BRENNPUNKT ENDSTATION FLÜCHTLINGSLAGER? - HUNGER AM HORN VON AFRIKA

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BRENNPUNKT

  ENDSTATION FLÜCHTLINGSLAGER?
  HUNGER AM HORN VON AFRIKA
                                                                                  Nr.22 / August 2011

 Mindestens 12,4 Millionen Menschen sind derzeit am Horn von Afrika von einer akuten Hungersnot
 bedroht. Im Süden Somalias liegt der Anteil der Unterernährten in fast allen Regionen bei über 38
 Prozent. Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen schätzt, dass allein dort im August
 5.000 bis 10.000 Menschen an Hunger sterben könnten. In den nächsten Wochen könnte diese Zahl
 auf mehrere 100.000 steigen. Rund ein Viertel der somalischen Bevölkerung ist innerhalb Somalias
 –meist in die Hauptstadt Mogadischu - migriert oder in einem der hoffnungslos überfüllten Flücht-
 lingslager in Äthiopien oder Kenia untergekommen. Auch in Kenia, Äthiopien und Dschibuti steigt
 der Anteil der unterernährten Menschen. In Teilen von Kenia ist inzwischen jedes fünfte Kind unter-
 ernährt, und in Äthiopien - dem Land, das seit der verheerenden Hungerkrise in den achtziger Jahren
 versucht, sein Hungerimage abzustreifen - sind 4,8 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe ange-
 wiesen. Wie konnte es zu dieser Situation kommen? Haben die vorhandenen Frühwarnsysteme ver-
 sagt? Wer ist schuld an der Katastrophe? Und was muss getan werden? Der vorliegende Brennpunkt
 versucht eine Antwort.

Wochenlang verfolgen wir nun schon die er-           Fig. 1: Dürre in Ostafrika
schütternden Bilder vom Horn von Afrika: Lan-
ge Schlangen von müden, abgemagerten Men-
schen, die in einem der Flüchtlingslager in
Kenia oder Äthiopien auf Ihre Registrierung
warten. Verstaubte, ehemals weiße Zelte, deren
Planen vom Wüstenwind geschüttelt werden.
Kinder, die zu schwach sind, sich zu bewegen.
Jenseits der Lager verdorrte Landschaften,
verendetes Vieh. Besonders betroffen von der
Krise ist die Landbevölkerung, vor allem jene
Teile der Bevölkerung, die von kleinbäuerlicher
Landwirtschaft leben. Sie sind mit ihren tradi-
tionellen Überlebensstrategien am Ende und
müssen auf extreme Formen des Umgangs mit
der Katastrophe zurückgreifen. Sie verlassen
ihre Heimatregionen, ihre Familien, Häuser und
Dörfer, müssen Äcker und angestammte Wei-
degebiete brach liegen lassen und sind ge-
zwungen, ihr Vieh und andere Güter unter Wert
zu verkaufen. Die Unterkunft in einem der            Quelle: UN OCHA
Flüchtlingscamps und die Inanspruchnahme
von Nahrungsmittelhilfe bleibt der letzte Aus-       Ursache Klimawandel?
weg. Die Möglichkeit, ihr Leben in Eigenver-         Der offensichtlichste und meist zitierte Auslö-
antwortung zu gestalten, ist damit auf lange         ser der akuten Not sind mehrere schwache bzw.
Zeit zerstört.                                       ausbleibende Regenzeiten in vielen Ländern
                                                     Ostafrikas. Verantwortlich für diese Dürre ist
                                                     nach Meinung vieler Klimaexperten das Klima-

