RBS-Bulletin XXX: XXX - Management: NOT-Wendigkeit der Kooperation - Center fir Altersfroen

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RBS-Bulletin XXX: XXX - Management: NOT-Wendigkeit der Kooperation - Center fir Altersfroen
®   Nummer 64             2011   3/3

         RBS-Bulletin
         Das Luxemburger Fachblatt für Altersfragen

Management:          NOT-Wendigkeit der Kooperation
XXX:
XXX

                                                        XXX:
                                                        XXX

Schwerpunkt Herausforderung Alter:
Interviews mit den Ministern Jacobs und Di Bartolomeo

 Mit Seminarkalender

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RBS-Bulletin XXX: XXX - Management: NOT-Wendigkeit der Kooperation - Center fir Altersfroen
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• Présentation du RBS – Center fir Altersfroen asbl
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                                                                                                  IMPRESSUM:

                                                                              français

                                                                                                  RBS – Center fir Altersfroen asbl
                                                                                                  20, rue de Contern
                                                                                                  L-5955 Itzig

                                                                                                       Redaktion:
    Startseite                                                                                         Simon Groß
                                                                                                       Jacqueline Orlewski
    FORTBILDUNGSINSTITUT                                                                               Vibeke Walter

                                                                                                       Erscheinungsweise:
    SENIORENAKADEMIE
                                                                           Der Service RBS wurde Dreimal
                                                                                                 Anfang       im Jahr,
                                                                           1989 auf Initiative des Luxemburger
    RBS-Karte "aktiv 60+"                                                                              jeweils
                                                                                                             im Januar,
                                                                           Familienministeriums   gegründet.
                                                                                                     Mai und September
                                                                           Damit reagierte das Ministerium auf
    Wissenswertes von A bis Z                                              die demografische Entwicklung in
                                                                                                   Informationen      und Abonnement:
                                                                           der Bevölkerungsstruktur.
    Aktuelles                                                                                              Tel.: 36 04 78-33
                                                                                                    Fax:auf36
                                                                           Seither ist die Einrichtung              02 64
    Biographiearbeit                nationaler und internationaler Ebene in den Bereichen Altenhilfe       DEXIA
                                                                                                              und IBAN LU08 0028
                                    Altenarbeit tätig. Sie konzipiert und organisiert Fort- und Weiterbildungen für
                                                                                                           1385 2640 0000
                                    Führungskräfte und Mitarbeiter der ambulanten und stationären Altenpflege
    Qualitätsmanagement             mit besonderem Augenmerk auf Persönlichkeitsentwicklung, gerontologi-
                                                                                                       Grafische Umsetzung:
                                    scher Fundierung und praktischer Anwendbarkeit.
    Initiative "Faktor Mensch"                                                                        KA der
                                    Am 14. September 2010 wurde dem "RBS – Center fir Altersfroen" offiziell communications
                                                                                                                          S.à r.l.
                                    Statut "utilité publique" verliehen.                               50, rue des Remparts
    Medien-Archiv                                                                                      L-6477 Echternach
                                    Zur Förderung von "life-long-learning" bei Menschen, die vor ihrer
                                                                                                      Druck:
                                    Pensionierung stehen oder bereits aus dem Arbeitsleben ausgeschieden sind,
    RBS Shop                        wird ein vielfältiges Programm an Seminaren, Schulungen, Veranstaltungen
                                                                                                       FABER
                                    sowie Möglichkeiten zu einem qualifiziertem Ehrenamt angeboten. Dazu soll
    Bildergalerien                                                                                   Print services
                                    einerseits ein einfacher Zugang zu Informationen über seniorenspezifische         & solutions
                                                                                                     7, rue de
                                    Angebote ermöglicht werden. Andererseits liegt ein besonderer Augenmerk      Prés, L-7561 Mersch
    Links                           auf der Unterstützung der Senioren, um am gesellschaftlichen Leben und
                                    akademischen Bildungsmöglichkeiten teilhaben zu können.

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RBS-Bulletin XXX: XXX - Management: NOT-Wendigkeit der Kooperation - Center fir Altersfroen
Ein fairer Blick auf die Pflege

                                                            arbeiter, die verzweifelt versuchen, neben der Bewäl-
                                                            tigung des Pflegealltags mit all seinem bürokratischen
                                                            Aufwand ihre Kollegen dazu zu motivieren, mit ver-
                                                            wirrten Menschen zu singen oder die Alltagsroutine in
                                                            Frage zu stellen? Wie oft werden Mitarbeiter von Ange-
                                                            hörigen dafür gelobt, dass sie einem Pflegebedürftigen
Vor einigen Monaten hörte ich in einem Vortrag eine         zum 100. Mal verständnisvoll erklären, dass der Sohn
unglaubliche Zahl. Fünf Millionen Beschäftigte arbeiten     leider wieder nicht kommen kann? Wer interessiert sich
in der Pflegewirtschaft in Deutschland. Fünf Millionen.     eigentlich dafür, wie vielfältig und hochwertig das für
Das sind etwa fünf Mal so viele Mitarbeiter wie die Be-     Senioren angebotene Programm in der Altenarbeit ist?
schäftigten, die aktuell in der deutschen Automobilindu-
strie arbeiten. Und in den nächsten 10 Jahren könnten       Der Philosoph Richard David Precht betont in seinen
noch einmal eine Million neue Arbeitsplätze geschaf-        Vorträgen immer wieder, dass Menschen vor allem
fen werden, wenn denn die Pflegewirtschaft nicht mit        ein Gefühl für Unfairness haben und die Vorstellung
anderen Branchen um die sinkende Anzahl von quali-          von Fairness erst entwickeln müssen. Erlauben Sie mir
fizierten Mitarbeitern konkurrieren müsste. Das würde       daher – bezogen auf die Pflegewirtschaft – folgende
bedeuten, dass 2020 fast jeder siebte Beschäftigte in       Feststellung: Es ist unfair, dass eine der wichtigsten
Deutschland in diesem Sektor arbeiten könnte.               Branchen der Zukunft mit einem negativen Image in
                                                            unserer Gesellschaft behaftet ist. Noch unfairer ist es,
Wenn man über diese demografischen Zahlenspiele ein         dass all die Empathie, die Ideale und auch der geisti-
wenig nachdenkt und sie auf Luxemburger Verhältnisse        ge Einsatz bei einer großen Zahl von Beschäftigten in
überträgt, wundert man sich, dass die gesellschaftliche     der Pflege und Altenhilfe so wenig in der Gesellschaft
Bedeutung dieser „Mega-Branche“ so wenig bewusst            gewürdigt werden. Entweder meiden Medien und die
ist. Denn mit Pflegewirtschaft ist alles gemeint, was mit   breite Öffentlichkeit dieses Thema. Oder es wird vor al-
der Pflege von Menschen zu tun hat. Dabei geht es ja        lem auf Kostenexplosionen und Missstände verwiesen,
nicht nur um Krankenhäuser, Betten und Medikamen-           wo Träger mit Pflege nur Gewinne erzielen wollen und
te. Es geht um ambulante Dienste und verschiedenste         niemand Zeit für die Pflegebedürftigen hat.
Wohnformen, die älteren Menschen auch mit körperli-
chen und seelischen Beeinträchtigungen ein selbstbe-        Fair wäre es stattdessen, wenn die Pflegewirtschaft
stimmtes und würdevolles Leben ermöglichen. Pflege-         in ihrer zentralen Bedeutung für die Entwicklung der
wirtschaft bedeutet auch, dass neue technische Hilfsmit-    gesamten Gesellschaft erkannt werden würde. Diese
tel und angepasste Einrichtungsgegenstände für ältere       Branche darf nicht in erster Linie von Konkurrenzprin-
Menschen erfunden werden. Sie regt die Erforschung          zip und Gewinnmaximierung bestimmt werden, lebt
von Entwicklungsprozessen im Alter an und vermittelt        sie doch in hohem Maße – direkt oder indirekt – auch
dieses Wissen an die Praxis. Pflegewirtschaft benötigt      von öffentlichen Geldern. Um finanzierbar und ent-
viele qualifizierte Fachkräfte, die neben Pflegekompeten-   wicklungsfähig zu bleiben, benötigt sie ein hohes Maß
zen auch fundierte gerontologische und psychogeriatri-      an Vernetzung und Kooperation von (semi-)professi-
sche Kenntnisse haben müssen. Und vor allem benötigt        onellen und ehrenamtlichen Mitarbeitern inner- und
sie eine gesicherte Finanzierung. Immerhin sind aktuell     außerhalb der eigenen Struktur. Ihre Zukunft erfordert
in Luxemburg allein 9000 Mitarbeiter in der Altenhilfe      den Mut, flächendeckend ein kooperatives Arbeitskli-
beschäftigt, und es werden noch deutlich mehr benötigt.     ma zu schaffen, in dem soziale Kompetenzen auf allen
                                                            Ebenen gewürdigt, gefördert und ausgebildet werden.
Doch das wichtigste „Kapital“ dieser Pflegewirtschaft       Eine Branche mit einem solchen Ruf (neudeutsch: mit
sind Menschen, über die allerdings nur sehr wenig ge-       einem solchen Qualitätslabel) müsste auch übermor-
sprochen wird. Viel zu selten werden diejenigen gewür-      gen um motivierten Nachwuchs nicht bangen.
digt, die auch nach über 20 Jahren Altenpflege immer
noch versuchen, anderen Menschen das Leben ein we-
nig lebenswerter zu machen. Wer merkt schon, dass
Mitarbeiterin X sich immer wieder Zeit für die junge Mit-
arbeiterin Y nimmt, wenn diese das Schreien von einer
Seniorin mit Demenz fast nicht mehr aushält? Und wer        Simon Groß
beachtet die noch immer motivierten leitenden Mit-          Direktor des RBS – Center fir Altersfroen asbl

