Vom Nutzen des Wartens - Modulart
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Vom Nutzen des Wartens Die Planung grosser Areale dauert Jahre. In Bern regen erfüllt von leckeren Düften und lebhaftem Gemurmel. Architektinnen an, den Boden in der Zwischenzeit zu nutzen: Das Restaurant Löscher im Berner Spitalackerquartier mit günstigen Bauten wie in Amsterdam oder Wien. lockt mit dem Charme eines Provisoriums. Als die Berner Feuerwehr 2014 aus der alten Kaserne am Viktoriaplatz Text: Zwischennutzungen sind zum festen Bestandteil der Stadt- an den Stadtrand zog, sollte ein Investorenwettbewerb Gabriela Neuhaus, entwicklungspolitik im 21. Jahrhundert geworden. Doch die künftige Nutzung des Areals definieren. Bis zu dessen Rahel Marti während alte Gebäude oft und vielfältig zwischengenutzt Ausschreibung, so der Plan, würden die Gebäude für Zwi- Fotos: Tempohousing werden, sind in der Schweiz temporäre Neubauten auf schennutzungen zur Verfügung stehen. Quartierbewoh- Brachen selten. Containersiedlungen für günstigen Wohn- nerinnen und -bewohner gründeten daraufhin den Verein raum ? Lieber nicht. Sie kollidieren offenbar mit unserem Alte Feuerwehr Viktoria. Sie erhielten von der Stadt einen Anspruch an Dauerhaftigkeit und der Kontrolle darüber, bis 2019 befristeten Nutzungsvertrag für das 3000 Qua was an einem Ort passieren soll. Zudem wartet das Geld dratmeter grosse Areal. Das Interesse war enorm: Bald wa- nur darauf, verbaut zu werden, da stünde Temporäres im ren alle Räume sowie die Flächen im Innenhof vermietet. Weg, denn der Bau könnte jederzeit losgehen – auch wenn « Die Feuerwehrkaserne ist ein Glücksfall », sagt D aniel die Planungsgeschichten das Gegenteil beweisen siehe Blumer, Geschäftsführer des Kompetenzzentrums gemein- ‹ Baustellen der bernischen Stadtentwicklung ›, Seite 30. nütziger Wohnungsbau in Bern. « Die Zwischennutzungen Es gibt Orte, wo dies gelingt. In Sion stellt die holländi- haben das Potenzial dieses Orts aufgezeigt, das lange sche Firma Tempohousing Wohnmodule für Studierende negiert worden ist. » Das Mit- und Nebeneinander von Ge- auf. Das ‹ Basislager › in Zürich ist eine günstige Container- werbebetrieben, Kunstateliers, Unterkünften für Asylsu- siedlung, die Kleingewerbler für Ateliers und Geflüchtete chende und Kurslokalen hat die alte Kaserne mit neuem zum Wohnen nutzen siehe Hochparterre 6 – 7 / 15. Das holländi- Leben erfüllt. Das haben auch die Behörden bemerkt: Die sche Büro Spacebox entwickelte 2004 einen Mini-Modul- Feuerwehrkaserne ist ein Vorzeigeprojekt der Stadtent- bau, der etwa tausend Mal aufgestellt wurde, zuerst für wicklung. Die Chancen stehen gut, dass die Stadt auf den Studierende in den Universitätsstädten Delft, Utrecht, Investorenwettbewerb verzichtet und die Zwischennutzer Eindhoven und Almere, später nach Deutschland trans- das Areal im Baurecht erhalten. portiert für Geflüchtete. In der Seestadt Aspern, der Wie- ner Stadterweiterung, stehen seit 2015 auf einer Wiese die Keine Planung verläuft wie geplant ‹ Pop-up Green Flex Studios › für vierzig Studierende. Die Die Geschichten von fünf grossen Berner Arealen Kleinstwohnungen in Holzelementbauweise und Passiv zeigen: Keine Planung verläuft wie geplant. Einmal ist der hausstandard sollen vierzig Jahre nutzbar sein, alle fünf Architekturwettbewerb schon unter Dach und Fach, doch Jahre an einem neuen Standort. Wird das Grundstück be- dann tauchen alte Dienstbarkeiten auf. Oder es wird über baut, zügelt man sie auf das nächste freie ; das erste Ver- Baurechtszinse gestritten. Oder die Bevölkerung fordert setzen ist im Erstellungspreis inbegriffen. Dieser betrug Mitbestimmung ein und lanciert eine Volksinitative gegen 35 000 Euro pro Wohnplatz, die Miete