Zarte Triebe - Christian Sywottek
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Zarte Triebe Im Gartenbau macht dem Niederrhein so leicht keiner etwas vor. Mit Ausnahme der Nachbarn: Die Niederländer sind besser aufgestellt. Zusammen könnten sie im weltweiten Wettbewerb punkten. Dazu müsste aber erst zusammenwachsen, was bislang nicht zusammengehört. Ein Besuch im deutsch-niederländischen Grenzgebiet. Text: Christian Sywottek Foto: Tillmann Franzen
Der Weg zum Weltmarkt führt Nicht nur Autos, Elektroartikel oder Das klingt nach wohlgeordneten Ver- fragt. Mit anderen Worten: Die Bauern durch blühende Landschaften. Salat- Kleider werden heute gut und günstig hältnissen zwischen Industrie, Abneh- müssen schneller, besser, billiger und köpfe färben das Land grün, Eriken und im Ausland gefertigt – die Wettbewer- mern und Kunden, aber der Schein mehr produzieren. Callunen fügen lila Streifen hinzu. Ge- ber können auch Blumen, Obst und Ge- trügt. Heinrich Hiep sagt: „Wir sind Wie das im Norden der Erdhalbkugel wächshäuser so weit das Auge reicht, müse anbauen. Die Konkurrenz sitzt in unter Zwang, wir müssen uns ändern.“ funktioniert, lässt sich zurzeit am be- darin blühen Geranien, Azaleen, Orchi- den Sonnenländern Europas, in Afrika Was der Rosenzüchter und Präsident sten in Venlo studieren, etwa zehn Ki- deen. Armeen von Pflanzentöpfen unter oder in China. Und so lernt auch das des Landesverbandes Gartenbau Rhein- lometer von Straelen entfernt. Auch Glas und Blumen in Gelb, Rot und grüne Gewerbe derzeit die Regeln des land damit meint: Blumen und Gemüse hier, in der Gegend von Nord-Limburg Weiß, die sich bei 18 Grad Celsius und weltweiten Produktionsgeschäftes: Wer sind ein knallhartes Geschäft. in den Niederlanden, arbeiten die Bau- satter Feuchte langsam dem Licht ent- auf Dauer im internationalen Wettbe- Vor allem der Markt für Schnittblumen ern unter Hochdruck an der Zukunft gegendrehen. Ein frischer Duft liegt werb bestehen will, muss größer, effi- hat sich in der Vergangenheit gedreht. ihres Gewerbes. Die Niederländer ste- in der Luft, wer an einer Handvoll Er- zienter und billiger werden. Leicht und standardisiert werden sie hen nicht minder unter Druck als ihre de schnuppert, saugt kräftige Schwere massenweise und kostengünstig in Son- deutschen Nachbarn. Aber sie sind in sich hinein. Es ist ein fruchtbares Sonnenverwöhnte Wettbewerber nenländern wie Kenia, Äthiopien und noch besser aufgestellt. Land, und mittendrin in dieser Üppig- Israel produziert. Logistiker haben der Rund um die Stadt Venlo bauen sie vor keit lebt Heinrich Hiep, auf seinem Eigentlich ist der Niederrhein dafür nicht Blume Kühlketten gebaut, die von allem Gemüse an. Gurken, Tomaten, Betrieb bei Kevelaer. schlecht aufgestellt. Innerhalb Deutsch- einem Ende der Erde zum anderen rei- Paprika, aber natürlich auch Blumen Hiep ist Rosenzüchter, er gehört zu den lands ist das Gebiet an der Grenze zu chen. Per Flugzeug gelangen sie nach und Topfpflanzen. 