US-Investoren: Löhne senken in Europa! - Post-Konzern: Die Bundesregierung will Deutschland und die EU "wettbewerbsfähiger" machen - Welt der Arbeit

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US-Investoren: Löhne senken in Europa!
          Post-Konzern: Die Bundesregierung will Deutschland
               und die EU „wettbewerbsfähiger“ machen.

Werner Rügemer

Bis zu 20.000 Beschäftigte will die Deutsche Post jetzt in die niedrigeren
Tarife der Logistikbranche abschieben. 2015 hat der Vorstand dafür 49
Tochterfirmen unter dem Dach der Delivery GmbH gegründet. In diversen
Hotels werden den meist befristet Beschäftigten die neuen Arbeitsverträge
vorgelegt: Unterschreib oder dein bisheriges Arbeitsverhältnis läuft aus!
Unterzeichner durften die Verträge nicht nachhause mitnehmen, wurde
berichtet.1 Das ist rechtswidrig. Die Fremdvergabe innerhalb des Konzerns
verletzt auch eine Vereinbarung mit der Gewerkschaft verdi, so Andrea
Koscis, die für die Gewerkschaft im Aufsichtsrat sitzt.2 Schon bisher hat die
Post 10.800 Subunternehmen beauftragt, die mit ihren prekären Billigar-
beitsplätzen den Konzerngewinn steigern, und dort fühlt sich der Post-
Konzern nicht für die Einhaltung wenigstens des Mindestlohn-Gesetzes
verantwortlich. Und die Bundesregierung billigt das.

Die Privatisierung der Bundespost

Die Bundespost, die nie Verluste machte, sondern zu den verläßlichen Ein-
nahmequellen der Bundesrepublik zählte, sollte trotzdem privatisiert wer-
den. Die Deutsche Post DHL AG gehörte nach ihrer Privatisierung 1995
unter CDU-CSU-FDP und Bundeskanzler Helmut Kohl noch ganz dem
Staat.3 Unter der Regierung von SPD und Grünen unter Bundeskanzler
Gerhard Schröder begann die staatliche Kreditanstalt für Wiederaufbau
(KfW) im Jahre 2000, die Aktien zu verkaufen. Beim ersten Börsengang
gingen 29 Prozent der Aktien vor allem an angelsächsische Investoren.
Das gehörte zur Programmatik der „rot-grünen“ Bundesregierung. Das
Stichwort hieß „Entflechtung der Deutschland AG“: Die jahrzehntelange
enge Verbindung zwischen den drei deutschen Großbanken Deutsche
Bank, Dresdner Bank, Commerzbank und des Versicherungskonzerns Alli-
anz mit den großen deutschen Unternehmen sollte aufgelöst werden. Die
Banken waren sowohl Hauptkreditgeber von Siemens, Holzmann, Bayer,
RWE, Thyssen usw. wie auch gleichzeitig deren Großaktionäre. Deutsche
Bank und Allianz hielten gegenseitige Aktienpakete.
Für die Investoren aus den USA und England galt Deutschland deshalb als
„kranker Mann Europas“. Sie forderten Deregulierung, um wieder Wachs-
tum zu ermöglichen – wie gesagt: Die Bundespost war kerngesund. Schrö-
der als Transatlantiker übernahm die interessegeleiteten Horrormärchen:
Der Standort Deutschland muss wettbewerbsfähig werden! Dazu gehörte
nicht nur die Senkung der Löhne und der Abbau des Sozialstaats, sondern
auch die Öffnung für neue Investoren. Die deutschen Banken und die Alli-
anz wurden angereizt, ihre Aktien deutscher Unternehmen zu verkaufen:
Die Schröder-Regierung stellte die Verkaufserlöse steuerfrei.
Schrittweise kauften und kaufen sich vor allem angloamerikanische Inves-
toren seitdem als Eigentümer in wichtige Unternehmen am Standort

1
  Post soll dubiose Verträge angeboten haben, Die Welt 2.2.2015
2
  Der gelbe Riese auf Tarifflucht, verdi publik 1/2015
3
  DHL ist das US-Logistikunternehmen, das vom Postkonzern aufgekauft wurde und seit
2009 Namensbestandteil ist.

                                                                                      1
Deutschland ein. Das betrifft nicht nur die börsennotierten Unternehmen,
darunter alle 30 DAX-Konzerne, sondern auch den lukrativen Mittelstand.4

Wem gehört die Deutsche Post?

