Was kommt nach der Rushhour? - Lebenslagen und Lebensverläufe von Frauen und Männern in der Lebensmitte
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Was kommt nach der Rushhour? Lebenslagen und Lebensverläufe von Frauen und Männern in der Lebensmitte Norbert F. Schneider, Harun Sulak und Ralina Panova www.kas.de
Was kommt nach der Rushhour? Lebenslagen und Lebensverläufe von Frauen und Männern in der Lebensmitte Norbert F. Schneider, Harun Sulak und Ralina Panova
Inhaltsverzeichnis Vorwort 5 1 Einleitung: Der Lebenslauf zwischen sozialer Konstruktion und individueller Gestaltung 6 2 Die Lebensphase des mittleren Erwachsenenalters 8 2.1 Der institutionalisierte Lebensverlauf 9 2.2 Wandel des Lebenslaufs 10 2.3 Spezifizierung der Lebensphase des mittleren Erwachsenenalters 13 2.4 Konkrete Abgrenzung des Lebensabschnitts auf Basis des Eintritts einzelner Ereignisse 16 3 Lebenslagen im mittleren Erwachsenenalter 19 3.1 Lebensformen und Familiensituation 21 3.2 Erwerbssituation 27 3.3 Partnerschaftliche Arbeitsteilung 37 3.4 Einkommenssituation 39 3.5 Regionale Disparitäten bei den Lebenslagen 41 3.6 Zusammenfassende Ergebnisse zu Lebenslagen im mittleren Erwachsenenalter 50 4 Lebensereignisse im mittleren Erwachsenenalter 52 4.1 Familiale Ereignisse 53 4.1.1 Heirat, Familiengründung und Auszug der Kinder 53 4.1.2 Scheidung und Wiederheirat 54 4.1.3 Übernahme von Pflegeaufgaben 56 4.1.4 Sterblichkeit und Tod des Partners 57 4.1.5 Gesundheitliche Situation 57 4.2 Erwerbstätigkeit 58 4.2.1 Elternzeit 59 4.2.2 Wiedereintritt ins Erwerbsleben 60 4.2.3 Ende der regulären Erwerbstätigkeit 60 4.3 Regionale Disparitäten 61 4.4 Zusammenfassende Ergebnisse zu Lebensereignissen im mittleren Erwachsenenalter 64 2
Inhaltsverzeichnis 5 Lebensmuster und Lebensverläufe im mittleren Erwachsenenalter 66 5.1 Typische Lebenslaufmuster und ihre Einflussfaktoren 67 5.2 Lebenszufriedenheit im Lebensverlauf 69 6 Die Lebensphase des mittleren Erwachsenenalters im europäischen Vergleich 73 6.1 Lebensformen 75 6.2 Erwerbstätigkeit 77 6.3 Zeitverwendung 80 6.4 Lebenszufriedenheit im europäischen Vergleich 81 7 Zusammenfassung und Interpretation der Ergebnisse 83 7.1 Zusammenfassung der wichtigsten Befunde 84 7.2 Konsequenzen für politisches Handeln 87 Literatur 89 Autorinnen und Autoren 95 3
Vorwort Ein Schwerpunkt der Familienpolitik in Deutsch- Während Väter nach der Geburt ihrer Kinder land liegt seit Jahren auf Familien mit Vorschul- weiterhin voll erwerbstätig bleiben, schrän- kindern und der besseren Vereinbarkeit von ken Mütter, vor allem in Westdeutschland, ihre Familie und Beruf. Diese Lebensphase, die ver- Erwerbstätigkeit oftmals langfristig stark ein. Im breitet als Rushhour des Lebens bezeichnet wird, Vergleich zum Westen Deutschlands zeigt sich erstreckt sich vielfach auf die Altersspanne zwi- für Ostdeutschland ein anderes Bild. Besonders schen dem 25. und 35. Lebensjahr. deutlich ist der Unterschied bei der Erwerbs- beteiligung von Müttern. Ostdeutsche Frauen Während die Phase der Rushhour des Lebens praktizieren eine geringere und kürzere Erwerbs- wissenschaftlich gut erforscht ist und in viel- unterbrechung und sie sind in einem erheb- fältigen politischen Maßnahmen ihren Nieder- lich höheren Umfang erwerbstätig als Mütter im schlag gefunden hat, ist die sich daran Westen. Neben geschlechtstypischen und regio- anschließende Lebensphase des mittleren nalen bestehen auch vielfältige sozialstrukturell Erwachsenenalters zwischen dem 35. und 59. bedingte Unterschiede bei den Lebensverlaufs- Lebensjahr bislang wenig wissenschaftlich mustern. erforscht. Dabei bildet diese Lebensphase die längste Periode im Lebensverlauf, in der sich Was bedeutet dieser Befund für die Familien- gegenwärtig 36 Prozent der Bevölkerung in politik? Aufgrund der vorliegenden wissen- Deutschland befinden. schaftlichen Ergebnisse ist es wichtig, den mitt- leren Lebensabschnitt verstärkt in den Blick von Ebenso wie das junge Erwachsenenalter unterliegt Forschung und Politik zu nehmen. Es zeichnen das mittlere Erwachsenenalter einem gesellschaft- sich heute neue Lebensläufe hinsichtlich des lichen Wandel, der durch eine zunehmende Plu- Zeitpunktes der Familiengründung, der Lebens- ralisierung und Destandardisierung der Lebens- formen und der Bildungs- und Berufsbiografien verläufe gekennzeichnet ist. Die Vorstellung ab. In bestimmten Phasen des Lebensverlaufs eines „Normallebenslaufs“ aus Ausbildung, einer benötigen Familien eine spezielle Unterstützung längeren aktiven Lebensmitte und Ruhestand ist durch finanzielle Transfers, bestimmte Zeitfenster heute obsolet geworden und einer wachsenden und Infrastruktur. Diese Phasen sind nicht nur auf Vielfalt der Lebensverläufe in Familie und Beruf die Rushhour des Lebens konzentriert, sondern gewichen. Hinzu kommt, dass klar definierte umfassen immer stärker das mittlere Lebensalter. Altersnormen und Geschlechterrollen, die diese Die folgenden Ausführungen befassen sich aus- Lebensphasen prägten, an Bedeutung verloren führlich aus wissenschaftlicher Sicht mit dem mitt- haben. So spannt sich die Lebensmitte von einer leren Lebensabschnitt und zeigen darüber hinaus späten Familiengründung nach dem 35. Lebens- politischen Handlungsbedarf auf. jahr über die Familienerweiterung bis zum Aus- zug der Kinder. Oft mündet sie in der Pflege der Familienangehörigen. Christine Henry-Huthmacher Trotz der zunehmenden Vielfalt und trotz der abnehmenden Bedeutung von traditionellen Geschlechterrollen hat die Familiengründung weiterhin unterschiedliche Auswirkungen auf das Leben von Männern und Frauen in der Lebensmitte. 5
Einleitung: Der Lebenslauf zwischen sozialer Konstruktion und individueller Gestaltung
1 Einleitung Im Fokus dieser Arbeit steht die Lebensphase strukturelle Restriktionen und Opportunitäten des mittleren Erwachsenenalters. Was kommt (z. B. die Verfügbarkeit an Kinderbetreuungs- nach der oftmals ereignisreichen und zeitin plätzen oder das Angebot an Teilzeitarbeits- tensiven Rushhour des Lebens, also nachdem plätzen). Das Timing und die Reihenfolge von bio- wichtige Lebensentscheidungen über Berufsle grafischen Ereignissen, die Lage und Dauer von ben, Wohnort und Familiengründung getroffen Lebensphasen, die Wahrscheinlichkeit, mit der wurden? Wie gestalten sich Lebensverläufe bestimmte Ereignisse überhaupt auftreten (z. B. und Lebenswelten von Männern und Frauen, die Geburt eines zweiten Kindes) sind vielfach von Müttern und Vätern in der Lebensmitte? In nicht allein das Ergebnis freier individueller Ent- welchen Lebensformen leben sie, wie glücklich scheidungen, sondern auch in hohem Maße kul- und zufrieden sind sie in dieser Lebensphase, turell und gesellschaftlich beeinflusst. Dabei sind welche Ressourcen und Restriktionen prägen regionale und sozialstrukturelle