WELCHE HAUTFARBE SIEHST DU? - jupf Info
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Nr. 121 | April 2021 jupf Info Neues in und aus der Jugendarbeit | Evangelisches Jugendpfarramt Köln WELCHE WELCHE HAUT- HAUTFARBE FARBE SIEHST SIEHST DU? DU? WIR MÜSSEN REDEN...
Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freie, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus. Galater 3, 28 Inhalt Anregendes Interessantes 3 Rassismus hat viele Gesichter 21 Schubladenbox 34 Jüdisches Leben in Köln 5 Schwarz-Weiss-Denken 22 Spannendes für die Ohren 36 321.koeln 6 Wo kommt der Begriff Rassismus 27 Buchtipps 37 Meet a jew eigentlich her? 28 Filmtipps 38 Jugendzentrum Jachad 7 Und was ist dann 29 Wichtiges und Interessantes Shalom Cologne Rechtsextremismus? 39 Discover your Citiy 8 ABC des Rechtsextremismus 40 Unterrichtsmaterialien 10 Die Symbole und Codes Erlebtes 41 Gedenkstättenfahrten der Neonazistischen Szene 30 Zoomsammen 11 Bundesverband Information & Beratung für NS-Verfolgte Kneipenquiz & Konfiduell 12 Informations- und 31 Konfi-Arbeit in Corona-Zeiten Politisches Dokumentationszentrum für Schulungen 42 Kinderrechte ins Grundgesetz Antirassismusarbeit e.V. Politik- und Förderprogramme 14 Wie du auf Stammtischparolen reagierst Zukünftiges 15 Beleidigungen 32 Spot on! Medien und Material 16 33 Fragen Fit für Ferienfreizeiten 43 Bücher, Filme, Spiele, Apps 17 Interkulturelle Kompetenz Erste-Hilfe-Kurs & Racial Profiling 33 Partizipation - wie geht es weiter? 19 Förderprogramm Du.Ich.Wir. Kirche.kickt, Laufexerzitien kurz notiert 20 Projekttage 46 Weltwirtschaftsforum schaltet in den Krisenmodus 2 Jupf-Info Nr. 121/21
RASSISMUS HAT VIELE GESICHTER „Bei Ihrem Namen hätte ich nicht gedacht, dass Sie so gut deutsch sprechen können." „Du, als Griechin musst die Hitze doch besser abkönnen.“ „Das liegt an deinem südländischen Temperament, dass bei dir immer so schnell die Siche- rung durchbrennt.“ Unterstellungen, Zuschreibungen und Katego- Allerdings zeigt eine Studie von 2016: Knapp risierungen aufgrund meiner Herkunft, gehören über 50% der Deutschen hätten ein Problem zu den Rassismen, die ich, Gott sei Dank, nicht damit, wenn geflüchtete Menschen in ihre jeden Tag erlebe. Mit der Zeit habe ich gelernt Nachbarschaft einziehen würden. Stereotype in humoristischer Weise darauf zu reagieren. und Vorurteile sind also fest in uns verankert, Die Intention des Absenders ist oft nur nett bewusst oder unbewusst. gemeint. Im Umkehrschluss implizieren aber diese Aussagen, dass meine Herkunft fern von Was und Wen assoziieren wir mit Rassismus? Deutschland liegt, dass ich nicht ganz dazu Springerstiefel und Glatze, brennende Flücht- gehöre, zu der Mehrheitsgesellschaft, obwohl lingsunterkünfte und tödliche Angriffe auf ich in Deutschland Schwarze Men- geboren bin und schen? Rassismus ist mich als Deutsche aber auch das: der fühle. menschenfeindliche Shitstorm in den Wie geht es eigent- sozialen Netzwer- lich den Menschen, ES IST UNSERE UNFÄHIGKEIT ken, der immer mehr die massiveren DIESE UNTERSCHIEDE zunimmt. Es reicht Alltagsrassismus ZU ERKENNEN, schon Begriffe wie ausgesetzt sind? Die ZU AKZEPTIEREN UND Flüchtlinge, Beläs- aufgrund der phäno- ZU FEIERN. tigung von Frauen typischen Merkmale und Inflation, ein- sogar offen ange- zugeben und schon feindet werden, die geht es los, eine Flut tagtäglich spüren, von Kommentaren dass sie nicht zu den wie: „Das Pack an Privilegierten in die- der Grenze zurück- sem Land gehören, schicken“, wenn die von der Polizei davon berichtet wird, öfter kontrolliert dass Geflüchtete werden als Weiße Menschen auf dem Menschen? Balkan verhungern und erfrieren, bestä- Wenn Menschen wie in Hanau ermordet wer- tigt mit Smiley und Daumen-hoch-Emojis von den, nur weil sie eine Migrationsgeschichte anderen schweigenden Kommentatoren. haben, sind wir alle betroffen und können nicht fassen, was da passiert ist. Jedoch bekommen Rassismus ist auch das: salonfähig und en vogue wir wenig davon mit, wie People of Colour in und bereits in der Mitte der Gesellschaft ange- Deutschland im Alltag Benachteiligung und Dis- kommen, offenbart in Sätzen wie: „Man darf das kriminierung erfahren, die sie immer wieder aus doch mal sagen dürfen“, ich habe nichts gegen der Gesellschaft ausgrenzen. Im Artikel 3 des Ausländer, aber…“ Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutsch- land heißt es: Niemand darf wegen seiner Andere in eine Schublade packen, dass macht Herkunft benachteiligt werden. Das Allgemeine es oft einfacher in Auseinandersetzungen mit Gleichbehandlungsgesetz basiert auf Artikel 3 unterschiedlichen Kulturen und Ethnien. Dabei unseres Grundgesetzes. Menschen, die benach- wird allerdings vergessen, dass die Einordnung teiligt werden, können sich darauf berufen und nach Ethnien, Nationen oder Rassenkonstruk- Recht bekommen. tionen dazu dient Machtstrukturen zu schaffen Jupf-Info Nr. 121/21 3
Anregendes und zu erhalten. Das Andere wird benannt, um das Wir“ hervorzu- heben. Dabei werden die „Anderen“ meist negativ bewertet und somit entwertet. „Die Anderen“ sind unzivilisiert, kriminell, dreckig oder zu faul. „Wir“ nehmen uns dagegen als zivilisiert, anständig, sauber und fleißig wahr. WIR fühlen uns überlegen und die „Ande- ren“ als unterlegen. Meines Erachtens liegt der Ursprung von rassistischen Denkweisen, Alltagsrassismus, positiven Rassismus sowie der Exotisierung von Menschen und Nationen unter anderem in der Kolonialgeschichte Europas, der einst weißen Weltmacht. Auch Deutschland hat eine Kolonialgeschichte, sie wird im Geschichtsunterricht kaum gelehrt. Sie wird verharmlost und vergessen im Schatten der Gräueltaten des Nationalsozialismus. Dies hat dazu geführt, dass wir noch immer dieses absolutistische Bilder der schlimmsten Auswirkung von biologischem Rassismus im Kopf haben. Das kolonialistische Denken wirkt heute noch in allen Gesellschaftsschichten nach und hat den biologischen durch den kulturellen Rassismus ersetzt. Un- bewusst werden unser Denken, Fühlen und die Art, wie wir Sprache nutzen dadurch beeinflusst und gelenkt. Damit sind nicht nur das politisch inkorrekte N-oder Z-Wort, sondern beispielweise Wör- ter, wie Flüchtlingswelle, Asylantenstrom oder Stammeshäuptling, gemeint. Ich bin froh ein Teil der Evangelischen Jugend in Köln und Umge- bung zu sein, die sich seit langem gegen menschenverachtende Haltungen engagiert. Das Engagement wird von Ehrenamtlichen, von jungen Menschen sowie Hauptberuflichen getragen und ist Kalliopi Terzi Bestandteil von Projekten, Internationalen Jugendbegegnungen, Schulungen, Positionspapieren und Gedenkstättenfahrten. Jugendreferentin Referat für Jugend, Frauen Aus Vorurteilen kann sehr schnell Rassismus entstehen und daraus und Männer Gewalt. Bevor sich Gewalt in Taten äußert, zeigt sie sich zuerst in im Kirchenkreis Köln-Rechts- der Sprache. Gewalt passiert, in dem Augenblick den Menschen, rheinisch die vermeintlich nicht zu „Uns“ gehören, wenn wir untätig bleiben, Telefon: 02 21 / 278 561-92 schweigen, wegsehen, verdrängen, beschönigen und rechtfertigen. Mobil: 01 76 / 95 23 74 18 Mail: kalliopi.terzi@ekir.de Solange wir in diesen „Uns, Wir, Sie, die Anderen “- Kategorien den- ken, wird es in unserem Land eine Spaltung geben. Es reicht nicht mehr aus nur gegen Rassismus zu sein. Wir sollten anfangen antirassistisch zu werden. Kolonialbegriffe hinterfragen, uns selbst reflektieren, Betroffenen zuhören und die Verpflichtung eingehen, uns aktiv gegen ungerechte populistische Meinungen und rassistischen Haltungen zu verwahren. Kalliopi Terzi 4 Jupf-Info Nr. 121/21