Beim Post-Konzern ist der Staat mit 21 Prozent noch größter Einzelaktio-
när. Das Unternehmen mit dem Namen Deutsche Post ist aber weder
deutsch noch ein Postunternehmen: Es ist nach eigenem Anspruch der
größte Logistik-Dienstleister der Welt, zu Luft, zu Wasser, zu Erde, auf al-
len Kontinenten. Und er gehört mehrheitlich Eigentümern außerhalb des
Territoriums Deutschland.
Inzwischen ist der größte Kapital-Management-Konzern der Welt, der ehe-
malige US-Hedgefonds Blackrock, nach dem deutschen Staat der zweit-
größte Post-Eigentümer. Privat- und Kleinanleger halten 11,2 Prozent. Die
Mehrheit von 67 Prozent gehört Investoren aus den USA und Großbritan-
nien – wobei London oft nur der juristische Standort für US-Investoren ist.
Nach Blackrock rangiert Capital Group, dann folgen u.a. die Norwegische
Nationalbank, Lyxor International, Vanguard Group, Henderson Global In-
vestors, Artisan Partners.
Nun meinen manche Leute, auch solche marxistischen Anspruchs und vie-
le Gewerkschafter: Die Anteile dieser Investoren seien doch so gering und
flüchtig, dass sie auf das „operative Geschäft“ – also zum Beispiel auf die
Gestaltung der Arbeitsverhältnisse – gar keinen Einfluss nehmen, auch gar
nicht nehmen wollen. Das könnte dem ersten Anschein nach so sein.
Blackrock hält 5,48 Prozent, Capital Group 3 Prozent, die norwegische Na-
tionalbank 1,85 Prozent, Lyxor 1,35 Prozent und so weiter. Außerdem än-
dern sich diese Anteile teilweise sehr schnell. Zum Beispiel war Blackrock
im Jahre 2012 mit 3,18 Prozent am Postkonzern beteiligt, Ende 2014 mit
5,99 Prozent, Anfang 2015 mit 5,48 Prozent.
Die Sache wird noch einmal dadurch verkompliziert, dass diese Investoren
ihre Anteile weiter aufspalten. So verteilen sich die 5,48 Prozent von
Blackrock auf acht Blackrock-Fonds, die zudem ihren rechtlichen Standort
in einer Finanzoase haben: Blackrock Holdco2, Blackrock Financial Mana-
gement, Blackrock Advisors Holding, Blackrock International Holdings,
Blackrock Jersey International Holdings, Blackrock Group Limited,
Blackrock Investment Management (UK) und Blackrock Management
Deutschland AG (Stand Ende 2014).

Wie üben Blackrock & Konsorten ihren Einfluss aus?

Natürlich haben solche Investoren nicht die Zeit, in jeden Zukauf eines an-
deren Postunternehmens in einem anderen Staat oder in die Gründung
einer Post-Tochtergesellschaft einzugreifen wie jetzt bei den 49 Delivery-
Subunternehmen in Deutschland.
Aber die Investoren bestimmen erstens die allgemeine Richtung. So setzte
Larry Fink, der Blackrock-Chef, die Wahl von Anshu Jain gegen Josef A-
ckermann als neuen Chef der Deutsche Bank durch, obwohl Blackrock hier
auch nur gut 5 Prozent der Aktien besitzt.
Zweitens treiben diese Investoren die weitere Finanzialisierung der Unter-
nehmen voran. Das heißt: Diese Investoren, die Kapital von Konzernen,
reichen Unternehmer-Clans, Zentralbanken und von Staats- und Konzern-
Pensionsfonds mehren, sind an möglichst hohen Dividenden-
Ausschüttungen interessiert; zudem müssen die Vorstände der Unterneh-
men wie der Deutschen Post so agieren, dass die Aktien für Spekulationen

