Das Menschenrecht auf Bildung und der Schutz vor Diskriminierung - Exklusionsrisiken und Inklusionschancen Mona Motakef
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Studie Das Menschenrecht auf Bildung und der Schutz vor Diskriminierung Exklusionsrisiken und Inklusionschancen Mona Motakef
Impressum Deutsches Institut für Menschenrechte German Institute for Human Rights Zimmerstr. 26/27 D-10969 Berlin Phone (+49) (0)30 – 259 359 0 Fax (+49) (0)30 – 259 359 59 info@institut-fuer-menschenrechte.de www.institut-fuer-menschenrechte.de Gestaltung: iserundschmidt Kreativagentur für PublicRelations GmbH Bad Honnef – Berlin Titelfoto: picture-alliance / dpa Mai 2006 ISBN 3-937714-19-7
Studie Das Menschenrecht auf Bildung und der Schutz vor Diskriminierung Exklusionsrisiken und Inklusionschancen Mona Motakef
Die Autorin Die Autorin Mona Motakef, Sozialwissenschaftlerin und Inter- kulturelle Pädagogin. Studium in Oldenburg und Port Elizabeth (Südafrika). Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Essener Kolleg für Geschlechterstudien der Uni- versität Duisburg-Essen. Lehrbeauftragte am Institut für Soziologie der Carl von Ossietzky Universität Ol- denburg. 4
Vorwort Vorwort Das Recht auf Bildung ist nicht nur ein eigenständiges elemente, die bei der umfassenden Verwirklichung der Menschenrecht, sondern auch ein zentrales Instrument, Bildungsrechte von Kindern und Jugendlichen zu um den Menschenrechten zur Geltung zu verhelfen. berücksichtigen sind. Schwerpunkt ist hierbei das im Als empowerment right hat es eine wichtige Bedeu- Recht auf Bildung immanent enthaltene Gleichheits- tung für die Befähigung von Menschen, sich für die gebot, das den Schutz vor jeglicher Form von Diskri- eigenen Rechte einzusetzen und sich im solidarischen minierung mit umfasst. Einsatz für die Menschenrechte anderer zu engagieren. Der zweite Teil der Studie untersucht – exemplarisch – In der bildungspolitischen Diskussion spielt der Men- vier Problemfelder. Die Autorin richtet ihren Fokus auf schenrechtsansatz bislang eine eher untergeordnete Kinder und Jugendliche, die in relativer Armut leben, Rolle. Die spezifischen Regelungen und normativen deren Familien einen Migrationshintergrund haben oder Vorgaben des Menschenrechts auf Bildung sind in die eine sonderpädagogische Förderung erhalten. Dabei Deutschland noch nicht sehr bekannt, noch werden sie spielt auch die Kategorie Geschlecht, d.h. die Untersu- – insbesondere im Hinblick auf die Gewährleistung des chung nach genderrelevanten Kriterien eine Rolle. Diese Diskriminierungsschutzes in der Bildung – vollständig vier Problemfelder werden als Exklusionsrisiken analy- umgesetzt. siert, die nicht voneinander getrennt zu sehen sind. Benachteiligungen und Diskriminierungserfahrungen Bildungs- oder sozialpolitische Themen unter dem Begriff hängen oft zusammen oder akkumulieren sich. Für die der Menschenrechte anzusprechen, hat in Deutschland Betroffenen können sie zu massiven Benachteiligun- wenig Tradition. Die Einhaltung der Menschenrechte gen führen mit weit reichenden Konsequenzen für die beschränkt sich nicht auf die Vermeidung unmittelbarer Verwirklichung von Chancengerechtigkeit. In diesem Menschenrechtsverletzungen. In der internationalen Sinne will die Studie auch Anregungen bieten für eine Menschenrechtsdiskussion ist anerkannt, dass Men- Politik der Inklusion und Integration in der Bildung, die schenrechte darüber hinaus politische Gestaltungs- angemessen auf die Diversität der Lernenden reagie- prinzipien darstellen, die aktive Maßnahmen – darunter ren kann. auch Infrastrukturmaßnahmen – verlangen. Vor diesem Hintergrund ist die vorliegende Studie von Dr. Heiner Bielefeldt Mona Motakef ein Beitrag zur aktuellen bildungs- Direktor politischen Diskussion. Sie erklärt in ihrem ersten Teil die normativen Grundlagen des Menschenrechts auf Frauke Seidensticker Bildung und erläutert die menschenrechtlichen Struktur- Stv. Direktorin 5
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Inhalt Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 3.1 Bemerkungen internationaler Menschen- rechtsgremien zu Deutschland . . . . . . . . . . . . 25 3.2 Die Bildungssituation von Kindern und A Völkerrechtliche Grundlagen zum Jugendlichen mit Migrationshintergrund . . . 26 Recht auf Bildung und zum Schutz vor 3.3 Gründe für die Einschränkung von Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Bildungschancen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 3.4 Sprachpolitik und Sprachförderung . . . . . . . . 29 1. Internationaler Menschenrechtsschutz – 3.5 Asylsuchende Kinder und Jugendliche ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 im deutschen Bildungssystem . . . . . . . . . . . . 31 3.6 Kinder und Jugendliche ohne regulären 2. Das menschenrechtliche Aufenthaltstitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Diskriminierungsverbot . . . . . . . . . . . . . . 11 4. Bildungschancen und 3. Das Recht auf Bildung in den Geschlechterkonstruktionen . . . . . . . . . . 33 Menschenrechtskonventionen der 4.1 Schulleistungsvergleiche von Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Jungen und Mädchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 3.1 Die inhaltlichen Kernforderungen des 4.2 Geschlechterkonstruktionen im Rechts auf Bildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Kontext von Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 3.2 Der „General Comment“ des Sozialpakt- 4.3 Die Geschlechterverteilung in der ausschusses zum Recht auf Bildung . . . . . . . 16 Schulorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 4.4 Interaktionen der Geschlechter 4. Das Recht auf Bildung und der Schutz im Unterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 vor Diskriminierung in Europa . . . . . . . . . 17 4.5 Die Darstellung von Geschlechterrollen in Schulbüchern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 4.6 Männliches Schulversagen . . . . . . . . . . . . . . . 36 B Bildung frei von Diskriminierung: Exklusionsrisiken und Inklusionschancen . . 19 5. Bildungschancen von Kindern und Jugend- lichen mit besonderem Förderbedarf . . . . 38 1. Grunddaten zur Bildung in Deutschland 5.1 Das Ziel der sozialen Integration und die im internationalen Vergleich . . . . . . . . . . 20 Kontroverse um seine Umsetzung . . . . . . . . . 38 5.2 Empfehlungen der Kultusminister- 2. Benachteiligungen von Kindern und konferenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 Jugendlichen aufgrund von Armut . . . . . . 22 5.3 Kinder und Jugendliche mit 2.1 Armut als Mangel an sonderpädagogischem Förderbedarf . . . . . . . 39 Verwirklichungschancen . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 2.2 Daten über den Zusammenhang von 6. Bildung frei von Diskriminierung – sozialer Herkunft und Bildungschancen . . . . 22 Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . 41 2.3 Kinderarmut als Lebenslage . . . . . . . . . . . . . . 23 2.4 Strategien gegen Kinderarmut . . . . . . . . . . . . 24 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 3. Bildungschancen von Kindern und Jugend- lichen mit Migrationshintergrund . . . . . . 25 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 7
