RBS-Bulletin XXX: XXX - Management: NOT-Wendigkeit der Kooperation - Center fir Altersfroen
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
® Nummer 64 2011 3/3 RBS-Bulletin Das Luxemburger Fachblatt für Altersfragen Management: NOT-Wendigkeit der Kooperation XXX: XXX XXX: XXX Schwerpunkt Herausforderung Alter: Interviews mit den Ministern Jacobs und Di Bartolomeo Mit Seminarkalender www.rbs.lu
Besuchen Sie unsere Homepage: www.rbs.lu • Présentation du RBS – Center fir Altersfroen asbl Académie Seniors, Institut de Formation & Edition • Description des activités principales • Contacts IMPRESSUM: français RBS – Center fir Altersfroen asbl 20, rue de Contern L-5955 Itzig Redaktion: Startseite Simon Groß Jacqueline Orlewski FORTBILDUNGSINSTITUT Vibeke Walter Erscheinungsweise: SENIORENAKADEMIE Der Service RBS wurde Dreimal Anfang im Jahr, 1989 auf Initiative des Luxemburger RBS-Karte "aktiv 60+" jeweils im Januar, Familienministeriums gegründet. Mai und September Damit reagierte das Ministerium auf Wissenswertes von A bis Z die demografische Entwicklung in Informationen und Abonnement: der Bevölkerungsstruktur. Aktuelles Tel.: 36 04 78-33 Fax:auf36 Seither ist die Einrichtung 02 64 Biographiearbeit nationaler und internationaler Ebene in den Bereichen Altenhilfe DEXIA und IBAN LU08 0028 Altenarbeit tätig. Sie konzipiert und organisiert Fort- und Weiterbildungen für 1385 2640 0000 Führungskräfte und Mitarbeiter der ambulanten und stationären Altenpflege Qualitätsmanagement mit besonderem Augenmerk auf Persönlichkeitsentwicklung, gerontologi- Grafische Umsetzung: scher Fundierung und praktischer Anwendbarkeit. Initiative "Faktor Mensch" KA der Am 14. September 2010 wurde dem "RBS – Center fir Altersfroen" offiziell communications S.à r.l. Statut "utilité publique" verliehen. 50, rue des Remparts Medien-Archiv L-6477 Echternach Zur Förderung von "life-long-learning" bei Menschen, die vor ihrer Druck: Pensionierung stehen oder bereits aus dem Arbeitsleben ausgeschieden sind, RBS Shop wird ein vielfältiges Programm an Seminaren, Schulungen, Veranstaltungen FABER sowie Möglichkeiten zu einem qualifiziertem Ehrenamt angeboten. Dazu soll Bildergalerien Print services einerseits ein einfacher Zugang zu Informationen über seniorenspezifische & solutions 7, rue de Angebote ermöglicht werden. Andererseits liegt ein besonderer Augenmerk Prés, L-7561 Mersch Links auf der Unterstützung der Senioren, um am gesellschaftlichen Leben und akademischen Bildungsmöglichkeiten teilhaben zu können. Wir über uns lesen Sie mehr >
Ein fairer Blick auf die Pflege arbeiter, die verzweifelt versuchen, neben der Bewäl- tigung des Pflegealltags mit all seinem bürokratischen Aufwand ihre Kollegen dazu zu motivieren, mit ver- wirrten Menschen zu singen oder die Alltagsroutine in Frage zu stellen? Wie oft werden Mitarbeiter von Ange- hörigen dafür gelobt, dass sie einem Pflegebedürftigen Vor einigen Monaten hörte ich in einem Vortrag eine zum 100. Mal verständnisvoll erklären, dass der Sohn unglaubliche Zahl. Fünf Millionen Beschäftigte arbeiten leider wieder nicht kommen kann? Wer interessiert sich in der Pflegewirtschaft in Deutschland. Fünf Millionen. eigentlich dafür, wie vielfältig und hochwertig das für Das sind etwa fünf Mal so viele Mitarbeiter wie die Be- Senioren angebotene Programm in der Altenarbeit ist? schäftigten, die aktuell in der deutschen Automobilindu- strie arbeiten. Und in den nächsten 10 Jahren könnten Der Philosoph Richard David Precht betont in seinen noch einmal eine Million neue Arbeitsplätze geschaf- Vorträgen immer wieder, dass Menschen vor allem fen werden, wenn denn die Pflegewirtschaft nicht mit ein Gefühl für Unfairness haben und die Vorstellung anderen Branchen um die sinkende Anzahl von quali- von Fairness erst entwickeln müssen. Erlauben Sie mir fizierten Mitarbeitern konkurrieren müsste. Das würde daher – bezogen auf die Pflegewirtschaft – folgende bedeuten, dass 2020 fast jeder siebte Beschäftigte in Feststellung: Es ist unfair, dass eine der wichtigsten Deutschland in diesem Sektor arbeiten könnte. Branchen der Zukunft mit einem negativen Image in unserer Gesellschaft behaftet ist. Noch unfairer ist es, Wenn man über diese demografischen Zahlenspiele ein dass all die Empathie, die Ideale und auch der geisti- wenig nachdenkt und sie auf Luxemburger Verhältnisse ge Einsatz bei einer großen Zahl von Beschäftigten in überträgt, wundert man sich, dass die gesellschaftliche der Pflege und Altenhilfe so wenig in der Gesellschaft Bedeutung dieser „Mega-Branche“ so wenig bewusst gewürdigt werden. Entweder meiden Medien und die ist. Denn mit Pflegewirtschaft ist alles gemeint, was mit breite Öffentlichkeit dieses Thema. Oder es wird vor al- der Pflege von Menschen zu tun hat. Dabei geht es ja lem auf Kostenexplosionen und Missstände verwiesen, nicht nur um Krankenhäuser, Betten und Medikamen- wo Träger mit Pflege nur Gewinne erzielen wollen und te. Es geht um ambulante Dienste und verschiedenste niemand Zeit für die Pflegebedürftigen hat. Wohnformen, die älteren Menschen auch mit körperli- chen und seelischen Beeinträchtigungen ein selbstbe- Fair wäre es stattdessen, wenn die Pflegewirtschaft stimmtes und würdevolles Leben ermöglichen. Pflege- in ihrer zentralen Bedeutung für die Entwicklung der wirtschaft bedeutet auch, dass neue technische Hilfsmit- gesamten Gesellschaft erkannt werden würde. Diese tel und angepasste Einrichtungsgegenstände für ältere Branche darf nicht in erster Linie von Konkurrenzprin- Menschen erfunden werden. Sie regt die Erforschung zip und Gewinnmaximierung bestimmt werden, lebt von Entwicklungsprozessen im Alter an und vermittelt sie doch in hohem Maße – direkt oder indirekt – auch dieses Wissen an die Praxis. Pflegewirtschaft benötigt von öffentlichen Geldern. Um finanzierbar und ent- viele qualifizierte Fachkräfte, die neben Pflegekompeten- wicklungsfähig zu bleiben, benötigt sie ein hohes Maß zen auch fundierte gerontologische und psychogeriatri- an Vernetzung und Kooperation von (semi-)professi- sche Kenntnisse haben müssen. Und vor allem benötigt onellen und ehrenamtlichen Mitarbeitern inner- und sie eine gesicherte Finanzierung. Immerhin sind aktuell außerhalb der eigenen Struktur. Ihre Zukunft erfordert in Luxemburg allein 9000 Mitarbeiter in der Altenhilfe den Mut, flächendeckend ein kooperatives Arbeitskli- beschäftigt, und es werden noch deutlich mehr benötigt. ma zu schaffen, in dem soziale Kompetenzen auf allen Ebenen gewürdigt, gefördert und ausgebildet werden. Doch das wichtigste „Kapital“ dieser Pflegewirtschaft Eine Branche mit einem solchen Ruf (neudeutsch: mit sind Menschen, über die allerdings nur sehr wenig ge- einem solchen Qualitätslabel) müsste auch übermor- sprochen wird. Viel zu selten werden diejenigen gewür- gen um motivierten Nachwuchs nicht bangen. digt, die auch nach über 20 Jahren Altenpflege immer noch versuchen, anderen Menschen das Leben ein we- nig lebenswerter zu machen. Wer merkt schon, dass Mitarbeiterin X sich immer wieder Zeit für die junge Mit- arbeiterin Y nimmt, wenn diese das Schreien von einer Seniorin mit Demenz fast nicht mehr aushält? Und wer Simon Groß beachtet die noch immer motivierten leitenden Mit- Direktor des RBS – Center fir Altersfroen asbl 3/3 Bulletin 64 3
