Zarte Triebe - Christian Sywottek

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Zarte Triebe - Christian Sywottek
Zarte Triebe
Im Gartenbau macht dem Niederrhein so leicht keiner etwas vor.
Mit Ausnahme der Nachbarn: Die Niederländer sind besser aufgestellt.
Zusammen könnten sie im weltweiten Wettbewerb punkten.
Dazu müsste aber erst zusammenwachsen, was bislang nicht
zusammengehört.

Ein Besuch im deutsch-niederländischen Grenzgebiet.

Text: Christian Sywottek Foto: Tillmann Franzen
Zarte Triebe - Christian Sywottek
Der Weg zum Weltmarkt führt                                                            Nicht nur Autos, Elektroartikel oder         Das klingt nach wohlgeordneten Ver-       fragt. Mit anderen Worten: Die Bauern
                                                                                     durch blühende Landschaften. Salat-                                                         Kleider werden heute gut und günstig         hältnissen zwischen Industrie, Abneh-     müssen schneller, besser, billiger und
                                                                                     köpfe färben das Land grün, Eriken und                                                      im Ausland gefertigt – die Wettbewer-        mern und Kunden, aber der Schein          mehr produzieren.
                                                                                     Callunen fügen lila Streifen hinzu. Ge-                                                     ber können auch Blumen, Obst und Ge-         trügt. Heinrich Hiep sagt: „Wir sind      Wie das im Norden der Erdhalbkugel
                                                                                     wächshäuser so weit das Auge reicht,                                                        müse anbauen. Die Konkurrenz sitzt in        unter Zwang, wir müssen uns ändern.“      funktioniert, lässt sich zurzeit am be-
                                                                                     darin blühen Geranien, Azaleen, Orchi-                                                      den Sonnenländern Europas, in Afrika         Was der Rosenzüchter und Präsident        sten in Venlo studieren, etwa zehn Ki-
                                                                                     deen. Armeen von Pflanzentöpfen unter                                                       oder in China. Und so lernt auch das         des Landesverbandes Gartenbau Rhein-      lometer von Straelen entfernt. Auch
                                                                                     Glas und Blumen in Gelb, Rot und                                                            grüne Gewerbe derzeit die Regeln des         land damit meint: Blumen und Gemüse       hier, in der Gegend von Nord-Limburg
                                                                                     Weiß, die sich bei 18 Grad Celsius und                                                      weltweiten Produktionsgeschäftes: Wer        sind ein knallhartes Geschäft.            in den Niederlanden, arbeiten die Bau-
                                                                                     satter Feuchte langsam dem Licht ent-                                                       auf Dauer im internationalen Wettbe-         Vor allem der Markt für Schnittblumen     ern unter Hochdruck an der Zukunft
                                                                                     gegendrehen. Ein frischer Duft liegt                                                        werb bestehen will, muss größer, effi-       hat sich in der Vergangenheit gedreht.    ihres Gewerbes. Die Niederländer ste-
                                                                                     in der Luft, wer an einer Handvoll Er-                                                      zienter und billiger werden.                 Leicht und standardisiert werden sie      hen nicht minder unter Druck als ihre
                                                                                     de schnuppert, saugt kräftige Schwere                                                                                                    massenweise und kostengünstig in Son-     deutschen Nachbarn. Aber sie sind
                                                                                     in sich hinein. Es ist ein fruchtbares                                                      Sonnenverwöhnte Wettbewerber                 nenländern wie Kenia, Äthiopien und       noch besser aufgestellt.
