weg der Verunsicherung als Ausgangspunkt deiner Arbeit an unserem Film gesprochen. Was bedeutet ‚Verunsicherung‘ in der MÜNCHEN IM APRIL 2021 musikalischen Arbeit? Imogen Kimmel und Doris Metz Verunsichernd und gewagt war es, im Rahmen einer Auftragsarbeit auf bewährte Rezepte zu verzichten und experimentell zu arbeiten. Mit Michèl Felgner war es eine wirklich gemeinsa- me Arbeit am richtigen Ton, an der Stimme, am Sound. Wir sind zwar von meinen notierten Ideen ausgegangen, haben dann aber viele verschie- dene Aufnahmesessions gemacht, und ich habe
TRANS — I GOT LIFE HINTERGRUND FAKTEN BEGRIFFE
TRANS — I GOT LIFE I. Transidentität Transgender ist der Oberbegriff für Personen mit Geschlechtsinkongruenz, wobei nicht alle körperliche Veränderungen anstreben. Aus Aktivisten- und Betroffenensicht bedeutet Transsein, dass eine Person über keine oder keine vollständige Identifikation mit dem Geburtsgeschlecht verfügt. Im Dschungel der Begriffe: Transgender wird von vielen „Normalos“ immer noch mit transvestitisch verwechselt. Doch Crossdresser sind etwas anderes. Aber es gibt auch fließende Übergänge. Trans, non-binär, genderqueer, gen- derfluid, divers – mehr dazu siehe folgende Links: https://www.trans-inter-beratungsstelle.de/de/begriffserklaerungen.html#trans https://de.wikipedia.org/wiki/Nichtbin%C3%A4re_Geschlechtsidentit%C3%A4t Transsexuelle verschwanden früher einfach in der Psychiatrie, trans wurde als eine Art Geisteskrankheit gesehen. Seit Anfang der 1950er Jahre gilt Trans- sexualismus (F64.0) laut ICD-10, der international gültigen statistischen WHO- Klassifikation der Krankheiten, als eine von mehreren „Geschlechtsidentitäts- störungen“(F64) und wird den „Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen“ (F6) zugeordnet. Nur durch erbitterten Protest der weltweiten trans Communi- ty und von Fachverbänden wie dem Weltverband WPATH konnte erreicht wer- den, dass man statt Störung seit 2013 von Gender Disphoria /Geschlechtsdys- phorie spricht. Damit wird signalisiert, dass nicht die Identität krankhaft ist, sondern ein Unbehagen („Dysphorie“) mit dem eigenen Geschlecht besteht. Ab 1. Januar 2022 soll nun in der nächsten ICD-11 die Psychopathologisierung von Transgender-Personen endgültig aufgehoben werden. Der Weg der medizinischen Diagnose von trans führte von der unhinterfragten Pathologisierung – der Bewertung als krankhaft – in der Mitte des 20. Jahr- hunderts zu der heute in Fachkreisen mehr oder weniger akzeptierten Auf- fassung, dass Transidentität eine Normvariante ist und nichts mit psychischer Gesundheit oder Krankheit zu tun hat. Alle Versuche, trans Menschen psycho- therapeutisch von ihrem Wunsch nach Geschlechtsangleichung zu befreien, sind gescheitert. Die genaue Ursache von Transsein ist trotz aller wissenschaftlichen Forschung bis heute ungeklärt. Einig ist sich die Wissenschaft, dass sich das Geschlecht
TRANS — I GOT LIFE II. Geschlechtsangleichende Operationen Für die Feminisierung der männlichen Genitale bei Mann zu Frau werden in Deutschland für ein optimales Ergebnis in der Regel zwei Operationen an- gesetzt, verbreiteter internationaler Standard ist nur eine Operation. Für die Maskulinisierung der weiblichen Genitale bei Frau zu Mann sind es zwischen zwei und sechs Operationen. Die Operationen sind schwierig und dauern zwi- schen vier und acht Stunden. Geschlechtsangleichende OPs kosten für M zu F um die 10.000 Euro für F zu M um die 50.000 Euro. Die Berechnung erfolgt nach Dauer des Klinikaufenthalts. Die Kosten werden in Deutschland meist von der Krankenkasse übernommen. Top-Transchirurgen weltweit wollen durch ihre Eingriffe eine echte „Quality of Life“ für trans Menschen erreichen, d.h. ästhetisch wirklich überzeugende Neo-Geschlechtsteile kreieren, die zudem sensibel sind. Gesichtsfeminisierung (Facial Feminization Surgery): ist ein Sammelbegriff für eine Reihe von Verfahren, die dem Gesicht ein feminineres Aussehen ver- leihen, wie z.B. Lippenvergrößerung, Stirnabflachung, Kinn- oder Nasen-Ver- kleinerung. Diese Kosten werden in der Regel nicht von