VON DER GESUNDHEITLICHEN ZUR ÖKONOMISCHEN KRISE
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ANALYSEN /// COVID-19 vs. Wirtschaft-20? VON DER GESUNDHEITLICHEN ZUR ÖKONOMISCHEN KRISE DANIEL GOTTAL / DAVID STADELMANN /// Die Corona-Pandemie hat Deutschland in die schwerste Rezession seiner Nachkriegszeit gestürzt. Ein historischer Schulterblick zeigt, dass Vergleiche nur bedingt Orientierung geben und fiskalpolitische Maßnahmen wie staatliche Rettungspakete der Wirtschaft nur temporär Linderung verschaffen können. Wie können Auswege aus der (ökonomischen) Krise aussehen? Pandemien sind nicht nur biologische in der Gesellschaft, das zu jedem Zeit- Ereignisse. Sie haben substanzielle Aus- punkt allgegenwärtig ist. wirkungen auf die öffentliche Gesund- SARS-CoV-2 (Severe Acute Respira- heit, die Volkswirtschaft und die Gesell- tory Syndrome Coronavirus 2) ist ein schaft insgesamt. Pandemien und der neuartiges Virus. Es ist hoch infektiös Umgang damit verstärken das allgemei- und kann mit COVID-19 (Coronavirus ne Knappheitsproblem von Ressourcen Disease 2019) einen vielfältigen sowie schweren Krankheitsverlauf verursa- chen. Für die Behandlung sind Res- sourcen auf Intensivstationen und spe- zialisiertes Fachpersonal erforderlich. Pandemien haben Für die Lösung, der durch die Maßnah- SUBSTANZIELLE Auswirkungen auf men zur Eindämmung von SARS- die Volkswirtschaft(en). CoV-2 verursachten ökonomischen und gesellschaftlichen Schäden, müs- sen substanziell notwendige Mittel mo- bilisiert werden. 493/2020 // POLITISCHE STUDIEN 47
Quelle: iStock.com/Anneliese Gruenwald-Maerkl Die unerwartete und weltweite Corona- Pandemie hat neben schwerwiegenden gesundheitlichen Auswirkungen auch gravierende wirtschaftliche Folgen. Das öffentliche Leben kam weitestgehend zum Erliegen.
ANALYSEN Pandemien in der Geschichte rend des Ersten Weltkriegs (1914-1918) Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass war der Anteil der Subsistenzwirtschaft Infektionskrankheiten und Seuchen in- hoch. Es wurden Kartoffelgärten ange- tegraler Bestandteil der menschlichen legt, Holz für Küche und Ofen gehackt Kulturgeschichte sind. Bereits in Ho- sowie Haus- und Hofarbeiten in Eigen- mers Ilias ist zu lesen, dass nicht nur regie erledigt. Diese relativ wenig ver- Krieg, sondern auch die Pest die Archai- netzte sowie arbeitsteilige Bevölkerung er existenziell bedrohte. Die bekanntes- war jedoch ein Jahrzehnt vor der Entde- te Epidemie ist wahrscheinlich die Pest ckung des Penicillins gesundheitlich fra- oder der „schwarze Tod“ (1346 - 1353), gil und aufgrund der schweren Kriegs- welche Europa über die Seehäfen des jahre geschwächt. Maßnahmen gegen Mittelmeers erreichte. Die damaligen die Krise setzten damals daher an der ökonomischen Folgen sind schwer ab- gesundheitlichen und weniger an der schätzbar. Es gibt Hinweise, dass das ökonomischen Seite an. „große Sterben“ angebotsseitig durch Verknappung und Absatzhemmnisse zuerst eine Teuerung und dann einen Preisverfall einläutete. Bei fixen land- wirtschaftlichen Nutzflächen impliziert Krankheiten und Seuchen sind die Logik der malthusianischen Bevöl- integraler BESTANDTEIL der kerungsökonomik jedoch potenziell menschlichen Kulturgeschichte. steigende Pro-Kopf-Einkommen für die überlebende Bevölkerung. Aus der jüngeren Vergangenheit ist vor allem die Spanische Grippe (1918-20) zu erwähnen. Anhand von statistischen