4
    Werner Rügemer: Deutsches Kapital? Gibt es das (noch)?, Zeitschrift Z 95/2013

                                                                                    2
der verschiedensten Art geeignet sind, sowohl für Ansteigen wie Absteigen
des Kurswertes. Lohnsenkungen dienen dem Ansteigen des Kurswertes –
vorher kann Blackrock als Insider eigene und andere Aktien verkaufen, um
sie später mit gesteigertem Wert wieder zu kaufen.
Drittens ist Blackrock nicht nur Miteigentümer, sondern bietet auch die ver-
schiedensten Beratungsdienste an.
Viertens sind diese Investoren untereinander vernetzt. So ist auch der
Fonds Deutsche Asset & Wealth Management Miteigentümer des Post-
Konzerns; der Fonds gehört der Deutschen Bank, in der wiederum
Blackrock der größte Eigentümer ist. Und der Post-Miteigentümer Norwegi-
sche Nationalbank ist wiederum Miteigentümer von Blackrock.
Fünftens ist Blackrock wichtiger Berater der US-Regierung und beispiels-
weise der Europäischen Zentralbank (EZB) und ist – zusammen mit seinen
Eigentümerschaften an Tausenden von Unternehmen auf allen Kontinenten
– auch auf der politischen Ebene einer der wichtigsten Insider und Mitge-
stalter der globalen Finanz- und Wirtschaftsverhältnisse.
Durch diese Vernetzung – zugestanden: sie ist verwirrend - können diese
Investoren einen viel größeren Einfluss ausüben als es auf den ersten Blick
erscheint.

Der Blackrock-Filz im Aufsichtsrat

Der deutsche Staat, vertreten durch das Bundesfinanzministerium, ist zwar
mit seinen 21 Prozent immer noch der Hauptaktionär des Post-Konzerns.
Er verzichtet aber auf ihm zustehende Posten im Aufsichtsrat. Er stellt dort
mit zwei Vertretern nur eine kleine Mitläufer-Minderheit: Der verbeamtete
Staatssekretär Werner Gatzer (SPD) vom Finanzministerium sitzt hier seine
Zeit ab, wenn er nicht ebenso ahnungslos namens des deutschen Staates
im Aufsichtsrat des Flughafens Berlin-Brandenburg GmbH (BER) seine Zeit
zum Schaden der Steuerzahler totschlägt.5 Der zweite Staatsvertreter ist
Ulrich Schröder, Chef der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW),
die die staatlichen Post-Aktien verwaltet.
Die weiteren Mitglieder des Aufsichtsrates sind ebenso nicht den Post-
Beschäftigten und den Bürger-Endkunden verbunden. Henning Kagermann
ist Vorstandsmitglied von SAP; Simone Menne ist Vorstandsmitglied der
Deutschen Lufthansa; Stefan Schulte ist Vorstandsvorsitzender des Flug-
hafenunternehmens Fraport: An diesen drei Unternehmen ist Blackrock
ebenfalls Miteigentümer.
Aufsichtsratsmitglied Elmar Toime betreibt die Finanzberatungsfirma E
Toime Consulting mit Sitz in London; er selbst ist an der Postea Group in
den USA, an Blackbay in Großbritannien und an den Postal Services des
Scheichtums Katar beteiligt. Postea und Blackbay sind darauf spezialisiert,
Post- und Logistikdienste zu optimieren und kostengünstige Subunterneh-
men zu gründen, Niedriglöhnerei eingeschlossen. Davon kann auch der
Post-Konzern profitieren.
Zu den weiteren Mitgliedern des Aufsichtsrats zählt Thomas Kunze des
Nahrungsmittelkonzerns Danone, Roland Oetker mit der Investmentfirma
ROI und Katja Windt, Professorin für Global Production Logistics an der
privaten Jacobs University in Bremen.
Auch er soll nicht vergessen werden: Vorsitzender des Aufsichtsrates ist
Zumwinkels McKinsey-Kumpel Wulf von Schimmelmann. Er tut nebenbei
noch was im Aufsichtsrat u.a. der US-Unternehmensberatung Accenture,

5
    Daniel Delhaes u.a.: Rat der Ahnungslosen, Handelsblatt 10.1.2013

                                                                          3
wenn er nicht seinem Segel-Hobby an seinem Wohnsitz auf den Bahamas
nachgeht.6
Die Arbeitnehmer-Vertreter im Aufsichtsrat sind an strategischen Entschei-
dungen nicht beteiligt. Sie sind seit Beginn der Privatisierung in der Defen-
sive und versuchen, die brutale Umstrukturierung der Arbeitsverhältnisse
möglichst abzubremsen, wenigstens in Deutschland.

EU-Arbeitskosten müssen sinken!

