Forenpapiere Hauptversammlung des Deutschen Städtetages vom 4. bis 6. Juni 2019 in Dortmund - Deutscher Städtetag
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Fotos: S. 5 – 1. Wolfgang Borrs, 2. dielichtbildmanufaktur, 3. Laurence Chaperon / S. 10 – 1. Beatrice Teydel, 2. Gabriel Moreno, 3. Difu / S. 15 – 1. Marlen Helene, 2. Volker Wiciok, 3. Christoph Papsch / S. 20 – 1. privat, 2. Anja Beutler, 3. Armin Maier, 4. Werner Bartsch / S. 24 – 1. Alexander Heimann, 2. privat, 3. Theo Klein, 4. Heike Schröder (VDV) / S. 29 – 1. privat, 2. privat, 3. privat, 4. ZGF 2 Forenpapiere
Inhalt Inhaltsverzeichnis Forum A Städte leben Zusammenhalt – Vielfalt und Integration gehören dazu Seite 4 Forum B Haushalts- und Sozialpolitik nachhaltig gestalten – für Jung und Alt Seite 9 Forum C Gemeinsam Herausforderungen meistern – in Europa und weltweit Seite 14 Forum D Hochkultur und Freie Szene – Zusammenhalten im Quartier Seite 19 Forum E Mobilität in Stadt und Region – nachhaltig und gemeinsam Seite 23 Interfraktionelle Frauensitzung Gleichstellung – ein Gradmesser für Demokratie und Zusammenhalt in den Städten Seite 28 Forenpapiere 3
Forum A Städte leben Zusammenhalt – Vielfalt und Integration gehören dazu Die Fluchtmigration und die damit einhergehenden vor Ort zu gestalten, die Integration von zugewanderten Herausforderungen haben die öffentliche Diskussion Menschen ist dabei ein wesentlicher Punkt. Wie steht geprägt und prägen sie bis heute. In der Gesellschaft es um den gesellschaftlichen Zusammenhalt in den kann eine Polarisierung entlang der Frage um die Städten nach der Fluchtmigration in den letzten Flüchtlingszuwanderung festgestellt werden. Zentrale Jahren? Welchen Stellenwert hat die Integration? Mit Aufgabe der Städte ist es, das soziale Zusammenleben diesen Fragen wird sich das Forum beschäftigen. Mittwoch, 5. Juni 2019: 14:30 bis 15:30 Uhr Veranstaltungsort: Messe Dortmund (Eingang Nord) Rheinlanddamm 200 44139 Dortmund Der Raum wird vor Ort bekannt gegeben. Gesprächsrunde: Prof. Dr. Thomas K. Bauer Vorsitzender des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration Wolfgang Griesert Oberbürgermeister der Stadt Osnabrück und Stellvertreter des Präsidenten des Deutschen Städtetages Serap Güler Staatssekretärin für Integration im Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen Moderatorin: Asli Sevindim Moderatorin WDR, Aktuelle Stunde Hauptgeschäftsstelle: Dr. Uda Bastians Beigeordnete des Deutschen Städtetages im Dezernat Recht und Verwaltung Kirstin Walsleben Hauptreferentin des Deutschen Städtetages im Dezernat Recht und Verwaltung 4 Forenpapiere
Forum A Prof. Dr. „Sozialer Zusammenhalt kann sich nur dort entwickeln, wo Thomas K. Bauer Menschen einander begegnen und kennenlernen. Deshalb ist es Vorsitzender des wichtig, dass Städte Räume bieten, in denen solche Begegnungen – Sachverständigenrates deutscher Stiftungen über das Zusammentreffen in der Kita, in der Schule, am Arbeitsplatz für Integration und hinaus – stattfinden können und allen offenstehen, auch den neu Migration Zugewanderten. Städte können beispielsweise Akteure vor Ort fördern, die Flüchtlinge bei Behördengängen oder der Arbeitsplatz- suche unterstützen oder gemeinsame Freizeitaktivitäten anbieten. Damit die Integration gelingt, ist zielgruppengerechte Sprach- förderung besonders wichtig.“ „Osnabrück lebt als Friedensstadt den Leitgedanken „Frieden als Wolfgang Griesert Aufgabe – dem Frieden verpflichtet“ und ist stolz auf ihre gelebte Oberbürgermeister der Stadt Osnabrück und Vielfalt. Zugewanderte sind seit Jahrzehnten Teil der Bürgerschaft. Stellvertreter des Anhaltend hohe Wanderungsintensitäten, eine wachsende diverse Präsidenten des Gesellschaft aber auch aktuelle Fluchtbewegungen erfordern jedoch Deutschen Städtetages ein neues Denken im Sinne eines ganzheitlichen Integrations- managements bei dem Stadtrat, Stadtverwaltung, Bürgergesellschaft und Institutionen eng zusammenarbeiten.“ Serap Güler „Mehr als 4,6 Millionen Menschen in Nordrhein-Westfalen haben eine Staatssekretärin für Einwanderungsgeschichte. Vielfalt und Zusammenhalt machen Integration im unsere Stärke aus. 87 Prozent der Menschen mit Migrations- Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und geschichte fühlen sich ihrer Heimatstadt verbunden. Das belegt das Integration des Landes aktuelle Integrationsbarometer des Sachverständigenrates deutscher Nordrhein-Westfalen Stiftungen für Integration und Migration. NRW ist ein weltoffenes Land, in dem Integration gelingt. Unsere Kommunen leisten dazu einen wichtigen Beitrag. Denn: wie schnell und wie gut Integration gelingt, entscheidet sich vor Ort, wo die Menschen leben. Trotz des guten Integrationsklimas in Nordrhein-Westfalen stehen unsere Städte weiter vor großen Herausforderungen. Wir als Landes- regierung unterstützen sie dabei.“ Forenpapiere 5
Forum A Forenpapier für das Forum A Seit mehreren Jahren nimmt die Zuwanderung von Eine Gesellschaft funktioniert nur gut, wenn ihre Menschen deutlich zu, die zur Arbeitsaufnahme und Bürgerinnen und Bürger gut zusammenleben. Ver- Existenzgründung nach Deutschland kommen. Der schiedene Entwicklungen in den vergangenen Jahren überwiegende Teil stammt aus EU-Mitgliedsstaaten. haben zu einem rasanten gesellschaftlichen Wandel Nach Deutschland kamen und kommen aber auch beigetragen. Globalisierung, Digitalisierung und Menschen aus allen Teilen der Welt, die vor Bürgerkrieg Zuwanderung befördern tiefgreifende Transformations- und Verfolgung fliehen und Schutz und Zuflucht prozesse, die Staat und Gesellschaft vor große Heraus- suchen. forderungen stellen. Durch die Fluchtmigration aus Syrien und anderen krisenbehafteten Regionen 2015 und 2016 nach Europa wurde eine Brüchigkeit der Zuwanderung verändert Stadtgesellschaften Europäischen Union sichtbar. Aber auch die Stadt- gesellschaften sind unmittelbar von diesen Ver- Zuwanderung verändert die aufnehmende Gesellschaft. änderungen betroffen: Zuwanderung verstärkt Hetero- Kulturelle Vielfalt und sprachlicher Reichtum sind ein genität und Vielfalt. Gewinn für die Stadtgesellschaften. Gesellschaften, die Vielfalt ermöglichen und die offen sind, sind seit jeher Die Reaktionen auf die Fluchtmigration fallen in der wirtschaftlich erfolgreicher, kulturell reicher und aufnehmenden Bevölkerung sehr unterschiedlich aus. kreativer als Gesellschaften, die sich abschotten. Es kann eine Polarisierung entlang der Frage um die Gerade in den Städten wird das Potenzial deutlich, das Fluchtmigration festgestellt werden. Auf der einen Seite