Vom Kakaobaum bis zum Konsumenten - Die Wertschöpfungskette von Schokolade - Friedel Hütz-Adams - Oeko-fair.de
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▸ Impressum | Inhalt Impressum Inhalt Erscheinungsort und Datum: 1. Einführung 3 Siegburg, Mai 2012 Herausgeber: 2. Die Wertschöpfungskette von Kakao: ein Überblick 4 SÜDWIND e.V. Institut für Ökonomie und Ökumene 2.1 Definition einer Wertschöpfungskette 4 Lindenstraße 58–60 , 53721 Siegburg 2.2 Kakao: eine kurze und doch komplexe Kette 4 Tel.: +49 (0)2241-53617 Fax: + 49 (0)2241-51308 info@suedwind-institut.de 3. Der Weg von der Plantage bis zum Händler 6 www.suedwind-institut.de Bankverbindung: 3.1 Herkunft, Eigenschaften und Anbaugebiete 6 KD-Bank, Konto-Nr.: 99 88 77 3.2 Deutschlands Rolle auf dem Weltmarkt 8 BLZ: 350 601 90 3.3 Soziale und ökologische Probleme in Westafrika 10 3.3.1 Elfenbeinküste 10 Autor: 3.3.2 Nigeria 13 Friedel Hütz-Adams 3.3.3 Ghana 13 Mitarbeit: Tanja Brumbauer 3.4 Erste Verarbeitungsschritte noch beim Bauern 14 Redaktion und Korrektur: 3.5 Viele Probleme und unsichere Marktprognosen 16 Erika Stückrath, Vera Schumacher, Bettina Jahn 4. Der Weg in Deutschland 17 V.i.S.d.P.: Martina Schaub 4.1 Logistikunternehmen 17 4.2 Die Verarbeiter des Kakaos 18 Gestaltung und Satz: 4.3 Die Schokoladenproduzenten 20 Frank Zander, Berlin 4.4 Der Einzelhandel 21 Druck und Verarbeitung: Druckerei u. Verlag Brandt GmbH, Bonn 5. Einnahmen aus der Wertschöpfungskette 24 Gedruckt auf Recycling-Papier 5.1 Situation in den Anbauländern 24 Titelfoto: 5.1.1 Schwankende Kakaopreise 24 Infozentrum Schokolade 5.1.2 Verfall der realen Kakaopreise 26 5.1.3 Niedriger Anteil der Bauern am Weltmarktpreis 26 ISBN: 5.1.4 Bauern und Regierungen machtlos? 27 978-3-929704-65-5 5.2. Preisrutsch auf dem deutschen Markt 28 Der Herausgeber ist für den Inhalt al- 5.3 Anteil der Bauern am Schokoladenpreis 28 lein verantwortlich. 5.4 Anteil der Unternehmen am Schokoladenpreis 30 5.5 Zertifizierung als Ausweg? 30 Mit finanzieller Unterstützung des BMZ. 6. Ansätze für Verbesserungen in der Wertschöpfungskette 31 Diese Publikation wurde vom Evange- 7. Verwendete Literatur 33 lischen Entwicklungsdienst (EED), dem Evangelischen Kirchenverband Köln und Region und der Hamburger Stif- tung für Wirtschaftsethik gefördert. 2 Vom Kakaobaum bis zum Konsumenten
▸ 1. Einführung 1. Einführung Textzeilen eines in den 1950er Jahren in Ghana populären Songs: Wenn du deine Kinder zur Schule schicken willst, dann ist es Kakao Wenn du dir ein Haus bauen willst, dann ist es Kakao Wenn du heiraten willst, dann ist es Kakao Wenn du Stoff kaufen willst, dann ist es Kakao Wenn du dir einen Laster kaufen willst, dann ist es Kakao Was immer du in dieser Welt tun willst Ist es Kakaogeld, mit dem du es tust Quelle: Ryan 2011: 9 (eigene Übersetzung) Die Zeilen des Liedes belegen, dass Bauern noch vor das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard, wenigen Jahrzehnten mit dem Anbau des Rohstoffes Bildung und soziale Sicherheit. Er verweist außerdem für die in den Industrieländern so beliebte Schokola- ausdrücklich darauf, dass Unternehmen Verstöße de ein Einkommen verbanden, das ihnen ein besseres gegen grundlegende Menschenrechte in einigen Ge- Leben ermöglichte. Zeitweise haben auch die Regie- schäftsbereichen nicht durch gute Taten in anderen rungen der Anbauländer durch hohe Export- und Steu- Geschäftsbereichen kompensieren können. Ein zent- ereinnahmen von Kakao profitiert. Heutzutage würde raler Begriff in der Argumentation von Ruggie ist die in den Anbauländern niemand mehr davon sprechen, Sorgfaltspflicht („due diligence“): Er verlangt, dass Un- dass Bauern durch den Anbau von Kakao wohlhabend ternehmen in ihrer täglichen Geschäftspraxis sicher- werden. Im Gegenteil: Seit vielen Jahren sorgt Kakao stellen, dass sie in allen Geschäftsabläufen nationale für negative Schlagzeilen. In den Presseberichten ist Gesetze und grundsätzliche Menschenrechte einhal- häufig von sehr schlechten Lebensbedingungen in den ten. Opfern von Menschenrechtsverletzungen soll der Anbaugebieten von Kakao die Rede, Dokumentarfilme Zugang zu Rechtsmitteln und Wiedergutmachung er- und Studien belegen Kinderarbeit und selbst den Han- leichtert werden (UN 2008, 2009, 2010, 2011). del mit Kindersklaven, die auf den Plantagen arbeiten müssen. Im Mittelpunkt der Berichte steht Westafrika, Um herauszufinden, wer im Kakaosektor Verantwor- von wo Deutschland den größten Teil des wichtigsten tung für Missstände übernehmen sollte, muss mehr Rohstoffes für Schokolade bezieht. über die Wertschöpfungskette der Schokolade bekannt sein. Diese führt von den Bauern über die Verarbeiter Daher geraten auch die Hersteller der Schokolade in des Kakaos, die Hersteller der Schokoladenprodukte die Kritik. Sie sollen, so die häufig gestellte Forderung, und die Supermärkte bis hin zu den Konsumentinnen Verantwortung für ihre Zulieferer übernehmen und und Konsumenten der Schokolade. Bei der Analyse menschenwürdige Arbeitsbedingungen garantieren. zeigt sich, dass in den verschiedenen Produktionsstu- fen der Schokolade unterschiedliche Instanzen für die Mit der Frage nach der Verantwortung von Unterneh- Behebung mitverantwortlich sind. Letztendlich wer- men für die Beseitigung von Missständen sieht sich den alle Beteiligten der Wertschöpfungskette zusam- nicht nur die Kakao- und Schokoladenindustrie kon- menarbeiten müssen, um die Situation der Bauern zu frontiert. John Ruggie, ein vom Generalsekretär der verbessern. Aufgrund ihrer Machtpositionen kommt Vereinten Nationen eingesetzter Sonderbeauftragter allerdings den Unternehmen in den Verbraucherlän- für Wirtschaft und Menschenrechte, sieht an erster dern eine große Verantwortung zu. Dies gilt insbeson- Stelle die Regierungen in der Pflicht, die Einhaltung dere für die in Deutschland operierenden Anbieter, die der Menschenrechte in der Wirtschaft durchzusetzen. den weltweit zweitgrößten Schokoladenmarkt versor- Geschieht dies nicht, tragen seiner Meinung nach Un- gen und darüber hinaus noch große Mengen ihrer Er- ternehmen eine Verantwortung für die Zustände in der zeugnisse exportieren. eigenen Produktion sowie bei den Zulieferern: Ruggie verlangt, dass die Unternehmen unabhängig vom Ver- halten der Regierungen die Abschaffung der Kinder- arbeit, der Sklaverei und der Zwangsarbeit sowie das Recht auf eine sichere Arbeitsumgebung durchsetzen. Über die Arbeitsrechte hinaus betont er insbesondere Die Wertschöpfungskette von Schokolade 3
