FOODREPORT HANNI RÜTZLERS - Essenszeit

 
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HANNI RÜTZLERS

FOODREPORT
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FOOD-TRENDS

      FOOD
     TRENDS

10            Foto: rawpixel.com, CC0
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FOOD-TRENDS          Plant Based Food

                                                                              FOOD-TREND

                                                                              01
                                                                              Die kulinarische Aufwertung
             PLANT                                                            von pflanzlichen Nahrungs-
                                                                              mitteln ist in vollem Gange.
           BASED FOOD                                                         Entscheidend hierbei:
               Der neue Spin                                                  Nicht mehr die Imitation von
            bei Ersatzprodukten                                               tierischen Produkten, son-
                                                                              dern Gesundheit und Fitness
                                                                              werden in den Fokus gerückt.

Sprache schafft Wirklichkeit. Das wissen wir spätestens      und den extensiven Fleischkonsum auch aus ökologi-
seit den Diskursen um die Political Correctness. Mitunter    schen Motiven reduzieren wollen, rigiden Diätformen
verschleiert sie aber auch, worum es tatsächlich geht. Der   aber skeptisch gegenüberstehen.
derzeit populärste Trendbegriff heißt – natürlich auf Eng-
lisch – „Plant Based Food“. Das klingt gesund, ethisch und   Pflanzen sind die neuen Stars
ökologisch korrekt und doch nicht nach Entsagung. Und        Plant Based, das ist genau genommen auch ein Gericht
er umfasst viele unterschiedliche Trendausprägungen.         im Restaurant oder am heimischen Esstisch, bei dem
Von einer flexitarischen über eine vegetarische Ernäh-       Gemüse und Getreideprodukte die Hauptrolle spielen
rung bis hin zu veganen Novel-Food-Produkten, die auf        und Fisch oder Fleisch höchstens die kleine, willkom-
pflanzlicher Basis tierische Produkte imitieren: Shrimps     mene Beilage darstellen. Der Trend bildet also eine Ent-
und Geflügel, Rindfleisch und Thunfisch, Joghurt- und        wicklung ab, die sich auf vielen Ebenen unserer Esskultur
Milchgetränke.                                               beobachten lässt: Spitzenköche, die – wie Alain Passard
                                                             im L’Arpège in Paris oder Heinz Reitbauer im Steirereck
Vegan vs. Plant Based                                        in Wien – Gemüse zu den Stars auf ihren Tellern machen;
Der „Trick“ vieler innovativer Start-ups, die sich unter     die Renaissance der Wochenmärkte, auf denen Salate,
dem Motto „Plant Based Food“ an die Kreation neuer,          Obst, Kräuter und Gemüse dominieren, hohe Zu-
tierfreier Produkte machen, ist, den von vielen Kon-         wachsraten bei veganen Produkten auch in heimischen
sumenten als ideologischen Kampfbegriff inklusive            Supermärkten, der Boom an vegetarischen Kochbüchern
Verzichtsgebot wahrgenommenen Terminus „vegan“               und die wachsende Selbstverständlichkeit, mit der auch
zu vermeiden und damit auch die wachsende Zahl von           in einfachen Gasthäusern und in Betriebskantinen (vgl.
Menschen anzusprechen, die sich gesünder ernähren            S. 30) nicht nur ein Alibi-Veggie-Gericht angeboten wird.

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Trend-Evolution:
Die Entwicklung von Plant Based Food
Auch Food-Trends befinden sich in einer permanenten Evolutionsschleife. Sie stehen selbst unter dem Einfluss
der Veränderungen, die sie in unserer Esskultur erzeugen. Jeder Trend erzeugt eine Gegenbewegung, die ent-
weder als direkter Gegentrend zu verstehen ist oder als eine aus einem Trend hervorgehende Entwicklung, die
Auflösung und neue Verbindungen befördert. Der Megatrend Gesundheit, Food-Trends wie Ethic Food und die
Vegetarier-Bewegung kulminieren im Veganismus, der zur Entwicklung neuer Nahrungsmittel führt, aber auch
einen starken Gegentrend anstößt. Daraus entwickelt sich wieder etwas Drittes, ein neuer Trend (Flexitarier),
der die vorherigen Widersprüche in sich vereint und damit die Trendentwicklung weiter auf eine höhere Stufe der
Komplexität treibt.

