Vom Ende der Geduld Afghanische Flüchtlinge in Pakistan
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
STUDIE Vom Ende der Geduld Afghanische Flüchtlinge in Pakistan SANAA ALIMIA September 2016 n Jahrzehntelang war Pakistan Heimat für eine der größten Flüchtlingsgemeinschaften der Welt. Seit Ende der 1970er Jahre gab und gibt es massive Fluchtbewegungen von Afghanistan nach Pakistan. In den späten 1990er Jahren fanden zwischen sechs und sieben Millionen Afghan_innen in ihrem Nachbarland Zuflucht. n Nach 2001 und der NATO-geführten Intervention in Afghanistan sind Millionen afghanischer Flüchtlinge in ihr Heimatland zurückgekehrt. Dessen ungeachtet be- herbergt Pakistan weiterhin ungefähr 1,5 Millionen registrierte Flüchtlinge. Hinzu kommt eine Dunkelziffer von geschätzten ein bis zwei Millionen undokumentierten afghanischen Migrant_innen in Pakistan. n Der Rechtsstatus von Afghan_innen in Pakistan ist ein umstrittenes Thema. Nur ein Teil der afghanischen Flüchtlinge in Pakistan ist in der Lage, sich zu registrieren. Aller- dings genießen nur registrierte Flüchtlinge bestimmte, vom pakistanischen Staat und der Völkergemeinschaft gewährte Rechte und haben Zugang zu entsprechenden Unterstützungsstrukturen. n Gegenwärtig sehen sich afghanische Flüchtlinge in Pakistan – insbesondere die Flüchtlinge aus den unteren Einkommensklassen – mit zunehmender Diskriminie- rung von Seiten der pakistanischen Politik und Behörden konfrontiert. Der Druck, Pakistan zu verlassen, steigt. Zudem sind bestimmte Minderheiten innerhalb der af- ghanischen Diaspora, insbesondere die Hazara, steigender konfessionell motivierter Gewalt von militanten Islamisten in Pakistan ausgesetzt. Viele Afghan_innen, die nicht in der Lage bzw. nicht bereit sind, nach Afghanistan »zurückzukehren«, ent- scheiden sich, über irreguläre Wege in Drittländer auszuwandern. Der Umstand, dass der Fokus der Politik bisher einseitig auf der Rückführung der Flüchtlinge nach Afghanistan liegt, verhindert die Diskussion anderer dauerhafter Lösungsansätze in dieser Frage.
SANAA ALIMIA | VOM ENDE DER GEDULD Inhalt Einleitung�������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������������2 Phasen und Hintergründe der afghanischen Migration nach Pakistan. . . . . . . . . . . . . . 2 Der Rechtsstatus von Afghan_innen in Pakistan. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Afghanische »Flüchtlinge« �������������������������������������������������������������������������������������������������3 Undokumentierte afghanische Migrant_innen �������������������������������������������������������������������4 Einbürgerung und Neuansiedlung���������������������������������������������������������������������������������������4 Aktuelle Entwicklungen in Pakistan: Rückführung und zunehmende Diskriminierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Konfessionell motivierte Gewalt gegen die Hazara in Pakistan���������������������������������������6 Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 1
SANAA ALIMIA | VOM ENDE DER GEDULD Einleitung Fakten über afghanische Flüchtlinge in Pakistan Seit Ende der 1970er Jahre bietet Pakistan Millionen af- n Im Jahr 2015 waren in Pakistan 1,5 Millionen Afghan_in- ghanischer Flüchtlinge Zuflucht und beherbergt damit nen beim UNHCR bzw. den staatlichen Behörden re- gistriert (UNHCR 2015). Nach Schätzungen der Behör- eine der größten und am längsten bestehenden Flücht- den und unabhängiger Expert_innen beläuft sich die lingsgemeinschaften der Welt. 2015 war das Land nach zusätzliche Dunkelziffer auf eine bis zwei Millionen Af- Angaben des Flüchtlingshochkommissariats der Vereinten ghan_innen, die sich als undokumentierte Migrant_in- nen ohne gültige Ausweispapiere in Pakistan aufhalten. Nationen (UNHCR) gemessen an der Gesamtzahl der Ge- Die Gesamtzahl afghanischer Flüchtlinge in Pakistan flüchteten das wichtigste Aufnahmeland für Flüchtlinge dürfte entsprechend zwischen 2,5 und 3,5 Millionen weltweit. In der jüngeren