Urheberrechtliche Beurteilung von Radiostreaming-Plattformen in der Schweiz
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AUFSÄTZE | ARTICLES Rudolf A. Rentsch Urheberrechtliche Beurteilung von Radiostreaming-Plattformen in der Schweiz In den letzten wenigen Jahren haben sich im Bereich Au cours des dernières années, des plateformes dites de digitaler Medien auch in der Schweiz sogenannte Radio- «streaming radio» ont fait leur apparition dans le secteur streaming-Plattformen etabliert. Über eine Online-Platt- des médias numériques, y compris en Suisse. Par l’inter- form und Apps bieten entsprechende Anbieter ein Radio- médiaire d’une plateforme en ligne ou d’applications, les Angebot für Konsumenten und Partnerunternehmen an, fournisseurs de streaming proposent aux consommateurs das es ermöglicht, digitale Radiostationen bzw. Radio- et aux entreprises partenaires une offre radiophonique qui Streams einfach zu finden und abzuspielen sowie den permet de trouver et d’écouter facilement des stations de Zugriff auf diese zu vereinfachen. Dabei wird mit diesen radio ou flux radio (streams) en ligne ainsi que de simpli- Angeboten die Verfügbarkeit und ein benutzeroptimier- fier l’accès à celles-ci. Dans le cadre de ces offres, des ter Zugriff auf digitale Radiostationen mittels Links, liens, des méta-informations et des services techniques Metainformationen und technischen Rahmenservices permettent d’améliorer la disponibilité des stations de verbessert. Die grundsätzlich separat von Dritten ange- radio numériques et en optimisent l’accès pour les utili- botenen digitalen Radioangebote werden über grafische sateurs. Les offres radiophoniques en ligne, qui sont Userinterfaces, insbesondere Apps auf Mobile-Devices généralement proposées séparément par des tiers, sont oder sogenannten «Webbrowser-Konsolen», den Radio- présentées aux auditeurs sur leurs appareils au moyen hörern auf ihren Endgeräten präsentiert. Die medialen d’interfaces utilisateur graphiques et, en particulier, d’ap- Inhalte werden über diese Plattformen aggregiert, daten- plications pour appareils mobiles ou de ce que l’on ap- mässig angereichert und kommerziell an Hörer vermit- pelle des «consoles web». Les contenus médiatiques sont telt, jedoch signaltechnisch betrachtet nicht umgewan- rassemblés, enrichis de données et mis à disposition des delt und auch nicht direkt von eigenen Servern der auditeurs de manière commerciale sur ces plateformes. Plattform gestreamt. In rechtlicher Hinsicht stellt sich Toutefois, du point de vue des signaux, ces contenus ne insbesondere die Frage, ob die entsprechenden Services sont pas modifiés et ne sont pas non plus écoutés direc- derartiger Plattformen in der Schweiz im Lichte von tement en streaming via les serveurs de la plateforme. Art. 10 URG und Art. 22 URG als Verbreitung gesendeter Au niveau juridique, l’une des questions qui se posent est Werke zu qualifizieren sind. Die vorliegende Analyse notamment de déterminer si, en vertu des art. 10 et 22 erfolgt unter Betrachtung zweier ausgewählter Platt- LDA, il convient de qualifier de «communication d’œuvres formen und kommt bei rechtsvergleichender Unter- diffusées» les services fournis sur de telles plateformes en suchung des «TuneIn-Urteils» des UK High Courts zum Suisse. Le présent article se penche sur deux plateformes Schluss, dass Radiostreaming-Plattformen unter spécifiques et, sur la base d’une analyse comparative de Schweizer Recht als Weitersendung zu beurteilen sind. l’arrêt «TuneIn» rendu par la Haute Cour de justice d’An- gleterre et du Pays de Galles, parvient à la conclusion que les plateformes de streaming radio doivent être considé- rées en droit suisse comme effectuant une retransmission. I. Einleitung V. «Aggregation» und «Vermittlung» in Bezug auf Daten und Services II. Konzept und Technologie von Radiostreaming- Plattformen VI. Radiostreaming-Plattformen im Lichte von Art. 22 URG – Zwischenergebnis III. Die urheberrechtliche Qualifikation von Radio- streaming-Plattformen VII. Auslegung des Teilkriteriums «Technische Einrich- tungen, deren Träger nicht das ursprüngliche IV. Sendung/Weitersendung mittels Streamingserver Sendeunternehmen ist» gemäss Art. 10 Abs. 2 lit. e der Radiostationen URG VIII. Rechtsvergleichende Betrachtung des Urteils des UK High Courts vom 1. November 2019, R UDOLF A. R ENTSCH , Dr. iur. et Dipl. El.-Ing. ETH, [2019] EWHC 2923 (Ch), Warner Music UK Ltd. et al. Rechtsanwalt und Schweizer Patentanwalt. v. TuneIn Inc. © 2021 sic! Stiftung, Bern / Helbing Lichtenhahn Verlag, Basel sic! 1 | 2021 Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung in anderen als in den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der schriftlichen Zustimmung des Verlages. 3 Tous droits réservés. Toute représentation ou reproduction, intégrale ou partielle, faite sans le consentement préalable de la maison d’édition, est interdite. Auch auf www.legalis.ch und swisslex.ch / Également sur www.legalis.ch et swisslex.ch
Rudolf A. Rentsch Urheberrechtliche Beurteilung von Radiostreaming-Plattformen in der Schweiz I. Einleitung bekannteste Radiostreaming-Plattform basiert auf der be- stehenden Radioplayer-Technologie. Diese technische Lö- Radiostreaming-Plattformen sind in der Schweiz erst seit sung und das Konzept von «Radioplayer» gehen zurück auf ca. 2018 bekannt. Die in der Schweiz und im Ausland be- ein Joint Venture zwischen der BBC und kommerziellen Ra- stehenden Angebote verwenden unterschiedliche Basistech- diostationen in Grossbritannien, welches sich im Jahre 2011 nologien, sind aber hinsichtlich der angebotenen Services, konkretisiert hatte. Aus dem Projekt entstand Radioplayer der kommerziellen Ausrichtung und bezüglich Nutzen für Worldwide. Technologisch handelt es sich um eine IP- die Radiohörer sehr gut vergleichbar. International sind ent- basierte, koordinierte Plattform für Webchannels und UKW- sprechende Angebote namentlich durch das US-Techno- Programme, die mit Metadaten und weiteren Datenbank- logieunternehmen TuneIn (tunein.com) bekannt gewor- lösungen unterlegt ist. Aus unternehmerischer bzw. kommer- den. In der Schweiz bieten insbesondere Swiss Radioplayer zieller Sicht geht es darum, durch eine einheitliche Technik (swissradioplayer.ch) oder Atipik (atipik.ch) entsprechende mit einer Vielzahl eingebetteter Radiostationen eine effizi- Services an. Im Rahmen der vorliegenden Analyse können ente, aufwandsoptimierte Plattform zur Verfügung zu stellen nicht alle bekannten Angebote in ihren konkreten Ausge- und das Online-Radiohören zu verbessern. Die Lösung ver- staltungen betrachtet werden, sondern die urheberrecht- fügt heute über Apps für iOS und Android, Integrationen liche Beurteilung wird am Beispiel der in der Schweiz wohl mit Amazon Echo und Sonos und arbeitet mit Apple Car- bekanntesten Plattform Radioplayer sowie mit einem rechts- Play, Android Auto, Chromecast, Airplay, Apple Watch, An- vergleichenden Blick auf das aktuelle «TuneIn-Urteil» des UK droid Wear und weiteren Plattformen2 zusammen und ist High Courts1 vorgenommen. heute neben der Schweiz in weiteren zehn Ländern mit mitt- Bei solchen Radiostreaming-Plattformen handelt es