Von Teufeln und Unglücksboten - Reptilien und Amphibien des nördlichen Madagaskar

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Von Teufeln und Unglücksboten - Reptilien und Amphibien des nördlichen Madagaskar
Abb. 1: Charakteristische Granitfelsen in den Regenwäldern Marojejys.
Characteristc granitrocks in the rainforests of Marojejy.                                                            (Foto: Ulrich Zumkier)

              Von Teufeln und Unglücksboten –
    Reptilien und Amphibien des nördlichen Madagaskar
                                                                Philip-Sebastian Gehring

                                                          Artenzusammensetzung und Diversi-         Neubeschreibungen an (MOYNOT
Einleitung                                                tät mit keiner Region der Erde verglei-   & MOYNOT, 2005).
                                                          chen lässt. Ob Frösche, Chamäleons
Als „gelobtes Land der Naturfor-                          oder Schlangen, fast alle Arten kom-      Derzeit sind nicht weniger als 199
scher“, so bezeichnete bereits 1771 der                   men nur hier und sonst nirgendwo          Amphibienarten und 340 Reptilien-
französische Naturforscher Joseph                         vor. Dabei beginnt die Wissenschaft       arten von Madagaskar beschrieben
Philibert Commerson die große Insel                       gerade erst die enorme Artenvielfalt      (GOODMAN & BENSTEAD, 2005),
im Indischen Ozean. Besonders aus                         der Amphibien und Reptilien Mada-         das macht mehr als 4% aller Reptilen-
herpetologischer Sicht ist die Bezeich-                   gaskars zu überblicken. Besonders in      und Amphibienarten der Welt aus.
nung sicherlich mehr als treffend. Auf-                   den letzten 15 Jahren gab es bei der      Dabei sind 99% der Amphibien- und
grund der geologisch frühen Isolation                     Erforschung der madagassischen Her-       96% der Reptilienarten endemisch
von anderen Landmassen und der                            petofauna große Fortschritte (GLAW,       für Madagaskar (GOODMAN &
hohen Anzahl von ökologisch vielge-                       2004), dennoch warten viele Arten         BENSTEAD, 2005).
staltigen Lebensräumen, konnte sich                       noch auf ihre Entdeckung und wissen-
im Laufe der Evolution auf Madagas-                       schaftliche Beschreibung, allein bei      Leider hat Madagaskar neben den
kar eine einzigartige Fauna und Flora                     den Chamäleons stehen in nächster         Superlativen bezüglich der Biodiver-
entwickeln, die sich hinsichtlich ihrer                   Zeit noch zehn wissenschaftliche          sität auch eine beeindruckende Stati-

Zeitschrift des Kölner Zoo · Heft 3/2006 · 49. Jahrgang                                                                               127
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et al., 2000). Der Großteil wird dabei     170 Mio. Jahren begann der Kontinent
                                             von Tieflandregenwäldern und Berg-         Gondwana auseinander zu brechen
                                             regenwäldern in Höhen von 75 bis           (WELLS, 2003). Vor mehr als 130 Mio.
                                             2132 Metern bedeckt. Das Granitge-         Jahren löste sich dann Madagaskar zu-
                                             stein, welches die Berge des Gebietes      sammen mit Indien und den Seychellen
                                             formt, entstammt noch dem einstigen        (Indiagascar), vom gondwanischen
                                             Superkontinent Gondwana und ist            Festland ab und driftete nach Osten.
                                             somit mindestens 160 Millionen Jahre       Madagaskar blieb dann, getrennt durch
                                             alt (Abb. 1). Diese Bergregenwälder        eine 400 km breite Meeresverbindung
                                             zählen zu den artenreichsten der Insel.    (Straße von Mosambique), bis heute
                                             Derzeit sind 149 Reptilien- und            vor der ostafrikanischen Küste liegen.
                                             Amphibienarten aus dem Gebiet              Indien trennte sich vor etwa 86 Mio.
                                             bekannt (RASELIMANANA et al.,              Jahren (WELLS, 2003) von Madagas-
                                             2000), was etwa ein Viertel der Her-       kar und wurde stetig weiter nach
                                             petofauna Madagaskars ausmacht. Da-        Nordosten geschoben, wo es schließ-
                                             von sind 12% endemisch für Marojejy        lich mit dem asiatischen Kontinent
                                             (RASELIMANANA et al., 2000).               kollidierte, was u.a. die Bildung des
                                             Außerdem kommen insgesamt 11               Himalaja-Gebirges verursachte.
                                             Lemurenarten und 79 waldbewoh-
                                             nende Vogelarten (GARREAU &                Durch diese frühe Trennung von Afri-
Abb. 2: Madagaskarleguan (Oplurus cuvieri)
aus Ampijoroa, West-Madagaskar.              MANANTSARA, 2003) in den Wäl-              ka lassen sich einige Besonderheiten
Madagaskar iguana from Ampijoroa,            dern Marojejys vor. Das Marojejy           der Herpetofauna Madagaskars er-
western Madagascar.                          Massiv ist biogeographisch besonders       klären. Biogeographisch weist Mada-
          (Foto: Philip-Sebastian Gehring)   interessant, da dieses unzugängliche       gaskar zwar einige Gemeinsamkeiten
                                             Gebiet eine letzte Rückzugsmöglich-        mit dem afrikanischen Festland auf, so
                                             keit für viele bedrohte und lokal ende-    haben z.B. Chamäleons (Chamaeleo-
stik im Bereich der Zerstörung von           mische Arten bietet. Die menschliche       nidae), Schildechsen (Gerrhosauridae)
Lebensräumen zu verzeichnen. So sind         Besiedlungsgeschichte des Gebietes         und Krokodile (Crocodylidae) dort
bereits mehr als 90% der ursprüng-           lässt sich bis etwa in die Mitte des 19.   ihre nächsten Verwandten, aber viele
lichen Vegetation Madagaskars für            Jahrhunderts zurückverfolgen. 1948         typische Vertreter der afrikanischen
immer verloren (DUFILS, 2003). Pro           entdeckte der französische Naturfor-       Herpetofauna, z.B. Kröten (Bufo-
Jahr gehen etwa 102.000 ha Waldfläche        scher Henri Humbert vom Pariser            nidae), Vipern (Viperidae), Agamen
(DUFILS, 2003), vor allem durch              Naturkundemuseum das Gebiet und            (Agamidae), Eidechsen (Lacertidae)
Brandrodungen, von den Madagassen            erkannte schon damals seine immense        oder Warane (Varanidae) fehlen auf
„Tavy“ genannt, verloren. Auf den            Bedeutung für die Biodiversität Mada-      Madagaskar völlig. Man geht davon
entstanden Freiflächen werden ent-           gaskars. Die Flüsse Androranga und         aus, dass diese typischen „Afrikaner“
weder Reisfelder angelegt oder es            Lokoho, die das Marojejy Massiv            nie auf Madagaskar vorkamen, da sich
wird Weidefläche für die zahllosen           umfließen, stellen einerseits natürliche   Madagaskar bereits vor deren Entste-
Zebuherden geschaffen. „Tavy“ ist ein        Barrieren dar, die zu einer Isolation      hung von Afrika trennte. Der unmit-
fester Bestandteil der madagassischen        und daraus resultierend zu einem           telbare Zugang wurde den Tieren
Kultur, der tief im Jahreszyklus vieler      hohen Lokalendemismus in Marojejy          durch die etwa 400 km breite Meeres-
Bauern verwurzelt ist, so dass es bei        führten, und zum anderen stellen sie       straße von Mosambique verwehrt.
Naturschutzbemühungen oft schwer             eine natürliche Ausbreitungsgrenze         Dennoch kam es im Laufe der Jahr-
fällt, Alternativen für eine nachhalti-      für viele Arten der Ostküstenregen-        millionen immer wieder auch zu Ver-
gen Nutzung der Wälder den ansässi-          wäldern dar (ANDREONE et al.,              driftungsereignissen, so z.B. bei den
gen Bauern zu vermitteln und diese zu        2000). Der endemische weiße Sifaka         Chamäleons, die von Madagaskar aus
realisieren (ERDMANN, 2003).                 (Propithecus candidus), eine der am        das afrikanische Festland besiedelten
                                             stärksten bedrohten Lemurenarten der       (RAXWORTHY et al., 2002).
Im Folgenden sollen einige bemerkens-        Insel ist eine von vielen Raritäten, die
werte Elemente der madagassischen            diese Wälder beherbergen.                  Sehr viel sonderbarer und mysteriöser
Herpetofauna vorgestellt werden. Es                                                     sind die Gemeinsamkeiten zwischen
soll an dieser Stelle kein detaillierter     Der Ursprung der Vielfalt                  Madagaskar und dem weit entfernten
Überblick gegeben werden, da auf-                                                       südamerikanischen Kontinent. So
grund der enormen Artendiversität,           Um die Biogeographie, Zusammenset-         kommen mitten im Hauptverbrei-
dies sicherlich den Rahmen sprengen          zung und den Ursprung der madagas-         tungsgebiet der Agamen (Afrika und
würde. Vielmehr möchte ich anhand            sischen Herpetofauna ein wenig besser      Asien), zwei endemische Leguangat-
der Herpetofauna des Nationalparks           zu verstehen, müssen wir zunächst          tungen (Chalarodon und Oplurus)
Marojejy, im Nordosten Madagaskars,          einen Blick in die Entstehungsge-          (Abb. 2) auf Madagaskar vor. Neben
einige Großgruppen und deren Ver-            schichte der Insel werfen. Madagaskar      den Fidji- und Tonga-Inseln ist Mada-
treter aus den Bergregenwäldern die-         war einst Teil des riesigen „Superkon-     gaskar das einzige Verbreitungsgebiet
ses Gebietes näher vorstellen.               tinents“ Gondwana, der aus den             außerhalb der Neotropen für Leguane
                                             Landmassen des heuten Afrika, Süd-         (Iguanidae). Auch Boas (in zwei ende-
Der National Park Marojejy umfasst ein       amerika, Indien, Australien und der        mischen Gattungen Sanzinia und
Gebiet von 60.150 ha (ANDREONE               Antarktis gebildet wurde. Vor etwa         Acrantophis) und eine Wasserschild-

