Vielfalt familie - Zukunftsforum Familie e.V.

Die Seite wird erstellt Norbert Oswald
 
WEITER LESEN
Vielfalt familie - Zukunftsforum Familie e.V.
vielfalt familie
                      Z ei t schr i f t des Z uk un f t s f or um F amilie ( Z F F )
                                                                              A u s g a b e 2 8 | M a i 2 0 18

                                Vielfalt im Blick:
                                  Auf dem Weg zu einer modernen
                                                                     Familienpolitik

 Thema: Vielfalt im Blick: Auf dem Weg zu einer modernen Familienpolitik | Aus dem ZFF: Aktuelle
Themen und neue Mitglieder | Interview mit Dr. Andrea Buschner | Unsere Mitglieder: Mo.Ki unter 3 |
            Buch-Tipp: Alleinerziehende: Lebensentwürfe von eigensinniger Schönheit||
Vielfalt familie - Zukunftsforum Familie e.V.
Schwerpunkt

                                                       © Kai Doering
                                                                         Vielfalt im Blick:
                                                                         Auf dem Weg zu
     Liebe Leser*innen,
     die vergangene Legislaturperiode des Deutschen
                                                                         einer modernen
     Bundestages endete freudig und spektakulär:
     Die „Ehe für alle“ ist nun endlich Realität! Aber
     wir müssen über die Öffnung der Ehe hinaus
                                                                          Familienpolitik
     denken, denn auch sie hat ihre Grenzen: Viele
     Familienmenschen wollen oder können nicht
     heiraten und leben und meistern den Alltag
     in vielfältigen Konstellationen aber ohne den
     Bund fürs Leben. Im Vergleich zur Familie mit
     Trauschein sind diese aber weiterhin schlechter                   „Ist die Familie im Niedergang?“ Angesichts sin-
     gestellt. Darunter leiden Eltern genauso wie ihre                 kender Ehezahlen und steigender Scheidungs­
     Kinder. Die vorliegende Ausgabe der „vielfalt
     familie“ eröffnet vor diesem Hintergrund einen                    raten wurde so oder ähnlich schon oft das Ende
     Ausblick auf einen Jahresschwerpunkt unserer
     Arbeit und gibt Impulse, wie eine perspektivische                 der (Klein-)familie beschworen. In der Realität
     und moderne Familienpolitik aussehen kann.
                                                                       lässt sich aber wohl weniger ein Niedergang als
     Darüber hinaus können wir wieder von Aktivi-                      mehr ein Wandel von Familienleben beobachten.
     täten des ZFF und seiner inzwischen 70 Mitglie-
     der berichten – denn wir sind ein wachsender
     Verband. Verbände, Initiativen, gemeinnützige

                                                                       Z
     Gesellschaften und Einzelpersonen arbeiten
     daran, dass die Vielfalt des Familienlebens im                          war war Familie schon immer vielfältiger als „Mutter, Vater,
                                                                             Kind“, aber der Anteil an Menschen, der in nicht-traditio-
     besten Sinne gestärkt wird. Und dies hat unsere
                                                                             nellen Sorgegemeinschaften zusammen lebt, hat erkennbar
     Gesellschaft auch weiterhin bitter nötig!                         zugenommen und findet mittlerweile breite gesellschaftliche
                                                                       Anerkennung: 97 % der Bevölkerung verstehen inzwischen un-
     Ich wünsche Ihnen und Euch eine Lektüre voll                      ter einem nicht verheirateten Paar mit Kindern eine Familie. Das
     Inspiration und Widerspruch!                                      sind rund 30 % mehr als noch 2009. Auch homosexuelle Paare
                                                                       mit Kindern (88 %), eine Mutter, die mit einem neuen Partner
     Ihre/Eure                                                         unverheiratet zusammenlebt (85 %) oder alleinerziehende Müt-
                                                                       ter (82 %) werden in großer Mehrheit als Familie begriffen (Fa-
                                                                       milienreport 2017 und 2010).

                                                                       Diese lebendige Vielfalt der Familie spiegelt sich im weiten aber
                                                                       verbindlichen Familienbegriff unseres Verbands wider, denn für
                                                                       das ZFF ist Familie überall dort, wo Menschen dauerhaft fürei-
     Christiane Reckmann, Vorsitzende ZFF                              nander Verantwortung übernehmen, Sorge tragen und Zuwen-
                                                                       dung schenken. Unser Ziel ist es, sie sichtbar, stark und gleichbe-
                                                                       rechtigt lebbar zu machen.

