VORTEILE DAS BACKSTEIN-MAGAZIN - RAHMEN UND BÜHNE - Fritz-Höger-Preis
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
AUSGABE 21 DEUTSCHLAND 4,80 EUR | ÖSTERREICH 5,60 EUR | SCHWEIZ 9,20 CHF www.backstein-magazin.de VOR TEILE DAS BACKSTEIN-MAGAZIN RAHMEN UND BÜHNE Die neue Arbeitskultur-Redakteurin Christina Gräwe spricht mit William Mann über die neue Arbeitskultur und welchen Beitrag Architektur dazu leistet. DIE BESTEN BÜRO- UND GEWERBEBAUTEN AUS BACKSTEIN Fritz-Höger-Preis für Backstein-Architektur
INHALT 4 RAHMEN UND BÜHNE 28 DIE FARBE DES FEUERS orteile-Redakteurin Christina Gräwe V HAPPEL CORNELISSE VERHOEVEN im Gespräch mit William Mann Fire Station Wilrijk, Antwerpen 10 ZUKUNFTSFÄHIGE INDUSTRIEKULTUR 32 ARCHITEKTURGEFLECHT ERNST NIKLAUS FAUSCH PARTNER AG LRO LEDERER RAGNARSDÓTTIR OEI Umbau und Aufstockung eines Industriedenkmals Unternehmenszentrale für den dm-drogeriemarkt in Karlsruhe 16 34 IM ZEICHEN DER HANSE DER REIZ DES ORNAMENTS F ELGENDREHER OLFS KÖCHLING ARCHITEKTEN Knoche Architekten: Finanzamt Zwickau – Erweiterung Johann Jacobs Haus Casper Mueller Kneer Architects: Céline Flagshipgebäude Cheongdam 20 DETAILREICHER BLICKFÄNGER Hooba design: Kohanceram central office BUREAU VAN EIG Bridgekeeper’s house ’t Melkhuisje 40 ARCHITEKTUR IM GEWAND Durbach Block Jaggers Architects, 22 MITTELSMANN AM FLEET John Wardle Architects: TCHOBAN VOSS ARCHITEKTEN Phoenix Central Park Große Bleichen 19, Hamburg Olafur Eliasson und Sebastian Behmann mit Studio Olafur Eliasson: Fjordenhus 26 MASSE UND AUFLÖSUNG behet bondzio lin architekten: CORINNA MENN UND MARK AMMANN Neubau Verwaltungsgebäude Bürogebäude Unterstrasse St. Gallen Textilverband in Münster 51 DIE SIEGER IM ÜBERBLICK IN KOOPERATION MIT UND IMPRESSUM Herausgeber Zweischalige Wand Marketing e. V., Reinhardtstraße 12-16, 10117 Berlin, T 030 / 5 20 09 99–0, F 030 / 5 20 09 99–28, zwm@ziegel.de, www.backstein.com Verlag Kopfkunst, Agentur für Kommunikation GmbH, Am Mittelhafen 10, 48155 Münster, T 0 251 / 9 79 17– 640, F 0 251 / 9 79 17–77, info@kopfkunst.net, www.kopfkunst.net Chefredaktion Jens Kallfelz, Redaktion Ines Hartmeyer, Art Direction Sonja Kappenberg, Satz Kristina Ebert, Produktion Dirk Knepper, Auflage 35.000 Stück © 2021 KopfKunst, Münster ISSN (Print) 2629–5032, ISSN (Online) 2629–5040 Titelmotiv: Umbau und Aufstockung eines Industriedenkmals, Ernst Niklaus Fausch Partner AG, Foto © Johannes Marburg, Genf Winner Silver beim Fritz-Höger-Preis 2020 für Backstein-Architektur
LIEBE LESERINNEN UND LESER, die neue Arbeitskultur fordert die Architektur auf, mehr als ein Rahmen zu sein. Gefragt sind nach haltige Antworten auch in kultureller Hinsicht: Wie geht man um mit vorgefundenen Orten, mit alten Fabrik- und Industriekulturen, wie gelingt die städ- tebauliche Einbindung, die Vereinbarkeit von Woh- nen und Arbeiten, wo ist die Schnittstelle zwischen Funktion und Flexibilität? Büro- und Gewerbebauten sind heute mehr denn je auch Lebensraum. Wo der klassische Arbeitsplatz immer stärker hinterfragt wird, wo die Arbeitenden flexibler werden und sich Arbeitsplätze zum Wohl- fühlen wünschen, muss Architektur zum Mittler werden und dieser „Arbeitswelt plus“ Raum geben. Welche wertvolle Basis der physische Arbeitsort mit einer Materialität aus Backstein bildet, während er zugleich eine flexible Arbeitskultur schafft, zeigen die besten Büro- und Gewerbebauten des Fritz- Höger-Preises 2020 für Backstein-Architektur: In dieser VORTEILE-Ausgabe finden Sie beeindruckende Beispiele aus Backstein, die langlebig und robust sind und den Wissensaustausch fördern – vom „New London Vernacular“ bis hin zum fließenden Gewand aus 3D-generierten Backsteinen. Lassen Sie sich inspirieren. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen bei der Lektüre dieser VORTEILE-Ausgabe! Ernst Buchow 1. Vorsitzender Initiative Zweischalige Wand – Bauen mit Backstein BÜRO- UND GEWERBEBAU 3
WINNER GOLD ORT London, Großbritannien BAUHERR The Workspace Group ARCHITEKT Witherford Watson Mann Architects GRUNDSTÜCKSFLÄCHE 2.842 m2 BEBAUTE FLÄCHE 1.898 m2 NUTZUNGSFLÄCHE 5.397 m2 UMBAUTER RAUM 34.019 m3 ANZAHL GESCHOSSE 5 ENERGIEEFFIZIENZ LEED-Gold-Zertifikat BAUZEIT 2014 - 2019 BAUKOSTEN 28 Mio. EUR Das Brickfields Business Centre ist eine Reminiszenz an die Nachbarschaft und hat zugleich europäische Bezüge. 4 BÜRO- UND GEWERBEBAU
© Philipp Ebeling WITHERFORD WATSON MANN ARCHITECTS Christopher Watson (l.), William Mann (m.) und Stephen Witherford (r.) haben Brickfields konzipiert. RAHMEN UND BÜHNE Schinkel, Höger, Döllgast: William Mann, einer von drei Partnern des Londoner Architekturbüros Witherford Watson Mann, kennt die Baugeschichte und hat sie beim Entwerfen ebenso im Blick wie den jeweiligen städtebaulichen Kontext. Das Büro hat reiche Erfahrungen mit Backsteinbauten. Astley Castle gehört zu den bekanntesten Entwürfen; dem Projekt wurde 2014 der Fritz-Höger-Preis in Gold zugesprochen. 2020 gab es wieder Gold in der Kategorie Büro- und Gewer- bebauten für das Brickfields Business Centre im Londoner Stadtteil Hoxton. Mit England assoziiert man Backstein in vielerlei Fa- einem großen Wohnungsbauunternehmen gearbei- cetten: Backstein-Idylle auf dem Land, geklinkerte tet, dort war man der dauernden Wartungsarbeiten Reihenhäuser in den Vororten und rote Industrie- überdrüssig. Sie entschieden sich für die wesentlich bauten am Stadtrand. Welche Bedeutung hat das einfachere Bauweise in Backstein. Einige sprechen Material für Großbritannien, speziell London? wegen dieser Haltung vom „New London Vernacular“. William Mann (WM): Das ist eine sehr tiefe emotio- Wegen der Energiestandards wird Backstein aller- nale Verbindung. Man muss dabei auch in die Ge- dings zunehmend als schützende Haut wahrgenom- schichte schauen: Der Backstein kam auf wegen des men, nicht mehr wie bei Schinkel im 19. Jahrhundert Großen Feuers von London 1666, als schmückende Schale. Es ist heu als vier Fünftel der Stadt neu auf- „B ACKSTEIN HAT EMOTIONALE te eine große Herausforderung, gebaut werden mussten. Zusam- QUALITÄT, IST ZEICHEN UND Backstein nicht als reine Hülle zu men mit dem holländischen Ein- NICHT REINES RAHMENWERK.