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krötenart (Erymnocheys madagascari-
ensis) weisen ein solches disjunktes
(aufgespaltenes) Verbreitungsmuster
auf. Während die Herkunft der
Wasserschildkrötenart, aufgrund von
Fossilfunden in Afrika verständlich
erscheint, fehlen fossile Beweise für
Leguane und Boas aus Afrika. Beson-
ders die Herkunft der Boas stellt nach
wie vor ein Mysterium dar. Die Unter-
familie der Boinae, zu denen beide
Gattungen gehören, ist hauptsächlich
in den Neotropen verbreitet, jedoch
auch in Südostasien und dem pazifi-
schen Raum durch die Gattung Can-
doia vertreten. Die Boas Madagaskars
scheinen keine Relikte der Herpeto-
fauna Gondwanas zu sein, da diese
Riesenschlangengattungen wohl erst
nach der Aufspaltung Gondwanas
entstanden sind (GLAW & GLAW,
2004). GLAW & GLAW (2004) ver-
mutet, dass auch im Fall der Boas
Verdriftungsereignisse, in diesem Fall
aus dem südostasiatischen Raum,
ursächlich für deren Vorkommen auf
Madagaskar sind.
                                          Abb. 3: Parsons Chamäleon (Calumma parsonii cristifer) aus der Umgebung von Andasibe,
Die Leguane Madagaskars stellen           Ost-Madagaskar.
jedoch scheinbar echte Relikte der        Parson’s chameleon near Andasibe, eastern Madagascar.   (Foto: Philip-Sebastian Gehring)
einstigen Fauna des Superkontinenten
Gondwana dar, diese Hypothese
wurde auch durch molekulare Daten         sicherlich noch einige spannende Ent-        Chamäleons brächten stets Unheil,
unterstützt (CADLE, 2003a). Durch         deckungen in nächster Zeit erwarten.         und dazu noch ein Chamäleon auf
die Etablierung molekularer Metho-                                                     dem Dach des Dorfältesten – sämt-
den in der organismischen Biologie        Chamäleons – Unglücksboten mit               liche Bewohner des Dorfes würde
zeichnet sich für die Besiedlungsge-      Blick in die Vergangenheit                   gewiss das Unheil ereilen. Und da dem
schichte Madagaskars ein zunehmend                                                     nun einmal so sei, müssten alle
deutlicheres Bild. Aufgrund von Ge-       Chamäleons, oder Tanalahy auf mada-          den „schlechten Ort“ verlassen. Also
meinsamkeiten und Unterschieden in        gassisch, spielen in der spirituellen        zogen sie aus dem Dorfe fort, fest
der DNA-Struktur lassen sich phylo-       Welt vieler Madagassen eine besondere        davon überzeugt, dass dort das
genetische Beziehungen aufstellen, die    Rolle. In einigen Gegenden gelten            Unglück ihrer harre.“
die Besiedlungsgeschichte der Insel       sie als heilig, in anderen werden sie
widerspiegeln. VENCES (2004) geht         als Unglücksboten abergläubisch ge-          Die Bewohner der Masoala-Halbinsel
demnach davon aus, dass Madagaskar        fürchtet. Chamäleons zu missachten,          im Nordosten Madagaskars, fürchten
nicht die oft beschriebene Arche des      heißt die Gesetzte der Ahnen zu              ganz besonders das große Parsons
Superkontinents Gondwana darstellt,       verletzten und sich den Zorn der             Chamäleon (Calumma parsonii parso-
sondern vielmehr durch mehrfache          Lebenden zu zuziehen.                        nii) (Abb. 3), diese Tiere zu berühren
Verdriftungsereignisse der unterschied-                                                ist „Fady“ (Tabu) und bedeutet
lichsten Tiergruppen von Afrika aus       KULIK (1981) berichtet folgende              lebenslanges Unglück. Auch die klei-
besiedelt wurde. Zunächst erreichten      Geschichte, die ihm von einem Mada-          nen Erdchamäleons (Brookesia spp.)
die Neuankömmlinge die trockene           gassen erzählt wurde: „... ich bin jetzt     werden als „ramilaheloka“ (Unglücks-
Westküste Madagaskars, von dort aus       zweiundsechzig (...) doch ich erinnere       boten), gemieden. Wie bereits erwähnt
breiteten sich dann die meisten Tier-     mich noch genau eines Vorfalls, der          ist die Einstellung zu Chamäleons, in
gruppen über die Insel aus und durch-     sich in meinem Heimatdorf ereignete,         den einzelnen Bevölkerungsgruppen
liefen daraufhin dabei besonders in       als ich sieben Jahre alt war. Da war am      Madagaskars, jedoch stark unter-
den Regenwäldern der Ostküste eine        Morgen auf das Dach der Hütte, in            schiedlich. Befreundete Madagassen
enorme Radiation, die zu der heutigen     dem der Dorfälteste wohnte, ein              aus dem Hochland berichteten mir,
Artenvielfalt und den hohen Endemis-      Chamäleon gekrochen. Es saß dort,            dass sie als Kinder mit den
musgrad führte (VENCES, 2004).            ohne jemanden ein Leid zu tun und            Chamäleons spielten und diese nicht
                                          ohne auf den Lärm und Tumult zu              fürchteten. Auch in den Märchen der
Dennoch bleibt die Herkunft vieler        achten, den es durch sein Erscheinen         Merina (eine Bevölkerungsgruppe aus
Tier- und Pflanzenarten Madagaskars       verursacht hatte. Die Leute jedoch,          dem Hochland) spielen Chamäleons
nach wie vor unklar und man kann          die ringsum umherliefen, schrien,            eine eher weise und gewitzte Rolle. So

                                                                                                                             129
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Taktik um ihren Feinden zu entkom-
                                                                                             men. In Marojejy konnte ich bei einer
                                                                                             bisher unbestimmten Brookesia-Art
                                                                                             (vermutlich aus der Brookesia
                                                                                             minima-Gruppe) beobachten, wie sich
                                                                                             das Tier tot stellte (Abb. 5). Diese
                                                                                             Abwehrtaktik (Akinese) ist von meh-
                                                                                             reren Arten der Gattung Brookesia
                                                                                             bekannt (GLAW & VENCES, 1994).
                                                                                             Das gefundene Tier hatte eine Körper-
                                                                                             größe von nicht ganz vier Zentime-
                                                                                             tern. In der Tat ist Brookesia minima
                                                                                             mit einer Körpergröße von gerade
                                                                                             einmal drei Zentimetern eines der
                                                                                             kleinsten Reptilien der Welt. Kleiner
                                                                                             geht es kaum, denn bei dieser Körper-
                                                                                             größe stößt die Minimierung des
                                                                                             Körperbaus bei Wirbeltieren an ihre
                                                                                             unterste Grenze. Dennoch kommen
                                                                                             mit den beiden Zwergfröschen
                                                                                             Stumpffia pygmaea und Stumpffia
Abb. 4: Ein Erdchamäleon (Brookesia griveaudi) aus Marojejy.                                 tridactyla (Kopf-Rumpf-Länge: 10 bis
A leaf chameleon from Marojejy.                                                (Foto: ???)   12 mm!) auf Madagaskar noch kleinere
                                                                                             Wirbeltiere vor.