                                                                       Vielfalt im Spiegel der Statistik

                                                                       Wie schlägt sich der Wandel der Familienformen nun zahlen-
                                                                       mäßig nieder? Wir werfen hier beispielhaft einen Blick auf Fa-
                                                                       milien mit Kindern unter 18 Jahren: Verheiratete heterosexuelle

vielfalt familie Nr. 28/2018
Vielfalt familie - Zukunftsforum Familie e.V.
Familienpolitik aktuell | Seite 3

                                                         Sor-
                   u ss Fa m il ie sich immer am t-
                 M                                erwand
                                 Kinder, an V
                gebedarf für               b es b ez iehung
                                   ner Lie
                 schaft oder ei                   srichten?
                                  achsenen au
                zwischen Erw                    es sich mit
                                Wie verhält                hon
                                       en, die sich sc
                      Nachbar*inn                     n se it ige
                                        und gege
                      Jahre kennen                 n  eh m   en ?
                                        ng über
                        Verantwortu

                                                                                                                                            me
                                                                                                                           /DURIS Guillau
                                                                                                            © fotlia.com

                                                                                                      Bunte Familienrealitäten – und jetzt?

                                                                                                      Die Vielfalt des Familienlebens gehört also
                                                                                                      längst zur gesellschaftlichen Realität. Aller-
                                                                                                      dings stoßen Menschen, die nicht in „traditi-
                                                                                                      onellen“ Familienkonstellationen leben, auf
                                                                                                      ein komplexes Feld an gesellschaftlichen
                                                                                                      und rechtlichen Rahmenbedingungen, die
                                                                                                      ihre konkreten Lebensbedingungen nicht
                                                                                                      angemessen berücksichtigen. Dabei fällt
                                                                                                      auf, dass sich viele Rechtsbereiche nach
                                                                                                      wie vor an einem traditionellen Familien-
                                                                                                      bild orientieren. So macht das Bürgerliche
                                                                                                      Gesetzbuch beispielsweise das Eltern-Kind
Paare mit Kindern bilden mit 68 % (2015)               beispielsweise Stief-, Patch-, Adoptiv- oder   Verhältnis nach wie vor am Ehestatus der
nach wie vor die häufigste Familienform,               Pflegefamilien statistisch nur schwer vonei-   Eltern fest, unverheiratete Eltern sind da-
ihr Anteil hat in den letzten zwanzig Jah-             nander abzugrenzen. Auch für die Anzahl        durch mit Benachteiligungen konfrontiert.
ren allerdings deutlich abgenommen (1996:              von Regenbogenfamilien gibt es lediglich       Anders als in Ehen müssen sich nicht ver-
81 %). Heute nehmen andere bzw. sich ver-              Annäherungswerte, die queeres Familien-        heiratete Paare beispielsweise um die Vater-
ändernde Konstellationen zu: etwa nicht-               leben bislang nur unzureichend abbilden.       schaftsanerkennung und die Regelung des
eheliche Lebensgemeinschaften (11 %) oder              Es gilt aber auch zu beachten, dass Familie    Sorgerechts beim Jugendamt kümmern, an-
Alleinerziehendenhaushalte (20 %) (Famili-             kein starres Gebilde ist, sondern Formen       sonsten hat momentan noch die Mutter die
enreport 2017). Die amtliche Statistik ver-            teils fließend ineinander übergehen und        alleinige Sorge inne. Noch komplizierter ist
mag es allerdings nicht, die ganze gelebte             sich Familie als Gruppe und System stetig      die Situation von Patchworkfamilien, also
Vielfalt von Familien zu erfassen. So sind             verändert.                                     Familien mit multiplen Erwachsenen-Kind-

                                                                                                                                                 vielfalt familie Nr. 28/2018
Vielfalt familie - Zukunftsforum Familie e.V.
Seite 4 | Familienpolitik aktuell

              Die Vielfa
         gehört als       lt des Fam
                    o längst z        ilienlebe
          lichen Re              ur gesellsc ns
                     alitä                   haft-
           Menschen t. Allerdings stoße
                       , die nich                n
           nellen“ Fa             t in „trad
                       milienkon             itio-
         leben, au                 stellation
                    fe                         en
        gesellscha in komplexes Feld
                   ftlichen u                 an
       Rahmenb                 nd rechtlic
                edingung                    hen
        kreten Le            en, die ih
                  bensbedin             re kon-
            angemess           gungen n
                        en berück          icht
                                   sichtigen
                                              .