Zugewanderte in unsere Gesellschaft einbringen und gab und gibt es eine große Willkommenskultur sowie die Chancen, die daraus für die Städte und die Gesell- hohes ehrenamtliches Engagement, um Geflüchtete bei schaft erwachsen. Viele zu uns kommende Menschen ihrer Ankunft in der Gesellschaft zu unterstützen. Auf sind jung, bringen Qualifikationen mit und den Willen, der anderen Seite wurde gerade diese Willkommens- sich dauerhaft einzubringen. In manchen Regionen kultur zu einer Angriffsfläche, auch für rechts- kann Zuwanderung den demografischen Wandel zwar populistische Gruppierungen und Parteien. Es ver- nicht aufhalten, aber doch zumindest abbremsen. schaffen sich Stimmen deutlich Gehör, die die Aufnahmefähigkeit der Gesellschaft überschritten Eine Erwerbsmigration innerhalb der EU steht dabei sehen, den Verlust ihrer kulturellen Identität befürchten unter anderen Vorzeichen als eine Fluchtmigration aus und sich vor Überfremdung fürchten. In diesen Aus- einem völlig anderen Gesellschafts- und Kulturkreis. So einandersetzungen wird oft unterschieden zwischen sind in der Gesellschaft kulturelle Veränderungen zu der Zuwanderung von Fachkräften und der Migration verarbeiten, die sich auf andere Lebensweisen, aus humanitären Gründen. bestimmte Wertvorstellungen und rechtliche Grund- überzeugungen erstrecken. Diese Veränderungen sind vielfältig und fordern die Gesellschaft heraus. Zuwanderung in die Städte hat Tradition In unseren Städten leben schon lange Zugewanderte Offene und vielfältige Gesellschaft wird und ihre Nachkommen aus vielen Nationen. Knapp herausgefordert jede vierte Person in Deutschland hat einen Migrations- hintergrund. Etwa ein Drittel teilt die Zuwanderungs- An vielen Orten in Deutschland sind gegensätzliche geschichte über die Eltern, hat aber keine eigene Interessen und Ideologien, insbesondere um die Flucht- Migrationserfahrung mehr. migration und Integration, deutlich zu Tage getreten. In Teilen der aufnehmenden Gesellschaft hat die Flucht- Die Städte blicken insofern auf eine lange Tradition von migration Skepsis, aber auch Ablehnung und Zuwanderung und erfolgreicher Integration Zuge- Bedrohungsgefühle ausgelöst. Es kam und kommt zu wanderter zurück. All diese Menschen sahen für sich in populistischen Reaktionen. Zu beobachten ist ferner Deutschland temporäre oder sogar dauerhafte eine verschärfte politische Debatte. Lässt dies auf eine Zukunftsperspektiven. 6 Forenpapiere
Forum A kontinuierliche Verschlechterung des Integrationsklimas führt und auch nie abgeschlossen ist. Der aufnehmen- in der Gesellschaft schließen? den Gesellschaft und ihren Lebensbedingungen muss dabei die gleiche Aufmerksamkeit entgegengebracht Mehrere Studien aus jüngerer Zeit (SVR, Mercator werden, wie den Menschen, die neu in die Städte Stiftung, DESI-Institut) sind dieser Frage nachgegangen kommen. Denn Integration bedeutet Erneuerung – das und haben ein weitgehend stabiles Integrationsklima bezieht Einheimische und Zugewanderte mit ein. festgestellt. Insbesondere dann, wenn kulturelle Vielfalt Integration ausschließlich auf Neu-Zugewanderte zu im Alltag erlebt wird, wird das Zusammenleben in der beziehen, erweckt den Eindruck, dass die aufnehmende Gesellschaft überwiegend positiv wahrgenommen. Eine Gesellschaft keinen Integrationsanforderungen unter- weitere wichtige Frage ist zudem, welche Kriterien liegt, dass Integration statisch zu verstehen ist und entscheidend sind, um zur Gesellschaft dazuzu- führt dazu, dass die Integrationsbedarfe in den übrigen gehören. Es zeigt sich, dass für die Akzeptanz von Teilen der Gesellschaft vernachlässigt werden. Zugewanderten prinzipiell erwerbbare Kriterien wichtig sind: das Beherrschen der deutschen Sprache, eine Diesem Prozess stellen sich die Städte. Die OECD hat Erwerbstätigkeit und die Achtung der Gesetze. Weniger jüngst festgestellt, dass die Integration in Deutschland entscheidend sind Kategorien wie Geburtsland, ver- besser gelingt als in Ländern mit vergleichbarer brachte Lebenszeit in Deutschland oder Migrationsgeschichte. Gleichwohl brauchen die Städte Religionszugehörigkeit. Unterstützung! Deutschland muss Integration als gesamtgesellschaftliche Daueraufgabe verstehen. Bund Bei allen positiven Signalen und Akzeptanz von Vielfalt und Länder müssen die Städte weiter unterstützen, gibt es jedoch Teile in der Gesellschaft, die die wenn es um Kitas, Schulen und Wohnraum geht – für Integrationsfähigkeit der Gesellschaft als bedroht anse- Einheimische und Zugewanderte. Die Städte brauchen hen. Diese Haltungen müssen ernst genommen und ab 2020 eine verlässliche, auf Dauer angelegte diskutiert werden, soll der Zusammenhalt nicht ernst- Finanzierungsregelung für die Unterbringung und Ver- haft in Gefahr geraten. Es muss in den Blick pflegung sowie die Integration von Flüchtlingen. Die genommen werden, dass soziale Ungleichheit, Armut Städte erwarten, dass sich der Bund und die Länder und Jugendarbeitslosigkeit den sozialen Zusammenhalt auch in Zukunft maßgeblich an den Kosten der gefährden kann. So kann auch der soziale Zusammen- Kommunen beteiligen. halt innerhalb einer Kommune auf Quartiers- und Stadtteilebene unterschiedlich ausgeprägt sein. Eine gelingende Integration ist unerlässlich für ein fried- Wachsende kulturelle Vielfalt schwächt das gemein- liches und den unterschiedlichen Interessen gerecht schaftliche Miteinander dagegen nicht. werdendes Zusammenleben in der lokalen Gemeinschaft. Integration gelingt vor Ort Thesen und Fragestellungen für das Forum Eine pauschale Gefährdung des sozialen Zusammen- ● Debatte muss entdramatisiert werden halts existiert jedoch nicht. Gleichwohl sind verstärkte Die Debatte um Auswirkungen der Flüchtlingsmigration Anstrengungen zur Verbesserung des Integrations- auf den sozialen Zusammenhalt muss entdramatisiert klimas erforderlich, soll der soziale Zusammenhalt nicht werden. Die Akzeptanz von Vielfalt ist weiter groß. Das ernsthaft in Gefahr geraten. Integrationsklima wird von den Menschen in Deutsch- land überwiegend positiv gesehen. Es gibt aber eine Die Städte tragen engagiert dazu bei, dass die gesamt- deutlich erkennbare Minderheit, die sich bedroht fühlt, gesellschaftliche Aufgabe der Integration gelingt. Sie die den sozialen Zusammenhalt in Deutschland für haben bei der Integration viel Erfahrung. Integration gefährdet hält. Die Integration darf sich nicht aus- fordert die Städte aber auch heraus und verläuft nicht schließlich auf Neu-Zugewanderte beziehen, sondern problemlos. muss die aufnehmende Gesellschaft einbeziehen. Welche Strategien sind notwendig, um ein Integration stellt einen dauerhaften gesamtgesellschaft- Auseinanderdriften der Gesellschaft aufzufangen? lichen Prozess dar, der immer wieder zu Veränderungen Forenpapiere 7