                                                                                                    1
BRENNPUNKT | Hunger am Horn von Afrika

ereignis „La Niña“. Das Phänomen tritt meist        hin durch den Klimawandel um einige Zehntel
in Zusammenhang mit dem bekannteren „El             erhöhten Wassertemperaturen mit „La Niña“
Niño“ auf. Durch Wind und Meeresströmungen          extreme Wetterereignisse noch verstärkt. Die
kühlt sich das Wasser im östlichen Pazifik ab       Dürrekatastrophe wird daher immer wieder
und erwärmt sich im westlichen Pazifik. Die         auch als eine Folge des Klimawandels darge-
Folge sind nicht nur extreme Niederschläge in       stellt.
Asien, Australien und Südamerika wie etwa im
vergangenen Jahr in Pakistan oder dieses Jahr
                                                    Steigende Nahrungsmittelpreise und Kaufkraft-
                                                                                           Kaufkraft-
in Australien, sondern auch höhere Temperatu-
                                                    verlust
ren und ausbleibende Regenfälle an der afrika-
                                                    Aus der Dürre resultierten erhebliche Erntever-
nischen Ostküste.
                                                    luste in den betroffenen Regionen. Die Preise
                                                    für Grundnahrungsmittel stiegen in der Folge
 Frühwarnung ohne Reaktion                          an. In einigen Regionen Somalias liegen die
  Dass es zu dieser Katastrophe kommen wür-         Getreidepreise laut FEWS Net im Vergleich zum
  de, dass sie sogar zu einer der schlimmsten       Vorjahr um 350 Prozent höher. Zusammen mit
  Hungersnöte der vergangenen Jahrzehnte            den hohen Weltmarktpreisen für Nahrungsmit-
  werden könnte, war seit langem bekannt.           tel setzte dies einen fatalen Kreislauf in Bewe-
  Schon seit vergangenem November schlug            gung: Um sich die teuren Nahrungsmittel leis-
  das von der amerikanischen Entwicklungshil-       ten zu können, müssen viele Bauern ihr ohne-
  fe Agentur (USAID) nach der großen Hunger-        hin geschwächtes Vieh verkaufen. Aufgrund des
  katastrophe in Äthiopien Anfang der achtziger     schlechten Zustandes der Tiere und des herr-
  Jahre etablierte Frühwarnsystem „Famine           schenden Überangebots können sie aber nur
  Early Warning Systems Network“ (FEWS Net)         noch einen Bruchteil des ursprünglichen Ge-
  Alarm. Auch die „Food and Agriculture Orga-       winns erzielen. Ihre Kaufkraft sinkt. Das Resul-
  nisation“ der Vereinten Nationen (FAO) warn-      tat: Die Bevölkerung kann sich viele Nah-
  te seit der schwachen Regenzeit im vergan-        rungsmittel nicht mehr leisten. Allein hätte
  genen Herbst vor der drohenden Krise. Sie         dieser Mechanismus allerdings nicht zur Kata-
  rechnete sogar vor, dass jeder Dollar, der        strophe führen müssen. Normalerweise lassen
  angesichts der drohenden Krise rechtzeitig in     sich die hohen Preise durch Handel und Impor-
  die Landwirtschaft investiert werde, zehn         te ausgleichen oder dadurch, dass die staatlich
  Dollar in der Humanitären Hilfe ersetzen          angelegten Nahrungsmittelreserven auf den
  könnte. Trotzdem ist nur wenig passiert. In-      Markt gebracht werden. Allerdings fällt die
  vestitionen in Prävention, obwohl politisch so    Dürre in eine Zeit, in der auch die Weltmarkt-
  viel klüger, sind immer noch keine Selbstver-     preise für Nahrungsmittel in die Höhe geschos-
  ständlichkeit. Das gilt nicht nur für Naturka-    sen sind. Zwischen Juni 2010 und Mai 2011
  tastrophen, sondern auch für bewaffnete Kon-      haben sich die Preise für einige Getreidesorten
  flikte, den Klimawandel und andere vorher-        beinahe verdoppelt. Grund dafür sind neben
  sehbare Extrem-Ereignisse. Erst sehr spät,        Ernteausfällen im Jahr 2010 (besonders in
  nachdem ein Bericht der BBC zum Flücht-           Russland) und restriktiven Exportpolitiken in
  lingslager im kenianischen Dadaab die Welt-       wichtigen Agrarexportländern auch die erhöhte
  öffentlichkeit aufrüttelte, wurden finanzielle    Produktion von Biokraftstoffen und die zuneh-
  Mittel für die betroffenen Menschen bereitge-     mende Finanzmarkt-Spekulation auf Nah-
  stellt. Noch immer sind allerdings die rund       rungsmittel an den Börsen. Ein Ausgleich der
  2,5 Milliarden US Dollar, die das Büro für die    hohen Nahrungsmittelpreise am Horn von Afri-
  Koordinierung Humanitärer Hilfe der UN (UN        ka durch Import von Lebensmitteln ist daher
  OCHA) für die Bewältigung der Krise veran-        kaum möglich. Hinzu kommt, dass die strategi-
  schlagt, noch nicht einmal zur Hälfte finan-      schen Nahrungsmittelreserven der betroffenen
  ziert. Als so genanntes „slow onset disaster“ –   Staaten, sofern sie überhaupt vorhanden waren,
  eine Katastrophe, die langsam einsetzt – zieht    bereits aufgebraucht sind. Äthiopien hatte sie
  die Dürre weniger Aufmerksamkeit auf sich         bereits im Frühjahr angesichts der Unruhen in
  als andere Katastrophen wie etwa eine Flut        Nordafrika auf den Markt gebracht, um ein
  oder ein Erdbeben, die plötzlich auftreten.       „Überschwappen“ der Proteste auf Äthiopien
                                                    zu verhindern. Wegen der hohen Nahrungsmit-
                                                    telpreise hatte es bereits erste Demonstrationen
Ob der Klimawandel das Phänomen „La Niña“           gegeben.
verstärkt, ist unter Experten umstritten. Nach
Einschätzungen des Leibnitz-Instituts für Mee-
reswissenschaften ist es allerdings durchaus
denkbar, dass ein Zusammentreffen der ohne-