3400 Betriebe haben Großen. Jedes Jahr bringt der Bauer den Niederlanden das bedeutendste Europa, auch nach Deutschland, dem sich hier angesiedelt, inklusive eigener 25 000 Stammrosen auf den Markt, im Gartengeschäft. In der Region kon- mit mehr als acht Milliarden Euro Um- Vermarkter: Allein FloraHolland kommt dazu 40 000 Buschrosen, 300 000 Mini- zentriert sich die Macht der Branche in satz größten europäischen Markt für auf einen Umsatz von vier Milliarden töpfe und 1,2 Millionen ganz kleine einer ungeheuren Ansammlung von Pro- Blumen und Pflanzen. Selbst bei Zim- Euro. Auch die Niederländer müssen Kaliber – Sämlinge, die später irgendwo duzenten, Verarbeitern und Vermark- mer- und Gartenpflanzen, deren Ver- größer und effizienter werden. Dazu in Deutschland, Frankreich, Österreich, tern: Rund 1600 Gartenbaubetriebe sand teurer ist, wächst inzwischen die wollen sie vor allem ihre ohnehin ge- Tschechien, Polen, der Schweiz oder produzieren hier zusammen im Wert Konkurrenz, beispielsweise in der Tür- waltigen Gewächshausflächen ausbauen in Skandinavien zu voller Pracht auf- von 630 Millionen Euro, gemeinsam kei. Oder in Südafrika. Mit seinem – essenzielle Voraussetzung für eine blühen. Auf 1,4 Hektar Unterglasfläche decken sie die gesamte industrielle Wert- guten Klima und den billigen Arbeits- Produktion mit höherer Marge. Auf der erwirtschaftet der Bauer einen Jahres- schöpfungskette ab. Fast die Hälfte kräften rollt das Land sukzessive den deutschen Seite ist Rosenzüchter Hiep umsatz von 1,6 Millionen Euro. Ein des Gemüses aus Nordrhein-Westfalen Markt für Jungpflanzen auf. mit seinen 1,4 Hektar Land ein Großer komplexes Geschäft, sagt der 61-Jäh- stammt von hier, bei Zierpflanzen sind Auch die Kundenseite setzt die Branche – jenseits der Grenze bewirtschaftet rige: „Was alles hinterm Gartenbau es sogar 56 Prozent. Heute wachsen auf heftig unter Druck. Nur rund 60 Pro- jeder Bauer im Schnitt drei bis vier steckt, weiß keine Socke.“ mehr als 1600 Hektar in der Region zent der Blumen nimmt heutzutage der Hektar, in Venlo sogar fünf. Darin würden ihm die meisten seiner Blumen und Zierpflanzen, fast 8500 Fachhandel ab. Viele kleine Händler Und jeder will weiter wachsen. Inner- Kollegen wohl zustimmen, und Kolle- Hektar Niederrhein sind mit Gemüse sind darunter, aber die Großhändler halb weniger Jahre, so der Plan, soll gen hat Heinrich Hiep viele. Seit der und Erdbeeren bedeckt. gewinnen an Kraft. Sie bedienen die sich der Umsatz der niederländischen Holzkaufmann Hans Tenhaeff im Jahr Allein das Gebiet zwischen Straelen, Ke- Märkte im prosperierenden Osteuropa, Gartenbauer verdoppeln, auf zwei Mil- Heinrich Hiep aus Kevelaer (oben) pflanzt auf 1,4 Hektar Rosen an. Um in 1914 in Straelen die erste Gemüsever- velaer und Geldern stellt rund zehn Pro- verlangen Menge und drücken die liarden Euro bis zum Jahr 2015. Dazu Zukunft erfolgreich zu sein, muss er schneller, billiger und mehr produzieren. Der steigerung auf deutschem Boden orga- zent der deutschen Gewächshausfläche. Preise, genau wie Baumarktketten oder wollen die Bauern mehr Gemüse, Blu- niederländische Paprikabauer Pieter Wijnen ist da schon weiter: Er wird künftig nisierte, haben sich zwischen Emme- Auch Landgard hat sich dort angesiedelt, Kommunen. Im Geschäft mit Obst und men und Bäumchen für den globalen brand eins Neuland 04_Niederrhein_Agrobusiness pro Jahr auf 55 Hektar Fläche unter Glas 27 Millionen Kilogramm ernten. rich, Nettetal und Wesel Hunderte der mit rund 1,2 Milliarden Euro Jahres- Gemüse wirken die Kräfte noch stär- Markt produzieren – und ihr riesiges großer und kleiner Betriebe angesiedelt. umsatz größte deutsche Vermarkter von ker: 80 Prozent der Waren gehen in- Gartenbaugebiet