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Einleitung Einleitung „Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung.“ Inwieweit mindert relative Armut Bildungschancen? Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948) Inwiefern sind die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund einge- In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte schränkt? (AEMR) der Vereinten Nationen von 1948 ist das Recht Leistet Bildung einen Beitrag zur Geschlechterge- auf Bildung erstmals in einem internationalen Men- rechtigkeit und welche Bedeutung haben Geschlech- schenrechtsdokument niedergelegt. Dabei stellt die terkonstruktionen in Bezug auf die Bildungschancen AEMR klar, dass das Recht auf Bildung als allgemeines von Mädchen und Jungen? Menschenrecht jedem Menschen gleichermaßen, d.h. Inwieweit ist das Recht auf Bildung für junge Men- frei von Diskriminierung zu gewährleisten ist. Diese schen mit sonderpädagogischem Förderbedarf um- Verknüpfung des Rechts auf Bildung mit dem Dis- gesetzt? kriminierungsverbot findet sich auch in mehreren rechtsverbindlichen Menschenrechtskonventionen, die Diese Fragen können im begrenzten Rahmen der Studie von der Bundesrepublik Deutschland ratifiziert wor- nicht auf sämtliche Bereiche des Bildungssektors bezo- den sind. gen werden. Die Studie konzentriert sich vielmehr auf Risikofaktoren, die auf Diskriminierung in der Schule Die zentrale Fragestellung der vorliegenden Studie lau- sowie im schulischen Umfeld hinweisen. Sie erhebt kei- tet: Wie werden die Verpflichtungen des Rechts auf ne eigenen Daten, sondern wertet vorhandene Daten aus Bildung insbesondere mit Bezug auf den Diskriminie- nationalen Studien und Berichten aus (etwa die Ar- rungsschutz in Deutschland umgesetzt? Hierzu führt muts- und Reichtumsberichte der Bundesregierung) die Studie zunächst in menschenrechtliche Grundlagen sowie aus internationalen Bildungsvergleichsstudien, zum Recht auf Bildung im internationalen Menschen- insbesondere der PISA-Studie. Ziel ist es, einen Beitrag rechtsschutzsystem ein (Teil I). Darauf aufbauend soll zur öffentlichen bildungspolitischen Diskussion zu leis- die Frage der diskriminierungsfreien Gewährleistung ten und Anregungen zu geben, wie das Menschenrecht des Rechts auf Bildung in Deutschland im Hinblick auf auf Bildung als Instrument für die Durchsetzung von vier ausgewählte Problembereiche thematisiert wer- Diskriminierungsfreiheit und für soziale Inklusion in den (Teil II): der Bildung nutzbar gemacht werden kann. 9
A Völkerrechtliche Grundlagen zum Recht auf Bildung und zum Schutz vor Diskriminierung 1. Internationaler Menschenrechtsschutz – ein Überblick A Völkerrechtliche Grundlagen zum Recht auf Bildung und zum Schutz vor Diskriminierung 1. Internationaler Menschenrechtsschutz – schließlich die Überzeugung durch, dass Einzelstaaten ein Überblick allein die Menschenrechte nicht sichern können. Die Verantwortung für die Verwirklichung der Menschen- Die Menschenrechte haben ihren Grund in der Menschen- rechte wurde als eine Aufgabe der Völkergemeinschaft würde, die jedem gleichermaßen zusteht. Die Anerken- definiert, die im Rahmen eines internationalen Men- nung der Würde des Menschen als Selbstzweck findet schenrechtsschutzsystems zusammenarbeiten sollte. ihren politisch-rechtlichen Ausdruck darin, dass jedem Am 10. Dezember 1948 verkündete die Generalversamm- Menschen Selbstbestimmung nach Maßgabe der Gleich- lung der Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung berechtigung gewährleistet wird. In diesem Sinne spricht der Menschenrechte (AEMR). Sie enthält in 30 Artikeln die Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschen- bürgerliche und politische sowie wirtschaftliche, sozia- rechte von der gebotenen „Anerkennung der angebo- le und kulturelle Rechte. Mit dieser Erklärung setzte renen Würde und der gleichen und unveräußerlichen der Prozess der Entwicklung von Menschenrechts- Rechte aller Mitglieder der Gemeinschaft der Men- standards im Rahmen der Vereinten Nationen ein. schen“. Menschenrechte sind als Rechte gleicher Frei- heit das Gegenteil von Privilegien, da sie nicht an par- Die AEMR erwies sich als überaus erfolgreiches Refe- tikulare Merkmale, sondern an das Menschsein renzdokument. So nahmen beispielsweise einige der anknüpfen. Darin besteht die Universalität der Men- im Zuge der Dekolonisierung in den 1950er und 1960er schenrechte. Jahren befreiten Staaten die Bestimmungen der AEMR in ihre neuen Verfassungen auf.1 Auch für viele der in Die inhaltliche und institutionelle Entwicklung der Men- der Folgezeit entstandenen Deklarationen, Empfeh- schenrechte ist eng an die Erfahrung von Unrecht und lungen und rechtsverbindlichen Abkommen der Ver- an soziale Bewegungen gebunden, die sich gegen erfah- einten Nationen bildet die AEMR die Grundlage. Im di- renes Unrecht zu Wehr setzten. Schritt für Schritt wur- rekten Anschluss an sie folgten die beiden 1966 de dabei die Idee der Erarbeitung und des Schutzes von verabschiedeten und 1976 in Kraft getretenen umfas- Menschenrechten in positive Rechtsnormen überführt. senden Menschenrechtskonventionen: der Internationale Wichtige Marksteine auf dem Weg zum Menschen- Pakt über bürgerliche und politische Rechte („Zivil- rechtsschutz waren zum Beispiel die Virginia Bill of pakt“) sowie der Internationale Pakt über wirtschaft- Rights (1776), die Französische Erklärung der Men- liche, soziale und kulturelle Rechte („Sozialpakt“), in schen- und Bürgerrechte (1789) oder die Erklärung der dem das Recht auf Bildung in Artikel 13 festgelegt ist. Rechte der Frau und Bürgerin der Frauenrechtlerin Zusammen mit der AEMR bilden der Zivilpakt und der Olympe de Gouges (1791). Sozialpakt die Universal Bill of Rights. Unter dem Eindruck der Gräueltaten der Weltkriege und Im Jahr 1965 wurde das Internationale Übereinkommen insbesondere der nationalsozialistischen Gewaltherr- zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung2 schaft setzte sich mit Gründung der Vereinten Nationen verabschiedet. Diese Antirassismus-Konvention trat 1969 1 Siehe Riedel (2004), 16. 2 Die Verwendung des Begriffs „Rassendiskriminierung“ ist dem historischen Kontext der Entstehung des Übereinkommens geschuldet. Richtig muss es stattdessen „rassistische Diskriminierung“ heißen, um auf die Ideologie zu verweisen, die sich da- hinter verbirgt. Denn natürlich existieren keine Menschenrassen, sondern nur eine menschliche Rasse. In ihrem ‚Statement on Race’ hat die UNESCO bereits 1950 die Staaten aufgefordert, den Rassebegriff nicht mehr zu verwenden, da er keine biologi- schen Tatsache widerspiegelt, sondern einen sozialen Mythos, der ein enormes Ausmaß an Gewalt verursacht hat und verur- sacht (siehe UNESCO, 1950). 10