                                                                                                   2
BRENNPUNKT | Hunger am Horn von Afrika

Krise ist auch hausgemacht                         der Ertrag um ein Vielfaches gesteigert, aller-
Es wäre falsch, die Ursachen der Krise allein in   dings wurde vor allem in die Entwicklung von
externen Faktoren zu suchen. Die Hungersnot        Hochertragsgebieten investiert. Die Bevölke-
am Horn von Afrika ist zu einem guten Teil         rung in anderen Landesteilen wurde vernach-
hausgemacht. In Somalia gibt es seit Jahrzehn-     lässigt und zunehmend an den gesellschaftli-
ten keine funktionierende Regierung mehr, die      chen Rand gedrängt. Dazu trug auch der Aus-
für Sicherheit und Wohlergehen der Bevölke-        verkauf von Land an ausländische Investoren
rung sorgen könnte. Die in den einzelnen Lan-      entscheidend bei. Sowohl Äthiopien als auch
desteilen herrschenden Clans konnten zwar          Kenia haben große Landareale an Agrarfirmen
vereinzelt staatliche Funktionen übernehmen.       unter anderem aus Indien, China, Saudi Arabi-
Angesichts der Hungerkatastrophe stellen sie       en und den Vereinigten Staaten verkauft, die
sich aber weitestgehend als hilflos heraus. Die    das Land insbesondere für den Anbau von
immer wieder aufflammenden Machtkämpfe,            Pflanzen zur Energiegewinnung und Exportnah-
v.a. zwischen den Al-Shabab Milizen und der        rungsmitteln nutzen. Besonders Kleinbauern
Regierung, verhindern nicht nur eine effektive     verloren bei diesem „Land Grabbing“ aufgrund
politische Antwort auf die Krise, sondern er-      unklarer Landtitel ihre Anbauflächen. Die oft-
schweren auch die humanitäre Hilfe in den          mals von den Investoren versprochenen Jobs
betroffenen Regionen. Besonders die anfängli-      blieben aus oder boten nur wenigen Bauern
che Weigerung der Al-Shabab, ausländische          eine Einkommensquelle.
Hilfslieferungen in von ihnen kontrollierte Ge-
biete zuzulassen, machte eine Versorgung der
                                                   Kleine Schritte in die richtige Richtung
Bevölkerung nahezu unmöglich. Nach dem
                                                   Neben all den Versäumnissen gibt es aber auch
Rückzug der Al-Shabab aus Mogadischu bietet
                                                   kleine Erfolgsmeldungen. Sowohl Kenia als
sich nun erstmals die Chance, einen sicheren
                                                   auch Äthiopien unterhalten Hungernotfallpro-
Hafen für die Flüchtlinge in Somalia zu schaf-
                                                   gramme, die nicht nur Nahrungsmittelhilfe
fen.
                                                   verteilen, sondern auch Kleinbauern mit Saat-
Im WeltRisikoIndex des Bündnis Entwicklung
                                                   gut versorgen. In Kenia wird auch ein Schul-
Hilft, einem Zusammenschluss der fünf Hilfs-
                                                   speisungsprogramm durchgeführt, das sicher-
werke Welthungerhilfe, Brot für die Welt, Mise-
                                                   stellt, dass die Kinder in den Dürregebieten
reor, terre des hommes und Medico Internatio-
                                                   zumindest eine Mahlzeit pro Tag bekommen.
nal, werden auch Äthiopien, Kenia und Dschi-
                                                   Auch ist es in den vergangenen Jahren sowohl
buti als sehr hoch bzw. hoch vulnerabel einge-