                                                                                     Land, und mittendrin in dieser Üppig-                                                                                                    Israel produziert. Logistiker haben der   Rund um die Stadt Venlo bauen sie vor
                                                                                     keit lebt Heinrich Hiep, auf seinem                                                         Eigentlich ist der Niederrhein dafür nicht   Blume Kühlketten gebaut, die von          allem Gemüse an. Gurken, Tomaten,
                                                                                     Betrieb bei Kevelaer.                                                                       schlecht aufgestellt. Innerhalb Deutsch-     einem Ende der Erde zum anderen rei-      Paprika, aber natürlich auch Blumen
                                                                                     Hiep ist Rosenzüchter, er gehört zu den                                                     lands ist das Gebiet an der Grenze zu        chen. Per Flugzeug gelangen sie nach      und Topfpflanzen. 3400 Betriebe haben
                                                                                     Großen. Jedes Jahr bringt der Bauer                                                         den Niederlanden das bedeutendste            Europa, auch nach Deutschland, dem        sich hier angesiedelt, inklusive eigener
                                                                                     25 000 Stammrosen auf den Markt,                                                            im Gartengeschäft. In der Region kon-        mit mehr als acht Milliarden Euro Um-     Vermarkter: Allein FloraHolland kommt
                                                                                     dazu 40 000 Buschrosen, 300 000 Mini-                                                       zentriert sich die Macht der Branche in      satz größten europäischen Markt für       auf einen Umsatz von vier Milliarden
                                                                                     töpfe und 1,2 Millionen ganz kleine                                                         einer ungeheuren Ansammlung von Pro-         Blumen und Pflanzen. Selbst bei Zim-      Euro. Auch die Niederländer müssen
                                                                                     Kaliber – Sämlinge, die später irgendwo                                                     duzenten, Verarbeitern und Vermark-          mer- und Gartenpflanzen, deren Ver-       größer und effizienter werden. Dazu
                                                                                     in Deutschland, Frankreich, Österreich,                                                     tern: Rund 1600 Gartenbaubetriebe            sand teurer ist, wächst inzwischen die    wollen sie vor allem ihre ohnehin ge-
                                                                                     Tschechien, Polen, der Schweiz oder                                                         produzieren hier zusammen im Wert            Konkurrenz, beispielsweise in der Tür-    waltigen Gewächshausflächen ausbauen
                                                                                     in Skandinavien zu voller Pracht auf-                                                       von 630 Millionen Euro, gemeinsam            kei. Oder in Südafrika. Mit seinem        – essenzielle Voraussetzung für eine
                                                                                     blühen. Auf 1,4 Hektar Unterglasfläche                                                      decken sie die gesamte industrielle Wert-    guten Klima und den billigen Arbeits-     Produktion mit höherer Marge. Auf der
                                                                                     erwirtschaftet der Bauer einen Jahres-                                                      schöpfungskette ab. Fast die Hälfte          kräften rollt das Land sukzessive den     deutschen Seite ist Rosenzüchter Hiep
                                                                                     umsatz von 1,6 Millionen Euro. Ein                                                          des Gemüses aus Nordrhein-Westfalen          Markt für Jungpflanzen auf.               mit seinen 1,4 Hektar Land ein Großer
                                                                                     komplexes Geschäft, sagt der 61-Jäh-                                                        stammt von hier, bei Zierpflanzen sind       Auch die Kundenseite setzt die Branche    – jenseits der Grenze bewirtschaftet
                                                                                     rige: „Was alles hinterm Gartenbau                                                          es sogar 56 Prozent. Heute wachsen auf       heftig unter Druck. Nur rund 60 Pro-      jeder Bauer im Schnitt drei bis vier
                                                                                     steckt, weiß keine Socke.“                                                                  mehr als 1600 Hektar in der Region           zent der Blumen nimmt heutzutage der      Hektar, in Venlo sogar fünf.
                                                                                     Darin würden ihm die meisten seiner                                                         Blumen und Zierpflanzen, fast 8500           Fachhandel ab. Viele kleine Händler       Und jeder will weiter wachsen. Inner-
                                                                                     Kollegen wohl zustimmen, und Kolle-                                                         Hektar Niederrhein sind mit Gemüse           sind darunter, aber die Großhändler       halb weniger Jahre, so der Plan, soll
                                                                                     gen hat Heinrich Hiep viele. Seit der                                                       und Erdbeeren bedeckt.                       gewinnen an Kraft. Sie bedienen die       sich der Umsatz der niederländischen