Völkerrechtliche Grundlagen zum Recht auf Bildung und zum Schutz vor Diskriminierung 2. Das menschenrechtliche Diskriminierungsverbot A in Kraft und wurde bisher von 170 Staaten ratifiziert.3 Mit der Ratifizierung verpflichten sich die Vertrags- 2. Das menschenrechtliche staaten, eine Politik zu verfolgen, welche die Beseitigung Diskriminierungsverbot rassistischer Diskriminierung in allen ihren Erschei- nungsformen zum Ziel hat. Der Schutz vor Diskriminierung bildet ein Struktur- prinzip der Menschenrechte, d.h. jedes Menschenrecht Mit dem Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form muss allen Menschen frei von Diskriminierung gewährt von Diskriminierung der Frau, kurz Frauenrechtskon- werden. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vention genannt, welches 1979 verabschiedet wurde und die nachfolgenden UN-Abkommen sehen ein Diskri- und 1981 in Kraft trat, verpflichten sich die Vertrags- minierungsverbot vor. Die AEMR legt in Artikel 2 Absatz staaten, Diskriminierung von Frauen zu verhindern und 1 fest, dass alle in ihr niedergelegten Rechte für jeden eine effektive Gleichberechtigung von Männern und und jede gelten sollen „ohne irgendeinen Unterschied, Frauen sicher zu stellen. Insbesondere sollen spezifische etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Reli- Diskriminierungsformen von Frauen, wie Gewalt in der gion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler Familie, Zwangsverheiratung oder auch der schlechtere oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonsti- Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung über- gem Stand“. Eine ähnliche Formulierung findet sich zum wunden werden. Die Frauenrechtskonvention haben Beispiel auch in Artikel 2 Absatz 1 des Zivilpakts sowie bislang 182 Staaten ratifiziert.4 in Artikel 2 Absatz 2 des Sozialpakts. Das Übereinkommen über die Rechte des Kindes (Kin- Weitere internationale und regionale Menschenrechts- derrechtskonvention) wurde 1989 verabschiedet und instrumente haben in der Folgezeit das Diskriminie- trat 1991 in Kraft. Es wurde bislang von 192 Vertrags- rungsverbot in Bezug auf spezifische Formen der Diskri- staaten ratifiziert und ist damit der meist ratifizierte minierung präzisiert. Die Antirassismus-Konvention Vertrag.5 Mit der Ratifizierung verpflichten sich die definiert rassistische Diskriminierung als Vertragsstaaten, die in der Konvention niedergelegten „jede auf der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung, Rechte zu gewährleisten. Sie sollen zum Beispiel Kinder dem nationalen Ursprung oder dem Volkstum beru- vor sexueller Ausbeutung schützen, die Gedankens-, hende Unterscheidung, Ausschließung, Beschränkung Gewissens- und Religionsfreiheit von Kindern achten oder Bevorzugung, die zum Ziel oder zur Folge hat, dass sowie ihr Recht auf Bildung anerkennen. Dabei steht dadurch ein gleichberechtigtes Anerkennen, genießen das Kindeswohl im Vordergrund, d.h. das Interesse des oder Ausüben von Menschenrechten und Grundfrei- Kindes soll als leitendes Prinzip gelten. heiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kultu- rellen oder jeden sonstigen Bereich im öffentlichen Der völkerrechtliche Menschenrechtsschutz ist nicht Leben vereitelt oder beeinträchtigt wird“.6 auf die Ebene der Vereinten Nationen beschränkt. In Afrika, Europa und den Amerikas haben sich regionale Die Frauenrechtskonvention definiert die „Diskriminie- Systeme des Menschenrechtsschutzes entwickelt. Als ein rung der Frau“ als erfolgreiches Beispiel einer regional-völkerrechtlichen „jede mit dem Geschlecht begründete Unterschei- Normierung von Menschenrechten gilt die Europäische dung, Ausschließung oder Beschränkung, die zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Folge oder zum Ziel hat, dass die auf die Gleich- Grundfreiheiten (EMRK) von 1950 (in Kraft getreten berechtigung von Mann und Frau gegründete An- 1953). Sie eröffnet den im Bereich der Mitgliedsstaa- erkennung, Inanspruchnahme oder Ausübung der ten des Europarats lebenden Menschen die Möglich- Menschenrechte und Grundfreiheiten durch die keit, ihre Rechte vor dem Europäischen Gerichtshof für Frau – ungeachtet ihres Familienstandes – im po- Menschenrechte in Straßburg einzuklagen. litischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, staatsbürgerlichen oder jedem sonstigen Bereich beeinträchtigt oder vereitelt wird“.7 3 Stand April 2006. 4 Stand April 2006. 5 Stand April 2006. 6 Siehe Art 1 ICERD (1966). 7 Siehe Art 1 CEDAW (1979). 11
A Völkerrechtliche Grundlagen zum Recht auf Bildung und zum Schutz vor Diskriminierung 3. Das Recht auf Bildung in den Menschenrechtskonventionen der Vereinten Nationen Auch auf Ebene der EU wurden vier Richtlinien gegen tionshintergrund auf den Haupt- und Sonderschulen Diskriminierungen ausgearbeitet; die Antirassismus- überrepräsentiert sind, und entsprechend an den Real- Richtlinie vom 29. Juni 2000, die Rahmenrichtlinie schulen und Gymnasien unterrepräsentiert. Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf vom 27. November 2000, die revidierte Gender-Richtlinie vom Hinzu kommen strukturelle Formen von Diskriminie- 23. September 2002 und die Richtlinie zur Verwirkli- rung. Der Ausschluss von Menschen mit Behinderungen chung der Gleichbehandlung von Männern und Frauen aus dem gesellschaftlichen Leben geschieht nicht nur hinsichtlich des Zugangs zu und der Versorgung mit durch Akte bewusster Herabsetzung und Ausgrenzung, Gütern und Dienstleistungen vom 13. Dezember 2004. sondern beispielsweise auch durch das Fehlen barriere- Diese Richtlinien basieren mehrheitlich auf der Grund- freier Zugänge zu öffentlichen Gebäuden oder Verkehrs- lage von Artikel 13 des Vertrages zur Gründung der Euro- mitteln. Und auch bei formaler Gleichbehandlung aller päischen Gemeinschaft (EGV), der durch den Amsterda- Schülerinnen und Schüler im staatlichen Bildungssystem mer Vertrag von 1997 in den EGV eingefügt wurde.8 können im Übergang zu weiterführenden Schulen Selek- tionsmechanismen wirksam sein, die de facto zur Diskri- Diskriminierungsschutz geht über die Herstellung forma- minierung von Kindern und Jugendlichen aus armen ler Gleichberechtigung hinaus. Vielmehr geht es um Familien oder Familien mit Migrationshintergrund hin- die Gewährleistung gleicher Möglichkeiten zur tatsäch- auslaufen. lichen Ausübung von Menschenrechten. Dimensionen von Diskriminierung sind vielfältig. Es wird zwischen In der Menschenrechtsdebatte der letzten Jahrzehnte direkter (unmittelbarer) und indirekter (mittelbarer) hat sich ein allgemeiner Konsens herausgebildet, dass Diskriminierung unterschieden. Auch die Anweisung auch die indirekten und strukturellen Formen von Dis- zur Diskriminierung sowie auch strukturelle Formen kriminierung als Menschenrechtsverstöße zu werten von Benachteiligung und Diskriminierung werden vom sind, für deren Überwindung Staat und Gesellschaft menschenrechtlichen Diskriminierungsschutz umfasst. Verantwortung tragen. Direkte Diskriminierung heißt, dass eine Person auf- grund eines der anerkannten