Versorgungssicherheit und Klimaschutz - Greenpeace Schweiz

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Versorgungssicherheit und Klimaschutz - Greenpeace Schweiz
Gesamtenergieszenario für die Schweiz

Versorgungssicherheit
und Klimaschutz
Wie die Schweiz mit einem raschen Ausbau der
Photovoltaik eine sichere und klimaverträgliche
Energieversorgung gewährleisten kann.

Deutsche Kurzfassung von Georg Klingler Heiligtag,
Energie- und Klimaexperte von Greenpeace Schweiz
Versorgungssicherheit und Klimaschutz - Greenpeace Schweiz
Versorgungssicherheit und Klimaschutz - Greenpeace Schweiz
Gesamtenergieszenario für die Schweiz

Im Jahr 2013 präsentierte Greenpeace Schweiz
erstmals ein Gesamtenergieszenario für die
Schweiz. Dieses Szenario zeigte, wie die Schweiz
zugleich aus der Nutzung der Atomenergie aus-
steigen und bis 2050 die Treibhausgasemissionen
auf netto null absenken kann, ohne das damals
noch verfügbare CO2-Budget zu überschreiten.
Der vorliegende Bericht ist ein Update des Gesamt-
energieszenarios aus 2013 unter Berücksichtigung
des neuesten Wissensstandes.

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Versorgungssicherheit und Klimaschutz - Greenpeace Schweiz
Eine Publikation von Greenpeace Schweiz, Januar 2022
    Die deutsche Kurzfassung basiert auf der englischen Origi-   Energieszenarien mit 100 % erneuerbaren Energien. Dr.
    nalstudie «Energy [R]evolution: 100% Renewable Energy        Sven Teske verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung in der
    for Switzerland», die von Dr. Sven Teske, Dr. Jihane Assaf   technischen Analyse von erneuerbaren Energiesystemen,
    und Yohan Kim des Institute for Sustainable Futures der      der Marktforschung für erneuerbare Energien und Integ-
    University of Technology Sydney im Auftrag von Green-        rationskonzepten für hohe Anteile von variablem erneuer-
    peace Schweiz erarbeitet wurde.                              barem Strom in Stromnetzen. www.uts.edu.au/isf

    Der englische Bericht ist auf der Webseite von Greenpeace    Dr. Sven Teske und sein Team haben in Kollaboration mit
    Schweiz verfügbar: www.greenpeace.ch/energieversorgung       anderen Forschungseinrichtungen auch das One Earth
                                                                 Climate Model entwickelt, mit dem sie aufzeigen, wie die
    Wissenschaftliche Expertise:                                 im Übereinkommen von Paris vereinbarte Begrenzung des
    Dr. Sven Teske ist ausserordentlicher Professor und Ener-    globalen Temperaturanstiegs auf 1,5 Grad Celsius global
    gie-Bereichsleiter am Institute for Sustainable Futures      erreicht werden kann.
    (UTS-ISF) an der University of Technology Sydney. Das
    Modellierungsteam des ISF wird von Dr. Sven Teske ge-        Das Konzept wurde im Springer Verlag 2019 veröffentlicht:
    leitet und ist weltweit führend in der Modellierung von      https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-030-05843-2

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Versorgungssicherheit und Klimaschutz - Greenpeace Schweiz
Gesamtenergieszenario für die Schweiz

Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung                                                         6
Einleitung                                                              11
Rahmensetzungen und Annahmen: So wurde gerechnet                       12
Ergebnisse: So werden fossile Energieträger in der Schweiz obsolet     16
    Entwicklung der CO2-Emissionen: max. 1.5°C ist noch möglich        16
		Das globale Emissionsbudget                                          16
		      Das Emissionsbudget der Schweiz                                18
    Klimaschutz im Verkehrssektor                                      21
		      Massnahmen für den Umbau des Verkehrssektors                   23
    Klimaschutz und Atomausstieg in der Elektrizitätsproduktion        24
		Stromnetze                                                           25
		Versorgungssicherheit                                                26
		Massnahmen für den Umbau des Elektrizitätssektors
   mit Gewährleistung der Versorgungssicherheit                        33
    Klimaschutz in der Wärmeproduktion                                 34
		      Massnahmen für den Umbau der Wärmeproduktion                   35
    Entwicklung von End- und Primärenergiebedarf                       36
Investitionen und Arbeitsplätze                                        38
Umgang mit anderen Treibhausgasemissionen                              40
    Emissionen anderer Treibhausgase in der Schweiz                    40
    Emissionen des Flugverkehrs                                        41
    Emissionen des Konsums                                             42
    Weitere durch die Schweiz verantwortete Emissionen                 43
Sozialer Wandel statt technologische Lösungen?                         44
Anhang                                                                 46
    Glossar46
    Monatsbilanzen der Stromversorgung im ADV-E[R]-Szenario            56
    Annahmen zum Wachstum von Wirtschaft und Bevölkerung               58
    Annahmen zu Energie- und Technologiekosten                         59
    Weitere Annahmen sind im englischen
    Grundlagenbericht dokumentiert                                     60

                                                                         5
Versorgungssicherheit und Klimaschutz - Greenpeace Schweiz
Zusammenfassung
Im Jahr 2013 präsentierte Greenpeace Schweiz ein Gesamtenergie-
szenario für die Schweiz. Dieses Szenario zeigte, wie die Schweiz
zugleich aus der Nutzung der Atomenergie aussteigen und bis 2050
die Treibhausgasemissionen auf netto null absenken kann, ohne das
damals noch verfügbare CO2-Budget zu überschreiten. Ebenso zeigten
wir, welche Investitionen es braucht und wie damit inländische Jobs
und Versorgungssicherheit geschaffen werden.

      Damals war es für viele noch undenkbar, dass      Darum hat Greenpeace Schweiz von unabhän-
      dereinst sämtliche CO2-Emissionen eliminiert      gigen Expert:innen des Institute for Sustainable
      werden müssen. Mittlerweile ist das Netto-        Futures (ISF) an der technologischen Universi-
      null-Ziel zum Common Sense geworden. Im           tät von Sydney (University of Technology Syd-
      Übereinkommen von Paris von 2015 ist ex-          ney, UTS) ein Update ihrer Energy [R]evolution
      plizit davon die Rede, und im Jahr 2019 hat der   erstellen lassen. Zwei neue Energy-[R]evolution-
      Bundesrat offiziell verkündet, dass er bis 2050   Szenarien, «Energy [R]evolution» (E[R]) und
      eine «klimaneutrale» Schweiz will. Im Jahr 2020   «ADVANCED Energy [R]evolution» (ADV-E[R]),
      folgten dann die Energieperspektiven 2050+ des    veranschaulichen die Möglichkeiten einer
      Bundes, die Wege aufzeigen, wie die Schweiz       beschleunigten Dekarbonisierung und eines
      dieses Ziel erreichen kann. Im Januar 2021 hat    früheren Ausstiegs aus der Nutzung der Atom-
      der Bundesrat schliesslich die auf diesen Pers-   kraft auf. Sie berücksichtigen den neuesten
      pektiven aufbauende langfristige Klimastrate-     Wissensstand des Intergovernmental Panel on
      gie der Schweiz verabschiedet.                    Climate Change (IPCC) mit dem heute noch für
                                                        die Schweiz verfügbaren CO2-Budget für die
                                                        Einhaltung einer globalen Erderwärmung von
Der zentrale Schwachpunkt der                           maximal 1.5°C.
bundesrätlichen Klimastrategie:
Die Menge an Treibhausgas-                              Die Greenpeace-Szenarien zeigen, dass eine
                                                        atomstrom- und CO2-freie Energieversorgung
emissionen, welche bei der                              hierzulande möglich und erschwinglich ist.
Umsetzung dieser Strategie bis                          Die entscheidenden Elemente sind:
2050 innerhalb der Schweiz noch                         - ein stark beschleunigter Ausbau der
verursacht wird, ist viel zu hoch.                        Photovoltaik und

      Die Einhaltung der in Paris vereinbarten und      - eine Steigerung der Energieeffizienz inklusive
      für die Sicherung unserer Lebensgrundlagen          Einsparungen durch Verhaltensänderungen
      wichtige 1.5°C-Grenze ist damit nicht möglich.
      Würden alle Länder die gleichen Klimaschutz-      Die Photovoltaik wird zur Schlüsselenergie für
      Ambitionen verfolgen wie die Schweiz, droht       die Dekarbonisierung von Verkehr, Gebäuden
      uns eine globale Erwärmung von bis zu 3°C, das    und Industrie. Um das verbleibende Emissions-
      besagt die Analyse des klimawissenschaftlichen    budget für 1.5°C einzuhalten und die Versor-
      Thinktanks Climate Action Tracker.1 Auf einer     gungssicherheit zu gewährleisten, muss bis
      um 3°C erhitzten Welt droht ein Massenausster-    2025 (!) der Ausbau der Photovoltaik massiv
      ben mit dem Ende der Zivilisation, wie wir sie    auf über 12 TWh/a beschleunigt werden. Bis
      heute kennen.                                     2035 ist der Beitrag der neuen erneuerbaren

                                                           Siehe Analyse auf https://climateactiontracker.org/
                                                          1

                                                           countries/switzerland/ (Stand 3.1.2022)

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Versorgungssicherheit und Klimaschutz - Greenpeace Schweiz
Gesamtenergieszenario für die Schweiz

Energien (ohne Wasserkraft) auf über 38                                  Der gezeigte beschleunigte Umbau
TWh/a zu steigern, wovon 30 TWh/a von der
Photovoltaik kommen werden. So lassen sich
                                                                         des Energiesystems macht die
bis 2030 die energiebedingten CO2-Emissionen                             Schweiz unabhängiger, sicherer und
der Schweiz um 60% und bis 2035 um 90% im                                klimafreundlicher. Die Schweiz ist
Vergleich zu 1990 senken. Die verbleiben-
den CO2-Emissionen können durch negative                                 weder auf Atomkraftwerke noch auf
Emissionen, also durch die Entfernung von                                neue Gaskraftwerke angewiesen.
Kohlenstoff aus der Atmosphäre, ausgeglichen
werden, so dass 2035 netto null CO2-Emissio-
nen erreicht werden können. Dafür muss die
Schweiz bereits heute Vorkehrungen treffen.

