Rassismusvorfälle aus der Beratungs-arbeit 2020 - Bericht zu rassistischer Diskriminierung in der Schweiz auf der Grundlage des ...
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Rassismusvorfälle aus der Beratungs- arbeit 2020 Bericht zu rassistischer Diskriminierung in der Schweiz auf der Grundlage des Dokumentations-Systems Rassismus DoSyRa
Vorwort 1 Rassismusprävention in Krisenzeiten Jahr für Jahr zeigt uns der vorliegende Auswertungsbericht die Fälle, die durch das Beratungsnetz für Rassismusopfer behandelt werden und was Opfer von Rassismus und rassistischer Diskriminierung in ihrem Alltag erleben. Der Bericht veröffentlicht die dreizehnte Auswertung von Beratungsfällen zu rassistischer Diskriminierung und erscheint inhaltlich und grafisch in neuer Form. Der Bericht des Jahres 2020 erhebt, wie auch die früheren Ausgaben, keinen Anspruch auf Vollständigkeit und stellt kein umfassendes Monitoring oder eine präzise Statistik der Vorfälle in der Schweiz im vergangenen Jahr bereit. Wer sich hingegen dafür interessiert, was hinter den Begriffen «Rassismus» und «rassis- tische Diskriminierung» steckt, findet hier eine wertvolle Informationsquelle. Die Pandemie stellte im Jahr 2020 für die ganze Gesellschaft eine extreme Herausforderung dar. Sie hatte auch einen Einfluss auf die Orte, an denen rassistische Diskriminierung vorkam. Zwar ver- zichtet der vorliegende Bericht auf Vergleiche mit dem Jahr 2019, weil die Methodik der Fallerfassung 2020 überarbeitet wurde. Trotzdem ist festzustellen, dass sich die im Jahr 2020 erfassten Fälle vom öffentlichen in den privaten Raum, etwa die Nachbarschaft, verlagert haben. Der Lockdown spielte also eine nicht zu unterschätzende Rolle. Der Arbeitsplatz blieb allerdings weiterhin ein Bereich, in dem Diskriminierung häufig vorkam. Solche Entwicklungen müssen weiter beobachtet und reflektiert werden. Für die Rassismuspräventi- on braucht es gute Kenntnisse der Mechanismen, die rassistische und diskriminierende Handlungen begünstigen. Die Beobachtungen in der Corona-Krise zeigen uns einmal mehr, dass Ungewissheiten und Spannungen innerhalb der Gesellschaft zu Entgleisungen und zur Herabsetzung von Menschen führen können. Die Versuchung, einen Sündenbock zu suchen, ist in schwierigen Zeiten gross. Sie nimmt leider immer mehr die Form von «Fake News» und zweifelhaften Verschwörungstheorien an, die auf den sozialen Netzwerken leichte Verbreitung finden. Dies gilt beispielsweise für antisemitisch inspirierte Verschwörungstheorien. Wir müssen die Konsequenzen aus unseren Beobachtungen zie- hen. Heute ist es die Pandemie, morgen sind es andere Krisen, die in der Gesellschaft andere Ver- unsicherungen und Ängste hervorrufen können. Die Beratungsstellen innerhalb und ausserhalb des Beratungsnetzes spielen eine wesentliche Rolle als Ort des Zuhörens, des Begleitens und des Vermittelns. Durch ihre Arbeit zeigen sie uns ein zeit- nahes Abbild der Diskriminierungsprobleme und des Umfelds, in dem sie vorkommen. Dank dieser Indikatoren können Präventionsmassnahmen entwickelt werden und Akteure an den relevanten Or- ten sensibilisiert werden. Diskriminierung kann überall vorkommen. Doch Diskriminierung kann zurückgedrängt werden, wenn sich alle der zugrundeliegenden Mechanismen bewusst werden. Wer diesen Bericht liest, kann auch aktiv Prävention leisten. Abschliessend möchte ich Gina Vega von humanrights.ch und Giulia Reimann, wissenschaftliche Mit- arbeiterin der EKR, für ihre Analyse- und Koordinationsarbeit herzlich danken. Doch den entschei- denden Beitrag zu diesem Bericht haben die Beratungsstellen geliefert, die dem Beratungsnetzwerk für Rassismusopfer angegliedert sind. Es freut mich und erfüllt mich mit Stolz, ihnen im Namen aller unsere Anerkennung auszusprechen. Martine Brunschwig Graf Präsidentin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus, EKR
2 Inhalt 3 Vorwort 1 Teil I – Einführung 4 Das Beratungsnetz 2020 Methodik Die Beratungsstellen im Überblick Berichtsjahr 2020: Das Wichtigste in Kürze Teil II – Analyse Kontaktnahme und Dienstleistungen 10 Welche Personen haben Rat gesucht? Wie wurde der Kontakt aufgenommen? Welche Dienstleistungen haben die Beratungsstellen erbracht? Beschreibung der Diskriminierungsvorfälle 12 In welchem Lebensbereich geschahen die Vorfälle? Wie wurde diskriminiert? Welche Feindbilder, Zielgruppen und Ideologien waren involviert? Lag eine Mehrfachdiskriminierung vor? Betroffene Personen 18 Welche Angaben gibt es zu den betroffenen Personen? Regionale Herkunft Nationalität Gender Alter Rechtsstatus Teil III – Thema Rassismus und Diskriminierung im Jahr 2020 20 Beitrag von Dr. Nora Refaeil Die eigenen Rechte kennen Teil IV – Nicht ausgewertete Fälle 23 Meldungen ohne Beratungstätigkeit Teil V – Glossar 24 Teil VI – Mitwirkende und Danksagung 25 Mitwirkende Beratungsstellen 2020
4 Teil I – Einführung Teil I – Einführung 5 Das Beratungsnetz 2020 Hautfarbe, rassistischen Zuschreibung, Religion oder Sprache ohne sachlichen Grund stattgefunden hat und sich für die betroffene Person nachteilig auswirkte. Einfache Meldungen (z.B. ein anonymer Brief oder Medienbeiträge) fliessen nicht in die detaillierte Auswertung ein, werden aber separat berücksichtigt (vgl. Teil IV, S. 23). Mit dem vorliegenden Bericht wird die dreizehnte Auswertung von Beratungsfällen zu Unberücksichtigt bleiben Fälle, die zwar zu einer Beratungsleistung geführt haben, rassistischer Diskriminierung* in der Schweiz veröffentlicht. Das Beratungsnetz für eine rassistische Diskriminierung aber ausgeschlossen werden konnte. Rassismusopfer wurde 2005 als Joint Venture Projekt zwischen der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus EKR und der Menschenrechtsorganisation human- rights.ch gegründet und entwickelt sich seither stetig weiter. Die 23 teilnehmenden 1 Falleingabe Beratungsstellen sind wichtige Akteurinnen in der Antirassismus-Arbeit. Sie bieten Die Beratungsstellen erfassen die von ihnen behandelten Fälle im «Dokumentations- system Rassismus» (DoSyRa) und ordnen die geschilderten Vorfälle den vorgegebe- für Betroffene Auskunft, psychosoziale Beratung und Rechtsberatung an und treten nen analytischen Kategorien zu. auch immer wieder als vermittelnde Instanzen auf. Sie leisten mit ihren vielfältigen Interventionen einen zentralen Beitrag zu Begleitung, Beratung und Empowerment 2 Datenbereinigung von Betroffenen, aber auch zur Dokumentation rassistischer Vorfälle in der Schweiz. Die von den Beratungsstellen eingetragenen Beratungsfälle werden von der Projekt- leitung hinsichtlich ihrer Konsistenz und Vollständigkeit überprüft und falls nötig zur Im Berichtsjahr 2020 wurden 572 Beratungsfälle zu rassistischer Diskriminierung Überarbeitung zurückgemeldet. in der Datenbank DoSyRa registriert. Diese Gesamtanzahl an Beratungsfällen kann mit den Vorjahren nicht eins zu eins verglichen werden. Denn die Systematik der Er- 3 Datenauswertung fassung bei der Datenbank DoSyRa wurde im Jahr 2020 inhaltlich überarbeitet, um Die Fälle, bei welchen eine rassistische Diskriminierung vorliegt, werden zusammen- eine klarere und vollständigere Erfassung und Auswertung der Fälle zu ermöglichen geführt und im