Schon SPD-Kanzler Schröder hatte mit der Wall Street die Agenda 2010
abgestimmt, die durch Niedriglöhne und Deregulierung Deutschland „wett-
bewerbsfähiger“ machte. Seit der „Finanz“krise betet Finanzminister Wolf-
gang Schäuble wieder nach derselben Gebetsmühle: „Die EU muss wett-
bewerbsfähiger werden“, „Deutschland muss wettbewerbsfähiger werden“,
„Griechenland muss wettbewerbsfähiger werden.“ Schäuble, der Fetischist
der „Schwarzen Staats-Null“, wurde gegenüber den „Märkten“ in New York
deutlicher: Er will weitere Staats-Aktien verkaufen, nicht nur der Post, son-
dern auch des Telekom- und des Bahn-Konzerns.7
Der Zeitpunkt dafür ist noch nicht festgelegt. Denn die Braut muß noch
schön hergerichtet werden. Daher gehört die Abschiebung der 20.000 Be-
schäftigten in die Niedriglöhnerei am Standort Deutschland zur „Strategie
2020“. Post-Vorstandschef Frank Appel forciert damit vor allem die Expan-
sion in den großen Niedriglohngebieten der Erde wie Indien, Südamerika
und der Türkei, die Gewinne sollen um jährlich acht Prozent auf dann fünf
Milliarden steigen.8
Schäuble und Appel sind das öffentliche Gesicht der öffentlich weithin un-
bekannten Investoren. Deren mächtigere Handlanger sprechen (manchmal)
konkreter. „Arbeitskraft ist in der EU im Schnitt etwa zweimal so teuer wie in
den Vereinigten Staaten“, stellt Ray Dalio fest. Der Milliardär, Chef des
weltgrößten Hedgefonds Bridgewater, „sorgt sich um die Zukunft Europas“.
Er möchte für seine Kunden - Konzerne, Banken, Zentralbanken, Vermö-
gens- und Pensionsfonds – mehr in der EU investieren. „Deshalb muss
Europa dringend wettbewerbsfähiger und weniger bürokratisch werden.“
Dafür sieht Dalio schon bessere Chancen in den Krisenstaaten Italien,
Spanien und Frankreich. Dort seien „die politischen Führer schon mutiger
und aufgeschlossener“ für Reformen.9 Da wissen IWF-Chefin Christine La-
garde, Schäuble und EU-Kommissions-Präsident Jean-Paul Juncker, wo es
langgeht.
In der Öffentlichkeit wird das Theater „Verhandlungen zum Freihandelsab-
kommen TTIP“ und zum Dienstleistungsabkommen TISA aufgeführt. Ar-
beitsrechte und Arbeitsbedingungen sind ausgeklammert – während an-
derswo die Entscheidungen fallen. Mit TTIP würden allerdings die niedrige-
ren Arbeitsrechtsstandards und Gewerkschaftsrechte in den USA noch
stärker auf Europa durchschlagen – schon jetzt profitieren der Post-
Konzern wie etwa die Autokonzerne VW, Daimler und BMW in ihren US-
Niederlassungen davon.

Zumwinkels unfreies Forschungs-Institut

Als die Bundesregierung 1995 die Deutsche Post in eine Aktiengesellschaft
umwandelte, berief sie Klaus Zumwinkel zum Vorstandsvorsitzenden. Er

6
  Mehr Zeit für die Bahamas, Süddeutsche Zeitung 19.5.2010
7
  German Governments mulls Changes to Privatization Plan, Reuters 12.11.2014
8
  Strategie 2020: Deutsche Post setzt auf Schwellenländer, Wirtschaftswoche 2.4.2014
9
  Europa bleibt nur noch wenig Zeit, Handelsblatt 16.2.2015