3/3 Bulletin 64                                                                                                        3
RBS-Bulletin XXX: XXX - Management: NOT-Wendigkeit der Kooperation - Center fir Altersfroen
Mir sangen, danzen, diskutéieren
 Lidderbuch mat 26 bekannte Lidder
 opgeholl zesumme mam Camille Kerger

 Dëst Buch mat 2 CDen ka flott an der Altenfleeg agesat ginn, sief et allgemeng an der Animatioun
 oder och fir mat Gruppen Danz am Sëtzen ze maachen.

                                                                  D’Buch kascht 25 €

                                                                  120 Säiten
                                                                   mat 2 CDen
                                                                      Noute mam Text
                                                                       CD (Musek an Text)
                                                                         Übunge fir Danz am Sëtzen mat Biller
                                                                          Erklärungen zum Lidd

                                                                             ISBN: 978-2-9198-9712-4

                                                                                         www.rbs.lu

                                                                                                           ✁
                                                                                  Bestellschäin
                                                                                     (w.e.g. adresséieren un)
Ech bestellen         Exemplare(en)                                         RBS – Center fir Altersfroen asbl
vum Buch „Mir sangen, danzen, diskutéieren“.                                      B.P. 32 L-5801 Hesperange

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Datum:                                Ënnerschrëft:                                              36 04 78-33
RBS-Bulletin XXX: XXX - Management: NOT-Wendigkeit der Kooperation - Center fir Altersfroen
®   Inhaltsverzeichnis

       Schwerpunkt       Die unheilvolle Angst vor Alterskrankheiten
                         Ministerin Marie-Josée Jacobs: „Demenz muss kein Drama sein“    6
                         Minister Mars Di Bartolomeo: „Was heißt schon alt sein?“        9

       Demenz: Das große Tabu                                                           14

       Eine Gaststätte zieht um: Milieugestaltung im Altenheim                          18

       Internat Fieldgen und CIPA Howald: Projekt Ehrenamt                              21

       Sabine Asgodom:
       Die Herzen erreicht                                                              23

       NOT-Wendigkeit kooperativen Verhaltens in sozialen Unternehmen:
       Soziale Kompetenzen fördern – Qualität der Altenhilfe sichern                    24

       Fort- und Weiterbildung
       Feedback                                                  28

       Veranstaltungskalender                                    31

       Teilnahmebedingungen für Seminare                         37

       Foyer Ste Elisabeth Bettemburg:
       „Cyberstuff“ im Altersheim                                40

       Für Sie notiert                                                                  41

       Neues Altersheim in Belval Nord:
       Bestandteil der Urbanisierung                                                    45

       Parkinson: Aufklärung tut Not                                                    46

       Magazin                                                                          50

3/3 Bulletin 64                                                                              5
RBS-Bulletin XXX: XXX - Management: NOT-Wendigkeit der Kooperation - Center fir Altersfroen
®   Schwerpunkt

                         Herausforderung Alter

                         Die unheilvolle Angst
                         vor Alterskrankheiten
                         „Demenz muss kein Drama sein“
                         In unserer Reihe über die Angst vor Alterskrankheiten und deren Auswir-
                         kungen auf die Pflege befragten wir die für die Altenpolitik verantwortliche
                         Ministerin Marie-Josée Jacobs.

                             Seit einigen Jahren wird in den         können. Man könnte fast glauben, dass
                         Medien immer häufiger über die Krank-       die verbesserte geriatrische Versorgung
                         heit „Demenz“ berichtet. Auch bekannte      und die vielfältigen Betreuungs- und Ver-
                         Persönlichkeiten wie Inge Meysel,           sorgungsstrukturen für Menschen mit
                         Ronald Reagan oder Herbert Wehner           Demenz von der breiten Bevölkerung
                         blieben von der hirnorganischen Erkran-     nicht als Entlastung wahrgenommen
                         kung nicht verschont. Inzwischen vergeht    werden. Eher im Gegenteil: Gerade weil
                         fast kein Tag, an dem in Zeitungen, Dis-    es immer mehr spezialisierte Angebote
                         kussionsrunden und Reportagen nicht         gibt, scheinen viele Menschen noch
                         über die steigende Anzahl von Men-          mehr Angst vor dieser Erkrankung zu
                         schen mit einer Demenz berichtet wird.      bekommen.
    Interview            Die europäische Union hat diese Erkran-
    mit Ministerin       kung sogar zu einer der zentralen Her-          Wir befragten Familienministerin
    Marie-Josée Jacobs   ausforderungen für unsere „alternde“        Marie-Josée Jacobs zu diesem Phäno-
                         Gesellschaft erklärt, die in den nächsten   men. Sie unterstützt seit vielen Jahren
                         Jahrzehnten bewältigt werden muss.          intensiv den Ausbau von ambulanten
                                                                     und stationären Strukturen für Menschen
                             Doch wie geht der einzelne Mensch       mit Demenz in Luxemburg. Ein besonde-
                         mit diesen Informationen um? Fragt man      res Augenmerk legt sie dabei nicht nur
                         ältere Menschen über ihre Einstellung       auf die Einrichtung geeigneter räumli-
                         zur Demenz, hört man häufig, dass sie       cher Strukturen, sondern vor allem auch
                         lieber sterben würden als „dement“ zu       auf eine umfassende Fort- und Weiterbil-
                         sein. Der Selbstmord von Gunter Sachs       dung der Pflegekräfte und der Unterstüt-
                         belegt diese Einstellung in tragischer      zung von pflegenden Angehörigen.
                         Weise. Er war fest davon überzeugt, „Alz-
                         heimer“ zu haben, einzig und allein, weil   Sehr geehrte Frau Jacobs,
                         er ab und an den Faden im Gespräch          Sie beschäftigen sich als Familien-
                         verloren hatte. Eine tatsächliche Dia-      ministerin seit vielen Jahren mit
                         gnose hatte es nie gegeben. Und doch        der Thematik Demenz. Fürchten Sie
                         zeigen die Reaktionen vieler Senioren,      sich eigentlich selbst davor, einmal
                         dass sie diese „Selbstdiagnose“ von Gun-    an einer Demenz zu erkranken?
                         ter Sachs und seinen daraus resultieren-        Mit den von Ihnen benannten Persön-
                         den „Freitod“ sehr gut nachvollziehen       lichkeiten verdeutlichen Sie sehr gut, dass