Abbildung Z1: Verlauf der energiebedingten CO2-Emissionen (ohne Zement) und Angabe kumulierte
Emissionen bis 2050 für die Energy-[R]evolution-Szenarien REF, E[R] und ADV-E[R] sowie das Sze-
nario EP-ZERO Basis der Energieperspektiven 2050+ mit und ohne Carbon Dioxide Removal (CDR).
(Quelle: Eigene Berechnungen und Energieperspektiven 2050+ (Variante EP-ZERO Basis, Strategievariante «ausgeglichene
Jahresbilanz 2050», KKW-Laufzeit 50 Jahre)).

                                                                                              Kumulierte CO2-Emissionen 2020-2050:
                              40                                                              REF:                     697 Mio. t CO2
                                                                                              E[R]:                    410 Mio. t CO2
                                                                                              ADV E[R]:                349 Mio. t CO2
                                                                                              EP-ZERO Basis:           615 Mio. t CO2
                              30
                                                                                              EP-ZERO Basis inkl. CDR: 562 Mio. t CO2
Mio t CO2/a, energiebedingt

                              20

                              10

                               0

                              -10

                                    2020         2025         2030           2035             2040             2045             2050

                                           REF   E[R]   ADV E[R]     EP-ZERO Basis ohne CDR        EP-ZERO Basis inkl. CDR im Inland

Der Endenergieverbrauch sinkt, die Strom-                                vielmehr befindet sich die Schweiz auf einem
produktion im Inland steigt stark an                                     Weiter-Wie-Bisher-Kurs). Die Greenpeace-Sze-
Die beiden Energy-[R]evolution-Szenarien                                 narien gehen unter anderem davon aus, dass
zeigen einen deutlich schnelleren und stär-                              das Potenzial zur effizienteren Energienutzung
keren Rückgang des Endenergieverbrauches                                 ausgeschöpft wird (z.B. Vermeidung des Stand-
als das Referenz-Szenario (REF), welches die                             by-Verbrauchs, Ersatz alter Beleuchtungen und
Klimaschutzpläne des Bundes abbildet (wobei                              Elektromotoren, Elektrifizierung des gesamten
diese Pläne derzeit nicht umgesetzt werden,                              Verkehrs).

                                                                                                                                        7
Versorgungssicherheit und Klimaschutz - Greenpeace Schweiz
Zusammenfassung

     Abbildung Z2: Entwicklung des Endenergiebedarfs (ohne nicht-energetische Nutzungen).

                                          Effizienz                 Andere Sektoren                    Industrie                 Verkehr
             800

              700

             600

              500
     PJ/a

             400

              300

              200

              100

                   0
                         se              e
                                       as tabl
                                               e
                                                      RE
                                                        F        R]         R]   RE
                                                                                   F        R]          R]    RE
                                                                                                                   F     R]          R]     RE
                                                                                                                                              F         R]         R]
                       Ba           re                         E[         E[              E[          E[               E[          E[                 E[         E[
                                  c        s                          V                           V                            V                             V
                               de        P                          AD                          AD                           AD                            AD
                            DP        GD
                        G
                       2018             2020                   2025                       2030                          2040                          2050

                            Aufgrund der konsequenten Elektrifizierung                            raturprozessen, steigt in den Energy-[R]evolu-
                            von Anwendungen, die heute noch mit fossilen                          tion-Szenarien die Stromproduktion innerhalb
                            Energieträgern betrieben werden, und des Be-                          der Schweiz um rund 25 bis 30 TWh bis im Jahr
                            darfs an erneuerbarem Strom zur Herstellung                           2050. Die Photovoltaik wird im Endausbau
                            von Brenn- und Treibstoffen für die Dekarboni-                        mehr zur Energieversorgung beitragen als die
                            sierung von schweren Geräten und Hochtempe-                           Wasserkraft.

     Abbildung Z3: Entwicklung der Stromproduktion für die verschiedenen Technologien.

                                     Geothermie                 Photovoltaik              Wasserkraft                  Atom               Erdöl

                                     Biomasse und               Wind                      Wasserstoff                  Diesel             Erdgas
                                     Syn-fuels

             100

             80

             60
     TWh/a

             40

             20

               0
                            se           e
                                       as tabl
                                               e
                                                      RE
                                                           F        R]      R]   RE
                                                                                      F        R]      R]      RE
                                                                                                                   F        R]      R]       RE
                                                                                                                                                  F        R]      R]
                       Ba           re                         E[        E[               E[        E[                 E[        E[                   E[        E[
                                  c        s                           V                          V                            V                              V
                               de        P                          AD                         AD                           AD                             AD
                            DP        GD
                        G
                       2018           2020                     2025                       2030                          2040                          2050

     8
Versorgungssicherheit und Klimaschutz - Greenpeace Schweiz
Gesamtenergieszenario für die Schweiz

Statt wie die Energieperspektiven des Bundes mit      sicherheit in der Schweiz gewährleistet. Das
50 Jahren Laufzeit der Atomkraftwerke zu rech-        unterstreichen die Analysen zur Stromnetz-
nen (und in Varianten sogar mit 60 Jahren), zeigt     stabilität und die realitätsgetreue Modellie-
Greenpeace Schweiz in den Energy-[R]evolution-        rung der Stromversorgungssituation für die
Szenarien, wie der Umbau des Energiesektors           Jahre 2025, 2030, 2040 und 2050. Dabei wird
mit einer maximalen Laufzeit von 45 Jahren ge-        deutlich: Je schneller der Ausbau der Photo-
lingen kann.2 In den Szenarien werden auch die        voltaik gelingt, desto geringer fallen die
Energie aus Windkraft und Biomasse ausgebaut,         Winterdefizite aus.
nicht aber die Wasserkraft. Für die Wasserkraft
wird angenommen, dass Systemoptimierungen             Mit dem Ausbautempo der Energy-[R]evolu-
und die in Realisierung neuer Kraftwerke den          tion-Szenarien wird das inländische Stromver-
Minderertrag durch die Einhaltung der gelten-         sorgungsdefizit nie grösser, als es heute schon
den Gewässerschutzgesetze ausgleichen wer-            ist. Die 5 TWh/a, die in den letzten fünf Jahren
den. Die Wasserkraftproduktion bleibt daher           durchschnittlich jeweils im Winter importiert
auf dem aktuellen Niveau.                             wurden, werden auch im Worst-Case-Wetters-
                                                      zenario nicht überschritten. Bei einem Vollaus-
Die Stromversorgungssicherheit ist                    bau der Photovoltaik im Jahr 2050 besteht kein
gewährleistet                                         Winterdefizit mehr, was die Energieversor-
Mit dem in den Energy-[R]evolution-Szenarien          gung der Schweiz im Vergleich zur heutigen
angestrebten Strommix ist die Versorgungs-            Situation sicherer und unabhängiger macht.

Abbildung Z4: Modellierung der inländischen Stromversorgung im Jahr 2050 für
das ADV-E[R]-Szenario. Es besteht zu keiner Zeit im Jahr ein Versorgungsdefizit.
(Quelle: SCS-Energiemodell, tagesgenaue Auflösung, eigene Berechnungen)

Der Ausbau der Photovoltaik sichert somit die         die für die Herstellung von Wasserstoff und
Versorgung im Winter und führt im Sommer              synthetischen Brenn- oder Treibstoffen
zu enormen Überschüssen, die es erlauben, in          (Methan/Methanol) gebraucht werden. Damit
der Schweiz Energieträger herzustellen (po-           können schwer elektrifizierbare Anwendungen
wer-to-X), welche heute vollständig importiert        in der Industrie und im Verkehr dekarbonisiert
werden. Im Jahr 2050 sind es rund 23 TWh/a,           werden.

                                                         Annahme: Beznau 1+2 laufen schon 2022 nicht mehr,
                                                        2

                                                         Gösgen wird Ende 2024, Leibstadt Ende 2029 abgestellt.