“ verwenden. Bei Brickfields haben fluss hat das zu einer regional William Mann wir ihn für 21 Zentimeter starke, ausgeprägten Bauweise geführt: selbsttragende Wände eingesetzt. klassische Proportionen, große Fenster, Wände, die Generell aber gilt: Backstein ist wieder beliebt, er manchmal Säulen gleichen, Harmonie ohne Orna- besticht durch seine Robustheit, er braucht wenig ment. In einem Buch über die Architektur der Repub- Pflege. Die Balance zwischen Ökonomie und Dauer- lik des 17. Jahrhunderts fand ich die interessante haftigkeit stimmt. Er hat eine emotionale Qualität, Zusammenfassung: Puritanischer Minimalismus. Und ist Zeichen und nicht reines Rahmenwerk. zur neueren Geschichte: Wenn ich hier in Ost-London aus dem Fenster schaue, sehe ich 19. Jahrhundert ne- Das Durchblättern Ihrer Projekte zeigt, dass Back- ben frühem und späten 20. Jahrhundert, immer wie- stein auch für Ihre Arbeit sehr wichtig ist. Ein promi- © David Grandorge der Backstein. Vor allem im Wohnungsbau war und nentes Beispiel ist Astley Castle. ist Backstein beliebt. Holz oder Putz sieht nach zehn WM: Das ist richtig. Die Frage bei Astley Castle war Jahren nicht immer noch gut aus. Wir haben mit nicht so sehr, was wir dort tun durften, sondern, BÜRO- UND GEWERBEBAU 5
© David Grandorge In Astley Castle erfüllt der Backstein eine doppelte Funktion: Er stabilisiert, verdeutlicht aber auch die Grenze zwischen Alt und Neu. u was wir tun mussten, denn die Ruine drohte zusam- Was mir auffällt und ich zunehmend beachte, ist, menzubrechen. Unsere Backstein-Interventionen sind wie Gebäude altern. London ist eine schmutzige dazu da, die Überreste des Wasserschlosses zu stabi Stadt, also müssen die Wände geschützt werden. lisieren. Wir haben Ziegel verwendet, weil er günsti- Dafür verwenden wir Mauerabdeckungen, die ein ger ist als Naturstein, aber vor allem wegen seiner Stück vorstehen – old school also. Und dann eben die Farbe und haptischen Qualitä- harten Ziegel, die nicht unbe- © Philipp Ebeling ten. Die unterschiedlichen Struk „W IR ÜBERLEGEN BEI DEN dingt typisch für London sind, turen der Oberfläche verdeutli MEISTEN AUFGABEN, OB aber ein guter Schutz gegen chen sehr schön den Unterschied BACKSTEIN EINE MÖGLICHE Nässe und Verschmutzung. Un- zwischen Alt und Neu, die Kom ANTWORT IST.“ ser Amnesty- Gebäude ist jetzt WILLIAM MANN bination von Kontinuität und William Mann 16 Jahre alt und noch genauso Partner WWMA Nicht-Kontinuität. schön wie zur Fertigstellung. Es ist William Mann studierte Wir überlegen bei den meisten Aufgaben, ob Back- unglaublich gut gealtert, dank des harten Backsteins. Architektur an an der stein eine mögliche Antwort ist. Zwei unserer Projek- University of Cambridge, te in London, eines aus den Anfangszeiten unseres Ich möchte einen Satz Ihrer Website zitieren: „We wo er 1991 seinen Abschluss machte, sowie in Harvard. Büros und eines aus der jüngsten Vergangenheit, sind expand, reinforce and complement the characte Nach der Arbeit an archäo- einander sehr verwandt: ein Bau für Amnesty Inter- ristics of existing spaces with focused and crafted logischen Stätten in Rom national auf einem ehemaligen Klosterareal und das additions.“ Das findet sich beim Spaziergang zu und Ägypten sammelte er Berufserfahrung in London Brickfields Business Centre. In beiden Fällen haben Brickfields auf Google Earth wieder: Sie sehen und Flandern, u. a. bei wir „fire clay” verwendet. Das ist ein blaubrauner genau hin, wie Ihre Gebäude mit der Umgebung Tim Ronalds Architects. Stein, der eine sehr harte und leicht reflektierende umgehen; der Backstein ist hier auch eine Reminis- Seit der Gründung von Witherford Watson Mann Oberfläche hat. Für Brickfields wollten wir ein noch zenz an die Nachbarschaft. Architects hat er als Pro- weiteres Feld an Farben. Zusammen mit der Reflek WM: Sie haben Recht, und wir sind speziell in dieser jektleiter an einer Reihe tionsfähigkeit macht es das Gebäude sehr lebendig, Gegend sehr verwurzelt. Ich habe dort zum ersten von öffentlichen Projek- ten gearbeitet. denn die Sonne wandert um das Haus und lässtes Mal 1988 gearbeitet. Unser Büro ist zehn Minuten bei jedem Licht anders erscheinen. 6 BÜRO- UND GEWERBEBAU
© David Grandorge © Hélène Binet Ein Vorgänger des Brickfields Business Centre ist der Der fire clay, ein blaubrauner Stein, inzwischen 16 Jahre alte Bau für Amnesty International erzeugt im Tagesverlauf immer neue im benachbarten Stadtteil Shoreditch. Lichtstimmungen. © Philip Vile von Brickfields entfernt. Der Amnesty-Bau und Brick- WM: Das Arbeiten geschieht heute kleinteiliger, fields stehen in benachbarten Vierteln, in Shoreditch flexibler, fließender, ortsungebundener – ein Trend, und Hoxton, beide sind stark geprägt von Fabriken, der natürlich durch die Pandemie enorm verstärkt Showrooms, Lagerhäusern aus der ehemaligen wurde. Im Moment gibt es sehr viel Platz in den Bü- Möbelindustrie und natürlich von dem Eisenbahn- ros. Die Menschen kommen jetzt zwar allmählich viadukt. Die alte Römerstraße in die Büros zurück, vermutlich führt hier durch. Daran erkennt „DAS ARBEITEN GESCHIEHT aber nicht mehr so regelmäßig man, dass die Architekten des HEUTE KLEINTEILIGER, und durchgängig wie in Vor- 18. und 19. Jahrhunderts viel über FLEXIBLER, FLIESSENDER, Covid-Zeiten. Ur-Städte wie Rom und Venedig ORTSUNGEBUNDENER.“ nachdachten. Wir tun das auch; William Mann Wie muss Architektur reagieren natürlich kann man etwa das Echo oder anderes: Wie kann Archi des Chile- Hauses von Fritz Höger in Hamburg ver- tektur diese Veränderungen unterstützen? nehmen. Ist Ihnen an Brickfields die Detailarbeit an WM: Interessante Frage. Für mich sind Gebäude den Flächen unterhalb der Fenster aufgefallen, die eigentlich untimely, was Nietzsche unzeitgemäß Korbmuster? Das sieht man auch an Projekten von nennt. Sie reagieren langsam, haben eine problema- Egon Eiermann in Berlin. Backstein ist ein universel- tische Beziehung zur Gegenwart. Weil sich unsere les Material, mindestens europaweit. Wir bemühen Nutzungsarten und Anforderungen ständig wan- uns Gebäude zu bauen, die lokale, aber auch europäi- deln, brauchen wir Gebäude, die elastisch sind, die sche Bezüge haben. nach Bedarf wachsen oder schrumpfen können – aber das widerspricht ihrem Wesen. Damit sich das Brickfields hat beim jüngsten Fritz-Höger-Preis ändert, muss sofort etwas passieren, und zwar nicht Gold in der Kategorie Büro- und Gewerbebauten nur physisch, sondern auch politisch. Die Freude, gewonnen. Lassen Sie uns über Arbeitsplätze spre- Architekt zu sein, kommt auch daher, dass die Effekte chen. Wie hat sich das Arbeiten verändert? von Veränderungen eher indirekt geschehen, man BÜRO- UND GEWERBEBAU 7