Differenzierun- ihr Leben? In dieser Arbeit sollen diese Fragen gen weiterhin in erheblicher Form zu beobachten. diskutiert werden, indem eine Darstellung der Beispiele sind die bildungsspezifische Wirkung Lebensverläufe und Lebenslagen der Men von Elterngeld auf Fertilität (Bujard und Passet schen in der Lebensmitte vorgenommen wird. 2013) und auf die Erwerbsbeteiligung von Müttern Betrachtet wird die Lebensphase zwischen (Bujard 2013) sowie die regional stark variierende 35 und 59 Jahren, also die Phase, die für die Inanspruchnahme von Elternzeit durch Väter Mehrheit der Menschen in Deutschland als (Huebener et al. 2016). Regionale und sozialstruk- Familienphase mit kleinen Kindern beginnt, turelle Differenzen sind also bei der Analyse von bei einigen aber auch die Familiengründung Lebensläufen stets mit zu berücksichtigen. Vor und Familienerweiterung umfasst. Der Auszug diesem Hintergrund wird von einer Vielfalt der der Kinder aus dem Elternhaus markiert die Lebensläufe und ihrer typischen Muster aus- späte Phase dieses Lebensabschnitts, der durch gegangen. Neben dieser Vielfalt existieren auch eine hohe Erwerbsbeteiligung charakterisiert allgemeine Trends, die einen Großteil der Lebens- ist. Für Kinderlose wird hingegen die mittlere läufe in der Gegenwart kennzeichnen. Bezogen Lebensphase durch die intensive Erwerbsbetei auf die Familienentwicklung lassen sich etwa fol- ligung definiert und endet mit dem nahenden gende Charakteristika feststellen: Die Verbreitung Übergang in den Ruhestand. nichtehelicher Familienformen, der Wandel der Eltern-Kind-Beziehungen von autoritären hin zu Der Lebenslauf hat aus soziologischer Perspektive partnerschaftlichen Beziehungen sowie der bio- stets einen doppelten Charakter: Er ist eine indivi- grafische Aufschub der Familiengründung prägen duell gestaltete Biografie und zugleich eine soziale heute individuelle Lebensläufe ebenso wie die Institution, da Lebensläufe stets überindividuell fortbestehende hohe Bedeutung des partner- in ähnlicher Weise durch gesellschaftliche Nor- schaftlichen Zusammenlebens und die weiter- men und soziale Regelmäßigkeiten geprägt hin im Kern sehr stabile soziale Konstruktion werden (Elder 2000). Regionale und milieu- von Geschlechter- und insbesondere von Eltern- typische Opportunitätsstrukturen und normative rollen, bei der der Mutter weiterhin die Hauptver- Erwartungen prägen und formen den Lebenslauf antwortlichkeit für die Pflege und Erziehung der differenziell, sodass Entwicklungsverläufe über Kinder zugeschrieben wird (Schneider 2015: 24). Raum und Zeit und über verschiedene Gesell- Eingebettet in übergeordnete gesellschaftliche schaftsschichten hinweg oftmals stark variieren Wandlungsprozesse wie Bildungsexpansion, Ver- (Müller 2012). Im Hinblick auf die gesellschaftliche änderungen des Arbeitsmarkts, zunehmende Indi- Prägung der Lebensverläufe können drei Formen vidualisierung sowie wachsende Buntheit sozialer von Restriktionen und Opportunitätsstrukturen Milieus und Lebensstile haben sich die Rahmen- unterschieden werden: kulturelle (z. B. Leit- bedingungen verändert, in denen Lebensläufe bilder und Geschlechterrollen), normativ-recht- und Biografien entstehen und sich entfalten. liche (gesetzliche Regelungen zum Arbeitsmarkt oder familienpolitische Regelungen) sowie infra- 7
Die Lebensphase des mittleren Erwachsenenalters
2 Die Lebensphase des mittleren Erwachsenenalters 2.1 Der institutionalisierte lauf also primär nicht als Individualphänomen Lebensverlauf gesehen, sondern als ein kollektiver Tatbestand, der individuelles Verhalten prägt und beeinflusst Um die Lebensphase des mittleren Erwachsenen- (Mayer und Diewald 2007). alters und seine typischen Merkmale theoretisch einzuordnen, wird zunächst das soziologische Neben der Perspektive der Differenzierung des Konzept des Lebensverlaufs betrachtet. Danach Lebensverlaufs nach Statusgruppen ist auch die hat zwar jeder Mensch eine einzigartige Biografie Entwicklung des Lebensverlaufs im sozialen Wan- und Lebensgeschichte, aber Biografien folgen viel- del bedeutsam. Der Lebensverlauf als Institution fach eben auch bestimmten Mustern und sind ist durch die historischen Umstände geprägt und auf den zweiten Blick oft weniger individuell als seine Standardmuster variieren zwischen Gesell- sie zunächst erscheinen. Der Lebensverlauf kann schaften. Der Zusammenhang zwischen dem indi- als Abfolge von Lebensereignissen und Lebens- viduellen Lebenslauf und dem zeitgeschichtlichen phasen begriffen werden, die gesellschaftlich Kontext lässt sich an den aufeinanderfolgenden mehr oder weniger stark institutionalisiert sind. Generationen festhalten: „Sozialer Wandel Im Alter von sechs Jahren beginnt die Schulpflicht lässt sich durch das Ausmaß, in dem sukzessive und sie hat eine genau bestimmte Mindestdauer. Geburtskohorten unterschiedlichen Lebens- Im siebten Lebensjahrzehnt endet für die meis- laufmustern folgen, bestimmen.“ (Huinink und ten die Phase aktiver Erwerbstätigkeit, selbst Konietzka 2007: 42). So können die Lebensläufe dann, wenn manche noch weiter arbeiten möch- von bestimmten Geburtskohorten, die in Zeiten ten. Dies sind Beispiele, dass die Entwicklung des von forciertem und abruptem gesellschaftlichen Lebensverlaufs gesellschaftlich geformt wird, Wandel eingebettet sind, neuen bzw. anders- auch wenn die individuellen Lebenswege den artigen Mustern folgen. Die komplexe Struktur eigenen Entwicklungs- und Erfahrungsraum prä- des Lebenslaufs lässt sich durch die folgenden gen. Unabhängig von institutionalisierten Regeln drei Prägungsmerkmale beschreiben: weist die Gestaltung des Lebensverlaufs oftmals typische Muster und soziale Regelmäßigkeiten 1. ,,Interdependenz zwischen den handelnden auf, wobei nicht selten erhebliche Unterschiede Menschen und sozialen Strukturen sowie den zwischen sozialen Gruppen bestehen. Denn kul- Lebensläufen anderer Menschen, mit denen turelle und ökonomische Gegebenheiten stellen man in sozialen Beziehungen verbunden ist“ sich in jeder Lebensphase für unterschiedliche (Mehrebenenbezug) Statusgruppen verschieden dar und bestimmen maßgeblich die individuellen Lebensläufe (Clau- 2. „Interdependenz zwischen den verschiedenen sen 1986; Elder 2000). Aus der soziologischen Lebensbereichen im Leben eines Menschen“ Lebensverlaufsperspektive folgt die menschliche (Mehrdimensionalität) Entwicklung nicht nur der Biologie, sondern ist auch gesellschaftlich organisiert und besteht aus 3. „Interdependenz zwischen Lebensgeschichte bestimmten zeitlich normierten Lebensphasen und Lebenszukunft’’ (Zeitdimension) oder Übergängen. Ereignisse und Zustände im (Huinink und Konietzka 2007: 45). Leben sind oft am Lebensalter orientiert. Der Lebenslauf wird im Kern durch den Zeitpunkt In der Soziologie wird zwischen Lebenslauf und (Timing), den Abstand (Spacing) und die Reihen- Lebensverlauf unterschieden. Der Begriff des folge von Ereignissen in der Lebenszeit sozial Lebenslaufs bezeichnet dabei die individuellen strukturiert (Elder 1978: 21). Dadurch entstehen Merkmale des menschlichen Lebens, während der Lebensphasen unterschiedlicher Dauer und Lage Begriff des Lebensverlaufs sich auf institutiona- im Lebensverlauf. Die Gesamtheit dieser Über- lisierte Lebensläufe und seine kollektiven Merk- gänge, Ereignisse, Statuspassagen und Lebens- male bezieht. Der Lebenslaufperspektive zufolge phasen bildet das Lebensverlaufsmuster. In der bewegen sich Individuen im Lebensverlauf durch soziologischen Forschung wird der Lebensver- eine Abfolge von altersspezifischen Ereignissen, 9