Anregendes [Rassismus] ... lässt sich aus dem Lateinischen „radix“ (Wurzel) und aus dem Arabischen „Raz“ (Kopf, Anführer, auch Ursprung) ableiten. Seit Jahrhunderten dient er dazu, eine Menschengruppe nach ihr angeblich unverän- Das Schwarz-Weiß-Denken der Moderne derbaren „natürlichen“ Eigenschaften zu beschreiben. Das kann sowohl in Gestalt einer Aufwertung jener Menschen auf der ganzen Welt sehen Gruppe geschehen, der man sich selbst zugehörig verschieden aus, sie gehören zu unter- fühlt, als auch - vor allem - der Herabsetzung einer schiedlichen Religionen und Kultur – un- anderen, „fremden“ und angeblich „minderwertigen“ terschiedliche „Menschenrassen“ aber Bezugsgruppe. gibt es nicht. Das ist eine Erfindung der Wissenschaft – eine Konstruktion mit einer unheilvollen Macht. [Rechtsextremismus] ...ist ein Oberbegriff für politische Orientierungen, die den demokratischen Staat und die Gleichwertigkeit aller Menschen ablehnen. Die rechtsextreme Ideo- logie ist dabei eine Kombination unterschiedlicher Einstellungen menschen- und demokratiefeindlicher Einstellungen wie Rassismus, Antisemitismus, Sexis- mus, Chauvinismus (Glaube an die Überlegenheit der eigenen Gruppe) sowie Nationalismus und/oder Autoritarismus (Befürwortung einer Diktatur). Jupf-Info Nr. 121/21 5
Anregendes „Die Menschheit ist in ihrer größten Vollkommenheit in der Rasse der Weißen. Die Gelben haben schon ein geringeres Talent. Die Neger sind weit tiefer. Und am tiefsten steht ein Teil der amerikanischen Völkerschaften.“ (Immanuel Kant) Wo kommt der Begriff RASSISMUS eigentlich her? Der Begriff Rassismus wurde erstmalig in den 1930er Jahren von Ma- gnus Hirschfeld verwendet. Ihm ging es darum, die nationalsozialisti- sche „Rassen-Ideologie“ zu widerlegen. Sie zeigt, dass Rassismus we- der vom Nationalsozialismus erfunden wurde noch mit ihm ein Ende fand. Doch wann beginnt diese Geschichte? Sie lässt sich bis in die griechische Antike zurückverfolgen. Aristoteles war der erste, der eine Theorie der Sklaverei entwarf und zum Schluss kam, sie sei gerecht. Er begründete dies aus körperlichen Konstituti- onen heraus, die sich mental auswirkten. Nur der griechische Mann sei vernunftbegabt, griechische Frauen könnten sie verstehen, Sklaven aber, er nennt sie auch „Barbaren“, die könnten nicht mal das und seien daher, auch wegen ihres Körperbaus, in der sozialen Ordnung am bes- ten als Werkzeuge aufgehoben. Klimatheoretisch sortierte Hautfarben sind bereits in der Antike wich- tige Differenzkriterien für Religion, Raum, Geschlecht und entspre- chenden Kartierungen von Über- versus Unterlegenheit. Im christlich geprägten Mittelalter blieb Schwarz die Farbe des Animalischen und Diabolischen, wobei sie nichtchristliche Religionen und Räume im heu- tigen Afrika und Asien markierte. Weiß dagegen avancierte zur Farbe christlicher Überlegenheit und ihrem geografischen Raum, dem heuti- gen Europa. Viele kennen 1492 als Jahr, in dem Columbus die „Neue Welt“ „ent- deckte“. Doch wie kann eigentlich jemand etwas „entdecken“ oder als „neu“ bezeichnen, was Menschen bereits bekannt war? Spanien und Portugal und bald auch andere europäische Kolonialmächte griffen auf amerikanische, afrikanische und asiatische Territorien und deren Ressourcen zu. Um sie zu gewinnen, benötigte die amerikanische Plan- tagenwirtschaft Arbeitskräfte. Ab dem frühen 16. Jahrhundert wurden daher Millionen von Afrikaner:innen nach Amerika deportiert. Das Konzept „Rasse“ wurde aus dem Tier- Interessant hierzu: und Pflanzenreich auf Menschen übertra- gen: Um Europas koloniale Gewalttaten zu Rassismus – die Geschichte eines Wahns „legitimieren“ und als Akt der Zivilisierung Marius Jung der Welt zu verkaufen. Die „Hautfarbe“ wurde an Mentalitäten und Religionen so- Das Bewerten von Menschen nach Haut- und wie geopolitische Räume gebunden – mit Haarfarbe: Woher kommt das? Gehört das ergänzenden Farbkodierungen. Europa sei Rassenschema zu unserem Denken? Wie wird weiß, Afrika schwarz, Asien als gelb und First aus Vorurteilen Rassismus? Wie prägt er unser Nations rot. Bewusstsein? Zu sehen in der ZDF-Mediathek 6 Jupf-Info Nr. 121/21 Textquellen Seite 6-7: www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremis- mus/213678/was-ist-eigentlich-rassismus | www.weltverbesserer.de | www.taz.de | www.tagesschau.de - Zusammenstellung: Claudia Klein-Adorf
Anregendes Und was ist dann RECHTS- EXTREMISMUS? Für rassistisch motivierte Rechtsextremisten ste- Rechtsextremisten glauben an eine naturgegebene ethni- hen in diesem Gedankenmodell folgende Ideen sche ("rassische") Ungleichwertigkeit der Menschen. Eth- im Vordergrund: Erstens könne der Einzelne seiner nische, kulturelle, geistige und körperliche Unterschiede „rassischen“ Vorbestimmung und Einbindung nicht begründen für sie einen minderen Wert und Rechtsstatus entkommen: Er bleibe, was er seit Geburt sei, eben bestimmter Individuen und Gruppen. In der Menschen- Deutscher, Franzose, Asiate oder Jude. Auch die rechtscharta der Vereinten Nationen heißt es in Artikel dazu angeblich passenden Eigenschaften könne er 1: "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und nicht ablegen. Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit Zweitens sei die eigene Rasse, im Falle deutscher begegnen." Der Rechtsextremismus lehnt das an den Men- Rechtsextremisten der „Deutsche Arier“, durch schenrechten orientierte Gleichheitsprinzip ab. Menschen bestimmte, ihr kollektiv eigene Merkmale ande- seien durch biologische Abstammung ("Wurzeln") kulturell ren Menschenrassen überlegen. Daher müsse soweit vorgeprägt, dass kein friedliches, gleichberechtig- die eigene Rasse möglichst rein erhalten und vor tes Zusammenleben verschiedener Ethnien in einem Staat „Durchrassung“ mit Fremden geschützt werden. möglich sei. Die Gesellschaft müsse daher zu einem ho- mogenen "Volkskörper" vereinheitlicht werden, fordert die Die im Nationalsozialismus erreichte Form solchen rechtsextreme Ideologie. Rassismus führte zur systematischen massenhaf- ten Ermordung „unerwünschter“ und als „rassisch Rechtsextremisten knüpfen an verschiedene politische und minderwertig“ bezeichneter Menschengruppen: ideologische Ideen des Faschismus und Nationalsozialis- Juden, Roma