6                                                                                         3/3 Bulletin 64
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ich, unabhängig davon, dass ich Familien-     lien unterstützen und entlasten. Darüber
ministerin bin, genauso wenig gegen eine      hinaus können sie die Umsorgung und
Demenzerkrankung gefeiht bin, wie jeder       Pflege übernehmen, wenn dies im häusli-
andere auch. Genau so beschäftigt auch        chen Umfeld entweder nicht möglich ist
mich der Gedanke, im späteren Alter an        oder zu schwierig wird.
einer Demenz zu erkranken. Wie Sie wis-
sen, gibt es verschiedene Demenzerkran-       Es gibt, wie Sie zu Recht erwähnen,
kungen, von denen die Alzheimer Krank-        in Luxemburg gut ausgestattete
heit die bekannteste ist. Da keine dieser     Strukturen, in denen Menschen mit
Krankheiten zurzeit heilbar ist, versuche     einer Demenz sehr gut betreut
ich durch eine positive Lebenseinstellung     werden. Das müsste doch eigentlich
und -führung vorbeugend darauf einzu-         viele Senioren beruhigen. Warum
wirken; meine Arbeit hält mich geistig fit,   betrachten Ihrer Meinung nach die
ich bemühe mich körperlich aktiv zu blei-     meisten Menschen Demenz trotz-
ben, indem ich viele Wege zu Fuß mache        dem als absolutes Horrorszenario?
und ich achte auf eine möglichst ausge-            Die Ursachen dafür, die Krankheit –
wogene Ernährung.                             wie Sie es nennen – als „Horrorszenario“
    Die Wahrscheinlichkeit an einer Form      zu sehen, sind unabhängig von der Qua-
der Demenz zu erkranken, nimmt mit            lität der angebotenen Dienstleistungen.
dem Alter zu, besonders deutlich              Wir leben in einer Welt deren Ordnungs-
geschieht dies ab dem 80. Lebensjahr.         prinzipien sich in den letzten Jahren
Man sollte sich vor Augen halten, dass        immer mehr auf Rationalität, Effektivität
sich in diesem Alter unsere körperlichen      und Schnelligkeit begrenzen. Wer da
und geistigen Fähigkeiten verändern, lang-    nicht mithalten kann, riskiert, ausgeson-
samer werden. So ist nicht jede kleine        dert zu werden. Wir entlassen auch
„Vergesslichkeit“ der Beginn einer Erkran-    immer früher Menschen aus dem aktiven
kung. Darüber hinaus wissen viele Leute       Arbeitsleben in den Ruhestand. In der
nicht unbedingt, dass es eine Reihe von       Regel profitieren diese zwar von einer
Krankheiten gibt, die ähnliche Symptome       zufriedenstellenden finanziellen Absiche-
hervorrufen wie eine Demenz! Dies ist         rung, aber unsere Gesellschaft gesteht
auch der Fall bei psychischen Erkrankun-      dieser Altersgruppe keine „neue“ sozial
gen und hier im Besonderen bei Depres-        relevante Funktion oder Rolle zu.
sionen. Deshalb kann ich alle Betroffenen          Demenzerkrankungen greifen unser
nur ermutigen, ihren Hausarzt aufzusu-        Gehirn und damit unser logisches Denk-
chen, falls sie Veränderungen an sich         vermögen an. Mit dem Verlust der rationa-
bemerken. Nur ein Arzt kann helfen, die       len Fähigkeiten verliert der Mensch einen
wirkliche Ursache der Symptome heraus-        Teil von sich selbst, der aber in unserer
zufinden.                                     Gesellschaft als der Wichtigste der Person
     Um u.a. auch den Personen zu hel-        angesehen wird. Die Fähigkeit, auf einer
fen, die an einer Demenz leiden, hat die      rationalen Ebene Entscheidungen zu tref-
Regierung in den letzten Jahren viele         fen und sich mitteilen zu können, kommt
Anstrengungen unternommen. So wurde           mit fortschreitender Erkrankung abhan-
1999 die Pflegeversicherung eingeführt.       den. So werden die Betroffenen mit der
Darüber hinaus hat das Familienministe-       Zeit immer abhängiger von der Hilfe und
rium den landesweiten Ausbau von Tages-       den Entscheidungen anderer.
stätten sowie von zusätzlichen CIPA- und           Es ist das Gefühl der „Abhängigkeit“
Pflegebetten gefördert. Alle diese Maßnah-    und der mögliche Verlust seiner sozialen
men sollen die Betroffenen und ihre Fami-     Identität, die den Menschen Angst

3/3 Bulletin 64                                                                            7
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®   Schwerpunkt

                         Herausforderung Alter

                                   machen. Hier liegt daher auch         Krankheit wird die Betreuung immer mehr
                                   unsere gemeinsame gesellschaft-       zu einer 24/24 Stunden Aufgabe. Egal,
                                   liche Verantwortung. Wir werden       wie oft die Betroffenen professionelle
                                    in den nächsten Jahren die Frage     Dienste in Anspruch nehmen, so sind sie
                                      der Beteiligung der Betroffenen    trotzdem die größte Zeit des Tages alleine
                                        am sozialen Leben diskutie-      verantwortlich für die betroffene Person.
                                        ren müssen. Hier gibt es         Da jede Demenz anders ist und sich das
                                        bereits eine Reihe an inter-     Verhalten der erkrankten Person mit der
                                        essanten Initiativen im Aus-     Zeit verändern kann, müssen die Angehö-
                                        land. Seit einigen Jahren för-   rigen sich auch immer wieder auf neue
                                        dert so die Robert Bosch         Situationen einstellen und sich den wach-
                                       Stiftung gemeinsam mit der        senden Bedürfnissen der betroffenen Per-
                         „Aktion Demenz“ das Projekt „Demenz-            son stellen.
    π Pflege 2020 ...?
                         freundliche Gemeinden“ in Deutschland                Wir bemerken auch, dass eine Reihe
                         und die Stiftung König Baudouin in Belgien      von pflegenden Angehörigen nicht immer
                         eine Reihe von Pilotprojekten.                  alle Angebote kennen bzw. auch manch-
                                                                         mal zögern, diese in Anspruch zu nehmen.
                         In den letzten Jahren haben Sie die             Besonders nach einer Erstdiagnose wissen
                         ambulante Hilfe, Beratungsangebote              Familienmitglieder nicht unbedingt, an wen
                         für Angehörige und verschiedene                 sie sich wenden sollen. Zurzeit stellen wir
                         neue Wohnformen ausbauen lassen.                daher Überlegungen an, den betroffenen
                         Dadurch können auch Menschen mit                Familien zukünftig eine zentrale Anlauf-
                         einer Demenz deutlich länger zu                 stelle anzubieten, wo sie sich umfangreich
                         Hause wohnen. Trotzdem fühlen sich              informieren können und bei der Wahl der
                         pflegende Angehörige oft allein                 passenden Hilfsangebote beraten werden.
                         gelassen und unverstanden. Wie
                         erklären Sie sich das?                          Seit einigen Jahren wird sehr viel
                             Meinem Ermessen nach gibt es ver-           mehr über Demenz in den Medien
                         schiedene Erklärungen, die in den einzel-       berichtet. Betrachtet man allerdings
                         nen Lebenssituationen unterschiedlich           die aktuellen Statistiken, wird deut-
                         zusammenkommen. Regelmäßig berichten            lich, dass der Anteil der Menschen
                         Angehörige, dass sich Menschen aus ihrem        mit Demenz in Luxemburg nicht
                         sozialen Umfeld, Freunde und Kollegen           schlagartig angestiegen ist. Wie
                         zurückgezogen haben, als diese von der          erklären Sie sich den „Medienrum-
                         Krankheit des Betroffenen erfuhren. Der         mel“ um diese Erkrankung?
                         Hauptgrund ist, dass viele diese Krankhei-          Unsere europäischen Gesellschaften
                         ten und ihre Symptome nicht kennen, viel-       veraltern und da Demenzerkrankungen im
                         leicht selber Angst davor haben und nicht       Alter zunehmen, sind immer mehr Familien
                         wissen, wie sie auf die Person reagieren        davon betroffen – auch wenn die Statistiken
                         bzw. mit ihr umgehen sollen. Aus Angst          für Luxemburg jetzt keinen schlagartigen
                         möglicherweise das Falsche zu sagen oder        Anstieg aufweisen. Demenzerkrankungen
                         zu tun, ziehen sie sich zurück.                 sind in den letzten Jahren zu einem gesell-
                             Darüber hinaus muss man wissen,             schaftlich relevanten Thema geworden. Wie
                         dass das Versorgen einer an Demenz              bei all diesen Themen gibt es reißerische
                         erkrankten Person für die Angehörigen           Berichte über tragische Ereignisse, es gibt
                         eine große Herausforderung, sowohl auf          aber auch sehr engagierte Reportagen, die
                         physischer als auch auf psychischer             aufmerksam machen, sensibilisieren und
                         Ebene darstellt. Mit der Evolution der          aufklären wollen.

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Welche Vorteile sehen Sie darin, dass          haben müssen, ausgegrenzt zu werden.
heute so häufig und ausführlich über           Es ist wichtig, dass wir die Komplexität
das Thema Demenz berichtet wird?               dieser Erkrankungen aufzeigen und darauf
    Eine verständliche und objektive           aufmerksam machen, dass die Betroffe-
Berichterstattung hilft bei der Enttabuisie-   nen noch sehr viele Ressourcen und
rung der Krankheit. Wir müssen aufklären,      Kompetenzen haben und sich dank klei-
damit weder Betroffene noch Familienan-        ner Hilfestellungen noch am sozialen
gehörige sich dessen schämen oder Angst        Leben beteiligen können.