© David Grandorge M it Staffelungen schafft das Brickfields Übergang zu den anliegenden, kleineren Gebäuden. beobachtet und reagiert dann. Es ist interessant zu haben sich die europäischen Stadtplaner lange orien- spekulieren – gerade große, immer dichtere Städte tiert. Das ging aber in den 1980er-Jahren zurück; brauchen Ideen, beispielsweise gemischtere Lebens- jetzt scheint es kein Gegengewicht mehr zu der formen und weniger Pendelei zwischen Arbeits- und magnetischen Macht explodierender Bodenpreise zu weit außerhalb liegenden Wohnorten. Was uns zum geben. Nicht im darwinistischen London, aber auch Hauptproblem der Metropolen führt: die überteuer- nicht in anderen europäischen Städten. ten Bodenpreise. Aber es gibt interessante Über legungen zur Polyzentralität. Wa- Kommen wir noch einmal zurück rum etwa nicht auch in den „G EBÄUDE SIND RAHMEN zu Brickfields. Sie sagen, Gebäu- Vororten Fabrikareale verdichten, UND AUCH BÜHNE FÜR de sind eigentlich zu langsam, reparieren und Arbeitsplätze an- IHRE NUTZER.“ um adäquat auf sich ändern- bieten? Wir haben dazu gerade William Mann de Anforderungen zu reagieren. eine Studie gemacht. Aber dieses Haus ist doch eine Lageplan überzeugende Antwort darauf, was der Bauherr Wie beurteilen Sie die sozialen Veränderungen, eigentlich ausdrücken wollte? die der Umbau, die Umnutzung und Aufwertung WM: Vielleicht sollte ich etwas über den Bauherrn von Stadtarealen mit sich bringen? Nicht alle sehen erzählen. Work Space sind mit dem Kauf von Indust- das positiv. riegrundstücken im gesamten Londoner Stadtgebiet WM: Städte ändern sich nun mal, das kann man nicht ins Geschäft eingestiegen. Ich möchte betonen, dass aufhalten. Sie kennen Ebenezer Howard, und ich sie Langzeitbesitzer sind, also keine Spekulanten, meine jetzt nicht seine gestalterische, sondern sei- die kaufen, rasch entwickeln und teurer wieder ver ne politische Rolle. Er war Anarchist und stellte die kaufen. Seit rund zehn Jahren bauen sie jetzt diese Bodenpreise und Verteilung von Grundstücken in neuen Business Centres. Unser Auftrag war, auf Stadtzentren in Frage. An seinem Modell, Stadtzent- dem Grundstück eine moderat verdichtete Nutzung ren zu entflechten und die Stadtränder zu stärken, herzustellen, genug, um das Projekt finanzieren zu 8 BÜRO- UND GEWERBEBAU
© David Grandorge Der Lichthof hat sich schnell © Philip Ebeling zur informellen Begegnungs- fläche entwickelt und wird auch zum Arbeiten genutzt. V on neu zu verwittert: Auch der Backstein schlägt Brücken zum prägenden Material des Londoner Ostens. können, aber ohne einen massiven Einschnitt in der erinnert an die in einer öffentlichen Bibliothek. Wir Umgebung vorzunehmen. Heute gibt es auf der Flä- haben zunächst auf Akustikelemente verzichtet, und che 50 Prozent mehr Arbeitsplätze als zuvor. Wir ha- es zeigte sich, dass es ohne gut funktioniert. Denn ben den Altbau abgerissen, aber dessen Fundamente die Menschen verhalten sich ruhig und rücksichts- weiterverwendet. Deshalb haben wir uns für eine voll dort. Einige arbeiten sogar lieber im Atrium leichte Stahlkonstruktion entschieden. Das Volumen als im Büro. sollte die Dimensionen vor Ort berücksichtigen, ist deshalb zwischen drei bis sechs Stockwerken gestaf- Was uns wieder zu dem Aspekt bringt, wie Archi- felt; die 90 Meter lange Fassade verläuft geknickt. tektur das, was später in ihr stattfindet, unter- Ins Innere sollte viel Tageslicht fallen. Die Büroräume stützen kann. rangieren zwischen zwölf und 400 Quadratmetern. WM: Exakt. Ich lasse den Begriff Architektur allmäh- Sie liegen um ein Atrium mit Oberlichtern herum. lich aus meinem Wortschatz verschwinden. Gebäu- Dieser Lichthof ist mit sechs Metern einschließlich de ist konkreter. Gebäude können einen Vorschlag der Laufstege recht schmal, wird aber gut und gerne machen, nicht alles bestimmen. Sie sind Rahmen als informelle Begegnungsfläche und sogar zum Ar- und auch Bühne für ihre Nutzer. Sorgfältig geplant, beiten genutzt. Dem Bauherrn war bewusst, dass die können sie face-to-face-Kommunikation und ständi- Menschen dazu neigen, lieber in alten, den heutigen gen Wandel unterstützen. Das Verständnis dafür, Anforderungen angepassten Gebäuden zu arbeiten. was Gebäude tun, aber auch dafür, was sie nicht leis- Wir haben also ein zeitgemäßes Haus mit den Quali- ten können, und zwar konstruktiv und sozial, ist für täten eines Altbaus gebaut, etwa recht hohe Decken. Architekten fundamental. In den 98 Einheiten arbeiten sehr verschiedene Be- Zum Abschluss: Welches Ihrer realisierten Gebäude rufsgruppen. Gibt es regen Austausch (außerhalb ist ihr favorisiertes? der Pandemiezeiten)? WM: Vermutlich ist das Lieblingsgebäude immer das, WM: Ja, es gibt recht viel Interaktion. Die Atmosphäre das als nächstes kommt. u fritz-hoeger-preis.com/wwm-architects BÜRO- UND GEWERBEBAU 9
BÜRO- UND GEWERBEBAU Sie orientieren sich an Funktionalität und Wirtschaftlichkeit: gewerblich genutzte Bauten. Darüber hinaus zeigen unsere Siegerprojekte, wie die Pflicht zur Kür werden kann: Mit Hilfe des Baustoffs Backstein ist es den Planern gelungen, Zweck und Ästhetik idealtypisch zu vereinen. VORGESTELLTE PROJEKTE UMBAU UND AUFSTOCKUNG EINES INDUSTRIEDENKMALS JOHANN JACOBS HAUS BRIDGEKEEPER’S HOUSE ’T MELKHUISJE GROSSE BLEICHEN 19, HAMBURG BÜROGEBÄUDE UNTERSTRASSE ST. GALLEN FIRE STATION WILRIJK, ANTWERPEN UNTERNEHMENSZENTRALE FÜR DEN DM-DROGERIE MARKT IN KARLSRUHE DER REIZ DES ORNAMENTS Finanzamt Zwickau – Erweiterung Céline Flagshipgebäude Cheongdam Kohanceram central office ARCHITEKTUR IM GEWAND Phoenix Central Park Fjordenhus Neubau Verwaltungsgebäude Textilverband in Münster Der Blick auf die Westfassade offenbart das Spiel mit dem Klinker: Die bestehende Fassade wurde saniert, die aufgestockten Obergeschosse setzen Akzente. 10 BÜRO- UND GEWERBEBAU
Bertram Ernst ZUKUNFTSFÄHIGE INDUSTRIEKULTUR Nach Umbau und Aufstockung der unter Denk- malschutz stehenden ehemaligen Maggi- Fabrik ist der markante Backsteinbau bestens gerüstet, den Bogen vom Industriedenkmal in eine moderne Arbeitswelt zu schlagen. WIEDERBELEBUNG DES MAGGI-AREALS Das ehemalige Industrieareal der Firma Maggi liegt entlang der Bahnlinie zwischen Winterthur und Zü- rich. Das Areal gilt mit seiner einheitlichen und mar- kanten Backsteinarchitektur von Anfang des 20. Jahrhunderts als wichtiger Zeuge der industriellen Geschichte der Schweiz und ist als schützenswer- tes Ortsbild ISOS Typ A klassifiziert. Das Areal wird wiederbelebt, geöffnet und zu einem hochwertigen Arbeitsplatzgebiet ausgebaut. BÜRO- UND GEWERBEBAU 11
