VERZEICHNIS DER NEUEN DEUTSCHEN MEDIEN-MACHER*INNEN (NDM) - NEUE DEUTSCHE MEDIENMACHER

Die Seite wird erstellt Christian Bode
 
WEITER LESEN
NdM-Glossar Wörter-
verzeichnis der Neuen
deutschen Medien-
macher*innen (NdM)
mit Formulierungs-
hilfen, Erläuterungen
und alternativen
Begriffen für die Be-
richterstattung in der
→ Einwanderungs-
gesellschaft.
Stand 1. Januar 2022

                       glossar.neuemedienmacher.de
Der Neue deutsche Medienmacher*innen e.V. (NdM) ist ein
gemeinnütziger Verein. Wir engagieren uns bundesweit mit
zahlreichen Projekten für mehr inhaltliche und personelle
Vielfalt in den Medien. Wir freuen uns über die Unterstützung
unserer Arbeit durch eine Mitgliedschaft, eine Spende oder
aktive Mitarbeit.
Infos unter www.neuemedienmacher.de

Das Glossar der Neuen deutschen Medienmacher*innen
ist für Journalist*innen und unsere Vereinsmitglieder kosten-
frei erhältlich. Die Inhalte werden von den NdM größtenteils
ehrenamtlich erstellt.

Danke
Die Neuen deutschen Medienmacher*innen danken allen beteiligten Wissen-
schaftler*innen, Expert*innen und Fachjournalist*innen sehr herzlich für ihre
Hilfsbereitschaft und die fachliche Unterstützung bei der Erstellung des Glossars.

Unser Dank geht an:

Fatih Abay, Prof. Dr. Handan Aksünger, Prof. Dr. Iman Attia, Thomas Baumann, Anna
Brausam, Claudia Dantschke, Merfin Demir, Christina Dinar, Prof. Dr. Naika Foroutan,
Prof. Eric Anton Heuser, Amelie Hoffmann, Gilda Horvath, Anetta Kahane, Bernd
Knopf, Thomas Krüppner, Robert Lüdecke, Viktoria Morasch Yassin Musharbash,
Prof. Dr. Werner Nell, Miltiadis Oulios, Sergej Prokopkin, Timo Reinfrank, Jan Riebe,
Jana Sauer, Dr. Susanne Schmidt, Ulrich Werner Schulze, Sana Shah, Dr. Yasemin
Shooman, Prof. Dr. Riem Spielhaus, Dr. Stefan Vogt, Irene Wachtel, Artur Weigandt,
Andrea Wierich, Melek Yildiz und viele andere.
Inhaltsverzeichnis

Wozu Formulierungshilfen?                 4

Wer sind »wir«, wer sind »die anderen«?    6

Migration                                 16

Kriminalitätsberichterstattung            21

Juden*Jüdinnen                            25
Muslim*innen                              32
Schwarze Menschen                         41
Sinti*zze und Rom*nja                     50

Flucht und Asyl                           56

Rechtspopulismus, Rechtsradikale
und -extreme                              66

Index                                     74
Wozu Formulierungshilfen?                                                                                   4
Als Journalist*innen1 arbeiten wir jeden Tag mit unserem Handwerkszeug, der
Sprache. Unsere Berichte sollten möglichst wertfrei, korrekt und präzise die Sach-
verhalte wiedergeben. Nicht selten passiert es aber, dass beispielsweise Begriffe
wie »Zuwanderung« und »Einwanderung« in einem Beitrag als Synonyme ver-
wendet werden. Worin sie sich jedoch unterscheiden und bei welchen weiteren
Themen ungenau formuliert wird, erläutern wir in diesem Glossar. Alle Inhalte gibt
es auch online mit komfortabler Suchfunktion unter
www.glossar.neuemedienmacher.de.

Die Alternativen, die wir hier anbieten, sollen als Hilfestellung für die tägliche
Redaktionsarbeit dienen. Wir haben sie gemeinsam mit Fachleuten und Prakti-
ker*innen entwickelt. Weil sich Sprache aber ständig verändert und auch wir dazu
lernen, wird das Glossar regelmäßig aktualisiert und erweitert.

Die Vorschläge sind unser Beitrag zu einer laufenden Debatte. Wir stellen sie gern
zur Diskussion und freuen uns über eine Einladung zum Redaktionsgespräch, zur
Blatt- oder Sendungskritik – von Kolleg*in zu Kolleg*in.

Und wir freuen uns über Hinweise oder Kritik: info@neuemedienmacher.de.

1 	Obwohl es in den meisten Medien nicht zur gängigen Praxis gehört, gendern wir im NdM-Glossar mit Sternchen *.
Legende              5

→	
  Begriff mit
  Erläuterung

           mpfohlener
          E
          Begriff

→ 	
   Empfohlener
   Begriff mit
   Erläuterung
Wer sind »wir«, wer sind »die anderen«?                                                         6
Die deutsche Gesellschaft hat sich verändert, sie ist vielfältiger geworden. Das
sollte sich in der Berichterstattung wiederfinden. Gleichzeitig müssen Journa-
list*innen oft vereinfachen, um komplizierte Sachverhalte kurz und verständlich
darzustellen. Manchmal führt das zu einem Dilemma: Wie beschreibe ich die
Gruppe, der jemand angehört? Wie beschreibe ich die anderen? Und wo ist diese
Trennung wirklich nötig?
Zunächst ist es sinnvoll, die Protagonist*innen zu fragen, wie sie sich selbst
nennen würden. Das ist allerdings nicht immer möglich. Zudem kann man bei der
Beschreibung von Gruppen nicht davon ausgehen, dass alle dieselbe Präferenz
haben.
Bei einer allgemeinen Bezeichnung für Eingewanderte und ihre Nachkommen
läuft man Gefahr, das Bild einer homogenen Gruppe zu erzeugen. Menschen mit
Migrationsgeschichte sind jedoch keineswegs homogen: Aussiedler*innen haben
in der Regel mit Geflüchteten aus dem Libanon so wenig gemeinsam wie kemalis-
tische Türk*innen mit kurdischen Feminist*innen. Dennoch ist es in der Bericht-
erstattung manchmal nötig, eine Gruppe pauschal zu benennen. Die vorliegenden
Erläuterungen dienen der Präzisierung von Begriffen und bieten praktische Vor-
schläge für die differenzierte Bezeichnung von Minderheiten, der Mehrheit und
natürlich auch von beiden.