Bericht ausgewertet. (vgl. Methodik). Der Bericht wurde ausserdem graphisch und mit zielgruppenspezi- fischerem Inhalt neu gestaltet. Der Bericht erhebt keinerlei Anspruch auf eine vollständige Erfassung aller Fälle ras- Die Auswertung der Beratungsfälle im vorliegenden Bericht ist ein wichtiger Mosaik- sistischer Diskriminierung in der Schweiz. So gibt es sehr viele Beratungsstellen, die stein im nationalen Monitoring rassistischer Diskriminierung und eine Ergänzung nicht auf rassistische Diskriminierung spezialisiert sind und dennoch Fälle bearbei- zu Berichten wie der Chronologie «Rassismus in der Schweiz» der Stiftung gegen ten, in denen rassistische Diskriminierung eine Rolle spielt, oder Beratungsangebote, Rassismus und Antisemitismus (GRA) oder den Berichten zu Antisemitismus des die sich auf eine spezifische Art von Rassismus fokussieren, zum Beispiel auf anti- Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG) bzw. der Coordination Inter- muslimischen Rassismus oder Antisemitismus. Die Fälle dieser Beratungsstellen, die communautaire Contre l’Antisémitisme et la Diffamation (CICAD) in der Romandie. nicht Mitglied im Beratungsnetz sind, fliessen nicht in den Bericht mit ein. Zudem Die Fachstelle für Rassismusbekämpfung (FRB) des Bundes verwendet diese und gibt es zahlreiche Gründe, weshalb Betroffene vom Besuch einer Beratungsstelle ab- weitere Quellen als Datenbasis für ihre zweijährlich erscheinende Übersicht «Ras- sehen. Dazu gehört etwa die fehlende Kenntnis von Beratungsangeboten, fehlendes sistische Diskriminierung in der Schweiz». Der vorliegende Bericht wird ausserdem Vertrauen, Ängste oder eine Verdrängung bestimmter Vorfälle. Es ist somit wichtig zu für die Berichterstattung an internationale Organe genutzt, etwa an den UNO-Aus- betonen, dass die hier ausgewerteten Fälle nur die berühmte «Spitze des Eisbergs» schuss zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (CERD) und an die darstellen: die Dunkelziffer ist hoch; es ist davon auszugehen, dass die Mehrzahl der Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI). rassistischen Vorfälle in der Schweiz nirgends gemeldet oder bearbeitet wird. Die Auswertung von rassistisch motivierten Vorfällen im vorliegenden Bericht ist je- doch wichtig, um die Formen und Auswirkungen von Rassismus in der Gesellschaft Methodik aufzuzeigen. Es ermöglicht, bei den staatlichen Behörden, bei unterschiedlichen In- stitutionen und Organisationen und in der Öffentlichkeit auf das Thema aufmerksam zu machen. Zudem trägt die Auswertung dazu bei, einen besseren Schutz für Betrof- fene zu erlangen und die Dienstleistungen für sie zu verbessern. Der vorliegende Bericht bietet eine praxisnahe Auswertung der Beratungsfälle des Jahres 2020, die in der Datenbank DoSyRa registriert wurden. Mit vorgegebenen ana- lytischen Kategorien werden die Beratungsfälle in DoSyRa erfasst. Ab dem Jahr 2020 werden die Kategorien wie folgt eingeteilt: (1) Beratungsfall: rassistische Diskriminie- rung, (2) kein Beratungsfall: einfache Meldung und (3) Beratungsfall: offensichtlich ohne rassistische Diskriminierung. Um Vorfällen von Alltagsrassismus und im priva- ten Bereich weitgehend Rechnung zu tragen, werden Fälle, bei denen ein rassistisches Motiv nicht ausgeschlossen werden kann, als Fälle rassistischer Diskriminierung aus- gewertet. Ab 2020 entfällt die Kategorie «Beratungsfall: nicht erhärtete Diskriminie- rung». Fälle, die vor 2020 in diese Kategorie eingetragen wurden, werden ab 2020 einer der oben genannten Kategorien zugewiesen. Somit ist ein Vergleich mit den Daten der Vorjahre nicht möglich und entsprechend wird in diesem Bericht darauf verzichtet. Damit ein Fall in die Hauptauswertung des Berichts einbezogen wird, müssen fol- gende Bedingungen erfüllt sein: Eine Interaktion zwischen der Beratungsstelle und der meldenden Person hat stattgefunden; ein konkreter Situationsbeschrieb liegt vor und wird von der beratenden Fachperson als Fall von rassistischer Diskriminierung eingeordnet. Zentral dafür ist, dass die Diskriminierung, Ungleichbehandlung, Her- absetzung etc. aufgrund eines Merkmals wie der nationalen oder ethnischen Herkunft, *Grün unterstrichene Begriffe werden im Glossar auf S. 24 erläutert.
6 Teil I – Einführung Teil I – Einführung 7 Die Beratungsstellen Die Tätigkeiten im Überblick* der Beratungsstellen* 11 Schaffhausen 2 Basel-Stadt 17 Thurgau Basel-Land 21 Zürich 6 Jura 15 Appenzell- 1 Aargau 13 Solothurn Ausserrhoden 20 Zug 14 St. Gallen Empowerment Auskunft Mediation 8 Luzern Psychosoziale Beratung & Information Verhandlung zwischen 12 Schwyz Konfliktparteien 9 Neuenburg 3 Bern 10 Nidwalden 15 Uri 4 Fribourg 18 Waadt 7 Lausanne 16 Tessin 5 Genf 19 Wallis (Rechts-) Intervention Unterstützende Weiterleitung Beratung Dienstleistung an Organisationen und wie das Verfassen von spezialisierte Stellen Beschwerden, Einsprüchen, Stellungnahmen, Anträgen und Interventionsschreiben 1 Kanton Aargau 10 Kanton Nidwalden 18 Kanton Waadt AIA: integration@integrationaargau.ch GFI: Tel. 041 618 75 83 BCI: info.integration@vd.ch 2 Kantone BL, BS 11 Kanton Schaffhausen 19 Kanton Wallis *Die Dienstleistungen der Beratungsstellen können je nach Auftrag und Grösse variieren. Stopp Rassismus:info@stopprassismus.ch Integres: info@integres.ch B-ECR: ecoute-racisme@croix-rouge-valais.ch 3 Kanton Bern 12 Kanton Schwyz 20 Kanton Zug gggfon: melde@gggfon.ch KOMIN: Tel. 041 859 07 70 Kantonale Anlaufstelle:integration@zg.ch RBS: info@rechtsberatungsstelle.ch 13 Kanton Solothurn 21 Kanton und Stadt Zürich 4 Kanton Fribourg frabina: info@frabina.ch ZüRAS: info@zueras.ch Respekt für alle: serespecter@caritas.ch 14 Kanton St. Gallen / Bedeutung des Beratungsnetzes 5 Kanton Genf C-ECR: contact@c-ecr.ch Kanton Appenzell-Ausserrhorden HEKS: beratungsstelle- diskriminierung@heks.ch für Bund und Kantone 6 Kanton Jura 15 Kanton Uri BI: secr.bi@jura.ch AOZ – Beratungsstelle Diskriminierung: Das Beratungsnetz ist für die Kantone und den Bund von grosser Bedeutung. Im Rahmen der kantonalen Tel. 044 415 66 70 Integrationsprogramme (KIP) anerkennen Bund und Kantone den Schutz vor rassistischer Diskrimi- 7 Stadt Lausanne nierung als eine unabdingbare Grundlage für ein funktionierendes Zusammenleben in der Schweiz. So BLI: bli@lausanne.ch 16 Kanton Tessin haben sich die Kantone verpflichtet, Beratungsangebote für Betroffene von Rassismus und rassistischer CARDIS: cardis@discriminazione.ch Diskriminierung auszubauen und weiterzuentwickeln. Das Beratungsnetz bietet den Kantonen massge- 8 Kanton Luzern Ganze Schweiz schneiderte statistische Auswertungsmöglichkeiten, belebt und fördert die interkantonale Vernetzung FABIA: info@fabialuzern.ch 17 Kanton Thurgau EKR: ekr-cfr@gs-edi.admin.ch sowie den Diskriminierungsschutz. Es unterstützt damit die Kantone bei der Erfüllung ihres Auftrags. Fachstelle Integration TG: Zudem macht der jährliche Auswertungsbericht die Arbeit der kantonalen Beratungsstellen sichtbarer. 9 Kanton Neuenburg Tel. 058 345 67 32 * Weitere Informationen unter: Alle Kantone unterstützen das Beratungsnetz finanziell. Diese Strukturfinanzierung ist für das Projekt COSM: cosm@ne.ch network-racism.ch unerlässlich.