▸ 2. Die Wertschöpfungskette von Kakao: ein Überblick 2. Die Wertschöpfungskette von Kakao: ein Überblick ▸ 2.1 Definition einer Wertschöpfungskette Ursprünglich wurde der Begriff Wertschöpfungskette worden, wie sich steigende Marktanteile einzelner angewendet, um die Abläufe der Beschaffung und Pro- Markenhersteller in der Produktion sowie von Super- duktion innerhalb von Unternehmen zu beschreiben. marktketten im Handel auswirken (Gereffi/Humphrey/ Mittlerweile wird die Bezeichnung auch verwendet, Sturgeon 2005). um die gesamte Produktionskette vom Anbau oder Abbau eines Rohstoffes, die Weiterverarbeitung, den Allerdings werden Arbeits- und Sozialstandards in den Handel und die Kundinnen und Kunden bis hin zur Ent- Analysen in der Regel nur am Rande betrachtet. Ent- sorgung zu erfassen. wicklungspolitisch orientierte Forschungseinrichtun- gen haben den Wertschöpfungskettenansatz daher Die genaue Betrachtung der Wertschöpfungskette weiterentwickelt und die Frage gestellt, wie es zu einer sollte ursprünglich Hinweise darauf geben, wo die Ef- Verbesserung der Situation armer Menschen kommen fizienz gesteigert werden kann, um so Ansätze zur Sen- kann, die Produkte für den Weltmarkt anbauen oder kung von Kosten zu identifizieren. Es können jedoch produzieren. Ihre Analysen sollen dazu führen, Produk- auch weitere Aspekte einbezogen werden, darunter tionsketten besser zu verstehen und Wege zu finden, die Frage, wie die Machtverteilung zwischen den ein- wie Menschen aus armen Ländern nachhaltig in den zelnen Beteiligten der Wertschöpfungskette aussieht Welthandel eingebunden werden können und ihre Po- sowie welche politischen und arbeitsrechtlichen Rege- sition gegenüber großen Konzernen gestärkt werden lungen von Bedeutung sind. kann. Ziel ist es, politische und soziale Instrumente zu entwickeln, mit deren Hilfe relativ machtlose Kleinpro- Zunehmend ins Blickfeld gerieten in den letzten Jah- duzenten ihre Interessen am Markt gegenüber Unter- ren die Folgen von Machtverschiebungen zwischen nehmen und Regierungen besser durchsetzen können den einzelnen Beteiligten in der Produktions- und (Mitchell/Coles/Keane 2009). Vertriebskette. Dabei ist vor allen Dingen diskutiert ▸ 2.2 Kakao: eine kurze und doch komplexe Kette Auf den ersten Blick ist die Wertschöpfungskette von Sie beginnt bei den Bauern, die die Bäume anpflanzen, Kakao – zumal verglichen mit Produkten wie Autos die Früchte ernten und die ersten Schritte der Wei- oder Mobiltelefonen – relativ kurz und unkompliziert. terverarbeitung noch auf der Farm durchführen. An- schließend werden die Kakaobohnen zu Vorprodukten für die Schokola- denherstellung ver- arbeitet, um dann im nächsten Schritt mit weiteren Roh- stoffen zu Schoko- lade vermischt zu werden. Es folgt der Weg in die Su- permärkte und von dort zu den Kon- sumentinnen und Konsumenten. Doch bei genauerer Betrachtung wird 4 Vom Kakaobaum bis zum Konsumenten
▸ 2. Die Wertschöpfungskette von Kakao: ein Überblick deutlich, dass eine Vielzahl von Faktoren bestimmt, wo Tabelle 1 Kakao in welcher Qualität Von der Kakaobohne zur Schokolade geerntet und wie dieser ver- arbeitet wird, welche Mi- Kakaoanbau und erste Verarbeitungsschritte schungen der verarbeiteten Produkte notwendig sind, Pflanzen und pflegen der Kakaobäume Produktion von Dün- um einen bestimmten Ge- Ernte ger und Pestiziden schmack zu erzielen und wie Öffnen der Früchte letztendlich die Vermark- Fermentieren und trocknen tung aussieht. Über die Ein- Verpacken in Säcke und lagern kommen der Bauern schließ- lich entscheidet nicht alleine der Preis des Kakaos, sondern Handelsstufe weitere Kriterien wie etwa ihre Kosten beim Anbau, die Bauern und Genossenschaften verkaufen an Finanzierung durch Effizienz des Zwischenhan- Kleinhändler/Aufkauforganisationen/Exporteure Banken und Investoren dels und die Höhe der Steu- Transport in die Häfen ern spielen eine große Rolle. Export oder Weiterverarbeitung im Anbauland Beteiligt an der Wertschöp- fungskette sind Millionen Weiterverarbeitung der Bohnen von Kleinbauern, die nur wenige Hektar Land bebau- Lagern en und an der Armutsgrenze Reinigen und rösten leben, ebenso wie multina- Brechen tionale Konzerne, die die Vermahlen zu Kakaomasse Kakaobohnen verarbeiten sowie Einzelhändler mit tau- senden Filialen. Hinzu kom- Herstellung der Schokolade men die Lieferanten der für den Anbau und die Schoko- Verarbeiten der Kakaomasse ladenherstellung benötigten • zu Schokolade (mit Milch, Zucker, Haselnüsse, Produktion von Milch, Produkte. Damit ist die Kette Nougat, Kakaobutter etc.) Zucker, etc. wesentlich komplexer, als es • Oder: Auspressen der Kakaomasse auf den ersten Blick aussieht zu Kakaobutter und Kakaopulver (Tabelle 1). In den folgenden – Kakaobutter: Verwendung in Schokolade Kapiteln werden diese ein- (sowie Kosmetika, pharmazeutische Produkte) zelnen Bereiche im Detail – Kakaopulver: Weiterverarbeiten zu erläutert und dabei auch Kakaoerzeugnissen Produktion von Verpa- aufgezeigt, wie die Macht- Verpacken ckungsmaterialien verhältnisse bei der Verhand- lung über Preise sind. Die Analyse konzentriert sich al- Der Weg zum Kunden lerdings auf den Anbau und die Verarbeitung des Kakaos. Transport in die Geschäfte Weitere für die Herstellung Verkaufen der Schokolade benötigte Verbrauchen Komponenten (rechte Spalte Entsorgen von Tabelle 1) werden nicht näher betrachtet. Die Wertschöpfungskette von Schokolade 5
▸ 3. Der Weg von der Plantage bis zum Händler 3. Der Weg von der Plantage bis zum Händler ▸ 3.1 Herkunft, Eigenschaften und Anbaugebiete Der Kakaobaum stammt ursprünglich aus Zentralame- Sorten gedeihen auch unter direkter Sonneneinstrah- rika, wo seine Früchte von verschiedenen Hochkul- lung. Bei Neupflanzungen werden derzeit häufig diese turen seit 1500 v. Chr. genutzt wurden. Kakao diente Sorten bevorzugt, da mehr Bäume je Hektar angebaut nicht nur als Nahrungsmittel, sondern wurde auch als werden können. Sie benötigen jedoch deutlich mehr Zahlungsmittel, in religiösen Ritualen sowie als Heil- Pflege, Dünger und Spritzmittel (Durry/Schiffer 2012: mittel gegen Fieber und Vergiftungen verwendet. Der 23–26). Anbau in Plantagen begann vermutlich in der Maya- Kultur um 400 v. Chr. Es gibt verschiedene Wege, neue Bäume heranzuzie- hen. Die Bauern können Kakaobohnen zum Keimen Wie bedeutend Kakao für die damalige Kultur und bringen und Setzlinge züchten. Dies ist die klassische Wirtschaft war, zeigt eine Legende der Azteken, laut Methode, die zwar preiswert, aber zeitaufwändig ist. der der Gott Quetzalcoatl das „Göttergetränk“ zu den Eine weitere Möglichkeit besteht darin, Bäume durch Menschen brachte, indem er Samen des Kakaobaums in das Aufpfropfen eines Teils der Mutterpflanze auf ei- der göttlichen Welt stahl und auf