der Krankenkasse übernommen. Pubertätsblocker: Es gibt eine große und hitzig geführte medizinische wie gesellschaftliche Debatte um den Einsatz von Hormonblockern bei Kindern und Jugendlichen. Pubertätsblocker sollen die Entwicklung der sekundären Geschlechtsmerkmale (Brüste, Stimmbruch, Bartwuchs, etc.) bei trans Kids unterdrücken. Behandlungs-Befürworter unter Ärzten und Therapeuten argu- mentieren, durch die Hormonblocker den Stress (oftmals geäußert in Ritzen, Wegbinden der Geschlechtsteile, Depression, hohe Suizidalität) in das „fal- sche“ Geschlecht hineinzuwachsen, mindern zu können und den Übergang in das selbst empfundene, nicht-biologische Geschlecht einfacher zu gestalten. Anschließende gegengeschlechtliche Maßnahmen und OPs können so mini- miert werden. Kritiker halten eine Behandlung, die die Pubertät aufhält, für ethisch bedenklich und warnen aufgrund der der stark steigenden Zahlen von trans Jugendlichen vor einem „Zeitgeistphänomen“. https://www.regenbogenportal.de/informationen/19032020-diskussion-des-ethikrats-zu-trans-kindern-und-jugendlichen
TRANS — I GOT LIFE nicht nur in den Genitalien, sondern auch im Gehirn manifestiert und sich die Abweichung vermutlich in einer sehr frühen Phase der Schwangerschaft herausbildet. Zur neurobiologischen Erklärung von Geschlechtsidentität im Allgemeinen wird weiter geforscht. Die neuesten Ergebnisse deuten auf einen trans-spezifischen Gehirn-Phänotyp hin, unterschiedlich bei trans Frauen und trans Männern. Transidentitäten werden von der Neurowissenschaft als eine Variation menschlicher physiologischer Vielfalt definiert. Mehr zu „Geschlechtliche Vielfalt – trans“ – siehe u.a. https://www.thieme.de/statics/dokumente/thieme/final/de/dokumente/tw_psychiatrie-psychotherapie-psychosomatik/ transgender.pdf https://www.bpb.de/gesellschaft/gender/geschlechtliche-vielfalt-trans/245353/medizinische-einordnung-von- transidentitaet III. Rechtslage in Deutschland Wer Namen und Personenstand offiziell ändern möchte, braucht dafür zwei Gutachten von Sachverständigen. So steht es im Transsexuellengesetz (TSG) von 1980. Bis 2008 sah das TSG noch einen Scheidungszwang für trans Perso- nen nach einer Geschlechtsangleichung vor, bis 2011 gab es einen Sterilisati- onszwang. Der Bundesrat hat 2017 die Bundesregierung aufgefordert, das TSG grundlegend zu reformieren. Es wurden bisher Ausschüsse einberufen und Befragungen gestartet, im letzten Jahr haben dann die Oppositionsparteien neue Gesetzesentwürfe für ein „Selbstbestimmungsgesetz“ in den Bundestag eingebracht. Dem soll das 40 Jahre alte TSG, das in großen Teilen als ver- fassungswidrig eingestuft wurde, weichen. Eine umfassende Reform des TSG ist in der laufenden Legislaturperiode nicht mehr zu erwarten, unter anderem weil die derzeitige Bundesregierung die, auch international heftig diskutierte, neue Klassifikation der WHO von TS als Krankheit (ICD 10) zu TS als Störung (ICD 11) wohl abwarten will. https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2020/kw25-de-transsexuellengesetz-698668 Im November 2019 fällte das Bundesverfassungsgerichts das bahnbrechende Urteil, in dem die Möglichkeit einer dritten Geschlechtsoption eröffnet wurde. Dieses Urteil beruht auf der Feststellung, dass im Grundgesetz die binäre Geschlechterordnung nicht festgelegt ist und weitere Geschlechtsidentitäten anzuerkennen sind. Daraufhin hat der Bundestag die Minimalanforderungen
TRANS — I GOT LIFE des Urteils in einem Gesetz zur dritten Geschlechtsoption umgesetzt und die Kategorie „divers“ im Geburtenregister eingeführt. IV. Vielfalt in anderen Gesellschaften Trans gab es schon immer. In den indigenen Gesellschaften Nord-, Mittel- und Südamerikas sowie in Indien und Thailand gab es Alternativen zur Zweige- schlechterordnung. In diesen Gesellschaften konnten trans Menschen unbe- helligt leben. https://www.bpb.de/gesellschaft/gender/geschlechtliche-vielfalt-trans/245271/kulturelle-alternativen-zur- zweigeschlechterordnung
TRANS — I GOT LIFE ZUR GESCHICHTE DER GESCHLECHTS- ANGLEICHENDEN OPERATION Dr. Jürgen Schaff beim OP-Einsatz in Moskau © mindjazz pictures / Foto: Andreas Steffan