kostet 350 Euro das Geplante. Zudem ist das Bauen rechtlich und tech- pro Monat – nicht ganz günstig, doch der Baustandard ist nisch komplizierter und damit zeitaufwendiger geworden. hoch. Amsterdam schliesslich vermietete tausend Fracht- So dürfte es auch an begehrten Lagen wie dem städti- container während zwölf Jahren als günstige Wohnburg schen Doppelgrundstück Viererfeld-Mittelfeld oder dem s iehe ‹ Keetwonen ›, Seite 29. Gaswerkareal noch Jahre dauern, bis die Bagger auffah- ren. Dabei ist Wohnraum in der Stadt gefragt. « Warum Eine Idee für Bern ? also nicht etwas anfangen mit der Zwischenzeit ? », fragt Szenenwechsel. Buntgemischtes Volk beim Mittages- Raffael Graf. Er ist Partner bei Bauart Architekten und Pla- sen – alle Tische sind bis auf den letzten Platz besetzt. Das ner in Bern. Das Büro hat Erfahrung mit temporären Bau- Mobiliar aus dem Brockenhaus, die Bar aus Dachlatten ge- ten – etwa mit dem Schulpavillon ‹ Züri Modular › – und hat zimmert, gemütlich und warm die Atmosphäre, der Raum ‹ Modulart ›, ein ‹ Labor für modulares Bauen ›, aufgebaut → 28 Hochparterre 4 / 18 — Vom Nutzen des Wartens 28-31_Berner_Areale_4_18.indd 28 19.03.18 16:03
Keetwonen In Amsterdam fehlten Anfang der Nuller- jahre Wohnungen für Studierende. Die Firma Tempohousing liess gut tausend gebrauchte Frachtcontainer umrüsten, die Stadt kaufte sie und stellte sie ab 2005 auf eine drei Hektar grosse Brache. Ein Container mit 28 Quadratmetern Flä- che, Küche und Bad kostete 400 Euro Zum Wohnen umgerüstete Frachtcontainer pro Monat. Fünf Jahre sollten sie stehen, auf dem Weg von China zurück nach blieben aber bis heute. Erst jetzt werden Amsterdam für das Projekt ‹ Keetwonen ›. 250 Module abtransportiert und die restli- chen voraussichtlich 2021, wenn das Grundstück bebaut werden soll. « Doch wie jede Planung kann sich auch diese än- dern », meint Tempohousing. ‹ Keetwonen › in Amsterdam: Ergänzt mit Cafés, Gemeinschaftsräumen und Waschsalons in weissen Containern entstand ein Studentenquartier auf Zeit. Das Bad-Kabäuschen zoniert den Container. Hier kochen, essen, arbeiten, dort ruhen und schlafen. Foto: Ronald Schouten Günstige Wohnburg mit einem Balkon pro Wohnung. Hochparterre 4 / 18 — Vom Nutzen des Wartens 29 28-31_Berner_Areale_4_18.indd 29 19.03.18 16:03
2 4 1 5 3 Baustellen der 1 Warmbächli 2 Viererfeld-Mittelfeld 3 Gaswerkareal Auf dem Areal der ehemaligen Kehricht- Im zweiten Anlauf sagte die Berner Auf dem 55 000 Quadratmeter grossen bernischen verbrennungsanlage planen sechs Stimmbevölkerung 2016 Ja zu einem Pla- Areal, auf dem bis 1967 Gas produziert Stadtentwicklung Genossenschaften auf sechs Baufeldern nungsverfahren, mit dem auf dem bis- wurde, ist das zweitgrösste Wohnbaupro- 250 Wohnungen für rund 600 Men- her landwirtschaftlich genutzten Vierer- jekt der Stadt Bern geplant. Das heute schen. 2012 nahm die Bevölkerung eine und Mittelfeld ein Quartier für rund weitgehend brachliegende Areal soll künf- Zonenplanänderung und den Kredit 3000 Menschen entstehen soll. Das Land tig Platz für rund tausend Bewohnerin- für den Kauf der Parzelle durch die Stadt gehört der Stadt, die es im Baurecht nen und Bewohner bieten. Auf Initiative der Bern mit grossem Mehr an. Im selben an Investoren abgibt. Mindestens die Hälf- Baufirma Losinger Marazzi erstellte das Jahr war ein städtebaulicher Ideenwettbe- te der Baufelder sollen Wohnbaugenos- Atelier 5 im Jahr 2010 eine Nutzungsstudie. werb ausgeschrieben worden. Das Pro- senschaften zu einem günstigeren Zins In der Folge entbrannte ein Streit über jekt ‹ Strawberry Fields › von BHSF Archi erhalten. Im Januar 2018 startete nun die Rolle von Losinger Marazzi, unter deren tekten und Christian Salewski gewann. der städtebauliche