in einen „Greenport“ Auf ihren Feldern und in ihren Hallen Blumen, Zierpflanzen, Gemüse und Obst. zwischen an die großen Lebensmittel- umbauen. „Wir wollen hier nicht nur wird Gemüse angebaut, geerntet und Der Genossenschaftsbetrieb bringt die ketten, mehr als die Hälfte davon an Tomaten produzieren, sondern auch verarbeitet, hier werden Blumen gesät, Erzeugnisse aller Bauern der Region an preisgetriebene Discounter. Tomatensuppe daraus machen“, erklärt gezüchtet und veredelt. Der Niederrhein die Kunden – darunter eine stattliche Die harten Rahmenbedingungen for- Jos van der Heijden, der das ehrgeizige ist der wichtigste Produzent für alles, Zahl von Lebensmittelbetrieben wie Kat- dern ihren Tribut – und zwingen den Großprojekt bei der Gemeinde Venlo was hierzulande grünt und blüht. jes Fassin, Kühne oder Bofrost, die alles Produzenten all jene Veränderungen koordiniert. Statt nur mit der Pflanzen- In den vergangenen Jahrzehnten sorgte veredeln, verarbeiten und vertreiben, was auf, die auch die Hersteller in anderen aufzucht wollen die Niederländer künf- die geballte Kompetenz für einträgliche aus dem fruchtbaren Boden wächst. Am Branchen umtreiben: Die Gartenbauer tig entlang der gesamten Wertschöp- Geschäfte, inzwischen spürt der Bauer Niederrhein verdienen fast sieben Pro- müssen sich weiter industrialisieren. fungskette von der Frischware bis zum am Niederrhein, was auch die Produ- zent aller Beschäftigten ihren Lebens- Mehr Fertigungstiefe entlang der ge- fertigen Essen verdienen. „In China und zenten in anderen Industrien umtreibt: unterhalt im Ernährungsgewerbe. samten Wertschöpfungskette ist ge- Russland werden die Gartenbauflächen 28 29
immer größer“, sagt van der Heijden. „Ist doch logisch“, meint Pieter Wijnen, der Maschinenraum eines Schiffs. Instal- „Agrobusiness meint alle Prozesse vom gewaltig, denn hierzulande mangelt es „Dagegen kommt man mit Pflanzenauf- während er über Californië stapft, die- lateure schrauben hier seine neuen Gas- Saatgut bis zum Verkaufen“, sagt Mar- nicht nur an Mitteln. Am Niederrhein zucht allein nicht länger an.“ sen riesigen, in Parzellen aufgeteilten öfen zusammen, die mit Kraft-Wärme- tina Reuber. „Dafür brauchen wir nicht fehlen vor allem Strukturen. Die Politik unterstützt die Flucht nach Acker. „Je größer, desto geringer die Kopplung funktionieren. Die Wärme nur gute Gärtner, sondern auch For- Man muss nur mit Uwe Bons über Land vorn, Greenport ist ganz oben angesie- Kosten pro Quadratmeter.“ wird er in seine Gewächshäuser leiten, schung und Logistik, all das wollen wir fahren, dann kann man die Probleme delt. Die Regierung hat schon 24 Mil- Wijnen ist Gärtner, aber kein knorriger den Strom wird er verkaufen und da- in den nächsten Jahren voranbringen, leicht sehen. Bons ist der Wirtschafts- lionen Euro für das Vorhaben bewilligt, Bauer mit grünem Daumen. Der 35-Jäh- durch ein zusätzliches Einkommen er- wir schöpfen unser Potenzial hier noch förderer der Stadt Straelen, und er treibt das Geld fließt vor allem in Infrastruk- rige ist ein Manager, wie man ihn kennt zielen. Außerdem bohrt Wijnen nach lange nicht aus.“ sein kleines rotes Auto zügig vorbei an tur und in den Ausbau der Unterglas- aus Wirtschaft und Industrie. Marktori- Erdwärme. „Das lohnt sich erst ab einer Bei Reuber laufen alle Fäden zusammen. den Gewächshäusern, die sich dicht an flächen. 