                                                                                                                  9
Versorgungssicherheit und Klimaschutz - Greenpeace Schweiz
Zusammenfassung

             Mit dem neuen Energiegesetz Weichen                -R
                                                                  eduktion der externen Kosten aus der Ver-
             stellen                                             brennung fossiler Energieträger – vor allem
             Die Energy-[R]evolution-Szenarien zeigen, dass      im Gesundheitsbereich.
             die Schweiz sehr gut positioniert ist, um im Zu-
             sammenspiel von sparsamer Energienutzung,          -E
                                                                  rhöhung der Wahrscheinlichkeit, dass die
             Photovoltaik und Wasserkraft die Dekarboni-         Klimakrise kollektiv gelöst werden kann und
             sierung des gesamten Energiesektors zu ermög-       damit Schadenskosten in Milliardenhöhe ver-
             lichen.                                             mieden werden können: Wenn reiche Länder
                                                                 bei der Dekarbonisierung mit den notwen-
             Weil der Ausbau der Photovoltaik in der Ver-        digen Investitionen vorangehen, werden die
             gangenheit sehr schleppend voran ging, be-          Lösungen günstiger. Mit jedem Zehntelgrad
             steht ein grosser Nachholbedarf, der nun von        Erderwärmung, das dadurch verhindert wer-
             Bund und Kantonen gezielt angegangen wer-           den kann, können die Schadenskosten tiefer
             den muss. Derzeit wird das Schweizer Energie-       gehalten werden.
             gesetz überarbeitet. Dieses ist so anzupassen,
             dass bis 2035 mindestens 38 TWh (statt der         Um gravierende Auswirkungen der Klima-
             vorgesehenen 17 TWh) aus neuen erneuer-            krise abwenden zu können, ist ein Umbau der
             baren Energien (ohne Wasserkraft) stammen.         Energieversorgung notwendig. Gleichzeitig
             Damit dieses Ziel erreicht werden kann, gilt es    sind auch die Treibhausgase zu eliminieren,
             insbesondere ein Umfeld zu schaffen, das mas-      die durch die Landwirtschaft, die Abfallver-
             sive Investitionen in den Ausbau der Photovol-     wertung, die Industrie (synthetische Gase und
             taik in der Schweiz ermöglicht.                    geogene Emissionen), den Flugverkehr, den
                                                                inländischen Konsum sowie den Schweizer
             Greenpeace-Energiewende schafft                    Finanzplatz und die in der Schweiz domizilier-
             Arbeitsplätze und Wertschöpfung                    ten multinationalen Konzerne verantwortet
             Im Vergleich zu den ohnehin nötigen Investi-       werden.
             tionen für die Erneuerung und den Erhalt der
             gegenwärtigen Energieinfrastruktur von rund        Und zwar rasch. Weil wirkungsvolle Klima-
             1’400 Milliarden CHF bis 2050 verlangen die        schutzmassnahmen jahrzehntelang aufge-
             präsentierten Energy-[R]evolution-Szenarien        schoben wurden, wird die Aufgabe immer
             Mehrinvestitionen von rund 7.5% – oder 105         schwieriger. Die heutigen Klimaschutzpläne
             Milliarden CHF bis 2050. Das sind rund 3.5         der Schweiz reichen nicht aus, um die globale
             Milliarden CHF pro Jahr und entspricht nicht       Erderwärmung auf 1.5°C zu begrenzen. Damit
             einmal der Hälfte des Betrags, der in den letz-    verletzt die Schweiz die Solidarität zwischen
             ten zehn Jahren jährlich für Erdöl- und Erdgas     den Menschen weltweit und den Generationen-
             ausgegeben wurde.                                  vertrag mit unseren Kindern. Mit ihrer derzei-
                                                                tigen Klimapolitik bürdet die Schweiz die Last
                                                                unserer Versäumnisse den nach uns lebenden
     Das für eine klimafreundliche und                          Menschen auf. Und sie verschärft die Situation
     sichere Energiewende eingesetzte                           für jene Menschen, die bereits heute übermäs-
     Geld schafft grossen Mehrwert für                          sig unter den Folgen der Klimaerhitzung leiden.
     die Schweiz. Zu nennen sind:                               Die Klimakrise ist auch darauf zurückzuführen,
                                                                dass partout an der gegenwärtigen Logik des
             -S
               chaffung von Arbeitsplätzen und Wert-           ständigen Wirtschaftswachstums festgehalten
              schöpfung in der Schweiz: Die Investitionen       wird. Der Konsum der Schweizer:innen basiert
              werden bis 2030 bis zu 30’000 neue Arbeits-       auf dem Glauben an einen Planeten ohne Gren-
              plätze im Cleantech-Bereich schaffen, fast        zen, Wirtschaftswachstum ist das oberste Ziel
              die Hälfte davon in der Photovoltaik-Branche.     staatlichen Handelns. Die dadurch geschaffenen
              Der dadurch gesamtwirtschaftlich ausgelöste       Probleme nehmen mittlerweile ein gewaltiges
              Arbeitsplatzeffekt führt insgesamt zu rund        Ausmass an, womit die Frage, wie ein gutes
              60’000 neuen Arbeitsplätzen. Vom in der Ener-     Leben mit weniger Wirtschaftsleistung mög-
              gy [R]evolution vorgeschlagenen Schweizer         lich ist, unweigerlich ins Zentrum gerückt wird.
              Klimaschutzprogramm profitieren Firmen in         Neben dem Engagement für den in den Energy-
              der Schweiz statt Erdöl- und Erdgasländer.        [R]evolution-Szenarien beschriebenen techno-
                                                                logischen Umbau des Energiesystems setzt sich
             -S
               tärkung der inländischen Versorgung und         Greenpeace Schweiz daher für eine sozio-ökono-
              Erhöhung der Unabhängigkeit von ausländi-         mische Transformation ein.
              schen Energielieferanten und Preiskartellen.

     10
Gesamtenergieszenario für die Schweiz

Einleitung
Für das vorliegende Update des Gesamtenergieszenarios Energy [R]evo-
lution spielen das verbleibende CO2-Emissionsbudget für die Einhaltung
von 1.5°C und eine auf 45 Jahre begrenzte Laufzeit für Atomkraftwer-
ke eine zentrale Rolle. Es wird ausgeführt, wie die Schweiz doch noch
ihren Beitrag zur Lösung der Klimakrise leisten kann, ohne die Atomri-
siken zu steigern. «Doch noch», weil wichtige Klimaschutzmassnahmen
mit dem notwendigen Umbau der Energieversorgung seit Jahrzehnten
aufgeschoben werden.

Mit den Energy-[R]evolution-Szenarien zeigen        Doch bei allen Blicken auf die
wir von Greenpeace Schweiz Wege zu einer
klimaverträglichen und sicheren Energiever-         drohenden Katastrophen aufgrund
sorgung in der Schweiz auf. Wir möchten mit         des andauernden Aufschiebens
den von unabhängigen Expert:innen erarbeite-
ten Szenarien einen Beitrag zum Klimadialog
                                                    von Klimaschutzmassnahmen darf
leisten und veranschaulichen, dass das Feld des     nicht vergessen werden, dass die
Möglichen viel grösser ist, als Parlament, Regie-   Lösung der Krise enorme Chancen
rung und grosse Teile der Gesellschaft glauben.
                                                    mit sich bringt.
Denn oftmals entsteht in der Berichterstattung
über die bundesrätliche Klima- und Energie-         Mit einer Umstellung auf erneuerbare Energien
strategie der Eindruck, dass damit höchst-          wird die Schweiz unabhängig von den aktu-
mögliche Ziele angestrebt würden. So wurde          ell enormen Energieimporten. Damit bleiben
und wird eine Erzählung geprägt, die glauben        Milliarden Franken im Land, statt nach Libyen,
macht, dass die Schweiz als eines der reichsten     Kasachstan und Russland zu fliessen. Diese Mil-
Länder auf dieser Erde nicht mehr zur Lösung        liarden werden dem einheimischen Gewerbe
der Klimakrise beitragen könnte. Es ist dieses      für erneuerbare Energien und Energieeffizienz
Narrativ, welches sich ändern muss, damit wir       zukommen. Die Randregionen werden beson-
uns als Gesellschaft aufmachen können, die          ders von der Wertschöpfung profitieren: Die
Klimakrise zu lösen. Nach Jahrzehnten des           Energiewende schafft gegenüber einem «Weiter
Abwartens müssen wir endlich klima-klug             wie bisher» unvergleichlich mehr Arbeitsplät-
handeln. Denn zu wenig zu leisten, um das           ze sowie langfristig bezahlbare Energiekosten
Problem zu lösen, ist gefährlich und unklug.        ohne Erdölkartelle, welche die Preise diktieren.
                                                    Dezentrale Solaranlagen verbreitern die volks-
Der gesellschaftliche Wille und Rückhalt für        wirtschaftliche Bedeutung des Energieversor-
klima-klügeres Handeln hängt nicht zuletzt          gungssektors. Hunderttausende Bürger:innen
auch davon ab, dass darüber debattiert wird,        tragen zur Landesversorgung bei, Landwirt:in-
was wirklich möglich ist und was auf dem Spiel      nen werden zu Energiewirt:innen, Fachleute
steht. Mit dem gegenwärtigen Kurs riskiert die      aus dem Bau- und Haustechniksektor zu Spezi-
Schweiz ganz konkret unsere Lebensgrundla-          alist:innen für energetische Sanierungen und
gen. Das zeigen die heute schon beobachtbaren       durch den Umbau von Dächern und Fassaden
Auswirkungen einer globalen Erwärmung von           werden diese zu Stromproduktionsanlagen.
rund 1.1°C und zunehmende Hinweise, die na-
helegen, dass gewisse Kipppunkte im Klimasys-       Zu den Chancen gehören auch Quartiere mit
tem ausgelöst werden könnten. Solche selbst-        deutlich mehr Grünräumen, weniger Moto-
verstärkenden Effekte können dazu führen,           renlärm und fast keinen Abgasen mehr. Die
dass die Kontrolle über die globale Erhitzung       enormen externen Kosten unseres aktuellen
vollends verloren geht. Als Folge droht ein Mas-    Energiesystems werden durch den Umbau
senaussterben und das Ende der Zivilisation,        verringert und sorgen im Zeithorizont von 30
wie wir sie heute kennen.                           Jahren für ein positives Saldo.

