Veränderungen im Job: Outplacement

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Veränderungen im Job: Outplacement
Mit Outplacement bezeichnet man "eine von Unternehmen finanzierte Dienstleistung für aus-
scheidende Mitarbeiter, die als professionelle Hilfe zur beruflichen Neuorientierung angebo-
ten wird, bis hin zum Abschluss eines neuen Vertrages oder einer Existenzgründung" (Wi-
kipedia). Wir treffen in unseren Outplacement-Beratungen immer auf einzelne Personen mit
individuellen Geschichten. Aber auch wenn jeder Outplacement-Fall anders ist, erleben alle
den Verlust des Arbeitsplatzes als Krise. Alle Outplacement-Klienten müssen lernen, mit der
Krise umzugehen und das Beste daraus zu machen. Auch wenn sie dabei durch professio-
nelle Beratung unterstützt werden, sind sie jedoch letztlich auf sich selbst zurückgeworfen.

Statistische Stabilität und subjektive Verunsicherung

Outplacement ist aber auch ein Indikator für die Flexibilisierung und Mobilisierung des Ar-
beitsmarkts. Weil Outplacement dazu dienen soll, Trennungen möglichst diskret für beide
Seiten zu gestalten, gibt es keine offiziellen Statistiken. Immerhin meldete die Outplacement-
Branche für das Jahr 2012 ein Umsatzwachstum von 16,5% und geht für das laufende Jahr
2013 von vergleichbaren Wachstumsraten aus – trotz der stabilen Wirtschaftslage.1 Stei-
gende Umsatzzahlen beim Outplacement könnten darauf hinweisen, dass die Flexibilität und
Mobilität auf dem Arbeitsmarkt zunimmt, besonders wenn man davon ausgeht, dass es au-
ßerdem eine Dunkelziffer für reine Abfindungslösungen ohne Beratung geben dürfte.

Statistisch gesehen gibt es momentan jedoch kaum Hinweise auf einen Anstieg der Mobilität
auf dem Arbeitsmarkt in Deutschland. Die Arbeitslosigkeit in Deutschland ist bekanntlich im
europäischen Vergleich sehr niedrig. Aber auch die Anzahl der Bezieher von Transferkurzar-
beitergeld stieg lediglich konjunkturbedingt während der Wirtschaftskrise an; unmittelbar
nach dem Ende der Krise pendelte sie sich wieder auf das Vorkrisenniveau zwischen bun-
desweit 10.000 und 12.000 Beziehern ein.2

Aber sowohl die Dauer der Betriebszugehörigkeit als auch die Arbeitskräfte-Fluktuationsrate
sind in den letzten Dekaden einer Studie des IAB zufolge stabil geblieben.3 Die durchschnitt-
liche Betriebszugehörigkeit lag danach in Deutschland im Zeitraum zwischen 1992 und 2008
stabil bei ca. 10 Jahren. Auch die Fluktuationsrate, die die Anzahl der Ein- und Austritte in-
nerhalb eines Jahres ins Verhältnis zur durchschnittlichen Zahl der Beschäftigten setzt, lag in
diesem Zeitraum in Deutschland konstant bei ca. 30%. Deutschland gehört damit zusammen
mit Italien und Frankreich zu den "stabilen" Ländern Europas, während Dänemark, Großbri-
tannien und Spanien sich durch eine hohe Arbeitsmarktmobilität auszeichnen.

Die Studie des IAB gibt trotz der stabilen Zahlen bei der Beschäftigungsdauer und der Fluk-
tuationsrate jedoch keine komplette Entwarnung. Sie weist darauf hin, dass "es in Deutsch-
land Anzeichen dafür [gibt], dass die subjektiv empfundene Beschäftigungssicherheit seit
2001 abgenommen hat [...]. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass die Beschäftigten durch
die Arbeitsmarktreformen verunsichert wurden. Aber auch der Anstieg der Befristungsquote
könnte dabei eine Rolle spielen – ein befristet Beschäftigter nimmt seine Situation fast
zwangsläufig als unsicher wahr, selbst wenn sein Vertrag längerfristig ist oder wiederholt er-
neuert wird."4 Die Studie spielt hier auf die in der Öffentlichkeit breit diskutierten "atypischen
Beschäftigungsformen" an, zu denen neben der Befristung die Teilzeitarbeit und die Arbeit-
nehmerüberlassung gezählt werden. Eine Sonderrolle bei diesen Beschäftigungsformen hat