Daten aus Preußen, die 186.000 Gestor- Ein Jahrhundert später befinden wir bene auf 10 Millionen Infizierte auswei- uns in einer umgekehrten Situation. Das sen, ergäbe sich eine Letalitätsrate von Gesundheitssystem der westlichen De- knapp 2 %.1 Die Letalität beschreibt da- mokratien ist robuster geworden. Dies bei die Anzahl der verstorbenen Erkrank- hat dazu geführt, dass die Lebenserwar- ten als Anteil der Zahl der (tatsächlich) tung im Zeitverlauf stetig anstieg und erkrankten Fälle, also inkl. asymptoma- somit auch der Anteil der älteren Bevöl- tischer und schwach-symptomatischer kerung. Insgesamt trifft SARS-CoV-2 Fälle, die teilweise gar nicht gemeldet heute eine vergleichsweise alte, aber ge- sind. Die rasche Ausbreitung in mehre- sundheitlich weitgehend resiliente Be- ren Wellen bewegte die damalige Regie- völkerung, die aber in Folge einer fortge- rung in Deutschland zu Schulschließun- schrittenen, globalen Arbeitsteilung gen und das öffentliche Leben stand – und Spezialisierung wirtschaftlich „ver- ähnlich wie heute – weitgehend still. wundbar“ ist, wohlgemerkt auf dem Doch ein historischer Vergleich von höchsten, jemals in der Geschichte ver- SARS-CoV-2 mit anderen Pandemien zeichneten Wohlstandsniveau. hinkt. So traf beispielsweise die Spani- Bei historischen Vergleichen fehlt oft sche Grippe auf eine wirtschaftlich par- die „vergessene“ Hongkong-Grippe tiell autarke Bevölkerung. Noch wäh- Ende der 1960er-Jahre, die damals eine 493/2020 // POLITISCHE STUDIEN 49
ANALYSEN Übersterblichkeit von etwa 40.000 Le- reits zu den Pestwellen im Spätmittelal- ben verursachte. Insgesamt erscheinen ter wurden die Juden der Brunnenver- Bevölkerung und Politik auch eher ver- giftung beschuldigt und als Verantwort- gesslich, selbst was kürzlich relevante liche für die von Flöhen über Ratten Epidemien betrifft. Die Grippewelle verbreiteten Seuchen ausgemacht. Selbst 2017/2018 forderte innerhalb weniger Reichsstädte wie Nürnberg, die den Monate allein in Deutschland über Quellen nach von der ersten Pestwelle 25.000 Tote.2 vollkommen verschont blieben, beteilig- ten sich an den Progromen, um sich Unsicherheit, Politik und wirtschaftlich zu bereichern. Verschwörungstheorien Als im 19. Jahrhundert die Cholera Leider besteht noch immer substanzielle grassierte, wurde schnell an die alte Unsicherheit bzgl. der durchschnittli- Brunnenvergiftungslüge angeknüpft. chen Letalität von COVID-19 wie auch Während der Spanischen Grippe kam über die Sterblichkeit für verschiedene die Vermutung auf, dass es sich dabei Alters- und Risikogruppen. Die nicht um deutsches Gift handeln würde, wel- erfassten asymptomatischen und ches deutsche Agenten, die über U-Boo- schwach-symptomatischen Fälle dürf- te an die amerikanische Ostküste ge- ten nach dem Robert Koch-Institut, auf langt waren, in öffentlichen Gebäuden Basis von Daten aus China, ein Vielfa- aussetzten.6 Als in den 1970er- und ches der gemeldeten Fälle betragen.3 80er-Jahren mit AIDS eine neuartige Das Robert Koch-Institut machte auf- und enorm tödliche Viruserkrankung grund von bestehenden Unsicherheiten auftauchte, war schnell die amerikani- Anfang Juli 2020 noch keine eindeuti- sche Regierung als Verantwortlicher gen Angaben hierzu. Das amerikanische ausgemacht. Während der Corona-Pan- Centers for Disease Control and Preven- demie gerieten neben den „üblichen Ver- tion gab im Juli 2020 in