lerweile Tausenden von Sendern auf der ganzen Welt verbrei- sich weder um eine isolierte Hyperlink-Sammlung noch um tet. Bezüglich der Organisationsstruktur ist im Konzept von einen trivialen Aggregations-Dienst, sondern vielmehr um Radioplayer Worldwide vorgesehen, dass sich jedes Land einen Embedding-Service für Radio-Streams (regelmässig Si- durch eine kleine Gruppe von Sendern organisiert, um die mulcast-Streams), wobei mehrere oder eine grosse Vielzahl Backend-Systeme, Apps und Player national einzuführen. von Radiosendern gebündelt werden. Als Embedding-Service Zugang zur Technologie-Plattform bekommen die jeweiligen werden vorliegend Dienste verstanden, die kommerzielle Radiostationen über ein modulares, flexibles Lizenzierungs- Angebote an Dritte (hier Radiohörer) anbieten, indem der system, das den Bedürfnissen des jeweiligen Landes ent- Service-Betreiber Medienangebote von anderen Anbietern spricht. Die Plattform wird von Radioplayer Worldwide Ltd. in ihr Angebot einbettet bzw. kapselt, so dass diese Dritten in London weiterentwickelt, koordiniert und zusammen mit solche Angebote vermittels der eigenständigen Plattform den Ländergesellschaften lizenziert. Die zurzeit verfügbaren nutzen können. Technisch werden dabei über die Plattform- Hauptkomponenten der Plattform umfassen insbesondere lösung (App, Konsole oder Appliances) die ursprünglichen eine Datenbank, ein sog. Station Control Panel, eine Art Schalt- Streaming-Kanäle der jeweiligen Radiostationen übernom- zentrale, die den Radiostationen zur Verfügung gestellt wird, men und in die Anwendung über technische Links eingebet- die sog. Player-Konsolen («Webplayer»), mit denen der Hörer tet. Während des Abspielens bleibt der Hörer dauerhaft in- die Stationen abspielen kann, kostenlose Mobile Apps für nerhalb der Radiostreaming-Plattform Umgebung, was eine Android und iOS, eine länderspezifische Webseite 3. Mittels der wesentliche Grundlage für das kommerzielle Angebot bil- erwähnten Konsolen des Players und den Apps können so- det. Es liegt daher keine blosse Weitervermittlung über einzelne wohl Radiosender als auch Podcasts abgespielt werden. Hyperlinks an einen Drittanbieter vor, also keine isolierte Das vorstehend beschriebene Konzept einer Radio- Weiterleitung über einen Link. Die Plattform-Lösungen streaming-Plattform lässt sich zusammenfassend durch fol- können breit ausgerichtet sein und sehen je nach Angebot gende Grafik darstellen, welche die aus urheberrechtlicher zusätzliche Geschäfts-Optionen vor. Dies können unter an- Sicht massgeblichen Vorgänge erkennen lässt: derem eine AdServer-Anbindung, Click-to-Buy Optionen, Userstatistiken, usw. sein. Es handelt sich daher bei solchen Plattformen um ein eigenständiges wirtschaftlich ausgerich- tetes Angebot. Das Bündeln und Einbetten der Simulcast- Streams zahlreicher Radiosender (bzw. deren Streaming- server) bilden dabei die Kernnutzung des Angebots. II. Konzept und Technologie von Radiostreaming- 1 Urteil des High Court of England and Wales vom 1. November 2019, Plattformen Case-No.: IL-2017-000025. 2 Die hier verwiesenen Namen oder Kennzeichen sind geschützte oder Heutige Radiostreaming-Plattformen bieten Radiohörern eingetragene Marken von verschiedenen Drittunternehmen. Zusatzdienste und -nutzen, indem sie bestehende Angebote 3 Vgl. ‹http://www.radioplayerworldwide.com/›, ‹https://www.radio bündeln, anreichern und den Hörern und Partnerunterneh- player.co.uk/terms/conditions.pdf›, ‹http://www.radioplayer.at/sup port/erste-schritte/das-radioplayer-universum/›. Alle in Fussnoten men Technologielösungen anbieten, welche ein unterneh- referenzierten Hyperlinks in diesem Beitrag wurden letztmals ab- merisches Gesamtangebot bilden. Die in der Schweiz wohl gerufen am 12. Oktober 2020. © 2021 sic! Stiftung, Bern / Helbing Lichtenhahn Verlag, Basel 4 Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung in anderen als in den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der schriftlichen Zustimmung des Verlages. sic! 1 | 2021 Tous droits réservés. Toute représentation ou reproduction, intégrale ou partielle, faite sans le consentement préalable de la maison d’édition, est interdite. Auch auf www.legalis.ch und swisslex.ch / Également sur www.legalis.ch et swisslex.ch
AUFSÄTZE | ARTICLES Abbildung 1 Mit Blick auf die urheberrechtliche Qualifikation ist letzt- die von ihnen präferierte Radiostation besuchen und sich lich nicht der rein technische Workflow bzw. die konkret an- mit dem jeweilig gewünschten Streamingserver verbinden, gewandte Technik massgeblich, sondern es ist eine techno- nachdem sie diesen diesfalls zuerst gefunden haben müs- logie- bzw. technikneutrale Betrachtung vorzunehmen.4 sen. Der Hörer tritt dabei bezüglich des gewünschten In der vorstehenden Abbildung sind die sachverhalts- Streams ausschliesslich mit einem Streamingserver in Kon- relevanten Vorgänge und urheberrechtlich relevanten Nut- takt. Das Suchen, Finden und Aktivieren eines Streams ist zungen ersichtlich. Es ist zu erkennen, dass die mit «A» mar- ein Vorgang, der sich ausschliesslich zwischen dem Hörer kierten Abläufe eine herkömmliche Streamingnutzung und der konkreten Radiostation bzw. deren Streamingserver durch einen Radiohörer mittels seiner «User Devices» er- abspielt (vgl. die horizontale Gruppe der drei Linien bei A). laubt. Hierzu muss der Hörer die konkrete Adresse eines Der Vorgang mittels Nutzung der Radiostreaming- der hier beispielhaften drei Streamingserver S1 bis S3 fin- Plattform ist mit «B» markiert. Der breite, nach unten wei- den und aufrufen, die in bekannter Weise durch einen Ra- sende Pfeil zeigt die hier als «Enabling» bezeichnete Nut- diosender bzw. Encoder über ein LAN/WAN-Netzwerk ver- zung aufgrund bzw. mittels der Radiostreaming-Plattform. waltet bzw. betrieben werden. Im gezeigten Beispiel sind Im Falle von Radioplayer ist die jeweilige nationale Platt- die drei Streamingserver bzw. Radiostationen unabhängig form an das Internet angebunden und wird von einer na- und verwenden je getrennte Server. Jeder der Streaming- tionalen Ländergesellschaft betrieben und angeboten.5 Es server S1 bis S3 kann zudem mit einem Werbeserver («Ad- Server») oder anderen Services, wie z.B. einem Shop- oder 4 BGE 133 II 263 ff., E. 7.3.2; R. H ILT Y /O. S CHMID /M. W EBER , Urheber- Informationsserver verbunden sein. Im unteren Bereich der rechtliche Beurteilung von «Embedding», sic! 2016, 238; D. B ARRELET / Abbildung ist beispielhaft ein «ShopServer», der ein «Click- W. E GLOFF, Das neue Urheberrecht, 4. Aufl., Bern 2020, URG 10 N 11; to-Buy» ermöglicht, gezeigt. Diese Ad- und Shopserver- vgl. dazu vertieft auch V. S ALVADÉ , Streaming et linking: la neutralité technologique du droit d’auteur est-elle assurée?, RSDA 2017, 71–78. dienste, allgemein als sog. «In-Stream Services» bezeichnet, 5 In der Abbildung 1 ist durch die Wolke am oberen Bildrand angedeu- werden typischerweise über Drittserver im Internet zur Ver- tet, dass sowohl die Radiostreaming-Plattform als auch weitere Web- fügung gestellt und können zusammen mit dem Streaming- serverangebote Teil des Internets bilden. Mit der nicht-technischen Bezeichnung «übriges Internet» soll hier bloss angedeutet werden, server genutzt werden. Die Nutzungsart A entspricht somit dass die Radiostreaming-Plattform eine eigenständige Plattform- dem bekannten Streaming, wobei Hörer je über Internet lösung bildet, die im Zusammenhang mit der hier massgeblichen © 2021 sic! Stiftung, Bern / Helbing Lichtenhahn Verlag, Basel sic! 1 | 2021 Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung in anderen als in den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der schriftlichen Zustimmung des Verlages. 5 Tous droits réservés. Toute représentation ou reproduction, intégrale ou partielle, faite sans le consentement préalable de la maison d’édition, est interdite. Auch auf www.legalis.ch und swisslex.ch / Également sur www.legalis.ch et swisslex.ch