2012 sollen die Investitionen entiert, kostenbewusst, ohne Sentimen- Betriebsgröße von 15 Hektar.“ Auf Deshalb hat sie auch den besten Über- dicht aneinanderreihen, eingerahmt von der Weltgartenbauausstellung „Floriade“ talitäten. Künftig wird er auf 55 Hektar Californië soll 60 Grad heißes Wasser blick über das, was die Aufholjagd so weiten Äckern. zugute kommen, die in Venlo statt- Fläche in fünf Glashäusern, die derzeit aus zwei Kilometern Tiefe die Pflanzen kompliziert macht. Ein großes Handicap Bons spricht von einem Investitions- finden wird. Danach profitieren For- auf seinem Gelände entstehen, jedes wärmen, zusätzlich heizen will Wijnen hierzulande ist beispielsweise das Stan- stau, viele Glashäuser seien Energiefres- schungsstätten und verarbeitende Be- Jahr 27 Millionen Kilogramm Paprika nur im Winter. Er hat alles durchdacht: ding der Industrie. In Deutschland ist die ser, in denen etwa Tomaten 30 Prozent triebe. Die Niederländer bauen eine ernten. Eine computergesteuerte Papri- „Perfektion ist der einzige Weg, heute Branche nur ein Spielfeld von vielen. In teurer riefen als in modernen. „Man neue Erschließungsstraße und mit dem kafarm auf Betonboden wird das sein, im Weltmarkt zu bestehen.“ den Niederlanden hingegen ist der Gar- müsste in die Heizung investieren, weg „Trade Port Noord“ ein neues Gewer- auf der von Hand eigentlich nur noch Zehn Kilometer weiter, hinter der Gren- tenbau so etwas wie die deutsche Auto- vom Erdgas hin zu Biogas oder Abwär- begebiet. „Daneben wollen wir Innova- gepflanzt und geerntet wird. In seinem ze, weiß man das auch. Deshalb setzen mobilindustrie – die Leitbranche, der ein me“, meint der Wirtschaftsförderer. Er tionen schaffen“, sagt van der Heijden. alten 18-Hektar-Betrieb läuft es genau- Gärtner, Unternehmer, Politiker und roter Teppich ausgerollt wird, egal, ob es erzählt vom Druck auf die Fläche, der Industrie und Wissenschaft kooperieren so, aber in Zukunft sorgt Größe für Wirtschaftsförderer auf deutschem Ge- um die Suche nach einem Standort geht, verstärkt wird durch den Boom der schon heute. noch mehr Effizienz. biet zurzeit alles daran, mit einem neu- um billigen Brennstoff oder um Steuer- Energiepflanzen wie Mais, der eine Um bei gleicher Qualität das Wachstum en Konzept gegen die niederländischen vergünstigung. Gäbe es ein Problem, Erweiterung der bestehenden Betriebe zu erhöhen, arbeiten Tomatenbauern mit Optimierte Gewächshäuser Nachbarn ins Feld zu ziehen. Auch der setze man sich mit Königin Beatrix auf an ihren jetzigen Standorten unmöglich der Universität Wageningen zusammen. Niederrhein hat sich viel vorgenommen. eine Tasse Tee zusammen und finde eine mache. „Wir haben kleine gesunde Champignonzüchter und Wissenschaft- In Californië werden die Paprikareihen Bis 2018 will die Region zu einem der Lösung, heißt es auf deutscher Seite mit Betriebe“, sagt Bons, „aber wir hinken ler erforschen, was Pilze so unschön statt wie bisher 125 Meter 155 Meter wettbewerbsfähigsten Gartenbau- und ein bisschen Neid. den Niederländern immer einen Schritt braun verfärbt oder wie man Vitamine lang sein. „Da muss ich die Erntewagen Food-Cluster in Europa werden. Die Das ist übertrieben, sicher aber ist: Die hinterher.