                                                   in Kenia als auch in Äthiopien gelungen, den
stuft, d.h. die Anfälligkeit der Gesellschaften
                                                   Zugang zu Wasser zumindest für Teile der Be-
für extreme Naturereignisse ist äußerst groß,
                                                   völkerung erheblich zu verbessern. Allein die
und ihre Bewältigungs- und Anpassungskapazi-
                                                   Welthungerhilfe hat zum Beispiel in Kenia in
täten sind sehr gering. Mit anderen Worten:
                                                   den vergangenen drei Jahren über 350 Wasser-
Alle Länder verfügen nur über ein geringes pro-
                                                   versorgungssysteme gebaut, von denen rund
Kopf-Einkommen, sind durch hohe soziale Un-
                                                   310.000 Menschen profitieren. Auch zahlrei-
gleichheit und breite marginalisierte Bevölke-
                                                   che Projekte zur Förderung der kleinbäuerli-
rungsschichten gekennzeichnet. Die öffentliche
                                                   chen Landwirtschaft haben Früchte getragen.
Infrastruktur ist unzureichend ausgebaut, ins-
                                                   Die Bauern können sich besser gegen die im-
besondere in ländlichen Regionen. Die medizi-
                                                   mer wieder eintretenden Dürren behaupten als
nische Versorgung ist schlecht, die Analphabe-
                                                   vorher. Ein wichtiger Erfolg konnte auch bei der
ten-Rate hoch. Verantwortlich dafür ist nicht
                                                   Förderung der Sesshaftigkeit von Nomaden
zuletzt die schlechte Regierungsführung der
                                                   erzielt werden. Viele Nomaden sind in den ver-
Länder. So gehört Kenia zu den korruptesten
                                                   gangenen Jahren zumindest teilweise sesshaft
Ländern der Welt. Im Corruption Perceptions
                                                   geworden. Sie haben damit einen besseren
Index von Transparency International, der 178
                                                   Zugang zu Bildungs- und Gesundheitseinrich-
Länder auflistet, belegt Kenia Rang 154. Äthi-
                                                   tungen und verfügen so über bessere Bewälti-
opien liegt immerhin auf Rang 116. Trotz der
                                                   gungs- und Anpassungskapazitäten. Obwohl es
zum Teil beträchtlichen wirtschaftlichen
                                                   sich hierbei nur um kleine Entwicklungsschritte
Wachstumsraten in Äthiopien profitieren viele
                                                   handelt, dürften sie doch dazu beigetragen
Teile der Bevölkerung nur wenig.
                                                   haben, dass die Katastrophe in Kenia und Äthi-
                                                   opien weniger Opfer forderte als vergleichbare
Ausverkauf von Land                                frühere Katastrophen.
Zwar wurde zur Lösung der chronisch schlech-
ten Ernährungssituation in den vergangenen         Zentrale Forde
                                                            Forderungen
Jahren sowohl in Äthiopien als auch in Kenia in    Die Komplexität der humanitären Krise am
den Ausbau der Landwirtschaft investiert und       Horn von Afrika erfordert Antworten auf den

