Wie wir das Klima schützen und eine sozial gerechte Mobilitätswende umsetzen können

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Wie wir das Klima schützen und eine sozial gerechte Mobilitätswende umsetzen können
Wie wir das Klima schützen und
eine sozial gerechte Mobilitätswende
umsetzen können
Wie wir das Klima schützen und eine sozial gerechte Mobilitätswende umsetzen können
Impressum

    Herausgeber                                         Verfasser
    AWO Bundesverband e. V.                             Bündnis sozialverträgliche Mobilitätswende
    Blücherstraße 62, 10961 Berlin                      April 2021

    Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V.   Autorinnen und Autoren
    (BUND)                                              Dr. Ruth Gütter, Jens Hilgenberg, Alexander Kaas Elias,
    Kaiserin-Augusta-Allee 5, 10553 Berlin              Steffen Lembke, Fabian Müller-Zetzsche,
                                                        Volker Nüsse, Lena Osswald, Daniel Rieger,
    Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB)                   Johannes Rußmann, Dr. Ines Verspohl
    Henriette-Herz-Platz 2, 10178 Berlin
                                                        Redaktion
    Evangelische Kirche in Deutschland (EKD)            Lena Osswald, Hannes Külz
    Herrenhäuser Str. 12, 30419 Hannover
                                                        Gestaltung
    IG Metall                                           construktiv GmbH, Bremen
    Wilhelm-Leuschner-Straße 79, 60329 Frankfurt
                                                        Illustration
    NABU (Naturschutzbund Deutschland) e. V.            Elisabeth Deim, Dresden
    NABU-Bundesverband
    Charitéstraße 3, 10117 Berlin                       Lektorat
                                                        Fabian Kreß, Berlin
    Sozialverband Deutschland e. V. (SoVD)
    Bundesgeschäftsstelle
    Stralauer Straße 63, 10179 Berlin

    Sozialverband VdK Deutschland e. V.
    Linienstraße 131, 10115 Berlin

    ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft
    Paula-Thiede-Ufer 10, 10179 Berlin

    VCD – Verkehrsclub Deutschland e. V.
    Bundesgeschäftsstelle                               Das Bündnis sozialverträgliche Mobilitätswende
    Wallstraße 58, 10179 Berlin                         wird gefördert von der Stiftung Mercator.

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Wie wir das Klima schützen und eine sozial gerechte Mobilitätswende umsetzen können
Inhalt

Executive Summary................................................. 4

Breites Bündnis: Die Mobilitätswende geht uns alle an.............. 8

Unsere Vision: Eine gute Mobilität für alle........................13

Handlungsbedarfe für eine sozialverträgliche Mobilitätswende.......19

Dimension 1: Mobilität als Teil der Daseinsvorsorge ermöglicht gesellschaftliche Teilhabe............... 19
Aktuelle Situation: Nicht alle Menschen haben Zugang zu attraktiver klimafreundlicher Mobilität...... 19
Was jetzt zu tun ist.......................................................................................................................................22

Dimension 2: Mobilität trägt zu Lebensqualität und Gesundheit bei.................................................. 30
Aktuelle Situation: Die Auswirkungen des Verkehrs belasten Lebensqualität und Gesundheit.............30
Was jetzt zu tun ist.......................................................................................................................................32

Dimension 3: Mobilitätswirtschaft bringt Wohlstand und Beschäftigung........................................... 36
Aktuelle Situation: Die Mobilität ist im Strukturwandel, die politische Gestaltung ist mangelhaft........36
Was jetzt zu tun ist.......................................................................................................................................38

Dimension 4: Mobilitätswende braucht einen kulturellen Wandel...................................................... 43
Aktuelle Situation: Eine Kultur der Motorisierung und Beschleunigung...................................................43
Was jetzt zu tun ist.......................................................................................................................................44

Zentrale Handlungsempfehlungen für eine
sozialverträgliche Mobilitätswende.................................47

Mitglieder im Bündnis............................................ 50

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Wie wir das Klima schützen und eine sozial gerechte Mobilitätswende umsetzen können
Executive Summary

    Wie kann eine sozial                           verschwinden lassen. Doch das stimmt so
    gerechte und ökologische                       nicht. Das gemeinsame Papier des Bünd-
    Mobilitätswende gelingen?                      nisses zeigt: Klimaschutz und soziale Ge-
                                                   rechtigkeit schließen sich nicht aus, sondern
    Dieser Frage widmet sich das Bündnis sozi-     ergänzen und bedingen sich mancherorts
    alverträgliche Mobilitätswende und formu-      sogar. Eine klug gestaltete Mobilitätswende
    liert in diesem Papier konkrete Vorschläge.    kann ökologisch und sozial gerecht sein.