TRANS — I GOT LIFE Ab 1900: die neue Ära der Sexualmedizin · um 1900 entdecken Wissenschaftler:innen der Endokrinologie die Wirkung von Sexualhormonen. Mit ihrer chemischen Isolierung beginnen erste Versu- che der hormonellen Angleichung an empfundene Geschlechter. · 1919 wird das Institut für Sexualwissenschaften vom Berliner Sexualwissen- schaftler Magnus Hirschfeld gegründet. Hirschfeld liefert erste wissenschaft- liche Erkenntnisse zur Trans- und Intersexualität und zur Möglichkeit der Geschlechtsumwandlung. Er formuliert die Begriffe Homosexualität, Trans- vestismus und Transsexualität. Das Institut wird zur Anlauf- und Beratungs- stelle für Menschen in sexueller Not. · ab Anfang der 1920er Jahre werden unter Federführung des Instituts erste operative Genitalangleichungen für beide Geschlechter durchgeführt. Über die erste vollständige geschlechtsanpassende Operation wird 1931 berichtet. · nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten wird ein Großteil der medi- zinischen Unterlagen zum Feld vernichtet. Die überwiegend jüdischen Ärzte fliehen ins Exil und führen ihre Arbeit in unterschiedlichen Ländern fort. Ein neuer Forschungsschwerpunkt entsteht in den USA. Ab 1960: Burous Goldstandard · ab den 1960er Jahren erreicht der in Marokko arbeitende, französische Gy- näkologe Dr. Georges Burou Durchbrüche in der Mann-zu-Frau-Vaginoplastik. Nach ersten erfolgreichen Operationen finden sich Patientinnen aus aller Welt ein. Sein Vorgehen wird zum „Goldstandard“ für die Vaginoplastik bei trans Frauen; Varianten seiner Technik werden bis heute verwendet. · ab 1966 beginnt das John Hopkins Hospital in Baltimore geschlechtsanglei- chende Operationen nach Burous Methode durchzuführen. · 1973 präsentiert Burous erstmals formell seine neuartige Technik an der Stanford University Medical School. · bis 1974 unterziehen sich über 700 Patient:innen der geschlechtsangleichen- den Operation. · zeitgleich werden ab den 1960er Jahren unter dem Druck religiöser Gruppen geschlechtsangleichende Operationen an einem Großteil amerikanischer Klinken verboten. Stattdessen will man trans Menschen mit Psycho – und Aversiontherapien „heilen“.
TRANS — I GOT LIFE Neue Wege seit dem neuen Jahrtausend · dank medizinischer Fortschritte und dem Einsatz federführender Transchi- rurgen weltweit kann trans Personen seit dem neuen Jahrtausend eine neue Lebensqualität ermöglicht werden. · so nimmt bspw. der deutsche Chirurg Dr. Jürgen Schaff ab 2006 geschlechts- angleichende Operationen nach einer von ihm entwickelten Methode vor, die Burous Ansätze hinter sich lässt. Seine narbensparende, „kombinierte Me- thode“ verbessert Ästhetik, Anatomie und Funktion der Neo-Geschlechtsteile entscheidend, dank erhaltener Sensibilität wird auch erfüllender Geschlechts- verkehr möglich.
TRANS — I GOT LIFE STABLISTE buch und regie Imogen Kimmel und Doris Metz bildgestaltung Sophie Maintigneux zusätzliche bildgestaltung Birgit Guðjónsdóttir montage Frank J. Müller musik Gregor Schwellenbach ton Marc Parisotto, Jesus Casquete Gonzales, Roman Schwartz mischung Tobias Fleig sounddesign Alexandros Topalis design Karsten Binar aufnahmeleitung Jascha Hannover produktionsleitung Oliver Lau produzent : innen André Schäfer, Doris Metz, Imogen Kimmel redaktion Olaf Grunert (ZDF/ARTE) eine produktion von Florianfilm und Kimmel & Metz Filmproduktion in co-produktion mit ZDF in zusammenarbeit mit ARTE gefördert von Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) Film- und Medienstiftung NRW FFF Bayern Deutscher Filmförderfonds weltvertrieb New Docs im verleih von mindjazz pictures
TRANS — I GOT LIFE PRESSEKONTAKT pressekontakt Jennifer Jones KERN DES GANZEN - Agentur für Filmkommunikation May Meyer Recktenwald Thomsen GbR Ehrenfeldgürtel 114–116 50823 Köln 0221 168 90 726 0176 105 48 549 jennifer.jones@kerndesganzen.de filmverleih mindjazz pictures Geisselstr. 12 50823 Köln 0221 3014 988 office@mindjazz-pictures.de
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