1 OUTPLACEMENTintern 1/2013, 1.
2 Statistik der Bundesagentur für Arbeit zum Kurzarbeitergeld, Stand November 2013: http://statistik.arbeitsagen-
tur.de/nn_32018/SiteGlobals/Forms/Rubrikensuche/Rubrikensuche_Form.html?view=processForm&re-
sourceId=210368&input_=&pageLocale=de&topicId=255298&year_month=aktuell&year_month.GROUP=1&se-
arch=Suchen.
3 Rhein, Thomas (2010): Beschäftigungsdynamik im internationalen Vergleich: Ist Europa auf dem Weg zum

"Turbo-Arbeitsmarkt"? (IAB-Kurzbericht 19/2010: http://doku.iab.de/kurzber/2010/kb1910.pdf).
4 Rhein (2010), 6.
Benedikt Jürgens: Veränderungen im Job. Outplacement

die Teilzeitarbeit. Sie dient dazu, die Flexibilität von Arbeitnehmern zu erhöhen, um Berufs-
und Privatleben besser miteinander verbinden zu können. In der Praxis wird diese Beschäfti-
gungsform deshalb nach wie vor in erster Linie von Frauen gewählt. Im Unterschied zur Teil-
zeitarbeit dienen Befristungen und Arbeitnehmerüberlassung dazu, die Flexibilität von Unter-
nehmen zu erhöhen, die auf Wettbewerbsdruck und volatile Auftragslagen reagieren müs-
sen. Die für Unternehmen erstrebenswerte und auch notwendige Flexibilität führt zu einer
Zunahme der Verunsicherung auf Arbeitnehmerseite.

Die subjektiv empfundene Verunsicherung spitzt sich natürlich dramatisch zu, wenn jemand
seinen Arbeitsplatz verliert. Auch wenn diese Verunsicherung statistisch tatsächlich nicht
nachweisbar sein sollte, wird sie in dieser Situation für jeden einzelnen Betroffenen konkret
und real.

Jobverlust als Symptom für Modernisierungsprozesse

Im Jobverlust zeigt sich in besonderem Maße die Ambivalenz eines Versprechens der mo-
dernen Gesellschaften: ein eigenes Leben führen zu können. Was auch immer die Men-
schen in westlich geprägten Gesellschaften antreibt, seien es Geld, Arbeitsplatz, Macht,
Liebe oder Gott, dahinter stehen – so der Soziologe Ulrich Beck – "die Verheißungen des ei-
genen Lebens. Geld meint eigenes Geld, Raum meint eigenen Raum, eben im Sinne ele-
mentarer Voraussetzungen, ein eigenes Leben zu führen."5 Menschen, die ihren Job verlie-
ren, kommen aber gerade nicht in den Genuss eines eigenen Lebens. Vielmehr werden sie
unfreiwillig und gegen ihren Willen in die Situation versetzt, in eigenes Leben führen zu müs-
sen. Schmerzhaft wird ihnen bewusst, dass sie kein selbstbestimmtes Leben (mehr) führen
können, sondern zumindest zeitweise ein "eigenes Leben unter Bedingungen [führen müs-
sen, BJ.], die sich weitgehend ihrer Kontrolle entziehen." 6 Gerade weil man bei einem Job-
verlust nicht weiß, wie lange die Suche nach einem neuen Job dauert, ist die "Freisetzung"
kein Zugewinn an persönlicher Freiheit, sondern vielmehr eine Zumutung.