                                                                                     Holzkaufmann Hans Tenhaeff im Jahr                                                          Allein das Gebiet zwischen Straelen, Ke-     Märkte im prosperierenden Osteuropa,      Gartenbauer verdoppeln, auf zwei Mil-
Heinrich Hiep aus Kevelaer (oben) pflanzt auf 1,4 Hektar Rosen an. Um in             1914 in Straelen die erste Gemüsever-                                                       velaer und Geldern stellt rund zehn Pro-     verlangen Menge und drücken die           liarden Euro bis zum Jahr 2015. Dazu
Zukunft erfolgreich zu sein, muss er schneller, billiger und mehr produzieren. Der   steigerung auf deutschem Boden orga-                                                        zent der deutschen Gewächshausfläche.        Preise, genau wie Baumarktketten oder     wollen die Bauern mehr Gemüse, Blu-
niederländische Paprikabauer Pieter Wijnen ist da schon weiter: Er wird künftig      nisierte, haben sich zwischen Emme-                                                         Auch Landgard hat sich dort angesiedelt,     Kommunen. Im Geschäft mit Obst und        men und Bäumchen für den globalen
                                                                                                                                brand eins Neuland 04_Niederrhein_Agrobusiness

pro Jahr auf 55 Hektar Fläche unter Glas 27 Millionen Kilogramm ernten.              rich, Nettetal und Wesel Hunderte                                                           der mit rund 1,2 Milliarden Euro Jahres-     Gemüse wirken die Kräfte noch stär-       Markt produzieren – und ihr riesiges
                                                                                     großer und kleiner Betriebe angesiedelt.                                                    umsatz größte deutsche Vermarkter von        ker: 80 Prozent der Waren gehen in-       Gartenbaugebiet in einen „Greenport“
                                                                                     Auf ihren Feldern und in ihren Hallen                                                       Blumen, Zierpflanzen, Gemüse und Obst.       zwischen an die großen Lebensmittel-      umbauen. „Wir wollen hier nicht nur
                                                                                     wird Gemüse angebaut, geerntet und                                                          Der Genossenschaftsbetrieb bringt die        ketten, mehr als die Hälfte davon an      Tomaten produzieren, sondern auch
                                                                                     verarbeitet, hier werden Blumen gesät,                                                      Erzeugnisse aller Bauern der Region an       preisgetriebene Discounter.               Tomatensuppe daraus machen“, erklärt
                                                                                     gezüchtet und veredelt. Der Niederrhein                                                     die Kunden – darunter eine stattliche        Die harten Rahmenbedingungen for-         Jos van der Heijden, der das ehrgeizige
                                                                                     ist der wichtigste Produzent für alles,                                                     Zahl von Lebensmittelbetrieben wie Kat-      dern ihren Tribut – und zwingen den       Großprojekt bei der Gemeinde Venlo
                                                                                     was hierzulande grünt und blüht.                                                            jes Fassin, Kühne oder Bofrost, die alles    Produzenten all jene Veränderungen        koordiniert. Statt nur mit der Pflanzen-
                                                                                     In den vergangenen Jahrzehnten sorgte                                                       veredeln, verarbeiten und vertreiben, was    auf, die auch die Hersteller in anderen   aufzucht wollen die Niederländer künf-
                                                                                     die geballte Kompetenz für einträgliche                                                     aus dem fruchtbaren Boden wächst. Am         Branchen umtreiben: Die Gartenbauer       tig entlang der gesamten Wertschöp-
                                                                                     Geschäfte, inzwischen spürt der Bauer                                                       Niederrhein verdienen fast sieben Pro-       müssen sich weiter industrialisieren.     fungskette von der Frischware bis zum
                                                                                     am Niederrhein, was auch die Produ-                                                         zent aller Beschäftigten ihren Lebens-       Mehr Fertigungstiefe entlang der ge-      fertigen Essen verdienen. „In China und
                                                                                     zenten in anderen Industrien umtreibt:                                                      unterhalt im Ernährungsgewerbe.              samten Wertschöpfungskette ist ge-        Russland werden die Gartenbauflächen

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Zarte Triebe - Christian Sywottek
immer größer“, sagt van der Heijden.        „Ist doch logisch“, meint Pieter Wijnen,     der Maschinenraum eines Schiffs. Instal-                                                    „Agrobusiness meint alle Prozesse vom        gewaltig, denn hierzulande mangelt es
„Dagegen kommt man mit Pflanzenauf-         während er über Californië stapft, die-      lateure schrauben hier seine neuen Gas-                                                     Saatgut bis zum Verkaufen“, sagt Mar-        nicht nur an Mitteln. Am Niederrhein
zucht allein nicht länger an.“              sen riesigen, in Parzellen aufgeteilten      öfen zusammen, die mit Kraft-Wärme-                                                         tina Reuber. „Dafür brauchen wir nicht       fehlen vor allem Strukturen.