Was kommt nach der Rushhour? Situationen und sozialen Rollen (Elder 1977), 2.2 Wandel des Lebenslaufs wobei Auftreten und Timing von Lebensereig- nissen durch normative Erwartungen und durch Für die Nachkriegszeit in Westdeutschland lassen institutionelle Rahmenbedingungen geprägt wer- sich zwei Phasen des Wandels der Lebensver- den (Elder 1977; Mayer 2001, 2003). Individuelle läufe und der Biografien unterscheiden: Erstens Lebensverläufe sind eng mit der Dynamik der eine Phase der Institutionalisierung und Standar- sozialen Gruppe verbunden, zu der die Personen disierung bis etwa 1970 und danach eine Phase gehören (Mayer 2003). Auf der einen Seite variie- der De-Institutionalisierung, Pluralisierung und ren die institutionellen Arrangements von Gesell- Entstandardisierung der Lebensverläufe (Müller schaft zu Gesellschaft, wodurch interkulturelle 2012). Bis in die 1980er Jahre hinein dominierte Unterschiede in den institutionalisierten Pfaden in Deutschland ebenso wie in den meisten west- und Lebensverlaufsmustern entstehen. Anderer- lichen Gesellschaften die Vorstellung von einem seits variieren die Lebensverläufe über Status- „Normallebenslauf“. Er stellt eine durch die Gesell- gruppen innerhalb einer Gesellschaft hinweg, bei- schaft institutionalisierte Form eines typischen spielsweise in Abhängigkeit vom Bildungsniveau Lebensverlaufs aus drei sequentiellen Abschnitten (Elder 1977; Mayer 2003). Der individuelle Lebens- dar. Das so genannte Drei-Phasen-Modell beginnt verlauf entwickelt sich in verschiedenen Lebens- mit einer kurzen Phase des Aufwachsens, Lernens bereichen wie Beruf und Familie, wobei zwischen und der Ausbildung, woran sich eine längere diesen Bereichen mehrere Interdependenzen aktive mittlere Lebensphase anschließt, die in bestehen (Mehrdimensionalität) (Mayer 2003). die inaktive Alters- und Ruhestandsphase mündet. Dabei implizieren die verschiedenen Lebens- Klar definierte Altersnormen und Geschlechter- bereiche konkurrierende Anforderungen, für die rollen prägten diese Lebensphasen in erheblicher nur sehr begrenzte Zeit und Ressourcen zur Ver- Form einheitlich. Eine Dominanz dieses „Lebens- fügung stehen (Elder 1977). zyklusmodells“ kann für die Zeit zwischen 1955 und 1975 behauptet werden (Huinink 2008). Es hat aber auch heute noch nicht vollständig an Bedeutung verloren. Gegen Ende des 20. Jahr- hunderts wurden schnell wechselnde soziale und kulturelle Bedingungen, die mit unterschiedlichen Anforderungen an individuelle Lebensläufe ein- hergehen, bedeutsamer. Dadurch entsteht eine wachsende Vielfalt und zunehmende Brüchigkeit von Lebenswegen und Lebensläufen. Schlagworte wie „De-Institutionalisierung“, „De-Standardisie- rung von Lebensverläufen“ und „Entstrukturierung des Lebenslaufs“ (Hurrelmann 2003) beschreiben diesen Prozess des sozialen Wandels. Mayer (1998) fasst drei Aspekte der Auflösung der früheren Standardisierung des Lebensverlaufs zusammen: ›› Die Aufteilung des Lebensverlaufs in drei klar voneinander differenzierte Phasen wurde durch häufigere Wechsel zwischen Aus- bildung, Erwerbstätigkeit und Arbeitslosig- keit bzw. Nicht-Erwerbstätigkeit, vorgezogene Freizeitphasen im mittleren Lebensalter sowie häufigere zweite berufliche Karrieren „flexibili- siert“. In den Sozialwissenschaften werden oft sechs oder mehr Phasen des Lebenslaufs dif- 10
2 Die Lebensphase des mittleren Erwachsenenalters ferenziert. Zudem sind die Übergangsphasen leicht zwischenzeitlich einmal oder mehrmals zwischen Ausbildung und Beruf einerseits wieder zurück in den Elternhaushalt oder leben und zwischen Arbeit und Ruhestand anderer- sogar in zwei Haushalten. Insgesamt hat das Hin seits häufig differenzierter, ausgedehnter und Her zwischen verschiedenen Lebensformen und prekärer. Daher gibt es neben der Ver- zugenommen, so Huinink (2008). Paarbeziehungen abschiedung vom „Drei-Phasen-Modell“ eine halten immer häufiger nicht für das ganze Leben, Tendenz weg von der Sequenzierung hin zur auch wenn man geheiratet und/oder gemeinsame Synchronisierung von Lebensphasen. Kinder hat (ebenda). Auch eine gewisse Ent- kopplung zwischen Ehe und Elternschaft mar- ›› Zweitens fand innerhalb der Bildungs- kiert den Wandel von Lebensläufen in den letz- expansion ab Ende der 1960er Jahre ein ten ca. 50 Jahren. So stellt die Ehe nicht zwingend Wandel des weiblichen Lebenslaufs statt. Für eine Voraussetzung für die Geburt der Kinder viele Frauen trat die Berufskarriere in Konkur- dar und eine Elternschaft wird immer seltener renz zum Familienleben, womit eigenständige als ein Anlass zur Eheschließung gesehen. Beim Lebensentwürfe die biografische Selbstver- Anteil nichtehelicher Geburten ist ein beständiger ständlichkeit der Mutterschaft zunehmend Anstieg zu beobachten. Diesbezüglich bestehen verdrängen. jedoch beträchtliche regionale Disparitäten. Kinder werden insbesondere in Ostdeutschland vielfach ›› Drittens sind die Verläufe innerhalb der in nichtehelichen Lebensgemeinschaften geboren. Lebensbereiche von Arbeit und Familie Neben der Vielfalt und Verbreitung von Lebens- weniger altersnormiert, weniger ziel- und formen hat sich auch das Timing und Spacing der aufwärtsgerichtet und weniger einheitlich Geburt der Kinder (Engelhardt 2014) geändert und geworden. somit auch das Alter, in dem Menschen bestimmte Lebensabschnitte erleben. Das Alter, in dem das Seit den 1970er Jahren ist ein kontinuierlicher erste Kind in einer Ehe geboren wird, hat sich von Rückgang der durchschnittlichen Haushalts- 27,6 Jahren in 1996 auf 30,4 Jahre in 20161 erhöht größe von 2,7 Personen Ende der 1970er Jahre (Abbildung 1), wobei hier große Unterschiede über 2,2 in 2000 bis zu 2,0 im Jahr 2016 ebenso zwischen den Bildungsschichten und Regionen zu beobachten wie ein ausgeprägter Wandel der bestehen. So weisen die empirischen Befunde Familien- und Lebensformen, in den, wie eingangs beispielsweise eine hohe Altersdifferenz bei geschildert, die Entwicklungen von Lebensläufen der Erstgeburt nach Bildungsniveau auf, die mit eingebettet sind. Zum einen gab es in den