Zu einem "eigenen Leben" gehört auch die Freiheit von gesellschaftlichen Erwartungen und
Zwängen. Die persönliche Lebensgestaltung soll frei von Kontrollen und Vorgaben sein. Wer
seinen Job verliert, macht jedoch die Erfahrung, dass sein eigenes Leben von der Entschei-
dung einer Institution abhängt. Statt frei und unabhängig sein Leben zu gestalten, zwingt ihn
der Jobverlust dazu, sein eigenes Leben zu organisieren. Selbstorganisation und Selbstthe-
matisierung entspringen nicht dem eigenen Antrieb, sondern werden vorgegeben. Auf diese
Weise verändern sich auch die Biografien: "Die Normalbiographie wird zur Wahlbiographie,
zur 'Bastelbiographie' [Hitzler], zur Risikobiographie, zur Bruch- oder Zusammenbruchsbio-
graphie." 7 Was nach Ulrich Beck in der modernen Gesellschaft immer im Untergrund lauert,
wird bei einem Jobverlust sichtbar: Die "Fassade von Sicherheit und Wohlstand" zerbricht,
und die "Möglichkeiten des Abgleitens und Absturzes"8 bedrohen den Betroffenen ganz kon-
kret.

Auch in der Wahrnehmung der eigenen Aktivität spitzen sich durch einen Jobverlust die Her-
ausforderungen des eigenen Lebens zu. Wer ein eigenes Leben führt, ist – so Ulrich Beck –
"zur Aktivität verdammt. Es [eigenes Leben, BJ] ist selbst im Scheitern seiner Anforderungs-
struktur nach ein aktives Leben." Erst wenn ich aktiv mein Leben in die Hand nehme, ist es
ein eigenes Leben. Allerdings passen die gängigen Metaphern für aktives und erfolgreiches
Handeln nur noch bedingt: "nicht der Schmied des eigenen Glücks, auch nicht der Held, der
seine Umstände meistert, oder der Architekt, der das Haus des eigenen Lebens plant, bis in

5 Beck, Ulrich (1995): "Eigenes Leben. Skizzen zu einer biographischen Gesellschaftsanalyse", in: Eigenes Le-
ben. Ausflüge in die unbekannte Gesellschaft, in der wir leben, hg. von der Bayerischen Rückversicherung Akti-
engesellschaft (München: Beck), 9.
6 Beck (1995), 10.
7 Beck (1995), 11.
8 Beck (1995), 11.

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die Einrichtung hinein gestaltet"9. Eigenes Leben ist eben nicht immer von Erfolg gekrönt.
Dies umso mehr, wenn mit einem Jobverlust die Erfahrung des Scheiterns gemacht wird, die
ebenfalls zum Konzept des "eigenen Lebens" gehört.

Weil aber nur dann von "eigenem Leben" die Rede sein kann, wenn ich selbst mit meinen
Aktivitäten dieses Leben gestalte, ist ein Scheitern eben immer persönliches Scheitern oder
eigenes Scheitern. Das ist die eigentliche Pointe von Ulrich Beck: Auch wenn das Scheitern
im Falle eines Jobverlusts externe Gründe hat, wird es von denen, die den Anspruch haben,
ein "eigenes Leben" zu führen, als persönliches Scheitern erlebt: "Die Konsequenz ist, dass
auch gesellschaftliche Krisen – z.B. Massenarbeitslosigkeit – in Form individueller Risiken
auf die einzelnen abgewälzt werden können. Gesellschaftliche Probleme können unmittelbar
umschlagen in psychische Dispositionen: in persönliche Schuldgefühle, Ängste, Konflikte
und Neurosen."10

Wenn ich im Folgenden vor allem darüber spreche, wie das Thema "Jobverlust" im Outplace-
ment verarbeitet werden kann und ich mich dabei in erster Linie auf der individuellen Ebene
bewege, heißt das deshalb nicht, dass das Thema damit erschöpfend behandelt ist. Das
Thema hat sowohl eine individuelle als auch eine gesellschaftliche Dimension. Allerdings
kann die gesellschaftliche Dimension nicht im Outplacement bearbeitet werden. Hier sind an-
dere Akteure gefragt. Für die individuelle Beratung ist es jedoch wichtig, mögliche gesell-
schaftliche Implikationen im Hinterkopf zu behalten, um eine einseitige Zuschreibung von
Verantwortung oder gar Schuld zu vermeiden.

