FOODREPORT HANNI RÜTZLERS - Essenszeit
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FOOD-TRENDS Plant Based Food FOOD-TREND 01 Die kulinarische Aufwertung PLANT von pflanzlichen Nahrungs- mitteln ist in vollem Gange. BASED FOOD Entscheidend hierbei: Der neue Spin Nicht mehr die Imitation von bei Ersatzprodukten tierischen Produkten, son- dern Gesundheit und Fitness werden in den Fokus gerückt. Sprache schafft Wirklichkeit. Das wissen wir spätestens und den extensiven Fleischkonsum auch aus ökologi- seit den Diskursen um die Political Correctness. Mitunter schen Motiven reduzieren wollen, rigiden Diätformen verschleiert sie aber auch, worum es tatsächlich geht. Der aber skeptisch gegenüberstehen. derzeit populärste Trendbegriff heißt – natürlich auf Eng- lisch – „Plant Based Food“. Das klingt gesund, ethisch und Pflanzen sind die neuen Stars ökologisch korrekt und doch nicht nach Entsagung. Und Plant Based, das ist genau genommen auch ein Gericht er umfasst viele unterschiedliche Trendausprägungen. im Restaurant oder am heimischen Esstisch, bei dem Von einer flexitarischen über eine vegetarische Ernäh- Gemüse und Getreideprodukte die Hauptrolle spielen rung bis hin zu veganen Novel-Food-Produkten, die auf und Fisch oder Fleisch höchstens die kleine, willkom- pflanzlicher Basis tierische Produkte imitieren: Shrimps mene Beilage darstellen. Der Trend bildet also eine Ent- und Geflügel, Rindfleisch und Thunfisch, Joghurt- und wicklung ab, die sich auf vielen Ebenen unserer Esskultur Milchgetränke. beobachten lässt: Spitzenköche, die – wie Alain Passard im L’Arpège in Paris oder Heinz Reitbauer im Steirereck Vegan vs. Plant Based in Wien – Gemüse zu den Stars auf ihren Tellern machen; Der „Trick“ vieler innovativer Start-ups, die sich unter die Renaissance der Wochenmärkte, auf denen Salate, dem Motto „Plant Based Food“ an die Kreation neuer, Obst, Kräuter und Gemüse dominieren, hohe Zu- tierfreier Produkte machen, ist, den von vielen Kon- wachsraten bei veganen Produkten auch in heimischen sumenten als ideologischen Kampfbegriff inklusive Supermärkten, der Boom an vegetarischen Kochbüchern Verzichtsgebot wahrgenommenen Terminus „vegan“ und die wachsende Selbstverständlichkeit, mit der auch zu vermeiden und damit auch die wachsende Zahl von in einfachen Gasthäusern und in Betriebskantinen (vgl. Menschen anzusprechen, die sich gesünder ernähren S. 30) nicht nur ein Alibi-Veggie-Gericht angeboten wird. 16
Zukunftsinstitut I Lebensmittel Zeitung Trend-Evolution: Die Entwicklung von Plant Based Food Auch Food-Trends befinden sich in einer permanenten Evolutionsschleife. Sie stehen selbst unter dem Einfluss der Veränderungen, die sie in unserer Esskultur erzeugen. Jeder Trend erzeugt eine Gegenbewegung, die ent- weder als direkter Gegentrend zu verstehen ist oder als eine aus einem Trend hervorgehende Entwicklung, die Auflösung und neue Verbindungen befördert. Der Megatrend Gesundheit, Food-Trends wie Ethic Food und die Vegetarier-Bewegung kulminieren im Veganismus, der zur Entwicklung neuer Nahrungsmittel führt, aber auch einen starken Gegentrend anstößt. Daraus entwickelt sich wieder etwas Drittes, ein neuer Trend (Flexitarier), der die vorherigen Widersprüche in sich vereint und damit die Trendentwicklung weiter auf eine höhere Stufe der Komplexität treibt. Veganismus Plant Based Vegetarier Trend Food Megatrend Gesundheit Trend Trend Reaktion Peak Meat Etnic Food Das Ende der Beilage Neue Fleisch- und Entwicklung Milchersatz Gemüse sind die neuen Stars Ein neuer Trend vereint vorherige Neue Fleisch- Widersprüche und Flexitarier neue Entwicklungen Reaktion qualität (Bio, Dry Aged, besondere Rassen) Neue Entwicklung Quelle: futurefoodstudio 2018 In-Vitro-Fleisch 17