letz- erheblichen Folgen für die anschließend erlebten ten ca. 50 Jahren eine Pluralisierung der Lebens- Lebensphasen einhergeht. Die Geburt von Kindern formen (Schneider 2012). Sie ist durch eine gleich- erfolgt hingegen nach wie vor relativ konzentriert mäßigere Verteilung der schon vorhandenen innerhalb eines nicht zu großen Altersintervalls, Lebensformen (Nichteheliche Lebensgemein- wobei der Durchschnitt bei ca. vier Jahren zwi- schaften, Alleinerziehende und Alleinlebende) schen der ersten und zweiten Geburt liegt (Sta- sowie die Etablierung einiger weniger neu ent- tistisches Bundesamt 2015). In der Gruppe der standener Lebensformen wie gleichgeschlechtliche Hochqualifizierten ist eine Heirat oder Familien- Partnerschaften, Fernbeziehungen und gewollt gründung im Alter von 35 Jahren und mehr heute kinderlose Ehen gekennzeichnet. So gibt es heute nicht mehr außergewöhnlich, während Gering- in Deutschland im Unterschied zu den 1950er und gebildete im Durchschnitt mit Mitte 20 eine Familie 1960er Jahren häufiger längere Phasen des Allein- gründen. Darüber hinaus hat sich die Dauer der lebens, man lebt vorübergehend oder aber auch einzelnen Lebensphasen verändert. Die Menschen langfristig in einer Partnerschaft mit getrennten in Deutschland leben heute nicht nur länger, sie Haushalten, wohnt unverheiratet in einer Paar- leben auch länger in besserer Gesundheit in den beziehung mit oder ohne Kinder zusammen oder „gewonnenen Jahren“, sodass sich Männer und lebt in Wohngemeinschaften. Nach dem Aus- Frauen länger im mittleren Erwachsenenalter zug aus dem Elternhaus ziehen die Kinder viel- befinden. 11
Was kommt nach der Rushhour? 1 Abb. 1: Durchschnittliches Alter der Mütter bei einen Teil der Mütter, erfolgte (Kirner und Schulz der Geburt des ersten Kindes, 1996 bis 2016 1993). Heute sind Lebensformen, die den Wunsch beider Partner, erwerbstätig zu sein, gefährden Alter in Jahren könnten, unattraktiv geworden. Obwohl die 31 Ernährer-Hausfrauen-Ehen als dominante Option der Lebensgestaltung in den 1950er und 1960er Jahren in Westdeutschland im 21. Jahrhundert 30 sehr selten geworden sind, findet heute weiter- hin eine ausgeprägte Retraditionalisierung der 29 Geschlechterverhältnisse nach der Familien- gründung statt. In der ehemaligen DDR war in der Nachkriegszeit hingegen das durch den Staat auf- 28 gesetzte Modell der parallelen Vollerwerbstätig- keit dominant, bei dem Männer und Frauen beide vollerwerbstätig waren und gemeinsam zum 27 Familieneinkommen beitrugen, während Frauen 1996 2000 2004 2008 2012 2016 die Hauptverantwortung für Kinder und Haushalt übernahmen (Doppelbelastung). Das Doppelver- 1. Kind in der bestehenden Ehe diener-Modell ist heute in den neuen Bundes- alle erstgeborenen Kinder ländern weiterhin dominant bei fortschreitender Datenquelle: Statistisches Bundesamt, traditioneller Aufgabenteilung zwischen den eigene Berechnungen Geschlechtern. Zusammenfassend ist davon auszugehen, dass Die Lebensverlaufsperspektive betont die Annahme Lebensläufe in Deutschland sich vielfältig und von „linked lives“ (Elder 1994), die auf die gegen- milieuspezifisch gestalten, wobei insbesondere seitige Abhängigkeit der einzelnen Lebensver- ihre ausgeprägte Abhängigkeit von der Bildungs- läufe hinweisen. So sind die Lebensverläufe von beteiligung hervorzuheben ist (Schneider 2015a). Ehepartnern, Eltern und Kindern sowie von Eltern „Es lassen sich also wieder sehr verschiedene und Großeltern verknüpft und beeinflussen sich in der Bevölkerung etablierte, heute aber in der gegenseitig. In dieser Hinsicht können das Timing Regel freiwillig gewählte Muster von Lebens- und Spacing der Geburten nicht nur den Lebens- läufen beobachten, unter denen der traditionelle verlauf von Müttern, sondern auch den von Vätern, Familienzyklus nur noch ein Modell unter anderen Geschwistern und Großeltern beeinflussen. darstellt.“ (Huinink 2008) Infolge des Individualisierungsschubs ab Ende der 1960er Jahre und des damit einhergehenden Wandels der Geschlechterrollen ist das Verhält- nis zwischen dem familialen und dem beruflichen Bereich komplizierter geworden und vor allem für die Frauen im Vergleich zu früher weniger vorher- bestimmt (Huinink 2008). In der Nachkriegszeit war für Mütter in Westdeutschland eine Phasen- erwerbstätigkeit typisch, bei der nach einer kur- zen Phase der Erwerbstätigkeit (direkt nach der Ausbildung) mit der Geburt des ersten Kindes eine Familienphase mit längerer Erwerbsunter- brechung eingeleitet wurde und anschließend eine Rückkehr in den Beruf, allerdings nur für 12
2 Die Lebensphase des mittleren Erwachsenenalters 2.3 Spezifizierung der Lebensphase des Teilnahme am Produktions- und Erwerbs- mittleren Erwachsenenalters leben einher, was weitreichende Konsequen- zen für die Lebenssituation mit sich bringt. Von wann bis wann die Lebensphase des mitt- leren Erwachsenenalters andauert, unterliegt ›› Familie: Im familiären Bereich gilt, ähnlich gesellschaftlichen Wandlungsprozessen sowie kul- wie im beruflichen Bereich, eine Etablierung turellen und strukturellen Variationen. Meist wird und Stabilisierung als maßgebend für die für die Spezifizierung ein Kriterienbündel heran- Lebensphase des mittleren Erwachsenen- gezogen, das eine grobe Einteilung des Lebens- alters. Als ein zentrales Kriterium für den laufs in Lebensphasen erlaubt (Freund und Nikitin Endpunkt des mittleren Erwachsenenalters 2012). Dazu gehören das chronologische Alter, wird der Auszug des letzten Kindes aus dem biologische Faktoren und Ereignisse (z. B. sexuelle Elternhaus angesehen. Dieser Übergang geht Reifung; Familiengründung und -erweiterung), meist mit einer Neuorientierung innerhalb Übergänge (z. B. Eintritt in das oder Austritt aus der (Ehe-)Beziehung einher. dem Berufsleben) und die Bewältigung von Ent- wicklungsaufgaben. Das mittlere Erwachsenen- Die Lebensphase des mittleren Erwachsenen- alter ist biologisch nicht klar abgegrenzt und wird alters stellt neben der Kindheit, Adoleszenz und deshalb stärker anhand sozialer Erwartungen, dem Alter einen bedeutsamen Abschnitt dar, Normen und Übergänge definiert. Da jedoch der durch soziokulturelle Altersnormen und leit- berufliche und familiäre Übergänge wie bei- bildhafte Standardverlaufsmuster geprägt wird. spielsweise die Geburt der Kinder, der Eintritt ins Andererseits unterliegt diese Altersphase der oben Berufsleben oder der Auszug des letzten Kindes angesprochenen Entstrukturierung des Lebensver- aus dem Elternhaus von einer Vielzahl unter- laufs. Chronologisch folgt sie der in der Familien- schiedlicher individueller und gesellschaftlicher forschung gut dokumentierten und vielfach in Faktoren abhängig sind (z. B. Bildungsniveau, der öffentlichen Debatte diskutierten Phase der Partnermarkt oder wirtschaftliche Lage), bestehen „Rushhour