“ Was er nicht sagt: Die Zu- am besten im Pilz erhält. Gartenbauer, seltener umrücken, das spart bis zu 15 Zeit drängt: Die neuen Unterglas-Ge- niederländische Regierung lässt sich ihr kunft des Gartenbaus liegt in großen Elektrofirmen und Forscher tüfteln ge- Prozent Zeit.“ Er wird größere Sortier- biete in den Niederlanden werden neue Großprojekt Greenport 24 Millionen Unterglasflächen – und die bedeuten meinsam an energieeffizienten Gewächs- maschinen einsetzen können. „Pro Jahr niederländische Konkurrenten auf der Euro kosten, der Agrobusiness-Initia- das Ende von Kleinbauern und Land- häusern. Parallel zu all dem wächst das und Quadratmeter dauerte das Sortie- Suche nach Flächen ins Grenzland zie- tive stehen dagegen gerade 1,2 Millio- wirtschaftsbetrieben. akademische Know-how: An der priva- ren bislang 0,7 Stunden, künftig werden hen – und den Druck auf die Deutschen nen Euro zu Verfügung. Auch bei Inves- Heinrich Hiep kann die Ängste der klei- ten Fachhochschule Fontys in Venlo es 0,6 Stunden sein.“ Und weil jedes weiter erhöhen, deren Kunden hüben titionen und Erweiterungen haben es nen und mittleren Betriebe in der Regi- kann man seit diesem Jahr „Food & Gewächshaus einen eigenen Gärtner wie drüben schon lange nach den bes- die Niederrheiner ungleich schwerer als on gut verstehen. Aber Angst nütze Flower Management“ studieren, übri- braucht und weil Top-Gärtner teuer ten Offerten suchen. ihre Nachbarn. Während die deutschen einem nichts, sagt der Rosenzüchter. gens auch in deutscher Sprache. sind, spart Wijnen in Zukunft auch Per- „Wir müssen Gas geben“, sagt Martina Banken bei der Kreditvergabe an den „Man rettet die Kleinen nicht, indem Jos van der Heijden leitet das Greenport- Noch sind einige dieser Projekte Zu- sonalkosten: In Californië kann sich Reuber. „Sonst hängen die Niederlän- Gartenbau traditionell eher zurückhal- man die Großen behindert.“ Im Wettbe- Projekt bei der Gemeinde Venlo. Er kunftsmusik. Fakten hingegen schaffen jeder Gärtner um deutlich mehr Pflan- der uns ab.“ Die 49-Jährige sitzt in tend sind, gilt die niederländische Rabo- werb mit den Nachbarn ginge es heute hat große Pläne, Rückendeckung und Mittel die Niederländer beim konsequenten zen kümmern. Das Geld, das der Chef einem kleinen Büro im Haus Riswick, bank als größter Gewächshausbetreiber um alles oder nichts, um das Wohl der von der niederländischen Regierung. brand eins Neuland 04_Niederrhein_Agrobusiness Ausbau der Unterglasflächen. Um die spart, kann er in neue Spezialisten inves- einem Landwirtschaftszentrum der der Welt. Sie bietet ihren Kunden 100- gesamten Region. „Und wenn die leidet, Für Martina Reuber, die das deutsche Produktion wetterunabhängig, größer tieren – Experten für Energiefragen, für Landwirtschaftskammer Nordrhein- Prozent-Finanzierungen und Gewächs- leiden doch gerade die Kleinen.“ Für Agrobusiness-Netzwerk koordiniert, sind die und damit kostengünstiger zu machen, die Finanzen. „Dann wird alles besser Westfalen, mitten auf der grünen Wiese haus-Leasing. Kredite werden vergeben, Hiep überwiegen die Vorteile einer Bedingungen deutlich schlechter. Bis 2018 soll haben die Gemeinden mit staatlichen gemanagt. Ein Gärtner kann das nicht vor den Toren Kleves. Hier, umgeben ohne dass der Gartenbauer mit seinem modernen Gartenbaustruktur. Unter- der Niederrhein dennoch zum international Zuschüssen Land aufgekauft und zwei alles perfekt machen.