INHALT Food Report 2019 FOOD SEITE 10 TRENDS – Update – Plant Based Food – Transparency – Healthy Hedonism 30 KANTINE SEITE Nouvelle Cantine – Die Zukunft der THEMEN- SCHWERPUNKT Betriebsrestaurants 2
KANTINE Themenschwerpunkt K antinen und Betriebsrestaurants gehören zwar zum Alltag, doch gelten sie nicht gerade als Orte für gutes Essen. Wer kann, isst auswärts. Allerdings zeigt der Realitäts-Check: Kantinen sind inzwischen oft besser als ihr Ruf. Die Gemeinschaftsgastronomie war lange Zeit das vernachlässigte Stiefkind der Branche. Nun hat sie – ganz im Aufwind der neuen Arbeitskultur – einiges aufgeholt und schickt sich an, das ein oder andere Restaurant in Sachen Qualität, Kreativität, Design und Service zu überflügeln. Hinzu kommt das wachsende Bedürfnis der Menschen nach einer gemeinschaftlichen Esskultur, die auch das Teilen der Speisen, aber vor allem die Kommunikation und das gemeinsame Genießen des Essens beinhaltet. Wer den Tag mit Wissensarbeit vor dem Rechner verbringt, weiß solch kommunikative und sinnliche Pausen zu schätzen – und eben auch zu nutzen, um Kraft zu tanken und neue Ideen zu entwickeln. Unter- nehmen sind sich der Bedeutung von Kantinen, Cafeterias, Snackpoints und Co. zur Förderung der Produktivität und Erhöhung der Motivation durchaus bewusst. Die Betriebskantine ist das perfekte Schaufenster, um einen Einblick in die Unternehmenskultur und in die Wertschätzung der Mitarbeiter zu bekommen. 32 Foto: Christian Rudnik/Google LLC
Zukunftsinstitut I Lebensmittel Zeitung DIE NEUE KANTINENKULTUR Betriebliche Esskultur Gemeinschaftsverpflegung – das war noch vor nicht allzu langer Zeit eine kulinarische Drohung. Und ist es ist Ausdruck der in vielen Fällen leider noch immer. Wir alle haben mehr oder weniger eindrucksvolle Erinnerungen an miserables Wertschätzung für Mensa-Essen, lausig schlechte Internatsverpflegung und eintönige Kantinenmenüs. Resopal-Tische mit unbe- Mitarbeiter. quemen Holz- oder Plastikstühlen inbegriffen. Doch seit einigen Jahren ist Bewegung in die betriebliche Gemeinschaftsverpflegung gekommen. Die Megatrends Individualisierung, Konnektivität, New Work und Gesund- heit hinterlassen auch in Kantinen, Mensen und sogar Zusammenwachsen von physischer und digitaler Welt bei der Verpflegung in Schulen, Krankenhäusern und einen mobilen Always-on-Lifestyle mit flexiblen Arbeits- Seniorenheimen immer tiefere Spuren – und das im posi- orten und -zeiten begünstigt. Zum anderen, weil die Ära tiven Sinne. Zerkochtes Gemüse gehört inzwischen immer der Selbstaufgabe für den Job schlicht vorbei ist. Arbeit häufiger der Vergangenheit an – stattdessen werden entwickelt sich vom traditionellen „Arbeitenmüssen“ die Gerichte frisch vor den Augen der Gäste zubereitet. zum selbstbestimmten „Arbeitenwollen“ und „Arbeiten- Einige Kantinen verzichten sogar auf die Selbstbedienung können“. Viele neue Jobs werden nicht mehr als Zwang inklusive Tablett, Essensausgabe und Schlangestehen an zur Sicherung des Lebensunterhalts betrachtet, sondern der Kasse und bieten die Auswahl und das Servieren der als Tätigkeiten, die stolz machen und erfüllen sollen. Gerichte am Tisch an. Wer Mitarbeiter – potenzielle oder bestehende – nach- Die neuen Betriebskantinen ähneln immer stärker haltig motivieren und langfristig an sich binden will, richtigen Restaurants, nicht nur im Design, sondern auch muss nicht nur alternative Karrieremodelle, sondern im vielfältigen, qualitätsorientierten Angebot. Für viele auch ein Arbeitsumfeld anbieten können, das diesen Unternehmen sind sie inzwischen zum Aushängeschild neuen Werten entgegenkommt. Betriebsrestaurants und ihrer Corporate