des Lebens“ (u. a. Deutscher Bundes- große individuelle, regionale und milieuspezi- tag 2006). Rindfuss (1991: 494) beschreibt das fische Unterschiede in den Entwicklungsverläufen. junge Erwachsenenalter als eine Zeit, die „demo- In Anlehnung an Freund und Nikitin (2012) lassen grafisch dicht“ ist, was bedeutet, dass dann mehr sich die zentralen Kriterien zur Definition des mitt- entscheidungsintensive demografische Ereig- leren Erwachsenenalters zusammenfassen: nisse als in jedem anderen Stadium des Lebens stattfinden. Die Rushhour des Lebens umfasst im ›› Mitte des Lebens: Geht man von einer durch- Allgemeinen das Alter zwischen 25 und 35 oder schnittlichen Lebenserwartung von rund 40 Jahren, in dem für viele Menschen eine über- 82 Jahren in westlichen Industrienationen aus, proportionale Arbeitsbelastung und eine Häufung ist die Mitte des Lebens mit 41 Jahren erreicht. an biografischen Entscheidungen auftreten. Dabei Mit anderen Worten befinden sich Menschen lassen sich zwei Varianten unterscheiden, die mit 41 im mittleren Erwachsenenalter. jeweils unterschiedliche Gruppen, Lebensphasen und Überlastungsmechanismen betreffen (Bujard ›› Erwerbsbereich: In der ersten Phase des mitt- und Panova 2014): „Rushhour der Lebensent- leren Erwachsenenalters erfolgt in der Regel scheidungen“ und „Rushhour im Lebensverlauf“. die berufliche Etablierung und das Erreichen Die erste ist vor allem für die Lebensverläufe von des Karrierehöhepunktes. In der zweiten Akademikern und insbesondere Akademikerin- Hälfte des mittleren Erwachsenenalters steht nen charakteristisch, und damit für eine Minder- dagegen die Stabilisierung im Vordergrund. heit der Bevölkerung, die während eines recht Die Verrentung gilt als ein Kriterium für den kurzen Lebensabschnitts langfristige Lebensent- Endpunkt des mittleren Erwachsenenalters. scheidungen treffen müssen. Hierbei findet eine Mit dem Übergang in den Ruhestand geht in Verdichtung von wichtigen biografischen Ereig- der Regel das Ausscheiden aus der aktiven nissen auf eine kurze Zeitspanne von fünf bis 13
Was kommt nach der Rushhour? sieben Jahren statt. Durch eine verlängerte Aus- erst nach der Einschulung des letzten Kindes bildungsphase, späteren Berufseinstieg, oftmals in spürbar ab (Deutscher Bundestag 2006: 242). befristeten Arbeitsverhältnissen, wird erst später Neuere Daten aus der Zeitverwendungserhebung im Lebenslauf eine ökonomische Selbstständig- 2013 (Panova et al. 2017) zeigen, dass die Rush- keit erreicht, die in der Regel die Grundlage für hour im Lebensverlauf insbesondere in der Klein- eine Familiengründung darstellt. Auch die Partner- kindphase eines zweiten Kindes auffällig ist: Hier findung und Gründung eines gemeinsamen liegt die Gesamtarbeitsbelastung von Frauen bei Haushalts sind meist auf diese kurze Zeitspanne 63 und bei Männern bei 62 Wochenstunden.2 konzentriert. Somit tritt die Familienplanung bei Hochgebildeten erst später in den Fokus als bei Die Lebensphase des mittleren Erwachsenenalters Menschen, die mit Anfang 20 bereits ökonomisch ist, ähnlich wie die Rushhour des Lebensverlaufs, unabhängig sind und einen Partner gefunden durch die Mehrdimensionalität der Handlungs- haben. Eine Folge dieses kurzen Zeitfensters für muster gekennzeichnet. Erwachsene Personen die wichtigen Lebensentscheidungen kann die Auf- im Alter zwischen 35 und 59 sind in mehrere schiebung von Kinderwünschen und sogar dauer- Bereiche der Erwachsenentätigkeit involviert – hafte Kinderlosigkeit sein. Erwerbsarbeit und zivile Verantwortung, Ehe und Elternschaft und am Ende dieser Lebensphase Die zweite Variante der Rushhour – die „Rushhour zunehmend auch pflegerische Aufgaben für die im Lebensverlauf“ – betrifft alle Eltern von kleinen alten Eltern. Der individuelle Lebensverlauf in Kindern – also heutzutage knapp vier Fünftel der dieser Lebensphase entwickelt sich hauptsäch- zwischen 1960 und 1980 geborenen Frauen und lich in den Lebensbereichen Beruf und Familie, Männer, die durch die Verbindung von Beruf und wobei der Fokus sowie die inhaltliche Ausrichtung Familie eine sehr hohe Arbeitsbelastung erfahren. in Abhängigkeit vom Vorhandensein von Kindern Das Alter der Eltern ist dabei in der Regel nach- sehr unterschiedlich sein können. Die Bildungs- rangig. Diese Situation kann bei Männern und karriere ist weitgehend, wenn auch nicht end- Frauen Anfang Zwanzig ebenso auftreten wie bei gültig abgeschlossen (lebenslanges Lernen). Der „späten“ Eltern Ende Dreißig. Beginn und Ende Einstieg in das Erwerbsleben sowie die Etablie- der Phase leiten sich also nicht vom Alter der rung im Beruf sind bei den meisten Menschen in Eltern ab, sondern von dem des jüngsten Kindes dieser Altersphase bereits erfolgt. Das Erreichen (Deutscher Bundestag 2006). Die Phase beginnt des Karrierehöhepunktes sowie die berufliche mit der Geburt des ersten Kindes, wenn der Stabilisierung sind markante Kennzeichnen der Arbeitsaufwand in allen Lebensbereichen enorm Lebensmitte. Jedoch sind angesichts von wett- ansteigt. Nicht nur die Arbeitsintensität des All- bewerbsorientierten Marktstrukturen und damit tags mit einem Baby oder Kleinkind, sondern auch einhergehenden unsicheren und teilweise pre- die Planung und Koordination des Familien- und kären Arbeitsbedingungen berufliche Neuorien Berufsalltages stellt hier eine Herausforderung tierungen sowie Phasen von Arbeitslosigkeit nicht dar. Junge Eltern sind oft mit Kinderbetreuung, auszuschließen (brüchige Erwerbsbiografien). beruflichen Pflichten, beruflich veranlasstem Pen- Die Mehrheit der Männer und Frauen in diesem deln sowie Organisieren des Haushaltes belastet. Alter hat die Gründung eines gemeinsamen Haus- Sie sind einerseits vom Arbeitgeber, andererseits halts mit dem Lebenspartner, die Heirat und die von Öffnungszeiten der Kinderbetreuungsein- Familiengründung bereits hinter sich. Im Alter richtungen fremdbestimmt (Bujard und Panova von 35 Jahren lebt die Mehrheit in einer festen 2014). Und auch wenn der Alltag einigermaßen Partnerschaft bzw. Ehe und das letzte Kind ist im geregelt abläuft, wirft zum Beispiel eine Krank- Durchschnitt geboren. Im Lebensalter zwischen heit des Kindes die ganze Struktur wieder durch- 35 und 59 sind somit die meisten Menschen in einander. Der intensive Abschnitt der „Rushhour einer Struktur von mehrdimensionalen Abhängig- im Lebensverlauf“ dauert etwa bis das jüngste keiten eingebettet, für die die Weichen bereits Kind das Kindergartenalter von drei Jahren im jüngeren Alter gestellt wurden. Personen, die erreicht hat. Die Arbeitsbelastung flacht jedoch keine Kinder haben, sind hingegen in dieser 14