Diskriminierungsmerk- male in einer vergleichbaren Situation eine weniger 3. Das Recht auf Bildung in den günstige Behandlung erfährt als eine andere Person. Menschenrechtskonventionen der Kennzeichnend hierfür ist, dass eine Benachteiligung Vereinten Nationen direkt an ein bestimmtes Merkmal (wie z.B. Hautfarbe oder Geschlecht) anknüpft. Dabei muss der Bezug auf Das Recht auf Bildung ist sowohl ein eigenständiges das Diskriminierungsmerkmal nicht unbedingt ausdrück- Menschenrecht als auch ein zentrales Instrument, um lich hergestellt werden. Es genügt, wenn es sich aus die Verwirklichung anderer Menschenrechte zu fördern: dem Kontext und der Situation heraus eindeutig ergibt. Als empowerment right hat es eine wichtige Bedeutung Hierzu zählen beispielsweise Fälle, in denen Besucherin- für die Befähigung von Menschen, sich für die eigenen nen und Besuchern aufgrund ihrer scheinbar nichtdeut- Rechte einzusetzen und sich im solidarischen Einsatz für schen Aussehens der Zutritt verwehrt wird (zu Gaststät- die Menschenrechte anderer zu engagieren. Bereits die ten, Clubs oder anderen Freizeiteinrichtungen). Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschen- Unter indirekten Diskriminierungen versteht man Benach- rechte der Vereinten Nationen fordert jede/jeden Ein- teiligungen, die im Rahmen formal neutral erscheinen- zelne/n sowie alle Organe der Gesellschaft dazu auf, der Regelungen für bestimmte Gruppen von Menschen „durch Bildung und Erziehung die Achtung dieser Rech- entstehen. So können sich beispielsweise unterschied- te und Freiheiten zu fördern“.9 liche Regelungen für Voll- und Teilzeitbeschäftigte fak- tisch als indirekte Diskriminierung von Frauen erweisen, Artikel 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschen- da diese überproportional in Teilzeit tätig sind. Im Bil- rechte lautet: dungswesen drückt sich indirekte Diskriminierung „(1)Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung. Der Unter- etwa dadurch aus, dass Kinder aus Familien mit Migra- richt muss wenigstens in der Elementar- und Grund- 8 Auf nationaler Ebene sollen die Richtlinien im Rahmen eines Antidiskriminierungsgesetzes umgesetzt werden, vgl. Addy (2005) und Bielefeldt/Follmar-Otto (2005). 9 Siehe Präambel AEMR (1948). 12
Völkerrechtliche Grundlagen zum Recht auf Bildung und zum Schutz vor Diskriminierung 3. Das Recht auf Bildung in den Menschenrechtskonventionen der Vereinten Nationen A schule unentgeltlich sein. Der Elementarunterricht widmet sich in ihren Empfehlungen an Deutschland ist obligatorisch. Fachlicher und beruflicher Unter- dem Bildungsbereich.12 richt soll allgemein zugänglich sein; die höheren Studien sollen alle nach Maßgaben ihrer Fähigkeiten und Leistung in gleicher Weise offen stehen. 3.1 Die inhaltlichen Kernforderungen des Rechts (2) Die Ausbildung soll die volle Entfaltung der mensch- auf Bildung lichen Persönlichkeit und die Stärkung der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten zum Ziel Im Folgenden werden die vier inhaltlichen Kernforderun- haben. Sie soll Verständnis, Toleranz und Freund- gen des Rechts auf Bildung dargestellt, differenziert schaft zwischen allen Völkern und allen ethnischen nach den relevanten UN-Menschenrechtskonventionen. oder religiösen Gruppen fördern und die Tätigkeit der Vereinten Nationen zur Aufrechterhaltung des Friedens begünstigen. Gewährleistung der obligatorischen und (3) In erster Linie haben die Eltern das Recht, die Art der unentgeltlichen Grundbildung für alle ihren Kindern zuteil werdenden Bildung zu bestim- men“. Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Bildung spielt eine zentrale Rolle für die Förderung eines Wissens und Bewusstseins über Menschenrechte. Dies Art. 13 Abs. 2: „Die Vertragsstaaten erkennen an, dass sagt auch Artikel 26 der AEMR, in dem die „volle Ent- im Hinblick auf die volle Verwirklichung dieses Rechts faltung der menschlichen Persönlichkeit und die Stär- a) der Grundschulunterricht für jedermann Pflicht und kung der Achtung der Menschenrechte und Grundfrei- allen unentgeltlich zugänglich sein muss; b) die ver- heiten“ sowie die „Unterstützung der Ziele der Vereinten schiedenen Formen des höheren Schulwesens einschließ- Nationen“ als Ziele formuliert sind. In diesem Zusam- lich des höheren Fach- und Berufsschulwesens auf menhang wird das Recht auf Bildung als ein Recht auch jede geeignete Weise, insbesondere durch allmähliche auf Menschenrechtsbildung verstanden. Aufgabe und Einführung der Unentgeltlichkeit, allgemein verfügbar Ziel einer Menschenrechtsbildung ist es, Menschen für und jedermann zugänglich gemacht werden müssen die Idee der Menschenrechte zu sensibilisieren und den (…).“ Erwerb von Kompetenzen zu fördern, die den Einsatz für Menschenrechte ermöglichen.10 Übereinkommen über die Rechte des Kindes Die Bestimmungen zum Recht auf Bildung werden auf Art. 28: „Die Vertragsstaaten erkennen das Recht des der Ebene der Vereinten Nationen im Sozialpakt von Kindes auf Bildung an; um die Verwirklichung dieses 1966 sowie in der Kinderrechtskonvention von 1989 Rechts auf der Grundlage der Chancengleichheit fort- präzisiert. Darüber hinaus enthalten auch die UN-Frauen- schreitend zu erreichen, werden sie insbesondere a) rechtskonvention von 1979 und die Anti-Rassismuskon- den Besuch der Grundschule für alle zur Pflicht und vention von 1965 zentrale Bestimmungen zum Recht unentgeltlich machen (…).“ auf Bildung. Schließlich formuliert auch die UNESCO Verpflichtungen in ihrem Übereinkommen gegen Dis- kriminierung im Unterrichtswesen (Convention against Die Bestimmungen zum Recht auf Bildung in den Ver- Discrimination in Education: CADE) von 1960. tragstexten und Übereinkommen der Vereinten Natio- nen zeigen, dass sich der Bildungsbegriff weder allein Auf der europäischen Ebene beinhaltet die Europäische auf das frühe Kindesalter, noch allein auf die Grund- Menschenrechtskonvention des Europarats11 zentrale bildung – also das Erlernen von Lesen, Schreiben und Regelungen zum Recht auf Bildung. Auch die Europäi- Rechnen – bezieht. Grundbildung ist nicht mit Grund- sche Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) schulbildung gleichzusetzen. Dies hat der für die Über- 10 Ausführliche Informationen zur Menschenrechtsbildung finden sich auf den Seiten der Servicestelle Menschenrechtsbildung auf der Homepage des Deutschen Instituts für Menschenrechte: www.institut-fuer-menschenrechte.de. 11 Der Europarat, als Bündnis von derzeit 46 Staaten, ist nicht zu verwechseln mit dem Europäischen Rat der EU, mit derzeit 25 Staaten. 12 ECRI basiert jedoch nicht auf einer rechtsverbindlichen Konvention, sie spricht Empfehlungen aus. 13