Allochthone (griech.) wird in den                  Antislawischer Rassismus bezeich-
Sozialwissenschaften als Bezeichnung               net die strukturelle Diskriminierung
von Menschen oder Gruppen mit ge-                  von Menschen, die vermeintlich oder
bietsfremder Herkunft verwendet. ​                 selbstgewählt zur sozial-konstruierten
In den Niederlanden wird der Begriff               Gruppe der Slaw*innen gehören, z. B.
zur Beschreibung von Menschen ver-                 → Russlanddeutsche oder jüdische
wendet, die selbst oder deren Eltern               → Kontingentflüchtlinge. Diese Dis-
eingewandert sind. Allochthone ist                 kriminierungsform kann sich auch
das Gegenteil von → Autochthone.                   pauschal gegen die Bevölkerung von
                                                   Ländern wie Polen, Russland, Ukraine,
Ally (engl. Alliierte*r) ist im politischen        Serbien, Bulgarien usw. richten oder
und aktivistischen Sinn eine Person, die           gegen Menschen, denen die nationale
sich für die Interessen von diskriminier-          oder ethnische Zugehörigkeit zu einem
ten Gruppen einsetzt, zu denen sie selbst          dieser Länder zugeschrieben wird. Im
nicht gehört. Gleichgesinnte weiße                 Nationalsozialismus diente der Antisla-
  Verbündete können Allys sein – al-               wismus und die rassistische Zuordnung
lerdings nur, wenn diejenigen, die unter-          zu einer »slawischen Rasse« der Ab-
stützt werden, sie als solche betrachten.          wertung und Entmenschlichung sowie
→ Begriff mit Erläuterung    Empfohlener Begriff            →   Empfohlener Begriff mit Erläuterung
als Begründung für deutsche Kriegs-
und Siedlungspolitik. Antislawischer
                                          meinende, jedoch widersprüch-
                                          liche Bezeichnung für Men-
                                                                                       7
Rassismus ging und geht auch deshalb      schen verwendet, die seit vielen
häufig mit → Antisemitismus, Antibol-     Jahren hier leben und voraus-
schewismus und Antikommunismus            sichtlich bleiben werden. Soll die nicht-
einher.                                   deutsche Staatsbürgerschaft betont
                                          werden, ist ausländische*r Bürger*in
Asiatische Deutsche wird als politische   passender, da bei »Mit-Bürger*in« ein
Selbstbezeichnung von vielen asiatisch    unnötiges »Othering« stattfindet, d. h.
wahrgenommenen Menschen verwen-           ein*e Mitbürger*in ist damit scheinbar
det. Der Begriff bezieht sich explizit    anders als ein*e Bürger*in.
nicht auf bestimmte Länder, Kulturen
oder geografische Grenzen. Es ist ein     Autochthone Deutsche autochthon
Sammelbegriff, mit dem sich eine Viel-    kommt aus dem Griechischen und be-
zahl Asiatischer Deutscher gemein-        deutet sinngemäß eingeboren, altein-
sam positionieren und solidarisieren,     gesessen. Autochthone Deutsche
um gegen Rassismus und für gesell-        könnte dazu dienen, → Deutsche
schaftliche Teilhabe einzutreten. Der     ohne Migrationshintergrund zu be-
  Antiasiatische Rassismus in Zeiten      schreiben, hat allerdings als kaum
der Corona-Pandemie zeigte dabei          bekanntes Fremdwort wenig Aussicht,
lediglich eine Facette existierender      sich durchzusetzen (siehe auch
Rassismen gegen Asiatisch Deutsche        → Allochthone).
Menschen auf. Als politische Selbstbe-
zeichnung wird der Begriff Asiatische     Bindestrich-Deutsche wird manch-
Deutsche und das Adjektiv Asiatisch-      mal als Selbstbezeichnung von
Deutsch großgeschrieben.                  → Menschen mit internationaler
                                          Geschichte benutzt. Er spielt auf Be-
Ausländer*in bezeichnet Einwoh-           zeichnungen wie → Deutsch-Türk*in
ner*innen ohne deutsche Staatsbürger-     an, benennt einerseits ein Zugehörig-
schaft. Als Synonym für → Einwan-         keitsgefühl zu mehr als einer Kultur
der*innen ist er dagegen falsch, da die   und spiegelt andererseits die Unter-
meisten → Eingewanderten und ihre         stellung wider, dass eingewanderte
Nachkommen keine Ausländer*in-            Menschen keine »echten« → Deutschen
nen mehr sind, sondern → Deutsche.        seien. Siehe dazu → Standard-
Grundsätzlich verortet »Ausländer«        Deutsche.
Menschen im Ausland und klingt nicht
nach jemandem, der*die den Lebens-        Biodeutsche wurde vor einigen Jahren
mittelpunkt in Deutschland hat.           von »Migrationshintergründler*innen«
                                          als Gegenentwurf mit scherzhaft-pro-
Ausländische*r Mitbürger*in wird seit     vokantem Unterton in die Debatte
den 1970er Jahren als meistens wohl-      gebracht und wird inzwischen aus
                                                      Wer sind »wir«, wer sind »die anderen«?
Mangel an Alternativen mitunter ernst-
haft verwendet. Viele so Bezeichnete
                                           betonen, also Turko-Deutsche
                                           oder Türkei-Deutsche statt
                                                                                8
lehnen den Begriff ab, weil in ihm die     Deutsch-Türken, Greco-Deutsche
Vorstellung von Genetik mitschwingt.       statt Deutsch-Griechen, Spanisch-
Die Deutung als Kürzel für Biografisch-    Deutsche, Polnisch-Deutsche usw.
Deutsche ist inzwischen verloren ge-       Denn bei Wortzusammensetzungen im
gangen.                                    Deutschen steht die Hauptbedeutung
                                           immer am Ende (z. B. Hausschuh). Übri-
Bundesrepublikaner*in kann als Be-         gens empfinden sich auch → Einge-
zeichnung für alle Bürger*innen in der     wanderte ohne deutschen Pass oft als
Bundesrepublik Deutschland verwendet       Teil der deutschen Gesellschaft, also
werden, denn auch diejenigen ohne          z. B. als Turko-Deutsche, zudem sind Be-
→ deutsche Staatsangehörigkeit             zeichnungen dieser Art gendergerecht.
haben sich für ein Leben in der Bundes-
republik entschieden.                      Drittstaatsangehörige wird in der
                                           Fachsprache verwendet, um Menschen
Deutsche steht für → deutsche              zu beschreiben, die keine Staatsange-
Staatsangehörige. Als Adjektiv oder        hörigkeit eines EU-Landes haben. So-
Substantiv sollte der Begriff nicht dazu   lange es rechtliche Unterscheidungen
dienen, eine ethnische Zugehörigkeit       für diese Gruppen gibt, ist der Begriff
und damit nur die → standarddeutsche       unvermeidbar. Beispiel: → Deutsche
Bevölkerung zu beschreiben. Denn:          haben allgemeines Wahlrecht, EU-Bür-
Jede*r fünfte Deutsche hat einen           ger*innen können in Deutschland bei
→ Migrationshintergrund. Und ihr           Kommunalwahlen abstimmen,
Anteil wächst: Seit dem Jahr 2000            Drittstaatsangehörige dürfen in bei-
erhalten in Deutschland geborene           den Fällen nicht mit​­­­­wählen.
Kinder von → Ausländer*innen (in
der Regel automatisch die deutsche         Einheimische erzeugt ein schiefes Bild,
Staatsangehörigkeit.)                      weil viele → Eingewanderte und ihre
                                           Nachkommen hier längst heimisch
Deutsche ohne Migrationshintergrund        sind. Es weckt die Assoziation von
ist der korrekte Gegensatz zu → Men-       fremdländischen → Migrant*innen. In
schen mit Migrationshintergrund. Ist       einem lockeren Kontext könnte es mit
nur von → Deutschen die Rede, sind         dem Gegensatz verwendet werden: Ein-
Deutsche mit Migrationshintergrund         heimische und Mehrheimische.
schließlich selten mitgemeint.
                                           Einwander*innen sind Menschen, die
Deutsch-Türk*in usw. ist eine Möglich-     nach Deutschland gekommen sind, um
keit, die Internationalität von Menschen   dauerhaft zu bleiben. Derzeit ist in die-
zu beschreiben. Dabei ist es allerdings    sem Kontext oft fälschlich die Rede von
sinnvoll, ihren Lebensmittelpunkt zu       → Zuwander*innen, Menschen mit Zu-
wanderungsgeschichte und ähnlichem.         Fremdarbeiter*in ist eine
                                            Bezeichnung für Arbeits-
                                                                                         9
Eingewanderte und ihre (direkten)           migrant*innen, die immer noch hin und
Nachkommen wurde von der Fach-              wieder in Boulevard-Medien auftaucht
kommission Integrationsfähigkeit1 der       – dann allerdings ohne Genderstern.
Bundesregierung eingebracht, um den         Sie ist seit der NS-Zeit historisch be-