Vergangenheit verlassen jedoch betragen. immer mehr Afghan_innen Pakistan. Dieser Trend ist auf n 90 Prozent der Afghan_innen, die nach Pakistan zu- die Entwicklungen innerhalb Afghanistans und Verände- gewandert bzw. geflüchtet sind, kamen ursprünglich rungen in den internationalen Migrationsmustern zurück- in den frühen 1980er Jahren ins Land. 74 Prozent der zuführen, aber auch auf politische und gesellschaftliche heutigen afghanischen Diaspora wurde allerdings be- reits in Pakistan geboren (Quelle: Government of Paki- Entwicklungen in Pakistan. So werden Flüchtlinge auch stan and UNHCR 2012). durch zunehmenden Druck und Diskriminierung von staatlicher Seite, reduzierte finanzielle Unterstützung, n Die meisten afghanischen Flüchtlinge gehen in Pakis tan einer niedrig entlohnten Tätigkeit nach und leben das Fehlen von langfristig angelegten lokalen Integrati- in städtischen Gebieten, vornehmlich in den beiden onsangeboten und die wachsende wirtschaftliche und an Afghanistan angrenzenden Provinzen Khyber politische Unsicherheit in Pakistan zum Gehen gedrängt. Pakhtunkhwa (KP) und Belutschistan. Eine beträchtli- Tatsächlich produziert Pakistan auch selbst Migration in che Anzahl afghanischer Migrant_innen lebt auch in den städtischen Gebieten von Punjab und Sindh. Form einer hohen Zahl an Flüchtlingen, Binnenvertriebe- nen und Wirtschaftsmigrant_innen. Afghan_innen, die n Innerhalb der afghanischen Flüchtlingsgemeinschaft in Pakistan verlassen, kehren entweder nach Afghanistan Pakistan bilden Paschtunen die größte ethnische Gruppe (82 Prozent), gefolgt von Tadschiken (fünf Prozent), Us- zurück oder wandern in Drittstaaten, wie z. B. Australien beken (vier Prozent) und Persern (drei Prozent) (Quelle: und die Türkei, sowie in europäische Länder aus. Government of Pakistan and UNHCR 2005). Phasen und Hintergründe der Aprilrevolution an die Macht kam, begann die zweite afghanischen Migration nach Pakistan Phase der Flucht, die bis 1988 andauerte. Die Flüchtlings- ströme Richtung Pakistan nahmen nach dem Einmarsch Die Massenflucht von Afghanistan nach Pakistan be- der Sowjetunion in Afghanistan im Dezember 1979 dras- gann in den 1970er Jahren und lässt sich in fünf Phasen tisch zu. Während dieser Zeit suchten vier bis fünf Millio- unterteilen, wobei jede Phase unterschiedliche Reakti- nen Afghan_innen in Pakistan Zuflucht, während ca. drei onen der pakistanischen Gesellschaft, des Staates und Millionen Afghan_innen in den Iran flüchteten. Die Af- von internationaler Seite hervorrief. ghan_innen wurden nicht nur von Pakistan willkommen geheißen, sondern auch von den internationalen Hilfsor- Die erste Phase der afghanischen Migration nach Pa- ganisationen und dem damaligen großen Bündnispartner kistan dauerte von 1973 bis 1978 und setzte mit der Pakistans, den Vereinigten Staaten von Amerika. In die- Machtergreifung Daoud Khans in Afghanistan im Jahr ser Zeit richtete Pakistan insgesamt 334 Flüchtlingslager 1973 ein, der in einem gewaltlosen Putsch die Mon- für Afghan_innen ein. Die Lager dienten auch als zen- archie absetzte. Nach dem Staatsstreich flüchtete eine trale Rekrutierungsbasis für afghanische Mudschahed- zunächst noch relativ kleine Gruppe von Afghan_innen din-Parteien, von denen einige von den USA und ande- nach Pakistan. Die Flüchtlinge waren hauptsächlich Isla- ren Bündnispartnern unterstützt und protegiert wurden, misten, denen durch die neue, kommunistisch orientier- mit dem Ziel, der Sowjetunion in Afghanistan im Wett- te Regierung in Kabul Verfolgung drohte. streit des kalten Krieges eine Niederlage bei zuführen. Nachdem die kommunistische Demokratische Volkspar- Die dritte von 1988 bis 1992 andauernde Phase begann tei Afghanistans (DVPA) 1978 im Rahmen der Saur- bzw. nach dem Rückzug der Sowjetunion und dem Ausbruch 2