2 Die Lebensphase des mittleren Erwachsenenalters Lebensphase nicht mit der Vereinbarkeits- Darüber hinaus wissen wir sehr wenig über problematik, zumindest in Hinblick auf Kinder- die Lebensphase des mittleren Erwachsenen- pflege und Beruf, konfrontiert. Manche holen in alters, denn sie stellt keinen eigenständigen einem Alter ab 35 Jahre ihre Kinderwünsche nach Gegenstand der soziologischen Forschung dar. und bekommen noch Kinder. Andere suchen Zudem gibt es keine eindeutigen biologischen Unterstützung für die Erfüllung nicht realisier- Altersgrenzen und kaum soziale Konventionen, ter Kinderwünsche in Kinderwunschzentren. Ein die diese Lebensphase klar abgrenzen. Einige Teil von ihnen bleibt dauerhaft kinderlos und Definitionsvorschläge für diese Lebensphase erlebt die Phase des mittleren Erwachsenen- finden sich in der Entwicklungspsychologie alters ohne Kinder. Es handelt sich also um einen (Übersicht in Pinquart 2012: 31–37). Staudinger sehr vielfältigen Lebensabschnitt, der sich je nach (1996) entwickelte Muster des Lebensinvest- Familienstand sehr unterschiedlich darstellt und ments zwischen 20 und 105 Jahren und definiert unterschiedliche Lebenssituationen einschließt. das mittlere Erwachsenenalter als die Alters- phase zwischen 35 und 54 Jahren (Abbildung 2). Das mittlere Erwachsenenalter kann kaum an Die Aufteilung des Lebenslaufs in fünf über die einem zentralen Ereignis festgemacht werden, Lebensspanne verteilte Altersgruppen zeigt, dass sondern widerspiegelt einerseits die Vielfalt der in der ersten Phase des jungen Erwachsenen- Lebensentwürfe in modernen Gesellschaften alters Beruf, gefolgt von Freunden, Familie und und bündelt andererseits eine Reihe von teils Unabhängigkeit die bedeutendsten Lebens- selbstbestimmten, teils fremdbestimmten Ereig- inhalte darstellen. Im mittleren Erwachsenen- nissen. Ereignisse, die bei der Mehrheit der Per- alter tritt Familie an die erste Stelle. Es folgen sonen in der mittleren Lebensphase mit höherer Beruf, Freunde und kognitive Leistungsfähig- Wahrscheinlichkeit auftreten, sind Trennungen keit. In der nächsten Lebensphase des höheren bzw. Scheidungen, Wiederheirat, Auszug der Erwachsenenalters zwischen 55 und 65 Jahren Kinder aus dem gemeinsamen Haushalt sowie bleibt Familie weiterhin an der Spitze. In dieser das Eintreten von Pflegeaufgaben für Familien- Altersgruppe wird Gesundheit immer wichtiger angehörige. Allerdings kann auch in einem Alter und tritt an die zweite Stelle anstelle des Berufs. ab 35 aufwärts die Erstheirat, Familiengründung Freunde und kognitive Leistungsfähigkeit sind und/oder -erweiterung stattfinden. Die Über- weiterhin zentrale Lebensinhalte. Insgesamt gänge, die in dieser Altersphase typischerweise rücken mit zunehmendem Alter die Gesundheit auftreten, sind im Vergleich zu den Übergängen und das Nachdenken über das eigene Leben im jungen Erwachsenenalter (wie beispielsweise mehr in den Vordergrund. Heirat oder die Geburt eines Kindes) weniger institutionell gerahmt. Soziokulturell können sie teilweise als weniger folgenreich bezeichnet wer- den, da die wichtigen Entscheidungen des Lebens meist bereits getroffen sind und die Festlegungen im mittleren bzw. höheren Lebensalter selten rückgängig gemacht werden können (Scher- ger 2007: 181). Die für das mittlere und höhere Erwachsenenalter typischen Ereignisse haben mehr (Tod der Eltern) oder weniger (Auszug der Kinder) die Bedeutung von Verlusten und unter- liegen in den meisten Fällen nicht der individuel- len Kontrolle (ebenda: 181). 15
Was kommt nach der Rushhour? Abb. 2: Muster des Lebensinvestments zwischen 20 und 105 Jahren (Staudinger 1996) Junges Mittleres Höheres Hohes Sehr hohes Erwachsenenalter Erwachsenenalter Erwachsenenalter Erwachsenenalter Erwachsenenalter 25–34 Jahre 35–54 Jahre 55–65 Jahre 70–84 Jahre 85 Jahre + ›› Beruf ›› Familie ›› Familie ›› Familie ›› Gesundheit ›› Freunde ›› Beruf ›› Gesundheit ›› Gesundheit ›› Familie ›› Familie ›› Freunde ›› Freunde ›› Kognitive ›› Nachdenken ›› Unabhängigkeit ›› Kognitive ›› Kognitive Leistungs über das Leben Leistungs Leistungs fähigkeit ›› Kognitive fähigkeit fähigkeit ›› Freunde Leistungs fähigkeit 2.4 Konkrete Abgrenzung des Im Jahr 2016 waren Frauen bei der Geburt ihres Lebensabschnitts auf Basis des ersten Kindes im Durchschnitt 29,6 und bei der Eintritts einzelner Ereignisse Geburt des dritten Kindes rund 33 Jahre alt. Der in Abb. 3 dargestellte Anteil der Frauen mit Kin- Die konkrete Abgrenzung des mittleren dern im Haushalt nach dem Alter der Frau für die Erwachsenenalters nach Lebensjahren wurde Jahre 1996 und 2016 verdeutlicht auch die Rän- in Anlehnung an die im Kapitel 2.3 dargestellten der dieser Lebensphase für die Frauen. Im Alter zentralen Kriterien zur Spezifizierung des mittle- von 35 Jahren liegt der Anteil der Frauen mit Kin- ren Erwachsenenalters und auf Basis der aktu- dern3 im Haushalt bei knapp 69 % (1996: 76 %), ellen Daten zum jeweiligen Durchschnittsalter im Alter von 59 Jahren sind es noch knapp 19 % der Personen bei den relevanten Ereignissen (1996: 20 %) aller Frauen. Am höchsten ist der im Lebenslauf vorgenommen. Für Personen mit Anteil bei Frauen im Alter von 40 Jahren mit 75 % Kindern sind dies der Abschluss der Familien- (1996: 80 %). Dieses Alter markiert die Grenze gründungsphase als Beginn sowie der Auszug der zwischen den jüngsten Müttern, bei denen die Kinder aus dem Elternhaus als Ende des mitt- ersten Kinder schon wieder ausziehen und den leren Erwachsenenalters. Bei Personen ohne ältesten Müttern, die erst in diesem Alter das Kinder sind die Etablierung im Beruf sowie das erste Mal Mutter werden. Der Vergleich der Jahre Ende der Phase der regulären Erwerbstätigkeit 1996 und 2016 verdeutlicht, dass Frauen heute bzw. der Erwerbsaustritt als relevante Ereig- später und seltener Mütter werden und durch nisse zur Abgrenzung dieses Lebensabschnitts zu den früheren (aus Sicht der Kinder) Auszug der betrachten. Kinder aus dem elterlichen Haushalt einen etwas kürzeren Lebensabschnitt mit Kindern im Haus- halt verbringen. 16