8 Teil I – Einführung 9 Lebensbereiche, in denen die Diskriminierungen stattfanden Berichtsjahr 2020: Internet und Polizei je 51 95 Das Wichtigste in Kürze Arbeit Insgesamt wurden im Berichtsjahr 2020 von den beteiligten Beratungsstellen 706 Vorfälle registriert. Im Hauptteil des 58Bildung vorliegenden Berichts werden diejenigen 572 Beratungsfälle ausgewertet, bei welchen eine rassistische Diskriminierung vorlag oder ein rassistisches Motiv nicht ausgeschlossen werden konnte. 72 Nachbarschaft Öffentlicher Raum und Verwaltung je 67 Der Arbeitsplatz mit 95 Fällen und die Nachbarschaft/ Weitere stark betroffene Bereiche sind die Verwaltung und der öffentliche Raum mit je Beratungsfälle Ratsuchende Personen das Quartier mit 72 Fällen sind die am stärksten betrof- 67 Nennungen, die Bildung/Schule/Kita mit 58 Nennungen sowie die Polizei und das fenen Lebensbereiche. Internet (Social Media, Blogs, etc.) mit je 51 Nennungen. 58 Art und Weise der Diskriminierung Involvierte Vorurteile und Ideologien Mehrfach- diskriminierung 76 304 256 572 372 Direkt Betroffene Benachteiligungen 206 Rassismus gegen Schwarze Fremden- feindlichkeit 144 85 38 Anzahl Fälle insgesamt: 706, erfasst von 23 Beratungsstellen 372 der 572 Beratungsfälle rassistischer Diskriminierung 162 Beschimpfungen Muslim- feindlichkeit 55 Rechtsstatus Geschlecht Beratungsfälle: rassistische Diskriminierung*: 572 wurden im Berichtsjahr von direkt Betroffenen gemeldet. Beratungsfälle: offensichtlich keine rassistische In 144 Fällen, d.h. in knapp jedem Diskriminierung: 76 Weibliche Betroffene suchten häufiger Rat bei einer Rassismus gegen Schwarze ist mit 206 Nennungen nach vierten Beratungsfall, stellten die Einfache Meldung: 58 Beratungsstelle als männliche Betroffene. dem generellen Motiv der Ausländerfeindlichkeit/Frem- Beratungsstellen zusätzlich zur denfeindlichkeit mit 304 Nennungen das am häufigsten rassistischen Diskriminierung eine genannte Diskriminierungsmotiv. Mehrfachdiskriminierung fest. Die- Im Berichtsjahr 2020 machten Benachteiligun- An dritter Stelle folgt die Muslimfeindlichkeit mit 55 Nen- se bezog sich überwiegend auf den gen mit 256 Nennungen und Beschimpfungen nungen. Ebenfalls häufig genannt werden die Kategorien Rechtsstatus mit 85 Nennungen so- mit 162 Nennungen die häufigsten Formen der der Feindlichkeit gegen Menschen aus dem arabischen wie das Geschlecht mit 38 Nennun- * Inklusive Fälle, bei denen ein rassistisches Motiv nicht ausgeschlossen werden konnte. Diskriminierung aus. Raum und der Balkanregion. gen.
10 Teil II – Analyse 11 Kontaktaufnahme und Dienstleistungen Fallbeispiel N°3 Fallbeispiel N°1 Ungleich- Willkürliche behandlung am Welche Personen Welche Dienstleistungen Kontrolle in einem Kleiderladen Arbeitsplatz haben Rat gesucht? haben die Beratungsstellen erbracht? Herr A. kauft Hosen in einem Kleiderladen Herr K. arbeitet seit über 20 Jahren als Kü- eines Shoppingcenters, wo er Stammkunde ist. chenchef in einer Gastrofirma, als diese eine Anzahl Beratungsfälle: 572 Als er das Geschäft verlassen will, wird er von Massenkündigung vornimmt. Herrn K. wird einem Sicherheitsbeamten gebeten, für eine vor der Kündigung kein formelles Jobange- Anzahl Beratungsfälle: 572 Stichprobe in den Laden zurückzukommen. In bot unterbreitet, seine Kündigungsfrist wird (Mehrfachnennungen möglich) einem separaten Raum wird er aufgefordert, nicht eingehalten und er erhält im Gegensatz seine Einkaufstasche zu zeigen. Die Laden- zu anderen Mitarbeitenden keine Loyalitäts- andere/r detektivin findet nichts Aussergewöhnliches prämie. Herr K. fühlt sich durch die Firma be- und Herr A. kann seine Einkäufe belegen. Herr trogen und erniedrigt. A. fühlt sich zutiefst gedemütigt und versteht Fachperson /andere nicht, warum er verdächtigt wird. Er nimmt In der Beratung erzählt Herr K. über unzählige Beratungsstelle Intervention an, dass seine Hautfarbe ausschlaggebend herablassende Bemerkungen, Gesten und Un- Weiterleitung an dafür war. gleichbehandlungen an seinem Arbeitsplatz. Er 42 Mediation schreibt mit Unterstützung der Beratungsstelle Beschuldigte eine andere Stelle 31 Die Beratungsstelle kontaktiert auf Wunsch von einen Brief an die Geschäftsleitung der Firma. 5 Herrn A. die Geschäftsleitung des betroffenen Daraufhin folgt ein Gespräch in Begleitung der Ladens und organisiert nach mehreren Telefo- Beratungsstelle. Ein zweites Treffen mit dem di- Zeuge/Zeugin 85 76 naten ein Treffen mit der Geschäftsleitung, dem rekten Vorgesetzten von Herrn K. wird von der 66 11 Sicherheitschef und der Ladendetektivin. Die drei Geschäftsleitung vorgeschlagen. Herr K. fühlt Rechtsberatung Personen entschuldigen sich bei Herrn A. und sich bezüglich der Konfrontation mit seinen bestätigen, dass sie nicht korrekt vorgegangen Vorgesetzten sehr unsicher. Die Beratungsstelle 190 seien. Eine Kontrolle werde nur bei einem konkre- bespricht die Ziele und Grenzen des Gesprächs ten Verdacht durchgeführt, was hier nicht der Fall mit der Leitung und bestärkt Herrn K., am Ge- Angehörige von Auskunft/ 56 gewesen sei. In der Nachbesprechung ist Herr spräch teilzunehmen. Beim Gespräch entschul- Betroffenen Information A. immer noch irritiert und verunsichert, dennoch digen sich die Geschäftsleitung und die direkten 379 372 empfindet er die Beratungen als sehr unterstüt- Vorgesetzen bei Herrn K. für die schmerzhaften Betroffene/r zend und hilfreich. Herrn A. war es wichtig, einen rassistischen und diskriminierenden Erlebnisse Beitrag dafür zu leisten, dass andere Personen sowie für die Fehler bei der Kündigung und si- nicht dasselbe erleben müssen wie er. chern ihm die Loyalitätsprämie zu. In der Nach- besprechung mit der Beratungsstelle war Herr K. froh darüber, dass er seine Erlebnisse erzählt Angehörige von 341 hat und verarbeiten konnte. Beschuldigten: 0 Fallbeispiel N°4 Psychosoziale 114 Beratung Unterstützende Dienstleistung Benachteiligung Fallbeispiel N°2 bei der Beantragung Anzeige bei Nach- eines Schweizer Füh- barschaftskonflikt Wie wurde Kontakt rerscheins Familie K. wird seit mehreren Monaten von ihrem Nachbarn mit fremdenfeindlichen und aufgenommen? Mitarbeitende eines Sozialdienstes melden sich bei der Beratungsstelle wegen Proble- rassistischen Äusserungen beleidigt und dif- men mit der Umschreibung ausländischer famiert. Auch ihre Kinder werden vom Nach- Anzahl Beratungsfälle: 572 Führerscheine von anerkannten Flüchtlingen. barn belästigt und bedroht, sodass sie sich Das Schweizer Amt verlangt offizielle Doku- nicht mehr sicher fühlen und unter Angstzu- Per Email mente, die von den Behörden des Heimat- ständen leiden. In YouTube-Videos verbrei- landes ausgestellt werden müssen. Jedoch tet der Nachbar ausserdem Beleidigungen ist es geflüchteten Personen nicht möglich, gegen die Familie und zelebriert seine rassis- 196 die Botschaft ihres Heimatlandes zu betre- tische Haltung. Diese Situation belastet die ten. Wenn die Betroffenen dennoch an Doku- Telefonisch Familie sehr. mente gelangen, stellen sich diese meistens 270 als Fälschungen heraus, was eine Geldbusse Mit Unterstützung der Beratungsstelle ver- und ein Strafverfahren nach sich zieht. fasst Familie T. eine Anzeige gegen den Nach- barn. Die Beratungsstelle bespricht den Fall Die Beratungsstelle nimmt Kontakt mit dem zu- auch mit der örtlichen Polizei und kann einen ständigen Amt auf. In einem gemeinsamen Ge- Beamten davon überzeugen, sich für die An- spräch kann sie die strukturellen Herausforderun- zeige einzusetzen. Das juristische Verfahren ist gen bei der Thematik aufzeigen. Die Vertretung noch hängig. Obwohl die Polizei in diesem Nach- 18 des Amtes stimmt zu, Einzelfälle mit Zustimmung barschaftskonflikt interveniert hat, ist die Fa- der Betroffenen mit der Beratungsstelle zu be- milie wegen der andauernden Belästigung um- per Brief sprechen. Um in Zukunft Missverständnisse zu gezogen. 88 vermeiden, werden ausserdem mit Unterstüt- zung der Beratungsstelle behördeninterne Emp- Persönlich fehlungen geschrieben.