A Völkerrechtliche Grundlagen zum Recht auf Bildung und zum Schutz vor Diskriminierung 3. Das Recht auf Bildung in den Menschenrechtskonventionen der Vereinten Nationen wachung des Sozialpakts zuständige Fachausschuss gegebenenfalls festgesetzten oder gebilligten bildungs- („Sozialpaktsausschuss“) in seinem General Comment politische Mindestnormen entsprechen (…).“ zum Recht auf Bildung klargestellt.13 Auch Erwach- sene sollen beispielsweise Grundbildung nachholen Übereinkommen über die Rechte des Kindes können, wenn sie hierzu noch keine Gelegenheit hat- ten. Bildung soll jeden Menschen in die Lage verset- Art. 29 Abs. 2: „Dieser Artikel und Artikel 28 dürfen zen, aktiv an der Gesellschaft teil zu haben. So schließt nicht so ausgelegt werden, dass sie die Freiheit natür- das Recht auf eine grundlegende Bildung gleicher- licher oder juristischer Personen beeinträchtigen, Bil- maßen alle Menschen mit ein, die ihre „grundlegen- dungseinrichtungen zu gründen und zu führen (…).“ den Bildungsbedürfnisse“ noch nicht befriedigt haben. Dieses Recht, so der Sozialpaktausschuss, kennt keine alters- oder geschlechtsbedingten Einschränkungen Die Vertragsstaaten sind verpflichtetet, die Wahlfreiheit und ist damit ein Bestandteil von lebenslangem Ler- der Erziehungsberechtigten in Bezug auf die Bildung nen und Erwachsenenbildung. In Anlehnung an eine ihrer Kinder sicherzustellen. Sie sollen laut Sozialpakt- Definition der UNICEF bleibt die Grundschulbildung ausschuss darauf achten, dass die eigenen Überzeu- dennoch der wichtigste Bestandteil der Bildung.14 gungen der Erziehungsberechtigten mit der „religiösen und sittlichen Erziehung“17 ihrer Kinder übereinstimmen. Artikel 13 Absatz 2b des Sozialpaktes verpflichtet die Die Erziehungsberechtigten können für ihre Kinder auch Vertragsstaaten, auch höhere Bildung „auf jede geeig- nicht-staatliche Schulen wählen, solange diese verfas- nete Weise“ zur Verfügung zu stellen. Dies impliziert sungskonform sind und den Bildungszielen nach Artikel auch, dass die Vertragsstaaten Konzepte verfolgen sol- 13 Absatz 1 des Sozialpakts entsprechen.18 len, welche den sozialen und kulturellen Kontexten der Lernenden entsprechen. Die Formulierung „allgemein verfügbar“, die in diesem Artikel genutzt wird, weist Das Gebot der Nicht-Diskriminierung darauf hin, dass Sekundarbildung nicht von „schein- baren Kompetenzen oder Fähigkeiten eines Schülers“ Internationales Übereinkommen zur Beseitigung abhängig gemacht werden darf, und dass Sekundar- jeder Form von Rassendiskriminierung schulen gleichermaßen erreichbar sein sollen.15 Anders ist dies mit Blick auf die Hochschulbildung; zu dieser Art. 5: „Im Einklang mit den in Artikel 2 niedergelegten sollte „jedermann gleichermaßen entsprechend seiner grundsätzlichen Verpflichtungen werden die Vertrags- Fähigkeiten“ Zugang haben.16 staaten die Rassendiskriminierung in jeder Form verbie- ten und beseitigen und das Recht jedes einzelnen ohne Unterschied der Rasse, der Hautfarbe, des nationalen Ur- Wahlfreiheit der Erziehungsberechtigten sprungs oder des Volkstums, auf Gleichheit vor dem Gesetz gewährleisten …“. Internationales Übereinkommen über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau Art. 13 Abs. 3: „Die Vertragsstaaten verpflichten sich, die Freiheit der Eltern und gegebenenfalls des Vor- Art. 10: „Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten munds oder Pflegers zu achten, für ihre Kinder andere Maßnahmen zur Beseitigung der Diskriminierung der als öffentliche Schulen zu wählen, die den vom Staat Frau, um ihr im Bildungsbereich die gleichen Rechte 13 Die für die Überwachung der jeweiligen Menschenrechtskonventionen zuständigen unabhängigen Fachausschüsse haben von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Konventionstexte über „Allgemeine Bemerkungen“ („General Comments“) näher zu interpretieren. Diese Interpretationen sind zwar nicht im strengen Sinne rechtsverbindlich, repräsentieren aber den aktu- ellen Stand der Auslegung der Konventionspflichten durch die dafür eingesetzten UN-Ausschüsse. Siehe Deutsches Institut für Menschenrechte (Hg.) (2005), 5-7 14 Der Ausschuss macht sich den Standpunkt von UNICEF zu Eigen; siehe Deutsches Institut für Menschenrechte (Hg.) 2005, 267. 15 ebd. 268. 16 ebd. 271. 17 ebd. 272. 18 ebd. 273. 14
Völkerrechtliche Grundlagen zum Recht auf Bildung und zum Schutz vor Diskriminierung 3. Das Recht auf Bildung in den Menschenrechtskonventionen der Vereinten Nationen A wie dem Mann zu gewährleisten und um auf der Grund- lichen Persönlichkeit und des Bewusstseins ihrer Wür- lage der Gleichberechtigung von Mann und Frau insbe- de gerichtet sein und die Achtung vor den Menschen- sondere folgendes sicherzustellen: (...) b) Zulassung zu rechten und Grundfreiheiten stärken muss. Sie stim- denselben Bildungsprogrammen und Prüfungen sowie men ferner überein, dass die Bildung es jedermann Lehrkräften mit gleichwertigen Qualifikation und zu ermöglichen muss, eine nützliche Rolle in einer Gesell- Schulanlagen und Schulausstattungen derselben Qua- schaft zu spielen, dass sie Verständnis, Toleranz und lität (…).“ Freundschaft unter allen Völkern und allen rassischen, ethnischen und religiösen Gruppen fördern sowie die Übereinkommen über die Rechte des Kindes Tätigkeit der Vereinten Nationen zur Erhaltung des Frie- dens unterstützen muss.“ Art. 2 Abs. 1: „Die Vertragsstaaten achten die in diesem Übereinkommen festgelegten Rechte und gewährleis- Internationales Übereinkommen zur Beseitigung ten sie jedem ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Kind jeder Form von Rassendiskriminierung ohne jede Diskriminierung unabhängig von der Rasse, der Hautfarbe, dem Geschlecht, der Sprache, der Reli- Art. 7: „Die Vertragsstaaten verpflichten sich, unmittel- gion, der politischen und sonstigen Anschauung, der bare und wirksame Maßnahmen, insbesondere auf dem nationalen, ethnischen oder sozialen Herkunft, des Ver- Gebiet des Unterrichts, der Erziehung, Kultur und Infor- mögens, einer Behinderung, der Geburt oder des sons- mation, zu treffen, um Vorurteile zu bekämpfen, die zu tigen Status des Kindes, seiner Eltern oder seines Vor- Rassendiskriminierung führen, zwischen den Völkern munds.“ und Rassen- und Volksgruppen Verständnis, Duldsam- keit und Freundschaft zu fördern sowie die Ziele und Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen, der All- Die Bestimmungen zum Schutz vor Diskriminierung in gemeinen Erklärung der Menschenrechte, der Erklärung der Bildung formulieren einen Anspruch, der sich auch der Vereinten Nationen über die Beseitigung jeder Form auf die Gestaltung der Bildungsinstitutionen erstreckt. von Rassendiskriminierung und dieses Übereinkom- Im staatlichen wie auch im privaten Bildungssektor mens zu verbreiten.