und Sinti, Homosexuelle, geistig Be- mus an. Die Übereinstimmung mit der NS-Ideologie zeigt hinderte. Durch die massenhaften Verbrechen der sich an einigen besonderen Merkmalen, wie beispielsweise Nationalsozialisten waren solche Vorstellungen ei- dem Antisemitismus und dem Geschichtsrevisionismus, der nes biologistischen Rassismus nach 1945 zunächst den NS-Staat verharmlost oder gar als Vorbild verherrlicht, gründlichst diskreditiert. seine Verbrechen relativiert oder abstreitet (Holocaustleug- nung). Rechtsextreme Strategen versuchen immer wieder, Heute wird behauptet, dass die europäische und der Ideologie einen modernen Anstrich zu verpassen, wie die afrikanische Kultur beispielsweise miteinander beispielsweise durch das Konzept des Ethnopluralismus. unvereinbar seien. Eine multikulturelle Gesellschaft Allerdings spielt der Bezug auf die NS-Zeit weiterhin eine mit einer Symbiose und gegenseitigen Befruch- überragende Rolle in der rechtsextremen Bewegung. tung unterschiedlicher Kulturen schaffe daher nur Probleme und verursache einen „Einheitsbrei“, in Gewalt gehört zur rechtsextremen Ideologie - diese leitet dem letztlich alle betroffenen Menschen von ihren sich aus der angeblichen Ungleichwertigkeit von Menschen natürlichen kulturellen Anlagen und Traditionen ab, die den vermeintlich höherwertigen Völkern das Recht entfremdet würden. Als Konsequenz aus dieser einräumt, gegen "minderwertige Eindringlinge" (Migranten) Behauptung wird dann beteuert, man hätte nichts und politische Gegner militant vorzugehen. Dadurch gibt gegen Türken oder türkische Kultur - allerdings es eine enorme rassistische und rechtsextrem motivierte ausschließlich in der Türkei, weil sie nur dort in un- Gewalt in Deutschland. In den vergangenen Jahren wurden verfälschter Form entfaltet werden könne. Daran jeweils etwa 1000 Menschen bei rechtsextrem motivierten knüpft sich dann die Forderung nach „Rückfüh- Angriffen verletzt, seit 1990 sind in Deutschland laut Op- rung“ aller Ausländer, weil sie in Deutschland so- ferverbänden und Journalisten mehr als 130 Menschen von wohl der deutschen Kultur als auch ihrer eigenen Rechtsextremisten getötet worden, die Bundesregierung Identität schadeten. spricht von "nur" 40 Todesopfern. Jupf-Info Nr. 121/21 7
Anregendes ABC des Rechtsextremismus Was macht die Antifa? Warum heißen Neonazis "die Braunen"? Was ist Combat 18? Wir beleuchten Begriffe aus der rechten Szene, stellen Organisationen und Gegenorganisationen vor und beleuchten in unserem ABC die Ideologie der Rechtsextremen. ANTIFA hatten. Die "18" im Namen steht für den 1. und 8. Die heutige Antifa wurzelt im Bündnis "Antifaschis- Buchstaben im Alphabet: AH - Adolf Hitler. Vor allem tische Aktion" aus den 20er- und 30er-Jahren des in Großbritannien soll "Combat 18" für rassistische vorigen Jahrhunderts. Teile der KPD (Kommunisti- Morde und Anschläge verantwortlich sein. sche Partei Deutschlands) und der Sozialdemokra- tie hatten das Bündnis ausgerufen, um gegen die DÜÜTSCHE DEERNS immer stärker werdenden Faschisten zu kämpfen. In "Düütsche Deerns" nennt sich eine Neonazi-Frauen- den 1970er- und 80er-Jahren griffen radikale linke organisation, die unter anderem in der Lüneburger Gruppen die Bezeichnung wieder auf. Sie gehen seit- Heide sehr aktiv ist. Auf ihrer Internetseite geben dem unter der Flagge der "Antifa" auch mit illegalen sich die "Düütschen Deerns" harmlos: Es finden sich Mitteln gegen Neonazis vor. Manche Antifa-Grup- Kinderlieder, Märchen und Kochrezepte. Schätzun- pen werden vom Verfassungsschutz beobachtet. Ein gen zufolge ist jeder fünfte Neonazi weiblich. Auch großer Teil der in Antifa-Gruppen geleisteten Arbeit eine weitere Frauenorganisation, die "Gemeinschaft dreht sich allerdings eher um Aufklärung gegen Deutscher Frauen", gibt sich im Netz bieder. Als Neonazis und Hilfe für Opfer. in Norddeutschland aktivste Neonazi-Frauenor- ganisation ist der "Ring Nationaler Frauen" (RNF). BRAUN Bundesvorsitzende dieser NPD-Unterorganisation ist Braun gilt als Symbolfarbe der Nationalsozialis- Ricarda Riefling. Via Twitter und Facebook macht sie ten. Die Uniformen der SA (Sturmabteilung) in den Front gegen Flüchtlinge - und postet auch mal eine 1920er- bis 40er-Jahren sind braun. Dies kann als detaillierte Karte mit Standorten von Flüchtlingshei- Erinnerung an die Farbe der Erde gesehen werden men. und somit als farbliche Symbolisierung von "Blut und Boden"-Theorien des Nationalsozialismus. Vermut- ENDSTATION RECHTS lich ist die braune Farbe der Uniformen aber Zufall: 2006 gründete die SPD-Jugendorganisation Jusos Der frühe SA-Führer Gerhard Roßbach soll für seine in Mecklenburg-Vorpommern eine Initiative gegen Leute 1923 günstig eine größere Menge braune Neonazis: Endstation Rechts. Das Internetportal in- Hemden eingekauft haben - die Farbe setzte sich formiert über rechtsextreme Aktivitäten, besonders dann als Parteifarbe durch und wurde zur Sym- über die Tätigkeit der NPD im Schweriner Landtag bolfarbe der Nazis. Heute wird "braun" als Kenn- und über die Arbeit von Nazi-Gegnern. Vor allem zeichnung für Personen und Ideen verwendet, die mit der satirisch auf das bei Neonazis beliebte Mo- nationalsozialistische Wurzeln haben. delabel "Thor Steinar" anspielenden Marke "Storch Heinar" sorgte Endstation Rechts für bundesweites COMBAT 18 Aufsehen. Der Storch entlarvt und veräppelt die Die internationale Neonazi-Vereinigung "Combat Sprüche und Symbole der Neonazis. Endstation 18" ("Kampftruppe Adolf Hitler") hatte früher starke Rechts gibt es mittlerweile auch in anderen Bundes- Präsenzen in Schleswig-Holstein. 2003 zerschlug ländern. die Polizei in Schleswig Holstein eine "Combat 18"-Gruppe. Bei einer Razzia in Pinneberg, Husum, FASCHISMUS Neumünster, Rendsburg und Kiel wurden Waffen Der Begriff Faschismus ist abgeleitet vom lateini- gefunden. Die Gruppe stand im Verdacht, terroris- schen "fasces", dem Rutenbündel, einem Machtsym- tische Anschläge geplant zu haben. Im Zusammen- bol in der Antike. Faschismus bezeichnet eine politi- hang mit den Ermittlungen gegen die NSU äußerten sche Richtung im 20. Jahrhundert. Die Anhänger des Rechtsextremismus-Experten den Verdacht, dass italienischen Diktators Benito Mussolini nannten sich die NSU-Mitglieder Verbindungen zu "Combat 18" als erste Faschisten. Theoretiker verweisen zur De- 8 Jupf-Info Nr. 121/21