z.B. in dem Märchen vom Wild-                    meter großen Tiere suchen in der            Die größeren und bekannteren
schwein und Chamäleon, wo es,                    Laubstreu der Regenwälder nach              Chamäleons Madagaskars gehören
analog zu Hase und Igel, um ein Wett-            Nahrung. Sie sind meist unscheinbar         zwei weitern Gattungen an. Die Gat-
rennen geht, welches das trickreiche             braun gefärbt und dadurch schwer im         tung Calumma umfasst 24 Arten von
Chamäleon gewinnt (RAZAFIN-                      Dämmerlicht des Regenwaldbodens             vielgestaltigen Tieren, die neben
DRAMIANDRA, 1988).                               auszumachen. In der Nähe der Hum-           Madagaskar auch auf den Seychellen
                                                 bert Wasserfälle konnte ich einige röt-     vertreten sind. Die phylogentisch
Chamäleons sind auf Madagaskar in                lich gefärbte Exemplare von Brookesia       junge Gattung Furcifer, die neben
drei Gattungen vertreten. Die kleinen,           griveaudi (Abb. 4) finden. Die Tiere        Madagaskar, auch auf den Komoren
meist bodenbewohnenden Erd-                      verfügen entlang des Rückens über           und Maskarenen (und inzwischen
chamäleons der Gattung Brookesia                 eine Reihe kleiner Stacheln die seitlich    auch aufgrund von Verschleppung
(26 Arten), sind endemisch für Mada-             abstehen. Beim Ergreifen winden sich        in Kenia) zu finden ist, wird durch
gaskar. In Marojejy kommen sieben                die Tiere hin und her, so dass sich die     18 Arten repräsentiert. Wie eingangs
Arten der Gattung vor, wobei eine                Stacheln in die Haut des vermeint-          erwähnt, stellen diese Zahlen jedoch
(Brookesia karchei) endemisch für                lichen Angreifers bohren. Andere            eher eine Momentaufnahme der
Marojejy ist. Die nur wenige Zenti-              Brookesia-Arten verfolgen eine andere       bereits beschriebenen Arten dar, die
                                                                                             tatsächliche Artenzahl dürfte in jeder
                                                                                             Gattung noch weit höher liegen. Somit
                                                                                             lebt fast die Hälfte aller Chamäleon-
                                                                                             arten der Welt auf Madagaskar.

                                                                                             Denkt man an Chamäleons, so fällt
                                                                                             einem direkt deren unglaubliche
                                                                                             Fähigkeit zu einem abrupten Farb-
                                                                                             wechsel ein. Nach wie vor hält sich
                                                                                             dabei das Gerücht, die Tiere würden
                                                                                             jede beliebige Färbung eines Hinter-
                                                                                             grundes annehmen. Tarnung ist jedoch
                                                                                             nur eine der Absichten, die das
                                                                                             Chamäleon mit seiner Färbung ver-
                                                                                             folgt. Dabei kann nicht jedes Tier
                                                                                             jede beliebige Färbung annehmen,
                                                                                             vielmehr steht jeder Art, manchmal
                                                                                             sogar nur jedem Individuum, ein
                                                                                             bestimmtes Farbspektrum zu, inner-
                                                                                             halb dessen die verschiedenen Farb-
                                                                                             töne und deren Kombination eine
                                                                                             bestimmte Signalwirkung besonders
Abb. 5: Ein Brookesia spec. in „Totstell-Reflex“, Marojejy.                                  an Artgenossen hat. Das komplexe
A Brookesia spec. feigning death, Marojejy.                         (Foto: Nils Hasenbein)   Farbenspiel der Chamäleons dient

130
Von Teufeln und Unglücksboten - Reptilien und Amphibien des nördlichen Madagaskar
offenbar hauptsächlich der intraspezi-                                                        kleinere Wirbeltiere zu erbeuten. Auf
fischen Kommunikation. In Kombi-                                                              Madagaskar sagt man sich, dass das
nation mit Körperhaltungen und dem                                                            Chamäleon mit seiner schnellen Zunge
Präsentieren bestimmter Körperpar-                                                            bei einigen zu neugierigen Menschen
tien (z.B. des Kehlsacks) stellt dieses                                                       die Augen verletzt habe. Wird ein
Farbspiel ein komplexes Signalwerk                                                            Beutetier erspäht, so wird es mit bei-
dar und kann somit quasi als Sprache                                                          den Augen gleichzeitig anvisiert und
der Chamäleons verstanden werden.                                                             mit tödlicher Präzision per Zungen-
Viele Färbungen lassen auch einen                                                             schuss gefangen. Danach beginnen die
Rückschluss auf das Wohlbefinden                                                              Augen des Chamäleons von Neuem,
eines Tieres zu. So werden manche                                                             unabhängig voneinander, die Umge-
Arten bei Berührung schwarz, ob vor                                                           bung nach Fressbarem abzusuchen.
Zorn oder Angst, darüber lässt sich                                                           Die Fähigkeit gleichzeitig in zwei ver-
nur spekulieren. Ist es dem Tier in der                                                       schiedene Richtungen zu gucken, hat
Sonne zu heiß geworden, so hellt es                                                           den Chamäleons auf Madagaskar den
seine Färbung immens auf und kann                                                             Ruf eingebracht,gleichzeitig in Zukunft
dadurch einen Teil der wärmenden                                                              und Vergangenheit blicken zu können.
Sonnenstrahlung reflektieren.                                                                 So lautet ein gängiger Spruch auf Mada-
                                                                                              gaskar: „Mach es wie das Chamäleon
Doch nicht nur die verschiedenartigen                                                         beim Gehen; schaue nach vorne, doch
Färbungen, sondern auch die verschie-                                                         beachte was hinter Dir liegt!“
                                               Abb. 6: Ein Calumma nasutum, die kleinste
denen, nasenartigen Körperanhänge              Art der Gattung, Marojejy.
wie bei Calumma nasutum (Abb. 6)               A Claumma nasutum, the smallest species of     Einige Chamäleonarten Madagaskars
oder Calumma gallus (Abb. 7) verlei-           the genus, Marojejy.                           sind durch die stetig voranschreitende
hen den Chamäleons ein interessantes,                      (Foto: Philip-Sebastian Gehring)   Lebensraumzerstörung stark gefährdet.
teilweise bizzares Äußeres. Die Männ-                                                         Besonders die Arten, deren Verbrei-
chen von Calumma gallus stellen auf-                                                          tungsgebiet sich auf die schwindenden
grund ihres langen Nasenfortsatzes             optischen Erkennung der männlichen             Regenwälder der Ostküste begrenzt,
eine doch sehr absonderliche Erschei-          Tiere durch die Weibchen dienen                sind hiervon in besonderer Weise be-
nung dar. Über die Funktion und                (BÖHME & KLAVER, 1981;                         troffen. Andere Arten, wie zum Bei-
Bedeutung solcher Nasenfortsätze               NEČAS, 2004).                                  spiel das Pantherchamäleon (Furcifer
kann nur spekuliert werden. Vieles                                                            pardalis) oder das Riesenchamäleon
weist jedoch darauf hin, das sie eine          Der zum Beuteerwerb dienliche                  (Furcifer oustaleti) (Abb. 8), scheinen
Rolle in der innerartlichen Wiederer-          Schussapparat der Chamäleons stellt eine       vom Verschwinden der geschlossenen
kennung und der sexuellen Selektion            einmalige Entwicklung im Tierreich             Waldgebiete zu profitieren. Besonders
spielen. Besonders in den Gebieten,            dar. Dabei kann die mehr als körper-           in offener, lichtdurchfluteter Kultur-
wo sehr ähnlich aussehende Arten               lange Zunge mit einer Geschwindig-             landschaft sind die Tiere teilweise in
sympatrisch vorkommen, wie in                  keit über 20 km/h (STEGEMANN,                  erstaunlichen Populationsdichten an-
diesem Fall Calumma nasutum und                2000) aus dem Maul geschleudert                zutreffen. Eine Populationsschätzung
Calumma gallus in den Regenwäldern             werden, um Insekten, Spinnen oder              von Pantherchamäleons auf der Insel
der Ostküste, könnte die Entwicklung           bei den großen Arten (z.B. Furcifer            Nosy Be an der Nordwestküste, be-
solcher Nasenfortsätze, zur eindeutigen        pardalis, Calumma parsonii) auch               zifferte die Population adulter Tiere