“ darf niemand ausgeschlossen werden, so der für die Überwachung der Antirassismus-Konvention zustän- Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von dige UN-Ausschuss.19 Die Frauenrechtskonvention ent- Diskriminierung der Frau hält genaue Bestimmungen über die Bildungsgerech- tigkeit von Mädchen, Jungen, Frauen und Männern. Sie Art. 10: „Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten verpflichtet die Vertragsstaaten, das Bildungsgefälle Maßnahmen zur Beseitigung der Diskriminierung der zwischen den Geschlechtern zu verringern sowie ge- Frau, um ihr im Bildungsbereich die gleichen Rechte gen Diskriminierungen von Frauen vorzugehen. Neben wie dem Mann zu gewährleisten und auf der Grundlage dem Einsatz für Chancengleichheit im Bildungswesen der Gleichberechtigung von Mann und Frau insbeson- verpflichten sich die Vertragsstaaten, gegen stereoty- dere folgendes sicherzustellen: (…) c) Beseitigung jeder pe Geschlechterrollen vorzugehen, zum Beispiel durch stereotypen Auffassung in Bezug auf die Rolle von die Überarbeitung von Lehrbüchern und Lehrplänen.20 Mann und Frau auf allen Bildungsebenen und in allen Unterrichtsformen durch Förderung der Koedukation und sonstiger Erziehungsformen, die zur Erreichung Aufgaben und Ziele von Bildung dieses Zieles beitragen, insbesondere auch durch Über- arbeitung von Lehrbüchern und Lehrplänen und durch Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale Anpassung der Lehrmethoden (…)“. und kulturelle Rechte Art.13 Abs. 1.: [Die Vertragsstaaten] „erkennen das Das Recht auf Bildung wird vom Kinderrechtsausschuss Recht eines jeden auf Bildung an. Sie stimmen überein, explizit auch als ein Recht auf Menschenrechtsbildung dass die Bildung auf die volle Entfaltung der mensch- ausgelegt. Berufsgruppen, die für oder mit Kindern ar- 19 Siehe UN, CERD (2002). 20 Siehe Art 10 CEDAW (1979). 15
A Völkerrechtliche Grundlagen zum Recht auf Bildung und zum Schutz vor Diskriminierung 3. Das Recht auf Bildung in den Menschenrechtskonventionen der Vereinten Nationen beiten, sollen, so der Kinderrechtsausschuss, eine spezi- Die allgemeine Verfügbarkeit (availability) von Bildung elle Ausbildung über die Vermittlung von Kinderrech- verlangt, dass Schulen in ausreichendem Maße zur Verfü- ten erhalten. Auch in vorbereitenden Kursen zur Eltern- gung stehen und funktionsfähig sein sollen. Zum Bei- schaft sollen Kinderrechte an zentraler Stelle vermittelt spiel muss an den Schulen gewährleistet sein, dass aus- werden. Menschenrechtsbildung soll umfassend und gebildete Lehrkräfte unterrichten und ausreichend als lebenslanger Prozess gestaltet sein und dabei sowohl Unterrichtsmaterialien vorhanden sind. die Vermittlung von Menschenrechtsnormen sowie die Auseinandersetzung mit Menschenrechten im Alltag Die Forderung des diskriminierungsfreien Zugangs (ac- von Kindern beinhalten.21 cess) zu Bildung schließt mehrere Faktoren mit ein. Keinem Menschen darf der Zugang zu Bildung rechtlich Die Einhaltung der Menschenrechte, die in den UN- und faktisch verwehrt werden. Insbesondere für die Menschenrechtskonventionen festgeschrieben sind, schwächsten Gruppen muss Bildung frei zugänglich wird von den jeweiligen Vertragsausschüssen über- sein. Dies impliziert sowohl die wirtschaftliche Zugäng- wacht.22 Die Vertragsausschüsse tragen auch dazu bei, lichkeit, d.h. Bildung muss für alle erschwinglich sein, die Konventionsverpflichtungen näher zu konkretisieren. als auch den physischen Zugang, d.h. Bildung soll in Dies geschieht in Gestalt von so genannten General sicherer Reichweite stattfinden und es sollte gewähr- Comments. Neben den oben erläuterten inhaltlichen leistet sein, dass z.B. auch Menschen in Rollstühlen Kernforderungen des Rechts auf Bildung, differenziert freien Zugang zu den Bildungseinrichtungen haben. nach den relevanten UN-Menschenrechtskonventionen, sind für ein umfassendes Verständnis des Rechts auf Die Annehmbarkeit (acceptability) von Bildung zielt Bildung daher auch die General Comments maßgeb- auf die Form und den Inhalt von Bildung. Sie soll „re- lich. Im Folgenden wird der General Comment des So- levant, kulturell angemessen und hochwertig“24 sein. zialpaktausschusses zum Recht auf Bildung aus dem Die Pädagogik sowie die Inhalte, die Schulbücher und Jahr 1999 erörtert, der die vier grundlegenden Struk- Unterricht vermitteln, sollen Kinder und Jugendliche turelemente dieses Menschenrechts konkretisiert. in der Entwicklung ihrer Persönlichkeit fördern. Form und Inhalt von Bildung sollen sich an den Lebenslagen der Kinder orientieren. Unterrichtshilfen sollten keine 3.2 Der General Comment des Sozialpaktaus- falschen oder überholten Informationen enthalten. schusses zum Recht auf Bildung In einem engen Zusammenhang mit der Forderung der In seinem General Comment zum Recht auf Bildung Annehmbarkeit steht auch die Adaptierbarkeit (adap- (Artikel 13 Sozialpakt) hat der Sozialpaktsausschuss tability) der Bildung. Sie muss sich an die „Erforder- vier Strukturelemente herausgearbeitet, die dazu die- nisse sich verändernden Gesellschaften und Gemein- nen, die rechtlichen Forderungen näher zu konturieren. wesen“ anpassen. Wenn sich die Lebenslagen von Es handelt sich dabei um die Verfügbarkeit (availabili- Kindern und Jugendlichen ändern, dann muss sich das ty) von Bildung, den Zugang (access) zu Bildung sowie Bildungssystem darauf einstellen. die Annehmbarkeit (acceptability) und die Adaptier- barkeit (adaptability) von Bildung.23 Mit Blick auf die Wichtig für den Zusammenhang der vorliegenden Stu- englischen Begriffe spricht man auch vom so genann- die ist die Klarstellung, dass sich das Diskriminierungs- ten „4-A-Scheme“. verbot auf alle vier genannten Strukturelemente be- 21 Siehe Deutsches Institut für Menschenrechte (Hg.) (2005), 545f. Der Kinderrechtsausschuss widmet der Menschenrechts- bildung besondere Aufmerksamkeit. Menschenrechtsbildung ist dem Ausschuss zur Folge nicht nur für die Bildung der Kinder selbst als umfassender Lernprozess zu realisieren. Die Prinzipien der Kinderrechtskonvention verlangen auch eine grundlegende Überarbeitung der Lehrpläne, Lehrbücher, Unterrichtsmethoden etc. sowie Vorbereitungs- und Fortbildungs- kurse für Lehrpersonen, Verwaltungspersonal und anderer im Bildungssystem tätigen Personen. 22 Die Vertragsausschüsse (treaty bodies) sind mit unabhängigen Expertinnen und Experten besetzt. Die Staaten verpflichten sich durch die Ratifizierung der Konventionen, den Vertragsausschüssen in regelmäßigen Abständen Staatenberichte vor- zulegen. Darin legen sie Rechenschaft über den Umsetzungsstand der jeweiligen Menschenrechtsverpflichtungen ab. 23 Siehe Deutsches Institut für Menschenrechte (Hg.) (2005), 263. An der Erarbeitung des General Comment zum Recht auf Bildung wirkte u.a. die erste Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen zum Recht auf Bildung, Katarina Tomasevski, mit. Sie war von 1998 bis zum Jahr 2004 Sonderberichterstatterin zum Recht auf Bildung (www.right-to-education.org). Seit 2004 hat Vernor Muñoz Villalobos dieses Amt übernommen. (http://www.ohchr.org/english/issues/education/rapporteur/ index.htm) 24 ebd. 16