„Was heißt schon alt sein?“
In unserer Reihe über die Angst vor Alterskrankheiten und deren Auswirkun-
gen auf die Pflege nimmt diesmal ebenfalls der für die Gesundheitspolitik
verantwortliche Minister Mars Di Bartolomeo Stellung.

    Wenn in den Medien über Alter              Lebensalter bei akzeptablem Gesund-
berichtet wird, lassen sich zwei Tenden-       heitszustand erreichen, scheint nicht
zen beobachten. Zum einen geht es              spektakulär genug zu sein, dass Medien
sehr häufig um Hochbetagte, die noch           darüber berichten. Ebenso wird bei der
mit 90 oder 100 Jahren außergewöhnli-          Beschreibung von Krankheiten, die im
che Leistungen erbringen. Man denke            Alter auftreten können, häufig unter-
nur an den Luxemburger ING – Mara-             schlagen, dass diese oft gar nicht vom
thon, an dem der mittlerweile 100-Jäh-         Kalenderalter, sondern von der Lebens-
rige Fauja Singh aus Großbritannien teil-      führung abhängen. So wird zum Beispiel
genommen hat. Zum anderen wird aber            selten darüber berichtet, dass Arbeitslo-
auch sehr häufig darüber berichtet, dass       sigkeit und der daraus resultierende
man im Alter an Alzheimer, Demenz,             gesellschaftliche Ausschluss bei jüngeren   Interview
Depression, Inkontinenz etc. erkranken         Menschen ähnliche psychische Probleme       mit Minister
kann. Dabei wird in Statistiken häufig         hervorrufen kann wie ein passives, iso-     Mars Di Bartolomeo
erwähnt, wie unglaublich hoch der              liertes Leben bei älteren Menschen.
Anteil von Menschen im hohen Alter ist,
die an einer dieser Krankheiten leiden.           Doch was bedeutet diese polarisie-
Seltener wird darauf verwiesen, wie            rende und undifferenzierte Darstellung
hoch der Anteil der älteren Menschen           von Alter und den sogenannten Alters-
ist, die trotz ihres Alters vollständig        krankheiten für den Einzelnen? Manche
selbstständig leben und auch trotz klei-       Senioren fühlen sich in der Zwischenzeit
ner Einschränkungen zufrieden und              unter einem regelrechten „Aktivitäts-
weitgehend gesund altern.                      druck“ und glauben, dass sie mit Gewalt
                                               außergewöhnliche Leistungen erbringen
   Die Tatsache, dass niemals zuvor in         müssen. Andere ältere Menschen wiede-
der Geschichte der Menschheit, so viele        rum fürchten sich davor, dass die kleins-
„ganz normale“ Senioren ein hohes              ten Anzeichen von körperlicher oder

3/3 Bulletin 64                                                                                                 9
RBS-Bulletin XXX: XXX - Management: NOT-Wendigkeit der Kooperation - Center fir Altersfroen
®   Schwerpunkt

                Herausforderung Alter

                geistiger Beeinträchtigung schon auf eine    Europaweite Studien bestätigen,
                schlimme „Alterskrankheit“ hinweisen         dass Senioren in Luxemburg beson-
                könnten. Wir befragten Gesundheitsmi-        ders glücklich sind, aber eben auch
                nister Mars Di Bartolomeo zu dieser The-     sehr viel Medikamente nehmen. Wie
                matik, der sich seit vielen Jahren mit der   erklären Sie sich dieses Phänomen?
                Gesundheit in jedem Alter beschäftigt.           Die „Ageing Well“ Studie, die 2003
                Für ihn ist es wichtig, nicht nur die        abgeschlossen wurde, zeigte in der Tat
                adäquate Behandlung von Krankheiten          auf, dass in Luxemburg vor allem die
                zu gewährleisten, sondern auch der akti-     finanzielle Absicherung, ein guter gesund-
                ven Gesundheitsförderung und Selbst-         heitlicher Befund und die Häufigkeit von
                verantwortung des Einzelnen einen            Aktivitäten einen wesentlichen Einfluss
                höheren Stellenwert in unserer Gesell-       auf die individuelle Lebenszufriedenheit
                schaft einzuräumen.                          haben.
                                                                 Mit dem Alter nimmt die Zahl gleich-
                Sehr geehrter Herr Bartolomeo,               zeitig bestehender Erkrankungen zu.
                Sie beschäftigen sich als Gesund-            Diese Multimorbidität trägt dazu bei, dass
                heitsminister seit vielen Jahren mit         die Zahl der gleichzeitig verordneten
                dem Thema Krankheit und den                  Medikamente ebenfalls ansteigt. Doch
                sogenannten Alterskrankheiten.               bei zunehmender Anzahl von Arzneien
                Haben Sie als sogenannter „silver            sind die Wechselwirkungen nur schwer
                ager“ manchmal Angst, dass Sie               abzuschätzen. Ärzten nach besteht das
                bald krank werden könnten?                   Problem, dass die Wirkung vieler Medika-
                    Krankheit kann natürlich nie ausge-      mente häufig nicht an alten Menschen
                schlossen werden, doch gebe ich mir          getestet wird. Das ist ein sehr ungünstiger
                Mühe, vorzubeugen und einen „gesun-          Umstand, da der Organismus sich mit
                den“ Lebensstil zu führen. Dazu gehören      zunehmendem Alter ändert.
                regelmäßiges Training im Fitnesscenter           Es werden zu viele Medikamente zu
                und Radfahren ebenso wie der Verzicht        leicht nachgefragt, verschrieben und
                auf das Rauchen, das ich bei Antritt mei-    geschluckt. Dies ist eine besorgniserre-
                nes Amtes aufgegeben habe. Ich finde         gende Lage. In vielen Fällen werden
                eigentlich, dass mein jeweiliges Alter das   Medikamente nicht nur während der
                beste Alter ist.                             Behandlung selbst eingenommen, son-
                    Die Medizin hat extreme Fortschritte     dern auch lange darüber hinaus. Die Min-
                in der Behandlung von Alterskrankheiten      dermedikation ist ein Phänomen, das
                zu verbuchen. Zudem ist es ein beruhi-       weniger bekannt ist, das man aber auch
                gendes Gefühl, sich im Falle von Krank-      nicht unterschätzen sollte. Ausländische
                heit auf ein vorbildliches Gesundheits-      Studien belegen, dass bei mehr als 40%
                und Sozialversicherungssystem stützen zu     der über 65-Jährigen Patienten eine
                können.                                      Über- oder Mindermedikation vorliegt.
                    Aber Vorbeugen bleibt die beste          Die Kommunikation zwischen Arzt und
                Medizin. Was nicht kaputt geht, braucht      Patient ist sehr wichtig, da es den Patien-
                man nicht zu reparieren.                     ten sehr oft nicht bewusst ist, was sie
                                                             genau einnehmen. Die mit der Gesund-
                                                             heitsreform vorgesehene Einführung des
                                                             Hausarztmodells (médecin référent) ab
                                                             dem 1. Januar 2012 sowie des Patien-
                                                             tendossiers können dieser Problematik
                                                             positiv entgegenwirken.