verschiedenen dächtigen“ auch Bill Gates, die Weltge- Planungsszenarien für die Gesamtbe- sundheitsorganisation und 5G-Sende- völkerung eine Letalität von 0,65 % an.4 masten in das Visier der Verschwö- Die Fachzeitschrift Nature präsentiert rungstheoretiker. All diesen Theorien, Schätzungen dazu von 0,6 bis 1 % und die konspirative dunkle Mächte hinter für Deutschland wird eifrig die Heins- den Ausbrüchen vermuten, ist gemein, berg-Studie diskutiert.5 Darüber hinaus dass sie Gruppen, Institutionen und besteht eine große Unsicherheit über die Staaten in den Mittelpunkt stellen, wel- Zahl der zu erwartenden Infektionen che die jeweiligen ökonomischen Herr- bei verschiedenen Politikmaßnahmen schaftsverhältnisse abbilden. sowie Verhaltensanpassungen der Be- völkerung. Viele Verhaltensanpassun- gen der Bevölkerung sind teilweise auch weitgehend unabhängig von der Politik. Diese großen Unsicherheiten drohen Unsicherheit leistet VERSCHWÖRUNGS- kurz- und längerfristig verschiedenen THEORIEN Vorschub. Verschwörungstheorien Vorschub zu leisten. Oft gehen Pandemien und Ver- schwörungstheorien Hand in Hand. Be- 50 POLITISCHE STUDIEN // 493/2020
Die ökonomische Krise Unternehmen aufgrund von staatlichen COVID-19 und die gesetzlichen Maß- Auflagen nur erschwert produzieren nahmen belasten die Wirtschaft stark. können und Dienstleistungen nur in Längerfristige restriktive Maßnahmen eingeschränktem Ausmaß angeboten ziehen große volkswirtschaftliche Kos- werden, verpufft ein Teil der staatlichen ten nach sich. Diese wirken über kurz Nachfragepolitik. oder lang auch negativ auf die Volksge- Wirtschaftspolitische Maßnahmen sundheit, die den Einsatz von Ressour- des Bundes sowie des Freistaates Bayern cen erfordert, die wiederum fortlaufend zielen darauf, wenigstens temporär Lin- neu erwirtschaftet werden müssen. Eine derung zu verschaffen. Sie können auch funktionierende und starke Wirtschaft einen Teil des Nachfrageeinbruchs sta- korreliert auch stark mit einer hohen Le- bilisieren. Die jetzt gesetzten Nachfrage- benserwartung.7 maßnahmen des Bundes übersteigen Infolgedessen wurde auch der Orga- sogar die Ausgaben während der Fi- nismus Wirtschaft infiziert. Je mehr nanzkrise 2008 bereits um ein Vielfa- Unsicherheit hinsichtlich Dauer und ches und auch die Nettokreditaufnah- Schärfe der Maßnahmen herrscht, me Bayerns hat sich substanziell erhöht. desto eher drohen Konkurse, Kredit ausfälle, Banken-, Schulden- und sogar Staatskrisen. „Ansteckungsge- fahr“ sollte nicht nur auf die Gesund- heit der Bürger bezogen werden, son- CORONA trifft die Wirtschaft dern ebenso auf die Gesundheit von sowohl auf der Angebots- wie auf Unternehmen, Finanzdienstleistern, der Nachfrageseite. Staaten und damit der Gesellschaft ins- gesamt. Dies war bereits eine der Leh- ren aus der Finanz- und der daraus re- sultierenden Eurokrise (2010-2012). Die aktuellen Beschränkungen tref- fen die Wirtschaft sowohl auf der Ange- Die Aufrechterhaltung der Höhe der bots- wie auf der Nachfrageseite. Die Staatsausgaben oder deren Erhöhung Produktionsmöglichkeiten der Unter- während der Krise wirkt jedoch nur nehmen werden eingeschränkt, wenn teilweise stabilisierend auf die wirt- die Beschäftigten nicht mehr in vollem schaftliche Aktivität. Wichtige Staats- Umfang arbeiten können, sei es aus leistungen können von den Bürgern nur Krankheit oder aufgrund der mit den beschränkt in