    Das einmalige Bündnis aus Wohlfahrts- und      Vier Dimensionen für die
    Sozialverbänden, Gewerkschaften, Umwelt-       Verkehrswende
    verbänden und der Evangelischen Kirche in
    Deutschland vertritt viele Millionen Bürge-    Das Bündnis hat vier Dimensionen identi-
    rinnen und Bürger in Deutschland. Alle Be-     fiziert, in denen gehandelt werden muss:
    teiligten beschäftigen sich aus unterschied-   Daseinsvorsorge, Lebensqualität und Ge-
    lichen Gründen mit dem Thema Mobilität         sundheit, Mobilitätswirtschaft sowie Kultur-
    und sehen dringenden Handlungsbedarf.          wandel. Darüber hinaus wurde die Finanzie-
    Dass der Verkehrssektor maßgeblich zum         rung der Transformation intensiv diskutiert.
    Klimawandel beiträgt, ist unumstritten.        Das Bündnis fokussiert sich in seiner Arbeit
    Gleiches gilt für die vielen negativen Aus-    dabei auf die Personenmobilität. Innerhalb
    wirkungen auf Gesundheit und Lebensqua-        der Dimensionen wurden Maßnahmen for-
    lität. Auch die vielfältigen Herausforderun-   muliert, um die Mobilitätswende zu schaf-
    gen der Mobilitätswirtschaft sind bekannt.     fen.
    Sicher ist: Der Verkehr von Menschen und
    Waren, wie er sich in den vergangenen 50       1. Mobilität muss als Teil der Daseinsvor-
    Jahren entwickelt hat, muss sich deutlich         sorge anerkannt werden. Dafür müssen
    verändern. Dazu gehören Infrastrukturen,          unter anderem folgende Schritte ergrif-
    Mobilitätsangebote, Wertschöpfungsmo-             fen werden:
    delle, aber auch die Mobilitätskultur.
                                                   •   Ein attraktiver Umweltverbund muss
    Wie eine Mobilitätswende im Detail aber            das Rückgrat der neuen Mobilität sein.
    gestaltet werden kann, darüber diskutieren         Nötig sind ein Ausbau der Fuß- und
    Interessengruppen und Politik seit Langem –        Radverkehrsinfrastruktur im gesamten
    ohne zu einer gemeinsamen Lösung zu                Land. Der öffentliche Personennah- und
    kommen. Es besteht bei einigen die An-             Fernverkehr muss mit besseren Infra-
    nahme, eine Mobilitätswende und weniger            strukturen, regelmäßigen Takten und
    Verkehr würden Menschen aus der Gesell-            bedarfsorientierten Angeboten überall
    schaft ausschließen, die individuelle Frei-        im Land verfügbar werden. Neue Mobi-
    heit einschränken sowie die wirtschaftliche        litätsangebote müssen sinnvoll in den
    Entwicklung einbrechen und Arbeitsplätze           Umweltverbund integriert werden.

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Wie wir das Klima schützen und eine sozial gerechte Mobilitätswende umsetzen können
•   Alle Verkehrsanbieter müssen gesetzlich        deutlich reduziert werden, um die mittel-
    zu Barrierefreiheit verpflichtet und die       und langfristigen Folgen des Klimawan-
    Umsetzung staatlich überprüft werden.          dels abzumildern.
    Bestehende Nachteilsausgleiche für
    Personen mit Behinderungen müssen          •   Schadstoff- und Lärmemissionen müs-
    erhalten und wo notwendig ergänzt              sen schnell und nachhaltig reduziert
    werden.                                        werden, damit diese nicht länger der
                                                   Gesundheit schaden.
•   Eine langfristige und umfassende Finan-
    zierung ist Grundlage für einen attrak-    •   Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung
    tiven Umweltverbund. Klimaschädliche           und die Gestaltung von lebenswerten
    Subventionen müssen abgebaut, Steu-            Wohngebieten müssen ergriffen wer-
    ern umgestaltet und vorhandene Mittel          den, um die Lebensqualität zu erhöhen.
    unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten           Gleichzeitig muss eine soziale Woh-
    neu verteilt werden.                           nungspolitik umgesetzt werden, damit
                                                   eine wachsende Lebensqualität nicht zu
•   Damit Mobilität für alle Menschen fi-          Verdrängung führt.
    nanziell zugänglich ist, braucht es
    erschwingliche Tickets auch für Ge-        •   Um das Ziel von null Verkehrstoten
    ringverdienende und eine Erhöhung der          („Vision Zero“) zu erreichen, müssen
    Regelsätze für Mobilität in der Grundsi-       bauliche und organisatorische Maßnah-
    cherung.                                       men für Sicherheit im Straßenverkehr
                                                   ergriffen werden. Neben der objekti-
•   Versorgung und Mobilität müssen                ven Sicherheit müssen diese auch das
    integriert geplant werden, um Wege zu          Sicherheitsgefühl der Menschen ver-
    verkürzen. Versorgungsinfrastrukturen          bessern, insbesondere für den Rad- und
    müssen verstärkt dezentrale und di-            Fußverkehr.
    gitale Elemente umfassen, um einfach
    erreichbar zu sein, ohne lange Wege auf    3. Die Mobilitätswirtschaft trägt einen sehr
    sich nehmen zu müssen.                        großen Teil zu Beschäftigung und zum
                                                  Wohlstand in Deutschland bei. Damit die
2. Das Verkehrssystem muss verändert              Mobilitätswende nicht zu ökonomischen
   werden, damit Lebensqualität und               oder sozialen Verwerfungen führt, son-
   Gesundheit nicht länger eingeschränkt          dern der Mobilitätssektor auch zukünf-
   werden. Hierfür braucht es unter ande-         tig ein zentraler Ort von Innovation und
   rem Folgendes:                                 hochqualifizierten Arbeitsplätzen in der
                                                  hiesigen Volkswirtschaft ist, braucht es
•   Die Treibhausgasemissionen müssen             unter anderem Folgendes:
    mit dem Ziel der Klimaneutralität