Anregendes finition auf die Faschismus-Elemente Führerprinzip, Neue Rechte. Sie entstand in den 1960er-Jahren als gewaltsames Machtstreben, autoritäre Strukturen Gegenbewegung zur linken Studentenbewegung. und Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit. Ihre Anhänger verstehen sich gerne als "intellektu- elle Rechte", darunter Burschenschaftler und rechte GRAUE WÖLFE "Ökos". In den vergangenen Jahren entstand die Seit mehr als fünf Jahrzehnten existiert in der Identitäre Bewegung. Deren Anhänger treten vor Türkei eine ultranationalistische, rassistische und allem im Internet auf, veranstalten aber auch Demos gewalttätige Bewegung, deren Traditionen weit - oft mit islamfeindlichem Hintergrund. Ebenfalls in die Geschichte zurückreichen. Mit zahlreichen noch eine junge Erscheinung sind die "Pegida"-De- Vereinen und mehreren Dachverbänden ist sie auch monstrationen (siehe nächster Eintrag). Als dritte in Deutschland präsent. Die sogenannten "Grauen große rechte Strömung gelten Kameradschaften und Wölfe" verstärken Spannungen unter türkeistäm- "autonome Nationalisten". Zwischen allen Gruppen migen Menschen und richten sich gegen das im gibt es Überschneidungen. Grundgesetz formulierte Prinzip der Menschen- würde – in den vergangenen Jahren haben sie ihre PEGIDA Aktivitäten verstärkt. Ihr Symbol ist der "Graue Das Bündnis "Patriotische Europäer gegen die Wolf" (Bozkurt), der aus einem alttürkischen Mythos Islamisierung des Abendlandes" trat erstmals im stammt und Stärke und Aggressivität der Bewegung Oktober 2014 in Dresden in Erscheinung. Pegida-An- symbolisieren soll. hänger berufen sich auf ein "christliches Menschen- bild" und demonstrieren gegen "Überfremdung" GRUPPE S. und "islamischen Extremismus". Mit Hetzreden Die „Gruppe S.“, benannt nach dem Gründer Werner gegen Flüchtlinge, Politiker und Journalisten kam S. war eine mutmaßlich rechtsterroristische Gruppe die Bewegung in die Schlagzeilen. Kritiker werfen in Deutschland, die im September 2019 im Internet Pegida religiös verbrämten Rassismus vor. Gegen entstand und im Februar 2020 durch die Verhaftung Pegida-Gründer Lutz Bachmann läuft eine Anklage einiger Mitglieder zerschlagen wurde. Aktuell findet wegen Volksverhetzung. Zu den größten Demons- der Prozess gegen die Gruppe S. vor dem Stuttgar- trationen mit bis zu 25.000 Teilnehmern konnte ter Landgericht statt. Pegida in Dresden mobilisieren. Es bildeten sich lokale Abspaltungen wie Hagida in Hannover und JUGENDORGANISATIONEN Bragida in Braunschweig. Verfassungsschutz-Präsi- Die bekannteste Neonazi-Nachwuchsorgani- dent Hans-Georg Maaßen warnte im Februar 2016 sation, die 1952 in Wilhelmshaven gegründete vor einer Verschmelzung von "Wutbürgern" und "Wiking-Jugend", wurde 1994 vom Bundesinnen- Rechtsextremisten: "Wir sehen, dass Rechtsextremis- minister verboten. Viele der damals geschätzt 500 ten diese Menschen für ihre Zwecke zu instrumenta- Mitglieder schlossen sich daraufhin offenbar der lisieren versuchen." Die MVgida in Mecklenburg-Vor- Gruppe "Heimattreue Deutsche Jugend" (HDJ) an. pommern gilt inzwischen als von der NPD dominiert. Die HDJ organisierte Freizeitlager für Kinder von Neonazis. Bei einer Veranstaltung 2006 in Meck- XENOPHOBIE lenburg-Vorpommern trugen die Zelte Aufschriften Der Fachbegriff für Fremdenfeindlichkeit lautet wie "Führerbunker". Die Leiter bastelten mit Kindern Xenophobie. Der Begriff setzt sich zusammen Hakenkreuz-Masken und veranstalteten einen Fa- aus den griechischen Wörtern für "Fremder" und ckelumzug, bei dem Teilnehmer Uniformen trugen, "Angst". Besonders ausgeprägt ist Fremdenfeindlich- die an die Nazizeit erinnerten. Die HDJ wurde 2009 keit oft dort, wo es kaum "Ausländer" gibt. Im Osten verboten. Bereits Ende der 1980er-Jahre hatte sich Mecklenburg-Vorpommerns, an der Grenze zu Po- der "Sturmvogel" von der "Wiking-Jugend" abge- len, liegt der Migranten-Anteil bei wenigen Prozent. spalten. Manche Experten halten die Vereinigung Streetworker haben dort mehrmals Jugendliche für ein Sammelbecken früherer HDJ-Aktivitäten. Die befragt, wie sie den Ausländeranteil in ihrer Gegend Jugendorganisation der NPD heißt Junge National- einschätzen. "Da kam dann immer gut 20 Prozent demokraten (JN). raus", sagte Ingmar Dette vom Regionalzentrum für demokratische Kultur in Anklam. "Ein Feindbild lässt ORGANISATIONSFORMEN sich umso besser konstruieren, wenn der Feind nicht Experten teilen die Szene in drei Hauptströmungen direkt vor den Augen ist", so der Politikwissenschaft- ein. Da ist zum einen die "Parlamentarische Rech- ler. te": Parteien wie NPD, Republikaner, Die Rechte sowie Teile von pro NRW und AfD. Sie bewegen sich offiziell mit ihren Forderungen im Rahmen der Verfassung. Die zweite Gruppe ist die sogenannte Quelle: NDR.de/Redezeit Jupf-Info Nr. 121/21 9
Anregendes Die Symbole und Codes der Neonazistischen Szene Neonazis verehren den Nationalsozialismus Schwarze Sonne und wünschen sich dessen Wiedereinfüh- Man kann die Schwarze Sonne als eine Zusammenset- rung als Staatsform. Kein Wunder, dass sie zung von zwölf Sig-Runen oder als zwölfarmiges Haken- entsprechende Symbole verwenden – wenn kreuz verstehen. Ausgedrückt werden soll die „Verbun- Sie dürfen. Das Hakenkreuz, symbolischer denheit mit der eigenen Art und mit den arteigenen Inbegriff des Nationalsozialismus, ist in Wertvorstellungen“. Die Schwarze Sonne kann als Ersatz allen Varianten, also beispielsweise auch für das verbotene Hakenkreuz gewertet werden. seitenverkehrt oder in abgerundeter Form, verboten. Daher nutzen Neonazis verschie- Die Triskele dene Symbole um ihre Sympathie für den menschenfeindlichen NS zu zeigen. Diese Die Triskele ist ein altes keltisches Symbol, das in rechts- Symbole stammen entweder aus dem Ger- extremen Kreisen oft als dreiarmiges Hakenkreuz manentum, aus der Nazi-Zeit oder sind neu gedeutet wird. In rechten Kreisen findet man sowohl die erfunden. geschwungene, als auch die eckige Variante. Sie dient unter anderem als Symbol der verbotenen deutschen Viele rechtsextreme Symbole und Codes Sektion des „Blood & Honour“-Netzwerks. Die Verwen- sind für Außenstehende auf den ersten dung ist bedingt strafbar. Blick nicht eindeutig zu erkennen, verfehlen damit aber nicht ihre Wirkung innerhalb der Zahnrad Szene (Zusammengehörigkeit) und gegen- Als Symbol der Arbeiterschaft war das Zahnrad in Ver- über Opfergruppen (Bedrohung). Neonazis bindung mit dem Hakenkreuz das Emblem der größten tragen solche Symbole als Schmuck, als NS-Massenorganisation, der Deutschen Arbeitsfront Aufdrucke auf der Kleidung oder als Tattoo (DAF). Es gibt allerdins auch nicht-rechte Verwendungen auf der Haut. Die Erkennungszeichen gelten des Zahnrad-Symboles. nicht sofort als absolutes Kriterium für eine rechtsextreme Ideologie. Die Wolfsangel Die Adjutanten der Hitlerjugend trugen die Wolfsangel als Ärmelaufnäher, auch die „SA-Standarte Feldherrenhal- le“ und der „Nationalsozialistische Schülerbund“ verwen- deten dieses Symbol als Ausdruck der Wehrhaftigkeit. Die Verwendung der Wolfsangel ist im rechtsextremen Kontext verboten. Die Siegrune Die einfache Siegrune entspricht einem lateinischen s. Im Nationalsozialismus wurde die Sigrune in zweifacher Ausführung zum Abzeichen der SS, der „Schutzstaffel“ der NSDAP, und damit nach dem Hakenkreuz zum wich- tigsten Symbol der Nazis. In einfacher Variante war es das Zeichen des „Deutschen Jungvolkes“, einer Jugendorga- Quelle: nisation der Hitlerjugend für 10- bis 14-jährige Jungen. Neben dem Hakenkreuz ist es das am stärksten mit den Nazis assoziierte Symbol. Die Verwendung des Zeichens ist in Deutschland strafbar. morgenpost.de 10 Jupf-Info Nr. 121/21