12 Teil II – Analyse 13 Beschreibung der Diskriminierungsvorfälle Fallbeispiel N°7 Fallbeispiel N°5 Arbeitsplatz: Rassis- Rassismus tische Beleidigung In welchen Lebens- Organisationen/Institutionen/Privatwirtschaft in der Familie bereichen geschahen Arbeitsplatz 95 auf der Baustelle Die ratsuchende Person schildert, dass ihr Ehemann ihr gegenüber rassistische Äus- Bildung/Schule/KITA 58 die Vorfälle? Herr M. arbeitet bei einem Bauunternehmen, serungen macht und unter anderem das wo er von seinen Teamkollegen mit dem N- Wohnungsmarkt/ N-Wort verwendet. Die Ratsuchende und ihr 44 Wort und mit anderen rassistischen Bezeich- Mietverhältnis Ehemann sind in der Scheidung. Sie macht nungen beleidigt wird. Ausserdem wird Herr sich Sorgen und möchte verhindern, dass ihr Arbeitsmarkt 33 Ehemann weiterhin rassistische Äusserun- M. nicht richtig eingearbeitet und von seinen Teamkollegen ausgeschlossen. Kundenbeziehungen gen vor ihren Kindern macht, welche sehr Bei den Oberkategorien verzeichnet der Bereich Organisationen/Institutionen/Privat- 29 stolz auf ihre afrikanischen Wurzeln sind. (z.B. Versicherungen, Banken) Die Beratungsstelle nimmt mit dem Bauunter- wirtschaft mit 339 Fällen, der am meist genannte Bereich, gefolgt vom Bereich Öffent- lichkeit mit 217 Nennungen. Öffentliche Diskriminierungen von Personen aufgrund u.a. Gesundheitswesen 28 Die Beratungsstelle erklärt, dass rassistische nehmen Kontakt auf. Von Seiten des Bauunter- nehmens wird eine klare Haltung gegen solche Fremdzuschreibungen machen deutlich, dass Vorurteile gegenüber als «fremd» wahrge- Äusserungen, die im privaten Bereich gemacht Politik, Parteien 24 werden, nicht unter die Rassismusstrafnorm fal- Vorfälle bezogen. Sie entschuldigen sich für die nommenen Menschen nach wie vor eine Alltagserscheinung sind. An dritter Stelle folgt Erlebnisse von Herrn M. und sprechen die zu- len. In der Folge meldet sich auch der Ehemann der staatliche Bereich mit 214 Nennungen und zuletzt der Bereich Privatleben mit 126 ständigen Baustellenverantwortlichen auf den Vereinsleben 10 der Ratsuchenden und erklärt seine Sichtweise. Nennungen. Er habe die Aussage nicht so gemeint und habe Vorfall an. Diese instruieren wiederum die unter- Private Sicherheits- stellten Mitarbeitenden, dass rassistisches und 10 sich entschuldigt. Die Beratungsstelle erklärt Bei den Unterkategorien waren der Arbeitsplatz mit 95 Fällen und die Nachbarschaft/das unternehmen diskriminierendes Verhalten im Betrieb nicht ihm, dass auch wenn er es nicht rassistisch mei- toleriert wird. Quartier mit 72 Fällen die am stärksten betroffenen Lebensbereiche. Dahinter folgen Heim/Betreutes Wohnen 4 ne, die Äusserungen dennoch rassistisch seien. der öffentliche Raum und die Verwaltung mit je 67 Fällen sowie die Kategorien Bildung/ Die ratsuchende Person bedankt sich und teilt Kirche/religiöse der Beratungsstelle mit, dass ihr der Austausch Schule/KITA mit 58 Fällen, Polizei und Internet mit je 51 Fällen. 2 Organisationen mit der Beratungsstelle Mut und Hoffnung ge- Fallbeispiel N°6 geben habe. Privatversicherung 2 Nachbarschaft / Quartier: Schika- 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 Fallbeispiel N°8 ne von Seiten einer Oberkategorie Lebensbereich Kundenbeziehung: Nachbarin Anzahl Beratungsfälle: 572 (Mehrfachnennungen möglich) Öffentlichkeit Mann wird Eine Nachbarin schikaniert eine anerkannte Öffentlicher Raum 67 Kontoeröffnung geflüchtete Familie seit deren Einzug in eine neue Wohnung. Die Frau äussert sich stark Organisationen/Institutionen/ Internet: Social Media, 51 verweigert abschätzig über Menschen muslimischen 339 Blogs, etc. Privatwirtschaft Glaubens, belästigt die Familie mit Lärmkla- Angebote von Privaten Herr U., Schweizer mit afrikanischen Wur- (z.B. Warenhaus/Festival) 44 zeln, möchte bei einer Bank ein Konto eröff- gen, schreit die Kinder im Treppenhaus an Öffentlichkeit 217 nen. Bereits beim Empfang in der Filiale wird und ruft mehrmals unbegründet die Polizei. Öffentliche Verkehrsmittel 31 Herr. U. auf eine herablassende und diskri- Die anhaltende Schikane wird von den ande- ren Nachbarinnen und Nachbarn bestätigt. Staatlicher Bereich 214 minierende Art empfangen und ihm wird die Medienberichterstattung 19 Eröffnung des Bankkontos ohne sachliche Die Situation belastet die Kinder so sehr, dass sie sich nicht mehr aus dem Haus ge- Gründe verweigert. Am Abend eröffnet er trauen. Mit den anderen Nachbarinnen und Privatleben 126 Werbung 5 ohne Probleme über eine Online-Live-Bera- Nachbarn versteht sich die Familie bestens. tung in derselben Bank ein Konto. Von der Verwaltung wurde eine Beschwerde 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 0 50 100 150 200 250 300 350 Der Filialleiter wird von der Beratungsstelle auf- im Namen aller Nachbarinnen und Nach- barn an die Beschuldigte geschickt, was die gefordert, das Ereignis mit seinen Mitarbeiten- Situation verschlechtert hat. den zu klären. Der Leiter und der beschuldigte Mitarbeiter entschuldigen sich daraufhin bei Staatlicher Bereich Herrn U. für den Vorfall, zeigen aber keine wei- Die Beratungsstelle kontaktiert zusammen mit der Familie die Verwaltung. Diese bestätigt die tere Einsicht. Die Mitarbeitenden hätten die Frei- anhaltenden Probleme mit der Nachbarin, die Unterkategorien Lebensbereich Verwaltung 67 heit zu entscheiden, ob sie eine neue Kontoer- Stockwerkeigentümerin ist. Die Beratungsstelle Anzahl Beratungsfälle: 572 (Mehrfachnennungen möglich) öffnung bewilligen oder nicht. Herr U. empfand dokumentiert die Vorfälle und Zeugenaussagen Polizei 51 die Beratung als sehr hilfreich, die Intervention und prüft ein juristisches Vorgehen. Auf Wunsch brachte aber nicht die gewünschte Wirkung, da der betroffenen Familie wird ein Brief an die Sozialdienst 48 es keine nachhaltige Auseinandersetzung mit Privatleben dem Thema seitens des Filialleiters und des Be- Nachbarin im Namen der Beratungsstelle mit Hinweis auf die Straftatbestände der Rassismus- Gesetzgebung 17 schuldigten gab. strafnorm geschrieben. Dies führt zu einer Ver- Nachbarschaft/Quartier 72 besserung der Situation. Justiz und Freiheitsentzug 17 Freizeit/Ausgang 25 Familien/Verwandtschaft/ Einbürgerungsverfahren 5 24 Freunde Sozialversicherung 5 Sport 5 Zoll/Grenzwache 4 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100