Forum A ● Sprachkenntnisse sind ein entscheidender naher Beginn sollten der Regelfall sein. Aber auch die Erfolgsfaktor Kursqualität und die Lernerfolge müssen eine wichtige Rolle spielen. Für eine gesellschaftliche Integration sind Kriterien wie der Erwerb der deutschen Sprache, eine Erwerbstätig- ● Städte brauchen finanzielle Unterstützung keit oder die Achtung von Gesetzen von großer Bedeutung. Zuversichtlich stimmt, dass die Arbeits- Die gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Integration marktintegration von Geflüchteten etwas schneller muss weiter einen hohen Stellenwert haben. Die vorangeschritten ist, als ursprünglich angenommen. Anstrengungen zur Verbesserung des Integrations- Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die klimas sind fortzusetzen und zu verstärken. In den Beschäftigungsquoten von Beschäftigten aus den Städten entscheidet sich, wie schnell und gut Hauptherkunftsländern mit rund 35 Prozent vergleichs- Integration gelingt. Hierfür brauchen die Städte weise gering sind. Fehlende Sprachkenntnisse, Schul- weiterhin die Unterstützung von Bund und Ländern. und Bildungsabschlüsse sowie berufliche Qualifikationen Nur mit einer verlässlichen auf Dauer angelegten sind nach wie vor eine große Hürde. Gute Deutsch- Finanzausstattung lassen sich die anstehenden kenntnisse sind ein entscheidender Erfolgsfaktor. Viele Integrationsaufgaben bewältigen. Die Städte erwarten, Geflüchtete verfügen trotz absolvierter Integrations- dass sich der Bund und die Länder auch ab 2020 maß- kurse über keine ausreichenden Sprachkenntnisse. geblich an den Kosten der Integration beteiligen. Eine schnelle Vermittlung in einen Kurs und ein zeit- 8 Forenpapiere
Forum B Haushalts- und Sozialpolitik nachhaltig gestalten – für Jung und Alt Die Alterung der Gesellschaft führt zu hohem Kosten- zwischen Erträgen und Aufwendungen. Zu bedenken druck. Gleichzeitig müssen die Kommunen flexibel auf ist: Für welche Zwecke werden Steuermittel eingesetzt neue gesellschaftliche Anforderungen reagieren und mit welchen Wirkungen? Wo bestehen Gestaltungs- können, zum Beispiel mit dem Ausbau der Kinder- spielräume? Städtische Bilanzen bieten der Politik eine betreuung. Verteilungskonflikte zwischen „Jung“ und Entscheidungsgrundlage für Generationengerechtigkeit „Alt“ sind zu lösen. Gleichwohl: Grundsätzlicher Maß- und nachhaltiges Handeln. stab für die Haushaltspolitik ist der jährliche Ausgleich Mittwoch, 5. Juni 2019: 14:30 bis 15:30 Uhr Veranstaltungsort: Messe Dortmund (Eingang Nord) Rheinlanddamm 200 44139 Dortmund Der Raum wird vor Ort bekannt gegeben. Gesprächsrunde: Katja Dörner Stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen Dr. Matthias Haß Sächsischer Staatsminister der Finanzen Prof. Dr. Carsten Kühl Geschäftsführer und Institutsleiter des Deutschen Instituts für Urbanistik Moderator: Michael Brocker WDR-Moderator Hauptgeschäftsstelle: Verena Göppert Ständige Stellvertreterin des Hauptgeschäftsführers und Beigeordnete des Deutschen Städtetages im Dezernat Finanzen Stefan Hahn Beigeordneter des Deutschen Städtetages im Dezernat Arbeit, Jugend, Gesundheit und Soziales Dr. Birgit Frischmuth Hauptreferentin des Deutschen Städtetages im Dezernat Finanzen Regina Offer Hauptreferentin des Deutschen Städtetages im Dezernat Arbeit, Jugend, Gesundheit und Soziales Forenpapiere 9
Forum B Katja Dörner „Eine generationengerechte Haushalts- und Sozialpolitik kann nur Stellvertretende gelingen, wenn wir uns an einer nachhaltigen Entwicklung Vorsitzende der orientieren. Wir dürfen nicht auf Kosten künftiger Jahrgänge Politik Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen machen und auf diesem Weg Generationen gegeneinander aus- spielen. Gestaltungschancen müssen auch in der Zukunft gewahrt bleiben. Die „schwarze Null“ ist kein Wert an sich. Vielmehr bedarf es jetzt einer Investitionsoffensive: sei es im Klimaschutz, in der Bildung, beim Ausbau von Kitaplätzen oder bezahlbarem Wohnraum. Denn davon profitieren letztendlich alle Generationen.“ „Nachhaltige Finanzpolitik heißt für mich, dass wir durch gesunde Dr. Matthias Haß Staatsfinanzen die Grundlagen für die nächsten Jahrzehnte legen. Sächsischer Staats- minister der Finanzen Dazu gehören Investitionen in Bildung, Wachstum und Arbeitsplätze, damit wir den Wohlstand in unserem Land sichern. Sachsen ist Vorreiter bei der Schuldenbremse, weil wir nachkommenden Generationen keinen Schuldenberg hinterlassen wollen.“ Prof. Dr. Carsten Kühl „Gesellschaftliche Veränderungen werden auf der kommunalen Geschäftsführer und Ebene zumeist unmittelbar spürbar. Mehr Kinderbetreuung, eine älter Institutsleiter des und pflegebedürftiger werdende Gesellschaft, Emissionsgrenzwerte Deutschen Instituts für Urbanistik von Fahrzeugen, Einkäufe im Internet oder zu wenig bezahlbarer und barrierefreier Wohnraum – Kommunalpolitik muss darauf reagieren: innovativ, kreativ, aber letztlich auch fiskalisch. Eine spannende Frage ist, wo sind die Kommunen in der Pflicht und wo ist es Pflicht von Ländern und Bund, den Kommunen die notwendigen finanziellen Rahmenbedingungen für kluge, zukunftsorientierte Lösungen zu bereiten.“ 10 Forenpapiere
Forum B Forenpapier für das Forum B Mutterschaft, Arbeitslosigkeit, Wohnen und allgemeine Lebenshilfe. Die Bevölkerungsstatistiken zeigen, dass die Bevölkerung in Deutschland in den kommenden Für die nähere Zukunft bis zum Jahr 2021 wird ein Jahren altern und trotz Zuwanderung stark paralleler Anstieg der Sozialleistungssumme auf insge- schrumpfen wird. Die Bundesbank hat im April 2017 samt 1,1 Billionen Euro und des BIP vorhergesagt. Die berichtet, dass die Bevölkerungszahl bei den 15- bis Bundesregierung erwartet, dass das BIP um jährlich 74-Jährigen bis zum Jahr 2025 um 2,5 Millionen 3,2 Prozent wächst und die Sozialleistungsquote im abnehmen wird. Gleichzeitig steigt der Anteil der Jahr 2021 bei ungefähr 30 Prozent liegt. Älteren (zwischen 55 und 74 Jahren) auf etwa 40 Prozent an. Die Betrachtung der Altersgruppen wurde bewusst weit gefasst, um auf die Bedeutung Schlussfolgerungen für die Zukunft der Frage der Erwerbsbeteiligung der Älteren und der Sozialleistungssysteme das Renteneintrittsalter hinzuweisen. Die Bundesbank geht davon aus, dass das Wirtschafts- Auch im Sozialbericht der Bundesregierung (2017) wachstum ab dem Jahr 2021 durch die demografische