Mir sangen, danzen, diskutéieren Lidderbuch mat 26 bekannte Lidder opgeholl zesumme mam Camille Kerger Dëst Buch mat 2 CDen ka flott an der Altenfleeg agesat ginn, sief et allgemeng an der Animatioun oder och fir mat Gruppen Danz am Sëtzen ze maachen. D’Buch kascht 25 € 120 Säiten mat 2 CDen Noute mam Text CD (Musek an Text) Übunge fir Danz am Sëtzen mat Biller Erklärungen zum Lidd ISBN: 978-2-9198-9712-4 www.rbs.lu ✁ Bestellschäin (w.e.g. adresséieren un) Ech bestellen Exemplare(en) RBS – Center fir Altersfroen asbl vum Buch „Mir sangen, danzen, diskutéieren“. B.P. 32 L-5801 Hesperange Numm: Strooss/Uertschaft: Oder bestellt E-mail: per Telephon ënner: Datum: Ënnerschrëft: 36 04 78-33
® Inhaltsverzeichnis Schwerpunkt Die unheilvolle Angst vor Alterskrankheiten Ministerin Marie-Josée Jacobs: „Demenz muss kein Drama sein“ 6 Minister Mars Di Bartolomeo: „Was heißt schon alt sein?“ 9 Demenz: Das große Tabu 14 Eine Gaststätte zieht um: Milieugestaltung im Altenheim 18 Internat Fieldgen und CIPA Howald: Projekt Ehrenamt 21 Sabine Asgodom: Die Herzen erreicht 23 NOT-Wendigkeit kooperativen Verhaltens in sozialen Unternehmen: Soziale Kompetenzen fördern – Qualität der Altenhilfe sichern 24 Fort- und Weiterbildung Feedback 28 Veranstaltungskalender 31 Teilnahmebedingungen für Seminare 37 Foyer Ste Elisabeth Bettemburg: „Cyberstuff“ im Altersheim 40 Für Sie notiert 41 Neues Altersheim in Belval Nord: Bestandteil der Urbanisierung 45 Parkinson: Aufklärung tut Not 46 Magazin 50 3/3 Bulletin 64 5
® Schwerpunkt Herausforderung Alter Die unheilvolle Angst vor Alterskrankheiten „Demenz muss kein Drama sein“ In unserer Reihe über die Angst vor Alterskrankheiten und deren Auswir- kungen auf die Pflege befragten wir die für die Altenpolitik verantwortliche Ministerin Marie-Josée Jacobs. Seit einigen Jahren wird in den können. Man könnte fast glauben, dass Medien immer häufiger über die Krank- die verbesserte geriatrische Versorgung heit „Demenz“ berichtet. Auch bekannte und die vielfältigen Betreuungs- und Ver- Persönlichkeiten wie Inge Meysel, sorgungsstrukturen für Menschen mit Ronald Reagan oder Herbert Wehner Demenz von der breiten Bevölkerung blieben von der hirnorganischen Erkran- nicht als Entlastung wahrgenommen kung nicht verschont. Inzwischen vergeht werden. Eher im Gegenteil: Gerade weil fast kein Tag, an dem in Zeitungen, Dis- es immer mehr spezialisierte Angebote kussionsrunden und Reportagen nicht gibt, scheinen viele Menschen noch über die steigende Anzahl von Men- mehr Angst vor dieser Erkrankung zu schen mit einer Demenz berichtet wird. bekommen. Interview Die europäische Union hat diese Erkran- mit Ministerin kung sogar zu einer der zentralen Her- Wir befragten Familienministerin Marie-Josée Jacobs ausforderungen für unsere „alternde“ Marie-Josée Jacobs zu diesem Phäno- Gesellschaft erklärt, die in den nächsten men. Sie unterstützt seit vielen Jahren Jahrzehnten bewältigt werden muss. intensiv den Ausbau von ambulanten und stationären Strukturen für Menschen Doch wie geht der einzelne Mensch mit Demenz in Luxemburg. Ein besonde- mit diesen Informationen um? Fragt man res Augenmerk legt sie dabei nicht nur ältere Menschen über ihre Einstellung auf die Einrichtung geeigneter räumli- zur Demenz, hört man häufig, dass sie cher Strukturen, sondern vor allem auch lieber sterben würden als „dement“ zu auf eine umfassende Fort- und Weiterbil- sein. Der Selbstmord von Gunter Sachs dung der Pflegekräfte und der Unterstüt- belegt diese Einstellung in tragischer zung von pflegenden Angehörigen. Weise. Er war fest davon überzeugt, „Alz- heimer“ zu haben, einzig und allein, weil Sehr geehrte Frau Jacobs, er ab und an den Faden im Gespräch Sie beschäftigen sich als Familien- verloren hatte. Eine tatsächliche Dia- ministerin seit vielen Jahren mit gnose hatte es nie gegeben. Und doch der Thematik Demenz. Fürchten Sie zeigen die Reaktionen vieler Senioren, sich eigentlich selbst davor, einmal dass sie diese „Selbstdiagnose“ von Gun- an einer Demenz zu erkranken? ter Sachs und seinen daraus resultieren- Mit den von Ihnen benannten Persön- den „Freitod“ sehr gut nachvollziehen lichkeiten verdeutlichen Sie sehr gut, dass 6 3/3 Bulletin 64
ich, unabhängig davon, dass ich Familien- lien unterstützen und entlasten. Darüber ministerin bin, genauso wenig gegen eine hinaus können sie die Umsorgung und Demenzerkrankung gefeiht bin, wie jeder Pflege übernehmen, wenn dies im häusli- andere auch. Genau so beschäftigt auch chen Umfeld entweder nicht möglich ist mich der Gedanke, im späteren Alter an oder zu schwierig wird. einer Demenz zu erkranken. Wie Sie wis- sen, gibt es verschiedene Demenzerkran- Es gibt, wie Sie zu Recht erwähnen, kungen, von denen die Alzheimer Krank- in Luxemburg gut ausgestattete heit die bekannteste ist. Da keine dieser Strukturen, in denen Menschen mit Krankheiten zurzeit heilbar ist, versuche einer Demenz sehr gut betreut ich durch eine positive Lebenseinstellung werden. Das müsste doch eigentlich und -führung vorbeugend darauf einzu- viele Senioren beruhigen. Warum wirken; meine Arbeit hält mich geistig fit, betrachten Ihrer Meinung nach die ich bemühe mich körperlich aktiv zu blei- meisten Menschen Demenz trotz- ben, indem ich viele Wege zu Fuß mache dem als absolutes Horrorszenario? und ich achte auf eine möglichst ausge- Die Ursachen dafür, die Krankheit – wogene Ernährung. wie Sie es nennen – als „Horrorszenario“ Die Wahrscheinlichkeit an einer Form zu sehen, sind unabhängig von der Qua- der Demenz zu erkranken, nimmt mit lität der angebotenen Dienstleistungen. dem Alter zu, besonders deutlich Wir leben in einer Welt deren Ordnungs- geschieht dies ab dem 80. Lebensjahr. prinzipien sich in den letzten Jahren Man sollte sich vor Augen halten, dass immer mehr auf Rationalität, Effektivität sich in diesem Alter unsere körperlichen und Schnelligkeit begrenzen. Wer da und geistigen Fähigkeiten verändern, lang- nicht mithalten