WINNER SILVER ORT Zürich, Schweiz BAUHERR Givaudan AG ARCHITEKT Ernst Niklaus Fausch Partner AG GRUNDSTÜCKSFLÄCHE 3.015 m2 BEBAUTE FLÄCHE 1.100m2 NUTZUNGSFLÄCHE 4.040 m2 UMBAUTER RAUM 24.000 m3 ANZAHL GESCHOSSE 5 ENERGIEEFFIZIENZ LEED-Gold-Zertifikat BAUZEIT 2017 - 2019 BAUKOSTEN 28,7 Mio. EUR Die zweigeschossige Aufstockung führt die Grundstruktur weiter. Die eingeschossigen Räume sind ins Gebäudeinnere verlagert. Ernst Niklaus Fausch Partner AG haben für das ehema- Bereits 1940 wurde das Gebäude von den gleichen lige Maggi-Areal den neuen Masterplan erstellt und Architekten um zwei Geschosse aufgestockt. Dabei darauf aufbauend den Gestaltungsplan entwickelt. wurden neben dem prägenden Material – einem hellen Klinker aus Pfungen – auch die Proportionen EINE GESCHICHTE DER AUFSTOCKUNG und die Statik des bestehenden Baus aufgenommen Das unter kantonalem Denkmalschutz stehende Ge- und weitergeführt. Dies zeigt sich unter anderem bäude Nr. 1246 – die ehemalige Suppenabfüllerei und am Wechsel von Stützen mit Kapitellen im Erdge- Kistennaglerei von Maggi – ist ein markanter Back- schoss zu eigentlichen Pilzstützen in den oberen steinbau mit eckbetonenden Treppenhauskernen. Geschossen und an der – im Gegensatz zum Erdge- 1931 wurde das Gebäude von Debrunner+Blankart schoss – vertikal modulierten Fassade der beiden Architekten, welche als eigentliche „Hausarchitekten” Obergeschosse. Innenräumlich ist das Gebäude einen Großteil des gesamten Maggi-Areals geplant geprägt durch überhohe Geschosse mit Galerien, haben, als Kistennaglerei erstellt. welche den Produktionsprozess widerspiegelten – 12 BÜRO- UND GEWERBEBAU
Das gesamte Areal wird geöffnet und wiederbelebt und zu einem hochwertigen Arbeitsensemble ausgebaut. Die Backsteingebäude entlang der Bahngleise sind wichtige Zeugen der Industriegeschichte der Schweiz. Lageplan die Zulieferung des Materials auf den Galerien oben Treppenhauskerne neu erstellt. Die bauphysikalisch und das Abfüllen in den Hallen unten. notwendige Wärme- und Akustikdämmung wurde über eine innere Verkleidung gewährleistet. So NEUE ARBEITSWELTEN konnten die gesamten Räume technisch auf den Diese einzigartige Struktur und die Fassaden zu neuesten Stand gebracht und trotzdem die Fassade erhalten und zu stärken, war die architektonische im ursprünglichen Erscheinungsbild erhalten wer- Herausforderung für den Umbau und die Aufsto- den. Der prägende Raumeindruck bleibt erhalten. ckung des Gebäudes für 200 hochinstallierte Arbeits- Eigens zusammen mit der Innenarchitektin Verena plätze. Heizung, Lüftung, Kühlung, Kommunikation Frey und Zumtobel Licht AG entwickelte textile Ku- und Elektro wurden horizontal in einem extra ent- gelleuchten nehmen Bezug auf die ursprünglichen wickelten Brüstungselement geführt und die komp Leuchten und stärken so anschaulich den hallen lette vertikale Haustechnik-Erschliessung und Erd ähnlichen Raumeindruck. bebenaussteifung wurde im Umriss der bestehenden BÜRO- UND GEWERBEBAU 13
Die überhohen Räume bieten Platz für eine Orangerie. Ein hallenähnliches Raum erlebnis schaffen die einzelnen Geschosse im Inneren mit Open-Space-Charakter. AD AD AD Querschnitt Grundriss EG Die Nutzung orientiert sich an der räumlichen Struk- struktur des Gebäudes weiter. An den Fassaden lie- tur des Gebäudes. In den Hallen sind kompakte gen die überhohen und im Innern des Gebäudes die Arbeitsplätze in Clusterbüros angeordnet, unter den eingeschossigen Räume. Die überhohen Räume sind Galerien die unmittelbar dienenden Strukturen und als Orangerien mit für die Aromaproduktion relevan- auf den Galerien die Orte des informellen Kontak- ten Pflanzen ausgeführt – hier ist der Ort für infor- tes und Rückzugs. Die zweigeschossige Aufstockung mellen Kontakt und Austausch, während im Innern beherbergt die Cafeteria mit Tagungszentrum und des Gebäudes zwei einzelne Geschosse die Sitzungs- die Räume der Geschäftsleitung. bereiche und die Open-Space-Räume der Geschäfts- leitung aufnehmen. MATERIAL UND RAUM Die Materialisierung der Räume stellt das Raum- Die bestehenden Fenster waren in einem nicht mehr erlebnis in den Vordergrund. Schattierungen von sanierbaren Zustand und wurden mit originalen Be- Grau prägen die Räume – vom dunkleren Grau der schlägen und Gläsern sowie in einer farbarchäolo- PU-Beläge über die hellen Grautöne der Holzverklei- gisch ermittelten Farbigkeit in Holz nachgebaut. Da- dungen bis hin zu den roh belassenen und beinahe bei dienen diese Fenster nun als Vorfenster, welche weiß gestrichenen Betondecken und Stützen. den neuen textilen Sonnenschutz aufnehmen und die Innenräume vor dem Lärm der Autobahn schüt- STRUKTUR UND PROPORTION zen. Im Innern interpretieren dreifach verglaste Holz- Die zweigeschossige Aufstockung führt die Grund- fenster die Proportionen des Bestandes. 14 BÜRO- UND GEWERBEBAU
Der Klinker im Bereich der Aufstockung greift die Proportionen auf. Um 45 Grad gedreht und vertikal moduliert, erzeugt er ein interessantes Licht- und Schattenspiel. Fotos © Johannes Marburg, Genf © Maurice K. Grünig, Zürich ERNST NIKLAUS FAUSCH PARTNER AG Ernst Niklaus Fausch Partner AG wurde 1997 gegründet. Die Firma wird heute von den drei GründungspartnerInnen Bertram Ernst, Erich Niklaus und Ursina Fausch zusammen mit Lena Jung und Sabine Herzog mit VERTIKALITÄT ALS PRINZIP und andererseits durch den vertikal und um 45 Grad Niederlassungen in Zürich, Aarau und Wien Im Rahmen der Fassadensanierung wurden ur- abgedreht versetzten Klinker, welcher im Sonnen- geführt. Mit einem Team von rund 30 sprünglich vorgesehene und dann zugemauerte licht ein vertikales Schattenspiel entstehen lässt. MitarbeiterInnen bearbeiten sie architek- tonische, planerische und städtebauliche Fenster wieder geöffnet oder die Brüstung runterge- So wird die Vertikalität der ersten Aufstockung Projekte in der Schweiz und Europa und schnitten und Spuren des letzten Umbaus teilweise verstärkt – die Geschichte der Aufstockung wird sind als ExpertInnen und DozentInnen zurückgebaut. Die Fenster der ehemaligen Treppen- weitererzählt. tätig. Bei den Projekten – seien sie städte- baulich oder architektonisch, Neu- oder häuser wurden in Beton abgegossen und spiegeln Umbauten – bildet die Auseinanderset- nun die dahinter liegende massive Erdbebenwand Ernst Niklaus Fausch Partner AG zung mit bestehenden Strukturen den wider. Die Fenster und Pfeiler der Aufstockung bauen Ausgangspunkt der Arbeit. Diese Struk- turen sind dabei nicht Behinderung, auf den Grundmassen, Proportionen und der Mate sondern Inspiration. rialisierung des Bestandes auf. Dies einerseits durch die Weiterführung der modulierten Pfeiler und die deutliche Zweigeschossigkeit der Fensteröffnungen u fritz-hoeger-preis.com/enf-partner BÜRO- UND GEWERBEBAU 15