die Erde brachte. Als nen andern Wurzelstock zu veredeln. Es können auch Strafe wurde Quetzalcoatl aus dem Paradies verbannt. aus Zweigen neue Bäume gezogen werden. Die jungen Bäume müssen sorgfältig beschnitten werden, um spä- Die besonderen Eigenschaften der Pflanze führen dazu, ter möglichst hohe Erträge zu erzielen (Durry/Schiffer dass für den Anbau von Kakao nur relativ kleine Regi- 2012: 52–53). onen entlang des Äquators infrage kommen: Sie benö- tigt gute Böden, eine monatliche Durchschnittstempe- Ein Kakaobaum kann 5–15 m hoch werden, wird ratur zwischen 24 und 28 °C, eine Luftfeuchtigkeit von jedoch meist auf 4 m Höhe gestutzt. In Westafrika 80–90 % und mindestens 1.500 mm gleichmäßig über werden durchschnittlich 1.100 Bäume je Hektar ange- das Jahr verteilten Niederschlag. Die alten Sorten wach- pflanzt (Afari-Sefa et al. 2010: 11). Es gibt zwei Ernte- sen am liebsten im Schatten, so dass sie unter anderen, zeiten in den Monaten Oktober bis März (Haupternte) höheren Bäumen angebaut werden sollten. Neuere und Mai bis August (Nebenernte). 6 Vom Kakaobaum bis zum Konsumenten
▸ 3. Der Weg von der Plantage bis zum Händler Tabelle 2 in Indonesien. Der Anbau dieser Pflanze Weltmarkt für Kakao in 1.000 Tonnen* hat somit in den Produktionsländern Af- rikas keine lange Tradition, und Kakao 1960/61 1980/81 2000/01 2010/11 2011/12 wird dort im Gegensatz zu Südamerika nur in sehr geringem Maße konsumiert. Produktion 1.172 1.695 2.865 4.304 3.961 Die Produzenten sind nahezu vollständig Verarbeitung 1.002 1.558 3.065 3.914 3.992 abhängig vom Export ihrer Ernte. * Jeweils vom 01.10. eines Jahres bis zum 30.09. des Folgejahres. Die Nachfrage ist in den vergangenen Quelle: ICCO 2012: Table 1 (für 2011/2012 vorläufige Schätzungen) Jahrzehnten immer weiter gewachsen, und die weltweite Produktion hat sich seit 1960 fast vervierfacht (siehe Tabelle 2). Anbau in Afrika Die Verteilung der Ernten auf die Hauptanbauge- biete ist in den letzten Jahrzehnten nahezu konstant Als die Europäer nach Amerika kamen, entdeckten sie geblieben. 75 % des Kakaos kamen in der Erntesaison den Kakao und brachten die ersten Bohnen nach Euro- 2010/20111 aus afrikanischen Staaten, der Rest verteilte pa. Trinkschokolade wurde zuerst zu einem Statussym- sich auf Asien sowie Mittel- und Südamerika, 80 % des bol der Aristokraten, dann ab Mitte des 17. Jahrhunderts weltweit exportierten Kakaos stammten aus nur fünf zu einem weit verbreiteten Getränk. Ende des 19. Jahr- Ländern (Tabelle 3). hunderts entwickelten mehrere Unternehmen neue Verarbeitungsmethoden und begannen Schokolade Stark schwankende Erträge herzustellen. Die Kakaonachfrage stieg daraufhin dras- tisch. Daher brachten vor allem europäische Unterneh- Eine Vielzahl von Faktoren bestimmt darüber, wie hoch men den Kakaoanbau Ende des 19. Jahrhunderts in die der Kakaoertrag je Hektar ist. Wettereinflüsse stehen Kolonialgebiete auf dem afrikanischen Kontinent und dabei an erster Stelle. Weitere Faktoren sind: das Alter der Bäume, da die Standardsorten Tabelle 3 erst nach drei bis fünf Jahren Früchte tragen Kakaoproduktion nach Regionen und Ländern in 1000 Tonnen und im Alter von zehn bis zwanzig Jahren die höchsten Ernten erzielen, die Erträge an- 2009/10 2010/11 2011/2012 schließend jedoch wieder sinken; gute Kenntnisse darüber, wie Bäume gepflegt Afrika 2.458 3.232 2.839 und beschnitten werden müssen; Wichtigste Produzenten: die Verfügbarkeit von Dünger; Elfenbeinküste 1.242 1.511 1.350 der Befall durch Krankheiten, Parasiten und Ghana 632 1.025 970 Pilze, der in manchen Regionen ganze Ernten Nigeria 240 240 210 vernichtet, wenn keine chemischen Mittel Kamerun 190 230 200 eingesetzt werden. Südamerika 522 544 529 Eine Kakaoschote ist in der Regel 15–30 cm lang, Wichtigste Produzenten: 7–10 cm dick und hat ein Gewicht von 300–700 Brasilien 161 200 180 g. Jede Frucht enthält 25–50 Kakaosamen. Der Ecuador 160 145 150 durchschnittliche Ertrag variiert je nach Zu- stand der Plantage sowie der Verfügbarkeit von Asien/Ozeanien 633 537 593 Dünger und Spritzmitteln. Sie kann bei deutlich Wichtigster Produzent: mehr als 1.000 kg Kakaobohnen je Hektar lie- Indonesien 535 450 500 Welt gesamt 3.613 4.304 3.961 Quelle: ICCO 2012, Table 4 (für 2011/2012 vorläufige Schätzungen) Die Wertschöpfungskette von Schokolade 7
▸ 3. Der Weg von der Plantage bis zum Händler gen, bleibt jedoch in Westafrika durchschnittlich unter Vielen Bauern fehlen jedoch nicht nur ertragreiche- 400 kg (Ryan 2011: 143; Matissek 2012: 4). re Pflanzen, sondern auch grundlegende Kenntnisse über die Pflege der Kakaobäume, die Bekämpfung der Derzeit züchten Unternehmen in Forschungslaboren Krankheiten, den richtigen Zeitpunkt der Ernte und neue Sorten, die früher Früchte tragen, höhere Erträge den optimalen Ablauf der Weiterverarbeitung. 30–40 % ermöglichen und zugleich resistenter gegen Schädlin- der Ernten gehen allein durch Krankheiten und Schäd- ge und Krankheiten sein sollen. Die Forscher hoffen auf linge verloren (Matissek 2012: 9; Ryan 2011: 142; LMC eine Verdoppelung der Ernteerträge, einige halten so- 2011: 3). gar 1.500 kg je Hektar für möglich. ▸ 3.2 Deutschlands Rolle auf dem Weltmarkt Die Produktion von Schokolade und Schokoladewa- Tabelle 4 ren hat sich in Deutschland zwischen 1975 und 2010 Deutschlands Rolle auf dem Weltmarkt mehr als verdreifacht (BDSI 2011). Die Bundesrepu- blik ist nach den USA der zweitwichtigste Importeur Anteil am weltweiten Kakaoverbrauch 12,4 % von Kakao und gehört sowohl beim Verbrauch von Jährlicher Pro-Kopf-Verbrauch von reinem Kakao 3,85 kg reinem Kakao als auch beim Verzehr von kakaohal- Pro-Kopf-Verbrauch von Schokoladewaren 9,25 kg tigen Süßigkeiten weltweit zu den Spitzenreitern. Pro-Kopf-Verbrauch von kakaohaltigen Lebensmitteln 2,25 kg Der Pro-Kopf-Verbrauch von Kakao liegt mit 3,8 kg pro Jahr deutlich über dem Durchschnitt Euro- Quellen: ICCO 2012: Table 41; Verein der am Rohkakaohandel pas (2,1 kg), der Verbrauch von Schokoladenwaren beteiligten Firmen 2011: 37; BDSI 2012. und anderen kakaohaltigen Lebensmitteln liegt bei 11,5 kg. Berücksichtigt man die Importe von bereits vorverarbeiteten Kakaoprodukten, lagen die Gesamt- und erzielt in diesem Bereich einen erheblichen Han- importe der Bundesrepublik umgerechnet in Kakao- delsüberschuss (Tabelle 5). bohnen im Jahr 2010 bei 452.000 t, was 12,4 % des Welt- marktes ausmacht (Tabelle 4). Deutschland importiert nicht nur Kakaobohnen, son- dern auch Kakaopaste, -pulver und -butter sowie zu Süßigkeiten verarbeiteten Kakao. Zugleich ist Deutsch- land der weltweit führende Exporteur von Schokolade Tabelle 5 Außenhandel der deutschen Schokoladenindustrie (2011) Menge in 1.000 Tonnen Wert in Euro Einfuhr in 1.000 Tonnen Kakao- und Schokoladenhalberzeugnisse 338 1.090 Mio. Schokoladenwaren 221 985 Mio. Kakaohaltige Lebensmittelzubereitungen 19 59 Mio. Ausfuhr in 1.000 Tonnen Kakao- und Schokoladenhalberzeugnisse 353 1.023 Mio. Schokoladenwaren 482 2.210 Mio. Kakaohaltige Lebensmittelzubereitungen 96 215 Mio. Quelle: BDSI 2012a und 2012b (vorläufige Angaben) 8 Vom Kakaobaum bis zum Konsumenten