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Grundlegend wird neben der
Behandlung von Krankheiten der
aktiven Förderung der eigenen
Gesundheit und der Prävention
eine immer größere Bedeutung
zugeschrieben. Wie kann man Ihrer
Meinung nach diese Ansätze in der
Gesundheitspolitik für Menschen im
Alter sinnvoll miteinander verbinden?
    Möglichst gesund und kompetent alt
zu werden, ist nur erreichbar, wenn Prä-
vention, Vorsorge und gesundheitsför-
dernde Maßnahmen erweitert werden.             Wenn Sie einen Wunsch frei hätten,
                                                                                               π Beteiligung 2020 ...?
Mit zunehmender Lebenserwartung                wie müsste Ihrer Meinung nach in
wächst diese Herausforderung an die            den Medien über Alterskrankheiten
Gesundheitspolitik.                            berichtet werden?
    Viele Krankheiten, die im Alter auftre-         Die Darstellung der Älteren muss die
ten, sind keine Alterskrankheiten. Neh-        reale Vielfalt des Alterns wiedergeben. Das
men wir als Beispiel Herz-Kreislauf-           vermittelte Altersbild darf ältere Menschen
Erkrankungen, Gelenkprobleme,                  nicht einseitig als hilfsbedürftig, kränklich
verschiedene Formen von Diabetes, etc.         oder passiv abstempeln. Es muss verhin-
Der Lebensstil in jüngeren Jahren kann in      dert werden, dass solche negativen Alters-
hohem Maß dazu beitragen, diesen               bilder die älteren Mitmenschen möglicher-
Krankheiten vorzubeugen. Prävention            weise in Außenseiterrollen drängen. Ältere
sollte man demnach früh genug anset-           Menschen sollten in Fernsehsendungen
zen. Die Förderung der eigenen Gesund-         nicht weiterhin unterrepräsentiert sein.
heit sollte schon in Kindheit und Jugend            Das Fremdbild beeinflusst das Selbst-
beginnen.                                      bild. Deshalb ist es sehr wichtig, dass die
    Studien haben nachgewiesen, dass           Medien neben den Defiziten auch auf die
regelmäßige körperliche Aktivität den          möglichen Ressourcen und die verblei-
Gesundheitszustand auch noch im höhe-          benden Kompetenzen eingehen.
ren Alter erfolgreich beeinflussen kann.            Außerdem können Präventionsmaß-
    Körperliche Aktivität wirkt sich positiv   nahmen nur dann greifen, wenn realisti-
auf die Gedächtnisleistungen aus. Zudem        sche und positiv nuancierte Altersbilder
trägt sie auch zur Verringerung von            mit dazu beitragen, ein gesundheitsför-
Depressionen und Angstzuständen bei.           derndes Verhalten anzuregen. Negative
Ebenso müssen Angebote zur sozialen            Altersbilder können indessen das Gegen-
Aktivität bestehen, da sie zum seelischen      teil bewirken. Der ältere Mensch wird sich
Wohlbefinden beitragen. Der Prävention         nur dann um die aktive Förderung der
und der Gesundheitsförderung geht es           eigenen Gesundheit bemühen, wenn er
um die Erhaltung von Gesundheit und            davon überzeugt ist, dass eine positive
Lebensqualität älterer Menschen und            Veränderbarkeit seines Gesundheitszu-
zugleich ihrer Angehörigen. Es muss zur        standes erreicht werden kann. Auch wenn
Zukunft unserer Gesellschaft gehören,          gegebenenfalls schon Alterskrankheiten zu
gesünder und aktiver zu altern.                verzeichnen sind.
                                                    Außerdem, was heißt schon „alt sein“?
                                               Das hat wenig mit der Jahreszahl zu tun.

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®   Schwerpunkt

                              Herausforderung Alter

                              Seit einigen Jahren wird überall                tungen für ältere Menschen erreicht. Mit
                              darauf hingewiesen, dass insbeson-              Einführung der Pflegeversicherung wurde
                              dere Demenz, aber auch Depressio-               zudem die Möglichkeit des Alterns zu
                              nen im Alter sehr häufig auftreten.             Hause unterstützt und das Angebot von
                              Zahlen wir also den Preis für ein               ambulanten Pflegeleistungen hat die Vor-
                              längeres Leben mit mehr psychoger-              aussetzungen dazu geschaffen. Der Eintritt
                              iatrischen Alterskrankheiten?                   in eine Pflegeeinrichtung erfolgt später
                                  Die durchschnittliche Lebenserwartung       und dort liegt das Durchschnittsalter
                              hat sich in den letzten hundert Jahren fast     wesentlich höher als jenes der Pflegebe-
                              verdoppelt. In den letzten Jahrzehnten ist      dürftigen, die zu Hause gepflegt werden.
                              jedoch nicht nur die Lebenserwartung                 Die entsprechenden Rahmenbedin-
                              gestiegen. Auch die Lebensqualität der          gungen, diese hohen Standards aufrecht
                              älteren Menschen wurde wesentlich ver-          zu erhalten, müssen weiterhin ermöglicht
                              bessert. Die heute 70-Jährigen sind kör-        werden. In einer künftigen Gesellschaft
                              perlich und geistig ebenso fit wie die          wird der gerontologische Sektor der
                              60-Jährigen vor 30 Jahren. Das gesund-          Dienstleistungen einen großen Stellenwert
                              heitliche Befinden älterer Menschen ist         einnehmen.
                              heute besser als jenes vergleichbarer                Dass die Menschen zunehmend län-
                              Altersgruppen in der Vergangenheit. Wir         ger leben, ist eine Tatsache. Entscheidend
                              dürfen nicht außer Acht lassen, dass wir in     ist indessen, was die Gesellschaft daraus
                              den letzten Jahren zunehmend länger             macht, um die Erhaltung der menschli-
                              gesund bleiben und ein selbstständiges          chen Würde in den späten Jahren des
                              Leben führen können.                            Lebens zu gewährleisten.
                                  Allerdings ist nicht zu leugnen, dass die        Die Zukunft des vierten Alters bedeutet
                              Wahrscheinlichkeit, krank zu werden, sich       eine Herausforderung für die Alternsfor-
                              mit steigendem Lebensalter erhöht.              schung, die Gesellschaft, die Gesundheits-
                              Jedoch treten chronische Beschwerden            und Sozialpolitik. Und zu guter Letzt:
                              und ernsthafte Krankheiten erst in einem        Hören wir doch auf, ständig darüber zu
                              weiter fortgeschrittenen Lebensalter auf.       lamentieren, dass wir älter werden und
                                  Luxemburg hat mittlerweile einen            sehen wir doch endlich auch das Positive
                              hohen Standard im Bereich der Dienstleis-       an dieser Entwicklung!

                                              ANKÜNDIGUNG
                                      SCHON MAL VORMERKEN!
                                        TAG DER PFLEGE 2011
     Am 25. Oktober 2011 veranstaltet die Caritas Trier gemeinsam mit dem RBS – Center fir Altersfroen
     den alljährlich stattfindenden Tag der Pflege in der Europahalle Trier. Zu diesem Anlass konnten
     wir die Pflegewissenschaftlerin und Begründerin des mäeutischen Pflegemodells, Cora van der
     Kooij,, als Rednerin gewinnen. Sie wird einen Vortrag mit dem Titel „Chancen und Grenzen der
     Kooij
     Biografiearbeit mit älteren Menschen“ halten.
     Das detaillierte Programm mit Anmeldeformular finden Sie in den nächsten Wochen auf unserer
     Interseite www.rbs.lu unter der Rubrik „Aktuelles“.

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KURSE für Angehörige von Pflegebedürftigen – 2. Semester 2011
Im Herbst 2011 werden wieder vom „Berodungsdéngscht“ der Stiftung Hëllef Doheem verschiedene Kurse angebo-
ten, um Angehörige von pflegebedürftigen Personen in ihrer täglichen Arbeit zu unterstützen. Die Angehörigen erhalten
nicht nur Hilfe und Unterstützung bei körperlicher, sondern auch bei seelischer Belastung. Neben Beratung und praktischen
Übungen ist der Erfahrungsaustausch mit anderen Betroffenen ein wichtiger Bestandteil der Kurse.

®       Kursreihe zum Thema Demenz
Angesichts des zunehmenden Alterns der Bevölkerung erhöht sich auch die Häufigkeit der Demenzerkrankungen. Die
Krankheit hat beachtliche Auswirkungen sowohl auf den an Demenz Erkrankten selbst, als auch auf dessen gesamtes Umfeld.
Für die Kursteilnehmer bietet sich die Gelegenheit einer professionellen Beratung, die mit praktischen Übungen untermauert
wird sowie einem allgemeinen Erfahrungsaustausch.
Erster Kurs: Was ist eine Demenz? Welche Veränderungen bringt eine solche Erkrankung mit sich? Wie kann ich mir das
Leben mit einer an Demenz erkrankten Person erleichtern? Vor einem allgemeinen theoretischen Hintergrund werden in
diesem Kurs praktische, alltagsrelevante Themen besprochen.
Zweiter Kurs: Lebensraum für Menschen mit Demenz optimieren; Gestaltung der häuslichen Umgebung und
Unterstützung zur besseren Bewältigung des Alltags.
Dritter Kurs: Ernährung für Menschen mit Demenz. Die Ernährung von Menschen mit Demenz kann durch viele
Ursachen erschwert werden: Appetitmangel, Dehydratation, Ablenkung während dem Essen, Verlernen des Umgangs
mit dem Besteck, Kau- und Schluckbeschwerden…
Die Kursreihe zum Thema Demenz wird in Zusammenarbeit mit den Gemeinden Hupperdange und Wasserbillig angeboten:
In Hupperdange:                                            In Wasserbillig:
Erster Kurs:     11.10.2011 (19.00-21.00 Uhr)              Erster Kurs:     13.10.2011 (19.00-21.00 Uhr)
Zweiter Kurs:    18.10.2011 (19.00-21.00 Uhr)              Zweiter Kurs:    20.10.2011 (19.00-21.00 Uhr)
Dritter Kurs:    25.10.2011 (19.00-21.00 Uhr)              Dritter Kurs:    27.10.2011 (19.00-21.00 Uhr)
Anmeldung: Tel. 99 82 36                                   Anmeldung: Tel. 74 87 21 22 oder Tel. 74 87 21 23