recht weit gefassten und inzwischen         lastet und sollte nur mit einer entspre-
stigmatisierenden Begriff »Migrations-      chenden geschichtlichen Einordnung
hintergrund« abzulösen. Eingewan-           verwendet werden. Als Alternative
derte und ihre Nachkommen sind dem          eignen sich Arbeitseinwander*in,
Vorschlag der Fachkommission nach             migrantische*r Arbeiter*in oder
nur Personen, die selbst nach Deutsch-      arbeitsmarktbezogene Einwander*in-
land eingewandert sind und ihre             nen /Zuwander*innen (Fachsprache),
Kinder, wenn beide Elternteile eigene       siehe auch → Gastarbeiter.
Einwanderungserfahrungen haben. Wie
in anderen Einwanderungsländern üb-         Gastarbeiter wurden männliche wie
lich, soll ausschlaggebend sein, ob die     weibliche Arbeitseinwander*innen
Menschen tatsächlich eingewandert           genannt, die seit den 1950er Jahren
sind. Ihre Nationalität ist dabei nach-     durch bilaterale Verträge zur Anwer-
rangig (anders als bei → Menschen mit       bung von Arbeitskräften aus dem Aus-
Migrationshintergrund).                     land kamen. Im Wort »Gast« schwang
                                            mit, dass die → Eingewanderten nicht
Ethnie wurde eingeführt als wissen-         bleiben sollten. Der Begriff ist
schaftlicher Sammelbegriff für Grup-        inzwischen veraltet, wird manchmal
pen, denen unter anderem eine ge-           aber noch zur Selbstbezeichnung ge-
meinsame Abstammung zugeschrieben           braucht, z. B. als »Gastarbeiterkind«.
wird. Häufig geht es um die Beschrei-       Die wissenschaftliche Literatur ist da-
bung von außereuropäischen Gruppen.         zu übergegangen, ihn mit dem Zusatz
Der Begriff fungiert umgangssprachlich      »sogenannte Gastarbeiter« zu versehen.
als Ersatz für veraltete rassistische Be-   Siehe auch → Fremdarbeiter*in.
griffe wie → Stamm oder → Rasse, meint
aber dasselbe Konzept. Korrekter ist es,    Herkunftsdeutsche ist umstritten. Wer
konkret zu beschreiben, welche Gruppe       allerdings »Deutsche mit türkischer
gemeint ist, zum Beispiel die Hausa         Herkunft« sagt, müsste konsequenter-
aus Westafrika. Je nach Kontext kann        weise auch Deutsche mit deutscher
es auch um Communitys gehen oder            Herkunft, sprich Herkunftsdeutsche
beispielsweise die ghanaische               sagen.
→ Diaspora. Vgl. → Kulturkreis.
                                            Indigene sind laut Definition der
                                            Vereinten Nationen die Nachfahren
                                            der Menschen, die ein Gebiet bereits
                                                        Wer sind »wir«, wer sind »die anderen«?
bewohnten, bevor sie von Gruppen aus
anderen Teilen der Welt unterworfen,
                                            keinen historisch aufgeladenen
                                            Kontext und ist im öffentlichen
                                                                               10
untergeordnet oder kolonialisiert wur-      Diskurs meist humorvoll konnotiert.
den oder ihr Gebiet Teil eines Staates      Trotzdem wird der Begriff von manchen
wurde. Bis heute sind sie nicht maß-        als Beleidigung abgelehnt. Siehe auch
geblich an den nationalen Regierungen       → Kartoffel-Rassismus.
der Länder beteiligt, in denen sie leben.
Weltweit gibt es schätzungsweise etwa       Kinder nichtdeutscher Herkunfts-
370 Millionen Indigene in mehr als 70       sprache (»ndH«) ist ein abstrakter
Staaten. Indigene ist als übergeordne-      Fachbegriff, der vor allem im Bildungs-
tete Selbstbezeichung akzeptiert. Eben-     bereich für Schüler*innen verwendet
so kann in einem Bericht die bestimmte      wird. Er ist der Versuch, bestimmte
Gruppe beim Namen genannt werden,           Förderbedürfnisse zu benennen, ohne
z. B. Cherokee, Maya, Tuareg,               Kinder einer Herkunftsgruppe zuzuord-
   Massai usw. Unangebracht sind Be-        nen. Leider verbirgt sich dahinter ein
griffe wie »Ureinwohner«, »Eingebore-       defizitorientierter Blick: In der Schul-
ne«, »Naturvolk«, »Indianer« etc. Siehe     eingangsuntersuchung wird allein der
auch BIPoC in → People of Color.            Frage nachgegangen, ob das Kind als
                                            erste Sprache Deutsch gelernt hat. Ge-
Kanak*in (polynesisch »Kanaka« =            nauso geeignet und weniger abstrakt:
Mensch) ist ein Schimpfwort, wird             Mehrsprachige Kinder oder Kinder
jedoch manchmal (mit sarkastischem          mit internationaler Geschichte.
Unterton) als Selbstzuschreibung ver-
wendet. Wenn Protagonist*innen sie          Latinx (sprich: La-tí-nex) ist eine Selbst-
für sich selbst verwenden, kann die         bezeichnung von Menschen lateiname-
Selbstbezeichnung in Medienberichten        rikanischer Herkunft. Der Begriff hat
übernommen werden, sollte aber als          sich als inklusive und geschlechterge-
solche erkennbar sein.                      rechte Alternative für Latino / Latina im
                                            englischsprachigen Raum entwickelt.
Kartoffel ist ein ironischer, umgangs-
sprachlicher Begriff für → Deutsche         Menschen aus eingewanderten
ohne Migrationshintergrund und ist aus      Familien beschreibt keine statistische
der Annahme entstanden, in Deutsch-         Größe, sondern das, worum es geht: um
land würden besonders viele Kartof-         Menschen und ihre Familien, die ein-
feln verzehrt, was nur bedingt stimmt.      gewandert sind.
Populär wurde »Kartoffel« als Zuschrei-
bung in der Jugendsprache und Popkul-       Menschen mit internationaler Ge-
tur seit den frühen 00er Jahren. Mittler-   schichte ist eine weitere Alternativ-
weile haben sich den Begriff vor allem      formulierung, die im Workshop »Was
deutsche Rapper als ironische Selbst-       heißt hier Migrationshintergrund?«
bezeichnung angeeignet. Kartoffel hat       beim Diversity-Day 2014 von Heidel-
berger*innen zusammen mit den NdM
entwickelt wurde. Der Begriff berück-
                                            Migrant*innen werden vom
                                            Statistischen Bundesamt als
                                                                                        11
sichtigt, dass nicht alle Menschen mit      Menschen definiert, die nicht auf dem
ihren Familien eingewandert sind. Er        Gebiet der heutigen Bundesrepublik,
ist umgekehrt auch verwendbar für           sondern im Ausland geboren sind. Rund
→ Standard-Deutsche, also Menschen          die Hälfte davon sind → Deutsche, die
ohne internationale Geschichte.             andere Hälfte hat eine ausländische
                                            Staatsangehörigkeit. Im Diskurs wird
Menschen mit Migrationshintergrund          dieser Begriff häufig irrtümlich als
sind nach statistischer Definition          Synonym für → Menschen mit Migra-
  • i n Deutschland lebende                tionshintergrund verwendet. → Rechts-
     Ausländer*innen,                       radikale und → Rechtsextreme nutzen
  • e
      ingebürgerte Deutsche,               den Begriff »Migranten« anstatt von
  • i n Deutschland geborene Kinder mit   → Geflüchteten zu sprechen. Damit
     deutschem Pass, bei denen sich der     soll suggeriert werden, dass Schutzsu-
     Migrationshintergrund von mindes-      chende nicht nach Deutschland fliehen,
     tens einem Elternteil ableitet,        sondern aufgrund einer angeblich
  • → Spätaussiedler*innen und ihre       freien Entscheidung nach Deutschland
     Nachkommen.                            kommen, also migrieren.
Zunächst wurde »Personen mit Migra-
tionshintergrund« in der Verwaltungs-       Migrationsvordergrund eine meist
und Wissenschaftssprache verwendet.         augenzwinkernd gemeinte Selbst-
Doch als durch Einbürgerungen und           bezeichnung von Menschen, deren
das neue Staatsangehörigkeitsrecht          → Migrationshintergrund sichtbar ist.
von 2000 der Begriff → Ausländer*in-
nen nicht mehr zutraf, um → Einge-          Mischling ist als Bezeichnung dem
wanderte und ihre Nachkommen zu             Tierreich entlehnt und beruht auf der
beschreiben, ging die Formulierung          Rassentheorie. Der Begriff sollte nicht
auch in die Umgangssprache ein (siehe       auf Menschen übertragen werden.
auch → Einbürgerung und → Doppelte          Ist die Information relevant, kann die
Staatsbürgerschaft). Heute wird der         Herkunft der Eltern konkret benannt
Begriff oft als stigmatisierend empfun-     werden. »Mischling« ist nicht gleichbe-
den, weil damit mittlerweile vor allem      deutend mit → mixed.