Die Politik unterstützt die Flucht nach     Acker. „Je größer, desto geringer die        Kopplung funktionieren. Die Wärme                                                           nur gute Gärtner, sondern auch For-          Man muss nur mit Uwe Bons über Land
vorn, Greenport ist ganz oben angesie-      Kosten pro Quadratmeter.“                    wird er in seine Gewächshäuser leiten,                                                      schung und Logistik, all das wollen wir      fahren, dann kann man die Probleme
delt. Die Regierung hat schon 24 Mil-       Wijnen ist Gärtner, aber kein knorriger      den Strom wird er verkaufen und da-                                                         in den nächsten Jahren voranbringen,         leicht sehen. Bons ist der Wirtschafts-
lionen Euro für das Vorhaben bewilligt,     Bauer mit grünem Daumen. Der 35-Jäh-         durch ein zusätzliches Einkommen er-                                                        wir schöpfen unser Potenzial hier noch       förderer der Stadt Straelen, und er treibt
das Geld fließt vor allem in Infrastruk-    rige ist ein Manager, wie man ihn kennt      zielen. Außerdem bohrt Wijnen nach                                                          lange nicht aus.“                            sein kleines rotes Auto zügig vorbei an
tur und in den Ausbau der Unterglas-        aus Wirtschaft und Industrie. Marktori-      Erdwärme. „Das lohnt sich erst ab einer                                                     Bei Reuber laufen alle Fäden zusammen.       den Gewächshäusern, die sich dicht an
flächen. 2012 sollen die Investitionen      entiert, kostenbewusst, ohne Sentimen-       Betriebsgröße von 15 Hektar.“ Auf                                                           Deshalb hat sie auch den besten Über-        dicht aneinanderreihen, eingerahmt von
der Weltgartenbauausstellung „Floriade“     talitäten. Künftig wird er auf 55 Hektar     Californië soll 60 Grad heißes Wasser                                                       blick über das, was die Aufholjagd so        weiten Äckern.
zugute kommen, die in Venlo statt-          Fläche in fünf Glashäusern, die derzeit      aus zwei Kilometern Tiefe die Pflanzen                                                      kompliziert macht. Ein großes Handicap       Bons spricht von einem Investitions-
finden wird. Danach profitieren For-        auf seinem Gelände entstehen, jedes          wärmen, zusätzlich heizen will Wijnen                                                       hierzulande ist beispielsweise das Stan-     stau, viele Glashäuser seien Energiefres-
schungsstätten und verarbeitende Be-        Jahr 27 Millionen Kilogramm Paprika          nur im Winter. Er hat alles durchdacht:                                                     ding der Industrie. In Deutschland ist die   ser, in denen etwa Tomaten 30 Prozent
triebe. Die Niederländer bauen eine         ernten. Eine computergesteuerte Papri-       „Perfektion ist der einzige Weg, heute                                                      Branche nur ein Spielfeld von vielen. In     teurer riefen als in modernen. „Man
neue Erschließungsstraße und mit dem        kafarm auf Betonboden wird das sein,         im Weltmarkt zu bestehen.“                                                                  den Niederlanden hingegen ist der Gar-       müsste in die Heizung investieren, weg
„Trade Port Noord“ ein neues Gewer-         auf der von Hand eigentlich nur noch         Zehn Kilometer weiter, hinter der Gren-                                                     tenbau so etwas wie die deutsche Auto-       vom Erdgas hin zu Biogas oder Abwär-
begebiet. „Daneben wollen wir Innova-       gepflanzt und geerntet wird. In seinem       ze, weiß man das auch. Deshalb setzen                                                       mobilindustrie – die Leitbranche, der ein    me“, meint der Wirtschaftsförderer. Er
tionen schaffen“, sagt van der Heijden.     alten 18-Hektar-Betrieb läuft es genau-      Gärtner, Unternehmer, Politiker und                                                         roter Teppich ausgerollt wird, egal, ob es   erzählt vom Druck auf die Fläche, der
Industrie und Wissenschaft kooperieren      so, aber in Zukunft sorgt Größe für          Wirtschaftsförderer auf deutschem Ge-                                                       um die Suche nach einem Standort geht,       verstärkt wird durch den Boom der
schon heute.                                noch mehr Effizienz.                         biet zurzeit alles daran, mit einem neu-                                                    um billigen Brennstoff oder um Steuer-       Energiepflanzen wie Mais, der eine
Um bei gleicher Qualität das Wachstum                                                    en Konzept gegen die niederländischen                                                       vergünstigung. Gäbe es ein Problem,          Erweiterung der bestehenden Betriebe
zu erhöhen, arbeiten Tomatenbauern mit      Optimierte Gewächshäuser                     Nachbarn ins Feld zu ziehen. Auch der                                                       setze man sich mit Königin Beatrix auf       an ihren jetzigen Standorten unmöglich
der Universität Wageningen zusammen.                                                     Niederrhein hat sich viel vorgenommen.                                                      eine Tasse Tee zusammen und finde eine       mache. „Wir haben kleine gesunde
Champignonzüchter und Wissenschaft-         In Californië werden die Paprikareihen       Bis 2018 will die Region zu einem der                                                       Lösung, heißt es auf deutscher Seite mit     Betriebe“, sagt Bons, „aber wir hinken