                                                      Veganismus                               Plant Based
Vegetarier                       Trend                                                         Food

                                Megatrend
Gesundheit                                                 Trend
                                  Trend
                                                                   Reaktion     Peak Meat
Etnic Food

                                                  Das Ende der
                                                     Beilage                        Neue       Fleisch- und
                                                                              Entwicklung      Milchersatz
                                                 Gemüse sind die
                                                   neuen Stars

                                Ein neuer Trend
                                vereint vorherige
                                                                                               Neue Fleisch-
                                Widersprüche und
             Flexitarier        neue Entwicklungen                              Reaktion       qualität
                                                                                               (Bio, Dry Aged,
                                                                                               besondere
                                                                                               Rassen)
                                                      Neue Entwicklung

Quelle: futurefoodstudio 2018                        In-Vitro-Fleisch

                                                                                                                    17
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INHALT    Food Report 2019

          FOOD                               SEITE   10
         TRENDS              – Update
                             – Plant Based Food
                             – Transparency
                             – Healthy Hedonism

                                                     30
     KANTINE
                                             SEITE

                             Nouvelle Cantine –
                             Die Zukunft der
            THEMEN-
          SCHWERPUNKT        Betriebsrestaurants

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Nouvelle
Cantine –
Die Zukunft
der Betriebs-
restaurants

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KANTINE   Themenschwerpunkt

           K
                          antinen und Betriebsrestaurants gehören
                          zwar zum Alltag, doch gelten sie nicht
                          gerade als Orte für gutes Essen. Wer
                          kann, isst auswärts. Allerdings zeigt der
                          Realitäts-Check: Kantinen sind inzwischen
            oft besser als ihr Ruf. Die Gemeinschaftsgastronomie war
            lange Zeit das vernachlässigte Stiefkind der Branche.
            Nun hat sie – ganz im Aufwind der neuen Arbeitskultur –
            einiges aufgeholt und schickt sich an, das ein oder andere
            Restaurant in Sachen Qualität, Kreativität, Design und
            Service zu überflügeln. Hinzu kommt das wachsende
            Bedürfnis der Menschen nach einer gemeinschaftlichen
            Esskultur, die auch das Teilen der Speisen, aber vor allem
            die Kommunikation und das gemeinsame Genießen des
            Essens beinhaltet. Wer den Tag mit Wissensarbeit vor
            dem Rechner verbringt, weiß solch kommunikative und
            sinnliche Pausen zu schätzen – und eben auch zu nutzen,
            um Kraft zu tanken und neue Ideen zu entwickeln. Unter-
            nehmen sind sich der Bedeutung von Kantinen, Cafeterias,
            Snackpoints und Co. zur Förderung der Produktivität und
            Erhöhung der Motivation durchaus bewusst.
            Die Betriebskantine ist das perfekte Schaufenster, um
            einen Einblick in die Unternehmenskultur und in die
            Wertschätzung der Mitarbeiter zu bekommen.

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DIE NEUE KANTINENKULTUR
                                                             Betriebliche Esskultur
Gemeinschaftsverpflegung – das war noch vor nicht
allzu langer Zeit eine kulinarische Drohung. Und ist es      ist Ausdruck der
in vielen Fällen leider noch immer. Wir alle haben mehr
oder weniger eindrucksvolle Erinnerungen an miserables       Wertschätzung für
Mensa-Essen, lausig schlechte Internatsverpflegung und
eintönige Kantinenmenüs. Resopal-Tische mit unbe-            Mitarbeiter.
quemen Holz- oder Plastikstühlen inbegriffen.