                                                                                               5
Wie wir das Klima schützen und eine sozial gerechte Mobilitätswende umsetzen können
•   Die Transformation des Automobilsek-             entsteht eine neue, klimaneutrale und
        tors muss industrie- und strukturpoli-           wertschöpfende Mobilitätswirtschaft.
        tisch begleitet werden. Regionale Struk-
        turpolitik muss besonders betroffene         4. Für eine Mobilitätswende ist auch ein
        Regionen unterstützen.                          Kulturwandel nötig, der dem Auto eine
                                                        kleinere Rolle als bislang zuweist. Dafür
    •   Es braucht umfassende Weiterbildungs-           braucht es Folgendes:
        initiativen und eine fortschrittliche Qua-
        lifikationspolitik, um Menschen für neue     •   Transparenz und Partizipation sind ein
        Anforderungen und neue Jobs weiterzu-            wichtiger Teil des gemeinschaftlichen
        bilden.                                          Wandels. Durch Beteiligung wird Akzep-
                                                         tanz für die Mobilitätswende geschaf-
    •   Für die gesamtwirtschaftliche Trans-             fen. Zudem trägt sie dazu bei, dass sich
        formation muss eine vorausschauende              neue Mobilitätsangebote an den Bedürf-
        Industriepolitik rechtliche Rahmen-              nissen der Nutzenden orientieren.
        setzungen schaffen, die klimaneutrale
        Mobilität und emissionsarme Zukunfts-        •   Die neue Mobilitätskultur muss erlebbar
        technologien bevorzugen.                         werden. In Reallaboren können Men-
                                                         schen Alternativen zum privaten Pkw im
    •   Die Situation der Beschäftigten im öf-           Alltag erfahren.
        fentlichen Verkehr muss deutlich ver-
        bessert werden. Dazu gehören höhere          •   Es braucht eine Kultur des Ausprobie-
        Löhne, mehr Beschäftigte und kürzere             rens. Mögliche Lösungen müssen auf
        Arbeitszeiten. Im Bereich der neuen              der Straße in temporären Anordnungen
        Mobilitätsdienstleistungen dürfen nicht          erprobt und im Erfolgsfall verstetigt
        länger prekäre Arbeitsplätze entstehen.          werden können. Temporäre Lösungen
                                                         ermöglichen es auch, dass nachgebes-
    •   Das Leitbild „Gute Arbeit“ muss im               sert werden kann.
        gesamten Mobilitätssektor etabliert
        werden. Dazu zählt neben tariflicher         •   Sämtliche Unternehmen und Institutio-
        Absicherung und armutsfesten Löhnen              nen müssen Mobilitätsstrategien ent-
        auch eine niedrigere Arbeitsbelastung            wickeln und überlegen, wie ihre Kund-
        und -verdichtung.                                schaft, Mitarbeitenden, Gäste zukünftig
                                                         nachhaltig zu ihnen kommen.
    •   Mit der Umstellung auf emissionsfreie
        Antriebe, dem Ausbau des Angebots von
        Fahrzeugen für den öffentlichen Verkehr
        sowie neuen Schwerpunkten auf Dienst-
        leistungen, Daten und Mikromobilität

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Wie wir das Klima schützen und eine sozial gerechte Mobilitätswende umsetzen können
Finanzierung                                   Ein Auftrag an Politik,
der Transformation                             Wirtschaft und
                                               Zivilgesellschaft
Der Finanzbedarf für die Mobilitätswende
ist hoch und die Zeit für öffentliche Inves-   Die Forderungen sind ein dringender Auf-
titionen drängt. Die Corona-Krise zeigt        trag an die Politik – von Kommunen über
uns, dass in Krisensituationen schnell und     Landkreise und Länder bis zur Bundesre-
eindeutig gehandelt werden kann. Auch im       gierung, aber auch an Unternehmen, Or-
Bereich der Mobilitätswende müssen jetzt       ganisationen und letztlich jeden Einzelnen.
Investitionen in großem Maße getätigt wer-     Das Bündnis zeigt, dass es dafür bereits
den. Jetzt auf diese Investitionen zu ver-     große gesellschaftliche Unterstützung gibt.
zichten, wird für kommende Generationen        Deshalb gibt es keinen Grund, jetzt nicht
deutlich teurer.                               schnell und entschlossen zu handeln.

Innerhalb des Verkehrssektors bestehen
vielfältige Möglichkeiten, Mittel umzu-
schichten und neu zu generieren. Diese
müssen schnellstmöglich genutzt wer-
den. Das bereitstehende Budget für das
Verkehrsministerium muss an Klima- und
Nachhaltigkeitskriterien sowie sozialen
Belangen ausgerichtet werden. Zudem
müssen Steuern für besonders klima-
schädliches Verhalten erhoben werden.
Klimaschädliche Subventionen müssen
abgeschafft werden. Dabei werden große
Summen frei. Wichtig ist, dass diese Um-
schichtungen und Investitionen sozialver-
träglich geschehen. Die Gelder müssen in
den Ausbau klimafreundlicher Mobilitätsan-
gebote investiert werden, die allen Men-
schen zugute kommen. Gleichzeitig müssen
arme Menschen finanziell unterstützt wer-
den, damit diese trotz möglicher Preisstei-
gerungen weiterhin mobil sein können.