▸ 3. Der Weg von der Plantage bis zum Händler Statistiken fehlerhaft Der Weg über Togo wird gewählt, um Steuern zu hin- terziehen. Darüber hinaus war dieses Land während Die großen deutschen Verarbeiter kaufen teilweise des Bürgerkrieges in der Elfenbeinküste (siehe Kapitel selbst Kakao ein, doch ein erheblicher Teil der Importe 3.3.1) ein wichtiges Transitland für den Export von Ka- kommt über spezialisierte Zwischenhändler ins Land kao aus dem von Rebellen beherrschten Teil des Landes. (CBI 2010: 4, 6). Mehr als 90 % der Importe stammen Die Vereinten Nationen haben die indirekte Finanzie- aus Westafrika mit der Elfenbeinküste als wichtigstem rung des Krieges durch den Kauf von geschmuggelten Lieferanten: Von dort kommt laut offiziellen Statistiken Kakao scharf kritisiert (UNSC 2009: 58). fast die Hälfte der in Deutschland verarbeiteten Boh- nen (Tabelle 6). Tabelle 6 Die Statistiken sind aufgrund des umfangreichen Einfuhr von Rohkakao nach Deutschland in 1.000 Tonnen Schmuggels nur begrenzt aussagekräftig: Ausgerech- net Togo ist der im Jahr 2010 drittwichtigste und in den 2002 2004 2006 2008 2009 2010 Vorjahren sogar zweitwichtigste Lieferant der deut- schen Betriebe. Dabei ist zu beachten, dass das Land Gesamteinfuhr 205 201 291 334 348 342 vermutlich weniger als 10.000 t Kakao pro Jahr anbaut, Wichtigste Lieferanten: doch alleine nach Deutschland im Jahr 2010 41.000 t Elfenbeinküste 134 119 147 162 162 147 exportiert hat (2009: 64.000 t). Auch nach Ghana wird Nigeria 22 16 37 43 47 65 derzeit – vor wenigen Jahren liefen die Schmuggelwege Togo 1,8 2,8 24 54 64 43 in die andere Richtung – in großem Umfang Kakao aus Ghana 19 23 36 23 26 19 der Elfenbeinküste geschmuggelt, da dort ein höherer Ecuador 10 14 15 15 14 16 Preis gezahlt wird. Berücksichtigt man diesen Schmug- Indonesien 5 1 2 1 4 9 gel, lag der Anteil der Elfenbeinküste an den deutschen Einfuhren vermutlich zwischen 55 und 59 % (Verein der Quelle: Verein der am Rohkakaohandel beteiligten Firmen 2008, 2009, 2010, 2011 am Rohkakaohandel beteiligten Firmen 2011: 31–32). Die Wertschöpfungskette von Schokolade 9
▸ 3. Der Weg von der Plantage bis zum Händler ▸ 3.3 Soziale und ökologische Probleme in Westafrika Der hohe Pflegebedarf der Bäume sowie die Anfällig- der Anbau von Kakao längst nicht mehr zu dem ein- keit der Früchte für verschiedenste Krankheiten, die gangs erwähnten Wohlstand der Kakaobauern. Dies sich in großen Monokulturen schneller ausbreiten hat eine Vielzahl von Ursachen. können als im kleinflächigen Anbau, haben dazu ge- führt, dass Kakao hauptsächlich von Kleinbauern an- In der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrech- gebaut wird. Lediglich in Malaysia, Brasilien und Ecu- te“ von 1948 wurde festgehalten, dass alle Menschen ador existieren einige wenige große Plantagen (CBI das Grundrecht auf „gerechte und befriedigende Ar- 2010a: 32). beitsbedingungen“ besitzen. Weiter heißt es: „Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der seine Schätzungen zufolge pflanzen fünf bis sechs Mio. Klein- und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewähr- bauern Kakaobäume an und sichern den Lebensun- leistet“ (Artikel 23–25). terhalt von 40 bis 50 Mio. Menschen. Mehr als 90 % der Gesamtproduktion stammen von den Betrieben der Kleinbauern, die Größe der Plantagen liegt in der Re- 3.3.1 Elfenbeinküste gel zwischen zwei und fünf Hektar. Die Anbauflächen werden auf eine Größe von acht Mio. Hektar geschätzt In der Elfenbeinküste bauen Schätzungen zufolge (WCF 2010: 1; Matissek 2012: 10). 800.000 Kleinbauern Kakao an, und für rund sechs Mio. Menschen bildet dieser Sektor die Lebensgrundlage. In den wichtigsten Lieferländern für den deutschen 94 % der Pflanzungen sind nur zwischen ein und drei Markt, der Elfenbeinküste, Nigeria und Ghana, führt Hektar groß (Republic of Côte d‘Ivoire 2008: 7, 15; TCC 10 Vom Kakaobaum bis zum Konsumenten
▸ 3. Der Weg von der Plantage bis zum Händler Kinderarbeit: Lokale Gesetze und ILO-Konventionen Während in früheren Jahrzehnten Kinder von Kakao- Sklaverei, sklavereiähnlicher Zwangsarbeit und bauern häufig unter besseren Bedingungen lebten als Zwangsrekrutierung von Kindern als Soldaten, die Kinder der Bauern, die andere Früchte anbauten, Kinderprostitution und Produktion von Kinderpor- hat sich deren Situation in den letzten 30 Jahren ver- nographie, schlechtert. Dies ist unter anderem auf sinkende Prei- dem Einsatz von Kindern in illegalen Bereichen (z. se auf dem Weltmarkt zurückzuführen (siehe Kapitel B. Drogenhandel), 5). In der Debatte über die Kinderarbeit greift daher Arbeit, die der Gesundheit, Sicherheit oder Moral der Verweis auf althergebrachte Gewohnheiten zu schadet. kurz. Bis April 2012 unterzeichneten 174 von 183 ILO-Staa- In Ghana beispielsweise dürfen Kinder laut dem tra- ten dieses Regelwerk. ditionellen Recht ihren Eltern bei der Arbeit helfen, doch dies soll innerhalb gewisser Grenzen geschehen Die ILO-Konvention 138 über das Mindestalter, ab und sich an den körperlichen Fähigkeiten des Kindes dem Beschäftigung zugelassen ist, orientieren. Werden Kinder von ihren Eltern ausge- verbietet die Beschäftigung von Kindern, die jün- beutet oder misshandelt, sollen Nachbarn und Ver- ger als 13 Jahre sind. Entwicklungsländer können wandte eingreifen und eine Anhörung veranstalten, die Grenze auf zwölf Jahre setzen. bei der das Kind zu Wort kommt. Falls notwendig, erlaubt leichte Arbeit für 13- bis 15-Jährige. In Ent- wird das Kind bei Verwandten untergebracht. Laut wicklungsländern kann dies schon für 12-Jährige der modernen Gesetzgebung Ghanas dürfen leichte gelten. Als „leicht“ gilt eine Arbeit, wenn ein gere- Arbeiten ab dem 13. Lebensjahr verrichtet werden, gelter Schulbesuch möglich ist und weder der Ge- das Mindestalter für reguläre Arbeit ist 15 Jahre, und sundheit noch der Entwicklung geschadet wird. gefährliche Arbeiten sind ab einem Alter von 18 Jah- verlangt als Mindestalter für eine Vollzeitbeschäfti- ren erlaubt (Vivor 2007: 8–30). Auch in den anderen gung 15 Jahre (Entwicklungsländer: 14). Kakaoanbauländern gibt es Schutzgesetze für Kinder verbietet auch für 15- bis 18-Jährige