Der gestaffelte Baukörper nimmt präzise die Bezüge der Umgebung auf. 16 BÜRO- UND GEWERBEBAU
WINNER BRONZE ORT Berlin ARCHITEKT Felgendreher Olfs Köchling Architekten GmbH GRUNDSTÜCKSFLÄCHE 392 m2 BEBAUTE FLÄCHE 308 m2 NUTZUNGSFLÄCHE 1.935 m2 UMBAUTER RAUM 9.850 m3 ANZAHL GESCHOSSE 8 BAUZEIT 2018 - 2020 Der Stadtgrundriss macht die Besonderheit der Lage deutlich: Die Dreiseitigkeit war Herausforderung und Chance zugleich. IM ZEICHEN DER HANSE In Bremen knüpft das Johann Jacobs Haus an die Backstein- Tradition im Zeichen der Hanse und der Weser-Renaissance an. Verschiedenartige Fragmente und vielschichtige bauzeitliche Lageplan Bezüge verschmelzen zu einem zeitgenössischen Stadthaus neuen Typs. Felgendreher Olfs Köchling Als erster Baustein einer innerstädtischen Quartiers entwicklung ersetzt das neue Johann Jacobs Haus das alte Stammhaus des Kaffeeunternehmens Ja- cobs aus der Zeit des Wiederaufbaus. Es zeigt sich als selbstverständlicher Baustein der Stadt. Das Be- sondere an seiner Lage im Stadtgrundriss ist seine Dreiseitigkeit. So staffelt sich der Baukörper zu drei Seiten und vermittelt präzise zwischen den Trauf- kanten der historischen Baudenkmäler. Plastizität und Dreiteilung der Fassade vereinzeln das Gebäude in der Reihe und stellen Bezüge zu hanseatischen Stufengiebeln her. BÜRO- UND GEWERBEBAU 17
Loggia und Treppenhaus stellen den Bezug zur Struktur hanseatischer Lagerhäuser her. REDUZIERUNG AUFS WESENTLICHE NEU MIT HISTORISCHEM BEZUG Das dreidimensionale Betonscheibentragwerk prägt Bogenförmige Schaufenster leiten die Passanten maßgeblich die Gestalt des Hauses. Es ermöglicht von der Einkaufsstraße über die Treppe in der Gasse Stützenfreiheit und somit langfristige Flexibilität. zum neuen Quartiersplatz. Das hofseitige Portal der Erschließung und Konstruktion sind zugunsten der Stadtwaage wurde denkmalgerecht restauriert und offenen und dreiseitig belichteten Räume auf das zum neuen Platz geöffnet. Ähnlich wie die Stadt- Wesentliche reduziert. Die Materialität und Farbig- waage als historisches Baudenkmal Weser-Renais keit der Altstadt findet sich in der Vormauerung mit sance und Wiederaufbau zu einem homogenen erdfarbenen Wasserstrichziegeln und sandfarbenen Ganzen vereint, so transformiert auch der Neubau Fugen wieder. Die Sandsteinfiguren des Vorgänger- ortstypische Motive und bauzeitliche Bezüge zu baus sind in die Fassade des Neubaus integriert. einem zeitgenössischen Bremer Stadthaus. Felgendreher Olfs Köchling Architekten Ansicht Nord Ansicht West Ansicht Süd 18 BÜRO- UND GEWERBEBAU
Die versetzten Außenwände überspannen die offenen Verkaufsräume als wand- artige Träger. Fotos © Philip Heckmann © Arne & Chi Le Felgendreher FELGENDREHER OLFS KÖCHLING ARCHITEKTEN GMBH Felgendreher Olfs Köchling ist ein Architek- turbüro mit Sitz in Berlin. Es wurde 2015 von Christian Felgendreher, Johannes Olfs und Christina Köchling gegründet. Das Büro bearbeitet Bauvorhaben für private und öffentliche Auftraggeber in der Schweiz und in Deutschland. Neben dem Johann Jacobs Haus hat das Büro eine Primarschule in Azmoos, Ostschweiz, und einen Werkhof bei Zürich realisiert. Derzeit befinden sich unter anderem Wohnungsbauten in Bremen und Berlin in Planung. Grundriss EG mit sanierter Stadtwaage Schnitt u fritz-hoeger-preis.com/fok-architekten BÜRO- UND GEWERBEBAU 19
DETAILREICHER BLICKFÄNGER Wo Brückenhaus und Milchbrücke verschmelzen, ist in Haarlem „’t Melkhuisje“ entstanden. Das „Milchhaus“ vereint Trafostation und Brückenposten und zieht mit viel Sinn für Details die Blicke auf sich. Die Milchbrücke von 1886 mitten in der Altstadt von besondere Oberfläche, die sich durch die unter- Haarlem überspannt die Spaarne. Das bestehen- schiedliche Wechselwirkung zwischen Licht und de Brückenwärterhaus war eine Box aus Stahl mit Schatten im Laufe des Tages ändert. Das Relief stellt Paneelen aus dem Jahr 1960. Nach einem Brand im außerdem ein Hindernis für wildes Plakatieren und Keller schrieb die Gemeinde einen Wettbewerb aus Graffitis dar. Das kleine Gebäude ist freistehend und für den Entwurf eines neuen städtischen Wahrzei- sieht von jeder Seite anders aus, wobei die Fassaden chens an dieser Stelle. auf natürliche Weise ineinander übergehen. UMGEBUNG BESTIMMT DIE FORM Im Erdgeschoss befindet sich der Transformator- Das „Melkhuisje“ stellt eine Variation des archety raum von Liandon. Daneben liegt der Eingang für pischen Hauses dar. Die Form wird durch die äuße- den Brückenwärter, mit einem Zugang von der ren Umstände beeinflusst. Ein großzügiger Dach- Terrasse. Im Vorraum befindet sich eine Theke. überstand dient dem Sonnenschutz, den größten Über ein großes Fenster in der Ecke hat man eine Teil des Erdgeschosses nimmt der Transformatoren- schöne Aussicht auf das Wasser. Die Treppe führt raum in Anspruch. hinauf in den Brückenwärterraum, die großzügigen Fenster an drei Seiten bieten einen hervorragen- RELIEF AUS KLINKERN den Ausblick in alle Richtungen. Ein paar Stufen Das Gebäude wurde in Klinkermauerwerk errichtet höher ist eine kleine Küchenzeile untergebracht. und stellt dadurch eine Erweiterung der Umgebung, Das Gebäude ist flexibel: Sollte zukünftig die Funk- der ebenfalls in Klinker ausgeführten Kais und Häu- tion des Brückenwärters entfallen, kann es in eine ser, dar. Klinkermauerwerk altert schön. Die Klinker Ferienwohnung umgewandelt werden. werden im Relief gemauert, dadurch entsteht eine Bureau Van Eig Mit seiner markanten Silhouette wird das Haus zum neuen Wahrzeichen der Stadt. In Klinker ausgeführt, stellt das Gebäude eine Erweiterung zur Umgebung dar. 20 BÜRO- UND GEWERBEBAU