Anregendes Zahlencodes: Gegen das Vergessen! 18 und 88: Am bekanntesten und beliebtesten sind Bundesverband Information & Beratung für NS Verfolgte die 18 und die 88. Dabei bezeichnen die Ziffern die Platzierung des Buchstaben im Alphabet, die 1 steht Die wichtige Aufgabe der historisch-politischen Bildung hat sich für A, die 8 für den achten Buchstaben H – also steht der Bundesverband mit der Jugend- und Bildungsarbeit ver- 18 für Adolf Hitler und 88 für „Heil Hitler“. Oft wird schrieben. Im Rahmen von Bildungsprojekten mit Zeitzeug:innen auch statt der 88 der Code H8 benutzt, was gleichzei- wird jungen Menschen im direkten Austausch mit den ehemals tig auch auf Englisch ausgesprochen „hate“, also Hass, Verfolgten einen ganz persönlichen Zugang zur Geschichte der heißt. NS-Zeit gegeben. 13/4/7: Der Zahlencode steht für die Abkürzung Erzähl- und Begegnungscafé MdG, der strafbaren Formel „mit deutschem Gruß“. In unseren Begegnungscafés treffen sich Überlebende der nationalsozialistischen Verfolgung regelmäßig in geschütztem 19/8: Gemeint sind der 19 und der 8 Buchstabe des Rahmen zum Austausch. Dabei werden sie von Mitarbeiter:innen Alphabets, übersetzt die Abkürzung für „Sieg Heil“. und einem Team von Freiwilligen unterstützt. Die Cafés finden regelmäßig in Köln, Düsseldorf und Recklinghausen statt. Mehr- mals im Jahr weden die Begegnungscafés zu öffentlichen Erzähl- 28: Diese Zahlenkombination steht für B&H, das in cafés. Dann erzählen Überlebende vor Schulklassen und ande- Deutschland verbotene rechtsextreme Netzwerk ren Gästen von ihrem Verfolgungsschicksal. Die persönlichen „Blood&Honour“. Berichte der Überlebenden und der generationenübergreifende Austausch machen die Erzählcafés zu einem Ort für lebendigen 14: Die 14 als Zahlensymbol steht für „14 words“ Geschichtsunterricht. Damit leistet das Projekt einen wichtigen und meint damit die aus 14 Wörtern bestehende Beitrag zur Prävention gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus rassistische Parole „We must secure the existence und Fremdenfeindlichkeit. of our people and a future for white children“ („Wir müssen die Existenz unseres Volkes und die Zukunft Zeitzeug:innen der weißen Kinder sichern“). Dieser Satz stammt von Mit den Zeitzeugenprojekten wird jungen Menschen die Mög- dem US-Amerikaner David Lane, der Mitglied in der lichkeit geboten, im direkten Austausch mit den Überlebenden rechtsterroristischen Organisation „The Order“ war, der nationalsozialistischen Verfolgung einen ganz persönlichen die in den 80er Jahren in den USA aktiv war. Die Zugang zur Geschichte der NS-Zeit zu bekommen. Vielen Über- Mitglieder wollten einen Staat gründen, aus dem alle lebenden ist es sehr wichtig, von ihrem Verfolgungsschicksal zu Juden und Nicht-Weißen verbannt werden sollten. berichten und so zur politischen Bildung der jüngeren Generatio- nen beizutragen. Die Kampagne "Postkarten gegen das Verges- 14/88: Rechtsrock-CDs kosten bei neonazistischen sen" macht auf dieses Anliegen aufmerksam. Versandhandlungen oft 14,88 Euro. Zeitzeugentheater 2020/21 168:1: Sieht man diese Zahlenkombination, ist ein Im September startete das Projekt „Zeitzeugentheater zum The- Sprengstoffanschlag in Oklahoma City am 19. April ma Antisemitismus, Diskriminierung und Fremdenhass“. Es wird 1995 gemeint. Der rechtsextreme Täter tötete damals an drei Standorten gleichzeitig durchgeführt. An jedem Standort 168 Menschen. Es stehe „168 zu eins“, soll der Mann trifft sich eine Gruppe von Jugendlichen mit Überlebenden der damals einem Journalisten gesagt haben. Er fühle sich nationalsozialistischen Verfolgung sowie mit den Angehörigen als Sieger. der Folgegenerationen von NS-Verfolgten. Die Einbeziehung der Folgegenerationen in die Bildungsarbeit findet im Bundesver- Akronyme band erstmalig statt und ist eine Besonderheit des Projekts. Vier Generationen erzählen für das Projekt ihre Geschichten, die dann zu einer Theateraufführung aufgearbeitet werden. WAR/WAW steht für „White Aryan Restistance“ bzw. Unterstützung erhält das Projekt dieses Mal von dem renom- das deutsche Pendant „Weißer Arischer Widerstand“. mierten Schauspiel Köln, das zu den wichtigsten Bühnen der Stadt zählt. Dank dieser Unterstützung wird die Premiere – sofern RaHoWa steht für „Racial Holy War“, also „heiliger es die Coronasituation zulassen wird – am 08.05.2021 im Schau- Rassenkrieg“, und wird weltweit als Schlachtruf, Gruß- spielhaus stattfinden. formel oder T-Shirt-Aufdruck genutzt. Bundesverband Information & Beratung für NS-Verfolgte e.V. Genovevastraße 72 | 51063 Köln SGH steht als Abkürzung für „Sieg Heil“. info@nsberatung.de | www.nsberatung.de Jupf-Info Nr. 121/21 11
Anregendes Hassbotschaften in den sozialen Netzwer- ken und verbale sowie tätliche Angriffe auf Forum Befürworter:innen einer offenen Gesellschaft, Rassismuskritische Ansätze für darunter auch Repräsentant :innen aus Poli- die tik und Zivilgesellschaft, sowie auf geflüchte- Kinder- und Jugendförderung te, jüdische und muslimische (oder als solche markierte) Menschen gehören mittlerweile Das Forum „Rassismuskritische Ansätze für die Kinder- und zu unserer gesellschaftlichen Realität. Diese Jugendförderung“, ins Leben geru fen vom Informations- und Entwicklungen bestätigen die seit Jahren Dokumentationszentrum für Anti rassismusarbeit in Nordrhein- vorliegenden Erkenntnisse u. a. der Mit- Westfalen, sieht es als Aufgabe, gem einsam mit dem Arbeitskreis te-Studien, nach denen Rassismus weder ein G5* diesen Entwicklungen entg egenzusteuern, und bietet Phänomen ist, das sich lediglich in längst eine Plat tform zum Austausch und zur Vernetzung von vergangenen Zeiten verorten lässt, noch sich Fachkräf ten und Multiplikator:inn en in der Jugendarbeit und den im Sinne einer Gleichsetzung mit rechtsextre- Trägerinstitutionen. mer Ideologie auf den sogenannten Rand der Gesellschaft beschränkt. Rassistische und Ziele des Forums rechte Meinungsäußerungen werden zuneh- • Austausch und Vernetzung von Fach mend ungehemmt artikuliert und kaltblütige kräf ten und rechtsterroristische und rassistische Anschlä- Multiplikator:innen der Kinder- und Jugendarbeit ge gehören zu den realen Bedrohungen für • Sensibilisierung und Stärkung der Handlungssicherheit von marginalisierte Gruppen. Trägern der Kinder- und Jugenda rbeit im pädagogischen Umgang mit Rassismus, Rechtse xtremismus und IDA-NRW Antisemitismus Informations- und Dokumentations- • Beratung und Unterstützung bei zentrum für Antirassismusarbeit Angriffen auf die Arbeit von Trägern in Nordrhein Westfalen Volmerswerther Straße 20 • Beratung im Hinblick auf eine fach lich-jugendpolitische 40221 Düsseldorf Positionsfindung Tel: 0211 / 15 92 55-5 • Entwicklung fachlicher Argumentat Info@IDA-NRW.de / www.IDA-NRW.de ionslinien, Handlungsstrategien und entsprec hender Leit fäden zur Vermittlung von Handlungsko mpetenz und Beratungsstrukturen *Mitglieder des Arbeitskreises G5: Arbeitsgemeinschaft Offene Türe n Nordrhein-Westfalen e. V. (AGOT-NRW ); Landesarbeitsgemei nschaft Jugendsozialarbeit (LAG JSA NRW ); Landesjugendring NRW (LJR NRW ); Landesvereinigung kulturelle Juge ndarbeit NRW e. V. (LKJ); Paritätisches Jugendwerk (PJW NRW ) 12 Jupf-Info Nr. 121/21