ler erforschen, was Pilze so unschön        statt wie bisher 125 Meter 155 Meter         wettbewerbsfähigsten Gartenbau- und                                                         ein bisschen Neid.                           den Niederländern immer einen Schritt
braun verfärbt oder wie man Vitamine        lang sein. „Da muss ich die Erntewagen       Food-Cluster in Europa werden. Die                                                          Das ist übertrieben, sicher aber ist: Die    hinterher.“ Was er nicht sagt: Die Zu-
am besten im Pilz erhält. Gartenbauer,      seltener umrücken, das spart bis zu 15       Zeit drängt: Die neuen Unterglas-Ge-                                                        niederländische Regierung lässt sich ihr     kunft des Gartenbaus liegt in großen
Elektrofirmen und Forscher tüfteln ge-      Prozent Zeit.“ Er wird größere Sortier-      biete in den Niederlanden werden neue                                                       Großprojekt Greenport 24 Millionen           Unterglasflächen – und die bedeuten
meinsam an energieeffizienten Gewächs-      maschinen einsetzen können. „Pro Jahr        niederländische Konkurrenten auf der                                                        Euro kosten, der Agrobusiness-Initia-        das Ende von Kleinbauern und Land-
häusern. Parallel zu all dem wächst das     und Quadratmeter dauerte das Sortie-         Suche nach Flächen ins Grenzland zie-                                                       tive stehen dagegen gerade 1,2 Millio-       wirtschaftsbetrieben.
akademische Know-how: An der priva-         ren bislang 0,7 Stunden, künftig werden      hen – und den Druck auf die Deutschen                                                       nen Euro zu Verfügung. Auch bei Inves-       Heinrich Hiep kann die Ängste der klei-
ten Fachhochschule Fontys in Venlo          es 0,6 Stunden sein.“ Und weil jedes         weiter erhöhen, deren Kunden hüben                                                          titionen und Erweiterungen haben es          nen und mittleren Betriebe in der Regi-
kann man seit diesem Jahr „Food &           Gewächshaus einen eigenen Gärtner            wie drüben schon lange nach den bes-                                                        die Niederrheiner ungleich schwerer als      on gut verstehen. Aber Angst nütze
Flower Management“ studieren, übri-         braucht und weil Top-Gärtner teuer           ten Offerten suchen.                                                                        ihre Nachbarn. Während die deutschen         einem nichts, sagt der Rosenzüchter.
gens auch in deutscher Sprache.             sind, spart Wijnen in Zukunft auch Per-      „Wir müssen Gas geben“, sagt Martina                                                        Banken bei der Kreditvergabe an den          „Man rettet die Kleinen nicht, indem         Jos van der Heijden leitet das Greenport-
Noch sind einige dieser Projekte Zu-        sonalkosten: In Californië kann sich         Reuber. „Sonst hängen die Niederlän-                                                        Gartenbau traditionell eher zurückhal-       man die Großen behindert.“ Im Wettbe-        Projekt bei der Gemeinde Venlo. Er
kunftsmusik. Fakten hingegen schaffen       jeder Gärtner um deutlich mehr Pflan-        der uns ab.“ Die 49-Jährige sitzt in                                                        tend sind, gilt die niederländische Rabo-    werb mit den Nachbarn ginge es heute         hat große Pläne, Rückendeckung und Mittel
die Niederländer beim konsequenten          zen kümmern. Das Geld, das der Chef          einem kleinen Büro im Haus Riswick,                                                         bank als größter Gewächshausbetreiber        um alles oder nichts, um das Wohl der        von der niederländischen Regierung.
                                                                                                                                    brand eins Neuland 04_Niederrhein_Agrobusiness

Ausbau der Unterglasflächen. Um die         spart, kann er in neue Spezialisten inves-   einem Landwirtschaftszentrum der                                                            der Welt. Sie bietet ihren Kunden 100-       gesamten Region. „Und wenn die leidet,       Für Martina Reuber, die das deutsche
Produktion wetterunabhängig, größer         tieren – Experten für Energiefragen, für     Landwirtschaftskammer Nordrhein-                                                            Prozent-Finanzierungen und Gewächs-          leiden doch gerade die Kleinen.“ Für         Agrobusiness-Netzwerk koordiniert, sind die
und damit kostengünstiger zu machen,        die Finanzen. „Dann wird alles besser        Westfalen, mitten auf der grünen Wiese                                                      haus-Leasing. Kredite werden vergeben,       Hiep überwiegen die Vorteile einer           Bedingungen deutlich schlechter. Bis 2018 soll
haben die Gemeinden mit staatlichen         gemanagt. Ein Gärtner kann das nicht         vor den Toren Kleves. Hier, umgeben                                                         ohne dass der Gartenbauer mit seinem         modernen Gartenbaustruktur. Unter-           der Niederrhein dennoch zum international
Zuschüssen Land aufgekauft und zwei         alles perfekt machen.“                       von Rindvieh und Rehen, koordiniert                                                         Privatvermögen haften muss. Die Bank         glasanbau muss ja nicht heißen, dass         wettbewerbsfähigen Cluster werden.