SPECIAL MENTION ORT Haarlem, Niederlande BAUHERR Gemeente Haarlem: Martin Busker ARCHITEKT Bureau Van Eig GRUNDSTÜCKSFLÄCHE 30 m2 BEBAUTE FLÄCHE 37,5 m2 NUTZUNGSFLÄCHE 30 m2 UMBAUTER RAUM 130 m3 ANZAHL GESCHOSSE 2 ENERGIEEFFIZIENZ 1500 kWh/Jahr BAUZEIT 2015 BAUKOSTEN 225.000 EUR „The house has an intriguing silhouette that surprises its visitor while approaching it.“ Bureau Van Eig Fotos © Allard van der Hoek © Hans Reitzema BUREAU VAN EIG Bureau Van Eig gestaltet Originalschau- plätze mit einem Auge für Details. Dafür studieren die Planer sorgfältig die Umge- bung und nutzen die gegebenen Vorzüge. Dabei arbeiten sie mit Bezügen und Archetypen aus dem täglichen Umfeld, die sie als Invest in die Zukunft weiterent wickeln. Die Projekte fügen sich subtil in den jeweiligen Kontext ein. Sie zeichnen sich durch die besondere Form, sorgsame Detailarbeit und solide Materialien aus. Lageplan u fritz-hoeger-preis.com/bureauvaneig Schnitt Grundriss BÜRO- UND GEWERBEBAU 21
EKKEHARD VOSS TCHOBAN VOSS ARCHITEKTEN TCHOBAN VOSS ARCHITEKTEN entwerfen, planen und bauen für nationale wie internationale Auftrag- geber im öffentlichen und privaten Sektor. Mit über 160 hochqualifizierten, interdisziplinären Mitarbei- tern und einer langjährigen Erfahrung bietet das Büro mit seinen Standorten in Hamburg, Berlin und Dresden architektonisch und funktional nachhal- tige Lösungen für unter- © Daniel Sumesgutner schiedliche Bauaufgaben im In- und Ausland. 22 BÜRO- UND GEWERBEBAU
Lageplan p Das Gebäude vermittelt geschickt zwischen seinen Nachbarn Alte Post und Galleria Hamburg. MITTELSMANN AM FLEET Eine 80 Meter tiefe und nur 14 Meter breite Baulücke füllt das Geschäftshaus „Große Bleichen 19“ gekonnt im historischen Kontext. Der Trick: Linienfortführung und eine plastische Staffelung. Direkt am denkmalgeschützten Gebäude der Alten Neubaus wieder. Raumhohe Fenster mit dezenten Post am belebten Bleichenfleet in der Hamburger Rahmen aus eloxiertem Aluminium strukturieren die Innenstadt entstand das Geschäftshaus „Große Oberflächen. In den Obergeschossen werden zusätz- Bleichen 19“ mit Einzelhandelsnutzung. Der sechsge- lich dezente Glasbrüstungen als Elemente französi- schossige Neubau füllt eine 80 Meter tiefe und nur scher Fenster eingeführt. 14 Meter breite Baulücke und fügt sich nahtlos in die Umgebung ein. Die Einzelhandelsflächen der Nachbarbauten im Erd- und ersten Obergeschoss konnten nun sowohl zur GESCHICKTER VERMITTLER Straße als auch zum Wasser durchgehend verbunden Das Gebäude vermittelt geschickt zwischen seinen werden. Vom zweiten bis zum fünften Oberge- Nachbarn Alte Post und Galleria Hamburg, die seit schoss entstanden kleinteilige sowie zusammen kurzem ebenfalls unter Denkmalschutz steht: Die hängend vermietbare Büroflächen, die im Mittelteil unterschiedlichen Traufhöhen werden weiterge- durch Lichthöfe belichtet werden. führt und durch abgewinkelte Abschnitte in der Fas- sade vereint. Das Straßenbild bleibt stimmig, wäh- VIELFÄLTIGE ANFORDERUNGEN rend der eigenständige Gebäudecharakter durch Die Anforderungen für das Bauprojekt waren viel- Staffelungen hervorgehoben wird. Die reiche Archi- schichtig. Einerseits sollte sich der Neubau in das tektursprache der Umgebung mit ihren traditionel- Gesamtbild der Einkaufsmeile einfügen und zwi- len Backsteinbauten findet sich in den Fassaden des schen den unterschiedlich hohen Nachbargebäuden BÜRO- UND GEWERBEBAU 23
SHORTLIST ORT Hamburg, Deutschland BAUHERR Aachener Grundvermögen Kapitalverwaltungsgesell- schaft mbH, Köln ARCHITEKT TCHOBAN VOSS ARCHITEKTEN GRUNDSTÜCKSFLÄCHE 1.174 m2 BEBAUTE FLÄCHE 1.174 m2 © Markus Tollhopf NUTZUNGSFLÄCHE 5.644 m2 UMBAUTER RAUM 27.783 m3 ANZAHL GESCHOSSE 1 Teil-UG, 2 Retailgeschosse, 4 Bürogeschosse ENERGIEEFFIZIENZ DGNB-Zertifizierung „Für den architektonischen Brückenschlag (Bronze) zwischen Alt und Neu wurde mit Klinker BAUZEIT ein Fassadenmaterial gewählt, das sich 2014 - 2018 in Kombination mit zeitgemäßer Formen- sprache harmonisch in die bestehende Baustruktur einfügt." Ekkehard Voss © Markus Tollhopf p Die unterschiedlichen Traufhöhen werden weitergeführt und durch abgewinkelte Abschnitte in der Fassade vereint. vermitteln, andererseits sollte er durch eine präg- Herstellung der wassergestrichenen Kohlebrandzie- nante Gestaltung einen weiteren wichtigen Stadt- gel spiegeln die Verarbeitungsmethoden aus der Zeit baustein in der Hamburger Innenstadt bilden. wider, als sie noch von Hand gefertigt wurden. Durch das Brennen der Ziegel mit Kohle entsteht ein indi LEBENDIGE FASSADE viduelles Farbenspiel in hellen und dunklen Nuan- Für die Fassade wurde mit Klinker ein für Hamburg cen. Kein Stein ist wie der andere, was für lebendige typisches, traditionelles Baumaterial gewählt, das Fassaden sorgt. Die Art der Fertigung verleiht dem auch das Straßenbild der Große Bleichen prägt. Bei Ton eine optimale Textur mit Kapillaren und Poren. der Auswahl des Klinkers entschieden sich Bauherr Eindringendes Wasser, das zu Eis gefriert, kann sich und Planer für einen Ziegel im Dänischen Normalfor- ausdehnen, ohne den Stein zu zerstören. Somit be- mat DNF 228 x 108 x 54 mm. Der Hersteller verarbei- steht kein Risiko für Frostschäden durch die ermög- tet vor allem Ton aus der unmittelbaren Umgebung lichte Wasseraufnahme. des Ziegelwerks. Die eingesetzten Techniken für die TCHOBAN VOSS ARCHITEKTEN 24 BÜRO- UND GEWERBEBAU
© Markus Tollhopf © Axel Neubauer p Das Straßenbild bleibt aufgrund der Staffelungen trotz des eigenständigen Gebäudecharakters stimmig. Längsschnitt Grundriss 2. OG u fritz-hoeger-preis.com/tchoban-voss Grundriss EG BÜRO- UND GEWERBEBAU 25
SHORTLIST ORT St. Gallen, Schweiz BAUHERR Asga Pensionskasse AG und Namics AG ARCHITEKT Corinna Menn und Mark Ammann (Arge), Zürich GRUNDSTÜCKSFLÄCHE 835 m2 BEBAUTE FLÄCHE 675 m2 NUTZUNGSFLÄCHE 4.100 m2 UMBAUTER RAUM 17.500 m3 ANZAHL GESCHOSSE 7 ENERGIEEFFIZIENZ Äquivalent Minergie BAUZEIT 2015 - 2017 BAUKOSTEN 11,8 Mio. EUR © Roger Frei Detail des Pfeilerversprungs mit Formstein p Die tektonische Backsteinfassade verankert den Bau in der Pfeilertypologie des Straßenraumes und in der Materialität des Quartiers. 26 BÜRO- UND GEWERBEBAU