                                                                            © Panthe
                                                                                       rMedia/ be
                                                                                                    lchonock

Verhältnissen. Ihre alltäglich erbrachte Sor-        Gute Rahmenbedingungen für vielfältige                    richten? Was ist mit Freund*innen in einer
ge füreinander kollidiert dabei regelmäßig           Familien                                                  WG, die sich bei der Erziehung und Betreu-
mit abweichenden formalen Rechts- und                                                                          ung ihrer Kinder unterstützen? Wie verhält
Zuständigkeitsstrukturen. Bislang können             Für das ZFF gilt: Familienleben ist vielfäl-              es sich mit Nachbar*innen, die sich schon
in Deutschland nur zwei Personen Eltern              tig. Es liegt in öffentlicher Verantwortung,              Jahre kennen und gegenseitige Verantwor-
eines Kindes sein, mit allen Konsequenzen            Familien in ihrer Vielfalt und ihrem Wan-                 tung übernehmen? Und nicht zuletzt: Wie
hinsichtlich des Sorge-, Unterhalts- oder            del zu akzeptieren und sie durch gute Rah-                sieht es mit der Perspektive von Kindern
Umgangsrechts. Gleiches gilt für Regenbo-            menbedingungen in all ihren Formen glei-                  aus und wie kann ein gutes Aufwachsen in
genfamilien bei denen rechtliche und sozi-           chermaßen zu unterstützen. Unser Leitbild                 unterschiedlichen Familienkonstellationen
ale Elternschaft oftmals auseinanderfallen.          ist klar und doch stellen sich für uns offene             gelingen?
                                                     Fragen auf dem Weg zu einer inklusiven
Auch Alleinerziehende erfahren auf Grund             und vielfaltssensiblen Gesellschaft: Wie                  Solchen Fragen möchte das ZFF auf einer
ihrer Lebenssituation unterschiedliche Be-           können Familien betreffende Rechtsberei-                  gemeinsam mit dem Lesben- und Schwu-
nachteiligungen: Sie sind im Alltag alleine          che, wie beispielsweise das Kindschafts-                  lenverband in Deutschland (LSVD) organi-
für die Betreuung und Erziehung ihrer Kin-           oder das Familienrecht reformiert werden,                 sierten Fachtagung im Juni 2018 in Berlin
der zuständig und müssen nebenbei noch               so dass sie „neuen“ Familienkonstellationen               nachgehen. Zur Diskussion steht, wie eine
das gesamte Haushaltseinkommen erwirt-               gerecht werden, in denen biologische, recht-              in die Zukunft gerichtete und vielfaltsori-
schaften. Sie kommen aber weder in den               liche und soziale Elternschaften auseinan-                entierte Familienpolitik ganz konkret aus-
Genuss von Eheprivilegien, noch haben sie            derfallen? Wie können Sorgegemeinschaf-                   sehen kann, die althergebrachten Leitbilder
Anspruch auf steuerpolitische Familienleis-          ten jenseits der Ehe rechtlich abgesichert                überwindet, indem sie die Sorgeverantwor-
tungen, da ihr Einkommen meist zu gering             und finanziell unterstützt werden? Muss                   tung für andere Menschen, egal in welcher
ist.                                                 Familie sich immer am Sorgebedarf z.B. für                Familienkonstellation, in den Mittelpunkt
                                                     Kinder, an Verwandtschaft oder einer Lie-                 stellt.
Das sind nur einige Beispiele, die zeigen,           besbeziehung zwischen Erwachsenen aus-                                  (Dieter Heinrich/Lisa Sommer)
dass traditionelle Familienbilder nach wie
vor eine starke Prägekraft besitzen und
rechtliche Regulierungen normieren. Eine
moderne Familienpolitik sollte daher eine
Gleichwertigkeitspolitik für die Vielfalt
sein, die auch gegen die alltäglichen Anfein-                                                                    Fachtagung des ZFF und des LSVD
dungen und Diskriminierungen wirkt, de-
nen Eltern wie Kinder u.a. auch durch ihre                                                                       „Rechtliche und soziale Herausforde-
gelebte Familienform ausgesetzt sind.                                                                            rungen für die Vielfalt des Familien-
                                                                                                                 lebens“
                                                                                                                 14. Juni 2018, 10.00 – 16.o0 Uhr
                                                                                                                 Centre Monbijou, Berlin