                                                                                                 3
BRENNPUNKT | Hunger am Horn von Afrika

unterschiedlichsten Ebenen. Folgende fünf            linge werden sie über Jahre bestehen bleiben.
Forderungen sind aus Sicht der Welthungerhilfe       Es ist daher dringend geboten, ausreichend
besonders zentral:                                   Kapazitäten zu schaffen, um alle Flüchtlinge
                                                     langfristig unterzubringen und zu versorgen.
1. Mehr finanzielle Mittel für die So
                                   Soforthilfe
                                                     Darüber hinaus müssen aber auch Maßnahmen
Nach Angaben der UN sind ca. 2,5 Milliarden
                                                     getroffen werden, die eine Selbstversorgung der
US-Dollar nötig, um die Menschen in Ostafrika
                                                     Flüchtlinge zulassen. Die Regierungen von
vor dem Hungertod zu retten; hiervon ist aber
                                                     Kenia und Äthiopien müssen nicht nur bei der
bisher nicht einmal die Hälfte geflossen. Die
                                                     Bewältigung der Flüchtlingsströme unterstützt,
Zusagen der Bundesregierung von insgesamt
                                                     sie müssen auch dazu aufgefordert werden, den
rund 33 Millionen Euro sind wichtig, aber an-
                                                     Flüchtlingen, die auf absehbare Zeit nicht nach
gesichts der enormen Not kann dies nur ein
                                                     Somalia zurückkehren können, die Möglichkeit
Anfang für akute Nothilfe für die nächsten drei
                                                     einzuräumen, eine Existenz aufzubauen und
Monate sein. Auf der Internationalen Geberkon-
                                                     sich selbst zu versorgen. Dafür müssen sie
ferenz in Addis Abeba am 25. August sollte die
                                                     sowohl Zugang zu Land erhalten als auch das
Bundesregierung Ihre Zusagen noch einmal
                                                     Recht zu arbeiten.
aufstocken. Eine Summe von 100 Millionen
Euro ist angesichts der schweren Notlage an-         4. Kurzfristige Hilfe mit langfristigen Investi-
                                                                                              Investi-
gemessen. Dabei sollte die Bundesregierung                tionen in die Landwirtschaft verbin
                                                                                       verbinden
die Transparenz über die bereit gestellten Mit-      Die Krise am Horn von Afrika ist chronisch.
tel erhöhen und in ihrer Kommunikation klar          Daher müssen die Nothilfemaßnahmen drin-
zwischen „alten“, also bereits früher zugesag-       gend mit langfristigen Maßnahmen verknüpft
ten, und „neuen“ Mitteln für das Horn von            werden, um eine Anpassung an den Klimawan-
Afrika unterscheiden. Angesichts der Tatsache,       del durch Ressourcenschutz und neue Anbau-
dass gerade Nichtregierungsorganisationen            methoden sicherzustellen. Die Unterstützung
(NRO) über direkten Zugang zur Bevölkerung           darf nicht nach der Bewältigung der akuten
verfügen, weil sie gemeinsam mit einheimi-           Krise wieder abflauen. Ungefähr 80 Prozent der
schen Partnerorganisationen in den Gemeinden         Menschen am Horn von Afrika leben von der
und Dörfern arbeiten, sollte ein substantieller      Landwirtschaft. In der Landwirtschaft liegt der