alle Arbeiten, und eine Schulpflicht. die für die Gesundheit, Sicherheit oder Moral der Ju- gendlichen gefährlich sein könnten (ILO 1998: 27). Nicht nur nationale Gesetz, sondern auch interna- tionale Standards sollen Kinder vor Ausbeutung Bis April 2012 unterzeichneten 161 von 183 ILO-Mit- beschützen. Auf internationaler Ebene wurden im gliedsstaaten das Übereinkommen. Rahmen der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Office – ILO), einer Sonder- Diese Kernarbeitsnormen sind für alle ILO-Mitglieds- organisation der Vereinten Nationen, die in allen länder verbindlich. Die ILO hat jedoch weder Sankti- Beschäftigungsverhältnissen durchgesetzt werden onsmöglichkeiten gegen die Unternehmen, die die sollen. Von den verabschiedeten Konventionen Konventionen brechen, noch gegen die Unterneh- wurden acht zu sogenannten Kernarbeitsnormen men, die unter Bruch der ILO-Konventionen herge- erklärt, die unbedingt eingehalten werden müs- stellte Produkte kaufen. Auch die Weigerung von sen. Verboten sind unter anderem Zwangsarbeit, Regierungen, die Konventionen in ihrem Herrschafts- Schuldknechtschaft und Diskriminierung, alle bereich durchzusetzen, kann nicht sanktioniert wer- Beschäftigten sollen ein Recht auf Vereinigungs- den. freiheit und zu Kollektivverhandlungen erhalten. Ebenfalls einzuhalten sind zwei Konventionen zum Ergänzend zu den Bemühungen der ILO haben die Thema Kinderarbeit. Vereinten Nationen in einer Konvention über die Rechte des Kindes, die im Jahr 1989 verabschiedet ILO-Konventionen 182 und 138 wurde, unter anderem für alle Kinder das Recht auf Leistungen der sozialen Sicherheit, einen angemes- Die Konvention zur Beendigung der schlimmsten senen Lebensstandard, Ruhe und Freizeit sowie den Formen der Kinderarbeit (182) fordert ein sofortiges Schutz vor Ausbeutung eingefordert (Vereinte Natio- Ende von nen 1990). Die Wertschöpfungskette von Schokolade 11
▸ 3. Der Weg von der Plantage bis zum Händler 2009: 6). Kakao hat somit eine zentrale Bedeutung für dafür, dass die Bauern derzeit weniger als die Hälfte die Wirtschaft des Landes, und zugleich hat das Land des Weltmarktpreises für ihre Ware erhalten. Hinzu eine große Bedeutung für den Weltmarkt für Kakao, da kommt, dass die Qualität der Bohnen verglichen mit in den vergangenen Jahren ein Drittel der weltweiten den Nachbarländern oftmals schlecht ist. Viele Bauern Ernte aus diesem Land stammten. haben keine ausreichenden Kenntnisse darüber, wie sie die Bäume pflegen müssen und wie die Fermentie- Der Kakaoanbau im Land begann um 1880. Nach der rung und die Trocknung optimal ablaufen. Ein wei- Unabhängigkeit im Jahr 1960 wurden die Ernteflächen terer Grund für die schlechte Qualität der Bohnen ist, massiv erweitert, und Hundertausende Arbeitskräfte dass die Bauern beim Erscheinen des Händlers oftmals aus Nachbarstaaten kamen ins Land, um auf den Planta- nicht wissen, wann der nächste Händler vorbeikommt. gen zu arbeiten oder diese selbst anzulegen und zu be- Wenn sie dringend auf Bargeld angewiesen sind, füllen wirtschaften. Der Ausbau der Kakaopflanzungen sowie sie beim Erscheinen eines Aufkäufers auch noch nasse die Verlegung der Anpflanzungen, nachdem der Boden Bohnen in die Säcke (Hütz-Adams 2010: 23-24). ausgelaugt und nicht mehr für Kakao geeignet war, ver- schlangen immer größere Flächen und das Land wurde Schlechte Lebenssituation knapp. Hinzu kamen unklare Besitzrechte. Dies führte zu Konflikten zwischen Zuwanderern und Einheimi- Einer Studie aus dem Jahr 2009 zufolge arbeiten in der schen. Im Jahr 2002 kam es zu Auseinandersetzungen Elfenbeinküste rund 820.000 Kinder in der Kakaobran- mit Hunderten Toten in den Kakaoanbaugebieten. Dar- che, davon rund 260.000 in einem Maße, das gegen die über hinaus war der Export des Kakaos eine wichtige Ein- ILO-Konventionen 138 und 182 verstößt (siehe Kasten nahmequelle für den Diktator Felix Houphouët-Boigny, Seite 11). Die Hälfte der befragten Kinder gab an, sich der das Land von 1960 bis 1993 beherrschte. Schätzun- bei der Arbeit in den vorangegangenen 12 Monaten gen zufolge kamen nur 25 % des Weltmarktpreises bei verletzt zu haben. Dazu gehörten offene Wunden, In- den Bauern an, weitere 10–12 % erhielten die Händler. sektenbisse, Muskel- und Rückenschmerzen. Zudem Der Rest gelangte über undurchsichtige Wege auf die klagten fast 80 % der Kinder über das Tragen zu schwe- Konten der Unterstützer des Diktators. Die Nachfolgere- rer Lasten. Weniger als zwei Drittel der Kinder besuch- gierungen Houphouët-Boignys sowie Rebellengruppen ten die Schule. Am schlechtesten ist die Situation für die nutzten Einnahmen aus dem Kakaogeschäft zum Erhalt Kinder, die nicht in der eigenen Familie leben. Von die- ihrer Macht. Kakao wie die mit dessen Export verbunde- sen gehen nur 39 % der Jungen und 22 % der Mädchen nen Einnahmen spielten eine große Rolle bei der Finan- zur Schule. Die Zahl der Kinder, die ohne Mutter oder zierung des von 1999 bis 2011 immer wieder aufflam- Vater auf einer Farm leben, lag mit 147.749 bei 18 % menden Bürgerkriegs (Hütz-Adams 2010: 21–23). der im Kakaoanbau arbeitenden Kinder, rund 21.400 Kinder stammten nicht aus der Elfenbeinküste (Payson Auch der Bürgerkrieg Ende des Jahres 2010 und Anfang Center 2009: 56–80; Republic of Côte d‘Ivoire 2008: 41, 2011 wurde teilweise mit Kakao finanziert. Die neue 67). Immer wieder gibt es Berichte, dass aus den Nach- Regierung unter Präsident Alassane Ouattara versucht barländern Mali und Burkina Faso Kinder an Kakao- seit Mai des Jahres 2011, den Kakaomarkt neu zu ord- bauern in der Elfenbeinküste verkauft werden. Genaue nen und transparenter zu machen und die Einnahmen Zahlen liegen nicht vor, doch vermutlich arbeiten viele der Bauern zu erhöhen. Tausend Kinder unter sklavenähnlichen Bedingungen auf den Kakaoplantagen. Geringe Macht der Bauern Der Preisverfall ab dem Jahr 1980 hat zu einer Ver- Viele der Kakaobauern leben in abgelegenen Gebie- schlechterung der Situation der Bauern geführt, und ten, sie kennen oft den aktuellen Weltmarktpreis für Studien zufolge führte dies direkt zu einer Zunahme der Kakao nicht und sind aufgrund der mangelhaften In- Kinderarbeit, da die Bauern erwachsene Arbeitskräfte frastruktur darauf angewiesen, dass die Händler zu als Erntehelfer nicht mehr bezahlen konnten (Boas/Hus- ihnen kommen. Dies sind in der Regel kleine und mit- er 2006: 26 ff.; IITA 2002: 14 ff.; Bremer 2007: 3). telgroße Händler, die die Kakaobohnen gegen Bargeld aufkaufen und zur Küste transportieren. Die schlechte Armut ist nach Aussage der Bauern der Hauptgrund, Verhandlungsposition der Bauern, hohe Transport- warum Kinder arbeiten. Ohne eine Verbesserung der kosten – nicht zuletzt aufgrund von an Straßensperren Einkommenssituation der Bauern wird auch die Kin- die LKW-Fahrer abkassierenden Sicherheitskräften – derarbeit nicht erfolgreich bekämpft werden können sowie hohe Steuern auf den Export von Kakao sorgen (Republic of Côte d‘Ivoire 2008: 60, 67f). 12 Vom Kakaobaum bis zum Konsumenten