Kurse in Zusammenarbeit mit der Gemeinde Bettembourg
®       Der Umgang mit Stress
Bettembourg: 09.11.2011 (18.30–20.30 Uhr)
®       Depressive Verstimmungen
Bettembourg: 14.12.2011 (18.30–20.30 Uhr), Anmeldung: Tel. 51 80 80 237 (vormittags)
®       Gesunde Ernährung im Alltag
Eine bedarfsgerechte und ausgewogene Ernährung fördert das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit.
Das Immunsystem wird gestärkt und die ernährungsbedingten Erkrankungen können vermieden werden.
Kurs am 20.10.2011 (15.00-16.30 Uhr) in ESCHDORF, Anmeldung: Tel. 26 88 81
®       Fit bis ins hohe Alter – Ernährung im Alter
Ziel dieses Kurses ist es, Ihnen Ernährungstipps zu geben damit Sie bei guter Gesundheit bleiben und Sie sich besser
vor verschiedenen Krankheiten (Osteoporose, Herzkrankheiten...) schützen können.
Kurs am 22.11.2011 (15.00-16.30 Uhr) in ESCHDORF, Anmeldung: Tel. 26 88 81
®       Diäten und gesunde Ernährung
Die meisten Diäten versprechen viel und halten wenig. Das Angebot an Diäten ist schwer überschaubar und nicht alle
Diäten sind zu empfehlen. Wie kann man nicht nur vorübergehend abnehmen, sondern das Gewicht auch auf Dauer
halten und fit bleiben?
Kurs am 23.11.2011 (15.00-16.00 Uhr) in LUXEMBURG-STADT, Anmeldung: Tel. 26 02 10-1

     Kurse in luxemburgischer Sprache. Auf Anfrage kann ein Kurs in einer anderen Sprache gehalten werden.
           Cours en langue luxembourgeoise. Sur demande, un cours peut être tenu dans une autre langue.

EINSCHREIBUNGEN UND WEITERE INFORMATIONEN ZU DEN KURSEN:

                            Activités Spécialisées – „Berodungsdéngscht“
                            306, rue de Rollingergrund . L-2441 Luxemburg . Tél: 26 02 10 – 201
®   Gerontologie & Geriatrie

                                         Leben mit Demenz

                                                                                                                             © GordonGrand – Fotolia.com
                                         Demenz:
                                         Das große Tabu
     Von Vibeke Walter ®                 Kaum eine Krankheit wird derzeit in den Medien so oft thematisiert wie
                                         Demenz. Kein Wunder, ist doch mittlerweile etwas mehr als ein Prozent der
                                         Gesamtbevölkerung aller europäischen Länder davon betroffen. Gleichzeitig
                                         ist eine offene Auseinandersetzung damit immer noch tabu. Wie erleben die
                                         Erkrankten und ihre Angehörigen diese paradoxe Situation?

                                             Als Marianne Mullers* Mutter im Alter    Angewohnheit, die Tischdekorationen
                                         von 74 Jahren an Demenz erkrankte, war       einzupacken. Auch ihre Freundinnen
                                         die Diagnose für die Familie ein Schock.     kamen damit nicht zurecht. Es war wie
                                         Mindestens genauso schockierend waren        ein Makel“, erinnert sich Marianne Muller
                                         allerdings die Reaktionen von Bekannten,     immer noch sichtlich getroffen.
                                         Nachbarn oder entfernteren Familienmit-          Gerade in der schwierigen Situation
                                         gliedern: „Viele haben sich zurückgezo-      als pflegende Angehörige, in der man viel
                                         gen und waren genervt, wenn wir über         Unterstützung gebraucht hätte, sei die
                                         die Erkrankung sprechen wollten. Unsere      plötzliche soziale Isolation eine zusätzli-
                                         Ängste wurden nicht ernstgenommen            che Belastung gewesen. „Das tat sehr
                                         oder abgetan, nach dem Motto, wir soll-      weh. Genau wie die Äußerungen, man
                                         ten uns doch nicht so anstellen. Manche      bräuchte die Mutter nicht mehr zu besu-
                                         Nachbarn grüßten uns nicht mehr, und         chen, sie würde einen doch ohnehin
                                         wir wurden aufgefordert, nicht mehr          nicht mehr erkennen. Dabei hätte sie ihr
                                         gemeinsam mit unserer Mutter bei Feiern      Gegenüber vielleicht noch am Klang der
                                         zu erscheinen, da sie ja alles durcheinan-   Stimme einordnen können, oder man
     * Name von der Redaktion geändert   der bringen würde. Sie hatte nämlich die     hätte gemeinsam Bilder von früher

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anschauen und darüber reden können“,         Cactus Inn. „Es ist gar nicht so schlecht,
so Marianne Muller. Beklagt hat sich ihre    dass wir ein bisschen abseits liegen, weil
Mutter über das Unverständnis ihrer          sich unsere Besucher so vor neugierigen
Umgebung nie. Aber ängstlich sei sie         Blicken geschützt fühlen. Der Nachteil ist
geworden, sie habe nicht mehr viel           natürlich, dass wir leicht übersehen wer-
gesprochen und sich zurückgezogen,           den können“, erklärt Alain Tapp, Erzieher
besonders dann, wenn sie, wie in einem       und seit Gründungsbeginn vor über 20
Pflegeheim der Fall, von Mitarbeitern aus-   Jahren bei der ALA tätig. Er hat festge-
geschimpft wurde, weil sie mal wieder        stellt, dass sich inzwischen immer mehr
etwas umgestoßen oder verschüttet            Erkrankte selbst melden, was vor einigen
hatte. „‘Ech weess net, wat dat gëtt‘, hat   Jahren noch eher die Ausnahme war:
sie immer gesagt, diese Unsicherheit, was    „Das ist für uns auch eine neue Heraus-
mit ihr passiert, war wohl ihre größte       forderung, weil diese Menschen eigent-
Sorge. Wie sie die Krankheit verarbeitet     lich eine besondere Plattform brauchen.
hat, wissen wir bis heute nicht so genau“,   Gerade zu Anfang der Erkrankung wollen
sagt Marianne Muller.                        sie noch viele Dinge eigenständig regeln
    Obwohl ihre Mutter vor zwei Jahren       und brauchen Unterstützung bei der Ent-
gestorben ist, besucht Marianne Muller       scheidung, wie sie ihr Leben weiterführen
nach wie vor das Alzheimer Café**, das       wollen. Besonders von Krankheitsbildern
von der „Association Luxembourg Alzhei-      wie Korsakow oder einer frontotempora-       ** Die „Association
mer“ (ALA) regelmäßig für Betroffene         len Demenz sind oft verhältnismäßig          Luxembourg Alzheimer“
und deren Angehörige organisiert wird.       junge Menschen zwischen Ende 40 und          (ALA) organisiert jeden
Sie fühlt sich den anderen Gästen aus        60 Jahren betroffen, die zum Teil sogar      ersten Mittwoch im Monat
eigener Erfahrung verbunden und              noch im Arbeitsleben stehen.“ (siehe         von 16 bis 19 Uhr das
                                                                                          „Alzheimer Café“ im
möchte ihnen durch ihre Präsenz zeigen,      auch Erklärung auf Seite 17)
                                                                                          Restaurant Cactus Inn in der
dass sie nicht allein sind. Wie der jungen        Alain Tapp hat unterschiedliche Reak-
                                                                                          Belle Etoile in Bartringen;
Frau, deren Schwiegermutter an Demenz        tionsformen bei den Betroffenen und          an jedem dritten Mittwoch
erkrankt ist: „Unser Leben ist völlig auf    ihren Angehörigen ausgemacht. Sie rei-       im Monat findet es von
den Kopf gestellt. Man kann nicht mehr       chen von völligem Rückzug aus dem            16 bis 20.30 Uhr im Wohn-
abschalten und es fällt einem schwer,        gesellschaftlichen Leben und dem             und Pflegeheim „Beim
etwas für sich selbst zu tun, obwohl         Wunsch, andere nicht belasten zu wollen,     Goldknapp“ in Erpeldingen
einem immer wieder dazu geraten wird.        bis zu einem offenen Umgang mit dem          statt.
Ich fühle mich oft so erschöpft, weil man    Bedürfnis, andere über die Krankheit zu
                                                                                          Weitere Infos auf
ständig mit der ganzen Familie verhan-       informieren und um Verständnis zu bit-       www.alzheimer.lu,
deln muss, wie es mit dem betroffenen        ten. „Hiervon fühlen sich allerdings viele   unter Tel. 42 16 76 1
Menschen weitergehen soll.“                  Nicht-Betroffene oft so verunsichert, dass   oder der Helpline SOS
    Mit dem „Alzheimer Café“ sollte          sie den Kontakt vermeiden oder ganz          Alzheimer 24/24 Stunden
ergänzend zu den bereits bestehenden         abbrechen. Auch wenn sich in den letz-       Tel. 26 432 432.
                                                                                                      432 .
Gesprächsgruppen ein offenes Forum           ten 20 Jahren schon vieles verändert hat,
                                                                                          Informationen auch unter
geschaffen werden, um eine möglichst         ist die Diagnose Demenz immer noch ein
                                                                                          www.deutsche-alzheimer.de
breite Öffentlichkeit zu erreichen.          Tabu und für die Betroffenen schwierig“,
Zunächst wurde es im auf Demenzkranke        bedauert Alain Tapp.
spezialisierten Wohn- und Pflegeheim              Christine Mitchel und ihr Mann Pete,
„Beim Goldknapp“ der ALA in Erpeldin-        bei dem im vergangenen Jahr im Alter
gen angeboten, seit Oktober vergange-        von 63 Jahren die Diagnose Alzheimer
nen Jahres auch im Einkaufszentrum           gestellt wurde, haben die Krankheit von
Belle Etoile. Dort allerdings etwas ver-     Anfang an nicht verheimlicht. Das engli-
steckt im hinteren Teil des Restaurants      sche Ehepaar, das seit vielen Jahren im