vermeintliche (muslimische) »Prob-
lemgruppen« assoziiert werden. Das          Neubürger*in klingt nach soeben ein-
Statistische Bundesamt erwägt 2022          gewanderten Menschen. Als Synonym
eine neue Kategorie und Bezeichnung         für Eingebürgerte ist der Begriff eher
einzuführen. Weitere Alternativen:          verwirrend, da er keine Verwurzelung
→ Menschen aus eingewanderten               in Deutschland vermuten lässt.
Familien oder → Menschen mit inter-
nationaler Geschichte.
                                                        Wer sind »wir«, wer sind »die anderen«?
Neue Deutsche taucht immer häufiger
auf und wird unterschiedlich ver-
                                             Rasse ist seit dem Nationalso-
                                             zialismus (»Rassengesetze«) ein
                                                                               12
wendet: Manche gebrauchen den                Unwort in Deutschland, das im Sprach-
Begriff synonym für → Menschen mit           gebrauch nicht mehr üblich ist. Den-
Migrationshintergrund. Als Selbst-           noch existiert es noch in zahlreichen
bezeichnung von → Menschen aus               Gesetzestexten wie dem Grundgesetz
eingewanderten Familien soll er den          (»Niemand darf wegen ... seiner Rasse ...
Anspruch auf Zugehörigkeit deutlich          benachteiligt oder bevorzugt werden.«).
machen. Der Begriff kann aber auch für       Derzeit wird in der Politik debattiert,
eine Haltung stehen statt für eine her-      den Begriff »Rasse« aus dem Grund-
kunftsbezogene Kategorisierung: Zu den       gesetz zu streichen. In der Bericht-
  Neuen Deutschen zählen dann alle           erstattung taucht er mitunter auf, wenn
Menschen (mit und ohne Migrationshin-          Rassismus-Debatten aus den USA
tergrund), die positiv zur Pluralisierung    wiedergegeben werden. Doch Begriffe
der Gesellschaft stehen.                     wie »Rassenunruhen« (race oder ethnic
                                             riots) oder »Rassenbeziehungen« (race
People of Color (PoC) ist eine Selbst-       relations) sollten nicht wortwörtlich
bezeichnung von Menschen mit                 übersetzt werden, weil der Begriff
Rassismuserfahrung, die nicht als            → race in den USA anders als »Rasse«
→ weiß, deutsch und westlich wahrge-         in Deutschland einen Bedeutungswan-
nommen werden und sich selbst nicht          del durchlaufen hat. Alternativen wären
so definieren. PoC (Singular Person          auch Rassismus-Unruhen oder Un-
of Color) sind nicht unbedingt Teil der      ruhen wegen Rassismus-Vorwurf u. ä.
afrikanischen Diaspora – ursprünglich
ist der Begriff u. a. zur Solidarisierung    Russlanddeutsche sind als → Aus-
mit → Schwarzen Menschen ent-                siedler*innen / Spätaussiedler*innen
standen. Schwarz, → weiß und PoC sind        von 1950 bis heute nach Deutschland
dabei politische Begriffe. Es geht nicht     eingewanderte Menschen aus den
um Hautfarben, sondern um die Benen-         Nachfolgestaaten der UdSSR. Ihre Vor-
nung von → Rassismus und den Macht-          fahren sind deutsche Siedler*innen,
verhältnissen in einer mehrheitlich          deshalb können sie eine Statusdeut-
weißen Gesellschaft. Inzwischen wird         scheneigenschaft bekommen und wer-
häufiger von → BPoC (Black and People        den damit → deutschen Staatsangehö-
of Color) gesprochen. Etwas seltener         rigen formal gleichgestellt. Dennoch
kommt hierzulande die Erweiterung            sind sie häufig von → antislawischem
   BIPoC ( Black, Indigenous and Peo-        Rassismus betroffen. Mit 2,49 Millionen2
ple of Color) vor, die explizit auch → in-   Menschen mit eigener Wanderungser-
digene Menschen mit einbeziehen soll.        fahrung sind sie die zweitgrößte Gruppe
Diese Begriffe werden teils kritisiert,      von → Eingewanderten in Deutsch-
weil damit sehr große und unterschied-       land. Bezeichnungen wie Deutsch-
liche Gruppen vermengt werden.               Russen, Russisch- bzw.
Kasachischstämmige sind für Russ-
landdeutsche inkorrekt und werden oft
                                            → Deutsche mit Migrations-
                                            hintergrund vermeintlich ab-
                                                                                      13
als diskriminierend wahrgenommen.           weichen. Der Begriff wurde durch den
Noch im Etablierungsprozess ist die         Migrationspädagogen Paul Mecheril in
Selbstbezeichnung PostOst für Men-          die Debatte eingebracht3, der auch den
schen, die selbst oder deren Vorfahren      Begriff Copyright-Deutsche prägte.
aus Staaten kommen, die in Deutsch-
land pauschal als sog. »Ostblock« be-       Südländer*in ist ein aus der Mode
zeichnet wurden und werden.                 gekommener Begriff, aber in der Be-
                                            schreibung »südländisches Aussehen«
Schwarz ist eine Eigenbezeichnung, die      in manchen Medien noch zu finden.
viele afrodiasporische Menschen und         Hier stellt sich die Frage: Was genau
Initiativen verwenden. Sie kommt aus        ist gemeint? Geografisch ist der Begriff
dem englischsprachigen Rassismusdis-        unspezifisch und verortet Menschen
kurs (»Black«). Auch hier geht es nicht     außerhalb von Deutschland, obwohl sie
um Hautfarbe, sondern um den Gegen-         hier geboren und aufgewachsen sein
satz zu → weiß (vgl. → PoC). Als politi-    könnten. Der Begriff wird auch von
sche Selbstbezeichnung wird Schwarz         → rechtsradikalen und → rechts-
groß geschrieben – auch von immer           extremen Medien verwendet.
mehr Medien. Seit Juli 2020 hat bspw.
die New York Times die Großschreibung       Türkischstämmige (Bürger*innen)
von »Black« in ihren redaktionellen Stil-   ersetzt inzwischen die früher gängige
vorschriften festgelegt. Die spezifische    Bezeichnung »Türken« und soll berück-
Rassismuserfahrung, die Schwarze            sichtigen, dass fast die Hälfte von ihnen
Menschen machen, wird als → Anti-           inzwischen deutsche Staatsbürger*in-
Schwarzer Rassismus bezeichnet. Siehe       nen sind. Die Alternative → Türkei-
auch im Kapitel »Schwarze Menschen«         stämmige drückt aus, dass → Ein-
ab Seite 41.                                gewanderte aus der Türkei auch
                                              Kurd*innen oder Angehörige anderer
Secondos (f: Secondas) ist in der           Minderheiten sind, die sich nicht als
deutschsprachigen Schweiz die gängi-        »türkisch« verstehen. Einige von ihnen
ge Selbstbezeichnung von → Menschen         lehnen diese verbale Verbindung mit
aus eingewanderten Familien, die ab         der Türkei jedoch gänzlich ab.
der zweiten Generation in der Schweiz
leben. Singular: Secondo (m), Se-           Weiß Geht es um Zugehörigkeit, Teil-
conda (f).                                  habe und Rassismus, ist immer öfter
                                            von Weißen die Rede. Häufig herrscht
Standard-Deutsche beschreibt                das Missverständnis, es ginge dabei um
→ Deutsche ohne Migrationshinter-           eine Hautfarbe. Tatsächlich meint
grund und macht aufmerksam auf eine           weiß eine gesellschaftspolitische
Normvorstellung, von der                    Norm und Machtposition und wird
                                                        Wer sind »wir«, wer sind »die anderen«?
deshalb in wissenschaftlichen Texten
oft klein und kursiv geschrieben. Der
                                          Zeit vor allem in der Politik
                                          genutzt, um Deutschland
                                                                          14
Begriff wird als Gegensatz zu → People    nicht als → Einwanderungsgesellschaft
of Color und → Schwarzen Menschen         zu benennen, sondern nur von (zeitlich
verwendet. Dabei müssen sich z. B.        begrenzter) Zuwanderung zu sprechen.
  weiße Deutsche nicht selbst als weiß    Sprachlich unterstreicht die Vorsilbe
oder privilegiert fühlen.                 »zu« eher die Nicht-Zugehörigkeit,
                                          ähnlich wie bei beim abgewandelten
Wir kann missverständlich wirken,         »Neuzuwanderer«. Menschen, die eine
wenn beispielsweise von »wir Deut-        längere Zeit hier leben, sind schlicht
schen« die Rede ist, aber nur → Deut-     → Einwander*innen.
sche ohne Migrationshintergrund
gemeint sind. Als Alternative kann
Mehrheitsbevölkerung passender sein
– allerdings nicht überall, in Frank-
furt am Main sind → Menschen mit
Migrationshintergrund bereits in der
Mehrheit (siehe auch → Mehrheits-
gesellschaft, → Aufnahmegesell-
schaft).