SANAA ALIMIA | VOM ENDE DER GEDULD des Bürgerkrieges in Afghanistan. Als die internationale Politik seit 2001 ist die Rückkehr der Migrant_innen. Aufmerksamkeit und die Finanzhilfen für Afghanis- Seitdem werden Afghan_innen, die neu nach Pakistan tan und die Flüchtlingsdiaspora in Pakistan nach dem kommen, nicht mehr als Flüchtlinge in Pakistan regis Ende des Ost-West-Konflikts schnell abebbten, kehr- triert und erhalten entsprechend auch keine Ausweispa- ten bewaffnete Mudschaheddin-Gruppen mit klaren piere. In Pakistan verbleibende afghanische Flüchtlinge Machtambitionen nach Afghanistan zurück. Sie verfolg- sehen sich mit zunehmendem Druck und Anfeindungen ten Mitglieder der DVPA sowie ehemalige afghanische konfrontiert. Staatsbedienstete und drängten diese zur Flucht. In die- ser Zeit flüchteten jedoch auch Afghan_innen, die nach 1988 zunächst in ihre Heimat zurückgekehrt waren, spä- Der Rechtsstatus von Afghan_innen in Pakistan ter aber (wieder) nach Pakistan auswanderten, da die Stabilität in Afghanistan auf der Kippe stand. Der rechtliche Status der Afghan_innen in Pakistan ist ein umstrittenes Thema. Wie auch andere südasiatische Län- Die vierte Phase von 1992 bis 2001 war von der zuneh- der hat Pakistan die Abkommen der Vereinten Nationen menden Einmischung äußerer Kräfte in den afghani- (VN), die Flüchtlinge und ihren Status international defi- schen Bürgerkrieg gekennzeichnet (insbesondere von nieren – nämlich das Abkommen über die Rechtsstellung Seiten des Iran, Saudi Arabiens und Pakistans) sowie der Flüchtlinge von 1951, besser bekannt als die Gen- von der schlussendlichen Machtübernahme der Taliban fer Flüchtlingskonvention, und das Zusatzprotokoll von 1996. Diese Jahre waren auch von schweren Dürren, 1967 –, nicht unterzeichnet. Gleichwohl hat die Regie- infrastrukturellem Verfall, schlechten Einkommenspers- rung seit 1979, dem Jahr, in dem das UNHCR sein erstes pektiven in Afghanistan und begrenzter internationaler Büro in Pakistan bezog, immer wieder erklärt, im »Geis- Unterstützung geprägt. Die schiitischen Hazara Afgha- te« der Genfer Flüchtlingskonvention und des Protokolls nistans wurden von den Taliban ganz besonders ins Vi- von 1967 zu handeln. Das UNHCR arbeitet mit Genehmi- sier genommen und flohen in großer Zahl, v. a. in die gung und Unterstützung der pakistanischen Regierung städtischen Gebiete Pakistans, z. B. nach Quetta, Karachi im Land. Außerdem hat Pakistan spezielle Verwaltungs- und Rawalpindi, aber auch in den Iran. Aufgrund der strukturen aufgebaut, die für Fragen rund um (afghani- neuen Fluchtbewegungen aus Afghanistan, aber auch sche) Flüchtlinge zuständig sind – insbesondere das Mi- wegen hoher Geburtenraten, wuchs die Flüchtlingsdi- nisterium der Staaten und Grenzregionen (SAFRON) und aspora in Pakistan weiter an und erreichte einen neu- das Generalkommissariat für afghanische Flüchtlinge in en Höhepunkt: Nach Schätzungen lebten zu dieser Zeit Pakistan (CCAR). Trotzdem gibt es weder einen inländi- rund sechs bis sieben Millionen Afghan_innen in Pakis schen Rechtsrahmen zur Definition und Unterscheidung tan. Trotz der hohen Zahlen nahm die internationale von »Asylsuchenden« bzw. »Flüchtlingen« von anderen Unterstützung und Aufmerksamkeit für afghanischen Ausländern, noch Institutionen, die ermächtigt wären, Flüchtlinge und ihre Lage weiter ab. Dazu kam, dass die über Asylanträge zu entscheiden. Die Ausländergesetze öffentliche Stimmung in Pakistan zunehmend kippte und von 1946, die alle Nicht-Pakistaner_innen betreffen, gel- begann sich gegen die Geflüchteten im Land zu richten. ten auch für die afghanischen Flüchtlinge. Zudem hat die Rechtslage der Afghan_innen seit den 1970er Jah- Die fünfte Phase von 2001 bis heute vollzieht sich vor ren diverse Phasen durchlaufen, wodurch nicht alle Af- dem Hintergrund der von den USA geführten NATO- ghan_innen in Pakistan als Flüchtlinge gelten. Intervention in Afghanistan. Während dieser Zeit hat sich der allgemeine Migrationstrend umgekehrt und es ist zeitweise zu einer beträchtlichen Rück- und Abwan- Afghanische »Flüchtlinge« derung von Afghan_innen aus Pakistan gekommen: So kehrten allein zwischen 2001 und 2005 3,9 Millionen Die in Pakistan gemeinhin als »afghanische Flüchtlinge« Afghan_innen aus Pakistan in ihre Heimat zurück. Aller- bezeichnete Gruppe sind diejenigen Afghan_innen, die dings können und wollen nicht alle Geflüchteten nach beim UNHCR und den staatlichen Behörden registriert Afghanistan zurückkehren: Viele bleiben in Pakistan, sind. Aus rechtlicher Sicht wird ihnen durch die Regis sind in einen Drittstaat migriert oder leben als Grenz- trierung kein »Flüchtlingsstatus« zuerkannt. Stattdessen gänger in der Region. Erklärtes Ziel der pakistanischen werden sie als »vorübergehend geduldete« afghani- 3