Planungswettbewerb: Federführung 2013 eine Testplanung Man ging davon aus, dass 2015 die ersten Bis April sollen 25 interdisziplinäre durchgeführt wurde. Ende 2016 entschied Wohnungen bezogen werden können. Teams ausgewählt werden, die bis Oktober die Regierung, dass die Stadt das Areal Es kam aber zu massiven Verzögerungen, Vorschläge ausarbeiten. Im Dezember von Energie Wasser Bern kaufen und selbst nicht zuletzt wegen des Baurechts- soll der Juryentscheid für den Masterplan entwickeln werde. Dafür schaffte sie in zinses, den die Stadt den Genossenschaf- vorliegen, der Erschliessung, Freiräu- der städtischen Liegenschaftenverwaltung ten in Rechnung stellt. 2016 schloss me und Baufelder definiert. Anschliessend eigens eine Stelle. Die Hälfte der Bau die Stadt mit dem Verein Warmbächli einen folgen Wettbewerbe für öffentliche fläche will sie an gemeinnützige Wohnbau- Vertrag ab, um Zwischennutzungen zu Infrastrukturen und Wohnbauten. Bis die träger im Baurecht abgeben, ein Viertel ermöglichen. Im Frühjahr 2018 beginnen Baumaschinen auffahren, wird noch will die Stadt selbst bebauen, das letzte nun die Vorarbeiten für den Bau der viel Zeit vergehen: Möglich ist eine wei- Viertel soll an grosse private Investoren neuen Siedlung: Die Brache wird mit dem tere Volksabstimmung, wenn die Stadt gehen. Bevor der städtebauliche Wettbe- Aushub der nahe gelegenen Baustelle nach dem Ausarbeiten des Masterplans die werb ausgelobt wird, soll die Bevölke- des Berner Inselspitals um vier bis sechs Überbauungsordnung anpassen muss. rung mitreden. Vor Baubeginn muss der Meter auf das Niveau des Stadtbachs Boden saniert werden, von Anfang 2019 aufgeschüttet. In der zweiten Phase wer- bis Herbst 2020. Dagegen sind sechs Ein- den für die einzelnen Bauten Projekt sprachen hängig. Frühester Baubeginn wettbewerbe durchgeführt. Der Baubeginn laut Stadtbehörden: 2021. ist frühestens Anfang 2020. 30 Hochparterre 4 / 18 — Vom Nutzen des Wartens 28-31_Berner_Areale_4_18.indd 30 19.03.18 16:03
4 Alte Feuerwehrkaserne → siehe ‹ Bauen mit System ›, Themenheft von Hochparterre, Mai 2017. 2008 hatten die Bernerinnen und Berner Graf schlägt vor, auch in Bern während der Planungspha- an der Urne einer Zonenplanänderung se auf Bauparzellen und Entwicklungsgebieten temporä- zugestimmt, die den Bau von 21 Wohnun- gen im Hof der Feuerwehrkaserne von res Wohnen zu ermöglichen. Die Idee ist allerdings nicht 1934 vorsah. Ein Investorenwettbewerb ganz neu: Bereits 2014 forderten zwei Stadträtinnen mit sollte über die gesamte künftige Nut- einem Postulat die Anschaffung von mobilen Gebäuden zung des 3000 Quadratmeter grossen Are- für Asylsuchende. « Zwischenwohnen », sagt Kathrin Merz als entscheiden. Früh kündigte die Bau- genossenschaft Central ihr Interesse an. von Modulart, « bedeutet, dass die Bewohner der temporä- Sie wollte eine Überbauung nach dem ren Unterkünfte einen befristeten Mietvertrag von drei bis Vorbild der Zürcher ‹ Kalkbreite › entwickeln. fünf Jahren erhalten – je nach Ort und Umfeld kann das 2014 schloss die Stadt mit dem Verein variieren. » Mögliche Zielgruppen seien Menschen auf der Alte Feuerwehr Viktoria einen Zwischen- nutzungsvertrag ab. Ende 2017 sollte Flucht, aber auch Studierende oder Wochenaufenthalter, der Bau der Wohnungen beginnen. Nach- die nur für eine gewisse Zeit in Bern Wohnraum suchten. dem zuerst zahlreiche Einsprachen ge- Eine Idee, die Daniel Blumer vom Kompetenzzentrum ge- gen die Zwischennutzungen ( Asylunter- meinnütziger Wohnungsbau gefällt: « Mobile Bauten auf künfte, Restaurant, Kulturlokale ) einge- gangen waren, konnten die ersten Nutzer Brachen könnten den Wohnungsmarkt entlasten. » im Februar 2015 dann doch einziehen. Das lange Planen blockiere die Reaktion