Wurzeln, mit griechischen etc. wird oft
verwendet, um die Herkunft von
→ Menschen mit internationaler
Geschichte zu beschreiben. Weil damit
keine Verortung in Deutschland, son-
dern vielmehr eine Entwurzelung von
→ Eingewanderten und ihren Nach-
kommen mitschwingt, wird die Be-
schreibung teilweise kritisch gesehen.
Alternativ kann z. B. die (ehemalige)
Nationalität der Eltern genannt werden,
sofern es wirklich nötig ist.

Zuwander*innen sind zunächst alle
Menschen, die nach Deutschland
ziehen. Statistisch zählen dazu auch
diejenigen, die nach kurzer Zeit wieder
fortziehen (Abwander*innen). Die Ab-
sicht zu bleiben ist bei Zuwander*innen
nicht gegeben. Der Begriff wurde lange
15

1	Statistisches Bundesamt, Mikrozensus 2016
  (Tabelle1 (Personen_mit_Migrationshintergrund),
  Zeile 97, Spalte X)
2	Bericht der Fachkommission zu den Rahmen-
  bedingungen der Integrationsfähigkeit
  »Gemeinsam die Einwanderungsgesellschaft
  gestalten«, 2021,
  S. 218 ff.: https://www.fachkommission-
  integrationsfaehigkeit.de/fk-int
3	Mecheril, Paul und Thomas Teo (1997, Hrsg.),
  Psychologie und Rassismus, Hamburg
Migration                                                                                  16
Debatten um die deutsche Einwanderungsgesellschaft haben in den vergangenen
Jahren stark zugenommen. Die Begriffe, die wir dabei benutzen und ihre Bedeu-
tung wandeln sich im Laufe der Zeit. So war »Migration« ursprünglich ein Wort
aus der Zoologie (Meyers Konversationslexikon, 1906). Zum Teil verändert auch die
Gesetzgebung unsere Sprache: Nach der Staatsangehörigkeitsreform von 2000 ist
deutsche*r Staatsbürger*in, wer hier geboren ist, nicht mehr nur wer von Deut-
schen abstammt.
Im Folgenden werden alte und neue Begriffe und Regelungen im Einwanderungs-
land Deutschland erläutert. Wo es möglich oder nötig ist, werden alternative For-
mulierungen angeboten, um eine unbewusst negative Konnotation der Sprache in
der Berichterstattung zu vermeiden.

Armutszuwander*in wird in der männ-               klärender Zusatz, wie multikulturelle
lichen Form oft als abfällige Bezeich-            oder plurale Aufnahmegesellschaft
nung für Menschen aus Südosteuropa                wäre sinnvoll, damit deutlich wird: Es
verwendet, teils auch als Synonym für             sind die rund 83 Millionen1 Bürger*in-
→ Rom*nja, die im Zuge der EU-Frei-               nen in Deutschland gemeint.
zügigkeit nach Deutschland kommen.
Die große Mehrheit der Menschen,                  Aussiedler*innen / Spätaussiedler*in-
die aus den EU-Mitgliedsstaaten                   nen sind deutsche »Volkszugehörige«
→ Bulgarien und → Rumänien einge-                 und mit etwa 4,5 Millionen Menschen
wandert sind, geht jedoch einer Arbeit            die größte eingewanderte Gruppe in der
nach oder studiert. Es handelt sich               Bundesrepublik. Laut Definition des In-
daher überwiegend um eine – für                   nenministeriums handelt es sich bei ih-
Deutschland profitable – Arbeitsein-              nen um »Personen deutscher Herkunft,
wanderung bzw. Arbeitszuwanderung.                die in Ost- und Südosteuropa sowie in
Bei »Armutsmigration« wird vor allem              der Sowjetunion unter den Folgen des
eine vermeintliche Einwanderung in                Zweiten Weltkrieges gelitten haben
die Sozialsysteme betont, die gesetzlich          (und die) noch Jahrzehnte nach Kriegs-
aber ausgeschlossen ist.                          ende aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit
                                                  massiv verfolgt« wurden. In der Bun-
Aufnahmegesellschaft wird häufig als              desrepublik können sie die »Statusdeut-
Synonym für → Deutsche ohne Migrati-              scheneigenschaft« bekommen, werden
onshintergrund verwendet, wirkt dann              damit → deutschen Staatsangehörigen
jedoch ausgrenzend, da → Eingewan-                gleichgestellt und sind keine → Auslän-
derte und ihre Nachkommen auch zu                 der*innen (siehe auch → Vertriebene,
den Aufnehmenden gehören. Ein                     → Russlanddeutsche).