Jobverlust als Trauerprozess

Was geschieht aber nun mit Jemandem, der seinen Job unfreiwillig verliert? In der Regel ist
er einer Achterbahnfahrt der Gefühle ausgesetzt, die sich durchaus mit Trauerprozessen ver-
gleichen lassen.11 In Anlehnung an das bekannte Phasen-Modell, das Elisabeth Kübler-Ross
in Interviews mit Sterbenden entwickelt hat,12 hat die Psychologin Verena Kast ein vergleich-
bares Modell für die Prozesse bei Trauernden entwickelt.13

In der ersten Phase des Nicht-Wahrhaben-Wollens steht der Betroffene unter Schock und
erstarrt. Immer wieder geschieht es sogar, dass die Trennungsbotschaft gar nicht ankommt.
Urs Widmer hat das in seinem Drama Top Dogs an der Figur des Swiss-Air-Managers Deér
verdeutlicht. Beim Erstgespräch in der Outplacement-Firma mit der Beraterin Wrage ent-
spinnt sich folgender Dialog:

      WRAGE: [...] Wie im Konkreten läuft also unsere gemeinsame Arbeit ab? Wir stellen unsern Klienten
         hier eine Infrastruktur zur Verfügung, ähnlich der, die sie von ihrem früheren Arbeitgeber her
         gewöhnt sind. Computer, Fax, Telefon, Sekretariat für alle Schreibarbeiten, Fachliteratur, Kaf-
         feemaschine und und und. Stellensuche ist ein Full-time-Job. Das werden Sie bald feststellen.
      DEÉR: Ja, sicher. Schweigen. Kann ich mir vorstellen. Schweigen. Wieso werde ich das bald fest-
         stellen?
      WRAGE: Ja was denken Sie, weshalb Sie hier sind, Herr Deér?
      DEÉR: Sagte ich Ihnen. Ich soll in Erfahrung bringen, inwieweit wir unsere Arbeitsbereiche füreinan-
         der nutzbar machen können.
      WRAGE: Wieso wohl zahlt Ihre Firma dreißigtausend Franken dafür?
      DEÉR: Wofür?

9 Beck (1995), 11.
10 Beck (1995), 11–12.
11 Eine Übersicht über gängige Phasenmodelle findet sich bei Andrzejewski, Laurenz (2004): Trennungskultur.

Handbuch für ein professionelles und faires Kündigungs-Management (München: Luchterhand), 168–169. Eine
ausführliche Darstellung und kritische Würdigung dieser Modelle finden sich bei Fischer, Carolin (2001): Out-
placement – Abschied und Neubeginn. Wirkfaktoren in der Outplacementberatung (Dissertation FU Berlin), 55–
61.
12 Kübler-Ross (2013): Interviews mit Sterbenden. Was Menschen bewegt (Stuttgart: Kreuz-Verlag). Auch Lau-

renz Andrzejewski weist in seiner Übersicht u.a. auf das 5-Phasen-Modell von Elisabeth Kübler-Ross hin.
13 Kast, Verena (2000): Lebenskrisen werden Lebenschancen. Wendepunkte des Lebens aktiv gestalten (Frei-

burg: Herder), 69–81.
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      WRAGE: Sie sind entlassen worden! Herr Deér! Entlassen!
      DEÉR: Ich??!
      WRAGE: Ja. Sie.
      DEÉR: Entlassen? – Hören Sie. Das hätte man mir gesagt.
      WRAGE: Man HAT es Ihnen gesagt!
      DEÉR: Wer? Wann?
      WRAGE: Sie haben es nicht gehört.
      DEÉR: Aber.
      WRAGE: Nicht verstanden.
      DEÉR: Aber das gibt es doch nicht, daß einer das nicht hört. Daß er entlassen worden ist.
      WRAGE: Doch. Kopf hoch, Herr Deér. Wir haben heut noch jeden Klienten vermittelt. Sozusagen
         jeden."14