Lageplan MASSE UND AUFLÖSUNG Die Pfeilerfassade aus hellem Sichtklinker ist selbsttragend und struktiv eng an das sich nach oben hin ausdünnende Beton tragwerk gebunden. Der Baukörper ist ein schlichter Stadtbaustein mit BEWUSSTE ZURÜCKHALTUNG zurückgesetzter Attika am Rand des denkmalge- Die Fassade aus hellem Sichtklinker ist ein eigenstän- schützten Stickereiquartiers. Viele der Bauten, die diges Tragwerk, das struktiv eng gebunden ist an während der Blüte der St. Galler Textilindustrie um das innere Betontragwerk. Sie ist selbsttragend ohne 1910 entstanden, wurden hinter den Natursteinfas- Abfangkonsolen über die gesamte Gebäudehöhe von saden vom Beton-Pionier Robert Maillart als Stahlbe- 22 Meter gemauert und lediglich gegen Windkräfte ton-Skelettbauten erstellt. Dieser Kunstgriff gewähr- rückverankert. Die gestuften, vollsteintiefen Pfeiler leistete Nutzungsfreiheit und optimale Belichtung. tragen die halbsteintiefen Brüstungsfelder, die über dem Fertigteilsturz ebenfalls vor Ort gemauert sind. ZWISCHEN TRADITION UND FUNKTIONALITÄT Die Pfeiler sind im Blockverband, die Brüstungen im An diese strukturelle Tradition des Ortes anknüp- Läuferverband ausgebildet. fend und das Bedürfnis höchster Nutzungsflexibili- tät der Firma Namics AG aufgreifend, ist der Bürobau Der Klinker ist bewusst „industriell“. Er hat ein feines als Tragwerksentwurf in vorgespanntem Beton kon- Farbspiel, das stark genug ist, um die Fläche zu bele- © Franz Rindlisbacher © Beat Baschung zipiert. Die tektonische Backsteinfassade verankert ben und ist gleichzeitig zurückhaltend genug, um den Bau in der Pfeilertypologie des Straßenraums den scharf gezeichneten Ausdruck der plastisch ge- und in der Materialität des Quartiers. Der kleinteilige stuften Pfeiler nicht zu verunklären. Verbund des Mauerwerks erzeugt eine monolithi- sche und gleichermaßen textile Qualität. Corinna Menn und Mark Ammann (Arge) CORINNA MENN UND MARK AMMANN Corinna Menn und Mark Ammann haben das Projekt, das 2013 aus einem Wett- bewerb hervorgegangen ist, als Gemein- schaftsarbeit mit dem Tragwerksinge- nieur Andrea Pedrazzini entworfen und realisiert. Corinna Menn führt ihr Büro seit 2000 in Chur und Zürich. Sie unter- richtet an der Universität Liechtenstein und ist zur Zeit Gastdozentin an der ETH Zürich. Mark Ammann führt sein Büro seit 2005 in Zürich; seit 2018 gemeinsam mit der Partnerin Anne Hangebruch. Er unterrichtet an der ArchitekturWerk- statt in St. Gallen und wurde dort 2020 zum Professor berufen. © Roger Frei Längsschnitt u fritz-hoeger-preis.com/menn-ammann BÜRO- UND GEWERBEBAU 27
„Der monochrome Charakter sorgt für eine erkennbare Identität innerhalb des Stadtteils, eine architecture parlante, wobei Form und Erscheinungsbild augen- scheinlich an die Funktion des Gebäudes und die Aufgabe seiner Nutzer erinnern.“ Happel Cornelisse Verhoeven NOMINEE ORT Antwerpen, Niederlande BAUHERR Brandweer Zone Antwerpen ARCHITEKT Happel Cornelisse Verhoeven GRUNDSTÜCKSFLÄCHE 2.021 m2 BEBAUTE FLÄCHE 700 m2 NUTZUNGSFLÄCHE 878 m2 UMBAUTER RAUM 4.423 m3 ANZAHL GESCHOSSE 3 ENERGIEEFFIZIENZ 23 K-Peil (Belgische Norm) BAUZEIT 2017 - 2019 BAUKOSTEN 2,5 Mio. EUR 28 BÜRO- UND GEWERBEBAU
Lageplan DIE FARBE DES FEUERS Mehr Signalwirkung geht kaum! Ein Solitär aus kirschrot glasierten Ziegeln verkündet weithin sichtbar, wer der Hausherr dieses Gebäudes ist: die Antwerpener Feuerwehr. Im Rahmen einer allgemeinen Umstrukturierung ih- GARAGE, HAUS UND TURM rer Feuerwachen hat die Feuerwehr Antwerpen im Über der zweigeschossigen Garage befindet sich Bezirk Wilrijk eine neue Feuerwache errichtet. Hap- das Hauptgeschoss mit allen Aufenthaltsräumen. pel Cornelisse Verhoeven wurde von AG Vespa be- An der Gebäudeecke wurde ein sogenannter Dach auftragt, an der Gaston Fabrélaan, einer verkehrsrei- turm errichtet, in dem die Technikräume unterge- chen Ausfallstraße im Süden der Stadt, eine neue bracht sind. Diese Erhöhung bildet einen städte- Feuerwache zu entwerfen. Die neue Feuerwehr ist baulichen Akzent direkt an einer stark befahrenen eine rund um die Uhr besetzte Feuerwache und um- Verkehrskreuzung. Die weißen Buchstaben sind als fasst eine Garage für die Lösch- und Leiterfahrzeuge, weißes Relief auf rotem Hintergrund ausgeführt. Büros und Aufenthaltsräume, sowie Umkleide- und Dazu hat der Grafiker Reynoud Homan eine subtile Schlafräume für die Feuerwehrleute. Alle Funktionen Abänderung der Schriftart „Universe“ von Adrian sind über die gesamte Breite des Gebäudes überein- Frutiger durchgeführt, um die allgemeine Funktion ander gestapelt und im Abstand zu den angrenzen- der Feuerwache hervorzuheben. den Gebäuden errichtet. Modell Der monochrome Charakter sorgt für eine erkennbare Identität innerhalb des Stadtteils. BÜRO- UND GEWERBEBAU 29
Wichtiger Gestaltungsfaktor ist die tektonische Lesbarkeit der Fassaden. ARCHITECTURE PARLANTE Die Garage und der Arbeitsbereich im Erdgeschoss Besondere Aufmerksamkeit wurde der tektonischen wurden in Übereinstimmung mit der Funktion in ro- Lesbarkeit der Fassaden geschenkt, in denen die ty- bustem Sichtbeton ausgeführt. Die Obergeschosse pologische Stapelung von Garage, Aufenthaltsberei- mit den Büros und Aufenthaltsräumen sind zur Be chen und Turm zum Ausdruck gebracht wird. Die tonung des häuslichen Charakters in Brettsperrholz Höhe der gestapelten Funktionen nimmt proportio- ausgeführt. Die einheitliche farbliche Gestaltung nal nach oben zu ab, und durch einen Rücksprung der Türen und Türrahmen, Sockelleisten und Ein der Fassade um zehn Zentimeter wird die Stapelung bauschränke verleiht den Räumen eine besondere zusätzlich akzentuiert. Die Pilasterfassaden wurden Ausstrahlung. aus rot glasierten Ziegeln in verschiedenen Forma- ten errichtet und werden durch die rot lackierten SICHTBARE WIDERSTANDSFÄHIGKEIT Fassadenbänder und die weinroten Fensterrahmen Die neue Feuerwache hat alle Eigenschaften eines rhythmisch unterbrochen. Der monochrome Charak- nachhaltigen Gebäudes, mit optimaler Nutzung ter sorgt für eine erkennbare Identität innerhalb erneuerbarer Energien durch eine thermische Solar des Stadtteils, eine „architecture parlante“, wobei anlage, Wärmepumpe, Photovoltaikmodule auf dem Form und Erscheinungsbild augenscheinlich an die Dach und verschiedene Techniken zur Sammlung Funktion des Gebäudes und die Aufgabe seiner des Regenwassers zur Nutzung als Feuerlöschwas- Nutzer erinnern. ser. Aufgrund ihrer natürlichen, feuchtigkeitsregulie- renden Eigenschaften hat die Holzkonstruktion einen HYBRIDE KONSTRUKTION positiven Einfluss auf das Innenraumklima und den Das Gebäude besteht aus einer hybriden Tragkon Energieverbrauch des Gebäudes. struktion mit einer zentralen Treppe, die die ver schiedenen Geschosse miteinander verbindet und im Happel Cornelisse Verhoeven Einsatzfall für eine reibungslose Abwicklung sorgt. 30 BÜRO- UND GEWERBEBAU