riesige Unterglasgebiete ausgewiesen:       Mit Größe löst Wijnen auch das zweite        Reuber die Zukunft des deutschen Gar-                                                       entwickelt und finanziert Unterglasge-       sich da nur ein Großbetrieb breitmacht.
Californië mit 150 Hektar und Siberië       existenzielle Problem im Gartenbau: die      tenbaus: die Netzwerkinitiative „Agro-                                                      biete auch auf eigene Rechnung – der         So ein Cluster könnte auch viele Kleine
mit 300 Hektar. „Wenn es sein muss,         Energie. Der steigende Gaspreis hat die      business Niederrhein“. Der Zusammen-                                                        Gartenbauer kauft sich anschließend ein      versammeln. „Man könnte alles zentra-
können wir auf 1200 Hektar erweitern“,      Energiekosten des Unternehmers inner-        schluss von 49 Kommunen, Banken,                                                            oder zahlt ab.                               lisieren“, träumt Hiep, die Wärmeerzeu-
sagt Jos van der Heijden. Das wäre          halb von vier Jahren verdreifacht. Für       Gärtnerverbänden, Vermarktern und                                                           „In den Niederlanden geschieht die Ent-      gung, den Verladeplatz. Bei ihm zum
doppelt so viel wie alle Unterglasflächen   seine neuen Gewächshäuser lohnen sich        Erzeugern will dem starken Nachbarn                                                         wicklung top down“, lautet das Fazit         Beispiel stauten sich an guten Tagen
auf deutscher Niederrheinseite zusam-       jetzt auch größere Investitionen. Wijnen     Paroli bieten – und setzt, kaum über-                                                       von Martina Reuber, „wir müssen alles        sechs Sattelschlepper auf dem Wirt-
men – und ein riesiger Effizienzgewinn.     führt durch eine Halle, die aussieht wie     raschend, auf die identische Strategie.                                                     von unten aufbauen.“ Die Aufgabe ist         schaftsweg, das sei doch nicht sinnvoll.

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     brand eins Neuland 04_Niederrhein_Agrobusiness

     Blumensortimente bei Landgard in Straelen: Mit rund 3000 Mitarbeitern, mehr als 3000 Gärtnern der eG und
     rund 25 000 Einkäufer-Kunden erwirtschaftet das Genossenschaftsunternehmen einem Jahresumsatz von rund 1,2 Milliarden Euro.
     Die Produktpalette ist riesig: Landgard verkauft Blumen, Zierpflanzen, Gärtner- und Floristenbedarf, Gemüse und Obst.
     Allein bei der Topfpflanzenversteigerung, die der Vermarkter neben der klassischen Vertriebsschiene bietet, wechseln jedes Jahr
     650 000 Container mit 150 Millionen Pflanzen den Besitzer.
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Auch Behördenkram müsste künftig             Die ersten deutschen Pioniere haben         Im Telematik-Projekt testet und pflegt                                                       Vertreter beider Länder gemeinsame
nicht mehr jeder allein durchfechten.        sich inzwischen auf den Weg gemacht.        Hiep nun mit den anderen ein EDV-                                                            Sache machen. In der Produktion und
Die Gärtner könnten die Arbeit teilen.       Martina Reuber weiß von drei Gar-           System, das den aktuellen Stand nicht                                                        bei der Vermarktung.