Auch wenn die Reaktion dieses Managers sicherlich extrem ist, bringt sie letztlich nachvoll-
ziehbare Verdrängungsmechanismen zum Ausdruck, die mehr oder weniger stark ausge-
prägt verbreitet sind. In dieser Verdrängungsphase betonen Klienten immer wieder, wie
wichtig man für das Unternehmen gewesen ist, welche Leistungen man dort erbracht hat und
dass man unverzichtbar war und (vermeintlich) immer noch ist. Diese Phase kann unter-
schiedlich lang und intensiv sein.

Irgendwann brechen jedoch die Dämme, und die Phase der aufbrechenden chaotischen
Emotionen beginnt. Je nach Temperament erlebt der Betroffene starke und auch wider-
sprüchliche Gefühle wie Kummer, Angst und Zorn, aber auch Schuld. Schuldgefühle werden
abgewehrt, indem Sündenböcke gesucht und auch gefunden werden: das inkompetente Ma-
nagement, der nur auf Selbsterhalt bedachte Betriebsrat, das schwierige wirtschaftliche Um-
feld, der mangelnde Rückhalt im Team usw. Diese starken Gefühle sollten nicht ausgeblen-
det oder gar verboten werden. Das ist in einer Welt, in der Selbstbeherrschung und Gefühls-
kontrolle wichtige Kompetenzen sind, oftmals gar nicht so einfach. Doch was für die Trauer-
arbeit gilt, gilt auch für die Beratung von Menschen, die ihren Job verloren haben: "sie [sind]
rascher wieder gefaßter [...], wenn sie ihre Gefühle wirklich ausdrücken durften, vielleicht so-
gar ermuntert worden sind. Dabei sind gerade die Gefühle des Zorns wichtig, damit Trau-
ernde nicht in der Depression versinken."15 Die starken Gefühle haben aber noch eine wei-
tere Funktion: Das emotionale Chaos dient auch "dem Abbau [...] alter Gewohnheit und da-
mit dem Aufbau neuer Möglichkeiten" und leitet damit auch einen schöpferischen Prozess
ein.16 Ich komme darauf noch zurück.

Die durch starke Emotionen geprägte Phase mündet dann in eine eher reflexive Phase des
Suchens – Findens – und Sich-Trennens. Es ist eine Phase der "Rückbesinnung auf sich
selbst, auf das eigene Selbst, auch auf die eigenen Wurzeln, das heißt auf das, was trägt im
eigenen Leben, auf das, was bleibt".17 In der Verarbeitung eines Jobverlusts geht es in die-
ser Phase darum, sich seiner eigenen Stärken bewusst zu werden. Die Betroffenen werden
sich in der Verarbeitung des Verlusts darüber klar, welche Motivatoren sie antreiben, welche
Ziele sie verfolgen und an welchen Werten sie sich orientieren. Es geht um eine angemes-
sene, realistische und differenzierte Bewertung des verlorenen Jobs und der mit ihm verbun-
denen Verhaltensmuster, so dass die zunächst einseitig vom Unternehmen vollzogene Tren-
nung nun auch aktiv vom Betroffenen selbst akzeptiert wird. In der Regel werden Outplace-
ment-Klienten in dieser Phase auch die Aspekte ihres eigenen Berufskonzepts bewusst, die
sie in ihrer bisherigen Tätigkeit nicht verwirklichen konnten und die nun als Kompass für die
Erarbeitung von Alternativen dienen können. Beides – die selbst vollzogene Akzeptanz der
Trennung und das Bewusstsein für nicht realisierte Erwartungen an die Berufstätigkeit – sind
eine wichtige Voraussetzung dafür, dass eine Opferrolle vermieden bzw. verlassen und die
Handlungsfähigkeit zurückgewonnen oder sogar noch erweitert wird. Hier wächst das Be-
wusstsein dafür, dass eine Krise auch Chancen bietet.