Rudolf A. Rentsch Urheberrechtliche Beurteilung von Radiostreaming-Plattformen in der Schweiz handelt sich um ein von den jeweiligen Radiostationen III. Die urheberrechtliche Qualifikation von (rechts in der Abbildung) unabhängiges Unternehmen, das Radiostreaming-Plattformen eine separate von den Streamingservern losgelöste Server- und Technologiearchitektur betreibt bzw. nutzt (vgl. Die Weiterleitung von Radioprogrammen durch Dritte stellt Gruppe der Kreise um die Bezeichnung «Plattform gemäss Schweizer Urheberrecht eine urheberrechtlich rele- Dienste»). vante Weitersendung im Sinne von Art. 22 Abs. 1 URG bzw. Nutzt ein Hörer mittels eines User Devices die Radio- eine Werkverwendung gemäss Art. 10 Abs. 1 und Art. 10 streaming-Lösung, so wird er initial die Radiostreaming- Abs. 2 lit. e URG dar.8 Demgegenüber wird die blosse Infor- Plattform aufrufen, sei es über seinen Webbrowser, die je- mation über Quellenangaben zu urheberrechtlich geschütz- weilige Mobile App oder seine Appliance6. In dieser ersten ten Werken vermittels punktueller Hyperlinks nach über- Phase steht der Hörer ausschliesslich mit der Plattform wiegender Meinung der Lehre nicht als urheberrechtliche bzw. deren Servern (Kreise in der Abbildung) in Verbindung Nutzungshandlung betrachtet.9 und sein Device «sieht» die eigentlichen Streamingserver Das listenmässige Zusammenstellen von Links auf bzw. Radiostationen (noch) nicht. Der Hörer bzw. Endkon- einer Webseite, welche einen Benutzer auf Drittseiten wei- sument verwendet daher in dieser Initialphase grundsätz- terleitet, stellt per se keine «Weitersendung» dar, selbst wenn lich nur die Services, Daten und Informationen der Radio- dabei eine grössere Zahl von Links aufgelistet würde. Eine streaming-Plattform. Diese stellt nun auf geeignete Weise reine Link-Auflistung ist somit als eine Sammlung von Hy- Informationen, Radiosenderangebote, Favoriten-Listen und perlinks, also technischen Referenzdaten, zu qualifizieren, hörerspezifische Angebote zur Verfügung, welche dem Hö- die nicht unter Art. 10 Abs. 1 bzw. Abs. 2 lit. e URG (und da- rer auf seinem User-Device angeboten werden. Der Hörer mit auch nicht unter Art. 22 Abs. 1 URG) fallen.10 Davon zu wählt daraufhin eines der Angebote aus, wobei dies ein Ra- diosender oder auch ein spezifischer Podcast sein kann. Die App (oder die Appliance oder die Radiostreaming-Browser- Nutzung eine herausragende Bedeutung hat. Technologisch ist die Ra- Umgebung) initiiert daraufhin die Verbindung zum ge- diostreaming-Plattform selbstverständlich in die herkömmliche bzw. wünschten Angebot, z.B. zum Streamingserver S1. Dieser allgemeine IP-Struktur des Internets eingegliedert. 6 Hierunter wird eine Hardware mit spezieller Software verstanden, die Initiierungsvorgang wird als Teil des Enablings verstanden, auf einen speziellen Anwendungszweck ausgerichtet ist, hier z.B. ein da der Hörer den gesamten Abrufvorgang, der ohne die Autoradio, ein Soundsystem o.ä. Radiostreaming-Plattform wesentlich aufwendiger und un- 7 ‹https://swissradioplayer.ch/was-ist-radioplayer/›. 8 Bezüglich verwandter Schutzrechte siehe Art. 33 Abs. 2 lit. b, Art. 35, komfortabel wäre, nicht durchführen muss. Art. 37 lit. a und Art. 38 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 URG. Schliesslich ist auch noch auf den vertikal nach oben 9 H ILT Y /S CHMID /W EBER (Fn. 4), 239, mit umfassenden Verweisen auf weisenden Pfeil rechts neben «B» in der vorstehenden Abbil- Literatur und Rechtsprechung; BARRELET /E GLOFF (Fn. 4), URG 10 N 44; M. B RUNNER , Die Zulässigkeit von Hyperlinks nach schweizeri- dung hinzuweisen. Mit diesem wird angedeutet, dass der schem Recht, ASR Bd. 657, Bern 2001, 26 f.; differenzierend V. S ALVADÉ Hörer bzw. Endkonsument während des Abspielvorgangs (Fn. 4), 76 ff.; Der EuGH hatte in seinem Urteil vom 08.09.2016, Az. weiterhin in Verbindung mit der Radiostreaming-Plattform C-160/15, entschieden, dass im Sinne eines ausgeglichenen Interesses zwischen Urheberrechtsinhabern und Grundrechten der Benutzer, bleibt und die gestreamten Daten aus dessen Sicht inner- Hyperlinks grundsätzlich zulässig sind, soweit der Anbieter nicht halb der Plattformlösung eingebettet wiedergegeben wer- wusste oder hätte wissen müssen, dass der von ihm gesetzte Hyper- den. Der jeweilige Benutzer kann z.B. laufend «instant- link Zugang zu einem unbefugt im Internet veröffentlichten Werk ver- schafft. Jenes Urteil ist aber nicht direkt auf die vorliegend zu beurtei- mässig» auf die Senderübersicht oder empfohlene Sender lenden Fragen anzuwenden, da es vorab um die Frage der Zulässigkeit zugreifen. Die vom Hörer vorgenommenen Stationsaus- einer öffentlichen Wiedergabe ging. Vgl. auch das frühere Urteil wahlen, Favoritenauswahlen beim Abspielen und weitere EuGH vom 13. Februar 2014, Az. C-466/12, welches das Setzen von Hyperlinks auf öffentlich zugängliche Inhalte betraf und den Aspekt Benutzerdaten werden – statistisch – mit der Radiostrea- eines «neuen Publikums» in den Vordergrund stellte. ming-Plattform geteilt, so dass auch während des Strea- 10 Vgl. hierzu auch den Entscheid EuGH vom 13. Februar 2014, mings ein Datenaustausch mit der Plattform erfolgen kann. C-466/12 (Vorabentscheidungsersuchen), Nils Svensson, Sten Sjög- ren, Madelaine Sahlman, Pia Gadd v. Retriever Sverige AB, das zu folg- Beim Abspielen werden die Signale des Players im We- ender Beurteilung kam: «1. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG sentlichen zeitgleich mit dem Sendersignal der entsprechen- des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur den Radiostationen abgespielt, wobei übertragungstechni- Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der ver- wandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft ist dahin aus- sche Zeitverschiebungen auftreten können. Es handelt sich zulegen, dass keine Handlung der öffentlichen Wiedergabe im Sinne aus Sicht des Hörers um eine grundsätzlich simultane Wie- dieser Bestimmung vorliegt, wenn auf einer Internetseite anklickbare dergabe, da das ursprüngliche Simulcasting Streaming-Sig- Links zu Werken bereitgestellt werden, die auf einer anderen Internet- seite frei zugänglich sind. 2. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 ist da- nal in den Player eingebettet wird. Das an Endkonsumen- hin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat verbietet, einen weiter ten, also die Hörer, gerichtete Angebot bezweckt, in jedem gehenden Schutz der Inhaber eines Urheberrechts vorzusehen, indem Moment, immer und überall den richtigen Sender suchen, er zulässt, dass die öffentliche Wiedergabe Handlungen umfasst, die über diese Bestimmung hinausgehen.». Der Begründung ist auch ent- finden, wählen und (mittelbar) abspielen zu können.7 Es nehmbar, dass der Inhaber einer Internetseite ohne Erlaubnis der Rechte- wird damit ein Service geboten, der aufgrund dieser Um- inhaber über Hyperlinks auf geschützte Werke verweisen darf, die auf einer schreibung ohne die Plattform nicht gegeben wäre. anderen Seite frei zugänglich sind. Das gilt auch dann, wenn Internetnut- zer, die einen Link anklicken, den Eindruck haben, dass das Werk auf der Seite erscheint, die den Link enthält, obwohl es in Wirklichkeit einer an- deren Seite entstammt – dies unter der Bedingung, dass dasselbe tech- © 2021 sic! Stiftung, Bern / Helbing Lichtenhahn Verlag, Basel 6 Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung in anderen als in den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der schriftlichen Zustimmung des Verlages. sic! 1 | 2021 Tous droits réservés. Toute représentation ou reproduction, intégrale ou partielle, faite sans le consentement préalable de la maison d’édition, est interdite. Auch auf www.legalis.ch und swisslex.ch / Également sur www.legalis.ch et swisslex.ch
AUFSÄTZE | ARTICLES unterscheiden ist ein Embedding von Werken bzw. Medien- So stellt beispielsweise auch eine Weiterleitung von Radio- streams und im Besonderen das Einbetten von Simulcast- und Fernsehprogrammen in Hotelzimmer eine Weitersen- Streams. Weiterhin muss das Anbieten von aggregierten Hy- dung im Sinne von Art. 10 Abs. 2 lit. e URG dar, unbesehen perlinks innerhalb einer App oder Appliances von im Internet davon, ob Hotelgäste solche Sendungen auch über ihre (via Webbrowser) bereitgestellten Linksammlungen unter- privaten elektronischen Geräte wahrnehmen könnten.13 schieden werden. Handelt es sich bei einer solchen Mobile Eine notwendige Bedingung jeder Weitersendung ist weiter- App oder einer Appliance (oder ggf. auch einem Programm hin eine vorausgehende Sendung, was aber beim Radio- für PCs und anderen Devices) um eine blosse Hyperlink- streaming unzweifelhaft der Fall ist, da die Radio-Streams Datei – was in der Praxis kaum einen realen Fall darstellt – von verschiedenen unabhängigen Radiostationen gesendet so verhält es sich analog zu den vorerwähnten Hyperlink- werden.14 Bei der Beurteilung ob ein Weitersendungstatbe- sammlungen, die über Internet (urheberrechtsfrei) angebo- stand vorliegt oder nicht, ist schliesslich nicht primär der ten werden dürfen. Es liegt diesfalls kein Weitersendesach- technische Workflow zu betrachten, sondern es hat eine verhalt vor. Wenn demgegenüber die in der App oder Appli- funktionale Betrachtung zu erfolgen, da das schweizerische ance etc. enthaltenen Links zur Einbettung von Simulcast- Urheberrecht die einzelnen Nutzungsarten technologieun- Streams verwendet werden (Embedding Service) und/oder abhängig beschreibt.15 zusätzliche Funktionalitäten bezüglich der Streamingdaten durch diese bereitgestellt werden, so handelt es sich unter IV. Sendung/Weitersendung mittels Streamingserver den nachfolgend im Einzelnen analysierten Umständen, der Radiostationen um ein urheberrechtsrelevantes Weitersenden im Sinne von Art. 10 Abs. 2 lit. e URG i.V.m. Art. 22 Abs. 1 URG.11 Wie in Abbildung 1 gezeigt, stellen einzelne voneinander Eine besondere Bedeutung hat hier der Tatbestand des unabhängige privat- und öffentlich-rechtliche Radiosender sog. «Embeddings» bzw. des aneignenden Embeddings, bei über ihre jeweiligen Streamingsever S1, S2 usw., Radio- dem die Links technisch so vorgenommen werden, dass streams bereit, die von Hörern bzw. «Endkonsumenten» diese als integrierter Teil des Nutzerangebots wahrgenom- über ihre User Devices, z.B. ein Smartphone, abgespielt wer- men werden. Eines der wesentlichen Merkmale des Embed- den können. Die Radiostreaming-Plattform bettet dabei die dings liegt darin, dass ein Endkonsument, der ein Angebot entsprechenden Links zu diesen Sendern in die Player-Kon- eines Embedding-Providers besucht, dessen Website beim sole, die jeweilige App oder Appliance ein. Beim Aufrufen Konsum des eingebetteten Inhalts («Embedded Content») eines Senders verbleibt der Hörer innerhalb der Umgebung nicht verlässt, sondern ihm die Inhalte direkt angeboten der Radiostreaming-Plattform und der jeweilige Radiosen- werden.12 der wird als Teil dieser Umgebung abgespielt. Damit werden Die komplexe Struktur und Ausrichtung von Radio- die Links im Sinne des vorstehend beschriebenen Embed- streaming-Plattformen verlangt daher diesbezüglich nach dings eingesetzt bzw. genutzt. Dies ermöglicht unter ande- einer genaueren Analyse und rechtlichen Einordnung. Die rem ein schnelles Wechseln der Stationen und die Personali- entsprechende Qualifizierung hat relevante Auswirkungen, sierung der Benutzerumgebung. Ausserdem bieten die Platt- da bei Vorliegen einer Weitersendung diese Nutzung ver- formen eine grosse Menge von Radiostationen innerhalb gütungspflichtig ist und in der Schweiz ausschliesslich der Anwendungsumgebung an, was auch als sog. Aggregie- über die hiesigen Verwertungsgesellschaften wahrgenom- ren bezeichnet wird. men werden kann. Die Schweizer Verwertungsgesellschaften Streaming-Technologien erlauben einen Datenemp- haben die entsprechende Nutzung im Rahmen des gemein- fang über Internet auf verschiedene Weise. Dabei können samen Tarifs GT 2b geregelt, wobei dessen Ziff. 4.1 i.V.m. entsprechende Streams – je nach eingesetzter Technik und Ziff. 3.1 die zeitgleiche und unveränderte Weitersendung von Anwendung – zeitgleich mit einer Radio- oder Fernsehsen- Radio- oder TV-Programmen über IP-basierte Netze an Per- dung oder zeitlich dazu versetzt empfangen werden. Selbst- sonen in der Schweiz oder Liechtenstein betrifft, soweit verständlich können Datenstreams auch unabhängig von diese primär auf den Konsum über mobile Endgeräte, PC- einer Sendung angeboten werden (z.B. Podcasts). Das Ab- Bildschirme oder unter bestimmten Voraussetzungen auch auf Fernsehbildschirmen als Endgeräte ausgerichtet sind. nische Verfahren zum Einsatz kommt und es kein neues Publikum gibt Vorab kann festgestellt werden, dass die vom Radio- (abweichende Rechtslage zur Schweiz). hörer vermittels der Radiostreaming-Plattformen empfange- 11 Abhängig von weiteren Funktionalitäten, wie z.B. Speichermöglich- nen Streams von der ursprünglichen Quelle stammen, näm- keiten oder Replay-Optionen etc. können weitere urheberrechtlich relevante Nutzungen betroffen sein. lich von der jeweiligen Radiostation, also einem Sender, 12 H ILT Y /S CHMID /W EBER (Fn. 4), 239 f. wobei das Signal technisch per se unverändert bleibt. Ent- 13 B ARRELET /E GLOFF (Fn. 4), URG 10 N 40. sprechend könnte das Signal vom Hörer auch über andere 14 Vgl. B ARRELET /E GLOFF (Fn. 4), URG 10 N 33. 