14 Teil II – Analyse 15 Beschreibung der Diskriminierungsvorfälle Fallbeispiel N°11 Fallbeispiel N°9 Rassistische Schwierigkeiten Äusserungen einer Wie wurde diskriminiert? Ausgrenzung wegen einem Lehrperson Turban Benachteiligung 256 Eine Studentin absolviert ein Praktikum an In einer Schulklasse wird im Unterricht das Im Berichtsjahr 2020 betrafen die meisten Beratungsfälle den Bereich Kommunikation einer Primarschule, Voraussetzung damit Thema Sklaverei behandelt. In diesem Zu- mit 580 Nennungen, wobei die Kategorien Beschimpfung (162 Fälle), andere störende Herabwürdigende sie sich als Lehrvertretung bewerben kann. sammenhang verwendet die Lehrperson 110 Äusserung/Illustration (141 Fälle) und Verleumdung/falsche Anschuldigung (112 Fälle) Behandlung Am ersten Tag nimmt die Rektorin sie bei- mehrfach das N-Wort. Die Tochter von Frau am meisten genannt wurden. Ebenfalls häufig gemeldet wurden Diskriminierungen im seite und spricht sie auf ihren afrikanischen B. erzählt zuhause empört davon. Als Frau B. Bereich Ausgrenzung mit 519 Nennungen, wovon der grösste Teil auf Benachteiligungen Mobbing 54 Turban an. Die Rektorin fragt die Studentin, die Lehrperson damit konfrontiert, gibt die- (256 Fälle) und herabwürdigende Behandlungen (110 Fälle) entfiel. Im Bereich Gewalt ob es sich bei dem Turban um eine religiöse se lediglich konfuse Erklärungen ab. Am dar- Leistungsverweigerung (bei An Kopfbedeckung handle, da religiöse Zeichen auffolgenden Tag nimmt die Lehrperson die wurden 49 Meldungen registriert, wobei am häufigsten Angriffe auf die körperliche Inte- 47 geboten für die Allgemeinheit) an der Schule nicht erlaubt seien. Die Studen- Tochter beiseite und sagt ihr, sie solle nicht grität (42 Fälle) vorkamen. Die Kategorie der rechtsextremen Propaganda verzeichnete tin erklärt der Rektorin, dass es sich um eine so «betüpft» sein. 27 Nennungen. traditionelle Frisur handle. Am nächsten Tag Racial Profiling 30 zitiert die Rektorin die Studentin in ihr Büro Die Beratungsstelle bespricht den Vorfall mit und bringt auf herablassende Art und Weise Frau B. Einige Tage später meldet sich die be- Schutzunterlassung 11 den Turban erneut zur Sprache. Sie verlangt, schuldigte Lehrperson unabhängig bei der Be- die Haare der Studentin zu sehen, fragt, ob ratungsstelle, da sie der Vorfall beschäftigt. Die Unterlassene Hilfeleistung sie Haarprobleme habe, verweist sie auf ihr Beratungsstelle schlägt ein Gespräch mit der 7 in einem Notfall blondes Haar und empfiehlt ihr, sich die Haa- Lehrperson, der Schulleitung und der betroffe- re anders zu frisieren. Nach dem Gespräch nen Familie vor. Das Gespräch verläuft konst- ruktiv und klärend. Die Lehrperson wird das Art und Weise der Diskriminierung Einbürgerungsverweigerung 4 wird die Studentin ohne objektive Begrün- Anzahl Beratungsfälle: 572 (Mehrfachnennungen möglich) dung aufgefordert, das Praktikum abzubre- Schulmaterial im Anschluss nochmals prüfen. chen. Die Studentin schreibt einen Brief an 0 20 40 60 80 100 120 140 160 180 200 220 240 260 die Schulbehörde, um zum Vorfall Stellung zu beziehen. Sie erhält keine Antwort. Erst als Fallbeispiel N°10 Gewalt sie anruft erfährt sie, dass ihr Anliegen an die nächste Instanz weitergeleitet worden sei. Verweigerung der Rechtsextreme Propaganda Einbürgerung Angriff auf körperliche Integrität 42 Die Beratungsstelle begleitet die Studentin zu ei- nem Treffen mit der Schulbehörde. Die Schulbehör- de bleibt bei der Entscheidung und die Studentin Herr X. reicht für sich und seine Kinder ein Verbreitung von Schriften kann für das laufende Jahr kein Praktikum mehr Sachbeschädigung 7 26 Einbürgerungsgesuch ein. Da seine Frau und Tonträgern absolvieren. Die Beratungsstelle konnte jedoch si- trotz Besuch eines Sprachkurses noch nicht cher stellen, dass die Studentin sich für eine Lehr- über die erforderlichen Sprachkenntnisse Angriff mit Waffen 0 Rechtsextremer Aufmarsch, 1 vertretung bewerben kann, ohne dass ihr durch verfügt, möchte sie ihr Gesuch zu einem spä- Versammlung diesen Vorfall ein Nachteil entsteht. teren Zeitpunkt stellen. Am Einbürgerungs- Brandanschlag 0 gespräch stellt der Gemeinderat Herrn X. 0 20 40 60 80 100 120 140 160 180 200 220 240 260 als unzivilisierten und nicht integrierten 0 20 40 60 80 100 120 140 160 180 200 220 240 260 Ausländer hin. Später wird ihm empfohlen, Fallbeispiel N°12 das Einbürgerungsgesuch zurückzuziehen mit der Begründung, dass die Einbürgerung Probleme bei der von einem Ehepartner alleine nur in Ausnah- mefällen zulässig sei. Ausserdem wirft man Kommunikation Wohnungsvermie- Herrn X. vor, dass er seinen Verpflichtungen tung an eine ungenügend nachkomme. Es wird von ihm erwartet, dass er seine Frau beim Sprach- Beschimpfung 162 geflüchtete Familie erwerb unterstützt. Andere störende Eine Familie möchte ihre Eigentumswohnung Herr X. erfüllt alle Einbürgerungsvoraussetzun- 141 über einen Verein an eine geflüchtete Familie Äusserung/lllustration gen und die Begründung des Gemeinderates vermieten. Die Verwaltung der Stockwerks- ist objektiv nicht nachvollziehbar. Er und seine Verleumdung/ vereinigung ist mit diesem Vorhaben jedoch falsche Anschuldigung 112 Frau sind gut integriert und sie hat bereits meh- nicht einverstanden und mobilisiert die ande- rere Sprachkurse besucht. Darum hält er am ren Stockwerkeigentümerinnen und -eigentü- Einbürgerungsgesuch fest. Die Beratungsstelle Gestik, Mimik, Geräusche 62 mer, um eine Änderung des Reglements vor- berät Herrn X. rechtlich und leitet ihn an einen zunehmen und so die geplante Vermietung Anwalt weiter. Daraufhin wird ein zweites Ge- Öffentlich geäusserte zu verunmöglichen. Hassrede 44 spräch für das Einbürgerungsgesuch von Herrn X. stattfinden. Die Beratungsstelle unterstützt die Familie da- Drohung 38 rin, den Dialog mit der Stockwerksvereinigung zu suchen und für ihr Recht einzustehen. Sie Bewusstes Vorenthalten schreibt einen Brief an den Präsidenten der 20 Stockwerksvereinigung und nimmt mit der Ge- von Informationen meinde Kontakt auf. Eine rechtliche Abklärung Leugnung/Verharmlosung zeigt, dass die Änderungen im Reglement nicht 1 von Völkermord Regelkonform vorgenommen wurden, was der Familie schliesslich ermöglicht, ihre Wohnung 0 20 40 60 80 100 120 140 160 180 200 220 240 260 wie geplant an die geflüchtete Familie zu ver- mieten.