                                                                                                                 www.zukunftsforum-familie.de/anmeldung

vielfalt familie Nr. 28/2018
Vielfalt familie - Zukunftsforum Familie e.V.
Aus dem ZFF | Seite 5

Aus dem ZFF                                                                                 Neue Mitglieder

Familienbildung, Wohnkosten                                                                 Herzlich
und der § 219a StGB                                                                         Willkommen
als aktuelle Themen                                                                         im ZFF

I                                                                                           E
  m Jahr 2018 rücken im ZFF weitere wich-    Organisationen setzen sich für die umfas-            nde 2017 und Anfang 2018 begrüßt
  tige Themen in den Fokus: Familienbil-     sende Informationsfreiheit über Schwan-              das ZFF fünf neue Mitglieder. Wir
  dung als lebensbegleitendes Unterstüt-     gerschaftsabbrüche und Rechtssicherheit              freuen uns sehr, dass weitere Verbän-
zungssystem ist ein Recht für alle Eltern.   für Ärztinnen und Ärzte ein.                   de und eine gGmbH das ZFF in Zukunft be-
Gemeinsam mit dem AWO Bundesverband                                                         reichern werden. Nur durch die Zusammen-
diskutierten wir deshalb im April das The-   Bedarfsgerechte Wohnungen für Famili-          arbeit mit unseren Mitgliedern können wir
ma „Familien gut begleiten – von Anfang      en sind knapp und teuer. Dieses Problem        der Familie in all ihrer Vielfalt eine kräftige
an“. Vor dem Hintergrund der SGB VIII-       rückt in einem Prozess mit der Friedrich-      Stimme geben und gute Vorschläge für eine
Reform wollten wir ausloten, welche Be-      Ebert-Stiftung ins Zentrum. In einer Kurz-     solidarische Zusammenarbeit entwickeln.
dingungen gute Familienbildung (§  16 SGB    expertise soll ein anschaulicher Überblick
VIII) braucht und wie diese abgesichert      über die aktuelle Situation für Familien auf   • AWO Soziale Dienste Vorpommern
werden kann.                                 dem Mietwohnungsmarkt erarbeitet und             gGmbH: www.awo-vorpommern.de/
                                             eine Bewertung im Hinblick auf die Ent-        • AWO Ortsverein Schwäbisch Hall e.V.:
In einem offenen Brief an die Bundesregie-   wicklung der Kostenbelastungen von Fa-           www.awo-sha.de/
rung und die Fraktionsvorsitzenden von       milien ermöglicht werden. Die Ergebnisse       • PEKIP e.V.: www.pekip.de/
CDU/CSU und SPD forderten das ZFF und        und Handlungsanforderungen an die Politik      • Landesverband der Mütter- und
die AWO mit einem breiten Bündnis von 26     möchten wir in einem Workshop diskutie-          Familienzentren in Bayern e.V.:
Verbänden und Organisationen den § 219a      ren.     (Birgit Merkel/Alexander Nöhring)       www.muetterzentren-in-bayern.de/
StGB aufzuheben. Die unterzeichnenden                                                       • AWO Landesverband Thüringen e.V.:
                                                                                              www.awothueringen.de/startseite/
                                                                                                             (Inge Höcker/Nikola Schopp)

Bündnisarbeit

Wichtiges Signal gegen Kinderarmut:
Arbeits- und Sozialministerkonferenz
stimmt für Kindergrundsicherung

A
       m 7. Dezember 2 017 hat sich          ben wir unser Konzept aktualisiert und
       die Konferenz der Arbeits- und        an den aktuellen Existenzminimumbericht
       Sozialminister*innen der Länder       angepasst. Bei weiterhin gebührenfreier In-
klar zu einer einkommensabhängigen           frastruktur (Kita etc.) und dem Fortbestand
Kindergrundsicherung bekannt. Wir set-       von bedarfsorientierten Sonderleistungen
zen nun alles daran, dass dieser Beschluss   soll die Kindergrundsicherung bisherige
auch bundespolitisch aufgegriffen wird.      allgemeine monetäre Leistungen für Fami-
Im Bündnis KINDERGRUNDSICHERUNG              lien ersetzen. Durch die Versteuerung der
bringen zukünftig auch der Paritätische      Kindergrundsicherung mit dem Grenzsteu-
Gesamtverband, das Bundesforum Männer,       ersatz des elterlichen Einkommens ist die
das Deutsche Kinderhilfswerk, die Volksso-   Wirkung zwischen 300 und 619 Euro pro
lidarität und Prof. Dr. Klaus Hurrelmann     Kind und Monat sozial differenziert.
ihre Sachkompetenzen ein. Inhaltlich ha-            (Christiane Reckmann/Nikola Schopp)