kann, riskiert, ausgeson- samer werden. So ist nicht jede kleine dert zu werden. Wir entlassen auch „Vergesslichkeit“ der Beginn einer Erkran- immer früher Menschen aus dem aktiven kung. Darüber hinaus wissen viele Leute Arbeitsleben in den Ruhestand. In der nicht unbedingt, dass es eine Reihe von Regel profitieren diese zwar von einer Krankheiten gibt, die ähnliche Symptome zufriedenstellenden finanziellen Absiche- hervorrufen wie eine Demenz! Dies ist rung, aber unsere Gesellschaft gesteht auch der Fall bei psychischen Erkrankun- dieser Altersgruppe keine „neue“ sozial gen und hier im Besonderen bei Depres- relevante Funktion oder Rolle zu. sionen. Deshalb kann ich alle Betroffenen Demenzerkrankungen greifen unser nur ermutigen, ihren Hausarzt aufzusu- Gehirn und damit unser logisches Denk- chen, falls sie Veränderungen an sich vermögen an. Mit dem Verlust der rationa- bemerken. Nur ein Arzt kann helfen, die len Fähigkeiten verliert der Mensch einen wirkliche Ursache der Symptome heraus- Teil von sich selbst, der aber in unserer zufinden. Gesellschaft als der Wichtigste der Person Um u.a. auch den Personen zu hel- angesehen wird. Die Fähigkeit, auf einer fen, die an einer Demenz leiden, hat die rationalen Ebene Entscheidungen zu tref- Regierung in den letzten Jahren viele fen und sich mitteilen zu können, kommt Anstrengungen unternommen. So wurde mit fortschreitender Erkrankung abhan- 1999 die Pflegeversicherung eingeführt. den. So werden die Betroffenen mit der Darüber hinaus hat das Familienministe- Zeit immer abhängiger von der Hilfe und rium den landesweiten Ausbau von Tages- den Entscheidungen anderer. stätten sowie von zusätzlichen CIPA- und Es ist das Gefühl der „Abhängigkeit“ Pflegebetten gefördert. Alle diese Maßnah- und der mögliche Verlust seiner sozialen men sollen die Betroffenen und ihre Fami- Identität, die den Menschen Angst 3/3 Bulletin 64 7
® Schwerpunkt Herausforderung Alter machen. Hier liegt daher auch Krankheit wird die Betreuung immer mehr unsere gemeinsame gesellschaft- zu einer 24/24 Stunden Aufgabe. Egal, liche Verantwortung. Wir werden wie oft die Betroffenen professionelle in den nächsten Jahren die Frage Dienste in Anspruch nehmen, so sind sie der Beteiligung der Betroffenen trotzdem die größte Zeit des Tages alleine am sozialen Leben diskutie- verantwortlich für die betroffene Person. ren müssen. Hier gibt es Da jede Demenz anders ist und sich das bereits eine Reihe an inter- Verhalten der erkrankten Person mit der essanten Initiativen im Aus- Zeit verändern kann, müssen die Angehö- land. Seit einigen Jahren för- rigen sich auch immer wieder auf neue dert so die Robert Bosch Situationen einstellen und sich den wach- Stiftung gemeinsam mit der senden Bedürfnissen der betroffenen Per- „Aktion Demenz“ das Projekt „Demenz- son stellen. π Pflege 2020 ...? freundliche Gemeinden“ in Deutschland Wir bemerken auch, dass eine Reihe und die Stiftung König Baudouin in Belgien von pflegenden Angehörigen nicht immer eine Reihe von Pilotprojekten. alle Angebote kennen bzw. auch manch- mal zögern, diese in Anspruch zu nehmen. In den letzten Jahren haben Sie die Besonders nach einer Erstdiagnose wissen ambulante Hilfe, Beratungsangebote Familienmitglieder nicht unbedingt, an wen für Angehörige und verschiedene sie sich wenden sollen. Zurzeit stellen wir neue Wohnformen ausbauen lassen. daher Überlegungen an, den betroffenen Dadurch können auch Menschen mit Familien zukünftig eine zentrale Anlauf- einer Demenz deutlich länger zu stelle anzubieten, wo sie sich umfangreich Hause wohnen. Trotzdem fühlen sich informieren können und bei der Wahl der pflegende Angehörige oft allein passenden Hilfsangebote beraten werden. gelassen und unverstanden. Wie erklären Sie sich das? Seit einigen Jahren wird sehr viel Meinem Ermessen nach gibt es ver- mehr über Demenz in den Medien schiedene Erklärungen, die in den einzel- berichtet. Betrachtet man allerdings nen Lebenssituationen unterschiedlich die aktuellen Statistiken, wird deut- zusammenkommen. Regelmäßig berichten lich, dass der Anteil der Menschen Angehörige, dass sich Menschen aus ihrem mit Demenz in Luxemburg nicht sozialen Umfeld, Freunde und Kollegen schlagartig angestiegen ist. Wie zurückgezogen haben, als diese von der erklären Sie sich den „Medienrum- Krankheit des Betroffenen erfuhren. Der mel“ um diese Erkrankung? Hauptgrund ist, dass viele diese Krankhei- Unsere europäischen Gesellschaften ten und ihre Symptome nicht kennen, viel- veraltern und da Demenzerkrankungen im leicht selber Angst davor haben und nicht Alter zunehmen, sind immer mehr Familien wissen, wie sie auf die Person reagieren davon betroffen – auch wenn die Statistiken bzw. mit ihr umgehen sollen. Aus Angst für Luxemburg jetzt keinen schlagartigen möglicherweise das Falsche zu sagen oder Anstieg aufweisen. Demenzerkrankungen zu tun, ziehen sie sich zurück. sind in den letzten Jahren zu einem gesell- Darüber hinaus muss man wissen, schaftlich relevanten Thema geworden. Wie dass das Versorgen einer an Demenz bei all diesen Themen gibt es reißerische erkrankten Person für die Angehörigen Berichte über tragische Ereignisse, es gibt eine große Herausforderung, sowohl auf aber auch sehr engagierte Reportagen, die physischer als auch auf psychischer aufmerksam machen, sensibilisieren und Ebene darstellt. Mit der Evolution der aufklären wollen. 8 3/3 Bulletin 64
Welche Vorteile sehen Sie darin, dass haben müssen, ausgegrenzt zu werden. heute so häufig und ausführlich über Es ist wichtig, dass wir die Komplexität das Thema Demenz berichtet wird? dieser Erkrankungen aufzeigen und darauf Eine verständliche und objektive aufmerksam machen, dass die Betroffe- Berichterstattung hilft bei der Enttabuisie- nen noch sehr viele Ressourcen und rung der Krankheit. Wir müssen aufklären, Kompetenzen haben und sich dank klei- damit weder Betroffene noch Familienan- ner Hilfestellungen noch am sozialen gehörige sich dessen schämen oder Angst Leben beteiligen können. „Was heißt schon alt sein?