Doch seit einigen Jahren ist Bewegung in die betriebliche
Gemeinschaftsverpflegung gekommen. Die Megatrends
Individualisierung, Konnektivität, New Work und Gesund-
heit hinterlassen auch in Kantinen, Mensen und sogar         Zusammenwachsen von physischer und digitaler Welt
bei der Verpflegung in Schulen, Krankenhäusern und           einen mobilen Always-on-Lifestyle mit flexiblen Arbeits-
Seniorenheimen immer tiefere Spuren – und das im posi-       orten und -zeiten begünstigt. Zum anderen, weil die Ära
tiven Sinne. Zerkochtes Gemüse gehört inzwischen immer       der Selbstaufgabe für den Job schlicht vorbei ist. Arbeit
häufiger der Vergangenheit an – stattdessen werden           entwickelt sich vom traditionellen „Arbeitenmüssen“
die Gerichte frisch vor den Augen der Gäste zubereitet.      zum selbstbestimmten „Arbeitenwollen“ und „Arbeiten-
Einige Kantinen verzichten sogar auf die Selbstbedienung     können“. Viele neue Jobs werden nicht mehr als Zwang
inklusive Tablett, Essensausgabe und Schlangestehen an       zur Sicherung des Lebensunterhalts betrachtet, sondern
der Kasse und bieten die Auswahl und das Servieren der       als Tätigkeiten, die stolz machen und erfüllen sollen.
Gerichte am Tisch an.
                                                             Wer Mitarbeiter – potenzielle oder bestehende – nach-
Die neuen Betriebskantinen ähneln immer stärker              haltig motivieren und langfristig an sich binden will,
richtigen Restaurants, nicht nur im Design, sondern auch     muss nicht nur alternative Karrieremodelle, sondern
im vielfältigen, qualitätsorientierten Angebot. Für viele    auch ein Arbeitsumfeld anbieten können, das diesen
Unternehmen sind sie inzwischen zum Aushängeschild           neuen Werten entgegenkommt. Betriebsrestaurants und
ihrer Corporate Identity geworden sowie der Motor            Corporate Cafés werden damit immer mehr zu wichtigen
einer neuen Arbeits- und Kommunikationskultur, die           Bausteinen dieses neuen Arbeitsumfelds; Arbeitgeber
unter dem „New Work“-Paradigma die alten, linearen           im übertragenen wie auch im wortwörtlichen Sinn zu
Strukturen der Industriegesellschaft ablöst. Übergreifende   Gastgebern, Unternehmen zu funktionalen Äquivalenten
Denk- und Arbeitsstrukturen gehören immer mehr zur           von Freunden und Familie. Speziell die persönliche
täglichen Bürorealität, die sich auch bei der Organisation   Interaktion, das direkte Miteinander, wird in Zukunft an
der Mitarbeiterverpflegung widerspiegelt.                    Bedeutung gewinnen. Dabei spielt das gemeinsame Essen
                                                             eine zentrale Rolle. Es wird, wie es der dänische Starkoch
Essen in Zeiten von Work-Life-Blending                       René Redzepi präzise auf den Punkt bringt, „über lange
Zu den prägenden Merkmalen dieser neuen Arbeitsre-           Sicht das sein, was uns im Zeitalter der immer schnelleren
alität zählen flexible Arbeitsbedingungen, selbständige      Digitalisierung noch mit der analogen Welt verbindet“
Tätigkeiten und ein zunehmendes Work-Life-Blending:          (Rolff 2017). Insbesondere in jüngeren Firmen wird die
Die Grenze zwischen Beruf und Privatleben wird immer         Pflege einer solchen Unternehmenskultur professionell
unschärfer. Und das heißt: Beim Arbeiten wird gelebt,        durch spezielle Corporate Culture Coordinators oder
und beim Leben wird gearbeitet. Zum einen, weil das          Feelgood-Beauftragte gemanagt.