„Einer macht nur die Jungpflanzen,           tenbauern zu berichten, die sich mit        nur auf dem einzelnen Pflanztisch, son-                                                      Natürlich hat Verheijen gut reden, er
der Rest teilt sich die Kulturen. Das        einem Berater zusammengetan haben,          dern im ganzen Gewächshaus erfasst                                                           ist in der stärkeren Position. Deshalb
könnte klappen wie in einem Gewerbe-         um gemeinsam Bewässerungsanlagen,           und zeitgleich dem Vermarkter Land-                                                          lehnten die Niederrheiner jüngst auch
gebiet, wo auch nicht jeder irgend-          Fenstersteuerungen und Reinigungs-          gard zugänglich macht. Der Distributor                                                       den niederländischen Vorschlag ab, die
wo in der Landschaft hockt und vor           maschinen zu optimieren. Zehn andere        erhält so eine genaue Übersicht über                                                         Region mit einem „Greenport Europe“
sich hinfummelt.“                            Betriebe befassen sich derzeit mit der      den Produktionsstand seiner Zulieferer                                                       schon heute grenzüberschreitend als
Es könnte, aber bis es so weit ist, wird     Züchtung neuer Erikasorten. Es ist das      und kann Kundenanfragen besser bear-                                                         Einheit zu vermarkten. „Unsere Sorge
es dauern. Der erste Vorstoß in Rich-        Leitprojekt des Niederrheingebiets, das     beiten. Hiep füttert das System mit                                                          war, dass unser Vermarkter Landgard
tung Unterglasanbau ist jedenfalls ge-       immerhin 60 Prozent der bundesweiten        Temperaturständen, Wassermengen,                                                             dann einfach geschluckt wird“, sagt
scheitert. Bei Straelen wollten Landgard     Erika-Produktion abdeckt. Gemeinsam         Erdmassen und Wachstumsdaten: „Im                                                            Martina Reuber, „und dass die Nieder-
und niederländische Investoren das 120       suchen die Gartenbauer aus den rund         Laufe der Zeit entsteht ein feines Ras-                                                      länder uns mit ihren Riesenbetrieben
Hektar große Gebiet „Kastanienburg“          1000 Arten diejenigen aus, die sich         ter, das uns sagt, unter welchen Um-                                                         verdrängen.“ Vielleicht wären auch
überdachen. Die Bodenaufkäufer waren         möglicherweise kreuzen lassen, sam-         ständen unsere Pflanzen wie gewachsen                                                        Fördergelder künftig eher in die Nieder-
schon unterwegs und beackerten die           meln Pollen, prüfen sie auf ihre Lager-     sind.“ So lässt sich der nächste Auftrag                                                     lande geflossen als nach Deutschland.
Landwirte, als aufgebrachte Bauern und       fähigkeit – und schaffen damit die          leichter planen und günstiger produzie-                                                      Ganz sicher aber hätte der niederrheini-
Anwohner Hunderte Unterschriften             Grundlage für die Arbeit eines biotech-     ren. Nachahmer finden sich dann viel-                                                        sche Bauer sein wichtigstes Unterschei-
sammelten. Am Ende lehnte der Stadt-         nischen Instituts, das anschließend über-   leicht auch, hofft Hiep: „Wir müssen                                                         dungsmerkmal verloren, die Herkunft
rat das Vorhaben ab.                         nehmen soll. Heinrich Hiep engagiert        Ergebnisse liefern, damit die anderen                                                        „Deutschland“, die zumindest mit Blick
                                             sich mit fünf Kollegen vor allem im         nachziehen. Ein Betrieb allein kann                                                          auf Gemüse einen besseren Klang hat
Unentschlossene Politiker                    Telematik-Projekt, darin geht es um ein     keine Region nach vorn bringen.“                                                             als die legendäre Holland-Tomate.
                                             System, das die Just-in-time-Herstellung    Martina Reuber wünscht sich mehr                                                             Langfristig, „wenn beide Seiten auf
Durch die Region zieht sich nämlich          vorantreiben soll, die im Gartenbau         Frontbauern, die mit gutem Beispiel                                                          Augenhöhe sind“, sollten die Nachbarn
nicht nur eine Grenze zwischen zwei          immer wichtiger wird.                       vorangehen und ihren Kollegen von den                                                        zu einer gemeinsamen Gartenbauregion
Ländern, Modernisierern und Bewah-           Mit wachsenden Märkten etwa in Ost-         Erfolgen erzählen. Denn mit wachsen-                                                         zusammenwachsen, findet die Agrobu-
rern, Großen und Kleinen – die Gräben        europa kommen die Kundenanfragen            der Zuversicht steigt vielleicht auch die                                                    siness-Koordinatorin Martina Reuber.