                                                                                       4
gehörte zuvor zur Unternehmensberatung McKinsey, zuletzt als Miteigen-
tümer und Mitglied der Weltgeschäftsführung. Er wurde unter Bundeskanz-
ler Kohl zum Top-Privatisierer der großen Bundesunternehmen, deshalb
agierte er auch in den Aufsichtsräten von Lufthansa, Deutsche Telekom
und Deutsche Postbank.
1998 gründete Zumwinkel das Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) und be-
rief Klaus Zimmermann zu dessen Direktor. Das IZA tritt seitdem für die
typischen Unternehmerforderungen ein wie Ausweitung des Niedriglohn-
sektors, größere „Flexibilität“ der Beschäftigten, Anhebung des Renten-
Eintrittsalters und workfare (Zwangsarbeit für Arbeitslose).
Zumwinkel wurde wegen jahrelanger persönlicher Steuerhinterziehung zu
zwei Jahren Gefängnis mit Bewährung verurteilt. Die im Verhältnis zur
Schwere seiner kriminellen Handlungen nur geringe Strafe beruhte auf ei-
ner Gefälligkeit der Justiz. Ein Bedauern oder Schuldbekenntnis war von
ihm nicht zu vernehmen.
Man darf die Arbeitshypothese aufstellen, dass er das, was er für sich
selbst mit professioneller Umsicht organisierte (Stiftung in Liechtenstein,
Kontoauszüge nur an seinen italienischen Wohnsitz auf Burg Tenno am
Gardasee), zur Gewinnsteigerung auch für den Konzern einsetzte. Solche
„Steuergestaltungen“ gehören zu den honorierten Aufträgen der großen
Wirtschaftsprüfer-Gesellschaften. Natürlich hat der Postkonzern den größ-
ten kriminellen Wirtschaftsprüfer unter Vertrag, Price Waterhouse Coopers
(PWC). Aus der Finanzoase Luxemburg hilft der mit 2000 Beratern, US-
und europäischen Konzernen Steuern zu hinterziehen.10
Zumwinkel musste wegen seiner persönlichen Steuerhinterziehung von
seinen Funktionen in den genannten Unternehmen, aus dem Verwaltungs-
rat von Morgan Stanley und aus den Präsidien der BDA und des BDI aus-
scheiden. Aber er blieb Präsident sowohl des IZA wie auch der Deutsche
Post-Stiftung, die das IZA finanziert. Das ist auch heute noch so. Das
Hamburger Landgericht urteilt, dass über das IZA gesagt werden darf, es
bezeichne sich „faktenwidrig“ als unabhängig, und von freier Wissenschaft
könne „beim besten Willen nicht gesprochen werden“.11
Trotzdem oder eben deshalb unterstützte das IZA und überwacht weiter die
Hartz-Gesetze, liefert seit Kanzler Schröder Gutachten für die deutschen
Bundesregierungen, für die Europäische Kommission und für die Weltbank.
Das IZA bewegt sich mit seinem Direktor Zimmermann im Milieu der Ar-
beitgeberverbände und wird zusätzlich von Unternehmens-Stiftungen wie
von Bertelsmann, Thyssen und VW finanziert. Post-Großaktionär Blackrock
mischt auch hier mit: Sein Mitarbeiter Patrick Liedtke ist Mitglied des IZA-
Gremiums „Policy Fellows“.12
IZA tritt dafür ein, dass nach der vorbildlichen Agenda 2010 in Deutschland
für die ganze EU die Agenda 2020 folgt. Das Institut führt zwar keine Auf-
träge des Post-Konzerns aus, die Parallelen zu den Arbeitsverhältnissen im
Konzern sind aber nicht zu verkennen.

Bundesregierung deckt weltweite Arbeitsrechts-Verletzungen

Mit der Privatisierung und schon vor dem Börsengang begann die asoziale
Aufspaltung der Belegschaft. Ex-McKinsey-Manager Zumwinkel beauftrag-
te dafür seine früheren Kollegen als Berater. Die Gehälter und Boni der
10
   Luxemburg Leaks: Klicken Sie sich durch die Geheimdokumente, Süddeutsche Zeitung
5.11.2014
11
   Thomas Barth: Neoliberaler Think Tank unter Druck, Telepolis 17.2.2015; Norbert Hae-
ring: Zumwinkels forsche Forscher. Der einstige Postchef leitet eine höchst intransparente
Stiftung, die Ökonomen mit einer klaren Agenda finanziert, Handelsblatt 19.1.2015
12
   www.iza.org/policyfellow, abgerufen 3.3.2015