Anteil der Mittel über NRO umgesetzt werden.         Schlüssel zur Schaffung von Ernährungssicher-
                                                     heit. Die Förderung von Landwirtschaft muss
2. Sicherheit für Somalia
                                                     daher stärker priorisiert werden. Dabei ist es
Das Ausmaß der Hungersnot am Horn von Afri-
                                                     unbedingt notwendig, nicht allein in Hocher-
ka hängt maßgeblich mit dem Bürgerkrieg in
                                                     tragsgebiete zu investieren, sondern die Nah-
Somalia zusammen. Eine langfristige Bekämp-
                                                     rungsmittelproduktion zu dezentralisieren und
fung der Ernährungsunsicherheit in der Region
                                                     die Kleinbauern im ländlichen Raum wieder ins
ist nur möglich, wenn Somalia politisch stabili-
                                                     Zentrum der Hilfe zu stellen. Sie müssen lang-
siert werden kann. Die Hungerkatastrophe hat
                                                     fristig auf die Dürreperioden vorbereitet wer-
hier ein Gelegenheitsfenster geöffnet. Die Al-
                                                     den, etwa durch die Einführung von dürreresis-
Shabab Miliz hat einen hohen Legitimationsver-
                                                     tenten Getreidesorten, die Vermittlung von
lust erlitten, der sie zum Rückzug aus Moga-
                                                     Methoden zum Auffangen und Speichern von
dischu zwang. Diese Schwäche sollte politisch
                                                     Regenwasser und die Einführung von gemein-
für eine Lösung des Konfliktes genutzt werden.
                                                     debasierten     Frühwarnsystemen.      Zusätzlich
Dabei muss die Bundesregierung auf Instru-
                                                     muss stärker in die öffentliche Agrarforschung
mente der zivilen Konfliktbearbeitung setzen.
                                                     investiert werden.
Der bereits eingeschlagenen Weg – die Unter-
stützung der Afrikanischen Union im Rahmen           5. Land Grabbing verhindern
ihrer Vermittlungsbemühungen – der auch im           Das derzeitige große Interesse von Staaten und
neuen Afrikakonzept der Bundesregierung ver-         Unternehmen, massiv in die Landwirtschaft zu
ankert ist, ist richtig und sollte weiter verfolgt   investieren, darf nicht in einen Ausverkauf von
werden. Eine erfolgreiche zivile Konfliktbear-       Land und die Benachteiligung der lokalen Be-
beitung am Horn von Afrika erfordert allerdings      völkerung münden. Anstatt das ‚Land Grabbing’
ein deutlich höheres finanzielles Engagement         von Agrarunternehmen zu fördern, sollten die
als bisher. Dafür ist es auch zentral, dass der      Regierungen von Kenia und Äthiopien das
Stellenwert von ziviler Krisenprävention in          günstige Investitionsklima zur Umsetzung neu-
Deutschland insgesamt gestärkt wird.                 er und vor allem nachhaltiger Agrarpolitik nut-
                                                     zen. Sie müssen sicherstellen, dass Investiti-
3. Perspektiven für die Flüchtlinge schaffen
                                                     onsprojekte auf Grundlage sozialer, ökologi-
Die Flüchtlingslager in Kenia und Äthiopien
                                                     scher - aber auch wirtschaftlicher - Wirkungs-
sind keine vorrübergehende Einrichtung. Auf-
                                                     analysen geplant und umgesetzt werden. Nach
grund der mangelnden Perspektiven der Flücht-