▸ 3. Der Weg von der Plantage bis zum Händler 3.3.2 Nigeria Kinderarbeit weit verbreitet ist (IITA 2002a; Gockowski/ Oduwole 2001). Einer der wichtigsten Gründe für die Über die Situation der Kakaobauern in Nigeria liegen Einstellung von Kindern war angesichts niedriger Ka- keine aktuellen Daten vor, was angesichts der großen kaopreise die geringere Bezahlung: Kinder erhielten Bedeutung des Landes für den deutschen Markt drin- 115 US-Dollar jährlich, erwachsene Arbeiter hingegen gend geändert werden muss. Laut einer Studie aus 205 US-Dollar (IITA 2002a:14). dem Jahr 2001 lag die durchschnittliche Größe der Pflanzungen bei 4,7 Hektar und der Ernteertrag bei 475 kg je Hektar (Gockowski/Oduwole 2001: 7, 10). Ange- 3.3.3 Ghana sichts einer Erntemenge von 240.000 t (2010/2011) im Jahr lässt sich hochrechnen, dass es im Land mehr als Kakao hat eine große Bedeutung für die ländliche Be- 100.000 Kakaoanbauer gibt, die etwa eine halbe Mio. völkerung Ghanas, da mindestens 700.000 Bauern Ka- Hektar mit Kakaobäumen bepflanzt haben. kao anpflanzen, die wiederum mehrere Mio. Menschen ernähren. Sie bewirtschaften meist Plantagen mit ei- Die Regierung möchte den Anbau von Kakao deutlich ner Größe von zwei Hektar (Ryan 2011: 23; Republic of ausweiten und dies durch Hilfsprogramme unter- Ghana 2008: XXIV). Verbesserungen im Kakaobereich stützen. Beobachter bezweifeln allerdings, dass diese haben somit große Bedeutung für die Reduzierung der Maßnahmen zu einem deutlichen Anstieg der Ernte- Armut in Ghana. mengen führen werden (Verein der am Rohkakaohan- del beteiligten Firmen 2011: 18). Im Gegenteil: Es gibt Die erste Kakaopflanzung in Ghana entstand wahr- Berichte, dass in den vergangenen Jahren viele Bauern scheinlich im Jahr 1879, und das Land war lange der aufgrund ihrer geringen Einnahmen die Anbauflächen weltweit größte Exporteur von Kakao. Nach der Un- verringert haben. abhängigkeit (1957) wurde der Export von Kakao zur Hauptquelle für Deviseneinnahmen. Doch der Preis- Über die Lebensbedingungen der Bauern liegen keine verfall für Kakao ab den 1970er Jahren, eine Dürre aktuellen Daten vor. Studien aus den Jahren 2001 und (1982), verheerende Buschfeuer (1984) und die Aus- 2002 belegen, dass viele Bauern in Armut leben und breitung von Krankheiten führten zu stark sinkenden Die Wertschöpfungskette von Schokolade 13
▸ 3. Der Weg von der Plantage bis zum Händler Exportmengen. Hinzu kamen massive Probleme bei den Plantagen fast 1 Mio. Kinder, darunter 270.000 in der Vermarktung des Kakaos durch politisches Chaos, einem Maße, das gegen die ILO- Konventionen 138 und weit verbreitete Korruption und Misswirtschaft in der 182 (siehe Kasten Seite 11) sowie nationale Gesetze ver- staatlichen Vermarktungsbehörde. Erst ab Ende der stößt. Ähnlich wie in der Elfenbeinküste ist die Arbeit 1980er Jahre verbesserte sich die Situation. Reformen teilweise gesundheitsgefährdend. Bei der Erhebung haben dazu geführt, dass die staatliche Kakaobehör- klagten 54 % der Kinder über Verletzungen innerhalb de, das Cocoa Marketing Board (COCOBOD), heute we- der letzten zwölf Monate und 68 % über das Tragen zu sentlich effizienter arbeitet als früher. Das COCOBOD schwerer Lasten (Payson Center 2009: 56ff.). legt den Preis fest, den die Bauern für Kakao erhalten, überwacht und reguliert den Handel mit Kakao. Das Die Kakaoanbauer nennen als ihr Hauptproblem und COCOBOD sowie weitere geprüfte und lizenzierte Un- als Ursache für die Kinderarbeit ihre finanzielle Situati- ternehmen unterhalten rund 3.000 Handelsstellen in on. Der Preis für Kakao sei zu niedrig, um die Ausgaben den Dörfern der Kakaoanbaugebiete. Das COCOBOD für Saisonarbeitskräfte, Dünger und Pestizide bestrei- kontrolliert die Qualität des Kakaos bereits beim Emp- ten zu können (Boas Huser 2006: 43; IDS/University of fang an den Handelsstationen sowie vor dem Export. Ghana 2008: 69–70; Republic of Ghana 2008: 57–58). Die Behörde unterhält Forschungsstationen zur Zucht ertragreicherer Kakaosorten und soll Bauern mit sub- Viele der Bauern investierten lange Zeit nicht mehr in ventionierten Dünger und Pestiziden versorgen. Dar- ihre Plantagen. In den vergangenen Jahren wurden die über hinaus ist ausschließlich eine Unterorganisation Erntemengen allerdings nicht zuletzt aufgrund der Un- des COCOBOD dazu berechtigt, Kakao zu exportieren terstützung durch Regierungsprogramme deutlich er- (Hütz-Adams 2011: 16–21). höht. Die Rekordernte der Saison 2010/2011 ist jedoch zu einem erheblichen Teil auf den Schmuggel von rund Soziale Situation der Bauern 200.000 t Kakao aus der Elfenbeinküste nach Ghana zu- rückzuführen. Trotz einiger positiver Ansätze sind die Lebensbe- dingungen des größten Teils der Bauern weiterhin Dennoch gehen Beobachter davon aus, dass die Ernte- schlecht. Im Jahr 2006 verfügten die Bauern und ihre mengen in Ghana weiterhin hoch bleiben, da Plan- Familien durchschnittlich über so wenig Geld, dass sie tagen verjüngt und neue Flächen für den Anbau er- unterhalb der Armutsgrenze lebten. Neuere Daten sind schlossen wurden (Verein der am Rohkakaohandel teilweise widersprüchlich, doch die Situation der Bau- beteiligten Firmen 2011: 22–23). ern hat sich in den vergangenen Jahren nicht wesent- lich verbessert (Hütz-Adams 2011: 24–27). Dazu wird allerdings der Schmuggel weiterhin einen großen Beitrag leisten. Schätzungen zufolge werden in Kinderarbeit ist auf den Kakaoplantagen weit verbrei- der Erntesaison 2011/2012 rund 145.000 t Kakao nach tet. Einer Studie aus dem Jahr 2009 zufolge arbeiten auf Ghana geschmuggelt. ▸ 3.4 Erste Verarbeitungsschritte noch beim Bauern Die Qualität des Kakaos hängt unter anderem von der jedoch neben der Kakaosorte die fachkundige Pflege angebauten Sorte ab. Mit rund 5 % stammt lediglich der Bäume, der richtige Zeitpunkt der Ernte sowie die ein kleiner Teil der Ernte von Criollo-Bäumen, auf de- genaue Einhaltung der erforderlichen Zeitspannen nen besonders aromatischer Kakao wächst. 80–85 % für Gärung und Trocknung: Die Früchte müssen reif der weltweiten Ernte wachsen auf Bäumen der Stan- geerntet und binnen weniger Tage geöffnet werden. dardsorte Forastero, der Rest stammt von Kreuzungen Meist werde sie auf den Plantagen in Säcke verpackt zwischen diesen beiden Sorten, Trinitario genannt. Die und zu Sammelplätzen getragen, eine aufgrund häufig höherwertigen Sorten haben für die Bauern den Nach- kilometerlanger Wege anstrengende Arbeit. teil, dass sie anfälliger für Krankheiten und die Erträge niedriger sind als bei Forastero-Bäumen (Durry/Schiffer In der Regel werden die Früchte mit Macheten aufge- 2012: 36–38). schlagen, einige Bauern nutzen auch Äste oder Steine. Dabei muss darauf geachtet werden, dass die Bohnen Entscheidend für die Qualität der Kakaobohnen ist nicht beschädigt werden. Im nächsten Schritt folgt 14 Vom Kakaobaum bis zum Konsumenten