“ von Rindvieh und Rehen, koordiniert Privatvermögen haften muss. Die Bank glasanbau muss ja nicht heißen, dass wettbewerbsfähigen Cluster werden. riesige Unterglasgebiete ausgewiesen: Mit Größe löst Wijnen auch das zweite Reuber die Zukunft des deutschen Gar- entwickelt und finanziert Unterglasge- sich da nur ein Großbetrieb breitmacht. Californië mit 150 Hektar und Siberië existenzielle Problem im Gartenbau: die tenbaus: die Netzwerkinitiative „Agro- biete auch auf eigene Rechnung – der So ein Cluster könnte auch viele Kleine mit 300 Hektar. „Wenn es sein muss, Energie. Der steigende Gaspreis hat die business Niederrhein“. Der Zusammen- Gartenbauer kauft sich anschließend ein versammeln. „Man könnte alles zentra- können wir auf 1200 Hektar erweitern“, Energiekosten des Unternehmers inner- schluss von 49 Kommunen, Banken, oder zahlt ab. lisieren“, träumt Hiep, die Wärmeerzeu- sagt Jos van der Heijden. Das wäre halb von vier Jahren verdreifacht. Für Gärtnerverbänden, Vermarktern und „In den Niederlanden geschieht die Ent- gung, den Verladeplatz. Bei ihm zum doppelt so viel wie alle Unterglasflächen seine neuen Gewächshäuser lohnen sich Erzeugern will dem starken Nachbarn wicklung top down“, lautet das Fazit Beispiel stauten sich an guten Tagen auf deutscher Niederrheinseite zusam- jetzt auch größere Investitionen. Wijnen Paroli bieten – und setzt, kaum über- von Martina Reuber, „wir müssen alles sechs Sattelschlepper auf dem Wirt- men – und ein riesiger Effizienzgewinn. führt durch eine Halle, die aussieht wie raschend, auf die identische Strategie. von unten aufbauen.“ Die Aufgabe ist schaftsweg, das sei doch nicht sinnvoll. 30 31
32 brand eins Neuland 04_Niederrhein_Agrobusiness Blumensortimente bei Landgard in Straelen: Mit rund 3000 Mitarbeitern, mehr als 3000 Gärtnern der eG und rund 25 000 Einkäufer-Kunden erwirtschaftet das Genossenschaftsunternehmen einem Jahresumsatz von rund 1,2 Milliarden Euro. Die Produktpalette ist riesig: Landgard verkauft Blumen, Zierpflanzen, Gärtner- und Floristenbedarf, Gemüse und Obst. Allein bei der Topfpflanzenversteigerung, die der Vermarkter neben der klassischen Vertriebsschiene bietet, wechseln jedes Jahr 650 000 Container mit 150 Millionen Pflanzen den Besitzer.
Auch Behördenkram müsste künftig Die ersten deutschen Pioniere haben Im Telematik-Projekt testet und pflegt Vertreter beider Länder gemeinsame nicht mehr jeder allein durchfechten. sich inzwischen auf den Weg gemacht. Hiep nun mit den anderen ein EDV- Sache machen. In der Produktion und Die Gärtner könnten die Arbeit teilen. Martina Reuber weiß von drei Gar- System, das den aktuellen Stand nicht bei der Vermarktung. „Einer macht nur die Jungpflanzen, tenbauern zu berichten, die sich mit nur auf dem einzelnen Pflanztisch, son- Natürlich hat Verheijen gut reden, er der Rest teilt sich die Kulturen. Das einem Berater zusammengetan haben, dern im ganzen Gewächshaus erfasst ist in der stärkeren Position. Deshalb könnte klappen wie in einem Gewerbe- um gemeinsam Bewässerungsanlagen, und zeitgleich dem Vermarkter Land- lehnten die Niederrheiner jüngst auch gebiet, wo auch nicht jeder irgend- Fenstersteuerungen und Reinigungs- gard zugänglich macht. Der Distributor den niederländischen Vorschlag ab, die wo in der Landschaft hockt und vor maschinen zu optimieren. Zehn andere erhält so eine genaue Übersicht über Region mit einem „Greenport Europe“ sich hinfummelt.