                                                                                             7
Wie wir das Klima schützen und eine sozial gerechte Mobilitätswende umsetzen können
Breites Bündnis: Die Mobilitätswende
    geht uns alle an

    Das zivilgesellschaftliche Bündnis sozial-                                Nicht alle Menschen
    verträgliche Mobilitätswende ist ein Zusam-                               haben gleichen Zugang zu
    menschluss aus Wohlfahrts- und Sozialver-                                 Mobilität.
    bänden, Gewerkschaften, Umweltverbänden
    und der Evangelischen Kirche Deutsch-                                     Es gibt bei der Mobilität große Unterschiede
    lands.1 Gemeinsam vertreten sie viele Milli-                              zwischen Stadt und Land. Zudem werden
    onen Mitglieder in Deutschland sowie eine                                 Menschen mit Behinderungen, Kinder, öko-
    Vielzahl haupt- und ehrenamtlich aktiver                                  nomisch schlechter Gestellte und andere im
    Menschen, die sich zivilgesellschaftlich und                              aktuellen Mobilitätssystem benachteiligt.
    in den Unternehmen des Verkehrssektors                                    Dies widerspricht dem Anspruch, dass alle
    engagieren.                                                               Menschen gleichen Zugang erhalten sollen.

    Trotz der sehr unterschiedlichen Arbeits-                                 Der Verkehr hat große
    schwerpunkte der Beteiligten ist für alle die                             Auswirkungen auf die
    Mobilitätswende als Teil eines umfassenden                                Gesundheit – gerade für arme
    sozialökologischen Wandels eine der zentra-                               Menschen.
    len gesamtgesellschaftlichen Herausforde-
    rungen dieses Jahrzehnts, die aktiv begleitet                             Unfälle und Verkehrstote sind Alltag. Luftver-
    und mutig gestaltet werden will. Aus folgen-                              schmutzung, Lärm und Bewegungsmangel
    den Gründen halten sie eine Mobilitätswende                               machen Menschen krank. Menschen mit
    für unausweichlich:                                                       geringen Einkommen sind zudem deutlich
                                                                              häufiger von diesen negativen Auswirkungen
    Wir sind dabei, die                                                       betroffen. Und dass, obwohl sie nicht die-
    planetaren Grenzen zu                                                     jenigen sind, die diese Auswirkungen ver-
    überschreiten.                                                            ursachen: Sowohl in Deutschland als auch
                                                                              global verursachen Menschen mit geringen
    Die Emission von Treibhausgasen und                                       Einkommen am wenigsten Emissionen.
    Schadstoffen, Flächenversiegelung und der
    Verlust von Biodiversität nehmen besorg-
    niserregend zu. Der Beitrag des Verkehrs-
    sektors zur ökologischen Krise ist immens:
    Seine Treibhausgas-Emissionen konnten seit
    1990 nicht gesenkt werden. So können die
    Klimaziele von Paris nicht erreicht werden.2, i

    1		   Teil des Bündnisses sind: AWO Bundesverband e. V., Sozialverband Deutschland e. V., Sozialverband VdK Deutschland e. V.,
    		    Deutscher Gewerkschaftsbund, IG Metall, ver.di Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V.,
          Naturschutzbund Deutschland e. V., VCD Verkehrsclub Deutschland e. V., Evangelische Kirche in Deutschland. Die Arbeit des Bündnisses wird
          durch die Stiftung Mercator und die European Climate Foundation gefördert und unterstützt.
    2		   Das Abkommen von Paris ist ein 2015 von 197 Staaten geschlossenes globales Klimaschutzabkommen. Wichtigstes Ziel ist die Begrenzung der
          Erderhitzung auf deutlich unter 2 Grad Celsius sowie Anstrengungen zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels.

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Wie wir das Klima schützen und eine sozial gerechte Mobilitätswende umsetzen können
Die wirtschaftliche                           Das Bündnis sozialverträgliche Mobilitäts-
Transformation braucht eine                   wende eint der Wunsch, Brücken zu bauen
aktive Strukturpolitik.                       und konstruktive Lösungsvorschläge in
                                              die öffentliche Debatte einzubringen, die
Die Transformation des Mobilitätssektors      Gemeinsamkeiten ausloten, statt Pola-
hat Auswirkungen auf die Arbeitsplätze von    risierungen zu verstärken. In bisherigen
hunderttausenden Beschäftigten. Diese         Debatten wurden soziale Ziele wie Arbeits-
Veränderungen sind bereits in vollem Gan-     platzsicherheit, Konsequenzen des Struk-
ge. Ganze Regionen werden von den wirt-       turwandels, eine Bewahrung von Kultur-
schaftlichen Veränderungen betroffen sein.    und Lebensgewohnheiten sowie soziale
Ohne eine aktive Strukturpolitik wird es zu   Gerechtigkeit in Konkurrenz zu ökologi-
sozialen Verwerfungen kommen.                 schen Zielen gesehen.