werden die Auswirkungen der seit Jahrzehnten Entwicklung deutlich gebremst wird. Die Finanzierungs- niedrigen Geburtenziffer und des kontinuierlichen probleme der Sozialleistungen werden verstärkt durch Anstiegs der Lebenserwartung auf die sozialen steigende Ausgaben im Renten-, Gesundheits- und Sicherungssysteme beschrieben. Der demografische Pflegesystem. Auf dieses zu erwartende Missverhältnis Wandel wird sich vor allem bei der Betrachtung der zwischen den Leistungsansprüchen der alternden einzelnen Altersgruppen zeigen. Die Zahl der Jüngeren Gesellschaft und ihrer Leistungskraft muss im Sinne geht trotz der Zuwanderung zurück. Die Zahl der einer generationengerechten Politik reagiert werden. Älteren ab 65 Jahren steigt dagegen stark an. Generationengerechtigkeit erfordert, dass die Jüngeren Ab dem Jahr 2021 wird ein deutlicher Rückgang der nicht durch eklatante Steuer- und Abgabenerhöhungen Erwerbstätigen durch das Ausscheiden der sogenannten zum „Zahlmeister“ der gealterten Gesellschaft gemacht Baby-Boomer-Generation aus dem Arbeitsmarkt werden. Die Rahmenbedingungen für eine möglichst erwartet. Dieser Trend wird durch Ältere und Zuwanderer umfangreiche Erwerbsbeteiligung, zum Beispiel der am Arbeitsmarkt zwar gebremst, aber nicht aufge- Ausbau der Kindertagesbetreuung und der halten. Der demografische Wandel wird nicht nur das Pflegedienstleistungen sowie Verbesserungen im Arbeitsvolumen beeinflussen, sondern auch die Bildungssystem, müssen vom Staat geschaffen und Arbeitsproduktivität. Die Alterung der Gesellschaft wird finanziert werden. Gleichzeitig müssen aber auch daher zukünftig das Wirtschaftswachstum dämpfen. erworbene Rechtsansprüche erfüllt und ein akzeptables Dienstleistungen, zum Beispiel Gesundheits- und soziales Sicherungsniveau für Jung und Alt gehalten Pflegedienstleistungen, gewinnen gegenüber der werden. Der seit langem bestehende Generationen- Güterproduktion an Bedeutung. Die Produktivität von vertrag muss eingehalten werden, um den sozialen Dienstleistern ist aber in aller Regel geringer als im Frieden nicht zu gefährden. produzierenden Gewerbe. Generationengerechte Haushaltspolitik – Zusammenhang Wirtschaftskraft und kann das gelingen? Sozialleistungsquote Gute wirtschaftliche Zeiten verleiten gern dazu, neue Diese langfristige Prognose ist bedeutend, denn das Ausgaben zu beschließen, weil Steuereinnahmen und Bruttoinlandsprodukt (BIP) und die Sozialleistungs- Zuwendungen steigen. Doch neue Programme mit quote (Leistungen gemessen am BIP) müssen weiterhin zusätzlichen Ausgaben müssen auch finanzierbar in einem tragfähigen Verhältnis stehen. Die Sozial- bleiben, wenn Steuereinnahmen zurückgehen oder leistungsquote berücksichtigt die Themen Krankheit, Zinsen steigen. Invalidität, Alter, Hinterbliebene, Kinder, Ehegatten, Forenpapiere 11
Forum B Kommunale Sozialausgaben steigen seit vielen Jahren Regionale Disparitäten überproportional an. Die Ursachen sind klar benannt: mangelnde Steuerungsmöglichkeiten der Kommunen, Daten der Statistik signalisieren eindeutig, dass in den Leistungsausweitungen und zunehmend größere letzten Jahren regionale Disparitäten unübersehbar zuge- Herausforderungen aufgrund einer sich ändernden nommen haben. Aktuell muss es darum gehen, Investi- Bevölkerungsstruktur. tionen und Schuldenabbau voranzubringen, um den wachsenden Disparitäten entgegenzuwirken und gleich- Die Durchsetzung des Grundsatzes „Wer bestellt, wertige Lebensverhältnisse in Deutschland herzustellen. bezahlt.“ (Konnexitätsprinzip) ist entscheidend, um den Kommunen wieder Gestaltungsspielräume zu eröffnen. Strukturschwache Städte und Regionen dürfen nicht abgehängt, sondern müssen gezielt gefördert werden. Eine Lösung für die kommunalen Altschulden ist gegenwärtig machbar und notwendig. Die Lösung kann Neue Transparenz der Stadtpolitik direkt erfolgen, indem der Bund und die betroffenen Länder das Zinsrisiko verringern und den Kommunen Knappe öffentliche Mittel und wachsende Komplexität bei der Schuldentilgung helfen. Sie kann aber auch erfordern Transparenz, um besser zu entscheiden. Ein indirekt durch eine deutliche Erhöhung der Bundes- prüfender Blick allein auf den jährlichen Haushaltsaus- beteiligung an den Kosten der Unterkunft gelingen. gleich zwischen Einnahmen und Ausgaben springt deutlich zu kurz. Die Abbildung des vollständigen Ressourcenverbrauchs (auch von Abschreibungen auf kommunales Vermögen und Pensionslasten) schärft Verbesserte Finanzausstattung – den Blick auf die Belastungen künftiger Generationen mehr kommunale Investitionen durch heutige politische Entscheidungen. Fehlende kommunale Gestaltungsmöglichkeiten sind Seit der Einführung der kommunalen Doppik sind ent- ursächlich für den Verfall kommunaler Infrastruktur in den sprechende Daten verfügbar. Die Umstellung des letzten Jahrzehnten. Kommunale Investitionen steigen kommunalen Rechnungswesens der letzten Jahre war selbst gegenwärtig nicht in dem Umfang, wie es ange- mühsam. Die jetzt vorliegenden Zahlen sind oft unbe- sichts des bestehenden Investitionsbedarfs notwendig quem, der jährliche Haushaltsausgleich gestaltet sich wäre. Investitionen haben seit Jahren eine extreme schwieriger. Das mag anstrengend für die politischen Spreizung: In Bayern sind sie je Einwohner nahezu drei- Akteure sein. Um eine generationengerechte Haus- mal so hoch wie in NRW je Einwohner. Mittlerweile haltspolitik zu betreiben, ist es unvermeidbar. investieren alle ostdeutschen Länder je Einwohner weniger als der Durchschnitt der westdeutschen Länder. Bürgerhaushalte, Geschäftsberichte und Kosten- berichte geben Aufschluss über den Einsatz und die Werden Nachhaltigkeit, Generationengerechtigkeit und Verwendung städtischer Mittel, aber auch über das gesellschaftlicher Zusammenhalt als wesentliche Leistungsspektrum der Städte. Finanzielle Kennzahlen politische Zielsetzungen anerkannt, sind diese Unter- (wie Gebühren und Kosten für städtische Kinder- schiede ernst zu nehmen. Zur Sicherung gleichwertiger einrichtungen) werden Leistungskennzahlen (wie dem Lebensverhältnisse sind kommunale Investitionen ent- Versorgungsgrad bei der Kinderbetreuung) gegen- scheidend. übergestellt. Solche Informationen werden für die politische Debatte vor Ort, aber auch für inter- kommunale Vergleiche genutzt. Auch bei sozialen Thesen für das Forum Dienstleistungen durch freie Träger sollte mehr Transparenz eingefordert werden und gegebenenfalls ● Abnehmende Wirtschaftskraft bei gleichzeitiger Erfahrungen mit der Nutzung von Vergabeverfahren Alterung der Gesellschaft gesammelt werden. Das Wirtschaftswachstum wird bis zum Jahr 2025 aus demografischen Gründen deutlich zurückgehen. Bei gleichzeitiger Alterung der Gesellschaft bedeutet dies 12 Forenpapiere