“ Betriebe befassen sich derzeit mit der den Produktionsstand seiner Zulieferer schon heute grenzüberschreitend als Es könnte, aber bis es so weit ist, wird Züchtung neuer Erikasorten. Es ist das und kann Kundenanfragen besser bear- Einheit zu vermarkten. „Unsere Sorge es dauern. Der erste Vorstoß in Rich- Leitprojekt des Niederrheingebiets, das beiten. Hiep füttert das System mit war, dass unser Vermarkter Landgard tung Unterglasanbau ist jedenfalls ge- immerhin 60 Prozent der bundesweiten Temperaturständen, Wassermengen, dann einfach geschluckt wird“, sagt scheitert. Bei Straelen wollten Landgard Erika-Produktion abdeckt. Gemeinsam Erdmassen und Wachstumsdaten: „Im Martina Reuber, „und dass die Nieder- und niederländische Investoren das 120 suchen die Gartenbauer aus den rund Laufe der Zeit entsteht ein feines Ras- länder uns mit ihren Riesenbetrieben Hektar große Gebiet „Kastanienburg“ 1000 Arten diejenigen aus, die sich ter, das uns sagt, unter welchen Um- verdrängen.“ Vielleicht wären auch überdachen. Die Bodenaufkäufer waren möglicherweise kreuzen lassen, sam- ständen unsere Pflanzen wie gewachsen Fördergelder künftig eher in die Nieder- schon unterwegs und beackerten die meln Pollen, prüfen sie auf ihre Lager- sind.“ So lässt sich der nächste Auftrag lande geflossen als nach Deutschland. Landwirte, als aufgebrachte Bauern und fähigkeit – und schaffen damit die leichter planen und günstiger produzie- Ganz sicher aber hätte der niederrheini- Anwohner Hunderte Unterschriften Grundlage für die Arbeit eines biotech- ren. Nachahmer finden sich dann viel- sche Bauer sein wichtigstes Unterschei- sammelten. Am Ende lehnte der Stadt- nischen Instituts, das anschließend über- leicht auch, hofft Hiep: „Wir müssen dungsmerkmal verloren, die Herkunft rat das Vorhaben ab. nehmen soll. Heinrich Hiep engagiert Ergebnisse liefern, damit die anderen „Deutschland“, die zumindest mit Blick sich mit fünf Kollegen vor allem im nachziehen. Ein Betrieb allein kann auf Gemüse einen besseren Klang hat Unentschlossene Politiker Telematik-Projekt, darin geht es um ein keine Region nach vorn bringen.“ als die legendäre Holland-Tomate. System, das die Just-in-time-Herstellung Martina Reuber wünscht sich mehr Langfristig, „wenn beide Seiten auf Durch die Region zieht sich nämlich vorantreiben soll, die im Gartenbau Frontbauern, die mit gutem Beispiel Augenhöhe sind“, sollten die Nachbarn nicht nur eine Grenze zwischen zwei immer wichtiger wird. vorangehen und ihren Kollegen von den zu einer gemeinsamen Gartenbauregion Ländern, Modernisierern und Bewah- Mit wachsenden Märkten etwa in Ost- Erfolgen erzählen. Denn mit wachsen- zusammenwachsen, findet die Agrobu- rern, Großen und Kleinen – die Gräben europa kommen die Kundenanfragen der Zuversicht steigt vielleicht auch die siness-Koordinatorin Martina Reuber. ziehen sich auch durch die Politik. Wolf- immer früher. Nicht nur für Weihnach- Chance, dass aus den beiden starken Sie könnten sich Arbeitskräfte, Markt- gang Spreen beispielsweise, Landrat des ten und Muttertag wird die Ware inzwi- Wettbewerbern dies- und jenseits der kenntnisse und Technologien teilen, Kreises Kleve, in dem auch das Städt- schen schon viele Monate im Voraus Grenze irgendwann einmal noch stär- gemeinsam ihre technische Expertise chen Straelen liegt, mag sich bei dem