3/3 Bulletin 64                                                                                                     15
®   Gerontologie & Geriatrie

                               Leben mit Demenz

                               Großherzogtum lebt, hat noch keine              Auswirkungen seiner Demenzerkrankung.
                               negativen Erfahrungen gemacht. „Mein            Die Angst, schleichend, aber unaufhalt-
                               Mann geht sehr offen damit um und in            sam die Kontrolle über sein Leben und
                               unserem Freundeskreis ist es bislang kein       sein bewusstes Denkvermögen zu verlie-
                               Problem. Man akzeptiert ihn mit seiner          ren, ist tief und für Nicht-Betroffene kaum
                               Erkrankung. Er galt immer schon als ein         nachzuvollziehen.
                               bisschen verrückt“, erzählt Christine Mit-          „Das langsame Verschwinden ist eine
                               chel lächelnd. „Wir kommen gerne ins            Realität. Man bewegt sich Richtung
Zitat einer Betroffenen aus    Alzheimer Café, vor allem auch, um mehr         Nichts“, sagt der amerikanische Psycho-
dem deutschen                  über die Krankheit zu erfahren. Wir wis-        loge und Dozent Richard Taylor (62)
Modellprojekt                  sen noch so wenig darüber.“ An diesem           über seine vor vier Jahren diagnostizierte
„Verbesserung der              Nachmittag ist erstmals auch ihr Sohn           Alzheimer-Erkrankung. In seiner Autobio-
Versorgung demenzkranker
                               dabei, den es freut, seinen Vater von           graphie „Alzheimer und Ich – Leben mit
älterer Menschen im
                               einer anderen Seite zu erleben: „Hier           Dr. Alzheimer im Kopf“ sowie Vorträgen
Krankenhaus“:
                               spricht er über seine Krankheit, das tut er     und Interviews fordert Taylor vehement
                               zu Hause nie.“ Pete Mitchel beteiligt sich      einen anderen Umgang. Wie viele andere
                               rege an der Diskussion auf französisch,         Erkrankte auch, die zunehmend an die
                               macht Witze über sich und seine Krank-          Öffentlichkeit gehen, will Taylor sich nicht
                               heit und versucht, auch die anderen Teil-       mundtot machen lassen: „Demente brau-
                               nehmer ins Gespräch einzubeziehen.              chen ein soziales Netzwerk, das Betrof-
                               „Wenn in Brüssel Tests für neue Medika-         fene nicht entmündigt, sondern befähigt
                               mente gemacht werden sollten, würde             – ihnen hilft, das zu tun, was sie tun
                               ich mich sofort melden. Man muss doch           möchten.“ Was sie dagegen nicht brau-
                               alles versuchen, um ein Mittel gegen die        chen, seien „wohlmeinende Menschen,
                               Krankheit zu finden“, so seine Hoffnung.        die ständig nach unseren Fehlern Aus-
                               So gesellig ihr Mann in der Runde auch          schau halten“. (Frankfurter Rundschau
                               wirkt, Christine Mitchel kennt ihn auch         Mai 2011).
                               anders: „Es gibt immer Höhen und Tie-               Im Ausland gibt es inzwischen Initiati-
                               fen. Wenn ich tagsüber bei der Arbeit bin,      ven, in der Menschen mit Demenz ihre
                               schläft er eigentlich die meiste Zeit. Frage    Anliegen selbst thematisieren. So gibt es
                               ich ihn, ob er etwas gegessen oder seine        beim Bürgerinstitut Frankfurt eine unter-
                               Medikamente genommen hat, sagt er               stützte Selbsthilfegruppe für Menschen
                               immer ja, aber das stimmt oft nicht. Da         mit beginnender Demenz, wo diese die
                               darf man sich nicht abwimmeln lassen,           Inhalte der Treffen jeweils nach ihren
                               man muss ihn einfach an alles erinnern.         Wünschen gestalten. Externe fachliche
                               Das sage ich auch den Kindern, wenn sie         Unterstützung gibt es lediglich bei der
                               sich um ihn kümmern.“                           Moderation und Organisation der Treffen.
                                   Für die Angehörigen ist es oft schwer,          Ähnliche Angebote gibt es auch von
                               eine Balance zwischen angemessener              der Münchner Alzheimer Gesellschaft.
                               Begleitung und nicht allzu viel Bevormun-       Vor allem im Anfangsstadium versuchen
                               dung zu finden. Was tun, wenn der Part-         viele Betroffene so weit wie möglich, ihr
                               ner oder der Elternteil sich plötzlich völlig   Leben autonom weiterzuführen und sich
                               ungewohnt verhält, sich nicht mehr              nicht ins gesellschaftliche Abseits schie-
                               zurechtfindet oder sich sprachlich nicht        ben zu lassen. Alain Tapp weiß aus Erfah-
                               mehr zu artikulieren vermag? Wenn ein           rung, was Menschen mit Demenz und
                               geliebter Mensch das gemeinsame Leben           ihre Angehörigen zunächst ganz konkret
                               nicht mehr teilen kann? „Meine Welt zer-        beschäftigt: Wie geht es weiter? Was
                               fließt mir“, beschreibt ein Betroffener die     geschieht mit mir? Werde ich zu einer

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Belastung für mein Umfeld? Wie lange               Für die Zukunft wünscht sich Alain
lebe ich noch? Eine allgemeingültige Ant-      Tapp vor allem einen Durchbruch in den
wort oder gar Trost kann allerdings auch       Behandlungsmöglichkeiten der Krankheit
er nicht geben: „Wir können den Betroffe-      sowie spezifische Betreuungs- und Pfle-
nen nicht sagen, alles wird gut. Es gibt       gestrukturen für jüngere Betroffene. Und
auch keinen Fahrplan für die Krankheit,        natürlich mehr „Offenheit und Normalität
sie verläuft bei jedem Mensch individuell      im Umgang mit Menschen mit Demenz“.
anders. Wichtig ist es, gezielte Informatio-   Eine Auffassung, die aus aktuellem Anlass
nen zu vermitteln sowie die verbliebenen       auch von der Deutschen Alzheimer
Ressourcen zu erkennen und zu unter-           Gesellschaft geteilt wird. Sie erklärte nach
stützen. Es gibt inzwischen viele thera-       dem Selbstmord des prominenten deut-
peutische, aber auch medikamentöse             schen Geschäftsmanns Gunter Sachs:
Ansätze, durch die sich die Lebensquali-       „Der Tod von Gunter Sachs zeigt uns            π „Wir können den
tät aufrecht erhalten bzw. erhöhen lässt.      auch, dass wir noch viel tun müssen, um        Betroffenen nicht sagen,
Angehörige sollten außerdem unbedingt          das Tabu dieser Erkrankung aufzubrechen        alles wird gut. Es gibt auch
Hilfe in Anspruch nehmen und sich nicht        und die Versorgung so zu gestalten, dass       keinen Fahrplan für die
selbst überfordern.“                           die Menschen keine Angst haben müs-            Krankheit, sie verläuft bei
    Unerlässlich sei bei Verdacht auf          sen, in eine Pflegesituation und damit in      jedem Mensch individuell
Demenz in jedem Fall der Gang zum              Abhängigkeit von Anderen zu geraten.“          anders“ Alain Tapp
Spezialisten, sprich Neurologe oder Ger-       Sachs hatte sich im Mai das Leben              (Association Luxembourg
iater, um eine genaue Diagnose zu              genommen, offenbar aus Angst vor der           Alzheimer)
erhalten. Neben Fachärzten leisten dies        „ausweglosen Krankheit A.“, die er in sei-
auch Anlaufstellen wie zum Beispiel die        nem Abschiedsbrief noch nicht einmal
„Memory Clinic“ in der hauptstädtischen        beim Namen nennen wollte. So groß ist
Zitha-Klinik.                                  das Tabu Demenz – immer noch.