Anspruch genommen Maßnahmen verbundenen Einschrän- werden. Der Unterricht an Schulen und kungen und Ängste. Wirtschaftspoliti- Universitäten ist eingeschränkt, die Ki- sche Maßnahmen wie im Zuge der Fi- ta-Nutzung ist komplizierter, Museen nanzkrise (2007-2009), die im Sinne des sind geschlossen und viele Kulturveran- Keynesianismus versuchten, durch anti- staltungen finden nicht mehr oder nur zyklische Geld- und Fiskalpolitik Im- eingeschränkt statt. Während die pulse zu setzen, greifen weniger, wenn Staatsausgaben zwar stabil bleiben oder es neben einer Nachfragekrise auch eine sogar erhöht werden, ist der tatsächli- Angebotskrise gibt. Sprich: Wenn die che Wert der erstellten staatlichen Leis- 493/2020 // POLITISCHE STUDIEN 51
ANALYSEN tungen im Vergleich zu vor der Krise Um auf einen Wachstumspfad zu ge- gesunken. Der effektive wirtschaftliche langen, stellte die Europäische Kommis- und gesellschaftliche Verlust wird also sion am 27. Mai 2020 einen Europäi- teilweise schön gerechnet. Richtig ist: schen Aufbauplan vor. Dabei werden Aufgrund von SARS-CoV-2 sind priva- zwei Ziele verfolgt: Aufstockung des ter Konsum, Investitionen, Exporte, langfristigen EU-Haushalts (2021-2027) aber insbesondere auch der Wert der auf 1.100 Milliarden sowie Verabschie- Staatsleistungen eingebrochen. dung eines 750 Milliarden Euro schwe- Kurz- und mittelfristige Folgen für ren Aufbauinstruments (2021-2024) mit die Wirtschaft sind schwer absehbar dem Namen „Next Generation EU“. und hängen von der Entwicklung der Laut EU-Kommission sollen mehr als gesundheitlichen Krise, aber auch vom 80 % der Mittel in öffentliche Investiti- Verhalten der Regierungen ab. Die Eu- onsprogramme und Strukturreformen ropäische Kommission ging im Juli der einzelnen Mitgliedsstaaten fließen, 2020 von einem massiven Rückgang der die von der Krise am stärksten betroffen Wirtschaftsleistung in der Eurozone in sind und wo der „Resilienzbedarf“ am Höhe von 8,7 % aus.8 Dabei zeigen sich größten ist. Der Plan sieht vor, dass sich Unterschiede zwischen den einzelnen die Staaten auf das Geld mit konkreten Staaten. Für Spanien, Italien und Frank- Plänen bewerben und an wirtschaftspo- reich wird mit Rückgängen des Brutto- litische Empfehlungen der Kommission inlandsprodukts von über 10 % gerech- halten müssen, welche mit den überge- net. Deutschland kommt mit einem Mi- ordneten EU-Zielen Klimaschutz, Digi- nus von 6,3 % vergleichsweise glimpf- talisierung und Modernisierung der lich davon. Auch hier ein Vergleich: Wirtschaft in Einklang stehen. 2009 auf dem Höhepunkt der Weltfi- nanzkrise schrumpfte die deutsche Wirtschaft gerade einmal um rund 5 %. Es dauerte mehrere Jahre, bis sich Deutschland und die Europäische Uni- Die Europäische Kommission legt on (EU) von diesem Schock erholten. einen „WIEDERAUFBAUFONDS“ an. Neben der Wirtschaftsleistung ist zudem die Arbeitslosigkeit betroffen. Hier mangelt es an Transparenz, da der massive Anstieg der Kurzarbeit sich nicht in der ausgewiesenen Arbeitslosig- keit widerspiegelt. Richtig wäre, Unter- Die Corona-Krise hat das Potenzial, beschäftigung insgesamt zu messen, Vieles in der Wirtschaft nachhaltig zu also Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit zu- verändern. Derzeit ist die Antwort der sammen zu analysieren. Für 2021 ist die EU und der meisten Regierungen auf die EU-Kommission noch optimistisch und Krise, Hilfe für möglichst alle Bürger rechnet mit vergleichsweise hohen und Unternehmen über eine Stimulie- Wachstumsraten, natürlich immer unter rung der gesamtwirtschaftlichen Nach- der Annahme, dass es keine zweite Wel- frage mit Ausgabenprogrammen und le an Infektionen und Maßnahmen ge- möglichen Geldspritzen der Zentralbank ben wird. zu leisten. Doch diese Politik könnte 52 POLITISCHE STUDIEN // 493/2020