15 B ARRELET /E GLOFF (Fn. 4), URG 10 N 11, spricht in diesem Zusammen- technische Mittel empfangen werden. Für die urheberrecht- hang davon, dass das Gesetz bewusst «technikneutral» formuliert sei. liche Beurteilung ist dies jedoch nicht das ausschlaggebende Diesseits wird die bundesgerichtliche Wendung, dass das Urheber- Kriterium. Denn das Weitersenderecht verlangt im schwei- rechtsgesetz «technologieneutral» ausgestaltet ist, bevorzugt (BGE 140 III 621 ff., E. 3.4.1, BGE 133 II 276 ff., E. 7.3.2); vgl. auch F. W IG- zerischen Recht kein zusätzliches Publikum. Vielmehr ist be- GER /M K ORRODI , EuGH: Livestreaming von Fernsehprogrammen nur reits die zusätzliche Möglichkeit des Empfangs ausreichend. mit Zustimmung der Rechtsinhaber, sic! 2013, 470. © 2021 sic! Stiftung, Bern / Helbing Lichtenhahn Verlag, Basel sic! 1 | 2021 Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung in anderen als in den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der schriftlichen Zustimmung des Verlages. 7 Tous droits réservés. 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Rudolf A. Rentsch Urheberrechtliche Beurteilung von Radiostreaming-Plattformen in der Schweiz spielen kann dabei bestimmungsgemäss in Echtzeit erfol- oder die Urheberin hat insbesondere das Recht: (...) gesen- gen («Live-Streaming»16) oder auch zeitversetzt («On-De- dete Werke mit Hilfe von technischen Einrichtungen, deren Trä- mand-Streaming», z.B. mit Pausier- und Replayfunktion). ger nicht das ursprüngliche Sendeunternehmen ist, insbesondere Die Datenübertragung kann beim Media-Streaming – an- auch über Leitungen, weiterzusenden.» (Art. 10 Abs. 2 lit. e ders als bspw. beim herkömmlichen Rundfunk – Daten URG, Hervorhebung hinzugefügt). Soweit der Plattform- vom Streamingserver direkt an einzelne Empfänger («Uni- anbieter ein eigenständiges Unternehmen ist, liegt im All- cast») oder an eine Vielzahl von Empfängern («Multicast») gemeinen eine von den ursprünglichen Sendeunternehmen übermitteln. In jedem Fall ist das Hören oder Ansehen der abweichende Trägerschaft vor. Daher ist das Kriterium einer Daten bereits während des laufenden Datenübertragungs- anderen Trägerschaft als das ursprüngliche Sendeunterneh- vorgangs möglich. Soweit das Streaming zeitversetzt und ei- men im Sinne von Art. 10 Abs. 2 lit. e URG in solchen Fällen genständig von einem Sendevorgang erfolgt, liegt ein Wahr- erfüllt. Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass der nehmbarmachen nach Art. 10 Abs. 2 lit. c URG vor. Wenn nicht mit dem ursprünglichen Sendeunternehmen identi- der Streamingvorgang direkt in Verbindung mit einem her- sche Dritte, der sog. «Träger»20, selber weder ein Fernmelde- kömmlichen Sendevorgang zeitgleich erfolgt («Simulcas- unternehmen noch ein Rundfunkveranstalter bzw. ein Sen- ting»), liegt demgegenüber eine Sendung im Sinne von der sein muss.21 Soweit der Plattformbetreiber nicht mit Art. 10 Abs. 2 lit. d URG vor.17 Dabei kann nach herrschen- den Radiostationsanbietern identisch ist, handelt es sich der Lehre und Rechtsprechung in der Schweiz eine aufgrund daher aus urheberrechtlicher Sicht bei diesem im Sinne von technischer Gegebenheiten entstehende Zeitversetzung dem Art. 10 Abs. 2 lit. e URG um einen von den Sendestationen Tatbestand der Weitersendung nicht entgegenstehen.18 Ähn- unabhängigen «Träger» bzw. eine unabhängige juristische lich hatte auch der deutsche BGH im Urteil vom 22. April Person, die «nicht das ursprüngliche Sendeunternehmen 2009, I ZR 215/06 erwogen: «(...) scheidet eine Weitersen- ist». Dabei wird eine gegenüber dem originären Streaming- dung im Sinne dieser Bestimmung [§ 87 UrhG-DE] danach Angebot der Sendestationen zusätzliche Nutzung vom aber nicht deshalb aus, weil die Abgabe des Datenstroms Plattformbetreiber ermöglicht, nämlich über dessen sepa- ‹aus dem Bereich der Beklagten zu 1› an ihre Kunden wegen rate Plattform (Konsolen-Player, Mobile Apps usw.) eine zu- der erforderlichen Aufbereitung des Sendesignals für die sätzliche Zugriffsart auf die Simulcast-Streams der jewei- Weiterleitung im Internet nicht zeitgleich, sondern zeitver- ligen Radiostationen. Ergänzend sei erwähnt, dass das Ur- setzt erfolgt» (I ZR 215/06 N 29). heberrecht die Werknutzung schützt und sich nicht auf Eine weitere Voraussetzung des Weitersenderechts ist Geschäftsmodelle bezieht.22 die «unveränderte» Wahrnehmbarmachung des gesendeten Ausgehend vom erwähnten Grundsatz, dass der Tat- Werks. Da sich dieses Kriterium jedoch auf das einzelne bestand des Weitersenderechts kein zusätzliches Publikum be- Werk und nicht auf das Programm integral bezieht, führen dingt, ist daher auch keine «neue Öffentlichkeit» verlangt.23 geringfügige Änderungen bezüglich der Erstsendung nicht Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass das Kriterium einer zu einer anderen Rechtsbeurteilung.19 So hat die Eidgenös- «öffentlichen» Weitersendung im Schweizer Recht nicht sische Schiedskommission in ihrem Beschluss vom 14. De- massgeblich ist. Das Schweizer Urheberrecht hat eine ent- zember 2004 betreffend den GT 2b zusammenfassend fest- sprechende Bedingung, die in Art. 11bis Abs. 1 Ziff. 2 RBÜ gehalten: «Diese Voraussetzung [des Weiterleitens eines Sen- vorgesehen ist und in Art. 12 Abs. 1 lit. 6 aURG noch enthal- deprogramms im Sinne von Art. 22 Abs. 1 URG] bedeutet ten war, bewusst nicht in das geltende Recht übernommen.24 indessen nicht, dass ganze Programme unverändert über- Da sich die Radiostreaming-Plattformen regelmässig an sehr nommen werden müssen, da sich der Grundsatz der Integri- tät nur auf das einzelne Werk und nicht auf das Programm selbst bezieht. Geringfügige Änderungen wie das Ausblen- 16 Ein Live-Stream, wie er auch beim Simulcasting eingesetzt wird, wird den der Werbung, das Einblenden eigener Werbung oder möglichst zeitgleich aufbereitet, gesendet und empfangen. Der Emp- auch die zeitliche Beschränkung der Weiterleitung werden fang erfolgt somit in Echtzeit – abhängig von der Paket-Aufbereitung und Paket-Sendung/Empfang. als zulässig erachtet, da lediglich die einzelnen Werke und 17 Vgl. B ARRELET /E GLOFF (Fn. 4), N 28 und N 33 zu Art. 10 URG. Leistungen, nicht aber die Programme als solche geschützt 18 ESchK, Beschluss vom 14. Dezember 2004 i.S. GT 2b, E. II/3; B ARRE- LET /E GLOFF (Fn. 4), URG 10 N 33, URG 22 N 6. sind (vgl. dazu auch die Botschaft zum URG vom 19. Juni 19 Botschaft zum Bundesgesetz über das Urheberrecht und verwandte 1989, BBl 1989 III 543).» Schutzrechte (URG) vom 19. Juni 1989, BBl 1989 III 543. Daher liegt z.B. auch im Falle einer möglichen Intersti- 20 BGE 119 II 55 ff., E. 2: «un autre organisme que celui d’origine», sowie tial-Werbung, die im Rahmen der Radiostreaming-Technolo- E. 3. 21 So bereits BGE 107 II 57 ff., E. 6; B ARRELET /E GLOFF (Fn. 4), URG 10 gie eingesetzt werden kann, eine unveränderte Werkwieder- N 40. gabe vor. Dass die Streamingserver der jeweiligen Radiosta- 22 H ILT Y /S CHMID /W EBER (Fn. 4), 238. tionen somit den Tatbestand des Simulcasting und damit 23 BGE 119 II 61 ff., E. 3: «La notion de communication publique ne pré- suppose pas que la retransmission s’adresse à un nouveau public, au- einen Sendevorgang beschlagen, ist daher zu bejahen. trement dit que le cercle des personnes touchées par elle ne soit pas le Das Weitersenderecht gemäss Art. 10 Abs. 2 lit. e URG même que celui des destinataires de la transmission initiale. (...)»; ist wesentlich dadurch charakterisiert, dass die Weiterleitung BGE 110 II 67 ff., E. 6a; BGE 107 II 57 ff., E. 7; BARRELET /E GLOFF (Fn. 4), URG 10 N 40–42. eines Werks, hier des Radiostreams, durch eine andere Person 24 B ARRELET /E GLOFF (Fn. 4), URG 10 N 41 f.. Vgl. Urteil des Bundesver- als das ursprüngliche Sendeunternehmen erfolgt: «Der Urheber waltungsgerichts vom 14. März 2014, B-6540/2012. © 2021 sic! Stiftung, Bern / Helbing Lichtenhahn Verlag, Basel 8 Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung in anderen als in den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der schriftlichen Zustimmung des Verlages. sic! 1 | 2021 Tous droits réservés. Toute représentation ou reproduction, intégrale ou partielle, faite sans le consentement préalable de la maison d’édition, est interdite. Auch auf www.legalis.ch und swisslex.ch / Également sur www.legalis.ch et swisslex.ch