                                                                                                                     33
KANTINE          Themenschwerpunkt

                                                            Mahlzeiten pro Tag serviert werden. Betriebe investieren
Die sozialisierende Kraft                                   vorwiegend in die Ausstattung zum Kochen und Backen
                                                            sowie in allgemeine Utensilien wie Geschirr und Besteck.
von Essen und Trinken                                       Vor allem um die Arbeitsplätze in den Küchen zu opti-
                                                            mieren, Energiesparpotenziale auszuschöpfen und neue
gewinnt auch in                                             Technologien zu implementieren, die den veränderten
                                                            Anforderungen bei der Zubereitung frischer Speisen und
Betrieben immer mehr                                        Cook-and-Chill-Menüs, aber auch bei der Abfallvermei-
                                                            dung und Resteentsorgung entsprechen. Denn gerade
an Bedeutung.                                               in der Großgastronomie besteht hier ein beachtliches
                                                            Potenzial für positive ökologische Effekte. Diese wollen
                                                            immer mehr Unternehmen, die sich prinzipiell einer
                                                            nachhaltigen Produktion verpflichtet haben, auch bei der
Investitionen in ein Kantinen-Upgrade                       Mitarbeiterverpflegung nutzen.
Google, Spotify, Dropbox & Co. haben es vorgemacht. In
ihren Betriebsrestaurants geht es nicht mehr um schnelle    Essen schafft Kommunikation schafft
Kalorienaufnahme. Es geht um Genuss, bewusste Ent-          Produktivität
spannung und – ja, vor allem auch um Kommunikation,         Ebenfalls stehen Ausgaben für die Gastraumgestaltung
um Vernetzung und kreativen Austausch. Seit manuelle,       oben auf der To-do-Liste. Im Idealfall entstehen dabei
kraftraubende Tätigkeiten aus dem Alltag vieler Men-        Räume bzw. Zonen, die nicht nur dem Konsum dienen,
schen verschwunden sind – insbesondere aus dem der          sondern – dank der digitalen, mobilen Ausrüstung der
Angehörigen gut ausgebildeter Schichten, die ihrer Arbeit   Mitarbeiter mit Laptops und Tablets – auch als alternative,
in Steuerberatungsgesellschaften, Ministerien, Banken       temporär nutzbare Gesprächs- und Arbeitsplätze ver-
und Versicherungen oder hinter den Bildschirmen zur         wendet werden können. Denn im Zentrum der „Digitali-
Steuerung von Fertigungsrobotern nachgehen –, stellen       sierung“ steht nicht die eigentliche digitale Vernetzung,
Kantinengäste andere Anforderungen an die betriebliche      sondern stehen vielmehr neue kulturelle Qualitäten,
Verpflegung. Nicht nur im Hinblick auf Nährwerte und        eine organische und vertrauensvolle Kultur auch des
kulinarische Angebote, sondern auch im Hinblick auf         analogen Miteinanders. Um die kreative Produktivität
zeitlich und räumlich flexible Lösungen.                    zu steigern, werden Räume künftig bewusster gestaltet
                                                            und über Abteilungsgrenzen hinaus genutzt. Der Dialog
Unternehmen sind daher gefordert, ihre Betriebskantinen     wird zum zentralen Thema. Besonders beim Essen findet
fit zu machen für das 21. Jahrhundert: Wissensarbeit ist    häufig jene informelle Kommunikation statt, die Ideen
keine Fließbandarbeit, die sich nach geregelten Zeiten      leichter „reisen“ lässt. Unternehmen, in denen „Socia-
abrufen ließe – der beste Geistesblitz kann beim Zähne-     lizing“ ein aktiver Bestandteil der Kultur ist, haben eine
putzen, beim Joggen oder beim Small Talk mit Kollegen       höhere Produktivität. Laut des Workplace Survey 2016
aus anderen Abteilungen beim gemeinsamen Mittag-            von Gensler haben innovative Mitarbeiter doppelt so
essen kommen. Das scheint sich nun auch in deutschen        häufig Zugang zu Cafeterias und Outdoor Spaces – und
Unternehmen herumzusprechen. In vielen Betrieben            nutzen diese Möglichkeiten auch. Wo Mitarbeiter allein
verbessert sich damit auch das Investitionsklima: Laut      vor dem Computer essen, geht Produktivität verloren.
aktuellem GV-Barometer der Internorga beabsichtigen 59      Die Betriebsgastronomie sollte daher mit ihrem Angebot
Prozent der befragten Entscheider, 2018 Investitionen in    fließender werden und in jedem Winkel eines Unterneh-
ihre Betriebsrestaurants zu tätigen; davon mehrheitlich     mens, zu jeder Zeit des Tages Menschen für eine „kreative
größere Betriebe, in deren Kantinen mehr als 1.000 warme    Auszeit“ zusammenbringen.