                                                                                                           11
Rahmensetzungen und Annahmen:
So wurde gerechnet
Szenarien sind mögliche Entwicklungsverläufe und werden benötigt, um
Entscheidungsträger:innen einen umfassenderen Überblick zu verschaffen
und um die Gestaltungsmöglichkeiten künftiger Energiesysteme aufzu-
zeigen. Im vorliegenden Bericht wird anhand von drei Szenarien gezeigt,
wie weit das Schweizer Energiesystem umgebaut werden kann:

      - Unser Referenz-Szenario (REF) entspricht       nach Ablauf der Lebensdauer, woraus dann die
        ungefähr dem Szenario ZERO Basis aus den        Gestehungskosten vollkostenbasiert ermittelt
        Energieperspektiven 2050+.                      werden. Die Nachfrageentwicklung wird an-
                                                        hand der angenommenen Wirtschafts- (BIP)
      - Die Energy-[R]evolution-Szenarien «Energy      und der Bevölkerungsentwicklung (welche
        [R]evolution» (E[R]) und «ADVANCED Energy       wiederum mit untergeordneten Treibergrössen
        [R]evolution» (ADV-E[R]), zeigen die Möglich-   wie Verkehrsleistungen und beheizten Flächen
        keiten einer beschleunigten Dekarbonisie-       verknüpft sind) und anhand von Annahmen zur
        rung und eines früheren Ausstiegs aus der       Entwicklung der Energieintensitäten von An-
        Nutzung der Atomkraft auf.                      wendungen und von ganzen Sektoren (Indust-
                                                        rie, Verkehr, Haushalte und Dienstleistungen)
      Auf die Berechnung eines Weiter-Wie-Bisher-       bestimmt.
      Szenarios (WWB) wurde verzichtet, da das
      Übereinkommen von Paris und die bundesrät-        Um die Ergebnisse unserer Szenarien mit den
      liche Klimastrategie ein solches gar nicht mehr   Energieperspektiven 2050+ des Bundes verglei-
      zulassen. In den Energieperspektiven 2050+ des    chen zu können, haben auch wir für sämtliche
      Bundes finden sich jedoch Angaben zu einem        Berechnungen wie der Bund ein weiteres Wirt-
      WWB-Szenario, die bei Interesse zum Vergleich     schafts- und Bevölkerungswachstum angenom-
      herbeigezogen werden können.                      men. Praktisch alle Szenarien für Klimaschutz
                                                        im Gesamtenergiesystem setzen auf ein wei-
      Die beiden ER-Szenarien wurden von Fachleu-       teres Wirtschaftswachstum. Dadurch wird die
      ten des Instituts for Sustainable Futures (ISF)   Energiewende immer anspruchsvoller, schwie-
      an der technologischen Universität von Sydney     riger und teurer. Dabei ist unbestritten, dass
      (University of Technology Sydney, UTS) entwi-     eine Gesellschaft mit einem Wirtschaftssystem,
      ckelt. Die Forschungsgruppe verfügt über ein      das von Sinn und Genügsamkeit geprägt ist und
      grosses Wissen zu Modellierungen von Energie-     sich an den wichtigsten Grundbedürfnissen
      systemen und hat unter anderem mit dem «One       der Menschen orientiert, enorm zur Lösung
      Earth Climate Model» auch global aufgezeigt,      der Klimakrise beitragen würde. Welche Rolle
      wie die 1.5°C-Grenze eingehalten werden kann.     daher Transformationsansätze bei der Energie-
      Die detaillierten Angaben zur Methodik und        wende spielen können, beschreiben wir daher
      den Berechnungen für die Schweiz werden in        in einem eigenen Kapitel.
      einem separaten englischen Bericht publiziert.
                                                        Folgende Rahmenbedingungen bzw. Daten wur-
      Der Umbau des Schweizer Energiesystems            den als Input für die Berechnungen der beiden
      wurde ausgehend von den nachhaltigen Aus-         Energy-[R]evolution-Szenarien verwendet:
      baupotenzialen und den strukturellen Möglich-
      keiten festgelegt. Wichtig war dabei, einen 100   - Die Annahmen zur Bevölkerungsentwicklung
      % erneuerbaren Elektrizitätsmix zu entwickeln,      und zur Entwicklung des Bruttoinlandpro-
      der die Versorgungssicherheit rund um die Uhr       dukts (BIP) bis 2050 wurden von den Energie-
      zu jeder Zeit sicherstellen kann und der wirt-      perspektiven 2050+ des Bundes übernommen,
      schaftlich tragbar ist.                             die 2020 und 2021 veröffentlicht wurden. Darin
                                                          wird davon ausgegangen, dass die Schweizer
      Die Berechnung der Investitionskosten für           Bevölkerung bis 2050 10.3 Millionen Menschen
      beide Szenarien umfasst den Anlagenersatz           zählen wird und dass das BIP von 633 Milliar-

12
Gesamtenergieszenario für die Schweiz

 den im Jahr 2018 auf 880 Milliarden im Jahr         Anlagentechnologien angepasst und beträgt
 2050 ansteigen wird. Beide Annahmen haben           im Jahr 2050 max. 5.8 TWh/a.
 einen grossen Einfluss auf die Entwicklung
 des Energiebedarfs in der Schweiz. Das stän-       - Das Potenzial zur Nutzung der tiefen Geo-
 dige Wachstum erschwert den Umbau des                thermie für die Stromproduktion wurde auf-
 Energiesystems. Die genannten Rahmendaten            grund der weiterhin unsicheren Ausgangsla-
 wurden dennoch verwendet, um die Vergleich-          ge auf weniger als 1 TWh/a geschätzt. Damit
 barkeit mit den Bundesszenarien zu gewähr-           liegt der Beitrag der Geothermie in einem
 leisten.                                             Bereich, der durch andere Massnahmen
                                                      ersetzt werden kann, falls die Technologie
- Für die Kostenentwicklung der erneuerbaren         keine vermehrte Anwendung findet.
  Energien wurden die jüngsten Entwicklungen
  und Prognosen der schnelllebigen Märkte im        - Das Potenzial der Erdwärmenutzung mittels
  Strom- und im Wärmesektor berücksichtigt.           Wärmepumpen wurde im E[R]-Szenario an
                                                      das verfügbare erneuerbare Stromangebot
- Für die Berechnungen mit einem CO2-Preis           gekoppelt.
  wurde angenommen, dass dieser von aktuell
  96 CHF pro Tonne auf bis zu 350 CHF pro Ton-      - Das Gesamtpotenzial der Wasserkraft
  ne im Jahr 2050 ansteigen wird.                     wurde gemeinsam mit den anderen Umwelt-
                                                      organisationen der Umweltallianz wegen
- Die Energiebedarfsentwicklung wurde für            der heute schon sehr starken Nutzung der
  die Sektoren einzeln ermittelt und mit Unter-       Wasserläufe in der Schweiz als konstant
  suchungen der Schweizerischen Agentur für           angenommen. D.h. Produktionsgewinne
  Energieeffizienz sowie den Energieperspek-          durch die Erneuerung von Anlagen werden
  tiven 2050+ des Bundes abgeglichen. Zu den          durch den Minderertrag aus der Erfüllung
  wichtigsten Annahmen für den Energiebedarf          der Anforderungen des Gewässerschutzes
  im Wärmebereich zählen die Senkung des              neutralisiert. Die Wasserkraft leistet damit
  Energiebedarfs durch energetische Sanierun-         auch in Zukunft einen zentralen Beitrag an
  gen, eine rasche Ausweitung der Nutzung von         die Stromversorgung.
  Solar- und Fernwärme sowie eine grössere
  Nutzung von Strom für Wärmezwecke. Weil           - Das Potenzial der Photovoltaik (PV) in der
  Strom auch für den wachsenden Anteil der            Schweiz ist enorm. Das Bundesamt für Ener-
  Elektrofahrzeuge im Verkehrssektor benötigt         gie hat das theoretisch nutzbare Potenzial
  wird, steigt der Stromverbrauch trotz massiver      auf Gebäudedächern auf rund 50 TWh pro
  Effizienzsteigerungen bis 2050 an.                  Jahr geschätzt. Mit weiteren rund 17 TWh/a,
                                                      die durch die Nutzung von Fassaden hinzu-
- Für den Ausbau der erneuerbaren Energien           kommen könnten. Zusätzlich schätzt der
  wurden folgende Rahmenbedingungen für die           Branchenverband Swissolar das umweltver-
  langfristig nachhaltige Nutzung gesetzt:            trägliche Potenzial auf weiteren Infrastruk-
                                                      turanlagen, wie Staumauern, Lärmschutz-
 - Das Biomassepotenzial der E[R]-Szenarien          wänden usw. auf rund 15 TWh/a.
   beschränkt sich auf das vom Schweizeri-
   schen Energiekompetenzzentrum SCCER               In den E[R]-Szenarien spielt der Ausbau der
   BIOSWEET ermittelte nachhaltige Potenzial         Photovoltaikanlagen eine zentrale Rolle und
   für die energetische Nutzung. Der Primär-         wird knapp 48 TWh/a erreichen, was immer
   energieinhalt dieses Potenzials wird auf          noch weit unter der Ausschöpfung des Ge-
   insgesamt rund 97 PJ/a beziffert (50 PJ/a aus     samtpotenzials bleibt.
   der Nutzung holziger Biomasse, 27 PJ/a aus
   Hofdünger und 20 PJ/a aus der restlichen Bio-     Weil steil montierte Photovoltaikanlagen im
   masse). Das Potenzial liegt damit etwas tiefer    Alpenraum im Winter fast gleich viel produ-
   als in der Energy Revolution 2013 (126 PJ/a).     zieren wie im Sommer (während Anlagen im
                                                     Mittelland im Sommer doppelt so viel liefern
 - Das Potenzial der Windenergie wurde ana-         wie im Winter), gehen wir davon aus, dass
   log zum 2013 veröffentlichten E[R]-Szenario       rund ein Fünftel der Solaranlagen auf Dächern
   auf den jährlichen Stromertrag von rund           und Infrastrukturen (z.B. Parkplätzen, Stau-
   400 Windkraftanlagen (WKA) begrenzt. Dies         seen, Schneesportanlagen, Lawinenverbauun-
   entspricht dem von den Organisationen der         gen) in den Alpen installiert werden kann.
   Umweltallianz unterstützten nachhaltig
   nutzbaren Potenzial in der Schweiz. Der          - Das Potenzial der Solarthermie wurde
   Stromertrag der WKA wurde den neusten              gemäss dem Masterplan Solarthermie des