→ Begriff mit Erläuterung   Empfohlener Begriff            →   Empfohlener Begriff mit Erläuterung
Deutsche Staatsangehörigkeit erwer-
ben Menschen mit der Geburt entweder
                                           Abstammungsprinzip auto-
                                           matisch die unterschiedlichen
                                                                              17
nach dem Abstammungsprinzip, wenn          Staatsangehörigkeiten beider Eltern-
sie also als Kind deutscher Eltern ge-     teile erhält. Bei → Einbürgerungen in
boren werden, oder seit 2000 auch          Deutschland soll Mehrstaatigkeit ver-
nach dem Geburtsortprinzip. Das heißt,     mieden werden, es gibt allerdings viele
auch Kinder, deren Eltern keine deut-      Ausnahmen: z. B. für EU-Bürger*innen,
sche Staatsangehörigkeit besitzen,         Schweizer*innen, US-Amerikaner*in-
erhalten seither in der Regel die deut-    nen, Argentinier*innen etc. Seit 2000
sche Staatsbürgerschaft, wenn sie in       erhalten auch in Deutschland geborene
Deutschland geboren sind (siehe            Kinder von → Ausländer*innen neben
→ doppelte Staatsangehörigkeit,            der Staatsangehörigkeit ihrer Eltern
→ Optionspflicht). Unter bestimmten        die deutsche (siehe → Optionspflicht).
Voraussetzungen (u. a. achtjähriger        Um Menschen mit doppelter Staats-
Aufenthalt) kann man durch → Ein-          bürgerschaft zu benennen, ist es
bürgerung deutsche*r Staatsbürger*in       sinnvoll, ihren Lebensmittelpunkt zu
werden.                                    betonen, also z. B. Turko-Deutsche,
                                           oder Türkei-Deutsche statt Deutsch-
Displaced Persons (DPs) engl. für Ver-     Türk*innen, Greco-Deutsche, statt
triebene. Die UN bezeichnen Personen       Deutsch-Griech*innen etc. ähnlich wie
als displaced people, die wegen            bei Russlanddeutschen (siehe
bewaffneter Auseinandersetzungen,          → Deutsch-Türk*in).
Menschenrechtsverletzungen, natür-
licher oder menschlich verursachter        Einbürgerung ist der Prozess zur Er-
Katastrophen gezwungen wurden, ihren       langung der deutschen Staatsbürger-
Heimatort zu verlassen, aber keine         schaft. Unterschieden wird zwischen
international anerkannte Staatsgren-       Anspruchseinbürgerung und Ermes-
ze überschritten haben; im Sinne der       senseinbürgerung. Anspruch auf eine
UN sind DPs Binnenflüchtlinge. Als            Einbürgerung hat, wer die gesetz-
historischer Begriff in der deutschen      lichen Voraussetzungen dafür erfüllt
Geschichte bezieht er sich vor allem auf   (z. B. mindestens acht Jahre Aufent-
ehemalige KZ-Häftlinge, Kriegsgefan-       halt, Lebensunterhaltssicherung ohne
gene und Zwangsarbeiter*innen nach         Sozialhilfe und Arbeitslosengeld II, seit
dem Zweiten Weltkrieg (siehe auch          2020 auch eine »Einordnung in deut-
→ Heimatlose Flüchtlinge).                 sche Lebensverhältnisse«). Sind nicht
                                           alle Voraussetzungen gegeben, kann
Doppelte Staatsangehörigkeit Das           eine Einbürgerungsbehörde trotzdem
Fachwort dafür ist Mehrstaatigkeit         die deutsche Staatsbürgerschaft verge-
und beschreibt den Besitz von zwei         ben, wenn z. B. ein öffentliches Interes-
oder mehr Staatsangehörigkeiten. Dazu      se an der Einbürgerung besteht (bspw.
kommt es z. B., wenn ein Kind nach dem     bei Profi-Sportler*innen) und einige
                                                                              Migration
Mindestanforderungen erfüllt sind
(siehe auch → doppelte Staatsbürger-
                                          Berichterstattung kommen oft
                                          Formulierungen wie → geschei-
                                                                             18
schaft und → deutsche Staatsangehö-       terte oder »gelungene« Integration vor;
rigkeit).                                 ebenso wie bei der Übertragung auf
                                          Personen (→ Integrationsverweiger*in)
Einwanderungsgesellschaft beschreibt      werden gesellschaftliche Probleme
Deutschland als Einwanderungsland:        dadurch individualisiert und kulturali-
Menschen wandern ein und werden           siert. Alternativen: Teilhabe,
Teil der heimischen Bevölkerung. Da         Chancengleichheit.
aber längst nicht alle, die kommen, ihr
Leben lang bleiben (wollen) und außer-    Integrationsverweiger*in steht für die
dem viele Deutsche ins Ausland ziehen,    diffuse Vorstellung, dass → Eingewan-
kann auch von einer Migrationsge-         derte die deutsche Gesellschaft, ihre
sellschaft gesprochen werden. Siehe       Werte und Gesetze ablehnen würden.
auch → Zuwander*innen.                    War früher noch die Rede von Men-
                                          schen mit »Integrationsbedarf« und
Gescheiterte Integration wird häufig      »Integrationsproblemen«, wurden dar-
als Ursache für Jugendkriminalität        aus später »Integrationsunfähige« oder
und andere Probleme genannt. Dabei        »Integrationsunwillige« und danach
wird oft unterstellt, dass zum Beispiel   »Integrationsverweiger*innen«. Daran
Verstöße gegen Gesetze und Normen         wird deutlich, dass → Menschen aus
begangen werden, weil die deutsche        eingewanderten Familien oft eine wil-
Gesellschaftsordnung abgelehnt und        lentliche und aktive Abgrenzung unter-
stattdessen einer vermeintlich archai-    stellt wird, was jedoch sehr selten der
schen Einwandererkultur mit eigenen       Fall ist. Studien verweisen dagegen auf
Regeln gefolgt wird. Meist sind jedoch    einen Mangel an Chancengleichheit,
andere Ursachen zu finden, wie man-         Bildungsgerechtigkeit und fehlende
gelnde Chancengleichheit oder             oder erschwerte Möglichkeiten zur
  Bildungsgerechtigkeit, soziale Be-        Partizipation.
nachteiligung etc.
                                          Mehrheitsgesellschaft ist ein gängiger
Integration ist ein Begriff, der oft im   Begriff, der missverständlich ist. Eigent-
Zusammenhang mit → Migrant*innen          lich müsste es heißen: Mehrheits-
fällt und als Bringschuld der Ein-        bevölkerung, also die von knapp 60
wander*innen gemeint ist. Wissen-         Millionen2 → Deutschen ohne Migra-
schaftler*innen dagegen verwenden         tionshintergrund. In einem faktischen
ihn, um Sachverhalte zu beschreiben,      Einwanderungsland funktionieren
wie Teilhabe und Zugang zu Arbeit         Bezeichnungen wie »die deutsche Ge-
oder Bildung. In diesem Sinn ist bspw.    sellschaft« oder »die Gesellschaft in
von Integrationspolitik oder Integra-     Deutschland« nicht als Synonym für
tionsprojekten die Rede. In Politik und   → Deutsche ohne Einwanderungsbezug.
Mischehe beruht als Begriff auf der Ras-
sentheorie und wurde vor allem im
                                           hohen Anteil von Einwan-
                                           der*innen in manchen Stadt-
                                                                            19
Zuge der »Rassenhygiene« zur Zeit des      teilen oft eher der Wohnungsmarkt
Nationalsozialismus verwendet. Gute        ursächlich als ein Hang zu innerethni-
Alternativen sind binationale oder         schen Nachbarschaften.
ggf. interreligiöse Ehe, vgl. → mixed.
                                           Postmigrantisch wurde von der Berli-
Optionspflicht Seit 2000 erhalten in       ner Theaterintendantin Shermin Lang-
Deutschland geborene Kinder von            hoff geprägt und setzt sich zunehmend
→ Ausländer*innen neben der ausländi-      durch. Postmigrantisch steht für den
schen Staatsangehörigkeit in der Regel     Prozess, die Gesellschaft nach erfolgter
auch die deutsche. Dabei wurde jedoch      Einwanderung mitzugestalten. Wird
für die Kinder von → Drittstaatsange-      Deutschland als → Einwanderungs-
hörigen die Optionspflicht eingeführt:     gesellschaft akzeptiert, werden Katego-
Zwischen dem 18. und dem 23. Geburts-      rien wie → deutsch / nicht-deutsch be-
tag mussten sie sich für eine der beiden   deutungslos. Es gilt, die herrschenden
Staatsangehörigkeiten entscheiden. Mit     (Miss-)Verhältnisse gemeinsam neu zu
der Reform des Staatsangehörigkeits-       verhandeln.
gesetzes von 2014 entfällt dieser Ent-
scheidungszwang für junge Leute mit        Vertriebene sind deutsche Staats-
→ doppelter Staatsangehörigkeit, die       angehörige oder sog. deutsche
mindestens acht Jahre in Deutschland       »Volkszugehörige« (jur. Bezeichnung,
gelebt haben, oder sechs Jahre hier zur    Bundesvertriebenengesetz) und ihre
Schule gingen oder einen Schul- oder       Nachkommen, die ihren Wohnsitz im
Berufsabschluss in Deutschland ge-         Zusammenhang mit dem Zweiten
macht haben. Es bleibt also kompliziert.   Weltkrieg verloren haben. Auch → Aus-
                                           siedler*innen gelten gesetzlich als
Parallelgesellschaft ist ein Schlagwort,     Vertriebene. Beide Gruppen haben,
das Anfang der 2000er Jahre in der         ebenso wie → Spätaussiedler*innen
Debatte um → Muslim*innen in Deutsch-      einen rechtlichen Anspruch darauf, aus
land populär wurde. Der Begriff ist        Ländern des ehemaligen Ostblocks in
inhaltlich diffus und wird verbunden       Deutschland aufgenommen zu werden.
mit vermeintlich → gescheiterter Inte-     In der Bundesrepublik bekommen sie in
gration. Er zeichnet ein Bild homogener    der Regel automatisch die sog. Status-
Minderheiten, die sich räumlich, sozial    deutscheneigenschaft und sind somit
und kulturell von der → Mehrheits-         keine → Ausländer*innen.
gesellschaft abschotten3. Ihnen wird
»Integrationsunwilligkeit« unterstellt,    Willkommenskultur ist zur Standard-
ohne zu berücksichtigen, dass für          vokabel in Asyldebatten geworden.
→ Integration die gesamte Gesellschaft     Gemeint ist meistens das Engagement
verantwortlich ist. Zudem ist für einen    der vielen Ehrenamtlichen, die sich
                                                                            Migration
für → Geflüchtete einsetzen und damit
eine Willkommenskultur schaffen. Vor-
                                                                                      20
her war Willkommenskultur eher ein
politisches Leitbild für die
   multikulturelle Aufnahmegesell-
schaft in der Integrationspolitik. So
wurden z. B. in Hamburg oder Stuttgart
städtische »Welcome-Center« für Ein-
wander*innen eröffnet. Kritisiert wurde
der Begriff in diesem Zusammenhang
z. B. vom Medienwissenschaftler Alex-
ander Kissler, der darauf verwies, dass
sich das Wort »Willkommen« nur auf
den kurzen Vorgang des Kommens be-
ziehe, also keinen sich verstetigenden
Zustand bezeichnen könne (siehe auch
→ Einwanderungsgesellschaft,
→ Aufnahmegesellschaft).