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Zukunftsinstitut I Lebensmittel Zeitung

Nouvelle Cantine: Von der Essstation zum Genuss-
und Kommunikationszentrum

Betriebsverpflegung              Betriebsrestaurant
einfach, praktisch, günstig      gesünder, nachhaltiger,
und berechenbar                  erlebnis- und serviceorientiert

zeitlich/räumlich unflexibel     zeitlich und räumlich flexibel
(one fits all)
                                 Berücksichtigung individueller
                                 Wünsche

                                 Angebote für unterschiedliche
                                 Zielgruppen

deckt physiologischen Bedarf     Fokus auf Entspannung bzw.
                                 Inspiration
                                 Genuss- und gesundheitsorientierte
                                 kulinarische Angebote

                                 Fokus auf Nachhaltigkeit
                                 in der gesamten Produktionskette

                                 gutes Preis-Leistungs-Verhältnis

Teil des betrieblichen Gesund-   Teil der Kommunikations- und
heitskonzeptes                   Regenerationskultur

Quelle: futurefoodstudio 2018

                                                                       35
KANTINE          Themenschwerpunkt

Die Rahmenbedingungen in den Unternehmen dahin-             ausgewogen zu ernähren, und Unternehmen den Umstieg
gehend zu optimieren, dass Mitarbeiter sich gesünder        von der bloßen Subvention des Caterers zur gezielten
ernähren, ist auch in Europa zu einem zentralen Bestand-    Investition in Unternehmensgesundheit ermöglicht. Grün
teil des betrieblichen Gesundheitsmanagements geworden.     markierte, d.h. ernährungswissenschaftlich als nahrhaft
Während innovative Unternehmen in den USA dabei gezielt     und gesund bewertete Gerichte werden bei Kantinen nach
auch die Vielfalt an neuen Fleischersatzprodukten im Auge   dem GESOCA-Modell vom Unternehmen stärker subven-
haben, setzen europäische Kantinenbetreiber verstärkt auf   tioniert. Bei gelb oder rot markierten Gerichten zahlt der
biologische Ausgangsprodukte und frische Zubereitung.       Mitarbeiter mehr für sein Gericht. Der liechtensteinische
                                                            Werkzeughersteller Hilti ist eine der Firmen, die in ihrer
                                                            Werkskantine mit diesem Konzept die Mitarbeitergesund-
                                                            heit unterstützen wollen.
Essen wird zum emotio-
                                                            No-Cafeteria Zone
nalen Schaufenster                                          Einen ganz anderen Weg geht das US-amerikanische
                                                            Medienunternehmen Bloomberg in seinem neuen
von Unternehmen und                                         Headquarter in der Queen Victoria Street in London.
                                                            Bewusst wurde in dem von Stararchitekt Norman Foster
Organisationen.                                             entworfenen Gebäude auf ein Betriebsrestaurant ver-
                                                            zichtet. Die Mitarbeiter sollen motiviert werden, das
                                                            Büro zu Mittag und in den Pausenzeiten zu verlassen und
                                                            eines der zahlreichen Restaurants im Quartier aufzusu-
Essen ist politisch – Kantinen-Essen ist                    chen. Er wollte damit, so CEO Michael Bloomberg, das
politischer                                                 „Google-Syndrom“ vermeiden: dass Mitarbeiter „süchtig“
Dass Essen keine reine Privatsache ist, davon sind auch     nach ihrem Arbeitsplatz werden, weil sie mit kulinarisch
Food-Aktivisten wie Hendrik Haase, Gastrosophen wie         ansprechenden Gratis-Menüs und luxuriösen Aufent-
Harald Lemke und Gourmetkritiker wie Jürgen Dollase         halts- und Relaxing-Räumen verwöhnt werden, die kein
überzeugt, die Essen ganzheitlicher betrachten. Dollase     privates Wohnzimmer toppen kann (Prynn 2017).
hat sich daher kritisch der Mensen an deutschen Uni-
versitäten angenommen. Für die Frankfurter Allgemeine       Im neuen Bloomberg Centre sollen die Mitarbeiter raus
Zeitung berichtet er regelmäßig in einem eigenen Blog       auf die Straßen gehen, durch das Quartier schlendern
über seine Erfahrungen mit dem mittäglichen „Stu-           und sich mittags in einem der zahlreichen Restaurants
dentenfutter“ und findet dabei durchaus auch positive       verköstigen, die eine breite Vielfalt an unterschiedlichen
Beispiele. Oder er zeigt im Rahmen eines Seminars, wie      Küchen bieten. In der großen „Communal Pantry Area“
man sich auch in Kantinen auf ein höheres kulinarisches     im sechsten Stock werden daher konsequenterweise nur
Niveau kochen kann, ohne dabei auf besonders teure          Kaffee, Tee, Drinks und Snacks angeboten, jedoch keine
Ausgangsprodukte angewiesen zu sein.                        Lunch-Menüs. Arbeitsplatz und Mittagstisch werden
                                                            somit nicht nur räumlich getrennt, sondern man wird
Gesundheitsorientierte Steuerung des Caterings gewinnt      motiviert, in der Tat auch geistig eine Pause vom Job
auch in Deutschland immer mehr an Bedeutung. Das            einzulegen und in die kulinarische Vielfalt des Stadtvier-
darauf spezialisierte Beratungsunternehmen GESOCA           tels einzutauchen.
hat unter dem Motto „Gäste locken – Gäste führen – Gäste
VERführen“ ein einfaches Orientierungssystem auf
Ampelbasis entwickelt, das es Kunden erleichtert, sich