Forum B eine ernstzunehmende Herausforderung der kommen- und der kommunalen Ebene in Gänze zu konsolidieren, den Jahre. um in den kommenden Jahren handlungsfähig zu blei- ben. Der Bezug allein auf die Sozialbudgets für mögli- ● Generationengerechtigkeit che Lösungsansätze reicht nicht aus. Jüngere dürfen nicht durch eklatante Steuer- und ● Transparenz für generationengerechte Abgabenerhöhungen zum „Zahlmeister“ der gealterten Haushalte Gesellschaft gemacht werden. Die Wirtschaftskraft Deutschlands kann nur bei Schaffung der notwendigen Basis für eine generationengerechte Haushalts- Rahmenbedingungen weiter gesteigert werden. Der steuerung sind Transparenz des vollständigen Ausbau der Kindertagesbetreuung und der Pflege- Ressourceneinsatzes und die Benennung klarer Ziele dienstleistungen entlasten Arbeitnehmerinnen und für das Verwaltungshandeln, die über Kennzahlen Arbeitnehmer. Verbesserungen im Bildungssystem nachgehalten werden. Einheitliche Standards für die ermöglichen die Ausschöpfung des Beschäftigungs- öffentliche Rechnungslegung erhöhen die Transparenz potentials. Es ist ein gesellschaftlicher Diskurs und ermöglichen die bessere Vergleichbarkeit von erforderlich u.a. über Chancen der Digitalisierung, eine Daten zur Haushaltssteuerung und der Finanz- Erhöhung des Arbeitsvolumens, zum Beispiel durch die beziehungen zwischen der staatlichen und kommunalen Verlängerung der Lebensarbeitszeit und weniger Teil- Ebene. zeitarbeit, sowie Einsparungen im Sozialsystem. ● Abbau von regionalen Disparitäten und Sicher- ● Soziales Sicherungsniveau für Jung und stellung einer ausreichenden Mittelausstattung Alt erhalten Um Haushaltspolitik vor Ort zukunftstauglich für Jung Erworbene Rechtsansprüche müssen auch weiterhin und Alt zu gestalten, müssen Altschulden abgebaut erfüllt werden, um den seit langem bestehenden und Investitionen in die kommunale Infrastruktur Generationenvertrag einzuhalten und den sozialen gesichert werden. Dafür bedarf es einer gesicherten Frieden nicht zu gefährden. Finanzausstattung. ● Öffentliche Haushalte konsolidieren Mit Blick auf den bevorstehenden demografischen Wandel sind die öffentlichen Haushalte der staatlichen Forenpapiere 13
Forum C Gemeinsam Herausforderungen meistern – in Europa und weltweit Globale Ziele, kommunale Praxis: Herausforderungen haltigkeitsziele der Vereinten Nationen für deutsche wie der Klimawandel, die weltweite Armut oder der Städte übersetzt werden? Welche Erwartungen haben wachsende Urbanisierungsdruck fordern die Städte in insbesondere Jugendliche mit Blick auf die Zukunft an Deutschland, in Europa und weltweit. Welchen Beitrag ihre Stadt? Wir wollen gemeinsam globale Ziele leisten Kommunen zur Erreichung der Klimaziele oder debattieren und ihre Bedeutung und Umsetzbarkeit für zur Bekämpfung von Fluchtursachen und wo kommen Städte diskutieren. sie an Grenzen? Wie können die abstrakten Nach- Mittwoch, 5. Juni 2019: 14:30 bis 15:30 Uhr Veranstaltungsort: Messe Dortmund (Eingang Nord) Rheinlanddamm 200 44139 Dortmund Der Raum wird vor Ort bekannt gegeben. Gesprächsrunde: Luisa Neubauer Sprecherin der Jugendklimainitiative „Fridays for Future“ Ullrich Sierau Oberbürgermeister der Stadt Dortmund Marlehn Thieme Präsidentin der Welthungerhilfe Moderatorin: Monika Zimmermann Moderatorin Hauptgeschäftsstelle: Lina Furch Leiterin der Abteilung Europa und Internationales des Deutschen Städtetages Sabine Drees Referentin des Deutschen Städtetages in der Abteilung Europa und Internationales 14 Forenpapiere
Forum C Luisa Neubauer „Der Klimawandel führt zur größten Krise der Menschheit. Wir ziehen Sprecherin der die Notbremse, denn unsere Zukunft ist in Gefahr. All das, was ver- Jugendklimainitiative schlafen wurde, wird auf unsere Kosten gehen und auf die Kosten „Fridays for Future“ des Planeten. Wir sind eine Protestbewegung, die an ganz klare zeitliche Limits gebunden ist und an physikalische Grundsätze, die unser Weltklima bestimmen. Wir müssen gemeinsam umdenken und begreifen, dass unser Planet endlich ist. Von der Politik auf allen staatlichen Ebenen und den Städten erwarten wir, dass sie die Augen aufmachen und entsprechend handeln. Wir brauchen eine Veränderung und deswegen gehen wir auf die Straßen und streiken.“ „Städte spielen eine entscheidende Rolle für die weltweite nach- Ullrich Sierau haltige und ressourcenschonende Entwicklung. Die westfälische Oberbürgermeister der Stadt Dortmund Metropole Dortmund lebt einen integrierten Nachhaltigkeitsansatz und wurde dafür 2014 als Deutschlands nachhaltigste Großstadt ausgezeichnet. Wir betreiben eine nachhaltige und integrierte Stadt- entwicklungspolitik. Das heißt, alle unsere Maßnahmen und Handlungen prüfen wir auf ihre ökonomische, ihre soziale, ihre ökologische und ihre zivilgesellschaftliche – und damit ihre nach- haltige – Bedeutung hin.“ Marlehn Thieme „Die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen ist Präsidentin der für die Zukunft junger Menschen entscheidend – in Deutschland und Welthungerhilfe in den Ländern des Südens. Es braucht Bildung und Verständnis für die Situation der Menschen in anderen Kontinenten. Damit können im täglichen Leben wie auch in Politik und Wirtschaft Lösungen für die wirtschaftliche Entwicklung und den Kampf gegen den Klima- wandel gefunden werden, die jungen Menschen Zukunftsperspektiven eröffnen.“ Forenpapiere 15
Forum C Forenpapier für das Forum C sich für das Jahr 2030 eine Lücke zur Reduzierung von CO2-Emissionen von 13,5 Gigatonnen. Wie können die Klimaziele erreicht werden und welche Erwartungen haben Jugendliche an die ältere Genera- Staatliche Klimavereinbarungen und andere Selbstver- tion und an ihre Stadt? Können Städte dazu beitragen, pflichtungen, zum Beispiel auf kommunaler Ebene, Fluchtursachen zu bekämpfen und Lebensbedingungen reichen vielen Menschen nicht. Insbesondere Jugend- in den Herkunftsländern zu verbessern? Wie können liche rufen zum Streik für mehr Klimaschutz auf und die abstrakten Nachhaltigkeitsziele der Vereinten sind Teil der weltweiten Bewegung „Fridays for Future“. Nationen für deutsche Städte übersetzt werden? Im Die junge Klimastreikbewegung ist weder an eine Partei Folgenden werden die drängendsten Heraus- noch an eine Organisation gebunden und hat am forderungen beschrieben und Thesen und Fragen zur 15. März 2019 in verschiedenen Städten weltweit laut Diskussion