AUFSÄTZE | ARTICLES grosse Hörerkreise richten, kommt zudem die Ausnahme- ren, um das Auffinden von z.B. Filmen und/oder Sendun- bestimmung nach Art. 22 Abs. 2 URG, gemäss welcher Wei- gen zu erleichtern,34 wobei Metadaten analysiert und Links tersendungen von Werken über technische Einrichtungen, auf Drittseiten bereitgestellt werden. Typisch ist dabei, dass «die von vorneherein auf eine kleine Empfängerzahl be- der Link auf die Webseite eines Drittanbieters weitergeleitet schränkt sind, wie Anlagen eines Mehrfamilienhauses oder wird und man den Aggregation Service gänzlich verlässt. einer geschlossenen Überbauung» erlaubt sind, vorliegend Tatsächlich liesse sich im Zusammenhang mit derartigen zweifellos nicht zur Anwendung. Aggregation Services – bei einem Begriffsverständnis von Weiterhin untersteht aufgrund der Gesetzeslage in der «Aggregation» im engeren Sinne (vgl. Fussnote 31) – auch Schweiz (Art. 10 Abs. 1, Art. 10 Abs. 2 lit. d bis f URG i.V.m. von einer «Vermittlung» sprechen. Denn die aggregierten Art. 22 URG25), namentlich unter Berücksichtigung der Daten und Fundstellen führen diesfalls über Links weiter Staatsverträge und hier insbesondere der RBÜ (Art. 11bis auf die Drittseite, wobei i.d.R. in relevantem Masse Nutzer- RBÜ)26, jede Werknutzung im Rahmen des Sende- und Wei- daten gesammelt werden. Solche Aggregation Services tersenderechts dem Exklusivrecht des Urhebers bzw. aus- beschränken sich somit im Kern auf das Bereitstellen von übender Künstler und Künstlerinnen, wobei der schweizeri- Hyperlinks auf Inhalte, ggf. ergänzt um Snippets oder sche Gesetzgeber hier eine Zwangslizenz vorgesehen hat. Metadaten.35 Eine entsprechende «Aggregation im engeren Die ausdrückliche Bestimmung von Art. 22 Abs. 1 URG sieht Sinne» liegt bei Radiostreaming-Plattformen jedoch nicht vor,27 dass die Rechte, gesendete Werke zeitgleich und bzw. nicht ausschliesslich vor. unverändert wahrnehmbar zu machen oder im Rahmen Die Infrastruktur von blossen Aggregation Services ist der Weiterleitung eines Sendeprogrammes weiterzusenden, von derjenigen des Dritt-Anbieters sowohl technisch als nur über zugelassene Verwertungsgesellschaften geltend ge- auch kommerziell entkoppelt. Oder mit anderen Worten: macht werden können. Die Bestimmung schafft somit Der Endkonsument nutzt zuerst den Aggregation Service einen Zwang zur kollektiven Verwertung bezüglich jeglicher und dann – technisch separat davon – das Angebot des Anbie- Art der Weitersendung.28 Wird die entsprechend gesetzlich ters. Es gibt, nachdem man ein konkretes Medienangebot vorgesehene Vergütung nicht entrichtet, kann die Nutzung gewählt hat, im vorstehenden Beispiel also ein Video, «kein untersagt werden.29 Zurück» mehr – man nutzt daher ausschliesslich die Umge- bung des Streaminganbieters, nachdem man an diesen wei- tervermittelt wurde. Die Begriffe «Aggregator» oder «Vermitt- V. «Aggregation» und «Vermittlung» in Bezug auf Daten und Services Gelegentlich wird im Zusammenhang mit Streaming- oder 25 Bezüglich verwandter Schutzrechte siehe Art. 33 Abs. 2 lit. b, Art. 35, auch Download-Angeboten im Internet von sog. «Aggre- Art. 37 lit. a und Art. 38 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 URG.. 26 Vgl. auch das Rom-Abkommen, SR 0.23.1.171. gation Services» gesprochen. Der Begriff ist geläufiger im Zu- 27 Vgl. auch die Botschaft zum Bundesgesetz über das Urheberrecht und sammenhang mit sog. «News-Aggregatoren», die Daten- verwandte Schutzrechte (URG) vom 19. Juni 1989, BBl 1989 III 544; bzw. Textinformationen indizieren, diesen sog. Snippets betreffend die ausübenden Künstler und Künstlerinnen vgl. Art. 35 Abs. 3 URG. beistellen und letztere zusammen mit Hyperlinks dem Be- 28 Vgl. dazu auch vertieft W. E GLOFF, Obligatorische Kollektivverwertung nutzer in einer Übersicht präsentieren.30 Dies mit der Mög- und Vergütungsansprüche im schweizerischen Urheberrecht, sic! lichkeit bzw. zum Zweck über die Links auf Drittseiten zu 2018, 117 ff. 29 Art. 67 Abs. 1 lit. h URG und Art. 69 Abs. 1 lit. d und lit. g URG sehen gelangen. zudem strafrechtliche Sanktionen vor. Der Begriff «Aggregator» ist nicht scharf abgegrenzt 30 Vgl. hierzu zum deutschen Recht M. R EHBINDER /A. P EUKERT, Urheber- bzw. rechtlich nicht definiert und kann daher tendenziell recht und verwandte Schutzrechte, 18. Aufl., München 2018, N 649. 31 Z.B. «Aggregation» im engeren (ohne Embedding) oder weiteren (mit zu Missverständnissen führen.31 Eine reine Hyperlink-Aggre- Embedding) Sinne. Zu Geschäftsmodellen der «Aggregation» vgl. gation ohne kommerzielle Zwecke führt zu keinem recht- bspw. die Studie des Max-Planck-Instituts für Innovation und Wett- lichen Anknüpfungspunkt kollektiver Verwertung.32 Da Ag- bewerb, «Urheberrecht und Innovation in digitalen Märkten», 2016. 32 Nach deutschem Recht fehlt es an einem rechtswidrigen Eingriff, gregations-Services in der EU und anderen Jurisdiktionen wenn Werke, die ein Dritter ohne technische Schutzmassnahmen insbesondere mit Suchmaschinendiensten und Big-Data As- zum freien Zugriff ins Netz gestellt hat, von Dritten als Vorschaubil- pekten assoziiert werden, damit besondere Rechtsfragen im- der (Thumbnails) in einer Suchmaschinentrefferliste aufgelistet wer- den, da eine sog. «schlichte Einwilligung» vorliege (BGH, GRUR plizieren, und der Begriff Aggregation rechtlich unspezifisch 2010, 628 ff. – «Vorschaubilder I»; vgl. auch BGH, GRUR 2012, 602 – ist, verlangt dieser als rechtlich charakterisierender Begriff im Vorschaubilder II»); R EHBINDER /P EUKERT (Fn. 30), N 407. Einzelfall eine genauere Umschreibung. So verwenden Ra- 33 Egta Insight, The Challenges and Opportunities of Online Radio Aggregators, Brüssel, Juni 2017, ‹https://bit.ly/2017_egta_insight_ra dioplayer Worldwide und Dritte, welche diese Technologie dio_aggregators›. beschreiben, gelegentlich ihrerseits den Begriff «Aggregator», 34 Vgl. z.B. ‹https://en.wikipedia.org/wiki/Comparison_of_video_strea sprechen aber doch überwiegend von einer «Plattform» ming_aggregators›: «Video Streaming Service/Site aggregators are ser- vices that scan across multiple video streaming sites to make it easier oder auch «aggregation platform»33. to find Movies and/or TV shows and where they are available to Im Umfeld von Streaming-Technologien werden im stream». Zusammenhang mit «Aggregation» typischerweise Internet- 35 Egta Insight (Fn. 33), 5: «What is clear, however, is that the basic func- tionality of radio aggregators, which is to provide hyperlinks to pub- seiten oder Services verstanden, die Informationen über licly available radio station audio streams, is quite acceptable from a mehrere Dritt-Streaming-Sites hinweg scannen und indizie- legal perspective». © 2021 sic! Stiftung, Bern / Helbing Lichtenhahn Verlag, Basel sic! 1 | 2021 Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung in anderen als in den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der schriftlichen Zustimmung des Verlages. 9 Tous droits réservés. Toute représentation ou reproduction, intégrale ou partielle, faite sans le consentement préalable de la maison d’édition, est interdite. Auch auf www.legalis.ch und swisslex.ch / Également sur www.legalis.ch et swisslex.ch