Abb. 7: Der verlängerte Nasenfortsatz gibt den Männchen von           Abb. 8: Ein Riesenchamäleon (Furcifer oustaleti), Nord-Mada-
Calumma gallus ein bizarres Aussehen.                                 gaskar.
The prolonged nose of males from Calumma gallus, causes their bizar   A giant chameleon, northern Madagascar.
appearance.                       (Foto: Philip-Sebastian Gehring)                                     (Foto: Philip-Sebastian Gehring)

                                                                                                                                  131
Von Teufeln und Unglücksboten - Reptilien und Amphibien des nördlichen Madagaskar
Abb. 9: Ein Plattschwanzgecko (Uroplatus sikorae sikorae) ruhend         Abb. 10: Gespenst-Plattschwanzgecko (Uroplatus phantasticus),
am Baumstamm, Ost-Madagaskar.                                            Marojejy.
A leaf-tailed gecko resting on a tree trunk, eastern Madagascar.         A ghost leaf-tailed gecko, Marojejy.
                                      (Foto: Philip-Sebastian Gehring)                                         (Foto: Ulrich Zumkier)

für die nur 25.000 ha große Insel, mit           ist für kaum einem anderen Teil der          Form und Färbung eher an ein welkes
beeindruckenden 1 Millionen Indivi-              Insel nachgewiesen. Die Plattschwanz-        Blatt. Sie verbringen den Tag meist
duen (ANDREONE, 2005).                           geckos stellen mit ihrem bizarren            in Sträuchern oder Gebüschen, wo
                                                 Äußeren sicherlich eines der geheim-         sie sich regungslos an die Zweige
Seelenräuber mit Haftlamellen –                  nisvollsten und interessantesten Ele-        hängen.
Geckos                                           mente der Herpetofauna Madagaskars
                                                 dar. Die ausnahmslos nachtaktiven            Die meisten Arten bewohnen die
„Famocantrata“ – „Das Tier, das gegen            Tiere verbringen den Tag ruhend in           Regenwälder der Ostküste und den
die Brust von Menschen springt“, so              der Vegetation. Die großen Arten, wie        Norden der Insel. Aber auch im Süden
bezeichnen die Madagassen die Platt-             z.B. Uroplatus fimbriatus oder U.            der Insel ist die Gattung durch
schwanzgeckos der Gattung Uropla-                sikorae sikorae (Abb. 9) ruhen meist
tus (MEIER, 1984). Nach Meinung                  kopfüber an Baumstämmen. Die
der Inselbewohner können sich die                Färbung der Tiere, das Muster der
Tiere mit ihren Hautsäumen so fest an            Farben, die konturauflösenden Haut-
einen Menschen haften, dass sie sich             säume entlang des Körpers und der
nur mit einem Rasiermesser entfernen             abgeflachte Schwanz lassen sie beinah
lassen. Gelingt einem dies nicht, so             vollkommen mit den von Flechten
entschwindet das Tier mit der Seele              und Moosen bewachsenden Baum-
des Unglücklichen.                               stämmen verschmelzen. Kaum ein
                                                 anderes Reptil hat die Mimese derart
Die endemische Gattung Uroplatus ist             perfektioniert wie diese Geckos. Diese
auf Madagaskar in mindestens elf                 Tiere in den Wäldern Madagaskars zu
Arten vertreten, weitere Arten erwar-            entdecken ist daher immer wieder ein
ten derzeit eine wissenschaftliche Be-           ganz besonderes Erlebnis.                    Abb. 11: Am Tage sind die Pupillen von
                                                                                              Uroplatus aff. fimbriatus zu kleinen
schreibung. In den Wäldern Marojejys                                                          Schlitzen geschlossen.
lassen sich nicht weniger als acht der           Die kleineren Arten wie Uroplatus            At daytime the pupils of Uroplatus aff.
elf verschiedenen Uroplatus-Arten                phantasticus (Abb. 10), U. ebenaui           fimbriatus are closed to small slits.
finden. Eine solch hohe Artenvielfalt            oder U. guentheri erinnern in ihrer                      (Foto: Philip-Sebastian Gehring)

132
Von Teufeln und Unglücksboten - Reptilien und Amphibien des nördlichen Madagaskar
Abb. 14: Phelsuma lineata, ein sehr anpas-
                                                                                            sungsfähiger Gecko, Ost-Madagaskar.
                                                                                            Phelsuma lineata, a highly adaptable gecko,
                                                                                            eastern Madagascar. (Foto: Nils Hasenbein)

                                                                                            lebhaften Geckos beobachten. Viele
                                                                                            Arten sind als Kulturfolger in den
                                                                                            Städten und Dörfern anzutreffen.
                                                                                            Allerdings gibt es auch einige Arten,
                                                                                            wie z.B. Phelsuma guttata (Abb. 13)
                                                                                            die ihre ökologische Nische in den
                                                                                            Regenwäldern der Insel finden und
                                                                                            mit diesen von der rasanten Abhol-
                                                                                            zung der Insel bedroht sind. Die
                                                                                            Gattung Phelsuma umfasst der Zeit
                                                                                            etwa 37 Arten und Unterarten, deren
                                                                                            Hauptverbreitungsgebiet Madagaskar
                                                                                            ist (BAUER, 2003). Taggeckos sind
Abb. 12: Der Riesen-Plattschwanzgecko (Uroplatus fimbriatus) in der Nacht, Marojejy.        auch auf den Inselgruppen des Indi-
The giant leaf-tailed gecko at night, Marojejy.          (Foto: Philip-Sebastian Gehring)   schen Ozeans (Mauritius, Seychellen,
                                                                                            Komoren etc.) und auf dem afrikani-
                                                                                            schen Festland verbreitet. Phelsumen
U. malahelo vertreten und in den              Im Gegensatz zu den eher unscheinbar          haben nahezu jeden Lebensraum
Trockenwäldern des Westens kann               gefärbten Plattschwanzgeckos präsen-          Madagaskars erobert. Man findet sie
man U. guentheri finden. Uroplatus            tieren sich die tagaktiven Geckos der         sowohl in den Höhenlagen der Ge-
fimbriatus (Abb. 11 und 12) ist mit           Gattung Phelsuma in den schönsten             birge, als auch in den ariden Gebieten
einer Gesamtlänge von bis 30 cm einer         und buntesten Farben. Überall auf der         im Süden Madagaskars. Dabei zeigt
der größten Geckos der Welt. Mit              Insel kann man die attraktiven und            sich exemplarisch am Beispiel der
beginnender Dämmerung werden die                                                            Taggeckos eine generelle biogeogra-
Tiere aktiv und machen sich auf Nah-                                                        phische Besonderheit der Herpeto-
rungssuche. Die schlitzförmige Pupille,                                                     fauna Madagaskars. Es gibt nur sehr
die tagsüber kaum sichtbar ist, öffnet                                                      wenige Amphibien- und Reptilienarten
sich und füllt beinah den gesamten                                                          die über die ganze Insel verbreitet
Augapfel aus. Dadurch ist es den                                                            sind. Im Falle der Taggeckos ist ledig-
Tieren möglich, selbst bei geringstem                                                       lich Phelsuma lineata (Abb. 14) in
Lichteinfall in der Nacht beinah tag-                                                       einem größeren Gebiet verbreitet und
hell sehen zu können. In der Paa-                                                           scheint sehr tolerant gegenüber unter-
rungszeit produzieren die Weibchen 3                                                        schiedlichen Habitatsansprüchen als
bis 4 Gelege meist aus zwei Eiern                                                           auch gegenüber der anthropogenen
bestehend, die bei vielen Arten am                                                          Umgestaltung der Lebensräume zu
Boden abgelegt werden. Nach etwa              Abb. 13: Phelsuma guttata im Regenwald        sein.Die Verbreitung der meisten Arten
zwei Monaten schlüpfen hieraus die            von Marojejy                                  ist jedoch deutlich durch Faktoren
jungen Geckos, die eine perfekte              Phelsuma guttata in the rainforest of         wie jährliche Regenmenge, Höhen-
„Miniausgabe“ ihrer Eltern darstellen.        Marojejy. (Foto: Philip-Sebastian Gehring)    lage, Vegetationstyp, Bodengrund