Identity geworden sowie der Motor Corporate Cafés werden damit immer mehr zu wichtigen einer neuen Arbeits- und Kommunikationskultur, die Bausteinen dieses neuen Arbeitsumfelds; Arbeitgeber unter dem „New Work“-Paradigma die alten, linearen im übertragenen wie auch im wortwörtlichen Sinn zu Strukturen der Industriegesellschaft ablöst. Übergreifende Gastgebern, Unternehmen zu funktionalen Äquivalenten Denk- und Arbeitsstrukturen gehören immer mehr zur von Freunden und Familie. Speziell die persönliche täglichen Bürorealität, die sich auch bei der Organisation Interaktion, das direkte Miteinander, wird in Zukunft an der Mitarbeiterverpflegung widerspiegelt. Bedeutung gewinnen. Dabei spielt das gemeinsame Essen eine zentrale Rolle. Es wird, wie es der dänische Starkoch Essen in Zeiten von Work-Life-Blending René Redzepi präzise auf den Punkt bringt, „über lange Zu den prägenden Merkmalen dieser neuen Arbeitsre- Sicht das sein, was uns im Zeitalter der immer schnelleren alität zählen flexible Arbeitsbedingungen, selbständige Digitalisierung noch mit der analogen Welt verbindet“ Tätigkeiten und ein zunehmendes Work-Life-Blending: (Rolff 2017). Insbesondere in jüngeren Firmen wird die Die Grenze zwischen Beruf und Privatleben wird immer Pflege einer solchen Unternehmenskultur professionell unschärfer. Und das heißt: Beim Arbeiten wird gelebt, durch spezielle Corporate Culture Coordinators oder und beim Leben wird gearbeitet. Zum einen, weil das Feelgood-Beauftragte gemanagt. 33
KANTINE Themenschwerpunkt Mahlzeiten pro Tag serviert werden. Betriebe investieren Die sozialisierende Kraft vorwiegend in die Ausstattung zum Kochen und Backen sowie in allgemeine Utensilien wie Geschirr und Besteck. von Essen und Trinken Vor allem um die Arbeitsplätze in den Küchen zu opti- mieren, Energiesparpotenziale auszuschöpfen und neue gewinnt auch in Technologien zu implementieren, die den veränderten Anforderungen bei der Zubereitung frischer Speisen und Betrieben immer mehr Cook-and-Chill-Menüs, aber auch bei der Abfallvermei- dung und Resteentsorgung entsprechen. Denn gerade an Bedeutung. in der Großgastronomie besteht hier ein beachtliches Potenzial für positive ökologische Effekte. Diese wollen immer mehr Unternehmen, die sich prinzipiell einer nachhaltigen Produktion verpflichtet haben, auch bei der Investitionen in ein Kantinen-Upgrade Mitarbeiterverpflegung nutzen. Google, Spotify, Dropbox & Co. haben es vorgemacht. In ihren Betriebsrestaurants geht es nicht mehr um schnelle Essen schafft Kommunikation schafft Kalorienaufnahme. Es geht um Genuss, bewusste Ent- Produktivität spannung und – ja, vor allem auch um Kommunikation, Ebenfalls stehen Ausgaben für die Gastraumgestaltung um Vernetzung und kreativen Austausch. Seit manuelle, oben auf der To-do-Liste. Im Idealfall entstehen dabei kraftraubende Tätigkeiten aus dem Alltag vieler Men- Räume bzw. Zonen, die nicht nur dem Konsum dienen, schen verschwunden sind – insbesondere aus dem der sondern – dank der digitalen, mobilen Ausrüstung der Angehörigen gut ausgebildeter Schichten, die ihrer Arbeit Mitarbeiter mit Laptops und Tablets – auch als alternative, in Steuerberatungsgesellschaften, Ministerien, Banken temporär nutzbare Gesprächs- und Arbeitsplätze ver- und Versicherungen oder hinter den Bildschirmen zur wendet werden können. Denn im Zentrum der „Digitali- Steuerung von Fertigungsrobotern nachgehen –, stellen sierung“ steht nicht die eigentliche digitale Vernetzung, Kantinengäste andere Anforderungen an die betriebliche sondern stehen vielmehr neue kulturelle Qualitäten, Verpflegung. Nicht nur im Hinblick auf Nährwerte und eine organische und vertrauensvolle Kultur auch des kulinarische