“ In unserer Reihe über die Angst vor Alterskrankheiten und deren Auswirkun- gen auf die Pflege nimmt diesmal ebenfalls der für die Gesundheitspolitik verantwortliche Minister Mars Di Bartolomeo Stellung. Wenn in den Medien über Alter Lebensalter bei akzeptablem Gesund- berichtet wird, lassen sich zwei Tenden- heitszustand erreichen, scheint nicht zen beobachten. Zum einen geht es spektakulär genug zu sein, dass Medien sehr häufig um Hochbetagte, die noch darüber berichten. Ebenso wird bei der mit 90 oder 100 Jahren außergewöhnli- Beschreibung von Krankheiten, die im che Leistungen erbringen. Man denke Alter auftreten können, häufig unter- nur an den Luxemburger ING – Mara- schlagen, dass diese oft gar nicht vom thon, an dem der mittlerweile 100-Jäh- Kalenderalter, sondern von der Lebens- rige Fauja Singh aus Großbritannien teil- führung abhängen. So wird zum Beispiel genommen hat. Zum anderen wird aber selten darüber berichtet, dass Arbeitslo- auch sehr häufig darüber berichtet, dass sigkeit und der daraus resultierende man im Alter an Alzheimer, Demenz, gesellschaftliche Ausschluss bei jüngeren Interview Depression, Inkontinenz etc. erkranken Menschen ähnliche psychische Probleme mit Minister kann. Dabei wird in Statistiken häufig hervorrufen kann wie ein passives, iso- Mars Di Bartolomeo erwähnt, wie unglaublich hoch der liertes Leben bei älteren Menschen. Anteil von Menschen im hohen Alter ist, die an einer dieser Krankheiten leiden. Doch was bedeutet diese polarisie- Seltener wird darauf verwiesen, wie rende und undifferenzierte Darstellung hoch der Anteil der älteren Menschen von Alter und den sogenannten Alters- ist, die trotz ihres Alters vollständig krankheiten für den Einzelnen? Manche selbstständig leben und auch trotz klei- Senioren fühlen sich in der Zwischenzeit ner Einschränkungen zufrieden und unter einem regelrechten „Aktivitäts- weitgehend gesund altern. druck“ und glauben, dass sie mit Gewalt außergewöhnliche Leistungen erbringen Die Tatsache, dass niemals zuvor in müssen. Andere ältere Menschen wiede- der Geschichte der Menschheit, so viele rum fürchten sich davor, dass die kleins- „ganz normale“ Senioren ein hohes ten Anzeichen von körperlicher oder 3/3 Bulletin 64 9
® Schwerpunkt Herausforderung Alter geistiger Beeinträchtigung schon auf eine Europaweite Studien bestätigen, schlimme „Alterskrankheit“ hinweisen dass Senioren in Luxemburg beson- könnten. Wir befragten Gesundheitsmi- ders glücklich sind, aber eben auch nister Mars Di Bartolomeo zu dieser The- sehr viel Medikamente nehmen. Wie matik, der sich seit vielen Jahren mit der erklären Sie sich dieses Phänomen? Gesundheit in jedem Alter beschäftigt. Die „Ageing Well“ Studie, die 2003 Für ihn ist es wichtig, nicht nur die abgeschlossen wurde, zeigte in der Tat adäquate Behandlung von Krankheiten auf, dass in Luxemburg vor allem die zu gewährleisten, sondern auch der akti- finanzielle Absicherung, ein guter gesund- ven Gesundheitsförderung und Selbst- heitlicher Befund und die Häufigkeit von verantwortung des Einzelnen einen Aktivitäten einen wesentlichen Einfluss höheren Stellenwert in unserer Gesell- auf die individuelle Lebenszufriedenheit schaft einzuräumen. haben. Mit dem Alter nimmt die Zahl gleich- Sehr geehrter Herr Bartolomeo, zeitig bestehender Erkrankungen zu. Sie beschäftigen sich als Gesund- Diese Multimorbidität trägt dazu bei, dass heitsminister seit vielen Jahren mit die Zahl der gleichzeitig verordneten dem Thema Krankheit und den Medikamente ebenfalls ansteigt. Doch sogenannten Alterskrankheiten. bei zunehmender Anzahl von Arzneien Haben Sie als sogenannter „silver sind die Wechselwirkungen nur schwer ager“ manchmal Angst, dass Sie abzuschätzen. Ärzten nach besteht das bald krank werden könnten? Problem, dass die Wirkung vieler Medika- Krankheit kann natürlich nie ausge- mente häufig nicht an alten Menschen schlossen werden, doch gebe ich mir getestet wird. Das ist ein sehr ungünstiger Mühe, vorzubeugen und einen „gesun- Umstand, da der Organismus sich mit den“ Lebensstil zu führen. Dazu gehören zunehmendem Alter ändert. regelmäßiges Training im Fitnesscenter Es werden zu viele Medikamente zu und Radfahren ebenso wie der Verzicht leicht nachgefragt, verschrieben und auf das Rauchen, das ich bei Antritt mei- geschluckt. Dies ist eine besorgniserre- nes Amtes aufgegeben habe. Ich finde gende Lage. In vielen Fällen werden eigentlich, dass mein jeweiliges Alter das Medikamente nicht nur während der beste Alter ist. Behandlung selbst eingenommen, son- Die Medizin hat extreme Fortschritte dern auch lange darüber hinaus. Die Min- in der Behandlung von Alterskrankheiten dermedikation ist ein Phänomen, das zu verbuchen. Zudem ist es ein beruhi- weniger bekannt ist, das man aber auch gendes Gefühl, sich im Falle von Krank- nicht unterschätzen sollte. Ausländische heit auf ein vorbildliches Gesundheits- Studien belegen, dass bei mehr als 40% und Sozialversicherungssystem stützen zu der über 65-Jährigen Patienten eine können. Über- oder Mindermedikation vorliegt. Aber Vorbeugen bleibt die beste Die Kommunikation zwischen Arzt und Medizin. Was nicht kaputt geht, braucht Patient ist sehr wichtig, da es den Patien- man nicht zu reparieren. ten sehr oft nicht bewusst ist, was sie genau einnehmen. Die mit der Gesund- heitsreform vorgesehene Einführung des Hausarztmodells (médecin référent) ab dem 1. Januar 2012 sowie des Patien- tendossiers können dieser Problematik positiv entgegenwirken. 10 3/3 Bulletin 64
Grundlegend wird neben der Behandlung von Krankheiten der aktiven Förderung der eigenen Gesundheit und der Prävention eine immer größere Bedeutung zugeschrieben. Wie kann man Ihrer Meinung nach diese Ansätze in der Gesundheitspolitik für Menschen im Alter sinnvoll miteinander verbinden? Möglichst gesund und kompetent alt zu werden, ist nur erreichbar, wenn Prä- vention, Vorsorge und gesundheitsför- dernde Maßnahmen erweitert werden. Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, π Beteiligung 2020 ...? Mit zunehmender Lebenserwartung wie müsste Ihrer Meinung nach in wächst diese Herausforderung an die den Medien über Alterskrankheiten Gesundheitspolitik. berichtet werden? Viele Krankheiten, die im Alter auftre- Die Darstellung der Älteren muss die ten, sind keine Alterskrankheiten. Neh- reale Vielfalt des Alterns wiedergeben. Das men wir als Beispiel Herz-Kreislauf- vermittelte Altersbild darf ältere Menschen Erkrankungen, Gelenkprobleme, nicht einseitig als hilfsbedürftig, kränklich verschiedene Formen von Diabetes, etc. oder passiv abstempeln. Es muss verhin- Der Lebensstil in jüngeren Jahren kann in dert werden, dass solche negativen Alters- hohem Maß dazu beitragen, diesen bilder die älteren Mitmenschen möglicher- Krankheiten vorzubeugen. Prävention weise in Außenseiterrollen drängen. Ältere sollte man demnach früh genug anset- Menschen sollten in Fernsehsendungen zen. Die Förderung der eigenen Gesund- nicht weiterhin unterrepräsentiert sein. heit sollte schon in Kindheit und Jugend Das Fremdbild beeinflusst das Selbst- beginnen. bild. Deshalb ist es sehr wichtig, dass die Studien haben nachgewiesen, dass Medien neben den Defiziten auch auf die regelmäßige körperliche Aktivität den möglichen