auf akute In kürzester Zeit wandelte sich die Alte Ka- Raumbedürfnisse, sagt auch Raffael Graf von Bauart. Tem- serne zum Hotspot. Im Frühjahr 2017 poräre Bauten böten in dieser Situation rasch und günstig gab die Stadt bekannt, dass sie auf die Aus- schreibung des Investorenwettbewerbs Raum zum Leben oder Arbeiten. Die temporäre Nutzung verzichte und mit den Zwischennutzern so- lote zudem die Möglichkeiten eines Areals aus wie eine wie mit der Genossenschaft Central, die Testnutzung, um zu erkennen, ob und welche Wohnformen, sich inzwischen zusammengeschlossen kulturelle Durchmischung, Gewerbe und Dienstleistungen hatten, über eine Abgabe des Areals im Baurecht verhandle. ein Ort brauche. Das bereichere nicht nur die Gegenwart, sondern auch das spätere, definitive Projekt. Und nicht 5 Burgernziel zuletzt schüfen Zwischennutzungen einen Humus, in dem Das ehemalige Tramdepot im Burgernziel eine neue Identität auf einem Areal keimen könne. gab die städtische Liegenschaftenver waltung 2008 zur Arealentwicklung frei. 2012 fand ein Architekturwettbewerb Die Zwischenzeit nutzen für das 12 000 Quadratmeter grosse Grund- Modulart stellt deshalb, zuerst einmal für Bern, eine stück statt, den das Projekt ‹ Bärn Ost › Idee zur Debatte siehe ‹ Städtebau-Stammtisch ›: ‹ Inzwischen von DS Architekten aus Basel gewann. Vor- gesehen sind 102 Wohnungen, davon Wohnen › will für fünf bis zehn Jahre eine Ergänzung schaf- ein Drittel für gemeinnützige Wohnbau fen. Sie soll Zielgruppen wie Studierende, Geflüchtete träger, sowie Läden und öffentliche Nut- oder Wochenaufenthalterinnen ansprechen, die vorüber- zungen. Nach einer Volksabstimmung 2015 gehend günstigen Wohnraum benötigen. ‹ Inzwischen Woh- wurde das Baurecht in einem zweistufi- gen öffentlichen Bieterverfahren an die Ge- nen › sei ökonomisch interessant, da zentrales, brachlie- bäudeversicherung Bern und die Wohn- gendes Land genutzt werden kann. Es erzeuge Einnahmen baugenossenschaft Acht vergeben. Wegen für die Stadt Bern. Es trage zur sozialen Nachhaltigkeit der Städtebau-Stammtisch Dienstbarkeiten auf dem Gelände, die Hochparterre organisiert eine Podiums- Stadtentwicklung bei. Und es werte ein Areal auch für die Stadt und Bauherrschaft bei der Planung diskussion über ‹ Inzwischen Wohnen › des Projekts nicht berücksichtigt hatten, Anwohnerinnen auf. ‹ Inzwischen Wohnen › ermögliche es, in Bern. Temporär, unbürokratisch, güns- konnte der für 2016 geplante Baubeginn Nutzungen zu testen. Es konkurrenziere die Planung nicht, tig – sind befristete Bauten während nicht eingehalten werden. Die Stadt sondern bereichere und verbessere sie. « Es geht uns nicht langer Planungen eine Chance für Bern ? geht davon aus, dass der Bau im Herbst Welchen Nutzen sieht die Stadt ? Welche darum, die langen Prozesse zu kritisieren », sagt Kathrin 2018 beginnen kann und die ersten Risiken nennen Projektentwickler ? Und was Wohnungen 2021 bezugsbereit sind. Merz von Modulart, « sondern wir wollen die Diskussion sagen Kenner des Wohnungsmarkts? darüber anstossen, wie diese Zeit genutzt, wie daraus ein Nach thematischen Inputs diskutiert Rahel Wert geschaffen werden kann. » Um die temporären Nut- Marti, Hochparterre, mit Stadtpräsident Alec von Graffenried und weiteren Gästen. zungen unbürokratisch zu regeln, seien klare Fristen, ein Informationen zu Datum und Ort sowie klarer Rahmen für die Nutzungen oder beschleunigte Ver- Anmeldung folgen auf unserer Website: fahren für temporäre Baubewilligungen nötig. ● veranstaltungen.hochparterre.ch RAHMENLOSE WHITEBOARDS Elegant, filigran und stilvoll Gesamtdicke von 4.7 mm mit Klett- oder Magnetbefestigung 28-31_Berner_Areale_4_18.indd 31 19.03.18 16:03
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