                                                                                                                 vielfalt familie Nr. 28/2018
Vielfalt familie - Zukunftsforum Familie e.V.
Seite 6 | Familienpolitik aktuell

                                                               Interview

                      Alles bio, oder was?
                 Familie und Elternschaft heute.
  Dr. Andrea Buschner studierte an der Otto-Friedrich Universität Bamberg Soziologie und promovierte
             dort zum Thema „Die Arbeitsteilung gleichgeschlechtlicher Paare in Deutschland“.
  Seit Juni 2006 arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Staatsinstitut für Familienforschung.
   Dort forscht sie u.a. zu gleichgeschlechtlichen Lebensweisen und der Pluralisierung von Lebens- und
    Familienformen. Gerade hat sie mit mehreren Kollegen*innen einen umfassenden Buchband zum
                         Thema „Familien mit multipler Elternschaft“ veröffentlicht.

Was heißt Familie und Elternschaft heute? Oder: Wie hat               darf. Organisatorische Abläufe wie z.B. die Hol- und Bringdienste
sich Familienleben und Elternschaft verändert?                        zur Schule, die Gestaltung von Freizeitaktivitäten und Ferien oder
                                                                      das Treffen wichtiger Entscheidungen müssen unter den Eltern-
Elternschaft und Familie sind heute äußerst vielfältig – selbst,      teilen abgestimmt werden. Die Elternteile müssen zudem die eige-
wenn die traditionelle Kernfamilie aus Vater, Mutter und leibli-      nen Werthaltungen, Einstellungen und Erziehungsvorstellungen
chen Kindern bis heute das Gros der Familien darstellt. Natürlich     diskutieren und auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Die Fa-
gab es Familienformen wie Stief- und Patchworkfamilien oder Al-       milienmitglieder stehen außerdem oft vor der Herausforderung
leinerziehende schon immer. Doch ihre quantitative Verbreitung        mit den Befürchtungen und Vorurteilen aus ihrem Umfeld umzu-
und ihr Entstehungskontext sind neu. Stieffamilien wurden frü-        gehen. Die Frage, wer zur Familie gehört und wie man als solche
her nach dem Tod eines Elternteils gegründet, während sie heute       nach außen auftritt, gilt es tagtäglich zu klären und umzusetzen.
meist im Zuge von Trennung und Scheidung entstehen. Ein wich-
tiger Aspekt, der viele Familien heute von der traditionellen Kern-   Welcher Unterstützungsbedarf ergibt sich in diesen Famili-
familie unterscheidet, ist die multiple Elternschaft: So überneh-     enformen in Bezug auf die Kinder?
men die zwei bio-genetischen Elternteile nicht zwingend auch die
rechtliche und soziale Elternschaft. Stattdessen können die einzel-   Ein wichtiger Bereich, in dem Familien mit multipler Elternschaft
nen Aspekte der Elternschaft von mehr als zwei Personen über-         unterstützt werden können, ist der Umgang mit der Herkunftsge-
nommen werden. Ein Beispiel: in vielen Stieffamilien ist die leib-    schichte des Kindes. Adoptiveltern wurde vor einigen Jahrzehn-
liche Mutter auch rechtliche und soziale Mutter. Ihr neuer Partner    ten noch geraten, die Herkunft ihrer Kinder zu verbergen. Heute
hat vielleicht keine Elternrech-                                                                       empfiehlt man, die Kinder von
te, übernimmt aber tatsächlich                                                                         Anfang an – jedoch altersge-
                                                                                                    © Dr. Andrea Buschner