Ressourcen und die verblei- Gesundheitszustand auch noch im höhe- benden Kompetenzen eingehen. ren Alter erfolgreich beeinflussen kann. Außerdem können Präventionsmaß- Körperliche Aktivität wirkt sich positiv nahmen nur dann greifen, wenn realisti- auf die Gedächtnisleistungen aus. Zudem sche und positiv nuancierte Altersbilder trägt sie auch zur Verringerung von mit dazu beitragen, ein gesundheitsför- Depressionen und Angstzuständen bei. derndes Verhalten anzuregen. Negative Ebenso müssen Angebote zur sozialen Altersbilder können indessen das Gegen- Aktivität bestehen, da sie zum seelischen teil bewirken. Der ältere Mensch wird sich Wohlbefinden beitragen. Der Prävention nur dann um die aktive Förderung der und der Gesundheitsförderung geht es eigenen Gesundheit bemühen, wenn er um die Erhaltung von Gesundheit und davon überzeugt ist, dass eine positive Lebensqualität älterer Menschen und Veränderbarkeit seines Gesundheitszu- zugleich ihrer Angehörigen. Es muss zur standes erreicht werden kann. Auch wenn Zukunft unserer Gesellschaft gehören, gegebenenfalls schon Alterskrankheiten zu gesünder und aktiver zu altern. verzeichnen sind. Außerdem, was heißt schon „alt sein“? Das hat wenig mit der Jahreszahl zu tun. 3/3 Bulletin 64 11
® Schwerpunkt Herausforderung Alter Seit einigen Jahren wird überall tungen für ältere Menschen erreicht. Mit darauf hingewiesen, dass insbeson- Einführung der Pflegeversicherung wurde dere Demenz, aber auch Depressio- zudem die Möglichkeit des Alterns zu nen im Alter sehr häufig auftreten. Hause unterstützt und das Angebot von Zahlen wir also den Preis für ein ambulanten Pflegeleistungen hat die Vor- längeres Leben mit mehr psychoger- aussetzungen dazu geschaffen. Der Eintritt iatrischen Alterskrankheiten? in eine Pflegeeinrichtung erfolgt später Die durchschnittliche Lebenserwartung und dort liegt das Durchschnittsalter hat sich in den letzten hundert Jahren fast wesentlich höher als jenes der Pflegebe- verdoppelt. In den letzten Jahrzehnten ist dürftigen, die zu Hause gepflegt werden. jedoch nicht nur die Lebenserwartung Die entsprechenden Rahmenbedin- gestiegen. Auch die Lebensqualität der gungen, diese hohen Standards aufrecht älteren Menschen wurde wesentlich ver- zu erhalten, müssen weiterhin ermöglicht bessert. Die heute 70-Jährigen sind kör- werden. In einer künftigen Gesellschaft perlich und geistig ebenso fit wie die wird der gerontologische Sektor der 60-Jährigen vor 30 Jahren. Das gesund- Dienstleistungen einen großen Stellenwert heitliche Befinden älterer Menschen ist einnehmen. heute besser als jenes vergleichbarer Dass die Menschen zunehmend län- Altersgruppen in der Vergangenheit. Wir ger leben, ist eine Tatsache. Entscheidend dürfen nicht außer Acht lassen, dass wir in ist indessen, was die Gesellschaft daraus den letzten Jahren zunehmend länger macht, um die Erhaltung der menschli- gesund bleiben und ein selbstständiges chen Würde in den späten Jahren des Leben führen können. Lebens zu gewährleisten. Allerdings ist nicht zu leugnen, dass die Die Zukunft des vierten Alters bedeutet Wahrscheinlichkeit, krank zu werden, sich eine Herausforderung für die Alternsfor- mit steigendem Lebensalter erhöht. schung, die Gesellschaft, die Gesundheits- Jedoch treten chronische Beschwerden und Sozialpolitik. Und zu guter Letzt: und ernsthafte Krankheiten erst in einem Hören wir doch auf, ständig darüber zu weiter fortgeschrittenen Lebensalter auf. lamentieren, dass wir älter werden und Luxemburg hat mittlerweile einen sehen wir doch endlich auch das Positive hohen Standard im Bereich der Dienstleis- an dieser Entwicklung! ANKÜNDIGUNG SCHON MAL VORMERKEN! TAG DER PFLEGE 2011 Am 25. Oktober 2011 veranstaltet die Caritas Trier gemeinsam mit dem RBS – Center fir Altersfroen den alljährlich stattfindenden Tag der Pflege in der Europahalle Trier. Zu diesem Anlass konnten wir die Pflegewissenschaftlerin und Begründerin des mäeutischen Pflegemodells, Cora van der Kooij,, als Rednerin gewinnen. Sie wird einen Vortrag mit dem Titel „Chancen und Grenzen der Kooij Biografiearbeit mit älteren Menschen“ halten. Das detaillierte Programm mit Anmeldeformular finden Sie in den nächsten Wochen auf unserer Interseite www.rbs.lu unter der Rubrik „Aktuelles“. 12 3/3 Bulletin 64
KURSE für Angehörige von Pflegebedürftigen – 2. Semester 2011 Im Herbst 2011 werden wieder vom „Berodungsdéngscht“ der Stiftung Hëllef Doheem verschiedene Kurse angebo- ten, um Angehörige von pflegebedürftigen Personen in ihrer täglichen Arbeit zu unterstützen. Die Angehörigen erhalten nicht nur Hilfe und Unterstützung bei körperlicher, sondern auch bei seelischer Belastung. Neben Beratung und praktischen Übungen ist der Erfahrungsaustausch mit anderen Betroffenen ein wichtiger Bestandteil der Kurse. ® Kursreihe zum Thema Demenz Angesichts des zunehmenden Alterns der Bevölkerung erhöht sich auch die Häufigkeit der Demenzerkrankungen. Die Krankheit hat beachtliche Auswirkungen sowohl auf den an Demenz Erkrankten selbst, als auch auf dessen gesamtes Umfeld. Für die Kursteilnehmer bietet sich die Gelegenheit einer professionellen Beratung, die mit praktischen Übungen untermauert wird sowie einem allgemeinen Erfahrungsaustausch. Erster Kurs: Was ist eine Demenz? Welche Veränderungen bringt eine solche Erkrankung mit sich? Wie kann ich mir das Leben mit einer an Demenz erkrankten Person erleichtern? Vor einem allgemeinen theoretischen Hintergrund werden in diesem Kurs praktische, alltagsrelevante Themen besprochen. Zweiter Kurs: Lebensraum für Menschen mit Demenz optimieren; Gestaltung der häuslichen Umgebung und Unterstützung zur besseren Bewältigung des Alltags. Dritter Kurs: Ernährung für Menschen mit Demenz. Die Ernährung von Menschen mit Demenz kann durch viele Ursachen erschwert werden: Appetitmangel, Dehydratation, Ablenkung während dem Essen, Verlernen des Umgangs mit dem Besteck, Kau- und Schluckbeschwerden… Die Kursreihe zum Thema Demenz wird in Zusammenarbeit mit den Gemeinden Hupperdange und Wasserbillig angeboten: In Hupperdange: In Wasserbillig: Erster Kurs: 11.10.2011 (19.00-21.00 Uhr) Erster Kurs: 13.10.2011 (19.00-21.00 Uhr) Zweiter Kurs: 18.10.2011 (19.00-21.00 Uhr) Zweiter Kurs: 20.10.2011 (19.00-21.00 Uhr) Dritter Kurs: 25.10.2011 (19.00-21.00 Uhr) Dritter Kurs: 27.10.2011 (19.00-21.00 Uhr) Anmeldung: Tel. 99 82 36 Anmeldung: Tel. 74 87 21 22 oder Tel. 74 87 21 23 Kurse in Zusammenarbeit mit der Gemeinde Bettembourg ® Der Umgang mit Stress Bettembourg: 09.11.2011 (18.30–20.30 Uhr) ® Depressive Verstimmungen Bettembourg: 14.12.2011 (18.30–20.30 Uhr), Anmeldung: Tel. 51 80 80 237 (vormittags) ® Gesunde Ernährung im Alltag Eine bedarfsgerechte und ausgewogene Ernährung fördert das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit. Das Immunsystem wird gestärkt und die ernährungsbedingten Erkrankungen können vermieden werden. Kurs am 20.10.2011 (15.00-16.30 Uhr) in ESCHDORF, Anmeldung: Tel. 26 88 81 ® Fit bis ins hohe Alter – Ernährung im Alter Ziel dieses Kurses ist es, Ihnen Ernährungstipps zu geben damit Sie bei guter Gesundheit bleiben und Sie sich besser vor verschiedenen Krankheiten (Osteoporose, Herzkrankheiten...) schützen können. Kurs am 22.11.2011 (15.00-16.30 Uhr) in ESCHDORF, Anmeldung: Tel. 26 88 81 ® Diäten und gesunde Ernährung Die meisten Diäten versprechen viel und halten wenig. Das Angebot an Diäten ist schwer überschaubar und nicht alle Diäten sind zu empfehlen. Wie kann man nicht nur vorübergehend abnehmen, sondern das Gewicht auch auf Dauer halten und fit bleiben? Kurs am 23.11.2011 (15.00-16.00 Uhr) in LUXEMBURG-STADT, Anmeldung: Tel. 26 02 10-1 Kurse in luxemburgischer Sprache. Auf Anfrage kann ein Kurs in einer anderen Sprache gehalten werden. Cours en langue luxembourgeoise. Sur demande, un cours peut être tenu dans une autre langue. EINSCHREIBUNGEN UND WEITERE INFORMATIONEN ZU DEN KURSEN: Activités Spécialisées – „Berodungsdéngscht“ 306, rue de Rollingergrund . L-2441 Luxemburg . Tél: 26 02 10 – 201
® Gerontologie & Geriatrie Leben mit Demenz © GordonGrand – Fotolia.com Demenz: Das große Tabu Von Vibeke Walter ® Kaum eine Krankheit wird derzeit in den Medien so oft thematisiert wie Demenz. Kein Wunder, ist doch mittlerweile etwas mehr als ein Prozent der Gesamtbevölkerung aller europäischen Länder davon betroffen. Gleichzeitig ist eine offene Auseinandersetzung damit immer noch tabu. Wie erleben die Erkrankten und ihre Angehörigen diese paradoxe Situation? Als Marianne Mullers* Mutter im Alter Angewohnheit, die Tischdekorationen von 74 Jahren an Demenz erkrankte, war einzupacken. Auch ihre Freundinnen die Diagnose für die Familie ein Schock. kamen damit nicht zurecht. Es war wie Mindestens genauso schockierend waren ein Makel“, erinnert sich Marianne Muller allerdings die Reaktionen von Bekannten, immer noch sichtlich getroffen. Nachbarn oder entfernteren Familienmit- Gerade in der schwierigen Situation gliedern: „Viele haben sich zurückgezo- als pflegende Angehörige, in der man viel gen und waren genervt, wenn wir über Unterstützung gebraucht hätte, sei die die Erkrankung sprechen wollten. Unsere plötzliche soziale Isolation eine zusätzli- Ängste wurden nicht ernstgenommen che Belastung gewesen. „Das tat sehr oder abgetan, nach dem Motto, wir soll- weh. Genau wie die Äußerungen, man ten uns doch nicht so anstellen. Manche bräuchte die Mutter nicht mehr zu besu- Nachbarn grüßten uns nicht mehr, und chen, sie würde einen doch ohnehin wir wurden aufgefordert, nicht mehr nicht mehr erkennen. Dabei hätte sie ihr gemeinsam mit unserer Mutter bei Feiern Gegenüber vielleicht noch am Klang der zu erscheinen, da sie ja alles durcheinan- Stimme einordnen können, oder man * Name von der Redaktion geändert der bringen würde. Sie hatte nämlich die hätte gemeinsam Bilder von früher 14 3/3 Bulletin 64
anschauen und darüber reden können“, Cactus Inn. „Es ist gar nicht so schlecht, so Marianne Muller. Beklagt hat sich ihre dass wir ein bisschen abseits liegen, weil Mutter über das Unverständnis ihrer sich unsere Besucher so vor neugierigen Umgebung nie. Aber ängstlich sei sie Blicken geschützt fühlen. Der Nachteil ist geworden, sie habe nicht mehr viel natürlich, dass wir leicht übersehen wer- gesprochen und sich zurückgezogen, den können“, erklärt Alain Tapp, Erzieher besonders dann, wenn sie, wie in einem und seit Gründungsbeginn vor über 20 Pflegeheim der Fall, von Mitarbeitern aus- Jahren bei der ALA tätig. Er hat festge- geschimpft wurde, weil sie mal wieder stellt, dass sich inzwischen immer mehr etwas umgestoßen oder verschüttet Erkrankte selbst melden, was vor einigen hatte. „‘Ech weess net, wat dat gëtt‘, hat Jahren noch eher die Ausnahme war: sie immer gesagt, diese Unsicherheit, was „Das ist für uns auch eine neue Heraus- mit ihr passiert, war wohl ihre größte forderung, weil diese Menschen eigent- Sorge. Wie sie die Krankheit verarbeitet lich eine besondere Plattform brauchen. hat, wissen wir bis heute nicht so genau“, Gerade zu Anfang der Erkrankung wollen sagt Marianne Muller. sie noch viele Dinge eigenständig regeln Obwohl ihre Mutter vor zwei Jahren und brauchen Unterstützung bei der Ent- gestorben ist, besucht Marianne Muller scheidung, wie sie ihr Leben weiterführen nach wie vor das Alzheimer Café**, das wollen. Besonders von Krankheitsbildern von der „Association Luxembourg Alzhei- wie Korsakow oder einer frontotempora- ** Die „Association mer“ (ALA) regelmäßig für Betroffene len Demenz sind oft verhältnismäßig Luxembourg Alzheimer“ und deren Angehörige organisiert wird. junge Menschen zwischen Ende 40 und (ALA) organisiert jeden Sie fühlt sich den anderen Gästen aus 60 Jahren betroffen, die zum Teil sogar ersten Mittwoch im Monat eigener Erfahrung verbunden und noch im Arbeitsleben stehen.“ (siehe von 16 bis 19 Uhr das „Alzheimer Café“ im möchte ihnen durch ihre Präsenz zeigen, auch Erklärung auf Seite 17) Restaurant Cactus Inn in der dass sie nicht allein sind. Wie der jungen Alain Tapp hat unterschiedliche Reak- Belle Etoile in Bartringen; Frau, deren Schwiegermutter an Demenz tionsformen bei den Betroffenen und an jedem dritten Mittwoch erkrankt ist: „Unser Leben ist völlig auf ihren Angehörigen ausgemacht. Sie rei- im Monat findet es von den Kopf gestellt. Man kann nicht mehr chen von völligem Rückzug aus dem 16 bis 20.30 Uhr im Wohn- abschalten und es fällt einem schwer, gesellschaftlichen Leben und dem und Pflegeheim „Beim etwas für sich selbst zu tun, obwohl Wunsch, andere nicht belasten zu wollen, Goldknapp“ in Erpeldingen einem immer wieder dazu geraten wird. bis zu einem offenen Umgang mit dem statt. Ich fühle mich oft so erschöpft, weil man Bedürfnis, andere über die Krankheit zu Weitere Infos auf ständig mit der ganzen Familie verhan- informieren und um Verständnis zu bit- www.alzheimer.lu, deln muss, wie es mit dem betroffenen ten. „Hiervon fühlen sich allerdings viele unter Tel. 42 16 76 1 Menschen weitergehen soll.“ Nicht-Betroffene oft so verunsichert, dass oder der Helpline SOS Mit dem „Alzheimer Café“ sollte sie den Kontakt vermeiden oder ganz Alzheimer 24/24 Stunden ergänzend zu den bereits bestehenden abbrechen. Auch wenn sich in den letz- Tel. 26 432 432. 432 . Gesprächsgruppen ein offenes Forum ten 20 Jahren schon vieles verändert hat, Informationen auch unter geschaffen werden, um eine möglichst ist die Diagnose Demenz immer noch ein www.deutsche-alzheimer.de breite Öffentlichkeit zu erreichen. Tabu und für die Betroffenen schwierig“, Zunächst wurde es im auf Demenzkranke bedauert Alain Tapp. spezialisierten Wohn- und Pflegeheim Christine Mitchel und ihr Mann Pete, „Beim Goldknapp“ der ALA in Erpeldin- bei dem im vergangenen Jahr im Alter gen angeboten, seit Oktober vergange- von 63 Jahren die Diagnose Alzheimer nen Jahres auch im Einkaufszentrum gestellt wurde, haben die Krankheit von Belle Etoile. Dort allerdings etwas ver- Anfang an nicht verheimlicht. Das engli- steckt im hinteren Teil des Restaurants sche Ehepaar, das seit vielen Jahren im 3/3 Bulletin 64 15