SANAA ALIMIA | VOM ENDE DER GEDULD sche Bürger_innen in Pakistan angesehen (Khan 2012). Argument, dass ein solches System unter Sicherheitsas- Gleichwohl werden ihnen durch die Regierung bestimm- pekten für Pakistan vorteilhaft wäre und die Rückführung te Rechte gewährt. Über das UNHCR haben sie Zugang fördern würde. Bisher wurden jedoch keine Einzelheiten zu Rechtshilfe, und seit 2007 stellen ihnen die pakista- des geplanten Registrierungsverfahrens und seiner recht- nischen Behörden individuelle, computergestützte Per- lichen Konsequenzen veröffentlicht. Die Mehrheit der sonalausweise aus, »Proof of Registration« oder kurz undokumentierten afghanischen Mi grant_innen gehört POR-Ausweis genannt. Inhaber dieser Ausweise dürfen zu den unteren Einkommensschichten und ist von Jobs ein Bankkonto eröffnen, SIM-Karten für Mobiltelefone im informellen Wirtschaftssektor abhängig, der durch ein kaufen und einen Führerschein besitzen. Die POR-Aus- hohes Maß an Ausbeutung geprägt ist. weise gelten aber nur für einen befristeten Zeitraum. Die 2007 ausgestellten Ausweise verloren im Dezember 2009 ihre Gültigkeit, wurden jedoch von der Regierung Einbürgerung und Neuansiedlung vier Mal auf Ad-hoc-Basis verlängert und laufen nach der jüngsten, im Sommer 2016 verabschiedeten Verlänge- Neben den genannten Gruppen gibt es noch weitere rung noch bis Ende des Jahres. Gegenwärtig sind ca. 1,5 Kategorien von Afghan_innen in Pakistan, wie etwa Millionen Afghan_innen in Pakistan registriert und In- zeitweilige Besucher_innen mit legalen Visa (z. B. Stu- haber eines POR-Ausweises. Die Mehrzahl der auf diese dierende, Kaufleute) oder Flüchtlinge, die in das Verfah- Weise registrierten Flüchtlinge kommt aus unteren bzw. ren zur Feststellung des Flüchtlingsstatus des UNHCR mittleren Einkommensschichten. aufgenommen wurden (in der Regel mit dem Ziel der Neuansiedlung in einem Drittstaat). Innerhalb der afgha- nischen Migrant_innengemeinschaft in Pakistan stellen Undokumentierte afghanische Migrant_innen diese Menschen jedoch nur eine relativ kleine und privi- legierte Gruppe dar. Es liegen keine genauen Zahlen zu der Gruppe der af- ghanischen Staatsangehörigen vor, die sich ohne gültige Einige Afghan_innen haben auch die pakistanische Ausweispapiere in Pakistan aufhalten. Nach Schätzun- Staatsbürgerschaft erlangt, sei es auf legale Weise oder gen liegt ihre Zahl zwischen einer und zwei Millionen über informelle Kanäle. Die Anzahl der in diese Katego- Menschen. Diese Migrant_innen verfügen über keinen rie fallenden Afghan_innen ist unbekannt. Der (legale) rechtlich anerkannten Nachweis, zu der oben genannten Zugang zur Staatsbürgerschaft ist jedoch sehr begrenzt, Kategorie von »Flüchtlingen« zu gehören. Die meisten und Afghan_innen, die die pakistanische Staatsbürger- Afghan_innen, die sich nach 2001 in Pakistan niederge- schaft erlangt haben, stammen überwiegend aus den lassen haben, zählen zu dieser Kategorie. Nach einem of- oberen mittleren Einkommensgruppen und dürften die fiziellen Rundschreiben, das die pakistanische Regierung Gunst politischer Akteure in Pakistan genießen. Nach 2001 veröffentlichte, werden Migrant_innen ohne gültige dem pakistanischen Gesetz ist es Afghan_innen nicht Aufenthaltsdokumente in Pakistan als »illegal« einge- gestattet, die pakistanische Staatsbürgerschaft anzu- stuft, sie können keinen POR-Ausweis beantragen. Viele nehmen, selbst wenn sie im