auch Erziehungsverantwortung                                                                           recht – über ihre Herkunft
im Alltag. Der getrennt lebende                                                                        aufzuklären. Die eigenen Wur-
leibliche Vater verfügt dagegen                                                                        zeln zu kennen, stellt für viele
über ein geteiltes Sorgerecht                                                                          Adoptivkinder oder Kinder, die
mit der Mutter. Beteiligt sich                                                                         im Zuge einer Gametenspende
dieser auch aktiv an der Erzie-                                                                        (Samen- und Eizellenspende)
hung und Betreuung der Kin-                                                                            entstanden sind, einen wichti-
der, so übernehmen in diesem                                                                           gen Schritt zur Herausbildung
Beispiel drei Personen die sozi-                                                                       ihrer eigenen Identität dar. Die
ale Elternschaft, was sicherlich                                                                       Forschung hat gezeigt, dass das
nicht immer einfach ist.                                                                               Recht des Kindes auf Kenntnis
                                                                                                       seiner Abstammung auf jeden
Vor welchen Herausforde-                                                                               Fall gewahrt bleiben sollte. Ich
rungen stehen Familien mit                                                                             denke, dass die psycho-soziale
multipler Elternschaft?                                                                                Beratung vielen Eltern gerade
                                                                                                       im Umgang mit der Herkunfts-
Sind mehr als zwei Elternteile                                                                         geschichte ihres Kindes eine
involviert, so besteht ein deut-                                                                       wichtige Unterstützung bieten
lich höherer Abstimmungsbe-                                                                            kann.

vielfalt familie Nr. 28/2018
Vielfalt familie - Zukunftsforum Familie e.V.
Unsere Mitglieder | Seite 7

Unsere Mitglieder

Mo.Ki unter 3 –
Frühes Fördern von Anfang an
„M
              o.Ki unter 3“, eine Erweiterung   über Schwangerschaft, Geburt, Gesund-              Bedürfnissen junger Familien entwickelt
              von „Monheim für Kinder“          heit, Pf lege und Ernährung des Kin-               und bereitgestellt. Familien bereits vor der
              startete 2008 als Modellpro-      des, Verhütung und andere Themen                   Geburt ihres Kindes zu erreichen und nach
jekt für Eltern mit Kindern bis zum dritten     freiwillig und diskret beraten lassen.             der Geburt mit Rat und Tat zu unterstützen,
Lebensjahr. Das gemeinsame Projekt der                                                             sorgt für bessere Entwicklungs- und Bil-
AWO Bezirksverband Niederrhein e.V. und         • Familienbildung: Für Mo.Ki bedeutet              dungsmöglichkeiten.
der Stadt Monheim am Rhein wurde wis-           Bildung, schon früh kleine Impulse zu
senschaftlich begleitet vom ISS Frankfurt       setzen, um langfristig Entwicklung anzu-           Mit dem Mo.Ki-Netzwerk soll durch eine
und gefördert von der Stiftung Wohlfahrts-      stoßen. Unser Motto ist: Stärken stärken,          präventiv angelegte Infrastruktur mit ent-
pflege NRW.                                     Schwächen schwächen. Bildungsangebote              sprechend konzipierten und aufeinander
                                                richten sich bei „Mo.Ki unter 3“ an die gan-       abgestimmten Angeboten möglichen Prob-
                                                ze Familie und umfassen Eltern-Kind-Ange-          lemen von – insbesondere armen – Kindern
„Mo.Ki unter 3“ beinhaltet vier Bausteine:      bote, Angebote für Eltern, Themenwochen,           und Jugendlichen entgegengewirkt und da-
• Das „Mo.Ki-Café und mehr …“: Das              aber auch Feste und Feiern.                        mit deren soziale Benachteiligung und Aus-
„Café und mehr …“ ist ein interkultureller                                                         grenzung vom frühestmöglichen Zeitpunkt
Frauentreff und Treff für Eltern mit Kin-                                                          an verhindert werden. Kennzeichnend für
dern bis zum dritten Lebensjahr. Eltern                                                            das Mo.Ki Netzwerk sind u. a.:
aber auch Großeltern können hier frühstü-                                                          • Gemeinsame Konzeptentwicklung (insti-
cken, sich austauschen und informieren,                                                            tutions- und trägerübergreifend)
sich von qualifiziertem Personal beraten                                                           • Eine abgesprochene Arbeitsteilung (sys-
und unterstützen lassen oder Übersetzungs-                                                         tem- und trägerübergreifend)
möglichkeiten in Anspruch nehmen.                                                                  • Die Verknüpfung von Angeboten sowie
                                                                                                   eine dezentrale Angebotsumsetzung
• Begrüßungsbesuch und Familien-                                                                   • Die gezielte Einbindung von Schlüssel-
sprechstunde: „Mo.Ki unter 3“ besucht                                                              personen des Hilfesystems
alle Eltern mit Neugeborenen in Monheim
und stellt ihnen hilfreiche Angebote vor.                                                          Die Angebotsbausteine des Projektes „Mo.Ki
Den Familien werden ein Begrüßungsge-           Seit 2011 ist „Mo.Ki unter 3“ als erstes Glied     unter 3“ stießen von Anfang an auf ein gro-
schenk des Bürgermeisters und ein Begrü-        der Präventionskette fester Bestandteil der        ßes Interesse der Monheimer Elternschaft.
ßungsordner mit Gutscheinen überreicht.         Kinder- und Jugendhilfe in Monheim am              Britta Altenkamp MdL, Vorsitzende der
Rat und Hilfe gibt es auch in der offenen       Rhein. Ziel der Mo.Ki-Präventionskette ist         AWO Niederrhein, freut sich: „Aufgrund
und kostenfreien Familiensprechstunde.          es, Kinder und Jugendliche von Geburt an           der großen Nachfrage eröffnen wir zusam-
                                                bis zum Eintritt in das Berufsleben mit prä-       men mit der Stadt Monheim im Frühjahr
• Familienhebammen: Von den Fami-               ventiven Maßnahmen und Angeboten einer             2018 eine Zweigstelle im Stadtteil Baum-
lienhebammen können sich Schwange-              eng vernetzten Struktur zu begleiten. Die          berg. Auf diese Weise kommen unsere An-
re, werdende Väter sowie junge Mütter           kommunale Infrastruktur wurde nach den             gebote noch mehr Familien zu Gute!“
                                                                                                                               (Dr. Michael Maas)