Anregendes Re_Struct ct des IDA- Der Fachbereich Re_ Stru l ras sismuskritische NRW hat zum Zie Per spe ktiven für und intersektionale ger der politischen Institutionen und Trä wei terz uen twickeln. Bildung anzuregen und Angebote sind Die Zielgruppen der Mu ltip lika tor:innen aller projekt.kollektiv Fachkräfte und seinrichtungen, Organisationen und Bildung Rassismuskritische strukturell mit Perspek tiven für die die sich institutionell und & Flucht Jugendarbeit im Ko ntex t Migrati oretisch als auch on Rassismuskritik (sowohl the en möchten. praktisch) auseinandersetz Das projekt.kollekti v des IDA-NRW Perspek tiven für die hat zum Ziel, ras rmittlung Jugendarbeit im Ko sismuskritische • Bildungsarbeit: Wissensve entwickeln und Impu ntex t Migration & Flu cht (weiter-)zu lse zu setzen, um Ra und Sensibilisierung über Ansätze landesweit ssismuskritik und Em powerment- sismus- in den Struk turen Erscheinungsformen von Ras Gemeinsam mit der Jugendarbeit zu verankern. sowie rassismuskritisch und Antisemitismus(kritik) Multiplikator:innen orientierten Einric htungen und disk rim inie run g, Refl exion von der Jugendarbeit, Mehrfach und mit jungen ge mit selbstorganisier ten Initiativen orientierte flüchteten Mensch Privilegien, empowerment der dafür notwen en arbeitet das Proje kt am Ausbau chützter digen Vernet zung Ansätze, Ermöglichung ges Nordrhein-Westfalen s- und Qualifizierun gsstruk turen in . Räume. äche und Angebote und Ak tiv • Beratung:informationsgespr itäten: uel len Fra gen Beratung zu individ • Bildungsarbeit: Rassi als auc h vor Ort. smuskritische Persp sowohl telefonisch Ansätze für die Juge ek tiven und Empowe ndarbeit im Kontex rment- ung t Migration und Fluch • Öffentlichkeitsarbeit: Erstell (Workshops, Semina re und Vorträge) t sm aterialien, rassismuskritischer Bildung • Beratung: Sensibilis ierung und Stärkung um eine gerechte und im pädagogischen der Handlungssiche Realität Umgang mit Rassism rheit migrationsgesellschaftliche Antisemitismus bz w. us, Rechtsextremism ng von mit Diskriminierung us, abzubilden. Veröffentlichu Jugendarbeit und Diversität in de en rund um r Beiträgen und Publikation en. • Empowerment & Po Rassismuskritik in Institution wersharing: Unterstü Selbstorganisation tzung von Prozesse und des Empowerm n der Menschen mit Fluch ents für Initiativen Kontak t: Re_ Struct t- oder Rassismuser un d junge uskritische und fahrungen Praxisentwicklung für rassism • Vernet zung: Auf- un en in Kommunen, d Ausbau von lande intersektionale Perspektiv Vernet zungsstruktu sweiten ren für eine rassismu Institutionen und Vereine Jugendarbeit, insbe skritisch orientierte sondere für junge Projek treferent:innen: oder Rassismuser fah Mu ltiplikator:innen mi t Flucht- Nakeeb rungen und für selbs Birgül Demirtaş, Dahlia Al torganisier te Initiativ en • Öf fentlichkeitsarbeit Re_ Struct@ida-nr w.de : Sichtbarmachung rassismuskritischer Perspek tiven in fac Tel: 0211 / 159255-76 hlichen und öf fentlic hen Diskursen zur Jugendarbeit im Ko ntex t Migration un und Social Media-A d Flucht durch Publi ktivitäten kationen Kontak t projekt.kollektiv Rassismuskritische Perspek tiven für die im Kontex t Migrati Jugendarbeit on & Flucht Projektreferent:inne n: Cecil Arndt, Marcu projekt.kollektiv@)ID s Ehrich, Kolja Koch A-NRW.de Tel: 0211 / 159255-6 7 und -70 Jupf-Info Nr. 121/21 13
Anregendes Wie du mm ti s c h auf Sta r st len rea g i e paro Text: Kalliopi Terzi Stammtischparolen sind rassistische, fremdenfeindliche und Wie kann ich mich dazu verhalten? menschenverachtende Sprüche, die überall im Alltag vorkommen. In der Anonymität der Sozialen Netzwerke ist ein Meistens findet man sie in Chat-Verläufen oder in den Kommentaren öffentlicher Platz entstanden, wenn man da den in den sozialen Netzwerken. Sie kommen meist unerwartet und Falschen das Feld überlässt, dann entsteht beim Verursacher eine ewige Schleife der Selbstbe- diktatorisch vor und nicht mit der Absicht sich auf einen Dialog stätigung. Unbedingt kommentieren. Stellung einzulassen. beziehen und klar stellen am besten mit Fakten und Sachlichkeit. (Die anderen, die schweigen, lesen auch mit! Vielleicht trauen sich einige auch Welche Beispiele gibt es für dagegen zu kommentieren) Stammtischparolen? • Ausländer sind alles Kriminelle In der Familie gibt es ja Personen, die man mag, • Flüchtlinge belästigen unsere Frauen da will man keine Kontrastellung einnehmen. Am • Wieso haben Flüchtlinge ein Smartphone? besten fragt man konsequent nach: Woher weißt • An der Grenze abfangen und zurück- du das? Hast du so was schon mal erlebt? Be- schicken, wo sie hergekommen sind trifft das alle? (z.B Geflüchtete) Was ist mit dem • Waren das nicht wieder Merkels Gäste? türkischen Gemüsehändler, zu dem du immer gehst? Somit kann die allgemeine Gültigkeit, die Hierbei geht es immer um Minderheiten, denen diese Aussagen entkräften, sich auflösen und unterstellt wird, dass eine Bedrohung von ihnen konkret werden. Das gleiche kann man auch im ausgeht. Nicht nur Menschen mit Fluchter- Freundeskreis und auf der Arbeit anwenden. fahrung sind davon betroffen, sondern auch Menschen mit Migrationsgeschichte, Menschen Im Nahverkehr und in der Öffentlichkeit hängt in Obdachlosigkeit, Homosexuelle, Juden und es davon ab, in welcher Situation man sich Jüdinnen und Politiker:innen gerade befindet. Wenn man z.B. die Unterhal- tung zwischen zwei Damen mitbekommt, die Wo können Stammtischparolen auftauchen? sich über Ausländer und Geflüchtete rassistisch äußern, kann man sagen: „Herzlichen Glück- • In der Anonymität der sozialen Netzwerke wunsch, Sie haben gerade einen wichtigen Preis • In der Familie gewonnen“. Ihr könnt davon ausgehen, dass die • Im Freundeskreis beiden Damen innehalten und fragen, was es für • Auf der Arbeit ein Preis sei? Man könne antworten, „den Preis • In der Freizeit dafür, dass man zwischen zwei Haltestellen so- • Im Nahverkehr etc. viel Blödsinn erzählen kann.“ Natürlich kann man 14 Jupf-Info Nr. 121/21