Land geboren wurden. Ge- dieser Migrantinnen mögen aus wirtschaftlichen Gründen mäß dem Staatsbürgerschaftsgesetz von 1951 können nach Pakistan gekommen sein, andere sind, gerade aber nur Frauen, die einen pakistanischen Mann heiraten, auch in den letzten Jahren, aufgrund von Sicherheitsbe- eine Staatsbürgerschaft erlangen. denken geflohen. Migrant_innen ohne gültige Registrie- rung oder Aufenthaltsdokumente können sich zwecks Laut UNHCR gibt es grundsätzlich drei dauerhafte Lö- Unterstützung an kein institutionelles System in Pakistan sungsansätze für Flüchtlinge: die Einbürgerung (lokale wenden, lediglich gelten auch für sie die allgemeinen Integration), die Rückführung ins Heimatland und die menschenrechtlichen Regelungen der pakistanischen Ge- Neuansiedlung in einem Drittstaat. Pakistanische Po- setzgebung. Auch die Unterstützung durch internationale litiker_innen und Beamt_innen lehnen den Ansatz der Institutionen ist für diese Gruppe sehr begrenzt. Nach An- Einbürgerung im Falle der afghanischen Flüchtlinge ka- gaben von Verwaltungsbeamten bemüht sich Islamabad tegorisch ab. Die innenpolitischen Gründe hierfür sind um die Einrichtung eines Registrierungssystems für Af- komplex, können aber u. a. in Pakistans empfindlichem – ghan_innen ohne gültige Aufenthaltsdokumente mit dem und diskriminierendem – ethnisch-politischem Gleichge- 4
SANAA ALIMIA | VOM ENDE DER GEDULD wicht verortet werden. In Belutschistan beispielsweise davon ausgegangen wird, dass die derzeitige Summe reagiert die nach größerer Unabhängigkeit Belutschis lediglich die Transportkosten deckt und somit für eine tans strebende, belutschische, nationalistische Bewe- Wiedereingliederung unzureichend ist. Die Beihilfen gung sensibel auf die Einbürgerung afghanischer Pasch- können in Auszahlstellen in Afghanistan bezogen wer- tun_innen (die zum Teil informell schon stattgefunden den, wo dann die pakistanischen POR-Ausweise der Mi- hat), aus Angst, dass dies das demographische Gleich- grant_innen zerschnitten und somit ungültig gemacht gewicht der Provinz ändern und zu ihren Ungunsten in werden. Diese Afghan_innen dürfen im Anschluss nicht Bezug auf ihre Forderungen kippen könnte. mehr nach Pakistan zurückkehren. Sollten sie dennoch re-emigrieren, gelten sie als irreguläre Migrant_innen Die Präsenz einer großen Flüchtlingsbevölkerung hat na- und können sich in Pakistan nicht erneut registrieren türlich auch Auswirkungen auf die Stadtplanung, das lassen. Wohnungswesen, Straßen und Infrastruktur, das Gesund- heitswesen und die Bildung. Zahlen zu den finanziellen Die Politik der Unterstützung der Rückkehr geht außer- Belastungen, die mit der Aufnahme afghanischer Flüchtlin- dem mit einer dramatischen Kürzung der Finanzausstat- ge für den Staatshaushalt auf Provinz- und Bundesebene tung für die in Pakistan verbleibende afghanische Bevöl- verbunden sind, liegen nicht vor. In Provinzen, wie Khyber kerung einher. Viele Afghan_innen können und wollen Pakhtunkhwa und Belutschistan, wo ein erheblicher Teil nicht nach Afghanistan zurückkehren. Während einige der Bevölkerung afghanische Flüchtlinge sind, kann aber bereits laufende Programme für Grundschulbildung und davon ausgegangen werden, dass diese eine maßgebliche die Wasser- und Gesundheitsversorgung in Flüchtlings- Auswirkung auf die Haushaltserwägungen haben. lagern derzeit zumindest noch in Teilen finanziell unter- stützt werden, sind die meisten direkten Hilfsleistungen ausgesetzt worden. So erhalten afghanische Flüchtlinge Aktuelle Entwicklungen in Pakistan: in Pakistan keine Nahrungsmittelrationen sowie auch Rückführung und zunehmende Diskriminierung keine finanzielle Unterstützung mehr. Angesichts der Flüchtlingskrise in Europa und dem Mittelmeer wurde Seit 2001 sind Millionen Afghan_innen nach Afghanis- auch ein Teil des UNHCR-Budgets in Pakistan nach Eu- tan zurückgekehrt. Der Rahmen für eine Rückkehr wird ropa umgeleitet. von vielfältigen Faktoren beeinflusst, vom individuellen und gesellschaftlichen Kontext