ziehen sich auch durch die Politik. Wolf-    immer früher. Nicht nur für Weihnach-       Chance, dass aus den beiden starken                                                          Sie könnten sich Arbeitskräfte, Markt-
gang Spreen beispielsweise, Landrat des      ten und Muttertag wird die Ware inzwi-      Wettbewerbern dies- und jenseits der                                                         kenntnisse und Technologien teilen,
Kreises Kleve, in dem auch das Städt-        schen schon viele Monate im Voraus          Grenze irgendwann einmal noch stär-                                                          gemeinsam ihre technische Expertise
chen Straelen liegt, mag sich bei dem        bestellt. Der Gärtner muss seine Pflan-     kere Partner werden.                                                                         vorantreiben und Chancen kommerzia-
sensiblen Thema am liebsten gar nicht        zen genau zum passenden Zeitpunkt           Die Niederländer würden lieber heute                                                         lisieren. Auch die Vision von Landrat
festlegen. Familienbetriebe sollten erhal-   verkaufsfertig aufgezogen haben – bei       als morgen mit den Nachbarn kooperie-                                                        Wolfgang Spreen geht in Richtung einer
ten bleiben, sagt er. Aber er sagt auch:     einem leicht verderblichen Gut wie Blu-     ren. „Mir ist es ganz recht, dass die                                                        schlagkräftigen Gesamtregion. Warum,
„Was bislang kleinteilig war, muss sich      men ist das Zeitfenster nur wenige Tage     Deutschen nun loslegen“, sagt etwa                                                           so fragt er sich, können wir nicht
zusammenschließen.“                          groß. Um das zu erreichen, bedarf es        Mark Verheijen, der Beigeordnete für                                                         Straßen, Flugplätze und Kühlanlagen        In der niederländischen Unterglasproduktion Californië wird Paprika künftig
Straelens Bürgermeister Johannes Gie-        einer präzisen Planung. Wann pflanze        Wirtschaft und Finanzen bei der Stadt                                                        zusammen nutzen, Unterglasgebiete auf      in 155 Meter langen Reihen reifen. Damit sinkt die Sortierzeit in den riesigen
sen findet eine deutlichere Sprache, was     ich, wie weit ist die Blume gediehen,       Venlo. Schließlich seien die Gartenbau-                                                      die Grenze stellen und Energieprobleme     Hallen von 0,7 auf 0,6 Stunden. Das spart auch Geld: Mit der Größe der
                                                                                                                                     brand eins Neuland 04_Niederrhein_Agrobusiness

an seiner Wachstumsstrategie für die         wie lange braucht sie noch, bei welcher     regionen hüben wie drüben mit einer                                                          gemeinsam lösen?                           Anbaufläche lassen sich Energiekosten senken, während die Effizienz steigt.
Region liegen kann, vielleicht aber auch     Gewächshaus-Temperatur? Und wann            Einkaufsstraße vergleichbar, in der es                                                       Ja, warum eigentlich nicht? Die sorg-
daran, dass sich der 60-Jährige nach         brauche ich einen freien Pflanztisch, um    schon heute viele Schuhgeschäfte gebe.                                                       fältigen Deutschen und die marketing-
zehn Jahren Amtszeit nicht wiederwäh-        den nächsten Auftrag anzugehen?             „Die sind einander Konkurrenten und                                                          starken Niederländer würden einander
len lassen will. So etwas wie Kastanien-     „Bislang läuft noch viel über Zettel“,      profitieren doch gemeinsam, weil jeder,                                                      gut ergänzen. Mit dem global auftreten-
burg jedenfalls dürfe nicht noch einmal      sagt Heinrich Hiep, „aber damit kriegt      der Schuhe kaufen will, dorthin geht.“                                                       den deutsch-niederländischen Garten-
passieren, meint Giesen. Politik müsse       man das nicht sauber geregelt, vor allem    Globale Märkte und Kunden scheren                                                            bau-Cluster wird es aber wohl noch ein
gestalten, das tue nicht jedem gut, aber     nicht, wenn man viele verschiedene          sich jedenfalls nicht um die Grenze zwi-                                                     wenig dauern. Stärke und Vertrauen
so sei nun einmal das Leben. Giesen          Kulturen anbaut. Erfahrungswerte sind       schen den Niederlanden und Deutsch-                                                          wachsen eben langsamer als Paprika,
findet die Idee eines Agroparks gut.         nicht immer exakt. Am Ende kann es          land. Jeder neue Verarbeiter, da ist sich                                                    Erika oder Tomaten.
Und solange ein Investor seinen Betrieb      passieren, dass man zu spät fertig ist.     Verheijen ganz sicher, stärke die Produ-
in Straelen anmelde, schaue er als Bür-      Oder auch zu früh. Dann verderben           zenten in der gesamten Region. Ginge
germeister auch nicht auf den Pass.          die Blumen.“                                es nach dem 32-Jährigen, sollten die

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