▸ 3. Der Weg von der Plantage bis zum Händler dann eine Fermentierung, durch die das Fruchtfleisch Alle diese Schritte werden in Handarbeit verrichtet und von den Bohnen getrennt, Keime abgetötet und Aro- bislang existieren keine Ansätze zu einer Mechanisie- mastoffe gebildet werden. Je nach Kakaosorte werden rung der Abläufe. Daher ist die Verfügbarkeit von qua- die Bohnen mitsamt dem sie umgebenden Frucht- lifizierten und billigen Arbeitskräften eine wichtige fleisch zwei bis zehn Tage lang fermentiert. Dazu Voraussetzung für den Anbau von Kakao. werden sie meist in einer Art Bottich aus Bananenblättern gelagert und mit Blät- tern abgedeckt. Die Kombination aus Gärung und Sonneneinstrahlung sollte zu einer Temperatur zwischen 45 und 52 °C führen. Während der Gärungs- phase müssen die Bohnen belüftet und gewendet werden. Anschließend müs- sen sie mehrere Tage lang trocknen, um den Feuchtigkeitsgehalt von mehr als 60 % auf rund 6 % zu senken. In der Regel findet diese Trocknung im Freien auf dem Boden, Matten oder Tischen statt. Die Temperatur sollte unter 50 °C liegen und die Bohnen müssen regelmäßig gewendet werden (Durry/Schiffer 2012: 54–61). Die Wertschöpfungskette von Schokolade 15
▸ 3. Der Weg von der Plantage bis zum Händler ▸ 3.5 Viele Probleme und unsichere Marktprognosen Die Schokoladenindustrie beobachtet mit großer Sor- sieht oft keine Zukunft im Kakaoanbau und wandert in ge, dass viele Bauern zu wenige junge Bäume ange- die Städte ab. Bei einer Befragung gab nur ein Fünftel pflanzt haben, die alte Bäume ersetzen, deren Ernteer- der Kakaoanbauer an, dass ihre Kinder die Plantagen träge und Bohnenqualität aufgrund des hohen Alters weiter betreiben wollen (Teal/Zeitlin/Maamah 2006: abnehmen. Darüber hinaus führen viele Bauern die 18–19; Hainmueller/Hiscox/Tampe 2011: 59). Ähnliche ersten Verarbeitungsschritte (Ernte zur richtigen Zeit, Berichte gibt es auch aus der Elfenbeinküste. Fermentierung, Trocknung) nicht optimal durch, wo- durch die Qualität der Kakaobohnen leidet. Andererseits sagen viele Marktbeobachter eine stei- gende Nachfrage nach Kakao in den Schwellenlän- Besorgniserregend für die deutschen Kakao- und dern voraus und prognostizieren, dass der Konsum von Schokoladenverarbeiter ist vor allem die Situation im Schokolade zum Jahr 2020 weltweit um bis zu 25 % stei- Hauptlieferland Elfenbeinküste. Die lange fallenden gen wird. Aufgrund begrenzter Flächen in den Anbau- Kakaopreise (siehe Kapitel 5), verbunden mit hohen ländern und ausgelaugter Böden müsse daher an einer Preisen für Düngemittel und hohen landesinternen Verbesserung der Ernteerträge gearbeitet werden (Jo- Steuersätzen sowie chaotischen politischen Zuständen, sephs 2012). haben dazu geführt, dass viele Bauern nicht mehr in ihre Plantagen investieren. 46 % der Bäume sind älter Offen ist zudem, ob die derzeitigen Anbauflächen über- als 20 Jahre und 19 % sogar älter als 30 Jahre. Dies führt haupt noch langfristig nutzbar sind. Die Auswirkungen zwangsläufig zu sinkenden Ernteerträgen. Darüber des Klimawandels sind bereits jetzt in Westafrika spür- hinaus breiten sich Krankheiten aus. Viele Bauern ent- bar und werden sich weiter verschärfen. Daher arbei- schließen sich daher, vermehrt Kautschuk statt Kakao ten Forscher daran, Kakaobäume zu züchten, die auch anzubauen (Verein der am Rohkakaohandel beteilig- in einem trockeneren Klima gedeihen können (Climate ten Firmen 2011: 13–14). Change/CIAT 2011). Falls dies nicht gelingt, könnten die Ernteerträge in Zukunft deutlich sinken. Zudem sehen viele der Landwirte den Anbau von Kakao nicht mehr als lukrativen Broterwerb. In Ghana lag das Ein Ansatzpunkt für eine Erhöhung der Erntemenge Durchschnittsalter der Bauern beispielsweise im Jahr ist die schnelle Verbreitung neuer Baumsorten, die 2004 bei 53 Jahren. Die nachwachsende Generation schneller wachsen, früher Früchte tragen und höhere Erträge erzielen. Dies ist allerdings für die Bauern mit Kosten verbunden: Die neuen Sorten müssen stärker gedüngt werden als herkömmliche Bäu- me und benötigen mehr Pflege. Außerdem wird befürchtet, dass die Bäu- me den Boden schneller auslaugen und nicht wie die derzeitigen Sorten über Jahrzehnte Früchte tragen. Da die neuen Sor- ten keinen Schatten brau- chen und in größeren Plantagen angepflanzt werden können, tragen sie zudem verstärkt zur Abholzung bei (Gibson 2007: 8; Afari-Sefa et al. 2010: 3–4). 16 Vom Kakaobaum bis zum Konsumenten
▸ 4. Logistikunternehmen, Kakaoverarbeiter, Schokoladenindustrie und Einzelhandel 4. Logistikunternehmen, Kakaoverarbeiter, Schokoladenindustrie und Einzelhandel Während der Anbau von Kakao von mehreren Mio. wenige multinationale Unternehmen den größten Teil Kleinbauern durchgeführt wird, kontrollieren einige der weiteren Wertschöpfungskette bis zur Ladentheke. ▸ 4.1 Logistikunternehmen In vielen Anbauregionen sind nicht nur kleine Händler, Kakaobohnen eine Herausforderung. Es drohen die sondern auch Aufkäufer mittelständischer und großer Ausbreitung von Schimmel und der Befall mit Schäd- multinationaler Unternehmen aktiv, die direkt beim lingen. Ein Teil der Kakaobohnen muss vor der Ver- Bauern oder deren Genossenschaften die Kakaoboh- schiffung oder Weiterverarbeitung nachgetrocknet nen aufkaufen. Dazu gehören sowohl Unternehmen, werden, und bei Bedarf sollten Schädlinge und Schim- die ausschließlich auf den Handel mit Rohkakao spe- mel mit chemischen Mitteln bekämpft werden. Der Ka- zialisiert sind, als auch solche, die diesen anschließend kao wird für den Transport in die Abnehmerländer in weiterverarbeiten. Der Kakaohandelskonzern Olam Säcke verpackt oder lose in Containern transportiert. beispielsweise ist nahezu ausschließlich auf den Han- In den Häfen der Abnehmerländer oder in deren Nähe del spezialisiert und gibt auf seiner Webseite an, dass gibt es große Lagerhäuser. Wird der Kakao trocken weltweit jede achte Kakaobohne durch seine Hände und kühl aufbewahrt, hält er sich über viele Jahre, geht. ohne an Qualität zu verlieren. Der bei weitem wich- tigste Einfuhrhafen in Deutschland ist Hamburg, wo Der Transport und die Lagerung von Kakao sind auf- jährlich etwa 200.000 t Kakao ankommen, zwei Drittel grund der hohen Luftfeuchtigkeit in den Anbaulän- der deutschen Rohkakaoimporte (Durry/Schiffer 2012: dern und der teilweise unzureichend getrockneten 87–95). Die Wertschöpfungskette von Schokolade 17