Völkerrechtliche Grundlagen zum Recht auf Bildung und zum Schutz vor Diskriminierung 4. Das Recht auf Bildung und der Schutz vor Diskriminierung in Europa A zieht. Es ist also nicht auf den diskriminierungsfreien Vertragsparteien, für die allmähliche Einführung ei- Zugang zu Bildungsinstitutionen und ihre allgemeine ner unentgeltlichen Sekundar- und Hochschulbil- Verfügbarkeit beschränkt, sondern hat auch mit der dung Sorge zu tragen. inhaltlichen Ausgestaltung der Bildungsangebote zu tun, die unter Gesichtspunkten des Diskriminierungs- c) Annehmbarkeit – Die Form und der Inhalt der Bil- verbots akzeptabel und auf die sich verändernden Le- dung, namentlich die Lehrpläne und Lehrmethoden, benslagen der Menschen angemessen zugeschnitten müssen für die Schüler beziehungsweise die Studenten sein sollen. und gegebenenfalls die Eltern annehmbar sein, das heißt sie müssen relevant, kulturell angemessen und hochwertig sein. Dabei sind die in Artikel 13 Abs. 1 Der General Comment des Sozialpaktausschusses festgelegten Bildungsziele sowie die etwaigen von Staat zum Recht auf Bildung (Artikel 13 des Interna- festgelegten Mindestnormen für die Bildung zu beach- tionalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und ten (…). kulturelle Rechte der Vereinten Nationen) d) Adaptierbarkeit – Bildung muss flexibel sein, damit „a) Verfügbarkeit – Funktionsfähige Bildungseinrich- sie den Erfordernissen sich verändernder Gesellschaf- tungen und -programme müssen im Hoheitsgebiet des ten und Gemeinwesen angepasst werden und den von Vertragsstaats in ausreichendem Maße zur Verfügung vielfältigen sozialen und kulturellen Gegebenheiten stehen. Was für ihre Funktionsfähigkeit erforderlich ist, geprägten Bedürfnissen der Schüler und Studenten ent- hängt von zahlreichen Faktoren ab, namentlich von sprechen kann.“ dem Entwicklungskontext, in dem sie tätig sind. So benö- tigen wohl alle Einrichtungen und Programme Gebäu- Quelle: Deutsches Institut für Menschenrechte (Hg.) de oder sonstigen Schutz vor den Elementen, sanitäre (2005), 263. Einrichtungen für beide Geschlechter, hygienisches Trinkwasser, ausgebildete Lehrer, die innerhalb des Lan- des konkurrenzfähige Gehälter beziehen, Lehrmateria- lien und so weiter, während einige Einrichtungen und Programme darüber hinaus beispielsweise Bibliothe- ken, Computereinrichtungen und Informationstechni- 4. Das Recht auf Bildung und der Schutz ken benötigen. vor Diskriminierung in Europa b) Zugänglichkeit – Im Hoheitsbereich des Vertrags- Der völkerrechtliche Menschenrechtsschutz ist nicht staats müssen alle ohne Unterschied Zugang zu Bil- auf die Ebene der Vereinten Nationen beschränkt. Die dungseinrichtungen und -programmen haben. Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) gilt Zugänglichkeit hat drei sich überschneidende Dimen- als eines der erfolgreichsten Beispiele des regionalen sionen: Menschenrechtsschutzes. Sie enthält das Recht auf i) Nichtdiskriminierung – Bildung muss nach dem Bildung in Artikel 2 des 1. Zusatzprotokolls (1952). Die Gesetz und de facto für alle zugänglich sein, insbeson- Formulierung lautet: dere für die schwächsten Gruppen, ohne dass eine „Niemandem darf das Recht auf Bildung verwehrt wer- Diskriminierung aus einem der unzulässigen Gründe den. Der Staat hat bei Ausübung der von ihm auf dem stattfindet (…); Gebiet der Erziehung und des Unterrichts übernom- ii) Physische Zugänglichkeit – Bildung muss in siche- menen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten, die rer Reichweite stattfinden, entweder durch Teilnahme Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren ei- am Unterricht an einem in zumutbarer Entfernung genen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen gelegenen Ort (zum Beispiel eine Schule in der Nach- sicherzustellen.“ barschaft) oder mittels moderner Technologie (zum Beispiel Zugang zu Fernunterricht); Der in Artikel 14 ERMK gewährleistete Diskriminie- iii) Wirtschaftliche Zugänglichkeit – Bildung muss rungsschutz erstreckt sich auf alle Konventionsrechte, für alle erschwinglich sein. Diese Dimension der Zu- schließt also auch das Recht auf Bildung ein. gänglichkeit wird von der unterschiedlichen Wort- wahl des Artikels 13 Abs. 2 in Bezug auf die Grund- und Die EMRK bildet zwar das Herzstück des europäischen Sekundarschulbildung sowie die Hochschulbildung Menschenrechtsschutzes. Der Europarat kennt darü- bestimmt: Während die Grundschulbildung „allen ber hinaus aber auch weitere Mechanismen. Für den unentgeltlich“ zugänglich sein muss, obliegt es den Zusammenhang dieser Studie relevant ist vor allem die 17
A Völkerrechtliche Grundlagen zum Recht auf Bildung und zum Schutz vor Diskriminierung 4. Das Recht auf Bildung und der Schutz vor Diskriminierung in Europa 1993 eingerichtete Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) mit Sitz in Straßburg. Die Kommission führt Besuche in den 46 Mitglieds- staaten des Europarates durch, um Diskriminierungen zu thematisieren und Vorschläge zur Lösung der auf- gezeigten Probleme zu unterbreiten. Die Ergebnisse der Besuche werden zunächst der jeweiligen Regierung zur Stellungnahme übergeben und anschließend veröffent- licht.25 Auch auf der Ebene der Europäischen Union mit ihren nunmehr 25 Mitgliedsstaaten gewinnt der Menschen- rechtsschutz zunehmend an Bedeutung. Dies signalisiert insbesondere die am 8. Dezember 2000 verabschiedete Charta der Grundrechte, die allerdings noch nicht recht- lich in Kraft getreten ist. Die Charta enthält in Artikel 14 das Recht auf Bildung. Zudem sieht sie in Artikel 21 ein gegenüber älteren Menschenrechtsdokumenten sehr viel weiter ausdifferenziertes Diskriminierungsver- bot vor, das unter den Anknüpfungsmerkmalen zum Beispiel auch genetische Merkmale, Behinderung oder sexuelle Orientierung auflistet. 25 Vgl. ECRI (1998); (2000); (2004). Einen Überblick in die Arbeit von ECRI bieten Mihr (2003); Hüfner / Reuther / Weiss (2004). 18
Bildung frei von Diskriminierung: Exklusionsrisiken und Inklusionschancen B B Bildung frei von Diskriminierung: Exklusionsrisiken und Inklusionschancen Nach der Erörterung der normativen Bestimmungen Auch die PISA-Studie, auf deren Ergebnisse im Folgen- zum Recht auf Bildung auf Ebene der Vereinten Natio- den an verschiedenen Stellen zurückgegriffen wird, setzt nen und im regionalen Menschenrechtsschutzsystem ähnliche Schwerpunkte. Diese korrelieren mit den erzie- Europas soll im Folgenden zunächst ein knapper Über- hungswissenschaftlichen Diskursen, welche die Anerken- blick über die Bildungssituation in Deutschland anhand nung der Diversität von Kindern und Jugendlichen sowie international vergleichender Daten gegeben werden. ihre unterschiedlichen (Lern-) Bedürfnisse behandeln. Hier lassen sich verschiedene, meist voneinander getrennt Das Recht auf Bildung enthält nach der Auslegung des verlaufende Diskurse differenzieren, die in jeweils eige- UN-Sozialpaktausschusses vier Strukturelemente. Dem- nen pädagogischen Reformbewegungen zu verorten nach soll das Bildungssystem die Kriterien der allgemei- sind. So thematisiert beispielsweise die interkulturelle nen Verfügbarkeit, des diskriminierungsfreien Zugangs Pädagogik Bildungschancen von Kindern und Jugend- sowie der Annehmbarkeit und Adaptierbarkeit von Bil- lichen mit Migrationshintergrund und stellt ethno- dung gewährleisten. Diese Kriterien bilden im Weiteren zentrische Sichtweisen in Frage. Die feministische oder