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Zukunftsinstitut I Lebensmittel Zeitung

BEST PRACTICE                            BEST PRACTICE                            BEST PRACTICE

Marmite Tasty                            Essenszeit bei                           Studio Olafur
Das Kochbuch-Bistro                      Bahlsen                                  Eliasson
Das Marmite Tasty im Electrolux-         Couscous statt                           Das ganze Team
Haus in Zürich bewegt sich elegant
zwischen Kantine und Bistro. Hinter
                                         Butterkeks                               am Tisch
dem Gastronomie-Konzept steckt           Beim Gebäckhersteller Bahlsen in         Eine Betriebskantine der anderen
der Chefredakteur von Marmite, der       Hannover ist Engagement gefragt:         Art genießen die knapp 100 Mit-
Zeitschrift für Ess- und Trinkkultur,    Jeder Mitarbeiter darf in der Kantine    arbeiter im Studio des dänischen
Andrin Willi. Die Küche orientiert       sein Lieblingsgericht zaubern. Selbst    Künstlers Ólafur Elíasson, die in
sich im wöchentlichen Rhythmus           Werner Michael Bahlsen, bis zur          einem 5.000 Quadratmeter großen
an einem ausgewählten Kochbuch.          Drucklegung des Food Reports der         ehemaligen Brauereigebäude im
So werden traditionelle Älplermag-       Firmenchef, stand in der Kantine, um     Prenzlauer Berg die Entwürfe zu
ronen vom Kanton Uri aus dem Buch        gebratene Lachsschnitten zuzube-         seinen Installationen umsetzen.
„Schweiz – Kulinarische Streifzüge“      reiten. Besonders wichtig war es der     Einmal am Tag kommen sie zu-
von Peter Widmer und Alexander           Geschäftsführung, die alte Kantine       sammen, um an den langen Tafeln
Christ auf den Tisch gezaubert. In       neu zu erfinden, und so wurde            gemeinsam zu essen. Auch wenn
einer anderen Woche bedient man          Dietmar Hagen als Koch eingestellt.      dann nicht immer Projekte bespro-
sich des Kochbuchs „The Collection“      Damals, vor nun mehr als 20 Jahren,      chen werden, ist es Elíasson wichtig,
der italienischen Kochlegende An-        ging er einen revolutionären Schritt:    gemeinsame Zeit zu schaffen, um
tonio Carluccio, um den Gästen vege-     Er entsorgte die Fritteuse und nahm      die Kreativität zu fördern. Maler und
tarische Penne mit Pinienkernen und      die Currywurst von der Speisekarte.      Designer, Buchhalter und Hand-
Auberginen zu kredenzen. Und der         Stattdessen setzt er auf eine frische,   werker, Programmierer und Philoso-
Küchenchef Babanoor Tuan Hajreen         ausgewogene Küche und serviert           phen sitzen zusammen und reichen
bringt auch einmal einen Hauch von       statt Butterkeksen lieber Couscous       die Schüsseln weiter, aus denen sich
Malaysia in die Kantine und serviert     mit Kichererbsen Tajine. Im Schnitt      jeder bedient – es gibt immer nur ein
das authentische Gericht Rendang         kosten die Gerichte um die 8,50 Euro,    Gericht. Die multikulturelle Zusam-
Daging (in Kokosmilch geschmortes        dabei übernimmt Bahlsen die Hälfte       mensetzung des Teams spiegelt sich
Rindfleisch mit Kurkuma-Reis).           des Gerichts der Festangestellten,       auch im Speiseplan, auf dem statt
Übrigens: Diese kulinarische Vielfalt    Praktikanten und Azubis werden           Currywurst und Pommes Miso-
ist nicht ganz uneigennützig, denn       zusätzlich um weitere 25 Prozent         Suppe mit Seetang-Gurken-Salat
die Mitarbeiter des Marmite-Verlags      subventioniert. Inzwischen betreibt      oder eine Schüssel Taboulé steht.
sind ebenfalls in den Büros des          Dietmar Hagen mit seiner Agentur         Und was an Essen übrig bleibt, darf
Electrolux-Hauses untergebracht.         nicht nur alle Betriebsrestaurants       man mit nach Hause nehmen. Seit
Dass alles ein wenig teurer ist als in   von Bahlsen, sondern bundesweit 20       2016 sind die Rezepte der Kunst-
anderen Betriebsrestaurants, wird        weitere Kantinen.                        Kantinen-Küche auch für jedermann
gerne akzeptiert. Schließlich isst       essenszeit.com                           nachzulesen: im Kochbuch „The
man hier auch deutlich besser.                                                    Kitchen“.
www.marmite-tasty.ch                                                              www.olafureliasson.net