                                                                                                                                  133
Von Teufeln und Unglücksboten - Reptilien und Amphibien des nördlichen Madagaskar
Abb. 15: Phelsuma pusilla pusilla, Marojejy.
Phelsuma pusilla pusilla, Marojejy.
           (Foto: Philip-Sebastian Gehring)

oder Temperatur eingeschränkt.
Madagaskar bietet auf einem ver-
gleichsweise kleinen Raum eine unge-
heure Vielzahl an unterschiedlichsten
Lebensräumen, an die sich die unter-
schiedlichen Tier- und Pflanzengrup-
pen im Laufe der Evolution anpassten.
Dadurch ist ein Großteil der madagas-
sischen Herpetofauna auf ein kleines
Verbreitungsgebiet beschränkt. Bei
Reisen durch das Land fällt auf, dass
die Zusammensetzung der Herpeto-
fauna sehr abwechslungsreich ist und
jede neue Lokalität ihre Besonder-
heiten bereithält. Man teilt deshalb
auch Madagaskar in fünf große biogeo-
graphische Regionen ein, die jeweils           Abb. 16: Der nachtaktive Großkopfgecko Paroedura aff. gracilis, Marojejy.
eine charakteristische Fauna und Flora         The nocturnal big-headed gecko Paroedura aff. gracilis, Marojejy.  (Foto: Nils Hasenbein)
beherbergen. Dazu gehören die Regen-
wäldern der Ostküste, der aride Süden
mit der typischen sukkulenten Dorn-            westlichen und südlichen Regionen             Sekundärvegetation neben den präch-
buschvegetation, der trockene Westen           Madagaskars liegen permanent im               tig gefärbten Goldstaubtaggeckos
mit seinen saisonal laubabwerfenden            Regenschatten. Nur während des Süd-           (Phelsuma laticauda laticauda) auch
Trockenwäldern, das Hochland Mada-             sommers gelangt durch den Monsun              Phelsuma pusilla pusilla (Abb. 15),
gaskars und der Norden der Insel, wo           Regen in die westlichen Regionen der          Phelsuma quadriocellata ssp. oder
der Regenwald der Ostküste zum                 Insel. Somit mussten sich die Organis-        Phelsuma madagascariensis grandis.
Trockenwald übergeht.                          men an diese starke Saisonalität in
                                               ihrem Lebenszyklus anpassen. Auch             Eine weitere interessante Geckogat-
Gründe für diese Verteilung findet             die Taggeckos der Gattung Phelsuma            tung Madagaskars stellen die Groß-
man, wenn man sich die Insel im                haben sich innerhalb eines langen             kopfgeckos (Paroedura) dar. Die 13
Querschnitt anschaut. Ein Rückgrat             Zeitraums mittels adaptiver Radiation         bekannten endemischen Spezies findet
präkambrischen Gesteins durchzieht             diverse Nischen ihres Lebensraums             man ebenfalls in beinah allen Lebens-
die gesamte Insel von Norden bis               erschließen können und brachten eine          räumen, die Madagaskar zu bieten hat.
Süden mit Höhenlagen bis zu 2876 m             einzigartige Formenvielfalt hervor. In        Es handelt sich um rein nachtaktive
über dem Meeresspiegel. Die feuchte            den Wäldern Marojejys kann man                Tiere, mit einem wuchtigen Kopf und
Luft vom Indischen Ozean, die durch            Phelsuma guttata an der Rinde der             großen Augen. Paroedura gracilis
den Südostpassat nach Madagaskar               großen Urwaldriesen beobachten.               (Abb. 16) ist ein reiner Regenwaldbe-
gelangt, fängt sich an den Bergen der          Außerhalb des geschlossenen Waldes            wohner, der ein großes Verbreitungs-
Ostküste und regnet dort ab. Die               findet man in der lichtdurchfluteten          gebiet entlang der Ostküste aufweist.

134
Von Teufeln und Unglücksboten - Reptilien und Amphibien des nördlichen Madagaskar
Im natürlichen Lebensraum findet
                                                                                             man häufig Geckos, die entweder
                                                                                             keinen Schwanz haben oder ein deut-
                                                                                             liches Regenerat. Ein vollkommen
                                                                                             unversehrtes Tier ist eher die Aus-
                                                                                             nahme (Abb. 18).

                                                                                             Ungefährliche Schönheiten –
                                                                                             die Schlangen Madagaskars

                                                                                             Mit Ausnahme der Seeschlangen, die
                                                                                             in den Küstengewässern Madagaskars
                                                                                             vorkommen, sind die Schlangen
                                                                                             Madagaskars für den Menschen unge-
                                                                                             fährlich. Typische Giftschlangenfami-
                                                                                             lien Afrikas wie die Vipern (Viperidae)
                                                                                             oder Nattern (Elapidae), wie z.B.
                                                                                             Kobras (Naja sp.), kommen auf Mada-
                                                                                             gaskar nicht vor. Die Schlangen der
                                                                                             Insel gehören zu drei Familien,
Abb. 17: Paroedura stumpffi aus Ankarana,     Abb. 18: Phelsuma laticauda laticauda mit
Nord-Madagaskar.                              Schwanzregenerat, Sambava.
                                                                                             den Riesenschlangen (Boidae), den
Paroedura stumpffi from Ankarana, northern    Phelsuma laticauda laticauda with regenerat-   Nattern (Colubridae) und den Blind-
Madagascar.                                   ed tail, Sambava.                              schlangen (Typhlopidae). Die Nattern
           (Foto: Philip-Sebastian Gehring)               (Foto: Philip-Sebastian Gehring)   Madagaskars gehören zu den so
                                                                                             genannten opistoglyphen Nattern, sie
                                                                                             haben ihre Giftzähne weit hinten im
In Marojejy konnten nachts mehrere            den Gecko kurz hinter dem Kopf                 Kiefer, im Unterschied dazu stehen die
Exemplare von Paroedura aff. gracilis         zu packen bekam. Das Abwerfen des              Giftzähne der proteroglyphen Nattern
beobachtet werden. Unter ihnen waren          Schwanzes (Autotomie) stellt für die           (z.B. Kobras) vorne im Oberkiefer. Da
auch einige trächtige Weibchen, deren         meisten Geckos, ähnlich wie bei unse-          die meisten Colubriden Madagaskars
Eier deutlich durch die Bauchdecke zu         ren heimischen Eidechsen, ein Ablen-           Reptilien und Amphibienfresser sind,
erkennen waren. Die Färbung der               kungsmanöver dar, um Fressfeinden              ist ihr Gift auf diese Tiergruppen
adulten Exemplare von Paroedura               zu entkommen. An einer Sollbruch-              spezialisiert und für den Menschen
gracilis scheint sehr variabel zu sein.       stelle, wird der Schwanz amputiert             harmlos. Allerdings liegen für einen
Die Tiere aus den Wäldern im Nord-            und lenkt durch heftige Zuckbewe-              Großteil der Schlangen Madagaskars
osten der Insel unterscheiden sich von        gungen den Fressfeind vom Gecko ab.            keine Untersuchungen zur Giftwir-
anderen, südlicheren Populationen             Abgeworfene Schwänze werden durch              kung auf den Menschen vor (GLAW,
durch zusätzliche schwarze Bänder             Regenerate ersetzt, so dass die Tiere          2004), so dass trotzdem Vorsicht im
und einer stärkeren Auflösung der             nur einen geringen Verlust erleiden.           Umgang mit den Tieren geboten ist.
sonst deutlichen dorsalen Streifen-
zeichnung. Die Iris von Paroedura
gracilis ist tiefschwarz gefärbt, so dass
die Pupille kaum zu erkennen ist.