sowie durch Wiederein- Parallel dazu hat sich der öffentliche Diskurs über die af- gliederungsangebote und dem Stand der Friedenskon- ghanischen Flüchtlinge in Pakistan verändert. Während solidierung in Afghanistan. Die Rückkehr der Flüchtlinge die Afghan_innen in den 1980er Jahren von der pakis- ist zudem zu einem Leitthema der pakistanischen Re- tanischen Führung im Großen und Ganzen mit offenen gierung, der internationalen Hilfsorganisationen und der Armen empfangen und als nützlich für die Staatsinteres- NATO-Mitgliedstaaten geworden. Sie ist auch Gegen- sen erachtet wurden, drehte sich der Diskurs ab den spä- stand diverser Dreiparteien-Abkommen zwischen den ten 1990er Jahren zunehmend gegen die Zuwanderung. Regierungen Afghanistans, Pakistans und dem UNHCR. Nach 2001 wurde die Rückführung zum beherrschen- Seit Mitte der 1990er Jahre werden verschiedene freiwil- den Thema im Flüchtlingsdiskurs. In den vergangenen lige Rückführungsprogramme für Afghan_innen durch Jahren wurden afghanische Flüchtlinge zudem immer das UNHCR und die pakistanische Regierung gefördert. häufiger zum Sündenbock für terroristische Gewalt und Nach Beginn der NATO-Intervention in Afghanistan und Kriminalität gemacht und als Belastung für den Staat den internationalen Bemühungen um eine »Friedens- bezeichnet. Ein Teil des migrantenfeindlichen Diskurses konsolidierung« im Land wird die Rückführung systema- überschneidet sich mit der klassenbasierten Diskriminie- tisch vorangetrieben. Seit 2002 wird Afghan_innen eine rung gegen die ärmere Bevölkerung im Allgemeinen, da Rückkehrbeihilfe in Höhe von 200 US-Dollar pro Person viele afghanische Migrant_innen als Tagelöhner arbei- für die Rückkehr in ihre Heimat geboten. Dieser Betrag ten. Es ist durchaus bedenklich, dass dieses Abstempeln soll im Laufe des Jahres 2016 angehoben werden,1 da zum Sündenbock von der Verantwortung des Staates – und von globalen und wirtschaftlichen Machtungleich- gewichten – ablenkt, durch die die Voraussetzungen 1. Anm. der Redaktion: Der Betrag wurde in der Zwischenzeit auf 400 US-Dollar angehoben. für Terrorismus, Kriminalität und Armut erst geschaffen 5
SANAA ALIMIA | VOM ENDE DER GEDULD wurden. Des Weiteren ist die Diskriminierung gegen auch andernorts durchgeführt. Des Weiteren sehen sich Afghan_innen auch innerhalb einer breiter angelegten Afghan_innen seit 2001 regelmäßig mit polizeilichen Struktur der ethnisch-föderalen Diskriminierung und Schikanen, Massen- und Einzelverhaftungen sowie Ab- der ungleichen Entwicklung innerhalb Pakistans zu ver- schiebungen konfrontiert. Besonders ausgeprägt treten orten. Im Zentrum Pakistans, d. h. im städtischen Pun- diese Schikanen jeweils vor Erneuerung der POR-Aus- jab, neigt man dazu, die an der Grenze zu Afghanistan weise auf. Der Druck steigert die Gefühle des Unbeha- gelegenen Regionen, nämlich Khyber Pakhtunkhwa, gens und der Verfolgung bei den Migrant_innen (was Belutschistan und die Stammesgebiete unter Bundes- wiederum Einfluss auf die Entscheidung hat, Pakistan zu verwaltung (FATA), und deren Bewohner_innen (in der verlassen) und ist eine tiefgehende psychische Belastung Regel Paschtun_innen) als eng verwoben mit Afghanis- im Alltag in dem Land, das vielen als Heimat gilt. tan anzusehen. Auch der sogenannte Krieg gegen den Terror findet hauptsächlich in den afghanisch-pakistani- Die in Pakistan lebenden Afghan_innen sind außerdem schen Grenzregionen (und in Afghanistan selbst) statt, oftmals verstärktem Druck ausgesetzt, wenn es zu Span- wodurch Millionen von pakistanischen Paschtun_innen nungen zwischen der afghanischen und der pakistani- zu Binnenvertriebenen und Flüchtlingen wurden, die vor schen Regierung kommt. Im Juni 2016 beispielsweise Militärschlägen und Drohnenangriffen sowie militanter lösten Kampfhandlungen zwischen afghanischen und Gewalt fliehen. pakistanischen Sicherheitskräften an der Grenze bei Torcham intensive Diskussionen in Politik und Medien aus, Die Reaktionen von Politiker_innen und Behörden auf