Die Arbeitsbedingungen                        Doch die Partner des Bündnisses sind der
in Teilen der Mobilitäts-                     Auffassung, dass die Mobilitätsbedürfnisse
wirtschaft sind schlecht.                     der Menschen mit den Erfordernissen des
                                              Klimaschutzes vereinbar sind und dass
Die Sparmaßnahmen im öffentlichen             eine Mobilitätswende zugleich mehr sozi-
Verkehr haben zu Personalmangel und           ale Gerechtigkeit und mehr Lebensqualität
schlechten Arbeitsbedingungen geführt.        in der gesamten Bevölkerung bedeutet.
Zugleich entstehen tausende prekäre           Sie sind überzeugt, dass es möglich ist,
Arbeitsverhältnisse im neuen Mobilitäts-      Deutschland mit seiner traditionell starken
dienstleistungssektor.ii Es braucht eine      Automobilindustrie emissionsfreier, klima-
Wende hin zu sicherer und guter Arbeit.       und umweltfreundlicher auszurichten und
                                              damit international beispielgebend für die
Das heutige Mobilitätssystem                  Vereinbarkeit von wirtschaftlichem Erfolg
ist nicht mit Klima- und                      und Nachhaltigkeit zu sein.
Nachhaltigkeitszielen
vereinbar.                                    Die Vielfalt des Bündnisses ist dabei seine
                                              Stärke. Die Verbände und Organisationen
Mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung    blicken nicht nur aus ihrer eigenen Pers-
der Vereinten Nationen (SDGs) und den         pektive auf die Mobilitätswende. Vielmehr
Pariser Klimazielen hat sich die Staaten-     versuchen sie, die Perspektiven aller Be-
gemeinschaft eine klare Zielrichtung und      teiligten als das gelten zu lassen, was sie
Rahmensetzung gegeben, die auch für die       sind: gleichermaßen berechtigte Anliegen,
Mobilitätswende handlungsleitend sein         die es bei einem Wandel ebenso zu berück-
muss. Deutschland hat sich auf diese Ziele    sichtigen gilt.
verpflichtet und muss sie deshalb auch
umsetzen.

                                                                                            9
Wie wir das Klima schützen und eine sozial gerechte Mobilitätswende umsetzen können
Rund neun Monate hat sich das Bündnis                                     Das Bündnis sozialverträgliche Mobilitäts-
     mit vielfältigen Dimensionen von Mobilität                                wende hat sich bewusst auf die benannten
     beschäftigt. Die gemeinsame Arbeit hat                                    Dimensionen fokussiert, um aufzuzeigen,
     gezeigt: Es gibt viele Gründe, für eine Mobi-                             dass soziale und ökologische Nachhal-
     litätswende aktiv zu werden. Alle haben viel                              tigkeit in der Mobilitätswende eng zu-
     zu gewinnen, wenn sie gut gelingt. Doch wir                               sammengehören. Für die identifizierten
     dürfen auch die Risiken des anstehenden                                   Dimensionen werden jeweils die aktuellen
     Strukturwandels, wie mögliche Arbeitsplatz-                               Missstände beschrieben und Ideen aufge-
     verluste, nicht außer Acht lassen.                                        führt, was jetzt zu tun ist.

     Zur Erweiterung des Horizonts wurden im
     Prozess verschiedene Personen eingeladen,
     um weitere gesellschaftliche Sichtweisen
     zur Mobilitätswende in unsere Diskussionen
     aufzunehmen.3 Dabei hat sich gezeigt, dass
     die vielfältigen Perspektiven zwar Konflikte
     mit sich bringen, diese jedoch alle lösbar
     sind. Nur der Blick von vielen Seiten auf ein
     Thema ergibt auch Lösungen für viele Inter-
     essen und Bedürfnisse.

     Die Zusammenarbeit des Bündnisses ver-
     steht sich daher als gemeinschaftlicher
     Ansatz, Transformation für alle zu gestal-
     ten. Sie zeigt auf: Klimaschutz und soziale
     Gerechtigkeit schließen sich in der Mobili-
     tätswende nicht aus. Sie ergänzen sich und
     bedingen sich mitunter sogar.

     Damit diese vielfältigen Themen bearbeitet
     werden können, muss die Mobilitätswende
     aus vielen Blickwinkeln betrachtet werden.
     In diesem Papier werden vier Dimensionen
     angeführt, in denen jetzt gehandelt werden
     muss.4

     3		   Die beteiligten Expertinnen und Experten sind am Ende dieses Papiers benannt.
     4		   Die vier Dimensionen zeigen nur einen Ausschnitt der gesamtgesellschaftlichen Transformationsaufgabe. Eine Veränderung des gesamten
           Verkehrssystems muss weitere Dimensionen bedenken, z. B. den für viele Emissionen verantwortlichen Güterverkehr oder die Modernisierung
           und Handlungsfähigkeit der Verwaltung.

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11
12
Unsere Vision:
Eine gute Mobilität für alle