Anregendes Beleidigungen Wenn wir uns gegenseitig beschimpfen, nutzen wir häufig Worte, die ganze Gruppen beleidigen. Klassische Situati- on: Wir fahren Auto oder Fahrrad, und jemand nimmt uns die Vorfahrt. Wie schnell benutzen wir die Worte "Spasti" oder "Penner" Damit diskriminieren wir ganze Gruppen von Menschen gleich mit - in diesem Fall Menschen mit geistiger Beeinträchtigung oder Wohnungslose oder sozial schwache Menschen. Die Deutsche Sprache beherbergt viele Beleidi- gungen, die auf Kosten von bestimmten Gruppen gemacht werden. Diskriminierendes Beschimpfen funktioniert mit jeder diskriminierten Gruppe. Männer kann man beleidigen, indem man sie als Frau bezeichnet. "Die wirfst wie ein Mädchen!" Oder: "Du parkst ein wie eine Frau!" Homosexuelle Männer werden als "Du Schwuchtel!" bezeichnet, oder: "Der Film war voll schwul." Obwohl man damit ja eigentlich nur meint, dass einem der Film nicht gefallen hat. So beleidigen wir unnötigerweise Gruppen, obwohl sie gar nicht direkt gemeint sind. nicht erwarten, dass sich dadurch was in den Einstellungen der beiden Damen ändert, sicher- Am schlimmsten sind Beleidigungen, die rassistisch, sexis- lich gibt es noch andere Mitreisende, die das tisch oder homophob sind. Schwierig wird es, wenn Religion hören. Man hat aber erreicht, sich zu positionie- eine Rolle spielt oder verschiedene Kulturkreise unterschied- ren und damit anderen Mut zu machen, nicht liche Assoziationen mit einem Wort verbinden. darüber zu schweigen. Das Nachdenken ist am Ein Beispiel: Fußball-Trainer üben inzwischen nicht nur Ende des Gespräches nicht zu Ende-so eine Aus- Pässe auf dem Spielfeld, sondern auch den Umgang mit einandersetzung wirkt noch nach. Nämlich, dass rassistischen Beleidigungen. Schiedsrichter erzählen, dass es jemand gibt, der sich mit der „Feindgruppe“ sich oft arabisch-stämmige Jugendliche mit Beleidigungen (Ausländer und Geflüchtete) solidarisiert und beschimpften, die einem ganz anderen Kontext als dem trotzdem sympathisch sowie souverän auftritt. deutschen entstammten. Das schafft Irritation. Irritationen zu schaffen ist das beste Mittel gegen Stammtischparolen und damit kann man einiges erreichen. Buchtipp: In welchen Situationen sollte man besser Rassismus: Von der Beleidigung zum Mord nichts sagen? "Kanaken", "Drecksnigger", "Scheißaraber", Auf jeden Fall, wenn es gefährlich wird. Wären "Saujuden", ... Verbale Beleidigungen sind längst anstatt der Damen mehrere bedrohlich wirken- wieder alltäglich. Nationalismus, soziale Aus- de junge Männer, ist es definitiv besser nichts zu grenzung, nicht zuletzt eine Flut fremdenfeind- sagen. Man kann höchstens flüsternd zu seinem licher Gesetze haben Menschen nichtdeutscher Nachbar sagen, dass man das nicht in Ordnung Herkunft zu Bürgern zweiter Klasse gemacht. findet. In diesem Buch erzählen zwei Marokkaner und eine Roma ihre Geschichten. Ein Sachteil Wann sollte man Gespräche nicht führen informiert über verschiedene Formen des oder sich positionieren um jeden Preis? Rassismus, seine Geschichte und die Gefahr, die er für die Gesellschaft darstellt. Wenn es um das Thema Ausschwitz geht und dass dies eine Lüge ist, also die Verleugnung des Genozids an Juden und Jüdinnen, an Sinti und Roma, Menschen mit Behinderung etc. Hier muss man selbstbewusst das Gespräch abbre- chen und sich gar nicht erst auf eine Diskussion einlassen. Jupf-Info Nr. 121/21 15
Anregendes 33 Fragen Bin ich rassistisch? Wahrscheinlich. Rassismus ordnet unser Denken und Zusammenleben. Mit dem Schwerpunkt "Alltag Rassismus" wollen wir herausfinden, warum das so ist, was das für die Gesellschaft bedeutet und wie sich das verändern ließe. Mit diesem Fragebogen kann jeder selbst darüber nachdenken, welchen Einfluss rassistisches Denken auf das eigene Leben haben kann. 1. Wie oft wirst du auf einer Party gefragt: Wo kommst du wirklich her? 2. Und wie oft fragst du selbst? 3. Fragst du Weiße beim Smalltalk nach ihren Großeltern? 4. Fühlst du dich jetzt schon von diesem Fragebogen angegriffen? 5. Kannst du fluchen, Secondhand-Kleidung tragen, nicht auf Mails antworten – ohne, dass Menschen diese Entscheidung mit Sittenlosigkeit, Armut oder Faulheit verknüpfen? 6. Denkst du, du bist nicht rassistisch, weil du einen Freund mit Migrationshintergrund hast? 7. Weißt du, wie viele Muslime in Deutschland leben? 8. Wie viele enge Freunde hast du, die einen asiatischen, persischen oder nigerianischen Migrationshintergrund haben? 9. Wusstest du, dass fast jeder Vierte in Deutschland einen Migrationshintergrund hat? 10. Fühlst du dich fremd, wenn Leute um dich herum Arabisch oder Russisch sprechen? 11. Fühlst du dich fremd, wenn Leute um dich herum Englisch sprechen? 12. Wenn du ein Kind hättest, würdest du es in eine Kita mit mehrheitlich Kindern mit Migrationshintergrund schicken – wenn es in der Nähe eine Kita mit mehrheitlich weißen Kindern gäbe? 13. Wischst du bei Dating-Apps weiter, wenn die angezeigte Person nicht weiß ist? 14. Kennst du fünf Bücher von Autor:innen, die nicht weiß sind? 15. Wie viele hast du davon gelesen? 16. Wie ehrlich warst du bei Frage 13? 17. Stell dir vor, du siehst eine rassistische Diskussion im Netz. Würdest du dich einmischen? 18. Hast du dich schon mal eingemischt – im Netz, auf der Straße, in ein Gespräch mit Freunden? 19. Wie oft wurdest du schon von der Polizei angehalten und kontrolliert? 20. Also in diesem Monat? 21. Wirst du auch ohne blonde Begleitung in die meisten Clubs gelassen? 22. Wurdest du schon mal dafür verprügelt, dass du aussiehst, wie du aussiehst? 23. Stört es dich, wenn deine Eltern ganz anders über Migrant:innen denken als du? 24. Haben Fremde schon mal ungefragt deine Haare angefasst? 25. Gibst du dir viel Mühe, die Namen spanischer, italienischer oder französischer Fußballspieler richtig auszusprechen, die von türkischen und vielen anderen aber nicht? 26. Wie würdest du dich fühlen, wenn deine neuen Nachbarn eine afghanische Familie wären? 27. Wie würdest du dich fühlen, wenn deine neuen Nachbarn eine schwedische Familie wären? 28. Bezieht es irgendjemand auf dein Aussehen, wenn du etwas nicht so gut kannst? 29. Welches Bild kommt dir in den Kopf, wenn du an schwarze Männer denkst? 30. Welches Bild kommt dir in den Kopf, wenn du an muslimische Frauen denkst? 31. Hast du schon mal gedacht: Wenn ich könnte, würde ich nur mit Menschen zusammenarbeiten, die so sind wie ich? 32. Siehst du Menschen, die dich repräsentieren, wenn du den Fernseher anschaltest oder eine Zeitung aufschlägst? 33. Wie oft geben dir Menschen in deinem Umfeld das Gefühl, dass du nicht zu dieser Gesellschaft gehörst? 16 Jupf-Info Nr. 121/21