® Gerontologie & Geriatrie Leben mit Demenz Großherzogtum lebt, hat noch keine Auswirkungen seiner Demenzerkrankung. negativen Erfahrungen gemacht. „Mein Die Angst, schleichend, aber unaufhalt- Mann geht sehr offen damit um und in sam die Kontrolle über sein Leben und unserem Freundeskreis ist es bislang kein sein bewusstes Denkvermögen zu verlie- Problem. Man akzeptiert ihn mit seiner ren, ist tief und für Nicht-Betroffene kaum Erkrankung. Er galt immer schon als ein nachzuvollziehen. bisschen verrückt“, erzählt Christine Mit- „Das langsame Verschwinden ist eine chel lächelnd. „Wir kommen gerne ins Realität. Man bewegt sich Richtung Zitat einer Betroffenen aus Alzheimer Café, vor allem auch, um mehr Nichts“, sagt der amerikanische Psycho- dem deutschen über die Krankheit zu erfahren. Wir wis- loge und Dozent Richard Taylor (62) Modellprojekt sen noch so wenig darüber.“ An diesem über seine vor vier Jahren diagnostizierte „Verbesserung der Nachmittag ist erstmals auch ihr Sohn Alzheimer-Erkrankung. In seiner Autobio- Versorgung demenzkranker dabei, den es freut, seinen Vater von graphie „Alzheimer und Ich – Leben mit älterer Menschen im einer anderen Seite zu erleben: „Hier Dr. Alzheimer im Kopf“ sowie Vorträgen Krankenhaus“: spricht er über seine Krankheit, das tut er und Interviews fordert Taylor vehement zu Hause nie.“ Pete Mitchel beteiligt sich einen anderen Umgang. Wie viele andere rege an der Diskussion auf französisch, Erkrankte auch, die zunehmend an die macht Witze über sich und seine Krank- Öffentlichkeit gehen, will Taylor sich nicht heit und versucht, auch die anderen Teil- mundtot machen lassen: „Demente brau- nehmer ins Gespräch einzubeziehen. chen ein soziales Netzwerk, das Betrof- „Wenn in Brüssel Tests für neue Medika- fene nicht entmündigt, sondern befähigt mente gemacht werden sollten, würde – ihnen hilft, das zu tun, was sie tun ich mich sofort melden. Man muss doch möchten.“ Was sie dagegen nicht brau- alles versuchen, um ein Mittel gegen die chen, seien „wohlmeinende Menschen, Krankheit zu finden“, so seine Hoffnung. die ständig nach unseren Fehlern Aus- So gesellig ihr Mann in der Runde auch schau halten“. (Frankfurter Rundschau wirkt, Christine Mitchel kennt ihn auch Mai 2011). anders: „Es gibt immer Höhen und Tie- Im Ausland gibt es inzwischen Initiati- fen. Wenn ich tagsüber bei der Arbeit bin, ven, in der Menschen mit Demenz ihre schläft er eigentlich die meiste Zeit. Frage Anliegen selbst thematisieren. So gibt es ich ihn, ob er etwas gegessen oder seine beim Bürgerinstitut Frankfurt eine unter- Medikamente genommen hat, sagt er stützte Selbsthilfegruppe für Menschen immer ja, aber das stimmt oft nicht. Da mit beginnender Demenz, wo diese die darf man sich nicht abwimmeln lassen, Inhalte der Treffen jeweils nach ihren man muss ihn einfach an alles erinnern. Wünschen gestalten. Externe fachliche Das sage ich auch den Kindern, wenn sie Unterstützung gibt es lediglich bei der sich um ihn kümmern.“ Moderation und Organisation der Treffen. Für die Angehörigen ist es oft schwer, Ähnliche Angebote gibt es auch von eine Balance zwischen angemessener der Münchner Alzheimer Gesellschaft. Begleitung und nicht allzu viel Bevormun- Vor allem im Anfangsstadium versuchen dung zu finden. Was tun, wenn der Part- viele Betroffene so weit wie möglich, ihr ner oder der Elternteil sich plötzlich völlig Leben autonom weiterzuführen und sich ungewohnt verhält, sich nicht mehr nicht ins gesellschaftliche Abseits schie- zurechtfindet oder sich sprachlich nicht ben zu lassen. Alain Tapp weiß aus Erfah- mehr zu artikulieren vermag? Wenn ein rung, was Menschen mit Demenz und geliebter Mensch das gemeinsame Leben ihre Angehörigen zunächst ganz konkret nicht mehr teilen kann? „Meine Welt zer- beschäftigt: Wie geht es weiter? Was fließt mir“, beschreibt ein Betroffener die geschieht mit mir? Werde ich zu einer 16 3/3 Bulletin 64
Belastung für mein Umfeld? Wie lange Für die Zukunft wünscht sich Alain lebe ich noch? Eine allgemeingültige Ant- Tapp vor allem einen Durchbruch in den wort oder gar Trost kann allerdings auch Behandlungsmöglichkeiten der Krankheit er nicht geben: „Wir können den Betroffe- sowie spezifische Betreuungs- und Pfle- nen nicht sagen, alles wird gut. Es gibt gestrukturen für jüngere Betroffene. Und auch keinen Fahrplan für die Krankheit, natürlich mehr „Offenheit und Normalität sie verläuft bei jedem Mensch individuell im Umgang mit Menschen mit Demenz“. anders. Wichtig ist es, gezielte Informatio- Eine Auffassung, die aus aktuellem Anlass nen zu vermitteln sowie die verbliebenen auch von der Deutschen Alzheimer Ressourcen zu erkennen und zu unter- Gesellschaft geteilt wird. Sie erklärte nach stützen. Es gibt inzwischen viele thera- dem Selbstmord des prominenten deut- peutische, aber auch medikamentöse schen Geschäftsmanns Gunter Sachs: Ansätze, durch die sich die Lebensquali- „Der Tod von Gunter Sachs zeigt uns π „Wir können den tät aufrecht erhalten bzw. erhöhen lässt. auch, dass wir noch viel tun müssen, um Betroffenen nicht sagen, Angehörige sollten außerdem unbedingt das Tabu dieser Erkrankung aufzubrechen alles wird gut. Es gibt auch Hilfe in Anspruch nehmen und sich nicht und die Versorgung so zu gestalten, dass keinen Fahrplan für die selbst überfordern.“ die Menschen keine Angst haben müs- Krankheit, sie verläuft bei Unerlässlich sei bei Verdacht auf sen, in eine Pflegesituation und damit in jedem Mensch individuell Demenz in jedem Fall der Gang zum Abhängigkeit von Anderen zu geraten.“ anders“ Alain Tapp Spezialisten, sprich Neurologe oder Ger- Sachs hatte sich im Mai das Leben (Association Luxembourg iater, um eine genaue Diagnose zu genommen, offenbar aus Angst vor der Alzheimer) erhalten. Neben Fachärzten leisten dies „ausweglosen Krankheit A.