Angebote, sondern auch im Hinblick auf analogen Miteinanders. Um die kreative Produktivität zeitlich und räumlich flexible Lösungen. zu steigern, werden Räume künftig bewusster gestaltet und über Abteilungsgrenzen hinaus genutzt. Der Dialog Unternehmen sind daher gefordert, ihre Betriebskantinen wird zum zentralen Thema. Besonders beim Essen findet fit zu machen für das 21. Jahrhundert: Wissensarbeit ist häufig jene informelle Kommunikation statt, die Ideen keine Fließbandarbeit, die sich nach geregelten Zeiten leichter „reisen“ lässt. Unternehmen, in denen „Socia- abrufen ließe – der beste Geistesblitz kann beim Zähne- lizing“ ein aktiver Bestandteil der Kultur ist, haben eine putzen, beim Joggen oder beim Small Talk mit Kollegen höhere Produktivität. Laut des Workplace Survey 2016 aus anderen Abteilungen beim gemeinsamen Mittag- von Gensler haben innovative Mitarbeiter doppelt so essen kommen. Das scheint sich nun auch in deutschen häufig Zugang zu Cafeterias und Outdoor Spaces – und Unternehmen herumzusprechen. In vielen Betrieben nutzen diese Möglichkeiten auch. Wo Mitarbeiter allein verbessert sich damit auch das Investitionsklima: Laut vor dem Computer essen, geht Produktivität verloren. aktuellem GV-Barometer der Internorga beabsichtigen 59 Die Betriebsgastronomie sollte daher mit ihrem Angebot Prozent der befragten Entscheider, 2018 Investitionen in fließender werden und in jedem Winkel eines Unterneh- ihre Betriebsrestaurants zu tätigen; davon mehrheitlich mens, zu jeder Zeit des Tages Menschen für eine „kreative größere Betriebe, in deren Kantinen mehr als 1.000 warme Auszeit“ zusammenbringen. 34
Zukunftsinstitut I Lebensmittel Zeitung Nouvelle Cantine: Von der Essstation zum Genuss- und Kommunikationszentrum Betriebsverpflegung Betriebsrestaurant einfach, praktisch, günstig gesünder, nachhaltiger, und berechenbar erlebnis- und serviceorientiert zeitlich/räumlich unflexibel zeitlich und räumlich flexibel (one fits all) Berücksichtigung individueller Wünsche Angebote für unterschiedliche Zielgruppen deckt physiologischen Bedarf Fokus auf Entspannung bzw. Inspiration Genuss- und gesundheitsorientierte kulinarische Angebote Fokus auf Nachhaltigkeit in der gesamten Produktionskette gutes Preis-Leistungs-Verhältnis Teil des betrieblichen Gesund- Teil der Kommunikations- und heitskonzeptes Regenerationskultur Quelle: futurefoodstudio 2018 35
KANTINE Themenschwerpunkt Die Rahmenbedingungen in den Unternehmen dahin- ausgewogen zu ernähren, und Unternehmen den Umstieg gehend zu optimieren, dass Mitarbeiter sich gesünder von der bloßen Subvention des Caterers zur gezielten ernähren, ist auch in Europa zu einem zentralen Bestand- Investition in Unternehmensgesundheit ermöglicht. Grün teil des betrieblichen Gesundheitsmanagements geworden. markierte, d.h. ernährungswissenschaftlich als nahrhaft Während innovative Unternehmen in den USA dabei gezielt und gesund bewertete Gerichte werden bei Kantinen nach auch die Vielfalt an neuen Fleischersatzprodukten im Auge dem GESOCA-Modell vom Unternehmen stärker subven- haben, setzen europäische Kantinenbetreiber verstärkt auf tioniert. Bei gelb oder rot markierten Gerichten zahlt der biologische Ausgangsprodukte und frische Zubereitung. Mitarbeiter mehr für sein Gericht. Der liechtensteinische Werkzeughersteller Hilti ist eine der Firmen, die in ihrer Werkskantine mit diesem Konzept die Mitarbeitergesund- heit unterstützen wollen. Essen wird zum emotio- No-Cafeteria Zone nalen Schaufenster Einen ganz anderen Weg geht das US-amerikanische Medienunternehmen Bloomberg in seinem neuen von Unternehmen und Headquarter in der Queen Victoria Street in London. Bewusst wurde in dem von