14 Widmer, Urs (1997): Top Dogs (Frankfurt a.M.: Verlag der Autoren), 13–14.
15 Kast (2000), 71–72.
16 Kast, Verena (2008): Trauern. Phasen und Chancen des psychischen Prozesses (Stuttgart: Kreuz-Verlag), 88.
17 Kast (2000), 72.

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Diesen Chancen öffnet sich der Klient in der abschließenden Phase des neuen Selbst- und
Weltbezugs, in der er sich neue Perspektiven erarbeitet. Ausgehend von seinem erweiterten
und gestärkten Selbstkonzept aktiviert er sein Netzwerk und knüpft Kontakte, identifiziert
neue Arbeitsangebote und versucht potenzielle Arbeitgeber von seinem spezifischen Leis-
tungsangebot zu überzeugen.

Die einzelnen Phasen habe ich in ihrem Idealverlauf beschrieben, weil es so verständlicher
ist. In der Wirklichkeit gibt es natürlich auch Rückschläge. Nicht immer gelingt es, auch bei
einem vertieften und erweiterten Selbstkonzept die eigenen Zweifel komplett auszublenden.
Nach drei oder vier erfolglosen Vorstellungsgesprächen kann es außerdem durchaus ge-
schehen, aus der Phase des neuen Selbst- und Weltbezugs wieder in die Phase der aufbre-
chenden chaotischen Emotionen zurückzufallen. Die Achterbahnfahrt der Emotionen ist in
der Regel erst dann wirklich vorbei, wenn ein neuer Arbeitsplatz nicht nur gefunden, sondern
darüber hinaus auch die Integration in das neue Umfeld gelungen ist.

Ziel einer Outplacement-Beratung ist es, dass aus einer Krise ein schöpferischer Prozess
wird. Ich hatte bereits darauf hingewiesen, dass das emotionale Chaos auch dazu dient, sich
von alten Vorstellungen und Gewohnheiten zu verabschieden. Es kann sein, dass der unge-
wollte Jobverlust Fragestellungen zuspitzt, die auch den Klienten bereits zuvor mehr oder
weniger bewusst beschäftigt haben. Diese Fragestellungen können Hinweise darauf geben,
in welche Richtung die berufliche Neuorientierung gehen kann. Auf diese Weise können
neue Sichtweisen, unausgeschöpfte Handlungsmöglichkeiten oder nicht verwirklichte Pläne
sichtbar werden.

Jobverlust als Transformationsprozess

Durch den Jobverlust wird – das dürfte mittlerweile deutlich geworden sein – ein umfangrei-
cher Transformationsprozess ausgelöst. Der Betroffene wird aus seinem bisherigen sozialen
Bezugssystem herausgelöst, in dem er eine Aufgabe zu erfüllen hatte und dadurch Anerken-
nung bezog. Durch den Jobverlust verliert er seine berufliche Rolle, mit der in unserer Ge-
sellschaft wohl die zentrale identitätsstiftende Funktion verbunden ist. Er ist auch deshalb auf
sich selbst zurückgeworfen, weil er mit dem Verlust der beruflichen Rolle einen wichtigen Teil
seiner persönlichen Identität verliert. Die Suche und Annahme einer neuen beruflichen Rolle
führt deshalb nicht nur zu einer erneuten gesellschaftlichen Integration, sondern auch zu ei-
ner Veränderung der persönlichen Identität.