                                                                                                                      43
KANTINE   Themenschwerpunkt

Fazit
KANTINE

            Kantinen wandeln sich von Essstationen zu Genuss-
            tempeln. Künftig sind Kantinen in Sachen Qualität
            und Raffinesse der zubereiteten Speisen nicht mehr
            von Restaurants unterscheidbar. Immer mehr Betriebs-
            restaurants sind nicht mehr nur für Mitarbeiter zu-
            gänglich, sondern stehen allen Gästen offen – Gourmets
            inbegriffen.

            Die neuen Kantinen sind Wohlfühlorte, an denen es
            nicht mehr nur ums Essen geht. Ihre Architektur und
            Innenausstattung laden zum Verweilen ein. Ob zum
            Arbeiten am Laptop oder zum Lesen eines guten Buches
            – jeder kann es sich gemütlich machen.

52                                                       Foto: Christian Rudnik/Google LLC
Zukunftsinstitut I Lebensmittel Zeitung

Gemeinschaftsgastronomie hat per se einen sozialen
Charakter, auch wenn dieser in den vergangenen Jahren
eher im Hintergrund stand: Kantinen sind Treffpunkte.
Sie fördern den informellen Austausch der Mitarbeiter,
können für interne Meetings oder Kundengespräche
genutzt werden. Eine entsprechende Architektur unter-
stützt diese Funktionen mit einem offenen Sitzbereich,
aber auch mit Rückzugsorten, die für vertrauliche Ge-
spräche geschlossen werden können.

Betriebliches Gesundheitsmanagement beginnt in der
Kantine. Neben einer ergonomischen Arbeitsplatzaus-
stattung und Bewegungsangeboten gehört eine gesunde
und abwechslungsreiche Ernährung zu den Pfeilern von
Corporate Health. Eine kulinarisch überzeugende Kura-
tierung von gesunden Gerichten stellt den Geschmack in
den Mittelpunkt – denn gesund und wohlschmeckend
ist kein Widerspruch.

                                                                     53
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