16 Teil II – Analyse 17 Beschreibung der Diskriminierungsvorfälle Fallbeispiel N°15 Fallbeispiel N°13 Anti-Schwarzen- Gesundheitswesen: Rassismus: Patient Welche Feindbilder, Lag eine Mehrfach Ärztin verbreitet Ideen eines «biologi- will nicht von einem Zielgruppen und Ideologien diskriminierung vor? schen» Rassismus Arzt mit dunkler Hautfarbe behan- waren involviert? Ein binationales Paar besucht eine Frauen- arztpraxis, um den Schwangerschaftsver- delt werden lauf zu kontrollieren. Im Gespräch äussert sich die Frauenärztin abwertend über den In einer Arztpraxis ist es zu drei Zwischenfäl- Das Motiv der Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit ist mit 304 Nennungen am häufigs- In 144 Fällen, d.h. in fast jedem vierten Beratungsfall, stellten die Beratungsstellen zusätz- Nachwuchs von Eltern mit verschiedener len mit Patientinnen und Patienten gekommen, Herkunft. Sie behauptet, eine genetische ten vertreten. Das zweithäufigste Diskriminierungsmotiv ist Rassismus gegen Schwarze lich zur rassistischen Diskriminierung eine Mehrfachdiskriminierung fest. Diese bezog sich die sich weigern, vom stellvertretenden Arzt Mischung hätte medizinische Auswirkungen aufgrund seiner Hautfarbe behandelt zu wer- mit 206 Nennungen. Die Fälle Anti-Schwarzen Rassismus finden sich am häufigsten in überwiegend auf den Rechtsstatus mit 85 Nennungen, das Geschlecht mit 38 Nennungen auf die Schwangerschaft und das Baby. In den. Sie äussern sich abschätzig und respekt- den Lebensbereichen Arbeitsplatz (43), Bildung/Schule/KITA (29), öffentlicher Raum sowie die soziale Stellung mit 22 Nennungen. der nächsten Konsultation macht die Ärztin los. Der Praxisleiter möchte solches Verhalten (28), Polizei (21), öffentliche Angebote von Privaten (21) und Nachbarschaft/Quartier (20). weitere rassistische Aussagen. So bedient unterbinden und fragt bei der Beratungsstelle Weiterhin häufig sind die Beratungsfälle im Bereich Muslimfeindlichkeit mit 55 Meldun- sie sich etwa rassistischer Stereotypen über um Rat. gen sowie in der inhaltlich verwandten Kategorie der Feindlichkeit gegen Menschen aus asiatische und Schwarze Kinder. Daraufhin dem arabischen Raum mit 46 Nennungen. Muslimfeindlichkeit und Feindlichkeit gegen wechselt das Paar die Frauenärztin und wen- Die Beratungsstelle berät den Leiter und zeigt Mehrfachdiskriminierung det sich an die Beratungsstelle. Menschen aus dem arabischen Raum traten am häufigsten in der Nachbarschaft/im Quar- ihm auf, wie die Arztpraxis auf solche Vorfälle Anzahl Beratungsfälle: 572 (Mehrfachnennungen möglich) reagieren kann. Mit Unterstützung der Bera- tier (22), am Arbeitsplatz (19) und im öffentlichen Raum (15) auf. Die Beratungsstelle unterstützt Herrn C. beim Ver- tungsstelle stellt der Leiter am Eingang der Arzt- fassen eines Schreibens an die Ärztegesellschaft, praxis ein Plakat auf, auf dem festgehalten wird, welche den Fall der Ärzteaufsichtskommission dass diskriminierendes Verhalten in der Praxis Involvierte Feindbilder, Zielgruppen und Ideologien Keine Angaben 428 weiterleitet. Der Fall ist noch hängig. nicht geduldet wird. Anzahl Beratungsfälle: 572 (Mehrfachnennungen möglich) Rechtsstatus 85 Fallbeispiel N°16 Fallbeispiel N°14 Muslimfeindlichkeit: Ausländerfeindlichkeit/ Fremdenfeindlichkeit 304 Geschlecht 38 Rechtsextreme Beschimpfung Rassismus gegen Schwarze 206 Soziale Stellung 22 Inhalte in einer auf offener Strasse Chatgruppe Muslimfeindlichkeit 55 Behinderung 9 und im ÖV Eine Fachperson meldet, dass in einer Chat- gruppe von Jugendlichen Bilder mit obszö- Feindlichkeit gegen Menschen Sexuelle Orientierung oder Frau E. wird im öffentlichen Raum und im 46 4 nem, rassistischem sowie rechtsextremem aus dem arabischen Raum Geschlechtsidentität Inhalt verschickt werden. Ein Versuch der öffentlichen Verkehr wiederholt wegen ihres Fachperson, mit dem Gründer der Gruppe so- Kopftuches von einem Mann beschimpft. Der Rechtsextremismus 27 Alter 4 wie seiner Familie zu sprechen, ist erfolglos. Mann ruft laut, sie solle in ihr Land zurück- Die Fachperson ersucht die Beratungsstelle gehen, Islamisten hätten in der christlichen Feindlichkeit gegen Menschen um Unterstützung. Schweiz nichts zu suchen. Daraufhin will Frau 21 Politische Meinung 3 aus der Balkanregion E. bei der Polizei Anzeige erstatten. Da keine Die Beratungsstelle klärt die offenen Punkte strafbare Handlung wie Nötigung, Körperver- letzung oder Drohung vorliegt und der Täter Rechtspopulismus 18 0 40 80 120 160 200 240 280 320 360 400 440 mit der meldenden Fachperson. Nach Abspra- che nimmt die Beratungsstelle Kontakt mit der unbekannt ist, rät die Polizei von einer Anzeige Feindlichkeit gegen Menschen Mutter des beschuldigten Jugendlichen auf. Die ab. Frau E. wird nicht auf den Tatbestand der 10 aus der Mehrheitsgesellschaft Beratungsstelle bietet ihr konkrete Handlungs- rassistischen Diskriminierung hingewiesen. und Unterstützungsmöglichkeiten an. Die Schu- Am gleichen Abend schreibt sie dem zuständi- le interveniert und arbeitet den Vorfall auf. Die gen Polizisten eine Mail, um zu fragen, ob eine Antisemitismus 9 Chatgruppe wird gelöscht und der beschuldigte Anzeige wegen rassistischer Diskriminierung Jugendliche wird psychologisch betreut. Die Be- nach Art. 261bis StGB möglich sei. Eine Ant- wort erhält sie nicht. Frau E. ist empört und Nationalismus 6 ratungsstelle steht zur weiteren Unterstützung zur Verfügung. wendet sich an die Beratungsstelle. Anderes religiöses Feindbild 5 Da die Aussagen unter die Rassismusstrafnorm fallen, unterstützt die Beratungsstelle Frau E. Feindlichkeit gegen Franzosen dabei, eine Anzeige zu erstatten. Es wird ein in der Romandie 5 Verfahren eröffnet und der Beschuldigte identi- fiziert. Die Zuständige Staatsanwalt verurteilt Feindlichkeit gegen Deutsche den Beschuldigten wegen mehrfacher Rassen- in der Deutschschweiz 2 diskriminierung zu einer Busse und einer beding- ten Geldstrafe. Feindlichkeit gegen Roma, Sinti, Jenische 2 Religiöser Fundamentalismus 0 0 40 80 120 160 200 240 300 320