2 Die Lebensphase des mittleren Erwachsenenalters Abb. 3: Frauen mit Kindern im Haushalt nach Alter, 1996 und 2016 Anteil an allen Frauen im jeweiligen Alter in Prozent 100 80 60 40 20 0 25 30 35 40 45 50 55 60 Altersjahre 1996 2016 Datenquelle: Mikrozensus, eigene Berechnungen Der Auszug des letzten Kindes oder mixed living (Zinnecker et al. 1996; Nave- Der Auszug der Kinder aus dem Elternhaus Herz 1997) bekannt. Diese Begriffe bezeichnen stellt einen typischen Übergang im mittleren das Wohnmuster junger Erwachsener mit zwei Erwachsenenalter dar. Aus familiensoziologischer Wohnsitzen – einem eigenen und dem Eltern- und entwicklungspsychologischer Sicht markiert haus. Es kann davon ausgegangen werden, dass dieser Übergang den Beginn der so genannten das letztgenannte Wohnmuster hauptsächlich von empty-nest-Phase, die die nachelterliche Lebens- denjenigen jungen Erwachsenen gewählt wird, die spanne der Eltern erwachsener Kinder beschreibt. sich noch in der Ausbildung befinden (Nave-Herz Der Auszug des letzten Kindes vollzieht sich häu- 1997). Demzufolge hat die in den letzten Jahr- fig nicht abrupt, sondern erfolgt fließend, z. B. zehnten des 20. Jahrhunderts deutlich gestiegene indem das Kind noch eine Weile die Wäsche nach Zahl von Studierenden nicht zu einem verzögerten Hause bringt und für das Wochenende kommt. Verlassen des Elternhauses geführt, sondern Wenn man mehrere Kinder hat, kann der Auszug zu einer größeren Verbreitung von mixed living der Kinder einen längeren Prozess darstellen bis (ebenda: 684). schließlich die empty nest-Phase eintritt. Frauen sind im Durchschnitt knapp unter 55 Jahren, Der Prozess des Auszugs der Kinder ist in wenn das letzte Kind das Elternhaus endgültig den meisten Fällen nach ein bis zwei Jahren verlässt und damit jünger als Männer (Scherger abgeschlossen. Während sich die Wohnsituation 2007: 185). Bei den Vätern geht der Median des für die Eltern nach dem Auszug verbessert, sind Alters beim Auszug des letzten Kindes Richtung die finanziellen Folgen nicht eindeutig. Es kön- 60 Jahre (ebenda). Eigene Berechnungen auf Basis nen Vorteile entstehen, wenn z. B. der Auszug des aktuellen Mikrozensus 2016 kommen auf mit einer ökonomischen Selbstständigkeit der vergleichbare Ergebnisse (vgl. Kap. 4.1.1). Zudem Kinder einhergeht, aber auch Nachteile, wenn gibt es Fälle, in denen die Kinder nach einem Aus- die Mietkosten für die Kinder übernommen wer- zug in den elterlichen Haushalt zurückkehren. den. Ursprünglich wurde die empty-nest-Phase als Dieses Phänomen ist in der Wissenschaft als eine Lebensphase mit Entwicklungsproblemen crowded nest (Schnaiberg und Goldenberg 1989) und Krisen von Müttern (u. a. Depressionen) ver- 17
Was kommt nach der Rushhour? standen. Allerdings kommen Zinnecker et al. 1996 Ende der regulären Erwerbsphase zu dem Ergebnis, dass das empty-nest-Syndrom, Für Personen ohne Kinder markiert insbesondere wenn überhaupt, nur für Hausfrauen ein Pro- das Ende der regulären Erwerbsphase das Ende blem darstellt, die nicht erwerbstätig sind und des mittleren Erwachsenenalters. Dies ist nicht mit dem Auszug der Kinder ihre Identität und in erster Linie das gesetzliche Renteneintritts- Zuständigkeit verlieren können. Mittlerweile wird alter, zumal dieses ohnehin nur für einen kleine- der Auszug der Kinder aus dem Elternhaus als ren Anteil der Erwerbstätigen den tatsächlichen ein für Mutter und Vater ambivalenter Prozess Erwerbsaustritt markiert. Faktoren wie Vorruhe- gesehen, der mit neuen Freiräumen und Rollenzu- stand, Altersteilzeit, Reduzierung der Arbeitszeit schreibungen, aber auch Trauergefühlen einher- u. a. beeinflussen diese Phase des Ausstiegs aus geht. Auch die Paarbeziehung zwischen den Eltern dem Erwerbsleben. Trotz steigender Erwerbs- muss neu organisiert werden und ist vor neue tätigenquoten in den höheren Altersgruppen ist Herausforderungen gestellt. So kommt es auch heute deutlich weniger als jeder zweite zwischen in lang bestehenden Ehen nicht selten zu Schei- 60 und 64 Jahren sozialversicherungspflichtig dungen. Die Ergebnisse von Klein und Rapp (2010) beschäftigt (38,3 %).4 In der Altersgruppe der zeigen, dass der Eintritt in die empty-nest-Phase 55- bis 59-Jährigen sind es 59,2 %. Zwischen dem das Trennungsrisiko der Eltern erhöht. Dabei ist 35. und 49. Lebensjahr liegen die Anteile zwischen die Risikosteigerung im Vergleich zu den Paaren, 65 % und 68 %. Anhand dieser Zahlen beginnt deren Kinder noch nicht ausgezogen sind, dauer- Ende des sechsten Lebensjahrzehnts die Phase haft. Der empty-nest-Effekt auf die Beziehungs- des Erwerbsausstiegs und markiert somit auch stabilität ist im Verlust ehespezifischen Kapitals das Ende des mittleren Erwachsenenalters. und/oder in einer Reduktion der wechselseitigen Abhängigkeit der Eltern sowie in Anpassungs- und/oder Nachholeffekten begründet. Zudem weisen die Ergebnisse darauf hin, dass die all- gemein höhere Beziehungsstabilität von Eltern im Vergleich zu kinderlosen Paaren tatsächlich auf einem Kausaleffekt durch die Kinder beruht – d. h. Kinder beeinflussen die Beziehungsstabilität der Eltern kausal positiv. Ein reiner Selektionseffekt der höheren Beziehungsstabilität von Eltern, der dadurch zustande kommt, dass Kinder eher in stabilen Partnerschaften geboren werden, konnte hingegen nicht bestätigt werden. 1 Bis zum Jahr 2008 konnten das Alter der Mutter bei der 3 Es werden hierbei alle ledigen Kinder im Haushalt ohne Geburt und die Geburtenfolge nur für Kinder berechnet Altersbegrenzung berücksichtigt. werden, die in einer bestehenden Ehe geboren wurden. Erst 4 Quelle: Eigene Berechnungen auf Basis der Beschäftigungs seit 2009 sind diese Zahlen für alle Kinder der Frau verfügbar. statistik der Bundesagentur für Arbeit und Daten der Bevöl In diesem Vergleichszeitraum betrug die Differenz des kerungsfortschreibung. Alters zwischen den beiden Berechnungsmethoden rund ein Jahr. 2 Gesamtarbeitsbelastung beinhaltet Zeiten für Erwerbs arbeit, Bildung, Haushalt, Betreuung und berufsbedingtes Pendeln. 18
Lebenslagen im mittleren Erwachsenenalter
Was kommt nach der Rushhour? Die theoretischen Überlegungen und Abgrenzun Die Personengruppe im mittleren Erwachsenen- gen zur Lebensphase des mittleren Erwachsenen alter macht heute etwa 36 % der Bevölkerung alters, wie sie in Kapitel 2 dargestellt und erläu in Deutschland aus. Die Bevölkerung innerhalb tert wurden, bedürfen insbesondere vor dem dieser Lebensphase ist aufgrund unterschiedlich Hintergrund des starken Wandels der betrach stark besetzter Jahrgänge – insbesondere durch teten Lebensphase in den letzten Jahrzehnten die sogenannte Babyboomergeneration der heute der Überprüfung anhand aktueller empirischer etwa 50- bis 59-Jährigen – etwas ungleichmäßig Befunde. Die Theorien im Hinblick auf Lebens zugunsten der älteren Altersgruppen verteilt. formen und Erwerbstätigkeit können nur dann Diese Ungleichverteilung gilt es bei der Inter- weiterhin belastbare Thesen liefern, wenn sie pretation der Befunde sowie bei Vergleichen im sich mit der aktuellen Datenlage decken. In Zeitverlauf zu berücksichtigen. Die Verteilung diesem Kapitel werden daher einerseits die nach Geschlecht unterscheidet sich mit einem Lebenslagen im mittleren Erwachsenenalter mit Verhältnis von 51:49 zugunsten von Männern bei aktuellen Zahlen dargestellt und andererseits dieser Personengruppe dagegen kaum. die Veränderungen im Zeitverlauf aufgezeigt. Auf Basis regionaler Daten werden zusätzlich Insgesamt weist die Bevölkerung im mittle- bestehende Unterschiede zwischen einzelnen ren Erwachsenenalter heute ein deutlich höhe- Regionen erläutert. Die verwendeten Daten res Bildungsniveau auf als jene früherer Jahre und ausgewählten Untersuchungsmerkmale (Abb. 4). In