▸ 4. Logistikunternehmen, Kakaoverarbeiter, Schokoladenindustrie und Einzelhandel ▸ 4.2. Die Verarbeiter des Kakaos Die Verarbeitung der Bohnen geschieht in mehreren Tabelle 7 Schritten. Zuerst werden sie gereinigt und geröstet, Wichtigste Standorte der Weiterverarbeitung von dann durch Siebe oder Gebläse die Schalen entfernt, Kakaobohnen in 1000 Tonnen die als Viehfutter oder Düngemittel dienen können. Im nächsten Schritt zerkleinern rotierende Metallscheiben 2010/2011 2011/2012 die Kakaokerne. Dabei werden sie erwärmt, und es ent- steht die dunkle, bittere Kakaomasse, die einen Fettge- Niederlande 535 520 halt von 50–55 % hat. Diese kann für die Herstellung von Deutschland 439 450 Schokolade verwendet oder auf rund 90 °C erwärmt Elfenbeinküste 361 425 und mit einem Druck von 900 bar ausgepresst werden, USA 397 400 um die Kakaobutter zu gewinnen. Zurück bleibt Kakao- Malaysia 305 300 pulver mit einem Fettanteil, der je nach Verfahren und Ghana 230 240 geplanter weiterer Verwendung des Kakaopulvers bei Brasilien 239 235 etwa 20 % liegt (Durry/Schiffer 2012: 125–126). Gesamt weltweit 3.914 3.992 Der größte Teil der Butter wird für die Produktion von Quelle: ICCO 2012: Table 5 (vorläufige Angaben) Schokolade genutzt, kleinere Mengen gehen in die Nahrungsmittelindustrie und in die Pharma- oder die Kosmetikbranche. Kakaopulver wird häufig in Geträn- ken, Füllungen und Backwaren verwendet (UNCTAD Seit Ende der 1980er Jahre haben sich die Anbieter von 2008: 7). Schokolade mehr und mehr aus der Verarbeitung von Kakaobohnen zurückgezogen. Diese ist wesentlich anspruchsvoller als es auf den ersten Blick erscheint: Käuferinnen und Käufer von Schokoladenprodukten erwarten bei Markenartikeln einen immer gleich blei- benden Geschmack. Um die gewünschte Geschmacks- richtung herzustellen, müssen Kakaobohnen aus ver- schiedenen Regionen miteinander vermischt werden. Je nach äußeren Umständen (Haupternte, Nebenernte, Regenmengen, Sonnenscheindauer, Schädlingsbefall etc.) variiert die Qualität des Kakaos aus einer Region selbst innerhalb einer Erntesaison und die Mischungs- verhältnisse müssen angepasst werden. Dies macht die Herstellung von Schokolade zu einem anspruchsvollen Geschäft. Zudem sind erhebliche Investitionen erforderlich, da die Verarbeitung des Kakaos in großen Industriean- lagen stattfindet. Um die Fabriken effizient betreiben zu können, müssen permanent große Mengen Kakao verarbeitet werden. Darüber hinaus stellen die Schoko- ladenhersteller hohe Qualitätsanforderungen und ver- langen teilweise die Just-in-Time-Lieferung der Ware (UNCTAD 2008: 23). Verarbeitung in den Verbraucherländern In den vergangen Jahren wurden nur in den Niederlan- den mehr Kakaobohnen vermahlen als in Deutschland. Der Anteil Europas an der Vermahlung ist zwar leicht 18 Vom Kakaobaum bis zum Konsumenten
▸ 4. Logistikunternehmen, Kakaoverarbeiter, Schokoladenindustrie und Einzelhandel Verstärkte Wertschöpfung im Anbauland? In einigen Anbauländern, darunter die Elfenbein- küste, Ghana, Indonesien, Kolumbien und Ecuador, wurde der Ausbau der Weiterverarbeitung von Ka- kao zu Kakaobutter und Kakaopulver direkt oder indirekt von den Regierungen gefördert, um einen größeren Anteil der Wertschöpfung im eigenen Land zu halten und Arbeitsplätze zu schaffen. Unter anderem sind in vielen Ländern die Steuern auf den Export von Kakaobohnen höher als die auf den Ex- port von verarbeiteten Kakaoprodukten. Die Verschiffung dieser Produkte auf die Märkte in Europa und Amerika ist jedoch teurer als der Export der Kakaobohnen. Zudem ist die für die Fabriken sehr wichtige Energieversorgung in vielen Anbau- ländern unzuverlässiger und teurer als in den Indus- trieländern. Die mit der Schaffung von Anreizen für den Aufbau von Verarbeitungsfabriken verbunde- ne Hoffnung auf die Schaffung vieler Arbeitsplätze hat sich nicht erfüllt. Um in Ghana 60.000 t Kakao pro Jahr zu mahlen, beschäftigt Barry Callebaut beispielsweise rund 100 Menschen. Daher wird in Ghana kontrovers diskutiert, ob die vergleichswei- se geringe Zahl der geschaffenen Arbeitsplätze den Verzicht auf Steuereinnahmen rechtfertigt (Ryan 2011: 89–90). Dennoch fordern die Regierungen der gesunken, liegt aber immer noch bei rund 40 %. Afrika- Region weiterhin von den Unternehmen den Aus- nische Staaten konnten ihren Anteil in den letzten Jah- bau der Verarbeitungskapazitäten. ren auf 18 % der weltweiten Menge ausbauen, während die Verarbeitung in Asien auf 20 % stieg (ICCO 2012: Ta- Noch größer werden die Herausforderungen, wenn ble 5; Tabelle 7). das Endprodukt Schokolade in den Anbauländern hergestellt wird. Erforderlich ist der Import von In- Die großen fünf dustrieanlagen, um die Schokolade herzustellen, sowie in einigen Staaten die Einfuhr der weiteren Einige wenige Großkonzerne dominieren den Markt Rohstoffe (Milch, Zucker, Nougat, Haselnüsse etc.). für die Vermahlung der Kakaobohnen zu Kakaomas- Um bestimmte Geschmacksrichtungen durch die se sowie die ersten Weiterverarbeitungsschritte zu Mischung unterschiedlicher Kakaosorten zu produ- Kakaobutter und Kakaopulver. Allein die drei Markt- zieren – die Wünsche der Kundinnen und Kunden führer verarbeiten mehr als 40 % der weltweiten Ka- variieren nicht nur je nach Produkt, sondern auch je kaoernte, die fünf größten Unternehmen mehr als 55 % nach Abnehmerland – müsste sogar Kakao aus ande- (Tabelle 8). Es gibt zudem eine Reihe von Mittelständ- ren Ländern importiert werden. Der nächste Schritt lern im Markt. Derzeit vermahlen in Deutschland noch wäre der Aufbau einer geschlossenen Kühlkette von 15 Unternehmen Kakao (Verein der am Rohkakaohan- der Fabrikhalle etwa in Westafrika über den Hafen del beteiligten Firmen 2011: 35). und den Schiffstransport bis hin zum Ladenregal. Diese umfassenden und teilweise kostspieligen He- Unübersichtliche Marktstruktur rausforderungen lassen es auf absehbare Zeit un- wahrscheinlich erscheinen, dass die Verarbeitung Aussagen über die Marktmacht und die Gewinnmar- zu Schokolade mehr und mehr in die Anbauländer gen der großen Kakaoverarbeiter sind nur sehr be- verlagert wird. grenzt möglich. Mehrere der wichtigsten Unterneh- men sind nicht an der Börse notiert und daher nicht Die Wertschöpfungskette von Schokolade 19
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