18 Teil II – Analyse 19 Betroffene Personen Welche Angaben gibt es Nationalität Gender 233 Männlich 116 Weiblich zu den betroffenen Personen? Schweiz 5 25 20 je Eritrea Syrien, Frankreich 241 Keine Angabe Regionale Herkunft Am häufigsten betreffen die erfassten Fälle Menschen mit europäischer Herkunft (168 Nennungen). 15 je Italien, Türkei 72 Keine Angabe Dies ist damit zu erklären, dass Personen italienischer, deutscher, portugiesischer, französischer, ko- sovarischer, spanischer, türkischer und serbischer Staatsangehörigkeit die Mehrheit der Menschen je 11 Afghanistan, Marokko 57 Weitere Nationalitäten 53 Doppelbürgerschaften Alter ohne Schweizer Pass in der Schweiz ausmachen. Zudem sind darunter auch zahlreiche Personen mit Schweizer Herkunft (87), die als «fremd» wahrgenommen und diskriminiert werden. Am zweithäu- 9 Tunesien figsten betreffen die erfassten Fälle Menschen afrikanischer Herkunft (148 Nennungen), gefolgt von Betroffenen aus dem Nahen Osten und Zentralasien (58). Auffallend ist, wie stark auch Menschen aus je 8 Brasilien, Deutschland, Kosovo Bis 16 Jahre 29 Eritrea (25) und Syrien (20) von rassistischer Diskriminierung betroffen waren und sich an eine Be- ratungsstelle gewandt haben. je 7 Algerien, Kamerun, Nigeria, Sri Lanka 17 – 25 Jahre 45 je 6 Bosnien-Herzegowina, Kongo, Libanon 26 – 65 Jahre 367 Regionale Herkunft der Betroffenen je 5 Äthiopien, Gambia, Guinea, Kenia, Kolumbien, Serbien, Spanien Älter als 65 Jahre 17 4 Ägypten, Albanien, China, Indien, 21 Keine Angabe Anzahl betroffene Personen: 479* je Irak, Senegal, Somalia, USA 3 Australien, Iran, Mauritius, Mexiko, Dominikanische Die Beratung wurde 2020 am meisten von weiblichen Betroffenen Nordamerika 8 87 Schweiz je Republik, Österreich, Palästina, Peru zwischen 26 und 65 Jahren aufgesucht. Übriges Rechtsstatus 31 Europa Nicht die Nationalität bzw. der Aufenthaltsstatus in der Schweiz, In der Regel werden die Beratungsstellen eher von Menschen mit sondern vielmehr die zugeschriebene «Andersartigkeit» ist aus- einem Schweizer Pass oder einem gefestigten Aufenthaltsstatus schlaggebend für eine Diskriminierung. So kommt es bezeich- aufgesucht als von Asylsuchenden, vorläufig Aufgenommenen oder 50 nenderweise auch zu diskriminierenden Handlungen gegen Sans-Papiers. Insbesondere für Sans-Papiers (darunter auch abge- Schweizerinnen bzw. Schweizer aufgrund ihrer Religion oder zuge wiesene und untergetauchte Asylsuchende) ist die Hemmschwelle schriebenen nicht-schweizerischen Herkunft. für die Inanspruchnahme einer Beratung in der Regel grösser, da EU Bei vorläufig aufgenommen Personen stellt sich nach einigen Jahren befürchtet wird, dass sich die Offenlegung des Status negativ auf Naher Osten Aufenthalt die Frage, inwieweit dieser Status an sich bereits einer die Aufenthaltssituation auswirken könnte. 58 Zentralasien strukturellen Diskriminierung gleichkommt. So finden diese Per- sonen aufgrund des prekären Aufenthaltsstatus nur mit Mühe eine 48 Wohnung oder eine Erwerbstätigkeit. 6 Rechtsstatus der Betroffenen CH-Pass 127 Anzahl betroffene Personen: 479 Zentralamerika Nordafrika 21 C (Niederlassungsbewilligung) 37 45 Asien/Pazifik B (Aufenthaltsbewilligung) 67 6 Ostafrika F (vorläufig Aufgenommene) 34 Karibik 46 5 B (Flüchtlinge) 14 Westafrika Zentralafrika N (Asylsuchende) 10 26 Sans-Papiers 8 Südamerika Ci (Aufenthaltsbewilligung mit Erwerbstätigkeit) 5 4 1 Ozeanien Schengenvisum 4 Südliches Afrika G (Grenzgängerbewilligung) 3 37 keine Angabe L (Kurzaufenthaltsbewilligung) 2 168 keine Angaben * Die Anzahl betroffener Personen unterscheidet sich von der Anzahl ratsuchender Betroffenen
20 Teil III – Thema Rassismus und Diskriminierung im Jahr 2020 21 Fallbeispiel N°19 Fallbeispiel N°17 Hasskommentare Fragwürdige Beitrag der Menschen kein Verhalten sei, das eine polizeiliche Kontrolle rechtfertige. Die Frage, ob Racial im Internet Profiling vorlag, blieb jedoch ungeklärt. Der Fall wurde von Mohamed Wa Baile an den Personenkontrolle Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte weitergezogen. Racial Profiling ist Herr J. berichtet von herabsetzenden und beleidigenden Äusserungen gegen Personen rechtsexpertin seit Jahren ein wiederkehrendes Thema, das auch das Beratungsnetz immer wieder beschäftigt. Herr R. wartet auf dem Zugperron auf seine Frau. Um ihr seinen Standort mitzuteilen, fo- Dr. Nora Refaeil tografiert er das Gleis mit seinem Natel. Als aus dem asiatischen Raum in der Kommen- sie in den Zug einsteigen, wird Herr R. von tarspalte eines Online-Artikels zur COVID- Schwarzenbach-Initiative zwei Polizisten kontrolliert. Herr R. zeigt ih- 19-Pandemie. nen das Zugbillet und seine Identitätskarte. Das Jahr 2020 markierte auch das fünfzigste Jubiläum der Schwarzenbach-Initiative. Die Frau fragt nach dem Grund für die Kon- Die Beratungsstelle prüft mit Herrn J. die Rechts- 1970 wollte James Schwarzenbach mit der «Volksinitiative gegen Überfremdung» eine trolle. Die Polizisten erklären, er sei auffäl- lage. Nach Einschätzungen der Stelle sind eini- Das Jahr 2020 war insbesondere geprägt von zwei Ereignissen, welche die Themen Begrenzung des Ausländeranteils auf maximal zehn Prozent der Wohnbevölkerung lig gewesen, weil er Fotoaufnahmen seines ge der Kommentare strafrechtlich relevant. Da Rassismus und Diskriminierung für die ganze Gesellschaft in den Vordergrund stell- in allen Kantonen erreichen. Diese fremdenfeindliche Bewegung und deren rassisti- Standorts gemacht habe. Das Paar ist über- die Redaktion auf Nachfrage die Kommentare ten. Hierbei handelte es sich einerseits um den Umgang mit und die Auswirkungen sche Vorstellung vom «Anderen», die an Abstammung und äusseren Merkmalen wie zeugt, dass eine «europäisch aussehende» nicht entfernt, erklärt die Beratungsstelle Herrn der COVID-19-Pandemie und andererseits um die Folgen der Black Lives Matter- Person nicht kontrolliert worden wäre. J. das rechtliche Vorgehen und ermutigt ihn, An- der Haut- und Haarfarbe festgemacht wurden, leben bis heute fort. So werden heute zeige gegen die Kommentierenden zu erstatten. Bewegung. Die beiden Ereignisse trafen überdies mit dem Jubiläum der Schwarzen- noch Personen mit ausländerrechtlichem Aufenthaltsstatus und Personen mit einem Das Paar verfasst eine Beschwerde an die Poli- bach-Initiative zusammen. tatsächlichen oder einem zugeschriebenen Migrationshintergrund einer Vielzahl von zei und wendet sich an die Beratungsstelle. Herr diskriminierenden Dynamiken ausgesetzt. Auch wenn die Schweiz eines der bedeu- R. möchte die kontrollierenden Polizisten treffen, Fallbeispiel N°18 Pandemie tendsten Immigrationsländer der Welt ist, wird Migration hierzulande nach wie vor als um ihnen ihr Fehlverhalten und die verletzen- de Wirkung aufzuzeigen. Die Beratungsstelle Herabwürdigende Die COVID-19-Pandemie stellt seit Anfang 2020 für die Gesellschaft eine extreme Her- Ausnahme gesehen. Dies führt dazu, dass Menschen, die seit Jahrzehnten hier leben und arbeiten noch immer als nicht dazugehörig gesehen und behandelt werden, was nimmt Kontakt mit der Polizei auf. Nur der für Behandlung ausforderung dar. Die Pandemie selbst wie auch der Umgang damit deckten insbesonde- re die in der Gesellschaft vorliegenden Ungleichheiten auf. Besonderen Anlass zur Sorge ihre Chancengleichheit auf Bildung, Arbeit und Zugang zum Recht stark beeinträch- Beschwerden zuständige Polizeivertreter willigt zu einem Gespräch ein. Der Beamte bietet dem