Stararchitekt Norman Foster Organisationen. entworfenen Gebäude auf ein Betriebsrestaurant ver- zichtet. Die Mitarbeiter sollen motiviert werden, das Büro zu Mittag und in den Pausenzeiten zu verlassen und eines der zahlreichen Restaurants im Quartier aufzusu- Essen ist politisch – Kantinen-Essen ist chen. Er wollte damit, so CEO Michael Bloomberg, das politischer „Google-Syndrom“ vermeiden: dass Mitarbeiter „süchtig“ Dass Essen keine reine Privatsache ist, davon sind auch nach ihrem Arbeitsplatz werden, weil sie mit kulinarisch Food-Aktivisten wie Hendrik Haase, Gastrosophen wie ansprechenden Gratis-Menüs und luxuriösen Aufent- Harald Lemke und Gourmetkritiker wie Jürgen Dollase halts- und Relaxing-Räumen verwöhnt werden, die kein überzeugt, die Essen ganzheitlicher betrachten. Dollase privates Wohnzimmer toppen kann (Prynn 2017). hat sich daher kritisch der Mensen an deutschen Uni- versitäten angenommen. Für die Frankfurter Allgemeine Im neuen Bloomberg Centre sollen die Mitarbeiter raus Zeitung berichtet er regelmäßig in einem eigenen Blog auf die Straßen gehen, durch das Quartier schlendern über seine Erfahrungen mit dem mittäglichen „Stu- und sich mittags in einem der zahlreichen Restaurants dentenfutter“ und findet dabei durchaus auch positive verköstigen, die eine breite Vielfalt an unterschiedlichen Beispiele. Oder er zeigt im Rahmen eines Seminars, wie Küchen bieten. In der großen „Communal Pantry Area“ man sich auch in Kantinen auf ein höheres kulinarisches im sechsten Stock werden daher konsequenterweise nur Niveau kochen kann, ohne dabei auf besonders teure Kaffee, Tee, Drinks und Snacks angeboten, jedoch keine Ausgangsprodukte angewiesen zu sein. Lunch-Menüs. Arbeitsplatz und Mittagstisch werden somit nicht nur räumlich getrennt, sondern man wird Gesundheitsorientierte Steuerung des Caterings gewinnt motiviert, in der Tat auch geistig eine Pause vom Job auch in Deutschland immer mehr an Bedeutung. Das einzulegen und in die kulinarische Vielfalt des Stadtvier- darauf spezialisierte Beratungsunternehmen GESOCA tels einzutauchen. hat unter dem Motto „Gäste locken – Gäste führen – Gäste VERführen“ ein einfaches Orientierungssystem auf Ampelbasis entwickelt, das es Kunden erleichtert, sich 42
Zukunftsinstitut I Lebensmittel Zeitung BEST PRACTICE BEST PRACTICE BEST PRACTICE Marmite Tasty Essenszeit bei Studio Olafur Das Kochbuch-Bistro Bahlsen Eliasson Das Marmite Tasty im Electrolux- Couscous statt Das ganze Team Haus in Zürich bewegt sich elegant zwischen Kantine und Bistro. Hinter Butterkeks am Tisch dem Gastronomie-Konzept steckt Beim Gebäckhersteller Bahlsen in Eine Betriebskantine der anderen der Chefredakteur von Marmite, der Hannover ist Engagement gefragt: Art genießen die knapp 100 Mit- Zeitschrift für Ess- und Trinkkultur, Jeder Mitarbeiter darf in der Kantine arbeiter im Studio des dänischen Andrin Willi. Die Küche orientiert sein Lieblingsgericht zaubern. Selbst Künstlers Ólafur Elíasson, die in sich im wöchentlichen Rhythmus Werner Michael Bahlsen, bis zur einem 5.000 Quadratmeter großen an einem ausgewählten Kochbuch. Drucklegung des Food Reports der ehemaligen Brauereigebäude im So werden traditionelle Älplermag- Firmenchef, stand in der Kantine, um Prenzlauer Berg die Entwürfe zu ronen vom Kanton Uri aus dem Buch gebratene Lachsschnitten zuzube- seinen Installationen umsetzen. „Schweiz – Kulinarische Streifzüge“ reiten. Besonders wichtig war es der Einmal am Tag kommen sie zu- von Peter Widmer und Alexander Geschäftsführung, die alte Kantine sammen, um an den langen Tafeln Christ auf den Tisch gezaubert. In neu zu erfinden, und so wurde gemeinsam zu essen. Auch wenn einer anderen Woche bedient