                                                                                                          13
Rahmensetzungen und Annahmen

                Branchenverbands Swissolar für 2050 auf          aus heutiger Sicht nicht von einer vollständigen
                höchstens 40 PJ/a beschränkt, die sich nach-     Elektrifizierung aller Verkehrsträger und Pro-
                haltig nutzen lassen. Das entspricht etwa 2      zessanwendungen in der Industrie ausgegangen
                m2 Sonnenkollektoren pro Kopf. Im E[R]-Sze-      werden. Die Wasserstoffherstellung und die
                nario wird dieses Potenzial mit rund 35 PJ/a     weitere Umwandlung in Methan oder Methanol
                im Jahr 2050 nicht ganz ausgereizt.              sind aktuell zwar mit Energieverlusten verbun-
                                                                 den, aufgrund des begrenzten Potenzials von
               - Die Möglichkeit von Stromimporten wurde        Biomasse und auch von elektrischen Anwen-
                 im Szenario weiterhin zugelassen, sollte aber   dungen sind zusätzliche erneuerbare Energie-
                 den Rahmen der heutigen Import-Export-Bi-       träger jedoch notwendig.
                 lanz nicht sprengen. Die maximale Import-
                 menge wird daher auf 5 TWh/a beschränkt.        Im Anhang sind sämtliche Grundannahmen im
                 Wegen des fortschreitenden Umbaus des           Detail aufgeführt. Die Grundlagen und Quellen
                 Energiesystems in den umliegenden Ländern       hinter den Annahmen werden im englischen
                 und der Investitionen von Schweizer Strom-      Grundlagenbericht im Detail erläutert. Dazu
                 versorgern in erneuerbare Energien im Aus-      gehören:
                 land (vor allem Windkraft und Solarstrom)
                 wurde unterstellt, dass die Stromimporte zu-    - Annahmen zur Bevölkerungsentwicklung und
                 nehmend auf erneuerbarem Strom beruhen.           Wirtschaftswachstum bis 2050

               - Für die Modellierung der Netzbelastung         - Annahmen zur Entwicklung der Öl- und Gas-
                 wurde mittels Geoinformationen der Zubau          preise
                 erneuerbarer Energien und die Stromnach-
                 frage lokalisiert. Die Analysen werden im       - Annahmen zu den künftigen Kosten von CO2-
                 englischen Grundlagenbericht präsentiert.         Emissionen (inkl. Techniken zur Abscheidung
                                                                   und Endlagerung von CO2-Emissionen im
              Als Neuerung im Energiesystem werden in al-          Untergrund)
              len Szenarien Wasserstoff und die Folgeproduk-
              te Methan und Methanol eingeführt. Wasser-         - Annahmen zur Kostenentwicklung der erneu-
              stoff wird durch Elektrolyse mit erneuerbarem        erbaren Technologien im Strom-, Wärme- und
              Strom erzeugt und kommt schon ab 2030 vor            Kältesektor (Wasser, Wind, Sonne, tiefe und
              allem im Verkehrs- und teilweise im Industrie-       untiefe Geothermie, Wärmepumpen und Bio-
              sektor zum Einsatz. Erstens werden im Sommer         masse).
              Stromüberschüsse anfallen und zweitens kann

     14
Gesamtenergieszenario für die Schweiz

                             15
Ergebnisse: So werden fossile
Energieträger in der Schweiz obsolet
Verschiedene Energieszenarien zeigen schon heute, dass es möglich ist,
fossile Energieträger in der Schweiz loszuwerden. Teilweise werden je-
doch gefährlich lange Laufzeiten für die verbleibenden Atomkraftwerke
angenommen und oft fehlt eine fundierte Analyse, ob die kumulierten
Treibhausgasemissionen bis zur vollständigen Dekarbonisierung der
Schweiz innerhalb der für die globale 1.5°C-Grenze noch tolerierbaren
Menge liegen.
Das vorliegende Energieszenario zeigt, wie beides – Klimaschutz und
der Schutz vor Atomrisiken – machbar ist.

      Entwicklung der CO2-Emissionen:
      max. 1.5°C ist noch möglich
      Das globale Emissionsbudget                        Das CO2-Budget gilt nicht für die anderen
      Die Bestimmung der Menge an CO2, die noch          Treibhausgasemissionen wie z.B. Methan und
      ausgestossen werden darf, um die 1.5-Grad-         Lachgas. Um das CO2-Budget für die Einhaltung
      Grenze mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit       der 1.5°C-Grenze berechnen zu können, wur-
      nicht zu überschreiten, ist theoretisch einfach,   den Annahmen zur Entwicklung der anderen
      weil ein nahezu lineares Verhältnis zwischen der   Treibhausgase getroffen. Wenn diese langsamer
      kumulierten Menge an CO2-Emissionen und dem        reduziert werden als angenommen, verkleinert
      Anstieg der Temperatur besteht. Im ersten Teil     sich das CO2-Budget (und umgekehrt – im Um-
      des sechsten Sachstandsberichts des Weltklima-     fang von plus-minus 220 Gt CO2e).
      rates IPCC wird das globale CO2-Budget, das ab
      2020 noch ausgestossen werden kann, ohne eine      Ausgehend von diesen Erkenntnissen muss die
      globale Erwärmung von 1.5°C zu überschreiten,      zentrale Frage in der Klimapolitik sein: Mit
      auf 300 bis 900 Gigatonnen (Gt) CO2 beziffert.     welcher Wahrscheinlichkeit soll eine maxi-
      Die grosse Bandbreite ergibt sich aus der Wahr-    male globale Erwärmung von 1.5°C erreicht
      scheinlichkeit, mit der die Grenze von maximal     werden – konkret, mit welcher Wahrschein-
      1.5°C eingehalten werden soll: bei einem CO2-      lichkeit soll die Welt vor irreparablen Klima-
      Budget von 300 Gt beziffern die Forscher:innen     schäden bewahrt werden? Vor dieser Frage
      die Wahrscheinlichkeit der Einhaltung der          drückt sich jedoch die Politik, und viele Men-
      1,5-Grad-Grenze mit 83%, bei 400 Gt mit 67%, bei   schen haben noch nie vom CO2-Budget gehört.
      500 Gt mit 50% und bei 900 Gt lediglich noch mit   Eigentlich ist die Frage eine rhetorische, wird
      17%.3 Je mehr Emissionen verursacht werden,        sie für andere Lebensbereiche übersetzt: Wür-
      desto kleiner wird also die Wahrscheinlichkeit,    den Sie in einen Zug steigen, der mit 67% Wahr-
      dass die 1.5°C noch eingehalten werden können.     scheinlichkeit am Zielort ankommt? Anders
      Auch interessant: Eine 100-prozentige Wahr-        gefragt: Würden Sie eine Zugfahrt antreten, die
      scheinlichkeit gibt es nicht (mehr).
                                                           IPCC, 2021: Summary for Policymakers. In: Climate
                                                          3