Die Mobilitätswende kann nur gelingen,          Sicherheit und Barrierefreiheit wurden
wenn sie für alle Menschen in diesem Land       überall umgesetzt.
gestaltet wird. Sie muss die Mobilitäts-
bedürfnisse der Menschen erfüllen und           Viel mehr Menschen bewegen
gleichzeitig Akzeptanz für die aus ökologi-     sich zu Fuß, mit dem Rad
schen und sozialen Gründen notwendigen          oder dem öffentlichen
Veränderungen schaffen. Wie kann eine           Verkehr.
Mobilität aussehen, die für alle gut ist? Un-
sere Vision sieht so aus:                       Im gesamten Land ist sicherer Fuß- und
                                                Radverkehr möglich. Die Menschen fühlen
Alle Menschen erhalten                          sich auf den Radwegen sicher und nutzen
Zugang zu klimafreundlicher                     sie im Alltag selbstverständlich. Auf einem
Mobilität.                                      gut ausgebauten Radwegenetz zwischen
                                                Kommunen pendeln viele mit dem Fahrrad.
Weite Teile Deutschlands sind mit Bussen        Auch für sicheren Fußverkehr wurde ge-
und Bahnen gut zu erreichen. Gerade in          sorgt. Die Gehwege wurden verbreitert und
ländlichen Gebieten ist das Angebot stark       bieten ausreichend Platz. Viele Menschen
verbessert worden. Für alle Menschen,           gehen gern zu Fuß. Auch Bahnen und Bus-
unabhängig von Wohnort, finanziellem oder       se können zu Fuß oder mit dem Rad nun
gesellschaftlichem Hintergrund, Behinde-        einfacher erreicht werden.
rung, Mobilitätseinschränkung oder Alter
ist Mobilität erschwinglich, leicht zugäng-     Viel mehr Menschen in Deutschland kön-
lich und einfach zu nutzen. Alle Menschen       nen sich ohne eigenen Pkw versorgen und
sind so mobil, dass sie am gesellschaftli-      bewegen. Zwar schätzen Menschen wei-
chen Leben teilhaben und sich einbringen        terhin den Komfort und die Flexibilität eines
können.                                         privaten Pkw, doch das Automobil hat eine
                                                eingeschränktere Rolle im Mobilitätssys-
Die Politik begreift Mobilität als Daseins-     tem gefunden. Es werden deutlich weniger
vorsorge und handelt entsprechend. Der          Wege mit dem privaten Pkw zurückgelegt.
öffentliche Nah- und Fernverkehr wurde          Autos befördern meist mehr als eine Per-
als Rückgrat der Mobilität gestärkt und         son oder werden gemeinschaftlich genutzt.
gleichzeitig durch die Integration neuer        Alle Kraftfahrzeuge sind zudem emissions-
Mobilitätsangebote flexibler. Wo es sinnvoll    frei unterwegs. Da die erneuerbaren Ener-
ist, ergänzen Rufbusse, geteilte Fahrzeuge,     gien stark ausgebaut wurden, fahren die
Leihfahrräder oder Ähnliches das Angebot.       Fahrzeuge weitgehend klimaneutral.
Politik und Verwaltung haben dafür ge-
sorgt, dass alle Mobilitätsangebote ökolo-
gisch nachhaltig und allgemein zugänglich
sind. Die staatlichen Anforderungen an

                                                                                                13
Es gibt keine Barrieren mehr                                             Kinder und Jugendliche können selbstbe-
     und mehr Menschen können an                                              stimmt mobil sein. Sie kommen allein zur
     der Mobilität teilhaben.                                                 Schule oder zum Sport, da sie auf sicheren
                                                                              Rad- und Gehwegen unterwegs sind. Auch
     Es gibt keine Barrieren mehr im öffent-                                  können sie den gut ausgebauten öffentli-
     lichen Verkehr und Straßenraum. Das                                      chen Personennahverkehr (ÖPNV) nutzen.
     bedeutet nicht nur, dass alles mit dem
     Rollstuhl erreichbar ist, sondern auch,                                  Die neue Mobilität hat
     dass Ticketkauf, Informationssysteme                                     neue attraktive Lebensräume
     und digitale Angebote für alle Menschen                                  geschaffen.
     zugänglich sind sowie dass sich jeder im
     öffentlichen Verkehr orientieren und Um-                                 Der Vision, dass niemand mehr im Straßen-
     steigehilfen nutzen kann.                                                verkehr stirbt, ist die Gesellschaft deutlich
                                                                              nähergekommen. Viel weniger Menschen
     Ob zu Fuß, im Rollstuhl, auf dem Senio-                                  geraten in Verkehrsunfälle und werden da-
     renmobil oder im öffentlichen Verkehr:                                   bei verletzt oder getötet. Die Verkehrspolitik
     Menschen mit Behinderungen und Mo-                                       konzentriert sich nicht mehr auf das Auto,
     bilitätseinschränkungen können selbst-                                   sondern gibt dem Umweltverbund5 aus
     bestimmt und ohne Hürden an allen Ver-                                   Geh- und Radwegen sowie öffentlichem
     kehrsformen teilhaben. Sie brauchen keine                                Nahverkehr wesentlich mehr Gewicht. Da-
     separaten Fahrdienste mehr, um spontan                                   bei wurde der Raum des Autos zugunsten
     mobil zu sein. Dadurch können sie besser                                 des Umweltverbunds eingeschränkt.
     am gesellschaftlichen Leben teilhaben.
     Sie können auch neue Mobilitätsdienstleis-                               Kreuzungen wurden umgebaut und Un-
     tungen nutzen, da diese barrierefrei ange-                               fallschwerpunkte entschärft. Straßen
     boten werden. Störungen im öffentlichen                                  wurden umgestaltet und so Platz für Grün-
     Personenverkehr sind kein Problem mehr,                                  flächen und Bäume geschaffen. Überall
     da stets barrierefrei informiert und schnelle                            können Straßen sicher überquert werden.
     Hilfe angeboten wird.                                                    Die Menschen treffen sich wieder gern in
                                                                              Straßen und auf Plätzen, die zum Verweilen
     Auch wenn das Verkehrssystem sich zu-                                    einladen. Die Luftqualität hat sich merklich
     nehmend vernetzt hat, wurden überall                                     verbessert und die mit Luftverschmutzung
     analoge Zugänge, wie Schalter mit persön-                                zusammenhängenden Erkrankungen sind
     lichen Ansprechpersonen, belassen. Auch                                  drastisch zurückgegangen. Die Autos sind
     Angebote wie Carsharing können ohne                                      langsamer unterwegs, wodurch es weniger
     Smartphone oder Internetzugang genutzt                                   Verkehrslärm gibt und das Fahren ent-
     werden.                                                                  spannter und sicherer ist.