scheitern. Die anvisierte Hilfe für alle ist Wer die Krankheit hatte, hat gewisse teuer und belastet ebenso alle. Die Nach- Abwehrkräfte. Die aktuelle Evidenz me- fragepolitik zielt angesichts von Ange- dizinischer Forschung legt nahe, dass botsbeschränkungen und grundlegen- nachgewiesene Antikörper ein Korrelat der Unsicherheit ins Leere. Die verpuff- einer gewissen Immunität gegen die ten Staatsausgaben von heute sorgen Krankheit darstellen dürften.9 Immuni- über die hohe Staatsverschuldung für tät kann eine wertvolle Ressource im eine höhere Steuerlast von morgen. Kampf gegen SARS-CoV-2 sein. Sie ist in vielen Branchen wichtig, insbesonde- Wege aus der Krise re in der organisierten und familiären Nach einer ersten Schockphase sind es Pflege, bei intensiven Auslandbeziehun- die Bürger freiheitlich-demokratischer gen und in allen Berufen mit engem Gesellschaften gewohnt, verschiedens- Kundenkontakt. Diese Ressource muss te Güterabwägungen zu treffen. Es daher gesucht und gefunden werden. kommt im Regelfall über die Zeit zu ei- ner Rationalisierung des Diskurses und gesundheitliche, finanzielle, gesamt- wirtschaftliche und andere Risikofak- toren werden vergleichend betrachtet, IMMUNITÄT ist eine wertvolle Waffe sowie gegeneinander abgewogen. Das im Kampf gegen SARS-CoV-2. Ziel wäre eine schnelle Rückkehr zu gu- ten und gesunden wirtschaftlichen, ge- sellschaftlichen und medizinischen Verhältnissen. Angesichts der grundle- genden Ungewissheit kann das aber keine staatliche Planung leisten, denn Dies kann u. a. mit Antikörpertests er- die Zusammenhänge sind zu komplex folgen. Immunisierte sollten wissen, und dynamisch. Daher bedarf es größt- dass sie immun sind, und dies anderen möglicher Flexibilität, Eigenverantwor- glaubwürdig kommunizieren können. tung und einer freiheitlichen Orientie- Ein unzureichender Beobachtungszeit- rungssuche – natürlich bei angemesse- raum von SARS-CoV-2 sorgt noch da- ner sozialer Absicherung. für, dass nachgewiesene Antikörper kei- Aufgrund der starken Belastung der ne Rückschlüsse auf eine Dauer von Wirtschaft sowie der Ungewissheit über über sechs Monaten erlauben. Wir brau- die Zukunft gilt es, zusätzliche Ressour- chen ein verlässliches Zertifikat über cen zu mobilisieren. Bei SARS-CoV-2 nachgewiesene Antikörper oder die Ge- haben sich die Regierungen stark und nesung nach überstandener Krankheit.10 eng auf einzelne Aspekte fokussiert, ins- Mögliche ökonomische Vorteile durch besondere die hohe Zahl der Toten „im ein Immunitätszertifikat können als Zusammenhang mit SARS-CoV-2“ so- Kompensation einer Erkrankung und wie „die Überforderung des Gesund- der damit verbundenen Leiden und Ri- heitswesens“. Bei vielen gesellschaftli- siken angesehen werden. chen Fragen steht normalerweise nicht Die wirtschaftliche Aktivität bleibt nur die Zahl an Todesfällen im Vorder- durch die bestehenden staatlichen Maß- grund. nahmen weiter eingeschränkt, zudem 493/2020 // POLITISCHE STUDIEN 53