D ie Pilasterfassaden wurden aus rot glasierten Ziegeln in verschiedenen Formaten errichtet. Fotos © Karin Borghouts © Willem de Kam HAPPEL CORNELISSE VERHOEVEN Happel Cornelisse Verhoeven betreut ein breites Portfolio, bestehend aus öffent lichen Gebäuden, Sanierungen, Wohnge bäuden und öffentlichen Innenräumen. Aufgrund des ausgeprägten Interesses des Grundriss 2. OG Unternehmens an der kulturhistorischen Entwicklung von Städten und Gebäuden bewegen sich die meisten Projekte an der Schnittstelle zwischen Alt und Neu. Der praktische Ansatz setzt auf regenera tive Synthese: Er stellt Vergangenheit und Gegenwart so gegenüber, dass sie sich gegenseitig verstärken. Jedes Projekt geht von seinem eigenen materiellen Ausdruck aus und zeichnet sich durch die Verwen- dung bekannter Typologien und eine Vor- liebe für lokale, robuste Materialien aus. Grundriss EG Querschnitt u fritz-hoeger-preis.com/hcv BÜRO- UND GEWERBEBAU 31
ARCHITEKTURGEFLECHT Wiederverwendete Abbruchsteine, gartenähnliche Innenhöfe, weder typische Flure noch eine Chefetage und ein Restaurant mit Terrasse am Wasser: Ganz neue Wege geht dieser Verwaltungsbau. Die Fassade besteht aus einer Ziegelschale aus ge- EIN ORT, DEN MAN GERN BESUCHT brauchten Abbruchsteinen. Beim Innenausbau domi- Die einzelnen Arbeitsbereiche sind stützenfrei aus nieren Holzoberflächen und in der Eingangsebene gebildet. Jeder einzelne Innenhof hat eine eigene der unregelmäßig verlegte Naturstein, sogenannte Gartengestaltung. Das Grundstück liegt in knapper Solnhofener Platten. Die flur- und stützenfreie Aus- Entfernung zur A5 und der Autobahnauffahrt von bildung der Büroflächen sichert eine beidseitige Be- Karlsruhe-Durlach. Ein Parkhaus schützt das Haupt- lichtung. Die davorliegenden Balkone verschatten die gebäude vor Lärm. Entgegen den für Autobahnkreu- Fassaden und ergeben ein angenehmes Raumgefühl. ze typischen Architekturen von Unternehmen und Einkaufszentren sollte hier ein Kontrapunkt gesetzt WEITGEHEND HIERARCHIELOS werden: ein Ort, den man gerne besucht. Das Gebäude sollte eine weitgehend hierarchielose Struktur bekommen. Das Volumen wurde auf drei bis NACHHALTIGKEIT IM BLICK vier Geschosse ausgelegt, die wabenförmige Struk- Im Vordergrund standen die Dauerhaftigkeit und tur mit den Innenhöfen bildet ein Netz von Arbeits- das Bemühen um gute Werte bei den Lebenszy- flächen, die ohne die für einen Verwaltungsbau ty kluskosten. Beispiel: dezentrale Belüftung der Bü- pischen Flure auskommt. Die Treppenhäuser sind roflächen. Der Firmensitz dürfte eines der ersten als eigenständige Kommunikationsbereiche dezent- größeren Bürogebäude sein, das mit pulsierenden, ral angelegt. Rückgrat ist eine zentrale Magistrale, an dezentralen Lüftungsgeräten ausgestattet ist. der die inneren Treppenräume liegen. Sie verbindet das Eingangsfoyer auf der Westseite mit dem Be- LRO Lederer Ragnarsdóttir Oei triebsrestaurant, das sich mit einer Terrasse und einer angestauten Wasserfläche nach Osten öffnet. Die wabenförmige Struktur mit den Innen- höfen bildet ein Netz von Arbeitsflächen. Fotos © Roland Halbe, Stuttgart 32 BÜRO- UND GEWERBEBAU
Lageplan NOMINEE ORT Karlsruhe, Deutschland BAUHERR dm-drogeriemarkt GmbH + Co. KG ARCHITEKT LRO Lederer Ragnarsdóttir Oei GmbH & Co. KG GRUNDSTÜCKSFLÄCHE 26.587 m2 LRO LEDERER RAGNARSDÓTTIR OEI BEBAUTE FLÄCHE 10.475 m2 Das Schaffen eines Ortes ist von entscheidender NUTZUNGSFLÄCHE Bedeutung für die Projekte 24.056 m2 von LRO. Dazu aber wird Architektur nicht zwanghaft UMBAUTER RAUM neu erfunden. Vielmehr 181.409 m3 versuchen die Architekten, aus der langen Geschichte ANZAHL GESCHOSSE des Bauens zu lernen – ohne 3-4 dabei einem Historismus zu verfallen. Sie definieren Orte, ENERGIEEFFIZIENZ deren Räume durch ihre KfW Effizienzhaus 55 körperhaften und taktilen Eigenschaften überzeugen. BAUZEIT Um dies zu erreichen, hin- 2016 - 2019 terfragen sie Qualitäten bestehender Bauten und © Zooey Braun, Stuttgart überführen diese in eine moderne Formensprache. Das Vertraute wirkt so neu. Längsschnitt Grundriss EG u fritz-hoeger-preis.com/lro BÜRO- UND GEWERBEBAU 33
DER REIZ DES ORNAMENTS Backstein-Ornamente sind in der modernen Architektur zu einem zentralen Gestaltungselement geworden. Ihr Geheim- nis: ihre Vielfältigkeit. Sie gliedern geschlossene Gebäudehül- len, modellieren aufregende, dreidimensionale Fassaden und durchbrechen mit Loch- und Filtermauerwerk Strukturen. 34 BÜRO- UND GEWERBEBAU
p Souveräner Baukörper: Mit fein differen- ziertem Mauerwerk macht er Architektur in ihrer Reinform erfahrbar. BÜRO- UND GEWERBEBAU 35
p D er Neubau nimmt mit zeitgenössi- schen Mitteln gekonnt auf den großen Detailreichtum der historischen Nach- barfassaden Bezug. FINANZAMT ZWICKAU – ERWEITERUNG FORTSETZUNG MIT RAFFINIERTEN DETAILS Der Baukörper versteht sich als ergänzender Baustein NACHHALTIGKEIT MIT STIL in der bestehenden Stadtstruktur, er fügt sich daher Die kompakte Ausbildung des Baukörpers ist vorteil- hinsichtlich seines Volumens, der Höhenentwicklung, haft im Hinblick auf Nachhaltigkeit und Energiekon- Dachform, Farbigkeit und Materialität selbstbewusst, zept, sodass die Umsetzung des gewählten Passiv- aber sensibel in die Nachbarschaft ein. Er fungiert zu- hausstandards begünstigt wird. dem als Komplettierung des Gesamtensembles für das Finanzamt, das aus sehr individuellen, teilweise GEKONNTER BRÜCKENSCHLAG denkmalgeschützten Gebäuden besteht, die aus un- Die Fassaden werden geprägt von der streng funktio- terschiedlichen Zeiten von 1900 bis 2000 stammen. nal gereihten Anordnung stehender Öffnungen und Der Übergang zum Bestand erfolgt durch einen Zwi- der fein detaillierten Ziegelverkleidung aus hellocker- schenbau, der sich durch seine geometrische Ausbil- farbenen Steinen. Durch die Ziegelfassade wird das dung und abweichende Materialität zurücknimmt. örtlich stark verbreitete Baumaterial aufgenommen und gleichzeitig eigenständig interpretiert. Die An- KLAR UND FUNKTIONAL ordnung der fein differenzierten Ziegeltexturen in Die Gestaltung der Innenräume ist geprägt von Bändern, die an den Gebäudecken in der Höhenlage einem klaren und funktionalen Grundriss. Die drei- verspringen, sorgt für ein flächiges und abstraktes spännige Anordnung ermöglicht Büroräume an den Erscheinungsbild des Gebäudes. So wird mit zeitge- Außenwänden und Aktenarchive in der Mitte. Das nössischen Mitteln auf den großen Detailreichtum Dachgeschoss nimmt Bezug auf die Umgebung. der historischen Nachbarfassaden Bezug genommen. 36 BÜRO- UND GEWERBEBAU
Sie können auch lesen