In den Trockenwaldgebieten der nörd-
lichen Westküste kann man Paroedura
stumpffi (Abb. 17) finden, ein recht
anpassungsfähiger Vertreter der Gat-
tung, da er sowohl in den Trocken-
wäldern als auch in Regenwäldern und
in Sekundärvegetation zu finden ist.
Paroedura stumpffi ist ein Baum- und
Buschbewohner, der jedoch auch
am Boden zu finden ist. Auf Nosy
Komba, einer kleinen, der Westküste
Madagaskars vorgelagerten Insel,
konnte ich beobachten, wie ein juve-
niler Paroedura stumpffi, von einer
Schildechse (Zonosaurus madagascari-
ensis) gejagt und gefressen wurde. Der
Gecko versuchte durch das Abwerfen            Abb. 19: Dromicodryas bernieri beim töten eines Geckos (Uroplatus spec.), Ampijoroa,
seines Schwanzes der Schildechse zu           West-Madagaskar
entkommen, was ihm allerdings nicht           Dromicodyras bernieri killing a gecko, Ampijoroa, western Madagascar.
sehr viel nützte, da der Zonosaurus                                                                        (Foto: Wolfgang Beisenherz)

                                                                                                                                 135
Von Teufeln und Unglücksboten - Reptilien und Amphibien des nördlichen Madagaskar
Abb. 20: Eine wunderschön gezeichnete Stenophis gaimardi ruhend       Abb. 21: Weibchen von Langaha madagascariensis, Ost-Madagaskar.
in einem Bambusrohr, Marojejy.                                        Female of Langaha madagascariensis, eastern Madagascar.
A beautifull coloured Stenophis gaimardi resting in a bamboo tube,
Marojejy.                          (Foto: Philip-Sebastian Gehring)                                            (Foto: Nils Hasenbein)

Der Anteil an Schlangen mit einer              nachtaktiv und die andere Hälfte tag-        der eine unterschiedliche Ausprägung
Spezialisierung auf Echsen als Beute,          aktiv ist. Die nachtaktiven Arten der        bei den Geschlechtern besitzt. Die
ist übrigens im weltweiten Vergleich,          Gattung Stenophis fallen durch ihre          Männchen haben eine spitze, schwert-
bei madegassischen Colubriden ein-             großen, dunklen Augen auf. Diese             förmige Nasenspitze, während die
zigartig (CADLE, 2003). In den                 Schlangen ernähren sich sowohl von           Weibchen eine blattähnliche Struktur
Trockenwäldern des National Parks              Reptilien und Amphibien, als auch            tragen. Diese Fortsätze machen die auf
Ampijoroa im Westen der Insel, konnte          von Jungvögeln, die sie aus Nestern          Beute lauernden Tiere im Busch- und
am Tag eine Dromicodyras bernieri              räubern. In Marojejy konnten wir             Strauchwerk der Regen- und Trocken-
beim Fressen eines Geckos (wahr-               ein wunderschönes Exemplar von               wälder der Insel beinah unsichtbar, da
scheinlich eines Plattschwanzgeckos            Stenophis gaimardi (Abb. 20) tagsüber        sich die Konturen des Kopfes im Blät-
Uroplatus sp.) beobachtet werden               ruhend in einem hohlen Bambusrohr            terwerk auflösen. Unbeweglich harren
(Abb. 19). Nur von den großen                  finden. Durch die schlanke Gestalt,          sie einige Stunden aus und warten auf
Boas (Sanzinia madagascariensis und            ist es dem Tier möglich, seine Beute         eine günstige Gelegenheit um Beute
Acrantophis madagascriensis) und einer         bis in die engsten Schlupfwinkel zu          zu machen. Die Tiere ernähren sich
großen Colubride (Ithycyphus minia-            verfolgen.                                   fast ausschließlich von Echsen, wobei
tus) wurde dokumentiert, dass sie auch                                                      auch Insekten und junge Mäuse auf
Lemuren erbeuten (GOODMAN,                     Sehr weit verbreitet und oft zu beob-        dem Speiseplan der etwa Bleistift
2003). Die Schlangen der Gattung               achten sind die Hakennasennattern            dicken Schlangen stehen (KUCH-
Ithycypus sind gut durch ihre lange,           (Leioheterodon sp.). Die größte Art          LING, 2003; GLAW & VENCES,
schlanke Gestalt und Färbung zu cha-           der Gattung, Leioheterodon madagas-          1997).
rakterisieren. Sie haben einen hellen          cariensis, erreicht eine Länge von bis
Kopf und einen dunklen, mitunter               zu 1,50 m und zeigt ein wunderschö-          Einzigartige Vielfalt –
dunkelroten Schwanz und werden von             nes Schachbrettmuster aus Gelb und           die Frösche Madagaskars
den Madegassen als „Fandrefiala“               Schwarz. Die Tiere konnten wir
besonders gefürchtet. Aufgrund der             sowohl in den intakten Regenwäldern          Mit derzeit über 230 beschriebenen
Färbung heißt es, dass die Tiere in            Marojejys finden als auch in der land-       Froscharten (GLAW & VENCES,
Bäumen Menschen und Zebus (die                 wirtschaftlich genutzten Sekundär-           2003) und einem Endemitenanteil von
Höckerrinder Madagaskars) auflauern            vegetation an der Westküste der Insel.       99%, ist Madagaskar eines der wich-
und sich bei einer guten Gelegenheit           Das Nasenschild der Schlangen wird           tigsten Zentren für die Diversität
wie ein Pfeil vom Baum stürzen und             dazu genutzt, um im Boden nach               dieser Tiergruppe weltweit, kaum ein
ihr unglückliches Opfer mit dem                Reptilieneiern oder vergrabenen              anderes Land kann eine so hohe
Schwanz voran aufspießen (GLAW &               Amphibien zu suchen.                         Artenvielfalt aufweisen. Auf wenigen
VENCES, 1997). Die rote Färbung                                                             Quadratkilometern können bis zu
des Schwanzes wird als Zeichen des             Die wohl skurrilsten Schlangen Mada-         hundert verschiedene Arten leben
Blutes ihrer Opfer angesehen.                  gaskars gehören der Gattung Langaha          (GLAW, 2004). Zum Vergleich: in
                                               an (Abb. 21). Eine endemische                ganz Europa finden wir nur 41 Arten
Die Colubriden stellen die arten-              Gattung mit insgesamt drei Arten (L.         von Froschlurchen. Die Herkunft und
reichste Schlangenfamilie Madagaskars          madagascaiensis, L. alluaudi und L.          Ursache für diese hohe Artenvielfalt
dar, mit 18 Gattungen und derzeit              pseudoalluaudi). Diese tagaktiven            und für den zugleich enorm hohen
75 beschriebenen Arten (CADLE,                 Schlangen haben an der Schnauzen-            Anteil an endemischen Arten ist
2003b), wovon etwa die Hälfte                  spitze einen blattähnlichen Anhang,          Gegenstand vieler aktueller Unter-

136
suchungen (z.B. VENCES et al., 2003;
SCHAEFER et al., 2002). Tatsächlich
gelang es erstmals anhand der mada-
gassischen Amphibienfauna nach-
zuweisen, dass auch Frösche über das
Meer verdriftet werden können
(VENCES et al., 2003). Bisher wurde
angenommen, dass die Haut der
Amphibien zu empfindlich gegenüber
Salzwasser sei, so dass die Tiere eine
mögliche Verdriftung über das Meer
nicht überleben würden. Anhand
molekularer Verwandschaftsbezie-
hungen, zwischen afrikanischen und
madagassischen Arten sowie an Frö-
schen der benachbarten Seychellen
und Komoren, konnte gezeigt werden,
dass es hier mehrfach zu Verdriftungs-
ereignissen gekommen sein muss, die
zu der heutigen biogeographischen
Verteilung der untersuchten Gattun-
gen führte (VENCES et al., 2003).

Die endemische Gattung der madagas-        Abb. 22: Der Madagaskar-Riedfrosch, Heterixalus madagascariensis, Ost-Madagaskar.
sischen Riedfrösche (Heterixalus)          The Madagascar tree frog, Heterixalus madagascariensis, eastern Madagascar.
umfasst zehn Arten von kleinen bis                                                                                      (Foto: ???)
mittelgroßen, nachtaktiven Fröschen.
Von den farbenprächtigen Tieren
bewohnen die meisten den feuchten,         weisen. Höchstwahrscheinlich haben             Tiere, wie z.B. Boophis madagascarien-
östlichen Teil Madagaskars. Typische       die großen Augen auch Johannes                 sis (Abb. 23) in den Blattachseln von
Lebensräume sind offene, sonnen-           Jakob von TSCHUDI 1838 dazu                    Panadanusbäumen oder in hohlen Bam-
beschienene Feuchtgebiete (GLAW            gebracht die Gattung Boophis, im               busröhren. Boophis madagascariensis
& VENCES, 1997). Lebensräume, die          Sinne von „kuhäugig“ (= Boops                  ist einer der größten Vertreter der Gat-
aufgrund der intensiven Reiswirt-          [griech.]), zu nennen (GLAW, 2004).            tung mit über 10 cm Gesamtlänge
schaft der Madagassen, besonders im        Geht man nachts durch den Wald von             (CADLE, 2003c). Die adulten Tiere
Nordosten der Insel, reichlich vor-        Marojejy so ist die Atmosphäre erfüllt         zeigen eine bräunliche-rote Färbung,
handen sind. Den Tag verbringen die        von den Rufen der vielen verschiedenen         während die frisch metamorphisierten
Tiere meist schlafend in großblättrigen    Froschmännchen. Tagsüber ruhen die             Jungtiere eine grünliche Grundfärbung
Pflanzen, wie Bananenstauden oder
Pandanusbäumen. Oft kann man die
schlafenden Tiere in der prallen Sonne
finden. Heterixalus madagascariensis
(Abb. 22) ist tagsüber auf der Oberseite
leuchtend weiß gefärbt, um möglicher-
weise die Sonnenstrahlen zu reflektie-
ren. Nachts werden die Frösche aktiv
und Rufe der Männchen sind in großer
Zahl zu vernehmen. In Marojejy
konnten wir neben Heterixalus mada-
gascariensis auch H. betsileo entlang
der Reisfelder, die den Park umgeben,
finden.