        WAS BEDEUTET DEMENZ?
   Demenz ist der Oberbegriff für Krankheitsbilder, die durch Gedächtnis-
   störungen, Einbußen im Bereich der Sprachfähigkeit, der Orientierung
   sowie dem Verknüpfen von Denkinhalten gekennzeichnet sind. Zu die-
   sen Krankheitsbildern gehört als Unterform die Alzheimer-Demenz, die
   die häufigste Form einer Demenz darstellt, sowie z.B. die vaskuläre und
   die frontotemporale Demenz (auch Morbus Pick, Schädigung der Ner-
   venzellen im Stirn- oder Schläfenlappen des Gehirns, die vor allem
   eine starke Veränderung der Persönlichkeit bewirkt) sowie das Korsa-
   kow-Syndrom (häufig durch exzessiven Alkoholkonsum oder Schädel-
   Hirn-Trauma bedingt). Während Sprachstörungen und Probleme beim
   Ausführen von alltäglichen Handlungen meistens erst im späteren
   Krankheitsverlauf auftreten, machen sich Gedächtnisstörungen bereits
   in frühen Stadien einer Demenzerkrankung bemerkbar.

   Besonders alte Menschen sind von Demenzerkrankungen betroffen,
   nämlich schätzungsweise ein Drittel der über 85-Jährigen. Da infolge
   der demographischen Entwicklung immer mehr Menschen ein sehr ho-
   hes Alter erreichen, nimmt dementsprechend auch die Anzahl der De-
   menzkranken zu.

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®   Gerontologie & Geriatrie

                             Biografiearbeit

                             Eine Gaststätte zieht um:
                             Milieugestaltung im Altenheim

     Von Christian Ensch ®   Als Heimleiter des CIPA HPPA Redingen wurde ich im Januar dieses Jahres
                             von der Verwaltung einer der Gemeinden aus unserem Einzugsgebiet kontak-
                             tiert, mit der Bitte zwei ältere Damen aufzunehmen, die in einer baufälligen
                             Gaststätte wohnten. Das Dach war undicht und durch den starken Schneefall
                             in diesem Winter hatte sich die Lage noch verschlimmert. Das Schmelzwas-
                             ser lief die Wand entlang, und die beiden Schwestern lebten in unzumutbaren
                             hygienischen Zuständen.

                                  Die Gemeinde hatte ihre Informatio-       Ist-Zustand
                             nen vom Pflegehilfsdienst, der die Damen           Ich hatte den Eindruck, eine Reise in
                             betreute. Des Weiteren fürchtete der Pfle-     die Vergangenheit zu machen. Hier war in
                             gedienst um die Sicherheit seiner Mitarbei-    den letzten Jahrzehnten fast nichts verän-
                             ter, die man tagtäglich in ein offenbar bau-   dert worden. Nur einige moderne Gegen-
                             fälliges Gebäude schickte. Wie bei all         stände (Mikrowelle, Kühlschrank, Flach-
                             unseren Aufnahmen besuchte ich auch            bildfernseher) wurden angeschafft.
                             hier die zukünftigen Bewohnerinnen im              Der Raum war gemütlich warm. Da
                             Vorfeld. Anna J. und Milly T. waren schon      man als ältere Person nicht gerne friert,
                             lange bei uns angemeldet, wollten jedoch       hatten Anna J. und Milly T gleich zwei
                             bisher nicht ins Heim ziehen. Nachdem          Öfen in Betrieb, um den Raum zu heizen:
     Christian Ensch,        ich einen Termin mit der Tochter, Frau J.,     einen modernen Pellets-Ofen und einen
     Heimleiter des CIPA     vereinbart hatte, stand ich schlussendlich     etwas älteren Ofen, der mit Heizöl befeu-
     HPPA Redingen
                             am Tresen dieser anscheinend unzumut-          ert wurde. Abgesehen davon, dass der
                             baren Gaststätte und ließ, während eines       Ölofen etwas leckte, schien die Wärme-
                             Bieres, das Umfeld auf mich einwirken.         versorgung soweit in Ordnung.

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Die Mauern und die Decke waren
durch jahrzehntelangen Zigarettenrauch
mit einer gelblichen Patina überzogen.
Der Holzboden war abgenutzt und
uneben, und die Tapete hatte sich durch
den Wassereintritt an mehreren Stellen
von der Wand gelöst.
    Die elektrische Installation wurde im
Laufe der Jahre durch abenteuerliche
Basteleien an die wechselnden Bedürf-
nisse angepasst. Der Tresen hatte seine
durch Ellenbogen verursachten Gebrauchs-
spuren und der Schrank dahinter war mit
Ansichtskarten vollgeklebt, welche die Kun-    Dilemma                                        π Die ehemalige
den aus ihren Ferien an Anna und Milly              Das undichte Dach war Fakt. Ob das        Gaststätte befand sich in
gesendet hatten. Ein weiterer Schrank war      Gebäude tatsächlich baufällig war,             einem desolaten Zustand
voller Pokale der örtlichen Vereine. Allge-    konnte ich als Pflegeperson und Heimlei-
mein herrschte im Raum ein heilloses           ter nicht beurteilen. Als Pfleger, zu dessen
Durcheinander. Einige Tische standen nicht     Ausbildung unter anderem die Lehre der
mehr für die Gäste zur Verfügung. Hier sta-    Hygiene zählt, empfand ich die Situation,
pelten sich Lebensmittel, Teller und           die ich vorfand, mehr als fragwürdig. Als
Geschirr, Tücher, Zeitschriften, Kartoffel-    Anwender des psychobiografischen Pfle-
chipstüten, Töpfe, Kästchen und Schach-        gekonzeptes nach Prof. Erwin Böhm
teln… Getränkekisten, Leergut, Kisten mit      musste ich jedoch feststellen, dass Anna
Inkontinenzmaterial, eine Tiefkühltruhe, ein   und Milly sich in ihrem Milieu wohlfühlten
Sessel sowie ein Rollstuhl vervollständigten   und bekam in Bezug auf ihren geplanten
das unordentliche Bild. Hinter dem Tresen      Heimeinzug Bedenken. Dieses diskutierte
gelangte man in ein Schlafzimmer, in dem       ich mit Annas Tochter, die meine Ansicht
beide Geschwister die Nacht verbrachten.       teilte und ihrerseits zudem ein schlechtes
Die beiden Pflegebetten und der Patien-        Gewissen hatte. Des Weiteren ist auch
tenheber waren das Einzige, was in mein        sie stark mit dieser Gaststätte verbunden,
Weltbild als Pflegeperson passten. Ansons-     da sie seit Jahren jeden Abend den Aus-
ten herrschte hier, wie auch in der Gast-      schank übernahm.
stätte, geordnetes (?) Chaos.                       Nach zwei Tagen des Grübelns über-
    Über die sanitären Anlagen, deren          raschte ich sie dann mit dem Vorschlag:        π Nach dem Umzug
Mauern mit schwarzem Schimmel befal-           „Wir werden Anna und Milly mitsamt ihrer       ins Altersheim lebt
len waren, möchte ich hier nicht im Detail     Gaststätte ins Heim aufnehmen.“ Zuerst         die Gaststätte, unter
berichten. So fand ich Anna und Millys         lachte sie und glaubte, ich würde scher-       tatkräftiger Mitwirkung von
Umfeld vor und stellte fest, dass sie sich     zen. Ich brauchte jedoch nicht lange, um       Tochter Liliane, in neuem
hier sehr wohl fühlten. Da beide gehbe-        sie für meine Idee zu gewinnen und             Rahmen, aber altem Dekor
hindert sind, besaß jede ihren eigenen         bekam die Erlaubnis, die Einrichtung der       wieder auf
Tisch, auf welchem alles Nötige griffbereit    Gaststätte nach unserem Ermessen in
lag. Beide sind pflegebedürftig, und der       das Altenheim zu übertragen.
Pflegedienst kommt mehrmals am Tag
vorbei. Außerdem wurden die beiden             Lösung
durch die Tochter sowie von Bekannten             Zuerst ging es darum, einen geeigne-
mit Essen versorgt und erhielten regelmä-      ten Raum zu finden, der nicht nur von
ßige Betreuung („garde“).                      der Größe, sondern vor allem von der

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