                                                                                         5
Manager stiegen, besonders hoch stiegen sie bei den Mitgliedern des Vor-
stands, während die Einkommen der unteren Beschäftigtengruppen ständig
weiter abgesenkt werden: Leiharbeit, Teilzeitarbeit, befristete Arbeit, Mini-
jobs, ständige Herabstufung der Einstiegsgehälter, Ausweitung von nicht-
bezahlten Überstunden, Kettenverträge, Ausgliederung in Tochtergesell-
schaften und in Subunternehmen.
Etwa 9.000 Beschäftigte sind „Abrufkräfte“: Sie müssen wie Tagelöhner
arbeiten. Für sie gilt weder ein Urlaubsanspruch noch die Lohnfortzahlung
im Krankheitsfall. Die Ausweitung solcher prekären Arbeitsplätze wider-
spricht zwar einer Betriebsvereinbarung mit der Gewerkschaft verdi, aber
das ist für den Konzernvorstand kein Hindernis. Auch Rechtsbrüche gehö-
ren zur Postpraxis, etwa wenn Überstunden gegen Krankheitstage ver-
rechnet werden. Nirgendwo sonst ist der Krankenstand mit 9 Prozent so
hoch wie bei Briefzustellern.13
2014 betrug die Zahl der vom Konzern beauftragten Subunternehmer allein
in Deutschland 10.800: Sie übernehmen diverse Aufgaben, z.B. leeren sie
Briefkästen, transportieren Ladungen zwischen Briefzentren.14 Natürlich
kann dabei der Konzern nicht darauf achten, dass die Subunternehmer
oder die Subunternehmer der Subunternehmer jetzt den Mindestlohn zah-
len, denn die gegeneinander erpressten Subunternehmer sind ja rechtlich-
marktwirtschaftlich „selbständige Unternehmen“, in die von oben nicht rein-
regiert werden dürfe.15
So wird ganz nebenbei, mit Absicht und schrittweise die Möglichkeit der
Beschäftigten untergraben, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Massiver
noch geht der Konzern mit denen um, die noch schwächer und ärmer sind.
In Delhi und Kalkutta wurden Gewerkschaftsmitglieder diskriminiert, nur
weil sie sich für Rechte eingesetzt haben, die in Indien gesetzlich geschützt
sind. Ein Gewerkschaftsaktivist wurde 150 Kilometer weit von seiner Fami-
lie versetzt, „aus operativen Gründen“. Zur Rechtfertigung hieß es: „Alle
Mitarbeiter haben Versetzungs- und Transferklauseln im Arbeitsvertrag.“
Kuriere verdienen dort 150 Euro im Monat.16
Sobald sich jemand um die Arbeitsverhältnisse in ausländischen Niederlas-
sungen des Post-Konzerns kümmert, werden Verletzungen der ILO-
Arbeitsrechtsstandards, des UN Global Compact, der OECD-Leitsätze und
nationaler Gesetze bekannt. In Kolumbien unterhält der Konzern 26 Filia-
len, zwei Drittel der Beschäftigten sind Leiharbeiter. 60 Stunden-Wochen
ohne Bezahlung von Überstunden sind nicht selten. Lügendetektoren bei
Mitarbeitern wurden durch Ex-Militärs eingesetzt. Die Post DHL verhält sich
auch in der Türkei „hochgradig gewerkschaftsfeindlich“.17
Auf die Anfrage der Linkspartei zu den Arbeitsverhältnissen bei der Post
antwortete die Regierung: Aus der Stellung als Hauptaktionär „ergeben sich
keine Rechte und Pflichten zur Erforschung der erfragten Sachverhalte.“18

Erstveröffentlichung des Beitrages im April in Heft 2/2015 der Zeitschrift „Hinter-
grund“. www.hintergrund.de

13
   Wehr.di, Zeitung der Betriebsgruppe Brief Freiburg 3/2014, S. 2 – 4; vgl. die website der
Beschäftigten bei Post-Subunternehmen: http://dhl.betriebsgruppe.blogsport.eu/werwirsind/
14
   Deutsche Post-Konzerne lagern immer mehr Arbeit aus, Focus.de/finanzen/news
14.4.2014, abgerufen 2.3.2015
15
   Arne Lorenz: Immer Ärger mit der Post, ZDF 11.2.2015
16
   Arne Lorenz ebenda
17
   Knut Henkel: Die Gewerkschaft als Feind, Magazin Mitbestimmung 3/2013; Internatio-
nal Transport Workers Federation: DHL-Verhalten in der Türkei „Katalog der Schande“,
2.11.2012
18
   Kenntnis der Bundesregierung über die Arbeitsbedingungen bei der Deutschen Post AG,
Bundestagsdrucksache 18/3796, 21.1.2015

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