den letzten 20 Jahren ist eine durch- orientieren sich hierbei an dem theoretischen gehende Zunahme des Bildungsniveaus der Per- Rahmen aus Kapitel 2, in dem die möglichen Ein sonen in dieser Lebensphase zu beobachten, bei flussfaktoren auf die Lebensphase des mittleren Frauen ungleich stärker als bei Männern. Durch Erwachsenenalters aufgeführt und erläutert die Bildungsexpansion besitzen insbesondere in wurden. Mögliche Einflussfaktoren und deren den jüngeren Altersgruppen immer mehr Frauen Zusammenspiel in den einzelnen Lebenssituatio einen Realschulabschluss oder das Abitur. Kon- nen des mittleren Erwachsenenalters in Bezug kret haben rund drei Viertel aller Frauen im mitt- auf Partnerschaft, Familie und Erwerbstätigkeit leren Erwachsenenalter mindestens einen Real- und die möglichen Hintergründe stehen dabei im schulabschluss, rund ein Drittel sogar Abitur. In Mittelpunkt. In diesem Kapitel erfolgt zunächst der Altersgruppe 35 bis 44 Jahre besitzen sogar die Darstellung der Lebenslagen im mittleren rund 43 % der Frauen die (Fach-)Hochschulreife. Erwachsenenalter, differenziert nach Geschlecht Damit haben in dieser jüngsten Altersgruppe und Bildung/Qualifikation. In Kapitel 4 werden inzwischen mehr Frauen als Männer ein Abitur. die während der Phase des mittleren Erwachse nenalters eintretenden Ereignisse und ihr Ein fluss auf den Lebenslauf thematisiert. 20
3 Lebenslagen im mittleren Erwachsenenalter 4 Abb. 4: Höchster Schulabschluss der 35- bis 59-jährigen Männer und Frauen, 1996 bis 2016 Männer Frauen Anteil in Prozent 100 100 Abitur Abitur 80 80 60 60 Realschulabschluss Realschulabschluss 40 40 20 Haupt-/Volksschulabschluss 20 Haupt-/Volksschulabschluss Ohne Schulabschluss Ohne Schulabschluss 0 0 1996 2000 2004 2008 2012 2016 1996 2000 2004 2008 2012 2016 Datenquelle: Mikrozensus, eigene Berechnungen 3.1 Lebensformen und Familiensituation gewonnen. Das steigende Heiratsalter, das höhere Alter bei der Geburt der Kinder, die Zunahme Wie leben Männer und Frauen im mittleren des Anteils nichtehelich geborener Kinder sowie Erwachsenenalter? Zwar stellen Partnerschaft zunehmende Scheidungs- und Trennungshäufig- und Kind(er) in diesem Lebensabschnitt weiterhin keiten sind Faktoren, die zu einer fortschreitenden zentrale Merkmale dar, jedoch sind die Lebens- Ausdifferenzierung der Lebensformen führen. formen heute insgesamt deutlich vielfältiger als In zunehmendem Maße werden heute Partner- noch vor einigen Jahrzehnten und Lebensläufe schaften als nichteheliche Lebensgemeinschaften sind häufiger nicht mehr nur geradlinig. Meh- sowohl als Vorstufe als auch als Alternative zur rere Brüche und häufigere Wechsel von Lebens- Ehe eingegangen. formen kennzeichnen heute den Lebensverlauf. Auch haben sich zeitliche Abläufe und die Dauer Zustand, Entwicklung und soziostrukturelle der einzelnen Lebensformen deutlich verändert. Differenzierung der Lebensformen Das Zusammenleben in einer Ehe ist zwar nach Im Folgenden werden die einzelnen Lebens- wie vor die häufigste Lebensform im mittleren formen im mittleren Erwachsenenalter, ihre Erwachsenenalter, doch hat sich ihr Anteil in den aktuelle Verbreitung sowie die Veränderung letzten 20 Jahren erheblich reduziert. Darunter im Zeitverlauf dargestellt. Differenziertere ist auch der Anteil der traditionellen Lebensform Betrachtungen nach Geschlecht, Bildung oder „Ehepaar mit Kindern“ rückläufig. Andere Lebens- Elternschaft werden vorgenommen, um die ent- formen wie Alleinstehende ohne Partner (im sprechenden Unterschiede zwischen den einzel- Haushalt) oder auch Alleinerziehende sowie nicht- nen Teilgruppen zu verdeutlichen. Haushaltüber eheliche Lebensgemeinschaften hingegen haben greifende Paarbeziehungen werden bei den im Laufe der Zeit zunehmend an Bedeutung dargestellten Lebensformen nicht berücksichtigt.1 21
Was kommt nach der Rushhour? Abb. 5: Lebensform der 35- bis 59-Jährigen, Abb. 6: Lebensform der 35- bis 39-Jährigen 1996 und 2016 im Vergleich zu den 55- bis 59-Jährigen, 55 nach Geschlecht Anteil in Prozent Anteil in Prozent 66 Anteil Anteil in in Prozent Prozent 100 100 100 100 8080 8080 6060 Prozent 4040 6060 2020 4040 0 0 1996 1996 2016 2016 Alleinstehende Alleinstehende Nichteheliche Lebensgemeinschaften Nichteheliche ohne Lebensgemeinschaften ohneKind Kind 2020 Ehepaare Ehepaareohne Kind ohne Kind Alleinerziehende Alleinerziehende Nichteheliche Lebensgemeinschaften Nichteheliche mitmit Lebensgemeinschaften Kind(ern) Kind(ern) Ehepaare Ehepaaremitmit Kind(ern) Kind(ern) 0 0 35–39 35–39 55–59 55–59 35–39 35–39 55–59 55–59 1996 2016 Datenquelle: Mikrozensus, eigene Berechnungen Altersgruppen Altersgruppen stehende Männer Männer Frauen Frauen eheliche Lebensgemeinschaften ohne Kind are ohne Kind Trotz rückläufigem Anteil ist in der Phase des mitt- Alleinstehende Alleinstehende erziehende leren Alters weiterhin die Lebensform Ehepaar mit Nichteheliche Nichteheliche Lebensgemeinschaften Lebensgemeinschaften ohne ohne Kind Kind eheliche Lebensgemeinschaften Kind(ern) mit amKind(ern) stärksten verbreitet. So leben heute Ehepaare Ehepaare ohne ohne Kind Kind are mit Kind(ern) Alleinerziehende Alleinerziehende in der betrachteten Lebensphase noch rund 40 % Nichteheliche Nichteheliche Lebensgemeinschaften Lebensgemeinschaften mit mit Kind(ern) Kind(ern) der Bevölkerung in dieser Lebensform. Deutlich Ehepaare Ehepaare mit mit Kind(ern) Kind(ern) zugenommen haben im Vergleich zu 1996 die Anteile der Alleinerziehenden und vor allem der Datenquelle: Mikrozensus, eigene Berechnungen Alleinstehenden. Frauen sind in dieser Lebens- phase häufiger verheiratet als Männer, aber auch häufiger alleinerziehend. Männer hingegen leben Eine differenziertere Betrachtung der Lebens- zu einem größeren Anteil als Alleinstehende. formen in den einzelnen Abschnitten des mittle- Alleinstehend bedeutet in diesem Zusammen- ren Erwachsenenalters, wie sie in Abb. 6 dar- hang nicht unbedingt, dass die Person auch alleine gestellt ist, verdeutlicht die Unterschiede zwischen im Haushalt lebt. So können dies auch Personen den einzelnen Teilgruppen zu Beginn und zum sein, die etwa in einer Wohngemeinschaft oder Ende des mittleren Erwachsenenalters. So leben in einem Mehrgenerationenhaushalt leben. Über heute zu Beginn der betrachteten Lebensspanne 80 % der Alleinstehenden in der betrachteten die Menschen zu mehr als 60 % mit Kindern im Altersgruppe lebten 2016 jedoch in einem Ein- Haushalt, darunter vier Fünftel als Ehepaare. personenhaushalt. Unter den Männern ist es jeder Am Ende dieser Lebensspanne sind es nur noch Vierte, der ohne Partner und Kind im Haushalt etwa 25 %, bei denen Kinder im Haushalt leben, lebt, bei Frauen ist es weniger als jede Sechste. bei den meisten sind die Kinder hier schon aus 22
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