      Zur Einordnung der Mengen: Weltweit werden           Change 2021: The Physical Science Basis. Contribution
                                                           of Working Group I to the Sixth Assessment Report
      gegenwärtig jährlich etwas mehr als 40 Giga-
                                                           of the Intergovernmental Panel on Climate Change
      tonnen CO2 ausgestossen. Beim derzeitigen            [Masson-Delmotte, V., P. Zhai, A. Pirani, S. L. Connors,
      Emissionslevel wäre also das kleinste CO2-Bud-       C. Péan, S. Berger, N. Caud, Y. Chen, L. Goldfarb, M. I.
      get (83%-Wahrscheinlichkeit) im Jahr 2027            Gomis, M. Huang, K. Leitzell, E. Lonnoy, J.B.R. Matt-
                                                           hews, T. K. Maycock, T. Waterfield, O. Yelekçi, R. Yu and
      aufgebraucht.
                                                           B. Zhou (eds.)]. Cambridge University Press. In Press.
                                                           Table SPM.2, S.38,

16
Gesamtenergieszenario für die Schweiz

mit 33% Wahrscheinlichkeit in einer Katastro-                                    ten werden kann, von einer sofortigen und stei-
phe mündet?                                                                      len Reduktion der CO2-Emissionen ausgehen.
                                                                                 Die nachfolgende Abbildung aus dem Spezial-
Das Fass überläuft schon fast und es überrascht                                  bericht des Weltklimarates IPCC zur Einhaltung
nicht, dass sämtliche Berechnungen, die zeigen,                                  von 1.5°C zeigt die möglichen globalen Absenk-
wie weltweit die 1.5°C-Grenze nicht überschrit-                                  pfade zur Einhaltung der 1.5°C-Grenze.4

Abbildung 1: Mögliche Entwicklungen der globalen menschengemachten CO2-Emissionen,
um die Grenze von 1.5°C noch einhalten zu können.
(Quelle: IPCC, 2018: Global warming of 1.5°C, Full-Report, Figure 2.5, S. 113)

                                                                                                            Non-CO2 emissions relative to 2010
 Global total net CO2 emissions                                                                             Emissions of non-C        ers are also reduced
 Billion tonnes of CO2/yr
                                                                                                            or limited in pathways limiting global warming
                                                                                                            to 1.5°C with no or limited overshoot, but
 50                                                                                                         they do not reach zero globally.

                                                                                                            Methane emissions
 40                               In pathways limiting global warming to 1.5°C                               1
                                  with no or limited overshoot as well as in
                                  pathways with a higher overshoot, C
 30                               are reduced to net zero globally around 2050.
                                                                                                             0
                                                                                                                   2020        2040      2060     2080   2100

 20
                                                                                                            Black carbon emissions
                                                                                                             1
 10
                                                          Four illustrative model pathways

   0                                                                                                         0
                                                                                                                   2020        2040      2060     2080   2100
                                                                                                   P1
                                                                                                   P2
                                                                                                            Nitrous oxide emissions
 -10
                                                                                                   P3
                                                                                                             1

 -20
                                                                                                   P4

                                                                                                             0
   2010      2020     2030       2040     2050     2060      2070        2080       2090        2100               2020        2040      2060     2080   2100

 Timing of net zero CO2                                       Pathways limiting global warming to 1.5°C with no or limited overshoot
 Line widths depict the 5-95th                             Pathways with higher overshoot
 percentile and the 25-75th                                                                          Pathways limiting global warming below 2°C
 percentile of scenarios                                                                             (Not shown above)

Die Kurven zeigen nicht nur, dass die CO2-Emis-                                  Darum: Eine Halbierung der menschen-
sionen sofort steil abgesenkt werden müssen,
sondern auch, dass verpasste Reduktionen spä-
                                                                                 gemachten globalen CO2-Emissionen
ter wieder aus der Atmosphäre entfernt werden                                    bis 2030 und die Erreichung von netto
müssen (der sogenannte Overshoot muss mit                                        null CO2 im Jahr 2050 wird als globale
«netto negativen Emissionen» bzw. der Entfer-
nung und Einlagerung von CO2- aus der Atmo-                                      Minimalanforderung für die Einhaltung
sphäre wieder wettgemacht werden).                                               der 1.5°C-Grenze gesehen.
Der Zeitpunkt, bis zu dem netto null Emissio-
nen erreicht werden sollten, liegt global bei
2050. Wenn auf dem Weg zur Erreichung der
Netto-null-Grenze möglichst keine Emissions-                                          IPCC, 2018: Global Warming of 1.5°C.An IPCC Special
                                                                                     4

schulden angehäuft werden sollen, dann ver-                                           Report on the impacts of global warming of 1.5°C above
schiebt sich die Netto-null-Grenze um etwa 10                                         pre-industrial levels and related global greenhouse gas
                                                                                      emission pathways, in the context of strengthening
Jahre nach vorne. Umgekehrt kann die Entfer-
                                                                                      the global response to the threat of climate change,
nung von CO2 aus der Atmosphäre theoretisch                                           sustainable development, and efforts to eradicate
ein paar Jahre mehr Zeit verschaffen. Doch die                                        poverty [Masson-Delmotte, V., P. Zhai, H.-O. Pörtner, D.
Technik zur CO2-Abscheidung und -Speicherung                                          Roberts, J. Skea, P.R. Shukla, A. Pirani, W. Moufouma-
                                                                                      Okia, C. Péan, R. Pidcock, S. Connors, J.B.R. Matthews,
(Carbon Capture and Storage CCS) ist nach wie
                                                                                      Y. Chen, X. Zhou, M.I. Gomis, E. Lonnoy, T. Maycock,
vor sehr teuer und wenig erprobt.                                                     M. Tignor, and T. Waterfield (eds.)]. In Press.

                                                                                                                                                                17
Ergebnisse

             Das Emissionsbudget der Schweiz                    - Durch ihren übermässigen Konsum hierzu-
             Wie viel des globalen CO2-Budgets darf die           lande verursachen die Schweizer:innen in
             Schweiz für sich beanspruchen? Das ist eine          anderen Ländern ein Mehrfaches der Inland-
             weitere Frage, die politisch beantwortet             emissionen. Die Gesamtsumme der Pro-Kopf-
             werden muss. Auch darüber wird erstaunlich           CO2-Emissionen hat in den letzten Jahren gar
             wenig gesprochen.                                    zugenommen.5 Im globalen Vergleich gehört
                                                                  die Schweiz zu den 15 Ländern mit den höchs-
             Würde das gesamte CO2-Budget seit Beginn der         ten Pro-Kopf-CO2-Emissionen.6
             Industrialisierung gleichmässig auf die Welt-
             bevölkerung aufgeteilt, hätte die Schweiz den      - Die Schweiz hat als eines der reichsten Län-
             ihr zustehenden Anteil schon aufgebraucht.           der dieser Welt deutlich mehr Möglichkeiten,
             Die Schweiz würde also heute schon auf Pump          die Emissionen rasch abzusenken als andere
             leben.                                               Länder.