gestellt. Veranstaltern über 1,4 Millionen junge Menschen mobilisiert. Bekämpfung des Klimawandels Was leisten die Kommunen? Im Pariser Klimaabkommen, das 2015 während der COP 21 verabschiedet wurde, haben sich alle Mitglied- Immer mehr deutsche Städte gehen Selbstverpflich- staaten der Vereinten Nationen dazu verpflichtet, den tungen ein zur Minderung von CO2-Emissionen und Anstieg der Erdtemperatur auf deutlich unter 2°C zu stellen Klimaschutzkonzepte auf. Neben der Energie- begrenzen und Anstrengungen zu unternehmen, auch einsparung und dem Einsatz erneuerbarer Energien die 1,5°C-Grenze nicht zu überschreiten. Das stehen die energetische Gebäudesanierung und eine Abkommen gilt als Wendepunkt hin zu einer größeren Verkehrswende durch die Förderung umweltfreund- weltweiten Anstrengung zur Beschränkung der Erd- licher Verkehrsträger im Vordergrund. Klimaschutz- erwärmung. Die allgemeinen Formulierungen des kriterien sind zunehmend wichtiger Bestandteil der Pariser Klimaabkommens wurden in den nach- Bauleitplanung. Rund 60 deutsche Kommunen folgenden Weltklimakonferenzen, insbesondere der engagieren sich auch weltweit und erarbeiten im COP 23 in Bonn und der COP 24 in Kattowitz (Polen) in Rahmen von Klimapartnerschaften – einem Angebot konkrete Regelwerke gefasst. Dabei setzt jedes Land der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt seine Klimaziele und Aktionspläne selbst fest. (SKEW) – gemeinsame Handlungsprogramme für Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen mit Deutschland könnte die selbstgesteckten Ziele ver- ihren kommunalen Partnern aus dem globalen Süden. fehlen: In dem 2018 verabschiedeten Klimaschutz- Die Handlungsprogramme sind mit konkreten Maß- bericht der Bundesregierung heißt es, dass Deutsch- nahmen und Ressourcen unterlegt. land bis 2020 die Treibhausgasemissionen nicht um 40 Prozent, zu denen es sich verpflichtet hatte, sondern lediglich um 32 Prozent verringern wird. Armutsbekämpfung und Beseitigung von Fluchtursachen Im letzten Jahr legte die EU ihre langfristige strategische Vision für eine wohlhabende, moderne, Weltweit ist die Zahl der Flüchtlinge so hoch wie nie wettbewerbsfähige und klimaneutrale Wirtschaft für seit dem Zweiten Weltkrieg. Über 60 Millionen den Zeithorizont 2050 vor. Nach den Ergebnissen Menschen sind derzeit auf der Flucht. Sie verlassen unabhängiger Wissenschaftler von „Climate Action ihre Heimat, weil sie keine Perspektive auf ein fried- Tracker“, die ihre Ergebnisse im Rahmen der COP 24 in liches, stabiles und würdiges Leben haben. Die meisten Kattowitz präsentiert hatten, erreicht auch die EU nicht Flüchtlinge, die derzeit nach Deutschland kommen, das 2°C-Ziel. Die Anstrengungen der EU wurden insge- stammen aus Syrien, dem Irak, Afghanistan, Eritrea, samt als unzureichend eingestuft. Nur die industrie- Nigeria und Pakistan. Die EU arbeitet mit einigen armen afrikanischen Nationen Marokko und Gambia Ländern Afrikas verstärkt zusammen, damit sich die erfüllen derzeit das 1,5°C- Ziel. Nach Berechnungen Lebensbedingungen verbessern und damit Flüchtlinge des „United Nations Environment Programme“ ergibt 16 Forenpapiere
Forum C näher an ihrer Heimat bleiben können, auch um die Verabschiedung der neuen Städteagenda „Neue Rückkehrperspektiven zu verbessern. Hierfür hat die Urbane Agenda“ auf dem „Dritten Weltgipfel der Verein- EU 2016 einen Nothilfe-Treuhandfonds für Afrika von ten Nationen zu Wohnungswesen und nachhaltiger mehr als 2,4 Milliarden Euro eingerichtet. Stadtentwicklung“ 2016 in Quito/Ecuador einigte sich die Staatengemeinschaft darauf, die nachhaltige Stadt- Mit der Gemeinschaftsinitiative „1.000 Schulen für entwicklung in der Welt voranzubringen. Im Rahmen unsere Welt“ (www.1000schulenfuerunserewelt.de) der alle zwei Jahre stattfindenden World Urban Foren leisten auch die kommunalen Spitzenverbände einen werden praktische Lösungen zur nachhaltigen Stadt- Beitrag, Bildungs- und Zukunftschancen in Herkunfts- entwicklung weltweit und zur Bewältigung einer fort- ländern zu verbessern. Viele Kommunen kooperieren schreitenden Urbanisierung gesucht. Die Ziele für mit flüchtlingsaufnehmenden Kommunen im Libanon, nachhaltige Entwicklung der Agenda 2030 schlagen in der Türkei oder in Jordanien. Deutsche Städte sich in allen zehn Prioritäten der Europäischen entwickeln mit ihren Partnern Integrationsmaßnahmen Kommission nieder. für Flüchtlinge und Beratungsangebote oder sie konzeptionieren Berufsbildungsmöglichkeiten für Der Deutsche Städtetag schlägt seinen Mitgliedern vor, Flüchtlinge. Insgesamt gibt es in deutschen Städten sich für ausgewählte Ziele der Agenda auf lokaler eine große Bereitschaft, sich für entwicklungspolitische Ebene zu engagieren. Die Musterresolution „2030- Themen und Ziele einzusetzen. Über 800 Kommunen Agenda für nachhaltige Entwicklung: Nachhaltigkeit auf sind in der kommunalen Entwicklungszusammen- kommunaler Ebene gestalten“ wurde inzwischen von arbeit aktiv. In Kooperation mit der SKEW wurden über 100 Kommunen unterzeichnet. Der Deutsche entsprechende Finanzierungsinstrumente und Rahmen- Städtetag hat mit der Bertelsmann Stiftung und bedingungen geschaffen. Die internationale Städte- anderen Akteuren ein SDG-Portal für Kommunen ent- plattform „Connective Cities“ – ein Gemeinschafts- wickelt, das Nachhaltigkeitsindikatoren für alle projekt des Deutschen Städtetages, von Engagement deutschen Kommunen mit über 5.000 Einwohnern Global und der Gesellschaft für internationale systematisch mit den Nachhaltigkeitszielen der Zusammenarbeit (GIZ) – fördert den weltweiten Vereinten Nationen verbindet. (www.sdg-portal.de) Fachaustausch auf Augenhöhe, um praktische Lösungen für urbane Herausforderungen zu finden. (www.connective-cities.net) Thesen und Fragestellungen für das Forum ● Bekämpfung des Klimawandels Nachhaltige Entwicklungsziele Städte können insbesondere bei der Dekarbonisierung Weltweit leben eine Milliarde Menschen in Slums oder des Energiesektors, im Verkehrsbereich, durch informellen Siedlungen, fast 750 Millionen Menschen Planungsverfahren und bei Gebäuden Weichen für eine haben keinen Zugang zu sauberem Wasser und rund CO2-neutrale Entwicklung stellen. Es ist dringend 1,1 Milliarden Menschen keinen Zugang zu Elektrizität. erforderlich, die kommunalen Beiträge zur Erreichung Bis 2030 werden nach Schätzungen der Vereinten der Klimaziele stärker in das Gesamtkonzept staatlicher Nationen fünf Milliarden Menschen oder 60 Prozent der und internationaler Klimastrategien zu integrieren. Weltbevölkerung in städtischen Gebieten leben, so Kommunen sollten auf Entscheidungsebene in dass ein enormer Bedarf an städtischen Dienst- internationale Klimavereinbarungen einbezogen leistungen entsteht. werden. Weiter ist es erforderlich, dass kommunale Vertreter in offizielle staatliche Delegationen zu den Die Vereinten Nationen haben 2015 im Rahmen der Klimagipfeln aufgenommen werden. In vielen Agenda 2030 insgesamt 17 Ziele mit 169 Unterzielen europäischen und außereuropäischen Staaten wird dies für eine nachhaltige Entwicklung (Sustainable Develop- bereits verwirklicht. Klimaschutz- und Anpassungs- ment Goals, SDGs) verabschiedet. Die Entwicklungs- strategien können dennoch nicht alleine von den ziele der Vereinten Nationen sind zwar völkerrechtlich Städten umgesetzt werden. Erforderlich sind ins- nicht verbindlich, stellen aber dennoch einen Hand- besondere unbürokratische und finanzielle Unter- lungsrahmen für Staaten und Kommunen dar. Mit der stützungen durch Bund und Länder. Forenpapiere 17