bestellt. Der Gärtner muss seine Pflan- kere Partner werden. vorantreiben und Chancen kommerzia- sensiblen Thema am liebsten gar nicht zen genau zum passenden Zeitpunkt Die Niederländer würden lieber heute lisieren. Auch die Vision von Landrat festlegen. Familienbetriebe sollten erhal- verkaufsfertig aufgezogen haben – bei als morgen mit den Nachbarn kooperie- Wolfgang Spreen geht in Richtung einer ten bleiben, sagt er. Aber er sagt auch: einem leicht verderblichen Gut wie Blu- ren. „Mir ist es ganz recht, dass die schlagkräftigen Gesamtregion. Warum, „Was bislang kleinteilig war, muss sich men ist das Zeitfenster nur wenige Tage Deutschen nun loslegen“, sagt etwa so fragt er sich, können wir nicht zusammenschließen.“ groß. Um das zu erreichen, bedarf es Mark Verheijen, der Beigeordnete für Straßen, Flugplätze und Kühlanlagen In der niederländischen Unterglasproduktion Californië wird Paprika künftig Straelens Bürgermeister Johannes Gie- einer präzisen Planung. Wann pflanze Wirtschaft und Finanzen bei der Stadt zusammen nutzen, Unterglasgebiete auf in 155 Meter langen Reihen reifen. Damit sinkt die Sortierzeit in den riesigen sen findet eine deutlichere Sprache, was ich, wie weit ist die Blume gediehen, Venlo. Schließlich seien die Gartenbau- die Grenze stellen und Energieprobleme Hallen von 0,7 auf 0,6 Stunden. Das spart auch Geld: Mit der Größe der brand eins Neuland 04_Niederrhein_Agrobusiness an seiner Wachstumsstrategie für die wie lange braucht sie noch, bei welcher regionen hüben wie drüben mit einer gemeinsam lösen? Anbaufläche lassen sich Energiekosten senken, während die Effizienz steigt. Region liegen kann, vielleicht aber auch Gewächshaus-Temperatur? Und wann Einkaufsstraße vergleichbar, in der es Ja, warum eigentlich nicht? Die sorg- daran, dass sich der 60-Jährige nach brauche ich einen freien Pflanztisch, um schon heute viele Schuhgeschäfte gebe. fältigen Deutschen und die marketing- zehn Jahren Amtszeit nicht wiederwäh- den nächsten Auftrag anzugehen? „Die sind einander Konkurrenten und starken Niederländer würden einander len lassen will. So etwas wie Kastanien- „Bislang läuft noch viel über Zettel“, profitieren doch gemeinsam, weil jeder, gut ergänzen. Mit dem global auftreten- burg jedenfalls dürfe nicht noch einmal sagt Heinrich Hiep, „aber damit kriegt der Schuhe kaufen will, dorthin geht.“ den deutsch-niederländischen Garten- passieren, meint Giesen. Politik müsse man das nicht sauber geregelt, vor allem Globale Märkte und Kunden scheren bau-Cluster wird es aber wohl noch ein gestalten, das tue nicht jedem gut, aber nicht, wenn man viele verschiedene sich jedenfalls nicht um die Grenze zwi- wenig dauern. Stärke und Vertrauen so sei nun einmal das Leben. Giesen Kulturen anbaut. Erfahrungswerte sind schen den Niederlanden und Deutsch- wachsen eben langsamer als Paprika, findet die Idee eines Agroparks gut. nicht immer exakt. Am Ende kann es land. Jeder neue Verarbeiter, da ist sich Erika oder Tomaten. Und solange ein Investor seinen Betrieb passieren, dass man zu spät fertig ist. Verheijen ganz sicher, stärke die Produ- in Straelen anmelde, schaue er als Bür- Oder auch zu früh. Dann verderben zenten in der gesamten Region. Ginge germeister auch nicht auf den Pass. die Blumen.“ es nach dem 32-Jährigen, sollten die 34 35
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