in denen es hauptsächlich um die vermeintlich notwendi- die Angriffe auf die Army Public School in Peschawar ge Ausweisung der Afghan_innen aus Pakistan ging. sind ein gutes Beispiel dafür, wie Afghan_innen in Pakis tan heute zu Sündenböcken gemacht werden. Am 16. Aufgrund des immer stärker werdenden Drucks Pakistan Dezember 2014 töteten sieben terroristische Angreifer, zu verlassen, aber weiterhin bestehender Unsicherheit in darunter zwei Afghanen, 141 Menschen (darunter 132 Afghanistan, leben viele Afghan_innen, insbesondere Schulkinder) in einer von der pakistanischen Armee be- aus den unteren und mittleren Einkommensschichten, triebenen öffentlichen Schule. Kurz nach dem Anschlag grenzüberschreitend bzw. in Familienverbünden, die trat der pakistanische Premierminister, Nawaz Sharif, verteilt über internationale Grenzen hinweg wohnen im Staatsfernsehen auf, um einen nationalen Aktions- (insbesondere die afghanisch-pakistanische Grenze). Der plan zur Eindämmung der terroristischen Bedrohung in informelle Grenzübertritt begünstigt die Bestechlichkeit Pakistan bekannt zu geben. Der breit angelegte Plan der Strafverfolgungsbehörden, die Schmiergelder von umfasste 20 Empfehlungen. Gemäß Punkt 19 soll eine Reisenden verlangen. »umfassende Politik für [die] Registrierung der afghani- schen Flüchtlinge eingeleitet werden«, wodurch implizit Afghan_innen beschuldigt werden, direkt mit der ter- Konfessionell motivierte Gewalt roristischen Gewalt in Pakistan in Zusammenhang zu gegen die Hazara in Pakistan stehen. Gleichzeitig wird die Tatsache ignoriert, dass af- ghanische Flüchtlinge in Pakistan bereits registriert sind. Obwohl sich die Situation der afghanischen Flüchtlinge (Lediglich die undokumentierten Migrant_innen sind in Pakistan ganz allgemein verschlechtert, sind einige nicht registriert.) Gruppen innerhalb der Diaspora besonders betroffen. Dies gilt z. B. für Frauen, insbesondere alleinstehende, Nach Berichten von Human Rights Watch ist die Zahl die nicht auf größere soziale Unterstützungsnetzwerke der Polizeiübergriffe gegen Afghan_innen nach dem zurückgreifen können. Es trifft aber auch insbesonde- Anschlag von Peschawar sprunghaft angestiegen. Dies re auf religiöse Minderheiten zu, die in Pakistan immer soll auch zu einem massiven Anstieg bei der Anzahl der häufiger konfessionell motivierter Gewalt durch sunniti- Rückführungen afghanischer Flüchtlinge geführt haben. sche militante Gruppen ausgesetzt sind. Diese Gruppen In Peschawar wurden zwei Grundschulen für Flüchtlinge nehmen immer wieder Schiiten, Sufi-Schreine, Christen in der Nähe des Angriffsortes durch die Staatsbehörden und andere Minderheiten durch Bombenanschläge und geschlossen, da diese angeblich eine Sicherheitsbedro- gezielte Tötungen ins Visier. Besonders schutzbedürftig hung darstellten. Vergleichbare Maßnahmen wurden sind die afghanischen Hazara. Die Hazara sind schiitische 6
SANAA ALIMIA | VOM ENDE DER GEDULD Muslime, die aufgrund ihres physischen Erscheinungsbil- der Flüchtlinge auf freiwillige Rückkehr gilt es fraglos zu des leicht zu identifizieren sind und eine wichtige Grup- unterstützen und an ein vom afghanischen Staat und pe innerhalb der afghanischen Migrant_innengemein- seinem Volk geleitetes umfassenderes Programm der schaft in Pakistan darstellen. Wiedereingliederung und Friedenskonsolidierung anzu- gliedern. Gleichwohl ist der vom pakistanischen Staat Bei einem Bombenanschlag der verbotenen sunnitischen und den westlichen Ländern hervorgehobene Status Af- Dschihadistengruppe Lashkar-e Jhangvi in der Stadt ghanistans als »sicheres Land« fraglich. Quetta im Januar 2013 wurden 102 Menschen getötet und über 270 weitere verwundet. Eine zweite Bombe Rückführung kann nur eine Teilantwort auf die Heraus- ging im Stadtviertel Hazara Town in Quetta hoch, wo- forderungen und Bedürfnisse der afghanischen Flücht- durch 73 Menschen starben und mindestens 180 ver- linge in Pakistan sein. Auch andere Ansätze wie die letzt wurden. In Karatschi, einem