Die zur Familie der Raniden gehörende
Gattung Boophis ist eine der arten-
reichsten Froschgattungen Madagas-
kars. Die meist aborealen (mit zwei
Ausnahmen), nachtaktiven Frösche
sind ebenfalls hauptsächlich in den
feuchten Gebieten der Ostküste
Madagaskars zu finden (GLAW &
VENCES, 1997). Auffälliges Merkmal
der Tiere sind die großen Augen, die       Abb. 23: Weibchen des nachtaktiven Baumfrosches Boophis madagascariensis, Ost-Madagaskar.
auf die nachtaktive Lebensweise hin-       Female of the nocturnal tree frog Boophis madagascariensis, eastern Madagascar.
                                                                                                       (Foto: Philip-Sebastian Gehring)

                                                                                                                                  137
Männchen erbaut, die dann Weibchen
                                                                                             anlocken, damit diese ihre Eier in die
                                                                                             vorbereiteten Nester legen. In den
                                                                                             Nestern entwickeln sich die Kaul-
                                                                                             quappen ohne Nahrung bis zur Meta-
                                                                                             morphose (GLAW, 2004).

                                                                                             Generell sind die vielfältigen Repro-
                                                                                             duktionsstrategien der einzelnen
                                                                                             Froscharten Madagaskars sehr inte-
                                                                                             ressant, besonders auch unter dem
                                                                                             Aspekt, dass, wenn man weltweit die
                                                                                             Reproduktionsstrategien tropischer
                                                                                             Anuren miteinander vergleicht. Es
                                                                                             bestehen auffällige Gemeinsamkeiten,
                                                                                             obwohl die einzelnen Gattungen und
                                                                                             Familien nicht besonders nah mitein-
                                                                                             ander verwandt sind. Vergleichbare
                                                                                             ökologische Bedingungen und Selek-
                                                                                             tionskräfte scheinen jedoch auch zu
                                                                                             vergleichbaren optimalen Reproduk-
                                                                                             tionsstrategien zu führen. So werden
                                                                                             auf Madagaskar kleine Mini-Tümpel,
Abb. 24: Der perfekt getarnte Mantidactylus fimbriatus, Marojejy.                            so gennante Phytotelmata, z.B. in
The perfectly camouflaged Mantidactylus fimbriatus, Marojejy.                                Blattachseln der stacheligen Pandanus-
                                                                               (Foto: ???)   pflanzen (Pandanus sp.) als Aufzucht-
                                                                                             becken von den Fröschen genutzt. In
                                                                                             den Neotropen nutzen die Frösche
zeigen. Dieser starke Unterschied in            Doch auch tagsüber bilden die rufen-         hauptsächlich die Blattachseln epiphy-
der Färbung führte dazu, dass die               den Frösche die typische Geräusch-           thischer Bromelien für die Jungenauf-
Jungtiere zunächst als eine eigene Art          kulisse der östlichen Regenwälder.           zucht. Aufgrund dieses Reproduk-
beschrieben wurden (PRESTON-                    In der Laubstreu findet man z.B. die         tionsmodus wurden einige Arten der
MAFHAM, 1991).Andere Froscharten,               winzigen Frösche der Gattung                 Gattung Mantidactylus, zu der Unter-
ruhen tagsüber gut getarnt, ähnlich             Stumpffia (Abb. 25), deren zwei Arten        gattung Pandanusicola zusammenge-
wie die Plattschwanzgeckos (Uropla-             Stumpffia pygmaea und Stumpffia tri-         fasst. Zu dieser Gruppe gehört auch
tus sp.), an den Stämmen der Urwald-            dactyla, wie bereits erwähnt zu den          Mantidactylus bicalcaratus (Abb. 26),
bäume. Mantidactylus fimbriatus                 kleinsten Wirbeltieren der Welt              den wir regelmäßig in den Blattachseln
(Abb. 24) hat an seinen Vorder- und             zählen. Die Tiere legen ihre Eier in         von diversen Panadanusarten finden
Hintergliedmaßen Hautzipfel ausge-              Schaumnester am Boden des Regen-             konnten. Diese Frösche zeigen außer-
bildet, die ihn perfekt mit dem von             waldes ab, eine Einzigartigkeit inner-       dem ein sehr interessantes Fortpflan-
Moosen und Flechten überwucherten               halb der Familie der Mikrohylidae.           zungsverhalten. Nachdem die Paarung
Untergrund verschmelzen lassen.                 Die Schaumnester werden von den              erfolgreich beendet ist und die etwa 45

Abb. 25: Einer der kleinsten Frosch-Arten Madagaskars (Stumpffia      Abb. 26: Der Pandanus bewohnende Mantidactylus bicalcaratus.
spec.), Marojejy.                                                     The Pandanus dwelling Mantidactylus bicalcaratus.
On of Madagascar’s smallest frog species, Marojejy.
                                   (Foto: Philip-Sebastian Gehring)                                    (Foto: Philip-Sebastian Gehring)

138
suchungen weiß man heute jedoch,
                                                                                              dass es sich um nicht miteinander ver-
                                                                                              wandte Gruppen handelt, sondern
                                                                                              hier tatsächlich ein beeindruckender
                                                                                              Fall von unabhängiger, konvergenter
                                                                                              Entwicklung vorliegt (SCHAEFER et
                                                                                              al., 2002). Die kleinen (18 bis 38 mm
                                                                                              langen), tagaktiven Frösche leben
                                                                                              meist in der Laubstreu der Regenwäl-
                                                                                              der oder in angrenzenden Feucht-
                                                                                              und Sumpfgebieten Madagaskars
                                                                                              (STANISZEWSKI, 2001). Mantella
                                                                                              betsileo lässt sich jedoch auch in den
                                                                                              trockenen Gebieten Südwestmadagas-
                                                                                              kars finden. Die Tiere ernähren sich
                                                                                              von kleinen Insekten und besonders
                                                                                              auch von Ameisen und Termiten
                                                                                              (GLAW & VENCES, 1997). Diese
                                                                                              Ernährungsweise ist analog zu den
                                                                                              Dendrobatiden Südamerikas Grund
                                                                                              dafür, dass sich Giftstoffe, die über die
                                                                                              Ameisen aufgenommen wurden, in
                                                                                              der Haut der Tiere ansammeln und
Abb. 27: Mantidactylus pulcher. Diese Frösche leben und reproduzieren hauptsächlich in den
                                                                                              zu deren Hautgift führen. Die Bunt-
großen Pandanus-Pflanzen.                                                                     frösche Madagaskars erreichen dabei
Mantidctylus pulcher. These frogs live and reproduce mainly in the big Pandanus-plants.       zwar nicht so eine extreme Giftigkeit,
                                                                     (Foto: Nils Hasenbein)   wie manche Südamerikanischen Pfeil-
                                                                                              giftfrösche, dennoch kann ein Kontakt
                                                                                              mit den Tieren durchaus zu lokalen
befruchteten Eier am Rande eines was-          dae) und den madagassischen Bunt-              Schwellungen der Haut führen.
sergefüllten Trichters abgesetzt sind,         fröschen der Gattung Mantella beein-           Derzeit sind 15 Arten der Gattung
bewacht eines der Elterntiere das Ge-          druckend. Noch bis vor kurzem ging             Mantella beschrieben, dazu gehört
lege für einige Tage, um es gegen Fress-       man davon aus, dass beide Gruppen              auch das berühmte Madagaskar Gold-
feinde zu beschützen (LEHTINEN,                sehr eng miteinander verwandt seien.           fröschen (Mantella aurantiaca), aus
2003). Diese zweigeschlechtliche Ge-           Zu groß waren die Gemeinsamkeiten              der Umgebung von Andasibe. Die
legebewachung war bisher nur von               in der Färbung, der Ernährung, der             Goldfröschchen sind nur in einem
drei anderen Anurenarten (Cophixalus           Lebensweise und der starken Haut-              sehr kleinen Gebiet im madagassi-
parkeri, Eleutherodactylus alticola,           gifte. Durch neuere molekulare Unter-          schen Hochland verbreitet und dort
Eleutherodactylus johnstonei) bekannt
gewesen. Neben Mantidactylus bicalca-
ratus, konnten wir in den Blattachseln
der Pandanus, den wunderschön
gefärbten Mantidactylus pulcher fin-
den (Abb. 27). Wiederum andere
Mantidactylus-Arten legen ihre Eier
ebenfalls außerhalb des Wassers ab. So
konnten wir z.B. Gelege finden, die in
einer schleimigen Substanz gehüllt an
Blättern über Gewässern hingen
(Abb. 28). In diesen Gelegen ent-
wickeln sich in den Eiern die Kaul-
quappen, die kurz nach dem Schlupf
durch den nächsten Regen in das
Gewässer gespült werden. Eine Art
der Reproduktion, wie sie ebenfalls
von den nicht madagassischen Frö-
schen der Familie der Laubfrösche
(Hylidae) bekannt ist.