Dieser Transformationsprozess lässt sich sehr gut anhand der Struktur von Übergangsritua-
len beschreiben, die vor allem von den Ethnologen Arnold van Gennep und Victor Turner er-
forscht wurden.18 Übergangsrituale dienen dazu, den Übergang einer Person von einer ge-
sellschaftlichen Position zu einer anderen zu gewährleisten. Van Gennep analysierte zu die-
sem Zweck Rituale rund um Schwangerschaft und Geburt, Geburt und Kindheit, Initationsri-
ten in der Pubertät, Verlobung und Heirat sowie Beerdigungsrituale. Dabei hat er eine drei-
gliedrige Struktur herausgearbeitet. In Trennungsriten (rites de séparation) wird das rituelle
Subjekt in einem ersten Schritt aus seinem ursprünglichen Zusammenhang herausgelöst.
Diese Trennung wird oft durch eine räumliche Veränderung vollzogen, sodass die Initianden
über eine Schwelle oder durch eine Tür gehen und an einen besonderen Ort gelangen. In
dieser Übergangsphase, die durch spezielle Schwellenriten (rites de marge) gekennzeichnet
ist, befindet sich der Initiand in einem ambivalenten Zustand zwischen zwei Welten. Die
Übergangsphase wird oft mit Sterben und Geborenwerden in Verbindung gebracht. Der Initi-
and "stirbt" in der alten Welt, erfährt eine tiefgreifende Veränderung und wird in einer neuen

18Van Gennep, Arnold (1909): Les rites de passage. Étude systématique des rites (Paris), deutsche Überset-
zung: Übergangsriten (Frankfurt: Campus, 1986); Turner, Victor (1969): The Ritual Process. Structure and Anti-
Structure (Chicago: Aldine), deutsche Übersetzung: Das Ritual. Struktur und Anti-Struktur (Frankfurt: Campus,
2005).
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Welt "wiedergeboren". Diese "Wiedergeburt" wird mit Hilfe von Angliederungsriten (rites d'ag-
régation) vollzogen. Symbolisch wird das z.B. durch andere Kleidung oder neue Namen zum
Ausdruck gebracht. Der Initiand übernimmt auf diese Weise eine neue gesellschaftliche
Rolle und wird so in eine neue soziale Ordnung integriert.

Victor Turner hat der Übergangsphase besondere Aufmerksamkeit gewidmet und sie unter
dem Begriff der Liminalität (von lat. limen "Schwelle") beschrieben. Menschen in dieser
Phase, die er "liminale Personen" ("liminal personae") oder auch "Schwellen-Leute"
("threshold people") nennt, befinden sich in einer Welt betwixt and between: Sie fallen in die
Zwischenräume sozialer Strukturen, befinden sich am Rand oder besetzen die untersten
Sprossen der gesellschaftlichen Leiter.19 Es gibt sogar Personen, die permanent diese Rolle
ausüben wie z.B. der Hofnarr. Dieser übernimmt eine kritische Funktion innerhalb einer ge-
sellschaftlichen Struktur, indem ihm erlaubt ist, was anderen bei Strafe verboten ist: Könige
und andere Mächtige als Repräsentanten gesellschaftlicher Struktur zu verspotten.

In dieser Sicht kommt es zu einem Gegenüber von gesellschaftlicher Struktur und liminaler
Anti-Struktur. Gesellschaftliche Struktur zeichnet sich durch Differenzierung in verschiedene
Institutionen und Rollen aus. Hier gibt es klare Zuordnungen und Klassifikationen. Gesell-
schaftliche Struktur ist stabil. In der liminalen Anti-Struktur hingegen werden Differenzierun-
gen und Klassifikationen aufgehoben. Das ist zunächst verunsichernd und beängstigend,
birgt aber zugleich das Potenzial zu Veränderungen. In der liminalen Phase werden kreative
Kräfte freigesetzt, die die aufgelösten Klassifikationen zunächst spielerisch und experimentell
in verschiedenen neuen Konstellationen erproben, bevor sie dann in eine neue soziale Struk-
tur überführt werden. Turner zufolge nutzen z.B. Propheten und Künstler Liminalität, indem
sie in ihren Produktionen ungenutztes Potenzial sichtbar machen.20 Der Wechsel zwischen
Struktur und Anti-Struktur und der Austausch zwischen diesen beiden Sphären ermöglicht so
persönlichen und gesellschaftlichen Wandel.