             Wenn vergangene Emissionen ausser Acht             Das alles sind Gründe, warum die Schweiz klar
             gelassen und das verbleibende Budget ab 2020       weniger als das maximale Budget von 440 Mio.
             gleichmässig verteilt würden, stünden der          Tonnen CO2 nutzen sollte, um einen fairen Bei-
             Schweiz gemäss ihres Bevölkerungsanteils (ca.      trag zur Lösung der Klimakrise zu leisten. Ein
             0.11% der globalen Bevölkerung) noch rund          Blick auf die Energieszenarien des Bundes zeigt
             330 bis 990 Millionen Tonnen CO2-Emissionen        jedoch: Es gibt kein Szenario, dass die Einhal-
             zu. Bei einer Wahrscheinlichkeit von 83%, die      tung des grösstmöglichen CO2-Budgets von 440
             1.5°C-Grenze nicht zu überschreiten, wäre das      Millionen Tonnen bis 2050 gewährleistet.
             für die Schweiz verbleibende CO2-Budget im
             Jahr 2029 aufgebraucht, bei einer 67%-Wahr-        Die folgende Abbildung des Verlaufs der ener-
             scheinlichkeit im Jahr 2032 – wenn die energie-    giebedingten CO2-Emissionen in der Schweiz
             bedingten CO2-Emissionen unverändert auf           in den für die Energy [R]evolution berechneten
             dem Stand von 2019 (34.6 Mio. Tonnen CO2) blei-    Szenarien (REF, E[R] und ADV E[R]) sowie im
             ben. Konkret heisst das: Wenn Gerechtigkeits-      Bundesszenario ZERO Basis (EP-ZERO Basis)
             überlegungen (siehe unten) zur Verteilung der      zeigt, dass beide Energy-[R]evolution-Szenarien
             noch möglichen Emissionen unter den Ländern        innerhalb des grösstmöglichen CO2-Budgets
             komplett ausgeblendet werden, verbleiben theo-     verbleiben. Das E[R]-Szenario liegt 30 Mio.
             retisch für die Schweiz maximal 440 Millionen      Tonnen und das ADV-E[R]-Szenario rund 90
             Tonnen CO2 (67-prozentige Wahrscheinlichkeit,      Mio. Tonnen unter dem maximal noch verblei-
             die 1.5°C-Grenze nicht zu überschreiten).          benden Emissionsbudget von 440 Mio. Tonnen
                                                                CO2. Beide Szenarien kommen schon 2035 der
      Mehr als 440 Millionen Tonnen                             Netto-null-Linie sehr nahe.
      CO2 darf die Schweiz auf keinen Fall
                                                                Das Bundesszenario EP-ZERO Basis hingegen
      ausstossen, wenn es ihr mit der                           führt auch mit der in der Klimastrategie geplan-
      1.5°C-Grenze ernst ist. Denn genau                        ten Entfernung von Emissionen (CDR = Carbon
                                                                Dioxide Removal) ab dem Jahr 2040 zu einer
      genommen ist das verbleibende                             deutlichen Übernutzung des ab 2020 maximal
      Budget noch deutlich geringer.                            vorhandenen Schweizer Anteils am globalen
      Aus drei Gründen:                                         CO2-Budget. Um bis 2100 dennoch im Budget zu
                                                                bleiben, müssten also nach 2050 grosse Mengen
             - Die Schweiz hat in Vergangenheit im Vergleich   an Kohlenstoff aus der Atmosphäre wieder ent-
               zu anderen Ländern bereits übermässig hohe       fernt werden. Dies komplett ohne Berücksichti-
               Emissionen verursacht und damit erheblich        gung der historischen Verantwortung und der
               zur Klimakrise beigetragen (historische Emis-    Handlungsmöglichkeiten der Schweiz als eines
               sionen).                                         der reichsten Länder der Welt.

                                                                  Le Quéré, C., Korsbakken, J.I., Wilson, C. et al. Drivers
                                                                 5

                                                                  of declining CO2 emissions in 18 developed econo-
                                                                  mies. Nat. Clim. Chang. 9, 213–217 (2019). https://doi.
                                                                  org/10.1038/s41558-019-0419-7
                                                                  carbonatlas.org
                                                                 6

     18
Gesamtenergieszenario für die Schweiz

Abbildung 2: Verlauf der energiebedingten CO2-Emissionen (ohne Zement) und Angabe kumulier-
te Emissionen bis 2050 für die Energy-[R]evolution-Szenarien REF, E[R] und ADV-E[R] sowie das
Szenario EP-ZERO Basis der Energieperspektiven 2050+ mit und ohne Carbon Dioxide Removal
(CDR). (Quelle: Eigene Berechnungen und Energieperspektiven 2050+ (Variante EP-ZERO Basis, Strategievariante «aus-
geglichene Jahresbilanz 2050», KKW-Laufzeit 50 Jahre)).

                                                                                                Kumulierte CO2-Emissionen 2020-2050:
                              40                                                                REF:                     697 Mio. t CO2
                                                                                                E[R]:                    410 Mio. t CO2
                                                                                                ADV E[R]:                349 Mio. t CO2
                                                                                                EP-ZERO Basis:           615 Mio. t CO2
                              30
                                                                                                EP-ZERO Basis inkl. CDR: 562 Mio. t CO2
Mio t CO2/a, energiebedingt

                              20

                              10

                               0

                              -10

                                    2020         2025         2030           2035                2040                 2045              2050

                                           REF   E[R]   ADV E[R]     EP-ZERO Basis ohne CDR            EP-ZERO Basis inkl. CDR im Inland

                 Der ab 2040 eingerechnete späte Einsatz von              der Welt führt. Die dann anfallenden Schadens-
                 CDR-Technologien im Bundesszenario spiegelt              kosten übersteigen die zusätzlichen Kosten, die
                 die vorherrschende gesellschaftliche Hoffnung            wir aufbringen müssen, um die Emissionen
                 auf technologische Lösungen zu möglichst                 heute stärker zu reduzieren, um eine Vielfaches.
                 tiefen Preisen wider. Der Bund verkennt damit,           Dabei ist nicht zu vergessen, dass solch abstrak-
                 dass die Schweiz ein Ambitionsniveau wählt,              te Schadenskosten mit unvorstellbarem Leid für
                 dass zu einer extrem gefährlichen Erhitzung              die heute lebenden Kinder verbunden ist.

                 Der faire Beitrag der Schweiz zum globalen Klimaschutz
                 Würden alle Länder das heutige Klimaschutzni-            von Greenpeace Schweiz erreichen bis 2030
                 veau der Schweiz übernehmen, würde sich die              in etwa eine 60%-Reduktion gegenüber 1990.
                 Erde bis 2100 um etwa 3 Grad erwärmen. Das               Ferner hat die Schweiz durch zusätzliche Kli-
                 zeigt die Analyse des klimawissenschaftlichen            maschutzmassnahmen im Ausland dafür zu
                 Thinktanks Climate Action Tracker.7 Gleich-              sorgen, dass in anderen Ländern bis 2030 jähr-
                 zeitig haben die Wissenschaftler:innen ausge-            lich mindestens so viele Emissionen vermieden
                 rechnet, was die Schweiz denn machen muss,               werden können, wie die Schweiz heute ausstösst
                 um einen fairen Beitrag zum Klimaschutz und              (rund 50 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente pro
                 damit zur Einhaltung der 1.5°C-Grenze zu leis-           Jahr). Unter dem Strich muss die Schweizer
                 ten. Bei seinen Analysen berücksichtigt Climate          Bilanz der Treibhausgasemissionen bis 2030
                 Action Tracker den Reichtum und die Kapazität            im Vergleich zu 1990 also negativ ausfallen
                 eines Landes sowie wie viele historische Emis-           (Reduktion um mindestens 167%), um eine Be-
                 sionen es verantwortet.                                  grenzung auf 1.5°C noch möglich zu machen.

                 Konkret muss die Schweiz ihre Treibhausgas-
                 emissionen im eigenen Land bis 2030 um rund
                                                                             Analyse auf https://climateactiontracker.org/count-
                                                                            7
                 60% gegenüber dem Niveau von 1990 senken.                   ries/switzerland/ (Zugriff am 3.1.2022, Update vom
                 Die CO2-Emissionen in beiden E[R]-Szenarien                 15.9.2021). Siehe auch Climate Analytics (2021). A 1.5°C
                                                                             compatible Switzerland

                                                                                                                                               19
Ergebnisse

                                          Die Wiederentfernung von Emissionen aus der               rung eines Leakage Effekts). Zusätzlich zu den
                                          Atmosphäre kann auch im E[R]- und ADV-E[R]-               natürlichen Senken wird es auch technische
                                          Szenario zum Einsatz kommen. Dies insbeson-               Verfahren zur Entfernung von CO2 aus Abgasen
                                          dere um die Überbeanspruchung des globalen                oder aus der Luft mit anschliessender sicherer
                                          Emissionsbudget durch die reiche Schweiz noch             Einlagerung im Untergrund brauchen. Darauf
                                          weiter zu reduzieren.                                     gilt es sich jetzt vorzubereiten, auch wenn diese
                                                                                                    Verfahren noch wenig erprobt und im Vergleich
                                          Für Greenpeace stehen hier der dauerhafte                 zum Schutz und Wiederaufbau von Ökosyste-
                                          Schutz und der Wiederaufbau von klimarele-                men um einiges teurer sind.
                                          vanten Ökosystemen wie Primärwälder, Moore,
                                          Mangroven und Meeresgebiete im Vordergrund.               Die gezeigte steile Emissionsminderung in den
                                          Die grossflächige Wiederbegrünung von dege-               Energy-[R]evolution-Szenarien, die es ermög-
                                          nerierten Ökosystemen bietet enormes Poten-               licht, innerhalb eines Emissionsbudgets von
                                          zial, Kohlenstoff zu binden und die Biodiversität         1.5°C zu bleiben, verlangt den raschen Um-
                                          zu fördern. Negative Emissionen durch Ökosys-             bau sämtlicher Sektoren. Die folgende Figur
                                          teme funktionieren aber nur, wenn die wieder-             veranschaulicht den Verlauf der Emissionen
                                          aufgebauten Ökosysteme langfristig bestehen               insgesamt und für die einzelnen Sektoren.
                                          bleiben, was eine faire Mitbestimmung der                 Hauptverantwortlich für die energiebedingten
                                          dort lebenden Menschen bedingt. Zudem muss                CO2-Emissionen ist der Verkehrssektor, gefolgt
                                          sichergestellt werden, dass die durch den Wie-            vom Sektor Haushalte und Dienstleistungen,
                                          deraufbau abgelösten schädlichen Nutzungen                der vor allem wegen des Heizöl- und Erdgas-
                                          nicht auf andere Gebiete ausweichen (Verhinde-            verbrauchs hohe Emissionen aufweist.