     5		   Umweltverbund bezeichnet die umweltfreundlichen Verkehrsformen Radverkehr, Fußverkehr und öffentlicher Verkehr.

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Die Verkehrsplanung                          Recycling von Batterien, in Technologi-
berücksichtigt soziale,                      en zur Energiespeicherung oder in der
ökologische und gesund-                      branchenübergreifenden Wasserstoff-
heitliche Folgen.                            wirtschaft. Sie wurden dabei durch eine
                                             umfassende Weiterbildungspolitik unter-
Die sozialen, ökologischen und gesund-       stützt und die Transformation verlief ohne
heitlichen Folgen des Verkehrs werden bei    größere Einbrüche. Auch der Ausbau des
der Planung von Verkehr und der Vertei-      Schienenverkehrs und des öffentlichen
lung von Geld für Investitionen immer mit-   Personennahverkehrs hat neue Arbeits-
berücksichtigt. Verkehrsträger, die beson-   plätze geschaffen.
ders viele negative Auswirkungen haben,
werden nicht länger bevorzugt. Autos sind    Die Mobilitätswirtschaft ist Teil einer
weiterhin verfügbar, die Menschen haben      emissionsfreien Wirtschaft. Diese erfüllt
jedoch auch attraktive Alternativen. Denn    Mobilitätsbedürfnisse ohne wesentliche
im Vergleich zum Auto ist es günstiger       Beeinträchtigung von Mensch und Na-
geworden, den Umweltverbund zu nutzen,       tur. Neue Mobilitätsmodelle machen dies
der nun überall verfügbar ist.               möglich. Deutschland entwickelt und
                                             exportiert solche ökologisch verträglichen
Geht es um Mobilität, werden immer alle      Mobilitätsangebote weltweit.
Menschen mitgedacht. Sich fortzube-
wegen und am gesellschaftlichen Leben        In der gesamten Mobilitätswirtschaft
teilzunehmen, ist keine Frage des Einkom-    gibt es gute Arbeitsbedingungen. Alle
mens mehr. Armut ist auch kein Grund         zukunftsfähigen Geschäftsfelder bieten
mehr, von Autolärm und Abgasen beson-        gut abgesicherte Arbeitsplätze. Diese
ders betroffen zu sein.                      sind sozialversicherungspflichtig, tarif-
                                             gebunden und die Beschäftigten erwartet
Eine zukunftsfähige,                         durch ihren guten Lohn eine armutsfeste
ökologische Wirtschaft                       Rente. Die Personaldecke ist überall aus-
bietet gute Arbeit und                       reichend und Überstunden gehören der
sinnvolle Beschäftigung.                     Vergangenheit an. Jobs im öffentlichen
                                             Personenverkehr sind begehrt und hoch
Die Mobilitätswende hat eine andere,         angesehen.
aber ebenfalls stabile klimaneutrale Mobi-
litätswirtschaft hervorgebracht, mit aus-    Es entstehen lebenswerte
reichenden und guten Beschäftigungs-         Regionen mit starken
perspektiven. Viele Menschen haben im        Strukturen.
Bereich klimaneutraler Antriebe und neuer
Mobilitätslösungen Arbeit gefunden,          Unternehmen, Gewerkschaften, Betriebs-
außerdem in der Fertigung und dem            räte und Politik handeln gemeinsam und

                                                                                          15
konsequent, um negative soziale Auswir-                                   Versorgungsangebot. Durch die Stärkung
     kungen der wirtschaftlichen Veränderun-                                   regionaler Infrastrukturen sowie durch Di-
     gen zu vermeiden. Soziale Spaltungen                                      gitalisierung, flächendeckendes, schnelles
     wurden verhindert und das Zusammenge-                                     Internet und neue Arbeitsmodelle wurde
     hörigkeitsgefühl gestärkt. Besonders vom                                  der Pendelverkehr reduziert. Gerade länd-
     Strukturwandel betroffene Regionen ha-                                    liche Räume haben dadurch an Lebens-
     ben öffentliche Unterstützung erhalten. Es                                qualität gewonnen.
     konnten neue Industrien angesiedelt und
     neue, nachhaltige regionale Wertschöp-                                    Eine neue Einstellung
     fung aufgebaut werden. In der Transfor-                                   gegenüber Mobilität und
     mation wurden regionale Lieferketten                                      Verkehr
     gestärkt. Dadurch wurde das Wachstum
     überregionaler Güterverkehre gebremst.                                    Die Bedeutung des eigenen Autos hat
                                                                               abgenommen, weil Bus und Bahn sowie
     Während in einigen Industrien die Zahl der                                Rad- und Gehwege gut verfügbar sind.
     Arbeitsplätze zurückging und sozialver-
     träglich reduziert wurde, konnten durch                                   Autos sind kleiner und weniger stark
     Innovationsförderung neue Betriebe aus                                    motorisiert, mit einer veränderten kultu-
     verschiedenen Sektoren angesiedelt und                                    rellen Bedeutung aufgeladen und allesamt
     damit auch neue Beschäftigungsmög-                                        CO�-frei und emissionsarm unterwegs.
     lichkeiten geschaffen werden. So wurde                                    Wer heute ein eigenes Auto kauft, legt
     verhindert, dass Menschen und Versor-                                     Wert auf klimaneutrale Antriebe, Sicher-
     gungsinfrastrukturen abwanderten. Eine                                    heit, Recyclingfähigkeit, neues Design
     veränderte Stadt- und Regionalplanung                                     und digitale Funktionen. Viele ehemals
     ermöglicht es, ohne lange Wege zu arbei-                                  automobile Alltagsvorgänge werden
     ten, einzukaufen und sich zu erholen. Wo                                  heute anders erledigt. Beim Transport
     möglich, wurden Wege verkürzt oder wer-                                   von Dingen setzen viele Menschen auf
     den vermieden. Das trägt zur Entschleuni-                                 Leihfahrzeuge. Zusätzlich bieten barriere-
     gung des Lebens bei.                                                      freie Taxis und barrierefreie Sharing- und
                                                                               Pooling-Angebote6 7 sowie E-Lastenräder
                                                                                                              ,