Dieses ethnologische Modell vertieft und ergänzt die psychologische Sichtweise des Jobver-
lusts als Trauerprozess. Beiden Perspektiven ist gemeinsam, dass die Verunsicherung und
Destabilisierung durch den Verlust der sozialen Rolle Auslöser eines kreativen Prozesses ist,
in dem bisher ungenutzte Denk- und Handlungsmöglichkeiten sichtbar werden. Outplace-
ment-Beratung hat in diesem Sinne die Aufgabe, diesem Prozess Zeit und Raum zu geben
und den Wandlungsprozess konstruktiv zu unterstützen.

Jobverlust als gesellschaftliche Aufgabe

Ich möchte zum Schluss noch einmal darauf zurückkommen, dass die Verarbeitung eines
Jobverlusts auch eine gesellschaftliche Aufgabe ist. Das hat zunächst damit zu tun, dass der
Verlust eines Arbeitsplatzes die Folge einer Unternehmensentscheidung ist. Deshalb ist es
zu begrüßen, wenn Unternehmen ihre Verantwortung in solchen Fällen wahrnehmen, und
den Betroffenen Unterstützungsangebote in Form von Abfindungen, Freistellungen, Qualifi-
zierungen und Beratung machen. Oftmals sind aber auch Unternehmen ihrerseits in ihren
Entscheidungen von allgemeinen wirtschaftlichen Zusammenhängen abhängig. Unterneh-
men üben nicht nur Flexibilisierungsdruck aus, sondern sind ihm gleichzeitig selbst ausge-
setzt. Deshalb sind nicht nur Individuen und Unternehmen gefordert, die Risiken zu tragen,
die durch den Flexibilisierungsdruck verursacht werden. Der Verlust von Arbeitsplätzen ist in
einer hoch flexiblen Gesellschaft unvermeidlich und muss deshalb auch durch die Gesell-
schaft abgesichert werden. Unverzichtbare Basis dazu ist die Absicherung durch die Arbeits-
losenversicherung, aber auch durch weitere differenzierte Leistungen wie das Kurzarbeiter-
geld, das Transferkurzarbeitergeld und die Förderung von Transfermaßnahmen sowie von
Qualifizierungen.

19   Turner (1969), 125.
20   Turner (1969), 128.
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Der Verlust eines Arbeitsplatzes ist jedoch nicht nur ein Risiko. Er ist auch eine Herausforde-
rung, durch die wichtige Schlüsselkompetenzen trainiert und weiterentwickelt werden kön-
nen, die in unserer modernen Arbeitswelt benötigt werden. Im Trauer- und Transformations-
prozess, der durch den Jobverlust ausgelöst wird, kann der Betroffene lernen,

      belastende Situationen zu bewältigen und als Chance zu nutzen
      sich selbst und seine Stärken und Schwächen besser einzuschätzen
      bisher ungenutzte Potenziale zu erschließen
      in Alternativen zu denken und mit Handlungsoptionen zu experimentieren
      sein Netzwerk zu aktivieren und neue Kontakte zu knüpfen
      andere von sich zu überzeugen.

Es ist deshalb auch wünschenswert, dass der Verlust eines Arbeitsplatzes gesellschaftlich
nicht als ein Scheitern gesehen wird, sondern vielmehr als Herausforderung, an der Men-
schen wachsen und reifen können. In diesem Reifungsprozess werden Schlüsselkompeten-
zen wie

      Eigenverantwortung
      Selbstmanagement
      Belastbarkeit
      Initiative
      ergebnisorientiertes Handeln
      Beziehungsmanagement
      Problemlösungsfähigkeit
      Organisationsfähigkeit
      Marktkenntnisse

erweitert und erworben. Es sind Kompetenzen, die auch für andere Situationen und berufli-
che Aufgabenfelder relevant sind. Outplacement ist deshalb keine Reparaturwerkstatt, in der
ein Schaden behoben wird, sondern vielmehr ein anspruchsvoller und komplexer Personal-
entwicklungsprozess, der Anerkennung und Wertschätzung verdient.

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