      Abbildung 3: Verlauf der CO2-Emissionen in den Sektoren für die berechneten
      Greenpeace-Szenarien.

                                           Haushalte und            Industrie             Verkehr               Stromproduktion              Bevölkerung
                                           Dienstleistungen
                              45                                                                                                                               12

                              40
                                                                                                                                                               10
                              35
      CO2 Emissionen (Mt/a)

                                                                                                                                                                    Bevölkerung (mio.)

                              30                                                                                                                               8

                              25
                                                                                                                                                               6
                              20

                              15                                                                                                                               4

                              10
                                                                                                                                                               2
                               5

                              0                                                                                                                                0
                                     se             DP        DP    EF       R]      R]    EF      R]      R]       EF      R]      R]    EF      R]      R]
                                   Ba              G         G     R      E[      E[      R     E[      E[         R     E[      E[      R     E[      E[
                                                                                V                     V                        V                     V
                                             se
                                               d
                                                      able                   AD                    AD                       AD                    AD
                                          ea       st
                                        cr
                                    de

                                    2018               2020              2025                   2030                     2040                  2050

     20
Gesamtenergieszenario für die Schweiz

                                   Nachfolgend werden die wichtigsten Ergebnisse und
                                   Massnahmen für den Umbau je Sektor aufgeführt.

Klimaschutz im Verkehrssektor
Die verstärkte Verlagerung der Mobilität auf ef-                 sowie vermehrter Fahrrad- und Fussverkehr zu
fiziente Verkehrsträger wie Bahn, Tram, Busse,                   weiteren Energieeinsparungen im Jahr 2050.
Fahrräder und Füsse ist für die Emissionsre-
duktionen entscheidend. Insgesamt werden in                      Für die Erreichung der Einsparungen spielt
den E[R]-Szenarien weniger Autos verkauft und                    die Elektrifizierung eine entscheidende Rolle:
die noch verbleibenden Autos werden aufgrund                     84% respektive 87% des Sektorbedarfs werden
des elektrischen Antriebs und verkleinerter                      in den beiden E[R]-Szenarien 2050 elektrisch
Fahrzeuggrössen deutlich effizienter sein als                    gedeckt. Wasserstoff und andere synthetische
die heutigen.                                                    Kraftstoffe, die mit erneuerbarem Strom er-
                                                                 zeugt werden, sind ergänzende Optionen für
Der Energiebedarf des Verkehrs geht in allen                     schwer zu elektrifizierende Anwendungen. Im
Greenpeace-Szenarien trotz Bevölkerungs- und                     Jahr 2050 werden unter dem ADV-E[R]-Szenario
BIP-Wachstum zurück. Im REF-Szenario um                          bis zu 5 PJ/a Wasserstoff eingesetzt.
etwa 46% auf 130 PJ/a im Jahr 2050, im E[R]-
Szenario werden durch zusätzliche Effizienz-                     Die folgenden Abbildungen zeigen die Entwick-
massnahmen und Verkehrsverlagerungen im                          lung der Endenergienachfrage der verschie-
Jahr 2050 weitere 19% (10 PJ/a) eingespart. Im                   denen Verkehrsarten (Abbildung 4) und der
ADV-E[R]-Szenario führen verstärkte Verkehrs-                    eingesetzten Energieträger (Abbildung 5) im
verlagerungen von privaten Automobilen hin                       Transportsektor.
zum öffentlichen Verkehr, geteilte Fahrzeuge

Abbildung 4: Entwicklung des Endenergieverbrauchs für die verschiedenen Verkehrsträger.
Der Effizienz-Balken zeigt die Differenz zum Referenz-Szenario.

                  Schiene         Personen- und Lieferwagen      Schwerverkehr        Inlandflüge     Inland Schiffahrt     Effizienz

       250

       200

       150
PJ/a

       100

        50

        0
               se             as
                                 e       ble        R]      R]           R]      R]              R]      R]            R]      R]
             Ba            re         ta         E[      E[           E[      E[              E[      E[            E[      E[
                         c          s                  V                    V                       V                     V
                      de          P                AD                   AD                      AD                    AD
                   DP        GD
                  G

             2018                 2020              2025                2030                    2040                      2050

                                                                                                                                        21
Ergebnisse

Abbildung 5: Entwicklung der eingesetzten Energieträger im Verkehr.
Effizienz = Differenz zum Referenz-Szenario.

                   Effizienz         Wasserstoff   Elektrizität            Synthetische Treibstoffe     Biomasse              Erdgas        Erdöl
       250

       200

       150
PJ/a

       100

        50

        0
               se                     P   P
                                                   RE
                                                     F     R]         R]       RE
                                                                                  F     R]         R]   RE
                                                                                                          F     R]         R]      RE
                                                                                                                                       F     R]         R]
             Ba                   GD e GD                E[
                                                                V
                                                                    E[                E[
                                                                                             V
                                                                                                 E[           E[
                                                                                                                     V
                                                                                                                         E[                E[
                                                                                                                                                  V
                                                                                                                                                      E[
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                                        l
                                                              AD                           AD                      AD                           AD
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             2018                   2020                 2025                         2030                    2040                         2050

         22
Gesamtenergieszenario für die Schweiz

Massnahmen für den Umbau des Verkehrssektors

- Verschärfte Grenzwerte mit Verbot der Inver-     - Verstärkung von Massnahmen, um den mo-
  kehrssetzung fossiler Neuwagen ab 2025.             torisierten Freizeit- und Einkaufsverkehr zu
                                                      reduzieren. Bessere Ausrichtung des öffent-
- Einführung von Kostenwahrheit für die Nut-         lichen Verkehrs auf das Freizeitverhalten,
  zung fossiler Energien sowie für die Flächen-       um auch am Abend und am Wochenend die
  beanspruchung der Verkehrsträger (Interna-          Bedürfnisse abzudecken. Optimierter Tür-zu-
  lisierung der Kosten der Luftverschmutzung,         Tür-Service mit Rufbus- oder Mietoptionen für
  der Lärmverschmutzung, der Flächenbean-             die Feinverteilung sowie vereinfachter Ge-
  spruchung und der Klimaschäden). Über eine          päcktransport inklusive Velo, Sportausrüstun-
  Strassennutzungsgebühr werden Anreize für           gen und Kinderwagen. Verkehrserzeugende
  kleine und leichte Fahrzeuge geschaffen.            Infrastrukturen müssen mit dem öffentlichen
                                                      Verkehr gut erschlossen sein und eine Heim-
- Kein weiterer Ausbau von Strassenkapazitäten       lieferung von Einkäufen anbieten.
  für den motorisierten Individualverkehr.
                                                    - Ausbau des öffentlichen Verkehrs inklusive
- Ermöglichung und Ausweitung von auto- und          verbessertem Streckenmanagement durch
  parkplatzfreien Zonen in allen grossen Städ-        eine forcierte Digitalisierung. Dazu gehört
  ten, in Quartieren und auch in Siedlungen auf       auch eine optimierte Multimodalität: Mittels
  dem Land, kombiniert mit einer generellen           engmaschiger Knotenpunkte und einfacher
  Tempo-30-Logik und einer Politik der kurzen         Umsteigemöglichkeiten mit Sharing-Angeboten
  Wege. Letztere ermöglicht, dass bei jeder Sied-     wird der Wechsel auf den öffentlichen Verkehr
  lung alles Notwendige in kurzen Fuss- oder          erleichtert und die zurückgelegten Strecken des
  Fahrrad-Distanzen erreichbar ist (vgl. dazu         motorisierten Individualverkehrs verkürzt.
  15-Minuten Policy von Paris). Vorgaben mit
  Parkplatzerstellungspflichten sind zu Gunsten     - Erhöhung der Auslastung der verbleibenden
  neuer Modelle aufzuheben. Mittels regelmäs-         Personenwagen: Ausbau und steuerliche
  sigen autofreien Tagen, die für das gesamte         Begünstigung von Sharing-Angeboten und
  Siedlungsgebiet gelten, werden die Möglichkei-      Pooling-Lösungen.
  ten einer neuen Raumnutzung in den Städten
  und Quartieren erlebbar gemacht.                  - Ausbau der Ladeinfrastruktur für die Elektro-
                                                      mobilität insbesondere auch für Mieter:innen
- Ausbau sicherer und durchgehender Infra-           und Stockwerkeigentum.
  strukturen für Fahrräder und den Fussver-
  kehr. Die klimafreundlichsten Verkehrsarten
  müssen bei der Raumnutzung klar priorisiert
  werden.

- Verstärkung von Massnahmen, um den täg-
  lichen Arbeitsverkehr und die damit verbunde-
  nen täglichen Staus zu verringern. Einführung
  eines Rechts auf Homeoffice und von flexib-
  leren Präsenzmodellen an Universitäten und
  Hochschulen, Abschaffung des Steuerabzuges
  für den Arbeitsweg sowie raumplanerische
  Massnahmen zum Ausgleich der ungleichen
  Arbeitsplatzverteilung. Die im Zuge der Coro-
  navirus-Pandemie eingeführte Homeoffice-
  Pflicht zeigte, wie stark sich Verkehrsströme
  durch ein Neudenken von Wohnen und Arbei-
  ten verringern lassen.

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