“, die er in sei- auch Anlaufstellen wie zum Beispiel die nem Abschiedsbrief noch nicht einmal „Memory Clinic“ in der hauptstädtischen beim Namen nennen wollte. So groß ist Zitha-Klinik. das Tabu Demenz – immer noch. WAS BEDEUTET DEMENZ? Demenz ist der Oberbegriff für Krankheitsbilder, die durch Gedächtnis- störungen, Einbußen im Bereich der Sprachfähigkeit, der Orientierung sowie dem Verknüpfen von Denkinhalten gekennzeichnet sind. Zu die- sen Krankheitsbildern gehört als Unterform die Alzheimer-Demenz, die die häufigste Form einer Demenz darstellt, sowie z.B. die vaskuläre und die frontotemporale Demenz (auch Morbus Pick, Schädigung der Ner- venzellen im Stirn- oder Schläfenlappen des Gehirns, die vor allem eine starke Veränderung der Persönlichkeit bewirkt) sowie das Korsa- kow-Syndrom (häufig durch exzessiven Alkoholkonsum oder Schädel- Hirn-Trauma bedingt). Während Sprachstörungen und Probleme beim Ausführen von alltäglichen Handlungen meistens erst im späteren Krankheitsverlauf auftreten, machen sich Gedächtnisstörungen bereits in frühen Stadien einer Demenzerkrankung bemerkbar. Besonders alte Menschen sind von Demenzerkrankungen betroffen, nämlich schätzungsweise ein Drittel der über 85-Jährigen. Da infolge der demographischen Entwicklung immer mehr Menschen ein sehr ho- hes Alter erreichen, nimmt dementsprechend auch die Anzahl der De- menzkranken zu. 3/3 Bulletin 64 17
® Gerontologie & Geriatrie Biografiearbeit Eine Gaststätte zieht um: Milieugestaltung im Altenheim Von Christian Ensch ® Als Heimleiter des CIPA HPPA Redingen wurde ich im Januar dieses Jahres von der Verwaltung einer der Gemeinden aus unserem Einzugsgebiet kontak- tiert, mit der Bitte zwei ältere Damen aufzunehmen, die in einer baufälligen Gaststätte wohnten. Das Dach war undicht und durch den starken Schneefall in diesem Winter hatte sich die Lage noch verschlimmert. Das Schmelzwas- ser lief die Wand entlang, und die beiden Schwestern lebten in unzumutbaren hygienischen Zuständen. Die Gemeinde hatte ihre Informatio- Ist-Zustand nen vom Pflegehilfsdienst, der die Damen Ich hatte den Eindruck, eine Reise in betreute. Des Weiteren fürchtete der Pfle- die Vergangenheit zu machen. Hier war in gedienst um die Sicherheit seiner Mitarbei- den letzten Jahrzehnten fast nichts verän- ter, die man tagtäglich in ein offenbar bau- dert worden. Nur einige moderne Gegen- fälliges Gebäude schickte. Wie bei all stände (Mikrowelle, Kühlschrank, Flach- unseren Aufnahmen besuchte ich auch bildfernseher) wurden angeschafft. hier die zukünftigen Bewohnerinnen im Der Raum war gemütlich warm. Da Vorfeld. Anna J. und Milly T. waren schon man als ältere Person nicht gerne friert, lange bei uns angemeldet, wollten jedoch hatten Anna J. und Milly T gleich zwei bisher nicht ins Heim ziehen. Nachdem Öfen in Betrieb, um den Raum zu heizen: Christian Ensch, ich einen Termin mit der Tochter, Frau J., einen modernen Pellets-Ofen und einen Heimleiter des CIPA vereinbart hatte, stand ich schlussendlich etwas älteren Ofen, der mit Heizöl befeu- HPPA Redingen am Tresen dieser anscheinend unzumut- ert wurde. Abgesehen davon, dass der baren Gaststätte und ließ, während eines Ölofen etwas leckte, schien die Wärme- Bieres, das Umfeld auf mich einwirken. versorgung soweit in Ordnung. 18 3/3 Bulletin 64
Die Mauern und die Decke waren durch jahrzehntelangen Zigarettenrauch mit einer gelblichen Patina überzogen. Der Holzboden war abgenutzt und uneben, und die Tapete hatte sich durch den Wassereintritt an mehreren Stellen von der Wand gelöst. Die elektrische Installation wurde im Laufe der Jahre durch abenteuerliche Basteleien an die wechselnden Bedürf- nisse angepasst. Der Tresen hatte seine durch Ellenbogen verursachten Gebrauchs- spuren und der Schrank dahinter war mit Ansichtskarten vollgeklebt, welche die Kun- Dilemma π Die ehemalige den aus ihren Ferien an Anna und Milly Das undichte Dach war Fakt. Ob das Gaststätte befand sich in gesendet hatten. Ein weiterer Schrank war Gebäude tatsächlich baufällig war, einem desolaten Zustand voller Pokale der örtlichen Vereine. Allge- konnte ich als Pflegeperson und Heimlei- mein herrschte im Raum ein heilloses ter nicht beurteilen. Als Pfleger, zu dessen Durcheinander. Einige Tische standen nicht Ausbildung unter anderem die Lehre der mehr für die Gäste zur Verfügung. Hier sta- Hygiene zählt, empfand ich die Situation, pelten sich Lebensmittel, Teller und die ich vorfand, mehr als fragwürdig. Als Geschirr, Tücher, Zeitschriften, Kartoffel- Anwender des psychobiografischen Pfle- chipstüten, Töpfe, Kästchen und Schach- gekonzeptes nach Prof. Erwin Böhm teln… Getränkekisten, Leergut, Kisten mit musste ich jedoch feststellen, dass Anna Inkontinenzmaterial, eine Tiefkühltruhe, ein und Milly sich in ihrem Milieu wohlfühlten Sessel sowie ein Rollstuhl vervollständigten und bekam in Bezug auf ihren geplanten das unordentliche Bild. Hinter dem Tresen Heimeinzug Bedenken. Dieses diskutierte gelangte man in ein Schlafzimmer, in dem ich mit Annas Tochter, die meine Ansicht beide Geschwister die Nacht verbrachten. teilte und ihrerseits zudem ein schlechtes Die beiden Pflegebetten und der Patien- Gewissen hatte. Des Weiteren ist auch tenheber waren das Einzige, was in mein sie stark mit dieser Gaststätte verbunden, Weltbild als Pflegeperson passten. Ansons- da sie seit Jahren jeden Abend den Aus- ten herrschte hier, wie auch in der Gast- schank übernahm. stätte, geordnetes (?) Chaos. Nach zwei Tagen des Grübelns über- Über die sanitären Anlagen, deren raschte ich sie dann mit dem Vorschlag: π Nach dem Umzug Mauern mit schwarzem Schimmel befal- „Wir werden Anna und Milly mitsamt ihrer ins Altersheim lebt len waren, möchte ich hier nicht im Detail Gaststätte ins Heim aufnehmen.“ Zuerst die Gaststätte, unter berichten. So fand ich Anna und Millys lachte sie und glaubte, ich würde scher- tatkräftiger Mitwirkung von Umfeld vor und stellte fest, dass sie sich zen. Ich brauchte jedoch nicht lange, um Tochter Liliane, in neuem hier sehr wohl fühlten. Da beide gehbe- sie für meine Idee zu gewinnen und Rahmen, aber altem Dekor hindert sind, besaß jede ihren eigenen bekam die Erlaubnis, die Einrichtung der wieder auf Tisch, auf welchem alles Nötige griffbereit Gaststätte nach unserem Ermessen in lag. Beide sind pflegebedürftig, und der das Altenheim zu übertragen. Pflegedienst kommt mehrmals am Tag vorbei. Außerdem wurden die beiden Lösung durch die Tochter sowie von Bekannten Zuerst ging es darum, einen geeigne- mit Essen versorgt und erhielten regelmä- ten Raum zu finden, der nicht nur von ßige Betreuung („garde“). der Größe, sondern vor allem von der 3/3 Bulletin 64 19
Sie können auch lesen