Foto: Birgit Böllinger auf Pixabay Anregendes Interkulturelle Kompetenz & Racial Profiling Der Studiengang im Fachbereich Polizei ist ein duales Studium mit dem Abschluss Bachelor of Arts. Die Regelstudienzeit beträgt drei Jahre und findet an verschiedenen Hochschulstandorten in NRW statt. Die Studierenden werden intensiv auf einen anspruchsvollen Beruf vorbereitet. Neben der Lehre der obligatorischen Rechts-Fä- chern, werden auch die Fähigkeiten bei der Bewältigung der polizeilichen Aufgaben und ein differenziertes Verständnis für die soziolo- gischen, politischen und Aspekte des Berufes trainiert. Die Referentin des Referates für Jugend, Frauen und Männer im Kirchenkreis Köln-Rechtsrhei- nisch, Kalliopi Terzi, lehrt seit 2020 als neben- amtliche Dozentin, das Pflichtfach Interkulturelle Kompetenz im Grundstudium und im Haupt- studium „Racial Profiling bei der Polizei“ sowie im Hauptseminar „Der Umgang der Polizei mit diversen Jugendkulturen“. Die Hochschule in NRW sieht sich seit nunmehr 20 Jahren in der Verantwortung das Fach „Interkulturelle Kom- petenz“ auf dem Lehrplan stehen zu haben. Am Ende des Moduls erhalten die Studierenden die Kompetenz, mit der Diversität von Kulturen im Kalli: Was war eure Motivation den Beruf des Polizeialltag angemessen umzugehen. Darüber Polizeibeamten zu ergreifen? hinaus hat die Hochschule des Landes einen Menschenrechtsbeauftragten, der sich u. A. mit Artur: Es ist ein vielseitiger und abwechslungs- rassistischen und diskriminierenden Tendenzen reicher Beruf mit vielen Aus- und Weiterbil- in der Polizei beschäftigt und entsprechende dungsmöglichkeiten. Zudem sind die Aufgaben Beratungen für Lehrende und Studierende bei der Polizei sehr spannend und man trägt anbietet. Auch Fortbildungen sowie Podiums- einen positiven Teil zur Gesellschaft bei. diskussionen für Lehrpersonal, Studierende und Polizeibeamt:innen finden im Rahmen des Maike: Die Polizeiarbeit hat mich schon als Kind Hochschulangebotes statt. Der Tod von George immer interessiert und ich fand den Beruf total Floyd durch rassistische Polizeigewalt in den spannend. Als ich dann älter wurde, hat es mich USA sowie die Aufdeckung von rechtsextremen zusätzlich noch neugierig gemacht, dass man Polizei-Chats in Essen und Mülheim/Ruhr waren auch die Seiten einer Gesellschaft sieht, die nicht aufgrund der aktuellen Brisanz immer wieder alltäglich sind. Ich konnte mir nie vorstellen in Diskussionsinhalte in den Seminaren der Hoch- einem reinen Bürojob zu arbeiten und bei der schule. Kalliopi Terzi hat einige Studierende zu Polizei kann ich Sport und Arbeit sehr gut mitei- den Themen Polizeiausbildung, Interkulturelle nander verbinden. Kompetenz, Rassismus und Polizeistudie pro und contra befragt. Marcel: Ich habe zuvor eine Ausbildung zum Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung Interview mit Artur (23 Jahre), Dominik (24 Jahre), (Programmierer) gemacht und nach Abschluss Maike (19 Jahre), Marcel (27 Jahre), Vanessa (21 beim LKA NRW 2 Jahre gearbeitet. Dort habe Jahre) ich einfach gemerkt, dass mir die Arbeit vor Jupf-Info Nr. 121/21 17
Anregendes dem Computer nicht ausreicht und ich Maike: Die beiden Fächer sind meiner Meinung einen aktiveren und abwechslungs- nach sehr wichtig in der Ausbildung und für die reicheren Beruf brauche. Dabei ließ spätere Polizeiarbeit. Man erlebt im Dienst die ich mich auch durch den Gedanken unterschiedlichsten Menschen aus den unterschied- leiten, dass ich gerne anderen lichsten Kulturen. Da ist es wichtig, dass man sich Menschen helfen würde, die mit andern Kulturen beschäftigt, um Menschen aus sich in einer außerge- diesen anderen Kulturen mit Respekt und Offenheit wöhnlichen Situation begegnen zu können. Auch mit dem Thema „Racial befinden. Durch die Profiling“ sollte sich jeder Polizeibeamte einmal aus- Verbindung zum einandergesetzt haben. Denn für die Polizeiarbeit LKA und die ist es wichtig, dass man sich in den Maßnahmen, die dortige Unter- man trifft absolut sicher ist. Das bedeutet, dass man stützung bei auf der einen Seite keine willkürlichen Maßnahmen meinem Vorha- gegen Personen trifft und auf der anderen Seite un- ben konnte ich begründeten Rassismusvorwürfen entgegentreten dann den Wechsel kann. Sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen vollziehen. hilft eigene, unbewusste Vorurteile aus dem Weg zu räumen und schafft so eine gute Basis für die Arbeit Kalli: Im Grundstu- mit Menschen. dium gehört das Modul „Interkulturelle Marcel: Im Fach interkulturelle Kompetenz ist Kompetenz“ zu den mir vor allem ein Sprichwort im Kopf geblieben: Pflichtfächern. Im Haupt- „Es kommt nicht darauf an wie man etwas meint, studium konntet ihr eins sondern darauf wie es beim Gegenüber ankommt“. von einigen angebotenen Dabei ist mir bewusst geworden, dass selbst die Themen auswählen. Ihr beste Intention beim Gegenüber negativ aufge- habt euch für das vertiefende fasst werden kann. Als Vertiefungsfach habe ich Thema „Racial Profiling“ ent- dann Racial Profiling genommen, um meinen Blick schieden. Was haben euch die und meine Selbstreflektion zu stärken. Ich bin beiden Fächer für eure Polizei- der Überzeugung, dass keiner sich von, gewollt laufbahn gebracht? Was glaubst oder ungewollten, rassistischen Umgang freispre- ihr, wie ihr dadurch, obwohl sehr chen kann. Mein Ziel ist es jedoch durch ständige theorielastig und im Rahmen der Selbstreflektion so fair wie möglich mit Menschen Online-Lehre, auf die Praxis vorbereitet umzugehen. Beide Fächer haben mir dabei ver- worden seid? schiedene Blickwinkel und Ausprägungsformen von Rassismus oder besser gesagt vom Schubladenden- Artur: Im Fach ,,Interkulturelle Kompetenz“ wurden ken aufgezeigt. Ich denke, dass man dort genügend meine persönlichen Erwartungen übertroffen. Hier Denkanstöße bekommen hat, um diese Verhaltens- wurden uns verschiedene Kulturen vorgestellt, auf weisen abzubauen. die wir in der Praxis jeden Tag treffen können. Des Weiteren wurde uns im Unterricht der Umgang mit Vanessa: Mir persönlich hat dieses Fach sehr dabei verschiedenen ,,Kulturen“ beigebracht, um so erfolg- geholfen mehr Verständnis für andere Kulturen auf- reich und angemessen zu interagieren. Da dieses zubringen. Besonders wichtig für unsere polizeiliche Thema sehr spannend ist und nach den Ausschrei- Praxis ist es möglichst ohne Vorurteile zu interagie- tungen aus der Silvesternacht 2015 in Köln ein The- ren. Das typische „Schubladendenken“ sollte man ma unserer Gesellschaft geworden ist, habe ich mich dabei unterlassen. Außerdem habe ich gelernt was im weiteren Verlauf meines Studiums für das Thema Racial Profiling für schwerwiegende Folgen mit sich ,,Racial Profiling“ entschieden. Vorherige persönliche bringen kann. Berührungspunkte hatte ich mit diesem Thema noch nicht gehabt. Es bleibt nicht aus, Personen aufgrund Kalli: Artur, du selbst hast eine Migrationsgeschichte. von Erfahrungsberichten sowie eigenen vorherigen Inwiefern hat dieser Aspekt eine Relevanz für deine Einsätzen als ,,verdächtig“ einzustufen. Wichtig ist spätere Tätigkeit als Polizeibeamter? es, diese Personen aus dieser Einordnung wieder he- rauszuholen. Das Lernen und die Umsetzung dieses Artur: Ja genau, meine Muttersprache ist russisch Problems war eine große Herausforderung, aber mit und die spreche ich bis heute noch jeden Tag mit Blick in die Zukunft ein wichtiger Schritt. meinen Eltern. Im Praktikum habe ich sehr viele Erfahrungen mit russischsprachigen Menschen ge- 18 Jupf-Info Nr. 121/21
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