                                                 Die AWO am Niederrhein umfasst 26.000 Mitglieder, 16 Kreisverbände und 8.500 Beschäftigte
                                                 in 700 sozialen Diensten und Einrichtungen (www.awo-nr.de).

                                                 Gemeinsam mit der Stadt Monheim hat der Bezirksverband das Mo.Ki-Netzwerk zur Förderung
                                                 von Familien und Kindern und zur Prävention von Kinderarmut entwickelt. Das Projekt wurde
                                                 mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Deutschen Präventionspreis 2004.

                                                 Ansprechpartner:
                                                 Dr. Michael Maas, Abteilungsleiter Jugendhilfe,
                                                 michael.maas@awo-niederrhein.de, Tel.: 0201-3105-233

                                                                                                                         vielfalt familie Nr. 28/2018
Vielfalt familie - Zukunftsforum Familie e.V.
Seite 8 | Kurz und bündig

                                                                                                         »Familie ist ...
                                                                                             … emotionale Verbundenheit,
                                         buch -t ipp                                         von Loyalität geprägt und weitreichend
                                                                                             identitätsbildend.
            Alleinerziehende: Lebensentwürfe
                                                                                             Die Familie ist nicht immer durch eine
               von eigensinniger Schönheit                                                   Harmonie der Interessen gekennzeichnet,
                                                                                             sondern vielfach durch ungleiche Macht-
                                                                                             verhältnisse und Konkurrenz um knappe
                                                                                             Ressourcen. Die „Einheit“ Familie muss
                                                                                             also verhandelt werden. Im Unterschied
    Erschöpft, die Kräfte aufgebraucht, allei-   Bernadette Conrads Buch sind starke         zu anderen Funktionssystemen der
    ne, bis ins Alter hinein jeden Cent zwei-    und gebildete Frauen und bekommen           Gesellschaft ist das Individuum in der
    mal umdrehen, um dann eine mickrige          nicht selten gute Unterstützung von         Familie aber als Ganzes inkludiert. Das
    Rente zu bekommen. Das alles macht           ihrer Herkunftsfamilie. Die Option          zeigt, dass das Kernfamilien-Konzept
    das Leben von alleinerziehenden Müt-         „Lebenskünstler*in“ ist daher fast schon    nicht mehr zeitgemäß ist.
    tern und Vätern aus.                         in ihrer Biografie angelegt. Dies ver-      Wo auch immer Menschen
                                                 schleiert aber den Blick auf viele Mütter   darin übereinkommen,
    Die Beschreibung dieser Schwierigkei-        und Väter, die solche Voraussetzungen       emotional „als Ganzes“
    ten in der „kleinsten Familie der Welt“      nicht mitbringen, sondern darum kämp-       verbunden sein zu wollen,
    ziehen sich durch das Buch von Berna-        fen müssen, alleine mit Kind z.B. ihren     leben sie Familie.
    dette Conrad wie ein roter Faden. Aber       Schulabschluss nachzumachen, einen          Völlig unabhängig
    sie möchte mit ihrem Buch nicht nur          Job zu finden oder einfach ihren Alltag     von sexueller Orien-
    klagen. Sie will weg von der defizitären     zu organisieren. Häufig verfügen sie da-    tierung, Verwandt-
    Sicht auf Alleinerziehende und viel-         mit nicht über die Ressourcen, selbstbe-    schafts­verhältnissen
    mehr Geschichten erzählen, wie Müt-          wusst für ihre Rechte einzutreten.          oder sonstigen
    ter und Väter (gezwungenermaßen) zu                                                      Zuordnungen.«
    Lebenskünstler*innen werden und wie          Nichtsdestotrotz: Bernadette Conrad
    großartig das Leben mit Kind(ern) al-        hat ein eindringliches Buch geschrie-       Erich Fenninger
                                                                                             ist seit 2003 Bundesgeschäfts-