Forum C Wie können aus internationalen Regelwerken konkrete noch besser strukturiert werden? Welche Beiträge Maßnahmen für Klimaschutz und Klimaanpassung ent- können deutsche Städte zur weltweiten Armuts- stehen? Wie gelingt es, städtische Leistungen inter- bekämpfung leisten und wo kommen sie an Grenzen? national sichtbar zu machen und internationale Abkommen auf lokaler Ebene mit Leben zu füllen? ● Nachhaltige Entwicklungsziele Welche Interessen müssen vor Ort ausgehandelt Die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen und die werden? Welchen Beitrag leistet die Jugendinitiative Überprüfung der Entwicklungen durch Indikatoren „Fridays for Future“? Welche Beiträge können deutsche stellen einen Handlungsrahmen auch für deutsche Städte zur Erreichung internationaler Klimaziele leisten Städte dar. Allerdings sitzen die Kommunen bei allen und wo kommen sie an Grenzen? Konferenzen zu den relevanten Nachhaltigkeitsagenden der Vereinten Nationen, wie der Neuen Urbanen ● Armutsbekämpfung und Beseitigung von Agenda, der Agenda 2030 und den Klimaabkommen, Fluchtursachen nicht am Verhandlungstisch, sondern werden als nicht- Städte leisten im Rahmen der kommunalen Ent- staatliche Akteure nur beobachtend einbezogen. wicklungszusammenarbeit wichtige Beiträge, um auch Anders als bei den Klimagipfeln sind Vertreterinnen und die staatliche Entwicklungszusammenarbeit voranzu- Vertreter aus den Städten bei den Umsetzungs- bringen. Das Wissen der Experten aus Stadtver- konferenzen der Agenda 2030 und Habitat aber Teil waltungen und aus kommunalen Unternehmen von der offizieller Delegationen. Der Deutsche Städtetag fordert Energieversorgung und Abfallwirtschaft über die mit seinem Weltverband „United Cities and Local soziale Fürsorge bis zum zukunftsfähigen Städtebau Governments“ darüber hinaus Mitentscheidungsrechte und zur sektor- und ressortübergreifenden integrierten für Kommunen. Stadtentwicklung ist weltweit gefragt. Zentrale Erkenntnis ist auch, dass Städte die weltweite Not Welchen Beitrag leisten Vereinbarungen der Vereinten nicht alleine in Deutschland lösen können. Umso Nationen für eine nachhaltige Stadtentwicklung welt- wichtiger ist es, die Hilfe vor Ort zu verstärken und weit und in deutschen Städten? Wie können die Ent- den Menschen in ihrer Heimat bessere Lebens- scheidungsmöglichkeiten der Städte im Rahmen inter- perspektiven zu geben. nationaler Vereinbarungen verbessert werden? Welche Beiträge können deutsche Städte zur Lösung welt- Kann das kommunale Engagement in der Entwick- weiter Herausforderungen im Bereich der nach- lungszusammenarbeit weiter gesteigert werden? Wie haltigen Stadtentwicklung leisten und wo kommen sie kann der Multi-Ebenen-Ansatz zur gemeinsamen Ent- an Grenzen? wicklungszusammenarbeit von Staat und Kommunen 18 Forenpapiere
Forum D Hochkultur und Freie Szene – Zusammenhalten im Quartier Welchen Beitrag leisten Kunst und Kultur zum gesell- von der Soziokultur bis zur Bildenden Kunst. Die schaftlichen Zusammenhalt? Dieser Frage geht das Grenzen zwischen den Modellen weichen auf, auch Forum im Spannungsfeld von „Hochkultur“ und Freier weil gesellschaftliche Entwicklungen wie Migration, Szene zwischen Stadtzentrum und Quartier nach. Mit Digitalisierung, Globalisierung neue Impulse für Kultur Hochkultur sind die etablierten Einrichtungen in der und Quartier bringen. Hochkultur und Freie Szene Stadt gemeint – das Stadttheater, das Konzerthaus, gehen zunehmend gemeinsame Wege – das eröffnet das Kunstmuseum. Die Freie Szene umfasst die Chancen für ihre jeweiligen Standorte in Quartieren komplette Bandbreite freier Kultur- und Kunstinitiativen oder Stadtzentren. Mittwoch, 5. Juni 2019: 14:30 bis 15:30 Uhr Veranstaltungsort: Messe Dortmund (Eingang Nord) Rheinlanddamm 200 44139 Dortmund Der Raum wird vor Ort bekannt gegeben. Gesprächsrunde: Ulrich Aengenvoort Direktor des Deutschen Volkshochschul-Verbandes Janina Benduski Vorsitzende des Bundesverbandes für Freie Darstellende Künste Marianne Grosse Beigeordnete der Stadt Mainz im Dezernat für Bauen, Denkmalpflege und Kultur Dr. Peter Kurz Oberbürgermeister der Stadt Mannheim und Mitglied im Präsidium des Deutschen Städtetages Moderator: Peter Grabowski Fachjournalist Hauptgeschäftsstelle: Klaus Hebborn Beigeordneter des Deutschen Städtetages im Dezernat Bildung, Kultur, Sport und Gleichstellung Christina Stausberg Hauptreferentin des Deutschen Städtetages im Dezernat Bildung, Kultur, Sport und Gleichstellung Dr. Ing. Timo Munzinger Referent des Deutschen Städtetages im Dezernat Stadtentwicklung, Bauen, Wohnen und Verkehr Forenpapiere 19