Rudolf A. Rentsch Urheberrechtliche Beurteilung von Radiostreaming-Plattformen in der Schweiz ler» bedürfen daher sowohl aus technischer als auch urhe- unternehmen vorgenommen wird». In der bei Auslegungs- berrechtlicher Sicht jeweils einer klaren Begriffsumschrei- fragen verbindlichen französischen Fassung der Überein- bung. kunft (Art. 37 Abs. 1 lit. c RBÜ) ist die entsprechende Bestimmung wie folgt formuliert: «Les auteurs d’œuvres lit- téraires et artistiques jouissent du droit exclusif d’autoriser: VI. Radiostreaming-Plattformen im Lichte von (...) toute communication publique, soit par fil, soit sans Art. 22 URG – Zwischenergebnis fil, de l’œuvre radiodiffusée, lorsque cette communication Als Zwischenergebnis lässt sich aufgrund der obigen Ana- est faite par un autre organisme que celui d’origine» lyse festhalten, dass folgende Kriterien des Weitersendetat- Der Schweizer Gesetzgeber hat diese Bestimmung bestandes bezüglich einer Radiostreaming-Plattform nach nicht wörtlich in das Gesetz übernommen (es fehlt wie Abbildung 1 aus rechtlicher Sicht erfüllt sind: Es liegt eine erwähnt z.B. die Einschränkung auf «communication pu- Sendung durch die Radiostationen vor und es werden blique»36). Soweit ersichtlich hat auch das Bundesgericht Werke (insbesondere Musik) gesendet. Die Streamingserver zur Auslegung der «technischen Einrichtungen» gemäss der jeweiligen Radiostationen werden zeitgleich mit der Ra- Art. 22 Abs. 2 lit. e URG bisher noch nicht Stellung genom- diosendung bedient und qualifizieren als Simulcasting. Die men. Bereits in BGE 108 II 486 ff., E. 4, weist dieses jedoch Streamingdaten sind im Vergleich zur Radiosendung unver- ausdrücklich darauf hin, dass «Die Rechte der Urheber (...) ändert, wobei ggf. Interstitial-Werbung enthalten sein kann. dem Druck des technischen Fortschritts sowenig wie im Die Schweizer Verwertungsgesellschaften sind aktivlegiti- Falle des Kabelfernsehens (BGE 107 II 81) zu weichen» miert, um Weitersenderechte ausschliesslich wahrzuneh- brauchen. Auch die Botschaft zum Bundesgesetz über das men (Art. 22 Abs. 1 URG). Der Ausnahmetatbestand gemäss Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (URG) vom Art. 22 Abs. 2 URG (eine von vornherein kleine Empfängerzahl) 19. Juni 1989 bemerkte unter Hinweis auf jene Entschei- ist im Zusammenhang mit Radiostreaming-Plattformen dung: «In der Regel werden sich nämlich auch die noch nicht anwendbar. Soweit es sich im beschriebenen Kontext unbekannten Nutzungen unter eines der im Katalog ent- um ursprünglich schweizerische Sendeangebote handelt, haltenen Rechte subsumieren lassen»37. kommt Art. 22 Abs. 3 URG nicht zum Tragen. In der Regel In diesem Kontext ist weiterhin zu beachten, dass Art. 3 ist die Trägerschaft der Streaming-Plattform eine eigenstän- lit. g Rom-Abkommen38 den Begriff des Weitersendens ex- dige juristische Person und nicht mit den verschiedenen Ra- plizit wie folgt definiert: «Für die Zwecke dieses Abkom- diosendern, welche die Streams ausstrahlen, identisch. mens versteht man unter (...) ‹Weitersendung› die gleichzei- Die urheberechtliche Qualifikation des Plattform-An- tige Ausstrahlung der Sendung eines Sendeunternehmens gebots als Weitersendung ist schliesslich noch unter einem durch ein anderes Sendeunternehmen». Das Charakteris- weiteren tendenziell technikbezogenen Kriterium zu prü- tikum einer «technischen Einrichtung» ist in dieser Begriffs- fen. Es geht um die Frage der «technischen Einrichtungen», definition nicht enthalten. die als Teilkriterium in Art. 10 Abs. 2 lit. e URG implizit Die in Art. 13 lit. a Rom-Abkommen festgelegten Ex- auch Gegenstand von Art. 22 Abs. 1 URG bilden. Dies ergibt klusivrechte nehmen nur Bezug auf «die Weitersendung ih- sich auch aus dem Kontext von Art. 22 Abs. 2 URG, der rer Sendungen». Auch in Art. 7 Abs. 2 Ziff. 1 Rom-Abkom- ebenfalls auf «technische Einrichtungen» Bezug nimmt. Das men erfolgt keine Bezugnahme auf «technische Einrichtun- Kriterium «technische Einrichtung» ist von Interesse, weil gen». Dabei ist zu beachten, dass das Rom-Abkommen das Streamingsignal vom Ursprung bzw. von der ursprüng- einen für die Mitgliedsländer verbindlichen Mindestschutz lichen Radiostation aus ausgestrahlt wird. Im Folgenden vorschreibt, der nur im Rahmen von Art. 16 Rom-Abkom- ist daher zu prüfen, ob aus Sicht der Gesetzeslage in der men beschränkt sein darf. Daher darf der Begriff des Weiter- Schweiz eine Radiostreaming-Plattform mit einem Work- senderechts ausschliesslich im verbindlichen Rahmen des flow gemäss Abbildung 1 eine «technische Einrichtung» im Rom-Abkommens ausgelegt werden, was bedeutet, dass das Sinne von Art. 10 Abs. 2 lit. e URG umfasst. in Art. 10 Abs. 2 lit. e URG enthaltene Kriterium «technischer Einrichtungen» insbesondere nicht mit Art. 16 Abs. 2 Rom- Abkommen kollidieren darf und damit namentlich weder VII. Auslegung des Teilkriteriums «Technische die normale Verwertung der Darbietung oder des Tonträgers Einrichtungen, deren Träger nicht das beeinträchtigt noch die berechtigten Interessen der aus- ursprüngliche Sendeunternehmen ist» übenden Künstler oder Tonträgerhersteller unzumutbar ver- gemäss Art. 10 Abs. 2 lit. e URG letzt werden dürfen. Verwiesen sei mit Blick auf die Aus- Das erwähnte Teilkriterium ist ein Rechtsbegriff, welcher der legung des hier diskutierten Begriffs ergänzend auf den vor- Auslegung bedarf. Eine gesetzliche Definition dieses Begriffs zunehmenden Dreistufentest (vgl. Art. 9 Abs. 2 RBÜ und existiert nicht und die jeweiligen Botschaften zur Änderung Art. 13 TRIPS-Abkommen). des schweizerischen Urheberrechtsgesetzes gehen auf diesen Begriff nicht näher ein. Art. 11bis Abs. 1 Ziff. 2 RBÜ bezieht sich auf «jede öffentliche Wiedergabe des durch Rundfunk 36 Vgl. auch Botschaft zum Bundesgesetz über das Urheberrecht und ver- wandte Schutzrechte (URG) vom 19. Juni 1989, BBl 1989 III 551 f. gesendeten Werkes mit oder ohne Draht, wenn diese Wie- 37 BBl 1989 III 529. dergabe von einem anderen als dem ursprünglichen Sende- 38 SR 0.23.1.171. © 2021 sic! Stiftung, Bern / Helbing Lichtenhahn Verlag, Basel 10 Alle Rechte vorbehalten. 