das Analyseraster, mit dem die Bildungschancen von geschlechtersensible Pädagogik fordert Geschlechter- jungen Menschen untersucht werden, die in relativer Ar- gerechtigkeit in der Bildung ein. Die Integrationspäda- mut aufwachsen oder einen Migrationshintergrund ha- gogik plädiert dafür, dass Menschen mit sonderpäda- ben. Ebenso werden sie angewandt auf die Frage nach gogischen Förderbedarf nicht ausgesondert werden.27 den Einflüssen von Geschlechterkonstruktionen auf Bil- Ein Diskurs über eine ‚Pädagogik der Armut’ ist bis heu- dungschancen, wie auch auf die Frage nach der Umset- te nicht erwachsen, obwohl die notwendige Entkopp- zung von Bildungsrechten für Kinder und Jugendliche lung des Zusammenhangs von sozialer Herkunft und mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Schulleistung bereits seit der Bildungsexpansion der 1960er Jahre ein zentrales Ziel pädagogischer Reform- Der Fokus dieser Studie auf relative Armut, Migration, bewegungen darstellte. Geschlecht und sonderpädagogischen Förderbedarf re- sultiert zum einen aus den Empfehlungen in den Be- Eine Zusammenarbeit der unterschiedlichen pädagogi- richten der UN-Vertragsausschüsse sowie der Europäi- schen Disziplinen ist erst allmählich im Entstehen; schen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz ebenso sieht es mit der Forschung über die Mehrdimen- (ECRI). Zum anderen wurden diese vier Themen auch sionalität von Diskriminierungen und Exklusionsrisiken als Schwerpunkte eines Fachgesprächs des Deutschen aus. Hier kann ein menschenrechtsbasierter Ansatz hel- Instituts für Menschenrechte zu den Abschließenden fen, die getrennten Diskursfelder zusammen zu denken, Bemerkungen des UN-Kinderrechtsausschusses zum um den Blick auf strukturelle und miteinander ver- zweiten Staatenbericht Deutschlands im November zahnte Diskriminierungsformen zu lenken. 2004 behandelt.26 26 Deutsches Institut für Menschenrechte (2006). 27 Siehe beispielsweise Prengel (1993), Hormel und Scherr (2005) 19
B Bildung frei von Diskriminierung: Exklusionsrisiken und Inklusionschancen 1. Grunddaten zur Bildung in Deutschland im internationalen Vergleich Ausgaben für Bildung im Primar- und Sekundarbereich 1. Grunddaten zur Bildung in deutlich unter dem OECD-Mittel liegen, während der Deutschland im internationalen Vergleich Sekundarbereich II über dem OECD-Schnitt liegt.30 In Bezug auf die Schulabschlüsse zeigen die OECD Daten, Internationale Bildungsvergleichsstudien geben Aus- dass sich Deutschland auf hohem Niveau befindet: In künfte etwa über die Bildungsausgaben oder die Anzahl Deutschland besitzen 83 Prozent der Bevölkerung Abi- von Bildungsabschlüssen in einem Land. Solche Bildungs- tur oder eine abgeschlossene Berufsausbildung; das vergleichsdaten werden im Rahmen der OECD erhoben, OECD Mittel liegt bei 66 Prozent. Mit seiner langen zum Beispiel durch die Studie „Bildung auf einen Blick“, Tradition des dualen Systems der Berufsausbildung hat die TIMMS-Studie oder die bekannte Bildungsvergleichs- Deutschland im OECD-Vergleich die am besten ausge- studie PISA,28 auf die in der vorliegenden Studie wie- bildete Bevölkerung. Das Ausbildungsniveau hat sich derholt zurückgegriffen wird. Darüber hinaus gibt auch jedoch im Gegensatz zu anderen OECD-Staaten über die UNESCO jährlich einen Weltbildungsbericht, den einen längeren Zeitraum nicht nennenswert verändert, „Education For All Global Monitoring Report“ heraus, der stagniert also auf hohem Niveau. In allen OECD-Staa- allerdings keine Daten zu Deutschland enthält. ten außer Deutschland und den USA ist der Anteil der 25- bis 34-Jährigen mit einem Abschluss des Sekun- Der Anteil der privaten und öffentlichen Ausgaben am darbereichs II deutlich höher als der Anteil bei den 45- Bruttoinlandsprodukt beträgt in Deutschland 5,3 Prozent bis 54-Jährigen.31 und liegt damit unter dem OECD-Mittel von 5,8 Pro- zent. Dies verdeutlicht die OECD-Studie Bildung auf ei- Einen positiven Trend gibt es bei den Studienanfänger- nen Blick (2005), die sich auf Daten aus den Jahren quoten. Während 1998 lediglich 28 Prozent eines Alters- 2002 und 2003 bezieht.29 Dass Deutschland sich in Be- jahrgangs ein Studium aufgenommen haben, betrug zug auf die öffentlichen Ausgaben unter dem OECD- die Studienanfängerquote 2003 bereits 36 Prozent und Mittel befindet, dürfte sich in den kommenden Jahren 2004 sogar 38 Prozent. Dennoch liegt dieser Wert weit jedoch ändern, da sich die Bundesregierung Deutsch- unter dem OECD-Schnitt von 53 Prozent. Im Jahr 2003 land 2005 dafür entschieden hat, die Bundesländer beim haben erstmals mehr Frauen als Männer das Studium Ausbau des Angebots an Ganztagsunterricht und bei in Deutschland aufgenommen. Hierbei stehen 37 Pro- der Qualitätsentwicklung des Unterrichts zu unterstüt- zent an Studienanfängerinnen eines Altersjahrgangs zen. Zudem haben Bund und Länder eine Exzellenzini- 35 Prozent gleichaltrige Studenten gegenüber. Dies tiative zur Profilbildung der Universitäten beschlossen. entspricht dem Trend in den OECD-Ländern, dort begin- nen 47 Prozent der Männer und 57 Prozent der Frauen Die Bildungsausgaben je Schüler, Schülerin und Studie- ein Studium.32 rendem steigen in Deutschland – wie auch im OECD- Ländermittel – vom Primar- zum Tertiärbereich an. Auf- Weitere Grunddaten zur Bildung liefern Befunde der fällig für das deutsche Bildungssystem ist, dass die internationalen Grundschul-Leseuntersuchung (IGLU). 28 Die PISA-Studie testete 15-jährige Jugendliche auf ihre Lesekompetenz, ihre mathematische und naturwissenschaftliche Grundbildung sowie auf fächerübergreifende Kompetenzen, wie zum Beispiel ihre Vertrautheit mit Computern. Die PISA- Erhebungen werden alle drei Jahre durchgeführt. Die erste Erhebung legte im Jahr 2000 ihren Schwerpunkt auf die Lese- kompetenz von Schülerinnen und Schüler, 2003 standen die Mathematikleistungen im Mittelpunkt, im Jahr 2006 werden naturwissenschaftliche Kompetenzen abgefragt, und drei Jahre später wieder die Lesekompetenz. 29 Siehe OECD (2005), 2. 30 Im Primarbereich wurden im Jahr 2002 je Schüler und Schülerin 4.537 US-Dollar aufgewendet, was einem Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt pro Kopf von 17 Prozent entspricht und damit unter dem OECD-Mittel von 20 Prozent liegt. Im Sekun- darbereich I betragen die Ausgaben pro Schüler und Schülerin 5.667 US-Dollar, im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt pro Schulkind, sind das 21 Prozent, der OECD-Schnitt beträgt 23 Prozent. Im Sekundarbereich II, hierunter fallen die gymnasiale Oberstufe an allgemeinbildenden Gymnasien, berufliche Gymnasien, Gesamtschulen sowie Fachoberschulen, Berufsfach- schulen und die Berufsausbildung im dualen System, liegt der Anteil der Ausgaben pro Schüler, Schülerin und Auszubilden- dem am Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in Deutschland bei 9835 US-Dollar oder 37 Prozent. Das OECD-Mittel liegt mit 28 Prozent unter dem Wert. 31 ebd. 2. 32 ebd. 6. 20
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