Xenophilie ist das Gegenteil von
→ Xenophobie und beschreibt eine
Neigung für fremde Dinge oder Men-
schen. Beides setzt eine Kategorisie-
rung in »fremd« und »nicht fremd«
voraus.

Xenophobie (griech. xeno, fremd)
bezeichnet die ablehnende Haltung         1 	Bevölkerungsstand lt. Statistischem Bundesamt
gegenüber einer Gruppe, die als fremd       (Stand: Juni 2019): https://www.destatis.de/DE/
wahrgenommen wird, aber nicht auto-         Presse/Pressemitteilungen/2019/06/
matisch fremd sein muss, wie zum Bei-       PD19_244_12411.html
                                          2 	Statistisches Bundesamt: Bevölkerung mit Mig-
spiel → Afrodeutsche oder → deutsche
                                            rationshintergrund. Ergebnisse des Mikrozensus
Muslim*innen. Xenophobie ist eine
                                            2020 (Stand 2022): https://www.destatis.de/DE/
Form der gruppenbezogenen                   Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Mig-
Menschenfeindlichkeit (siehe auch           ration-Integration/Publikationen/_publikationen-
→ Fremdenfeindlichkeit, → Rassis-           innen-migrationshintergrund.html

mus).                                     3 	Vgl. »Zuwanderung wird als Bedrohung emp-
                                            funden«: Interview mit Klaus J. Bade mit Spiegel
                                            Online vom 24.11.2014 https://www.spiegel.de/
                                            kultur/gesellschaft/leitkultur-debatte-
                                            zuwanderung-wird-als-bedrohung-empfunden-
                                            a-329285.html
Kriminalitätsberichterstattung                                  1

                                                                                                21
Die Berichterstattung über Straftaten nimmt in den meisten Medien viel Raum ein.
Dabei herrscht immer noch das Vorurteil, Geflüchtete oder Eingewanderte würden
häufiger straffällig als biografisch Deutsche und ihre Herkunft hätte ursächlich da-
mit zu tun. Die folgenden Erläuterungen und Empfehlungen sollen dazu beitragen,
differenziert und diskriminierungskritisch über Straftaten zu berichten.

Ausländerhass, Fremdenfeindlichkeit               Banden wird in der Kriminalitätsbe-
sind als Synonyme für → Rassismus                 richterstattung häufig als Schlagwort
und rassistische Tatmotive ungenau,               verwendet, um mit dem Zusatz »aus
da es selten um tatsächliche Fremde               Südosteuropa« einen Hinweis auf
wie etwa Tourist*innen geht. Von der              → Rom*nja zu implizieren. Der Begriff
vermeintlichen »Ausländerfeindlich-               sollte aber nur verwendet werden, wenn
keit« sind oft deutsche Staatsangehöri-           er juristisch angebracht ist. So definiert
ge betroffen. Wer Angriffe auf → BPoC             der Bundesgerichtshof eine Bande als
als »Fremdenfeindlichkeit« oder »Aus-             »Zusammenschluss von mindestens
länderhass« bezeichnet, übernimmt die             drei Personen, die sich mit dem Willen
rassistische Sichtweise der Täter*in-             verbunden haben, künftig für eine ge-
nen. Präziser ist es, die Straftaten und          wisse Dauer mehrere selbständige, im
Motive als rassistisch, rassistisch               Einzelnen noch ungewisse Diebes- oder
motiviert, rechtsextrem, rechts-                  Raubtaten zu begehen«. Siehe auch
terroristisch oder neonazistisch zu               → Clan.
bezeichnen (siehe → Hassverbrechen,
  Hasskriminalität).                              Blutrache bezeichnet ausschließlich
                                                  schwere Gewalttaten oder Morde zur
Ausländerkriminalität sollte nicht als            Vergeltung der Tötung von Familien-
eine Bezeichnung für alle Straftaten              mitgliedern. Mitunter wird Blutrache
verwendet werden, die von → Auslän-               zur Beschreibung anderer Straftaten
der*innen begangen werden, sondern                verwendet, die von → Eingewanderten
als Oberbegriff für Verstöße, die nur             und ihren Nachkommen begangen
von Ausländer*innen begangen werden               werden. Dabei handelt es sich aber in
können, wie z. B. Visavergehen oder               vielen Fällen schlicht um Rache oder
Verstöße gegen Asylgesetze. Alle an-                Racheakte.
deren Straftaten können konkret be-
nannt werden – schließlich ist bei                Clan gehört zu den Begriffen, die eben-
Delikten, die Ausländer*innen                     so wie die Schlagworte »Großfamilie«
seltener begehen (z. B. Steuerflucht)             oder »Sippe« auch ohne einen Hinweis
auch nicht von »Deutschen-Kriminali-              auf die Herkunft implizieren, dass es
tät« die Rede.                                    in einem Bericht um → Eingewanderte
→ Begriff mit Erläuterung   Empfohlener Begriff             →       Empfohlener Begriff mit Erläuterung
und ihre Nachkommen oder → Rom*nja
geht. Weniger kulturalistisch und
                                            chen Berichten ist es meist auf-
                                            schlussreicher zu erfahren, ob
                                                                            22
konkreter ist der Begriff kriminelle        Behrouz F. in einem Arbeiterkiez oder
Bande, wenn es sich tatsächlich um          Nobelviertel wohnt. Formulierungen
eine solche handelt. Siehe → Banden,        wie »der Iraner Behrouz F. aus Köln«
→ Clan-Kriminalität.                        oder »der iranischstämmige Behrouz
                                            F.« hingegen machen eher deutlich,
Clan-Kriminalität ist ein stigmatisie-      dass Behrouz F. weder »echter« Kölner
render Begriff, weil damit ganze Fami-      noch → Deutscher ist oder sein kann.
lien, auch Kinder, Großeltern und an-
dere Verwandte zu Kriminellen erklärt       Der türkischstämmige Tatverdäch-
werden. Häufig knüpft er an kulturras-      tige (siehe auch: → türkischstämmig)
sistische Vorstellungen an, etwa, dass      Grundsätzlich sollte die Herkunft von
alle → Clan-Mitglieder in archaischen       Straftäter*innen oder Verdächtigen nur
Familienstrukturen leben. Alternativ        dann genannt werden, wenn ein Bezug
kann man von → organisierter Krimi-         zur Tat besteht und die Information
nalität oder von einer kriminellen          zum Verständnis notwendig ist. Das
→ Bande sprechen, sofern die fachli-        wäre etwa der Fall, wenn ein kultu-
chen Kriterien dafür tatsächlich erfüllt    reller oder religiöser Hintergrund bei
sind.                                       der Entscheidung in einem Gerichts-
                                            verfahren berücksichtigt wird. Gibt es
Der*die Gesuchte spricht Deutsch mit        keinen sachlichen Bezug zum Tather-
türkischem Akzent ist in fast allen Fäl-    gang, wird durch die explizite Nennung
len eine vage Vermutung. Es ist schwer      der Herkunft von Straftäter*innen oder
unterscheidbar, ob ein Mensch einen         Verdächtigen in der Nachricht ein ver-
türkischen, kurdischen, persischen,         meintlich ursächlicher Zusammenhang
berberischen oder anderen Akzent            hergestellt. Zum Vergleich: Es ist auch
hat. Entsprechend kann in Meldungen         nicht üblich, von deutschstämmigen
zur Fahndungshilfe wahrheitsgemäß           Täter*innen zu sprechen.
formuliert werden spricht Deutsch
mit Akzent oder sprach Deutsch mit          Ehrenmord definieren Expert*innen für
einem Akzent, der vom Zeugen als            das Bundeskriminalamt so: »Tötungs-
türkisch eingeschätzt wurde.                delikte, die im Kontext patriarchalisch
                                            geprägter Familienverbände oder Ge-
Der Kölner Behrouz F. bei der Nen-          sellschaften vorrangig von Männern
nung von Namen oder Alias-Namen in          an Frauen verübt werden, um die aus
Berichten ist eine Verbindung mit dem       Tätersicht verletzte Ehre der Familie
Wohnort zu empfehlen. Auch eine Nen-        oder des Mannes wiederherzustellen«2.
nung des Wohnbezirks kann sinnvoll          Teils wird die Bezeichnung jedoch all-
sein, weil sie oft mehr Aussagekraft hat    gemein verwendet, zum Beispiel wenn
als die Herkunft. Vor allem in ausführli-   ein türkeistämmiger Mann seine Frau
umbringt. In vielen Fällen würde die
gleiche Tat, begangen in einem → stan-
                                           Wissenschaftlich formuliert
                                           wäre das Motiv gruppenbe-
                                                                                 23
darddeutschen Umfeld, Familientra-         zogene Menschenfeindlichkeit.
gödie oder Beziehungstat genannt. Die
Weltgesundheitsorganisation (WHO)          Ideologien der Ungleichwertigkeit
verwendet für solche Taten den Begriff     sind Weltanschauungen, in denen die
  Femizid. Alternative: Frauenmord         Gleichwertigkeit und Gleichberech-
(siehe → Mord im Namen einer ver-          tigung aller Menschen grundlegend
meintlichen Ehre).                         abgelehnt werden. Ideologien der Un-
                                           gleichwertigkeit sind u. a. → Rassismus,
Extremismus bezeichnet laut Poli-          → Antisemitismus, Sexismus, Sozialdar-
zei und Verfassungsschutz extreme          winismus, Chauvinismus oder Homo-
politische Haltungen, mit dem Ziel,        und Transfeindlichkeit. Sie können sich
sie gegen die freiheitlich-demokrati-      in → Hasskriminalität äußern.
sche Grundordnung durchzusetzen.
Extremist*innen handeln verfassungs-       Messereinwanderung ist ein propa-
feindlich, oft auch gewaltsam. Der         gandistischer Begriff, den die AfD-Bun-
Begriff ist umstritten, weil er undiffe-   destagsfraktion 2018 aufgebracht hat
renziert ist und voraussetzt, dass es      und der von einigen Boulevard-Medien
nur einen extremen linken und rechten      (»Messer-Angst!«) aufgenommen wurde.
Rand gibt. → Ideologien der Ungleich-      Für die Behauptung, Gewalttaten von
wertigkeit und die Ablehnung der           → Migranten*innen mit Messern seien
Demokratie finden sich jedoch auch in      bundesweit stark angestiegen, gibt es
der Mitte der Gesellschaft. Umgangs-       keine seriösen statistischen Belege,
sprachlich wird Extremismus oft irr-       u. a. weil Landesbehörden solche Straf-
tümlich mit → Radikalismus gleichge-       taten auf sehr unterschiedliche Weise
setzt. Siehe auch → Rechtsextremismus.     erfassen.