Forum D Ulrich Aengenvoort „Zusammenleben funktioniert nur dann, wenn sich Menschen aus Direktor des Deutschen unterschiedlichen Kulturen und Milieus mit Interesse, Verständnis Volkshochschul- und Respekt begegnen. Kulturschaffende sind wichtige Akteure in Verbandes diesem Prozess: Sie bauen Brücken, erleichtern Verständigung und gesellschaftliche Teilhabe. Und auch die Volkshochschulen können eine zentrale Rolle spielen: Sie sind bestens vernetzt, bieten einen niedrigschwelligen Zugang zu neuen Themen und Handlungsfeldern, eröffnen Räume der Begegnung, des Austauschs und der kulturellen Selbsterfahrung. Ressentiments abzubauen und Zusammenhalt zu fördern, ist ihnen ein wichtiges Anliegen.“ „Regional und im internationalen Kontext entstehen in der Freien Janina Benduski Szene facettenreiche künstlerische Projekte. Die Auseinandersetzung Vorsitzende des Bundesverbandes für mit der Stadtgesellschaft spielt dabei eine große Rolle. Arbeitsweisen Freie Darstellende und -prozesse beziehen bewusst Themen des Quartiers ein, bieten Künste Reflexionsräume und Möglichkeiten der Begegnung. Der künstlerische Zugang betont dabei die Vielschichtigkeit der Perspektiven sowie den Prozess der Entstehung und entfaltet damit gesellschaftliche Wirkkraft. Städte und Kommunen können bei Stadtentwicklung und Gestaltung von Quartiersräumen unterstützen, damit sich dieses Potential voll entfalten kann.“ Marianne Grosse „Wir sind in Mainz stolz darauf, dass wir eine vielfältige Kulturland- Beigeordnete der Stadt schaft haben. Das Publikum fragt unterschiedlichste Angebote nach, Mainz im Dezernat für die von Hochkultur bis hin zur Freien Szene reichen und sich immer Bauen, Denkmalpflege und Kultur mehr den klassischen Kategorien entziehen – und das ist gut so, weil es ein größeres Maß an Freiheit und Kreativität bedeutet. Das spüren wir in unserer Stadt vor allem an starken und fruchtbaren Kooperationen unterschiedlichster Akteure. Damit stärkt die Kultur den Zusammenhalt und schafft Gemeinschaft, im Zentrum ebenso wie in den Stadtteilen. In der Weiterentwicklung dieser Kultur- Aspekte sehe ich eine wichtige Aufgabe der Stadtpolitik.“ „Kunst und Kultur sind wesentliche Treiber für nahezu alle Dimensionen Dr. Peter Kurz von Stadtentwicklung. Sie spielen gerade auch für den Zusammen- Oberbürgermeister der Stadt Mannheim halt einer super-diversen Stadtgesellschaft in den Quartieren eine und Mitglied im zunehmend wichtige Rolle. Dialog, Identitätsfragen, das Zulassen Präsidium des von Widersprüchen sind wichtige Stichworte. Frei zugängliche Deutschen Städtetages „dritte“ Orte für die Begegnung, das Kennenlernen, den Austausch, das gemeinsame Agieren in einem – im weitesten Sinne – kulturellen Kontext zu schaffen, ist eine Aufgabe der Stadt in Zusammenarbeit mit etablierten Institutionen, Freier Szene, Künstlerinnen und Künstlern, Vereinen und engagierten Bürgerinnen und Bürgern.“ 20 Forenpapiere
Forum D Forenpapier für das Forum D kultur lernen. Umgekehrt bieten die etablierten Häuser mit ihrer (vergleichsweise) hohen Stabilität und Welchen Beitrag leisten Kunst und Kultur zum gesell- Sicherheit, mit ihren Ressourcen an Raum, Geld und schaftlichen Zusammenhalt im Quartier? Dieser Frage Personal enorm viele Möglichkeiten, Wirkung vor Ort zu geht das Forum im Spannungsfeld von „Hochkultur“ entfalten – beispielsweise durch die Einbindung der und Freier Szene nach. Der Begriff „Hochkultur“ ist Bewohnerinnen und Bewohner oder die Öffnung der dabei nicht unproblematisch, denn er impliziert ein Räumlichkeiten für das Quartier. So entwickeln sich viel- elitäres Kulturverständnis. Mit Hochkultur sind hier aber fältige Formen der Zusammenarbeit – von der Ko- die etablierten Einrichtungen in der Stadt gemeint – das Existenz verschiedener Produktionsweisen bis hin zur Stadttheater, das Konzerthaus, das Kunstmuseum. Die Verschmelzung der Systeme. Hochkultur und Freie Freie Szene umfasst im Unterschied dazu das Szene gehen zunehmend gemeinsame Wege – das komplette Portfolio nicht-staatlicher und privater Kultur- eröffnet Chancen für ihre jeweiligen Standorte in und Kunstinitiativen über alle Sparten hinweg, von der Quartieren oder Stadtzentren. Soziokultur bis zur Bildenden Kunst. Es stellt sich die Frage, inwieweit gemeinsame Strukturen Wie wirken Kunst und Kultur in der Stadt und ihren vor Ort verstetigt werden können und sollten. Obwohl Stadtteilen? Welche Beziehung besteht zu den die Ausgangslagen der etablierten Einrichtungen und Menschen vor Ort, der Gesellschaft in der Stadt? Einer- der Freien Szene sehr unterschiedlich sind, leiden seits prägen die Bauten der Hochkultur oftmals ihr beide Seiten unter Legitimationsdruck, Sparzwängen, Umfeld – sie sind Identifikations- und Integrationsorte. knappen Ressourcen und der schwierigen wirtschaft- Andererseits wirkt sich die Anwesenheit einer Kunst- lichen Situation von Künstlerinnen und Künstlern. Oft- und Kulturszene auch auf das soziale Gefüge aus, das mals konkurrieren die Einrichtungen und Akteure beider sich aus den Handlungen und Aktivitäten der Menschen Seiten auch um zusätzliche Fördermittel. Ein im Quartier entwickelt. Dabei bilden die heutigen Stadt- Zusammenwirken könnte auch in dieser Hinsicht neue gesellschaften keine homogenen Gemeinschaften, Spielräume und Möglichkeiten eröffnen und die Durch- sondern sie sind heterogen und pluralistisch, gekenn- setzungskraft vor Ort erhöhen. zeichnet durch eine Vielfalt von Lebensformen und kulturellen und gesellschaftlichen Hintergründen. Kunst und Kultur als essentielle Faktoren der Stadtentwicklung Zusammenarbeit von Hochkultur und Freier Szene eröffnet neue Chancen Kunst und Kultur sind starke Faktoren der städtischen Entwicklung. Die Kultureinrichtungen und -aktivitäten Hochkultur und Freie Szene galten lange Zeit als im Quartier leisten einen wichtigen Beitrag zur Identität Gegenmodelle, hat sich doch die Freie Szene auch in und Teilhabe vor Ort. Sie nehmen als Anlaufstellen, Abgrenzung zu etablierten Kultureinrichtungen definiert. Mittler und Sprecher eine Schnittstellenfunktion Zunehmend weichen diese Grenzen jedoch auf, bedingt sowohl in baulicher als auch in sozialer Hinsicht ein. durch gesellschaftliche Entwicklungen wie Migration, Dies gilt umso mehr angesichts der aktuellen gesell- Digitalisierung, Globalisierung, die neue Impulse bringen schaftlichen Herausforderungen, zum Beispiel durch und zu neuen Rezeptionsgewohnheiten führen, also zu die Globalisierung und die Zuwanderung von neuen Formen, Kunst aufzunehmen und zu verstehen. Menschen unterschiedlicher Nationalitäten. Während die etablierten Kultureinrichtungen oftmals große Strahlkraft über die Grenzen des Stadtteils und Mit ihrer kulturellen und gesellschaftspolitischen Arbeit der Stadt hinaus haben, hat sich die Freie Szene schon in multifunktionalen Gebäuden können Kulturein- immer über ihren Bezug zu den Menschen vor Ort richtungen sowohl als Anlaufstellen dienen als auch in definiert. Teilhabe und „Empowerment“ – also die Unter- das Quartier ausstrahlen. Mit dem Programm stützung dabei, die eigenen Interessen selbstbestimmt „Utopolis“ fördert der Bund die Verbindung von Maß- zu vertreten – und die Begegnung auf Augenhöhe mit nahmen der Städtebauförderung mit Kunst und Kultur den Menschen im Quartier sind essentielle Bestandteile in Form von Modellprojekten von soziokulturellen ihrer Arbeit. Davon können Einrichtungen der Hoch- Zentren. Zur Stärkung der sozialen Entwicklung im Forenpapiere 21
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