weiteren Zentrum der Möglichkeit der Einbürgerung oder eine Ansiedlung in Hazara in Pakistan, wurden Hazara zur Zielscheibe ge- Drittstaaten sollten als Teil der Lösung gesehen werden. zielter Tötungen durch die pakistanischen Taliban. Eine Viele Afghan_innen haben über 35 Jahre in Afghanistan Rückkehr nach Afghanistan ist für die Hazara oft keine gelebt und tun sich daher schwer, in ein Heimatland zu- Alternative, da diese Minderheit auch innerhalb Afgha- rückzukehren, das ihnen nicht vertraut ist bzw. in dem nistans Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt ist. sie nie gelebt haben (wie im Fall der in Pakistan gebore- Die konfessionell motivierte Gewalt in Pakistan hat da- nen Flüchtlinge). Der pakistanische Staat ist bisher nicht her viele afghanische Hazara dazu gedrängt, aus Pakis willens, den Flüchtlingen die Option der Einbürgerung tan in die Türkei, nach Europa, Australien und Nord- anzubieten oder mit Blick auf die undokumentierten amerika auszuwandern. Viele Menschen aus ärmeren Migrant_innen wirksame Wege der Legalisierung für Haushalten haben keinen Zugang zu Rechtshilfe, mit der diese Menschen zu schaffen. Einige Gruppen innerhalb die Durchsetzung von Asylansprüchen bewirkt werden der afghanischen Gemeinschaft sind sowohl in Pakistan könnte. Sie migrieren daher über inoffizielle Wege. als auch in Afghanistan besonders stark von Gewalt und Diskriminierung betroffen. Dies ist insbesondere der Fall In den vergangenen vier Jahrzehnten hat Pakistan ver- bei den afghanischen Hazara. Für diese Gruppen ist die schiedene Phasen der Massenzuwanderung aus Af- Möglichkeit einer Neuansiedlung in Drittstaaten essen- ghanistan durchlaufen. Zu Spitzenzeiten in den späten tiell und sollte von der Völkergemeinschaft unterstützt 1990er Jahren haben mehr als sechs Millionen afgha- werden. Das Hauptaugenmerk auf die Rückführung der nische Flüchtlinge im Land Zuflucht gefunden. Obwohl afghanischen Flüchtlinge zu legen – wie nicht nur durch Millionen von Afghan_innen nach 2001 in ihr Heimat- den pakistanischen Staat, sondern auch die Völkerge- land zurückgekehrt sind, beherbergt Pakistan immer meinschaft anvisiert – verkennt andere Möglichkeiten noch eine der größten Flüchtlingsgemeinschaften welt- längerfristiger Migrationslösungen in Pakistan und da- weit. Den Wiederaufbau Afghanistans und das Recht rüber hinaus. 7
SANAA ALIMIA | VOM ENDE DER GEDULD Literatur Government of Pakistan and UNHCR (2012): Population Profiling, Verification and Response Survey of Afghans in Pakistan. Islamabad. — (2005): Volkszählung zu Afghanen in Pakistan 2005. Islamabad. Khan, Mohammad Bhehzad (2012): The Legal Environment in Pakistan for Registered Afghans. Islamabad: CAMP, 12–13. UNHCR Pakistan (2015): Pakistan Informationsblatt. Islamabad. 8
Über die Autorin Impressum Dr. Sanaa Alimia, Department of Politics and International Re- Friedrich-Ebert-Stiftung | Referat Asien und Pazifik lations (SOAS), London, ist ein CoFund Point Dahlem Research Hiroshimastr. 28 | 10785 Berlin | Deutschland Fellow an der Berlin Graduate School of Muslim Cultures and Societies, Freie Universität und dem Zentrum Moderner Orient, Verantwortlich: Berlin. Seit 2010 sammelt sie die mündlichen Zeugnisse von af- Jürgen Stetten, Leiter, Referat Asien und Pazifik ghanischen und pakistanischen Flüchtlingen und von undoku- mentierten Migrant_innen in Pakistan, der Türkei und Europa. Tel.: +49-30-26935-7450 | Fax: +49-30-26935-9250 http://www.fes.de/asien Bestellungen / Kontakt: Julia.Schultz@fes.de Eine gewerbliche Nutzung der von der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) herausgegebenen Medien ist ohne schriftliche Zustim- mung durch die FES nicht gestattet. Die in dieser Publikation zum Ausdruck gebrachten Ansichten ISBN sind nicht notwendigerweise die der Friedrich-Ebert-Stiftung 978-3-95861-589-2 oder der Organisationen, für die die Autoren arbeiten. Diese Publikation wird auf Papier aus nachhaltiger Forstwirt- schaft gedruckt.
Sie können auch lesen