                                                                                                    4
BRENNPUNKT | Hunger am Horn von Afrika

dem Grundsatz der „vorherigen, freien und                   Quellen
informierten Zustimmung“ sollten die Analysen
unter Beteiligung der Betroffenen (Bauernorga-
nisationen, indigenen Gruppen, etc.) durchge-               Bündnis Entwicklung Hilft (2011), WeltRisi-
führt werden.1                                              koBericht
                                                            http://www.weltrisikobericht.de
6. Ursachen extremer Nahrungsmittelpreis-
                           Nahrungsmittelpreis-
     schwankungen bekämpfen                                 FEWSNet (2011), Somalia Dekadal Food
Eine der zentralen Ursachen der Hungersnot                  Security and Nutrition Monitoring
am Horn von Afrika sind hohe Nahrungsmittel-                http://www.fews.net/docs/Publications/SO_dekadal2_040
preise. Zu den wichtigsten preistreibenden                  811_final.pdf
Faktoren auf dem weltweiten Nahrungsmittel-
                                                            FIAN (2010), Land Grabbing in Kenya and
markt gehören Kapitalanlagen auf den Roh-
                                                            Mozambique
stoffmärkten, die zunehmende Produktion von                 http://www.rtfn-
Bio-Treibstoffen aus agrarischen Rohstoffen                 watch.org/uploads/media/Land_grabbing_in_Kenya_and_
und Exportrestriktionen seitens der Agrarexport-            Mozambique.pdf
länder. Hinzu kommen hohe Nachernteverluste
in den betroffenen Ländern und mangelnde                    IFPRI (2011), Urgent Actions Needed to
Vorratshaltung.                                             Prevent Recurring Food Crises
Um den negativen Einfluss der Biotreibstoff-                http://www.ifpri.org/sites/default/files/publications/bp016
                                                            .pdf
produktion einzudämmen, müssen Subventio-
nen in diesem Bereich erheblich eingeschränkt
                                                            OCHA (2011), Horn of Africa Drought Crisis,
werden. Die in vielen Ländern üblichen Bei-
                                                            Situation Report No. 7
mischquoten sollten abgeschafft oder wenigs-                http://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/OCH
tens flexibler gehandhabt werden und in nega-               A%20Regional%20Sitrep%20%237%20July%2029%2
tiver Korrelation zu Lücken zwischen Angebot                02011.pdf
und Nachfrage stehen.
Zur Eindämmung der preistreibenden Kapital-
anlagen in Nahrungsmittelmärkten muss die
Bundesregierung ihre politischen Handlungs-                 Autorin
spielräume nutzen. Die Aktivitäten von bran-                Dr. Katrin Radtke
chenfremden Finanzmarktakteuren und speku-                  Referentin Entwicklungspolitik
lativen Anlegern auf den Nahrungsmittelmärk-                und Humanitäre Hilfe
ten müssen nach international verbindlichen                 Deutsche Welthungerhilfe e.V.
Regeln überwacht werden. Dazu gehören die                   Friedrich-Ebert-Straße 1
Umsetzung strenger Berichtspflichten sowie die              D-53173 Bonn
Einführung von Mengen- und Preisbeschrän-                   katrin.radtke@welthungerhilfe.de
kungen. Damit wäre zugleich eine spekulati-                 Tel: +49-228-2288-112
onshemmende Entschleunigung der Finanz-                     Fax:    +49-228-2288-188
marktgeschäfte erreichbar.2

1
  Vergleiche auch Brennpunkt Nr. 8, Land Grabbing
(http://www.welthungerhilfe.de/fileadmin/media/pdf/Brennp
unkte/Brennpunkt_8_Land_Grabbing.pdf)
2
  Vergleiche Brennpunkt Nr. 20, Finanzspekulationen
verschärfen den Hunger
(http://www.welthungerhilfe.de/fileadmin/media/pdf/Brennp
unkte/Brennpunkt_Nr._20_Nahrungsmittelspekulation.pdf)

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