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AUFSÄTZE | ARTICLES Unter «technischen Einrichtungen» können nach dem d.h. des Abspielen des Streams, innerhalb von dieser. Für ausdrücklichen Gesetzeswortlaut von Art. 10. Abs. 2 lit. e den Hörer ist somit nicht erkennbar und auch nicht beein- URG insbesondere auch leitungsgebundene Technologien flussbar, woher (technisch) die Streamingdaten stammen. verstanden werden. Der Begriff «technische Einrichtungen» Dabei sieht er natürlich, welche Daten bzw. welchen Sender ist gemäss Gesetzeswortlaut in keiner Weise eingeschränkt er anwählt, hat aber bei Nutzung der Plattform keine Infor- und ist gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung techno- mation darüber und auch keinen Einfluss darauf, was die logieneutral zu verstehen und auszulegen. Dabei darf es Quelle des Streams ist und über welche technische Infra- auch keine Rolle spielen, ob und in welchem Umfange struktur er diesen empfängt, wobei er eben bei Nutzung der Hard- oder Softwarekomponenten zu diesen technischen Streaming-Plattform den Stream vermittels der Plattform- Einrichtungen zählen. Wesentlich ist, dass mit deren Hilfe ein Lösung und durch diese gestützt bezieht. Wollte er denn Zugang zum gesendeten Werk geschaffen wird. Von schwei- während des Hörvorgangs die Streaming-Plattform verlas- zerischen Gerichten wurde soweit ersichtlich bisher auch sen bzw. diese beenden, würde der Radiostream unvermit- nicht beurteilt, ob neben Hardwarelösungen (z.B. Kabel, telt abreissen, obwohl wie beschrieben der Originalstream Server etc.) auch reine Softwarelösungen (Mobile Apps, weiterhin über andere technische Wege abrufbar wäre. Ge- Konsolen usw.) als «technische Einrichtungen» gelten und rade das Eintreten der Nicht-Funktionalität des Empfangs bei daher der Begriff im Sinne von «technischen Massnahmen» einem Verlassen oder Schliessen der Plattform zeigt auf, auszulegen ist.39 Nach diesseitiger Auffassung haben – na- dass bei Nutzung der jeweiligen Streaming-Plattform diese mentlich bei einer technologieneutralen Auslegung – auch eine notwendige technische Bedingung ist, um den Stream reine Softwarelösungen als «technische Einrichtungen» zu kontinuierlich zu empfangen. Es gibt, wie anhand von Ab- gelten, so dass auch von «technischen Hilfsmitteln» zur Wei- bildung 1 erläutert, neben der Möglichkeit des Plattform- terverbreitung gesprochen werden kann. Daher darf keine empfangs alternative Möglichkeiten, den Radiostream zu einengende Begriffsauslegung bezüglich «technischer Ein- empfangen, was jedoch urheberrechtlich nicht von Relevanz richtungen» erfolgen, welche (reine) Softwarelösungen aus- ist. Gemäss bundesgerichtlichtlicher Rechtsprechung bildet schliessen würde, was eine zwingende Folge der Techno- das Erreichen eines zusätzlichen Publikums bzw. einer sog. logieneutralität ist. Eine entsprechende Auslegung, welche «neuen Öffentlichkeit» keine Voraussetzung der Anwen- die teleologische Betrachtung der Bestimmung von Art. 10 dung von Art. 10 Abs. 2 lit. e URG.41 Ob der Hörer über an- Abs. 2 lit. e URG bzw. der entsprechenden Bestimmungen dere technische Zugänge oder durch separate Suchen auf die zu verwandten Schutzrechten im Sinne eines technischen ursprünglichen Sendedaten auch zugreifen könnte, ist mit Hilfsmittels als massgeblich vorgibt, ist namentlich auch Blick auf die rechtliche Qualifikation somit nicht von Be- geboten, um der Weitersendungs-Definition gemäss Rom- deutung, da Art. 10 Abs. 2 lit. e URG wie dargelegt gerade Abkommen Genüge zu tun (Art. 3 lit. g Rom-Abkommen). kein zusätzliches Publikum erfordert42. Soweit namentlich Embedding-Provider daher Simulcasts Die Funktion des Einbettens von Streaming-Kanälen (mittels eigener Serverinfrastruktur oder Software) weiter- und die Datenaggregation stehen dabei neben den Zusatz- verbreiten, liegt eine urheberrechtsrelevante Nutzung vor, funktionalitäten aus Sicht der Hörer im Vordergrund. Aus die einer kollektivrechtlich wahrgenommenen Vergütungs- rechtlicher Sicht ist bedeutsam, dass der Zugang zum Da- pflicht unterliegt, ebenso wie dies bei Betreibern von Kabel- ten-Stream von einer eigenständigen Trägerschaft verfügbar netzen zur traditionellen Weiterleitung von Sendungen der gemacht wird, die einzelnen Radiostationen ihrerseits je- Fall ist.40 Vorliegend stellt sich damit die Frage, ob das in Abbil- dung 1 gezeigte technische Konzept einer Radiostreaming- 39 H ILT Y /S CHMID /W EBER (Fn. 4), 244; W IGGER /KORRODI (Fn. 15), 470 und 472. Plattform den urheberrechtlich relevanten Beitrag («gesendete 40 H ILT Y /S CHMID /W EBER (Fn. 4), 246 f.; Hinzuweisen ist aber auf die Werke mit Hilfe von technischen Einrichtungen») zur Wei- EuGH vom 21. Oktober 2014, C-348/18 (Vorabentscheidungsersu- terverbreitung der Sendungen beschlägt. Wie oben erläutert, chen), BestWater International GmbH v. Michael Mebes, Stefan Potsch, in dem die Kammer erkennt (Hervorhebung hinzugefügt): bestehen Radiostreaming-Plattformen aus mehreren techni- «Die Einbettung eines auf einer Website öffentlich zugänglichen ge- schen, softwarebasierten Komponenten, die namentlich schützten Werkes in eine andere Webseite mittels eines Links unter Mobile Apps für Android und iOS sowie eine in Webbrowser Verwendung der Framing-Technik, wie sie im Ausgangsverfahren in Frage steht, allein stellt keine öffentliche Wiedergabe im Sinne von einbettbare Konsole umfassen, mittels derer die Streaming- Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments Daten von Endkonsumenten (Hörern) abgerufen werden. und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter As- Zwar trifft es zu, dass die über die Streaming-Plattform pekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der In- formationsgesellschaft dar, soweit das betreffende Werk weder für ein (App oder Konsole) wiedergegebenen Medienstreams origi- neues Publikum noch nach einem speziellen technischen Verfahren wieder- när von den Streamingservern der jeweiligen Radiostatio- gegeben wird, das sich von demjenigen der ursprünglichen Wiedergabe un- nen abgerufen werden. Der Endkonsument, d.h. der Hörer, terscheidet.» 41 Das Bundesgericht führte bereits in BGE 107 II 67 ff., E. 3 und 4, aus, besucht dabei aber nicht die Seite des (ursprünglichen) Sen- dass kein «zusätzlichen Erfordernis einer neuen Öffentlichkeit» ders, sondern nutzt vielmehr die Infrastruktur (Server oder bestehe; vgl. auch BGE 119 II 61, B ARRELET /E GLOFF (Fn. 4), URG 10 Appliance (Hardwarekomponenten) und Softwaretechnik) N 40. Dies ist ebenso kein Kriterium des dieser Bestimmung zugrunde liegenden Art. 11bis Abs. 1 Ziff 2 RBÜ. der Streaming-Plattform. Der Hörer verbleibt nach deren 42 Ebenso Art. 33 Abs. 2 lit. b URG betreffend die Recht ausübender Aufruf der Plattform und während der gesamten Nutzung, Künstler und Künstlerinnen. © 2021 sic! Stiftung, Bern / Helbing Lichtenhahn Verlag, Basel sic! 1 | 2021 Alle Rechte vorbehalten. Jede Verwertung in anderen als in den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der schriftlichen Zustimmung des Verlages. 11 Tous droits réservés. Toute représentation ou reproduction, intégrale ou partielle, faite sans le consentement préalable de la maison d’édition, est interdite. Auch auf www.legalis.ch und swisslex.ch / Également sur www.legalis.ch et swisslex.ch
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