Hasskriminalität, Hassverbrechen           Mord im Namen einer vermeintlichen
deutsch für Hate-Crime, bezeichnet         Ehre / Mord im Namen eines altherge-
Gewalt- und Straftaten, die z. B. durch    brachten Begriffs von Ehre sind reflek-
→ Rassismus, religiöse Intoleranz,         tierte Alternativen für → Ehrenmord,
Trans- oder Homofeindlichkeit und          wenn man sich in der Berichterstattung
Ähnlichem motiviert sind. Hasskrimi-       vom Motiv der Täter*innen distanzieren
nalität ist sinnvoll zur Benennung von     will. Die Weltgesundheitsorganisation
Straftaten, wenn die Betroffenen von       (WHO) verwendet für solche Morde den
den Täter*innen als »anders« und nicht     politischen Begriff Femizide. Handelt
als gleichwertige Menschen angesehen       es sich eindeutig um einen Mord im
werden. In der Kriminologie werden die     Namen einer vermeintlichen Ehre, kann
Fachbegriffe Vorurteilskriminalität        man der Idee der Istanbuler Initiative
und Vorurteilsverbrechen benutzt.          »Kadın Cinayetlerini Durduracagız«
                                                              Kriminalitätsberichterstattung
folgen: Die Frauenrechtlerinnen plä-
dieren für den Begriff Frauenmord
                                           dabei aber noch innerhalb der
                                           Grenzen der Verfassung. »Ra-
                                                                                        24
als Synonym, da er die Betroffenen         dikale politische Auffassungen haben
und die Tat in den Fokus rückt. Aller-     in unserer pluralistischen Gesellschaft
dings zählen zu den Opfern manchmal        ihren Platz«, heißt es laut Verfassungs-
auch Männer, die am vermeintlichen         schutz3.
»Ehrbruch« beteiligt waren oder nicht
heterosexuell sind.

Opfer ist in der Kriminalitätsbericht-
erstattung gängig als Bezeichnung für
Betroffene von Gewalt oder Diskrimi-
nierung. Mit dem Begriff werden aller-
dings Eigenschaften wie Hilflosigkeit
oder Versagen assoziiert. Eine mögliche
Alternative ist: Betroffene.

Osteuropäischer Herkunft, arabisch-
stämmig etc. sind meist mutmaßliche
Beschreibungen und sollten mit Be-
dacht verwendet werden. Grundsätzlich
sind in Fahndungshilfen nur Formulie-
rungen zu empfehlen, die auf Tatsachen
beruhen und wirklich hilfreich sind.       1 	Teile der Erläuterungen im Glossar zur Kriminalitäts-
Die Zuordnung eines Menschen zu              berichterstattung sind dem Beitrag entnommen

großen Regionen, wie Arabien, Ost-           »... denn sie wissen nicht, was sie tun. Wie Journalis-
                                             mus die Integrationsdebatte beeinflusst«, Konstanti-
europa, Asien etc. sind kaum nützlich
                                             na Vassiliou-Enz, in »Vielfältiges Deutschland«,
für die Fahndung, dafür aber stark           Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), 2014
verallgemeinernd (siehe → der*die Ge-        (www.neuemedienmacher.de/denn-sie-
suchte spricht Deutsch mit türkischem        wissen- nicht-was-sie-tun-wie-journalismus-die-

Akzent).                                     integrationsdebatte-beeinflusst/)
                                           2 	Studie »Ehrenmorde in Deutschland 1996 bis 2005«
                                             von der Kriminologischen Abteilung des Max-Planck-
Radikalismus beschreibt radikale
                                             Instituts im Auftrag des Bundeskriminalamts. Inter-
politisch-ideologische Positionen, die       view von 2014 dazu: https://mediendienst-
die Grundwerte unserer freiheitlichen        integration.de/artikel/von-einem-islamrabatt-kann-
Demokratie nicht generell in Frage stel-     nicht-die-rede-sein.html

len. Man kann Radikalismus als eine        3 	Bundesamt für Verfassungsschutz, 2015, Glossar
                                             Vgl. Manjana Sold, Radikalisierung und Deradika-
Art legale Vorstufe zum → Extremismus
                                             lisiterung, Bundeszentrale für politische Bildung
betrachten. Radikale haben zum Ziel,         (https://www.bpb.de/lernen/digitale-bildung/
unsere Gesellschaftsordnung grund-           bewegtbild-und-politische-bildung/reflect-your-
legend zu verändern, bewegen sich            past/313952/radikalisierung-und-deradikalisierung/)
Sie können auch lesen