man Dietmar Hagen als Koch eingestellt. dann nicht immer Projekte bespro- sich des Kochbuchs „The Collection“ Damals, vor nun mehr als 20 Jahren, chen werden, ist es Elíasson wichtig, der italienischen Kochlegende An- ging er einen revolutionären Schritt: gemeinsame Zeit zu schaffen, um tonio Carluccio, um den Gästen vege- Er entsorgte die Fritteuse und nahm die Kreativität zu fördern. Maler und tarische Penne mit Pinienkernen und die Currywurst von der Speisekarte. Designer, Buchhalter und Hand- Auberginen zu kredenzen. Und der Stattdessen setzt er auf eine frische, werker, Programmierer und Philoso- Küchenchef Babanoor Tuan Hajreen ausgewogene Küche und serviert phen sitzen zusammen und reichen bringt auch einmal einen Hauch von statt Butterkeksen lieber Couscous die Schüsseln weiter, aus denen sich Malaysia in die Kantine und serviert mit Kichererbsen Tajine. Im Schnitt jeder bedient – es gibt immer nur ein das authentische Gericht Rendang kosten die Gerichte um die 8,50 Euro, Gericht. Die multikulturelle Zusam- Daging (in Kokosmilch geschmortes dabei übernimmt Bahlsen die Hälfte mensetzung des Teams spiegelt sich Rindfleisch mit Kurkuma-Reis). des Gerichts der Festangestellten, auch im Speiseplan, auf dem statt Übrigens: Diese kulinarische Vielfalt Praktikanten und Azubis werden Currywurst und Pommes Miso- ist nicht ganz uneigennützig, denn zusätzlich um weitere 25 Prozent Suppe mit Seetang-Gurken-Salat die Mitarbeiter des Marmite-Verlags subventioniert. Inzwischen betreibt oder eine Schüssel Taboulé steht. sind ebenfalls in den Büros des Dietmar Hagen mit seiner Agentur Und was an Essen übrig bleibt, darf Electrolux-Hauses untergebracht. nicht nur alle Betriebsrestaurants man mit nach Hause nehmen. Seit Dass alles ein wenig teurer ist als in von Bahlsen, sondern bundesweit 20 2016 sind die Rezepte der Kunst- anderen Betriebsrestaurants, wird weitere Kantinen. Kantinen-Küche auch für jedermann gerne akzeptiert. Schließlich isst essenszeit.com nachzulesen: im Kochbuch „The man hier auch deutlich besser. Kitchen“. www.marmite-tasty.ch www.olafureliasson.net 43
KANTINE Themenschwerpunkt Fazit KANTINE Kantinen wandeln sich von Essstationen zu Genuss- tempeln. Künftig sind Kantinen in Sachen Qualität und Raffinesse der zubereiteten Speisen nicht mehr von Restaurants unterscheidbar. Immer mehr Betriebs- restaurants sind nicht mehr nur für Mitarbeiter zu- gänglich, sondern stehen allen Gästen offen – Gourmets inbegriffen. Die neuen Kantinen sind Wohlfühlorte, an denen es nicht mehr nur ums Essen geht. Ihre Architektur und Innenausstattung laden zum Verweilen ein. Ob zum Arbeiten am Laptop oder zum Lesen eines guten Buches – jeder kann es sich gemütlich machen. 52 Foto: Christian Rudnik/Google LLC
Zukunftsinstitut I Lebensmittel Zeitung Gemeinschaftsgastronomie hat per se einen sozialen Charakter, auch wenn dieser in den vergangenen Jahren eher im Hintergrund stand: Kantinen sind Treffpunkte. Sie fördern den informellen Austausch der Mitarbeiter, können für interne Meetings oder Kundengespräche genutzt werden. Eine entsprechende Architektur unter- stützt diese Funktionen mit einem offenen Sitzbereich, aber auch mit Rückzugsorten, die für vertrauliche Ge- spräche geschlossen werden können. Betriebliches Gesundheitsmanagement beginnt in der Kantine. Neben einer ergonomischen Arbeitsplatzaus- stattung und Bewegungsangeboten gehört eine gesunde und abwechslungsreiche Ernährung zu den Pfeilern von Corporate Health. Eine kulinarisch überzeugende Kura- tierung von gesunden Gerichten stellt den Geschmack in den Mittelpunkt – denn gesund und wohlschmeckend ist kein Widerspruch. 53
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