ANALYSEN durch die Krise sichtbar und Regierun- gen könnten den Abbau dieser jetzt Der ABBAU von Überregulierungen bereits in Aussicht stellen. Letztlich setzt neue Ressourcen frei. wurde mittels der Krise ebenfalls er- kannt, dass nicht jeder gesellschaftlich proklamierte „Notstand“ auch ein sol- cher ist. /// sind neue bürokratische Auflagen neben regionalen Lockdowns nicht auszu- schließen. Sie wirken wie Regulierun- gen im Allgemeinen negativ auf das Gü- ter- und Dienstleistungsangebot. So führt z. B. eine zu restriktive Regulie- rung im Pharmabereich zu weniger Pharmazeutika, Innovation und einer /// DANIEL GOTTAL Auslagerung der Produktion. Umge- ist Mitarbeiter am Lehrstuhl für Volkswirt- kehrt führt eine Befreiung von Regulie- schaftslehre der Universität Bayreuth und rungen zu einem Produktivitätsschub. Alumnus der Hanns-Seidel-Stiftung. Nicht alle Vorschriften sind notwendi- gerweise überzogen, denn sie haben ja auch eine Schutzfunktion. Trotzdem gilt es, alle diesbezüglichen Aspekte und Konsequenzen für die Bürger zu analy- sieren und durch den Abbau überzoge- ner Regulierungen neue Ressourcen frei zu machen. Bereits eine glaubwürdige Ankündi- gung eines zukünftigen Abbaus von Überregulierung hat einen positiven /// P ROF. DR. DAVID STADELMANN Effekt. Das bietet Chancen für die Zu- ist Professor für Volkswirtschaftslehre an kunft. Viele Verkrustungen wurden erst der Universität Bayreuth. 54 POLITISCHE STUDIEN // 493/2020
Anmerkungen 1 Vasold, Manfred: Pest, Not und schwere Plagen. Seuchen und Epidemien vom Mittelalter bis heute, München 1991, S. 272. 2 Robert Koch-Institut: Bericht zur Epidemiologie der Influenza in Deutschland Saison 2018/19, Berlin 2019, S. 8. 3 Robert Koch-Institut: SARS-CoV-2 Steckbrief zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19), https:// www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_ Coronavirus/Steckbrief.html#doc13776792body Text13, Stand: 10.7.2020. 4 C enters for Disease Control and Prevention: COVID-19 Pandemic Planning Scenarios, https:// www.cdc.gov/coronavirus/2019-ncov/hcp/plan ning-scenarios.html, Stand: 10.7.2020. 5 M allapaty, Smriti: How deadly is the coronavirus? Scientists are close to the answer, in: Nature 582/2020, S. 467-468. Dabei ist zu erwähnen, dass die von Nature zitierte Studie für Deutsch- land im Original eine geschätzte Letalität von 0,36 % angibt (siehe https://doi.org/10.1101/2020. 05.04.20090076, Stand: 6.7.2020), während im Nature Artikel 0,28 % erwähnt werden. 6 Mergel, Klaus: Seuchen und ihre Verschwörungs- theorien, in: Münchner Merkur, 4.6.2020, S. 3. 7 Jetter, Michael / Laudage, Sabine / Stadelmann, David: The Intimate Link Between Income Levels and Life Expectancy: Global Evidence from 213 Years, in: Social Science Quarterly 100/2019, S. 1387-1403. 8 Europäische Kommission: Wirtschaftsprognose Sommer 2020: Noch tiefere und uneinheitliche Rezession, Brüssel 2020. 9 K irkcaldy, Robert D. / King, Brian A. / Brooks, John T.: COVID-19 and Postinfection Immunity: Limited Evidence, Many Remaining Questions, in: JAMA 323/2020, S. 2245-2246. 10 Eichenberger, Reiner / Hegselmann, Rainer / Savage, David A. / Stadelmann, David / Torgler, Benno: Certified Coronavirus Immunity as a Resource and Strategy to Cope with Pandemic Costs, in: Kyklos, im Erscheinen/2020, https://doi.org/10. 1111/kykl.12227 493/2020 // POLITISCHE STUDIEN 55
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