Neben konvergenten Entwicklungen
in der Art der Reproduktion, ist
besonders die konvergente Entwick-
lung zwischen südamerikanischen                Abb. 28: Ein Frosch-Gelege an einem Blatt, oberhalb eines kleinen Tümpels.
Pfeilgiftfröschen (Familie Dendrobati-         A clutch from a frog deposited on a leaf above a small pool.        (Foto: Nils Hasenbein)

                                                                                                                                    139
meist auf Sumpf- und Moorgebiete             enthalten. HEYING (2001) beob-          Wert, da man hier Grundprinzipen der
beschränkt. Durch die anhaltende             achtete bei einer Studie einer M.       Evolution, der Biogeographie, der
Biotopzerstörung sind sie in ihrem           laevigata Population auf Nosy Man-      Besiedlung und Anpassung exem-
Bestand als stark gefährdet einzustufen.     gabe, dass Weibchen ohne männliche      plarisch untersuchen kann. Bleibt zu
                                             Geschlechtspartner, die bereits durch   hoffen, dass die wenigen Reste dieser
In Marojejy konnten wir in einem             eine Kaulquappe besetzten Mini-         weltweiten Einmaligkeit erhalten
kleinen Bambushain Mantella laeviga-         Tümpelchen aufsuchen und dort           bleiben.
ta (Abb. 29) beobachten. Diese Man-          zusätzliche unbefruchtete Eier ableg-
tella-Art ist besonders interessant auf-     ten. Kurz darauf begann die Kaul-       Zusammenfassung
grund ihrer Reproduktionsstrategie,          quappe die Eier zu verspeisen. Diese
die einmalig innerhalb der Gattung ist.      Art der Brutpflege ist eine weitere     Im vorliegenden Artikel werden einige
Mantella laevigata ist die einzige           erstaunliche Gemeinsamkeit zu den       typische Elemente der Herpetofauna
Mantella-Art, die neben den Anpas-           südamerikanischen Dendrobatidae.        des nördlichen Madagaskars vorge-
sungen an die terrestrische Lebenswei-       Aber auch die ausgeprägte Territoria-   stellt. Das Gebiet, das der National-
se, auch sehr gut klettern kann, da die      lität der Männchen von Mantella         park Marojejy im Nordosten der Insel
Tiere über stark verlängerte Finger-         laevigata, die sogar zu Kämpfen zwi-    umfasst, steht hier als Beispiel für
glieder verfügen. Aufgrund dieser            schen den Rivalen führt, lassen sich    die charakteristische Unterteilung
Fähigkeit haben die Tiere auch die           in die lange Liste der Gemeinsamkei-    Madagaskars in unterschiedliche bio-
Eiablage in die Höhe verlagert. Die          ten und konvergenten Entwicklungen      geographische Regionen. Es wird eine
Weibchen von Mantella laevigata              zwischen madagassischen Buntfrö-        Auswahl an Arten aus verschiedenen
platzieren ihre einzelnen Eier in            schen (Mantella) und mittel- und        Ordnungen und Familien mit Angaben
Phytotelmata oberhalb der Urwald-            südamerikanischen Pfeilgiftfröschen     zum Verhalten, der Biogeographie und
bodens in Baumhöhlen oder hohlen             (Dendrobatidae) einreihen.              bevorzugten Habitaten vorgestellt
Bambusröhren (HEYING, 2001).                                                         und Angaben zur kulturellen Bedeu-
Daher erklärt sich auch ihr Trivial-         Die lange Isolation Madagaskars von     tung und Verwurzelung der Tiere im
name „Bambus-Mantella“. Ein großes           anderen Landmassen und die Vielge-      Leben der Bevölkerung gemacht.
Problem, vor welches die Tiere gestellt      staltigkeit an Lebensräumen haben auf   Dabei werden exemplarisch an unter-
sind, ist die Tatsache, dass diese           Madagaskar zu einer einmaligen          schiedlichen Gruppen die Besonder-
Phytotelmata meist sehr nährstoffarm         Fauna und Flora geführt. Nicht nur      heiten und möglichen Ursachen der
sind und kaum etwas Fressbares für           für Biologen ist die große Insel im     einmaligen Zusammensetzung und
die heranwachsenden Kaulquappen              Indischen Ozean von unschätzbarem       Biodiversität der Insel diskutiert.

Abb. 29: Mantella laevigata, das Bambus-Buntfröschchen. Marojejy.
Mantella laevigata, the bamboo Mantella. Marojejy.                                                    (Foto: Nils Hasenbein)

140
Summary                                         DUFILS, J.-M. (2003): Remaining Forest           MOYNOT, G. & A. MOYNOT (2005): A
                                                Cover. – S. 88-96 in GOODMAN, S. M. &            Fieldguide to the Chameleons of Madagas-
The article at hand describes typical           J. P. BENSTEAD (Hrsg.): The Natural              car. – Aiza? Édition, Antananarivo, 100 S.
elements of northern Madagascar’s               History of Madagascar. The University of         NAGY, Z. T., U. JOGER, M. WINK, F.
herpetofauna. The area of the Maro-             Chicago Press, Chicago, 1737 S.                  GLAW & M. VENCES (2003): Multiple
jejy National Park in northeastern              ERDMANN, T. K. (2003): The Dilemma of            colonization of Madagascar and Socotra by
Madagascar is taken as an example of            Reducing Shifting Cultivation. – S. 134-139      colubrid snakes: evidence from nuclear and
the typical division of Madagaskar in           in GOODMAN, S. M. & J. P. BENSTEAD               mitochondrial gene phylogenies. – Proc. R.
distinct biogeographical regions. A             (Hrsg.): The Natural History of Madagascar.      Soc. Lond. B 270: 2613-2621.
selection of species from different             The University of Chicago Press, Chicago,        PRESTON-MAFHAM, K. (1991): Mada-
orders and families is introduced and           1737 S.                                          gascar: A Natural History. – Facts on File,
information on behaviour, biogeogra-            GARREAU, J.-M. & A. MANANTSARA                   New York, 224 S.
phy and preferred habitats is given.            (2003): The Protected-Area Complex of the
Furthermore cultural aspects and be-                                                             RASELIMANANA, A. P., C. J. RAX-
                                                Parc National de Marojejy and the Réserve        WORTHY & R. A. NUSSBAUM (2000):
liefs of the population about different         Spécial d’Anjanaharibe-Sud. – S. 1451-1458
animals are presented. The specifics                                                             Herpetofaunal species diversity and elevatio-
                                                in GOODMAN, S. M. & J. P. BENSTEAD               nal distribution within the Parc National de
and possible reasons for the extra-             (Hrsg.): The Natural History of Madagascar.
ordinary composition and biodiversity                                                            Marojejy. – S. 157-174 in A floral and faunal
                                                The University of Chicago Press, Chicago,        inventory of the Parc National de Marojejy,
of the island are exemplarily discussed         1737 S.                                          Madagascar: With reference to elevational
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                                                                                                                                          141
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