tigt. Gemäss dem im März 2020 publizierten Bericht der Europäischen Kommission im Sprachkurs geben die mit der Pandemie zusammenhängenden strukturellen Benachteiligungen gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) ist Xenophobie denn auch die häufigste Form Paar an, zusammen mit der Beratungsstelle ei- nen Besuch bei der Polizei zu machen, um deren von Menschen mit Migrationshintergrund in den Bereichen Bildung, Gesundheit und von Diskriminierung in der Schweiz. Die ECRI stellt ausserdem einen starken Anstieg Beweggründe besser zu verstehen. Herr R. hatte Beim Deutschunterricht spricht die Aushilfs- Arbeit sowie deren Langzeitfolgen, die zur Zeit noch nicht ganz absehbar sind. eines muslimfeindlichen Diskurses fest ebenso wie im politischen Diskurs und im sich eine direkte Konfrontation mit den Polizis- lehrerin explizit zwei Frauen aus Italien auf Weiter wurden unter dem Deckmantel der Pandemie Menschen aufgrund ihrer Her- die COVID-19-Hygienenmassnahmen an Internet geäusserte Intoleranz gegen Roma, Jenische und Sinti/Manouches. ten erhofft, um den Vorfall abzuschliessen und kunft oder des Status unter Generalverdacht gestellt und es sind viele rassistische, seine Verletzung verarbeiten zu können. und fordert sie auf, die Hände gründlich zu waschen. Sie behauptet, es sei bekannt, wie diskriminierende, verletzende Hassreden gegen bestimmte Nationalitäten aufgefallen. Ausblick schlecht sich Italienerinnen und Italiener die So wurde die Schuld an der Pandemie häufig Menschen asiatischer Herkunft in die Hände waschen würden, weswegen sie jetzt Schuhe geschoben. Aber auch antisemitische Verschwörungstheorien und Holocaust- Das Jahr 2020 zeigte deutlich, dass die Themen Ausschluss, Rassismus, Diskriminie- so viele Corona-Fälle hätten. Relativierungen erhielten Auftrieb. rung aber auch Teilhabe, Repräsentation und institutioneller Wandel nicht nur einfach aktuell sind, sondern es für die Gesellschaft und Institutionen unumgänglich ist, sich Die Beratungsstelle nimmt mit der Leitung des Black Lives Matter (BLM) damit vertieft zu befassen. Kurses Kontakt auf, welche die Aushilfslehrerin auffordert, sich bei den Betroffenen zu entschul- Im privaten Bereich bleibt die Diskriminierung bei der Arbeit und beim Wohnen wei- digen. Da die Lehrerin in der Vergangenheit be- Die BLM-Bewegung, die nach dem Mord von George Floyd nationale Proteste gegen terhin ein zentrales Thema. Und es stellt sich die Frage, welche Art der Ausweitung reits negativ aufgefallen war, wird ihr die Stelle Polizeigewalt und systematischen Rassismus in den USA auslöste, bekam international des Diskriminierungsschutzes notwendig ist, um dieser Benachteiligung effektiv be- als Aushilfe gekündigt. Die Leiterin des Kurses breite Unterstützung – so auch in der Schweiz. Damit rückte unter anderem die Frage gegnen zu können. entschuldigt sich ebenfalls im Namen der Insti- in den Vordergrund, was die Ereignisse in den USA mit der Schweiz zu tun haben. Mit Die BLM-Bewegung untermauert die schon seit länger vorliegende Forderung, das tution bei den zwei betroffenen Frauen. Demonstrationen quer durch die Schweiz machten Aktivisten und Aktivistinnen auf die Selbstverständnis der Schweiz im Hinblick auf ihre Rolle im Kolonialismus kritisch zu Diskriminierung gegen Schwarze Menschen und Menschen of Color1 aufmerksam und durchleuchten. Eine wissenschaftliche Aufarbeitung hierzu ist essentiell. Gleichzeitig wiederholten ihre Forderung, diese Art von Rassismus auf individueller, aber auch struk- muss die Problematik des Racial Profilings ernst genommen werden. Die Forderung tureller und institutioneller Ebene, zu benennen und zu bekämpfen. Konkret fordern nach einer unabhängigen Beschwerdestelle, einem Quittungssystem und der Weiter- Expertinnen und Experten, Aktivistinnen und Aktivisten, Künstlerinnen und Künstler bildung für die Polizei bleiben weiterhin relevant. sowie die Wissenschaft, dass die konkrete Rolle der Schweiz in der europäischen Ko- Auch die Bildung muss einer genaueren Betrachtung unterzogen werden. Wie wer- lonialgeschichte untersucht werde, die heute noch Basis bildet für stereotype Bilder den Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen of Color in den Lehr- und in den Köpfen von Menschen, aber auch in Produkten, (Kinder- und Lehr-)Büchern, Lernmitteln dargestellt? Wie gehen Lehrpersonen und die Schülerschaft mit Vorurtei- Bildern, Bauten, Denkmälern etc. Diese Forderungen führten unter anderem dazu, dass len und Stereotypen um, die sich gegen vermeintlich «Andere» richten? Wie können die Migros die Süssspeise mit dem Name «M-…» des Herstellers Dubler aus ihren die heutigen Hindernisse in der Bildung angegangen werden, damit alle Kinder eine Regalen nahm oder dass eine Basler Fasnachtsclique ihren Namen änderte und dass Chance auf eine erfolgreiche Bildung haben? Eine umfassende Analyse der struktu- sich verschiedene Institutionen nun mit kolonialen Bildern und Denkmäler wie auch rellen Diskriminierung durch Schulinstitutionen wie auch der Lehr- und Lernmittel Schulmaterial auseinandersetzen. Gerade für die Schweiz, wo der Anti-Schwarzen-Ras- sowie eine anti-diskriminatorische und antirassistische Bildung und Weiterbildung sismus bis anhin weitgehend heruntergespielt und verneint wird, ist die schweizerische des Lehrkörpers drängt sich auf. Die Frage, wie der Hass in den Sozialen Medien BLM-Bewegung ein Weckruf. weitergetragen wird, ist ein Thema, das uns über den Schulraum hinaus weiter be- Auch das Thema Racial Profiling blieb in dieser Hinsicht aktuell. Das Verwaltungsge- schäftigen wird. Auch Anfang 2021 beherrscht die Pandemie unseren Alltag. Es ist un- richt des Kantons Zürich beurteilte die Kontrolle von Mohamed Wa Baile2 als rechts- abdingbar, dass die Folgen der Pandemie und die damit einhergehenden potentiellen widrig und hielt fest, dass das blosse «Abwenden des Blicks» am Hauptbahnhof Zürich Diskriminierungen weiterhin kritisch beobachtet und analysiert werden. 1 Menschen of Color / People of Color ist eine Selbstbezeichnung von Menschen, die Rassismus Dr. Nora Refaeil ist Advokatin, Mediatorin und Trainerin. Sie arbeitet als Lehrbeauf- erfahren. Die Bezeichnung zielt darauf ab, die unterschiedlichen Gruppen, die vielfältige Formen von tragte an der Juristischen Fakultät der Universität Basel und ist Vizepräsidentin der Rassismus ausgesetzt sind, zu vereinen, um so Kräfte zu bündeln und gemeinsam gegen Rassismus zu Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus. kämpfen (vgl. www.verein-diversum.ch > woerterbuch). 2 www.humanrights.ch > droits humains > accès à la justice > Délit de faciès: Le Tribunal fédéral confirme le jugement de Wa Baile
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