    leine sein kann. Denn: „Defizitär sind       ben, das zum Nachdenken anregt, Mut         führer der Volkshilfe Österreich
    nicht die Alleinerziehenden – defizi-        macht und hoffentlich dazu beiträgt,
    tär ist allenfalls eine Gesellschaft, die    dass endlich gute Rahmenbedingungen
    Schutz und Sorge für ein Fünftel ihrer       für die „kleinsten Familie der Welt“ ge-                         Impressum:
    Familien vernachlässigt.“                    schaffen werden.                             Herausgeber: Zukunftsforum Familie e. V.
                                                                        (Nikola Schopp)       Markgrafenstr. 11, 10969 Berlin
    Der Transport dieser Botschaft gelingt                                                    Tel.: 030 259272820
                                                                                              E-Mail: info@zukunftsforum-familie.de
    der Autorin sehr gut. Mit ihrer eige-                                                     www.zukunftsforum-familie.de
    nen Geschichte im Gepäck ist sie von
                                                                                              facebook/zukunftsforum-familie
    Schweden bis in die USA gereist und
                                                                                              Ausgabe 28/2018
    hat die Begegnung mit neun Müttern
    und einem Vater und deren Geschich-                                                       Redaktion: Dieter Heinrich, Anna Bruder, Ulli Durand,
                                                                                              Alexander Nöhring, Nikola Schopp, Lisa Sommer
    ten literarisch ansprechend umgesetzt.
    Traurige, berührende Geschichten, Ge-                                                     Nähere Informationen zu den Autorinnen und Autoren
                                                                                              der Artikel finden Sie auf der ZFF-Homepage.
    schichten von Streit, Stress und andau-
    ernder Existenzangst und der Sorge um                                                     Endredaktion und V.i.S.d.P.: Nikola Schopp
    das Wohlergehen der Kinder, aber auch                                                     Gestaltung: büro G29, Aachen
    Geschichten von großem Mut, von Un-                                                       Druck: KOMAG mbH, Berlin
    abhängigkeit und Freiheit. Was sie von                                                    Titelfoto: fotolia.com/Mariia
    ihren Reisen mitbringt ist die Erkennt-                                                   „vielfalt familie“ erscheint einmal Mal jährlich. Für
    nis, dass viele Alleinerziehende oft über                                                 unverlangt eingesandte Manuskripte und Fotos wird
    viele Umwege einen eigenen Weg zum                                                        keine Haftung übernommen. Der Abdruck und die
    Glücklichsein finden, dass in dieser Fa-                                                  Vervielfältigung des Inhalts sind nach Absprache und
                                                                                              bei Zusendung eines Belegexemplars erlaubt und
    milienform selbstständige und mitfüh-
                                                                                              erwünscht. Die aktuellen Ausgaben stehen unter
    lende Kinder und Jugendliche heran-                                                       www.zukunftsforum-familie.de zum kostenlosen
    wachsen, und dass große Schritte mit         Bernadette Conrad                            Download bereit. Alle Rechte liegen beim Zukunftsfo-
    der kleinsten Familie der Welt nur mit                                                    rum Familie e.V.
                                                 Die kleinste Familie der Welt. Vom
    einem guten Netzwerk machbar sind.           spannenden Leben alleine mit Kind
    Ein Unbehagen am Ende der Lektüre            btb Verlag, 2016, 352 Seiten,
    bleibt: Fast alle Alleinerziehenden in       ISBN: 978-3442756353, 16,99 Euro.

                                                                                               www.zukunftsforum-familie.de

                                                                                                       facebook/zukunftsforum-familie

vielfalt familie Nr. 28/2018
Vielfalt familie - Zukunftsforum Familie e.V. Vielfalt familie - Zukunftsforum Familie e.V.
Sie können auch lesen