     An dezentralen Knotenpunkten wurden                                       kluge Lösungen für den Transport auch
     wichtige Angebote der Daseinsvorsorge                                     sperriger Gegenstände.
     gebündelt. Solche Knotenpunkte sind
     überall gut mit dem ÖPNV zu erreichen.                                    Die Aggressivität im Straßenverkehr hat
     Wo es sinnvoll ist, ergänzen digitale Ange-                               deutlich abgenommen. Die Menschen
     bote die regionalen Infrastrukturen, zum                                  nehmen Rücksicht aufeinander. Es wur-
     Beispiel für Behördengänge. Mobile Su-                                    den viele Maßnahmen für mehr Sicherheit
     permärkte und Bibliotheken ergänzen das                                   im Verkehr umgesetzt.

     6		   „Sharing“ beschreibt die geteilte Nutzung von Fahrzeugen. Beim Bike-Sharing oder Car-Sharing werden Fahrräder oder Autos für bestimmte
           Zeiträume verliehen. Dadurch braucht es kein eigenes Fahrzeug mehr, um dieses nutzen zu können. Ride-Sharing hingegen beschreibt die
           gemeinsame Nutzung von Fahrzeugen durch Fahrgemeinschaften.
     7		   „Pooling“ ist eine Form der Personenbeförderung. Dabei werden Routen von Fahrgästen so zusammengelegt, dass sie gemeinsam befördert
16         werden können. Dadurch werden Einzelfahrten eingespart.
Gesellschaftliche                               Mobilität in Deutschland ist zur Jahrhun-
Prioritäten neu gesetzt                         dertmitte klimaneutral geworden. Auch an-
                                                dere Staaten haben dieses Ziel erreicht. Die
Mobilität steht weiterhin für Lebensqualität,   weltweiten Emissionen durch den Verkehr
doch das Bewusstsein für negative Um-           sind stark zurückgegangen. Deutschland
weltfolgen ist sehr ausgeprägt. Unnötige,       wurde durch seine zukunftsgewandte Mo-
freudlose und rücksichtslose Mobilität hat      bilitätswende zum Vorbild für andere Län-
sich drastisch reduziert. Eine regionale        der. Nach der Energiewende ist damit auch
Reise- und Urlaubskultur hat einen nach-        die Mobilitätswende ein Exportprodukt.
haltigen und emissionsfreien Tourismus
gestärkt. In ganz Europa wurde ein Nacht-
zugnetz aufgebaut. Es fahren grenzüber-
schreitend gut aufeinander abgestimmte
Fernzüge, die das Reisen mit der Bahn
attraktiver machen. So werden auch weiter
entfernte Orte klimafreundlich erreichbar.
Daneben ist auch der Busfernverkehr im
Vergleich zum Flugzeug und zum privaten
Pkw eine emissionsarme Alternativeiii. Die
Anbieter führen keinen Preiskampf mehr,
der zu Mängeln bei der Sicherheit und
schlechten Arbeitsbedingungen führt.

Das setzt die richtigen Anreize, sich nur
noch klimafreundlich fortzubewegen. So-
wohl Dienstreisen als auch private Reisen
werden daher nun klimafreundlich absol-
viert.

Die Mobilitätswende wurde zu einem ge-
sellschaftlichen Gemeinschaftsprojekt und
wird von vielen Menschen unterstützt. Dies
wurde auch möglich, weil die Betroffenen
umfangreich beteiligt wurden.
18
Handlungsbedarfe für eine
sozialverträgliche Mobilitätswende

Dimension 1: Mobilität als Teil der Daseinsvorsorge
ermöglicht gesellschaftliche Teilhabe.

Mobilität ist ein Grundbedürfnis. Ohne sie          Da er in der Verantwortung der Länder
können Menschen weder an der Arbeits-               und Kommunen liegt, wird er aber zu
welt, an Bildung und an der Kultur teilneh-         selten über Ländergrenzen oder die
men, können keine sozialen Kontakte pfle-           Grenzen von Verkehrsverbünden hinweg
gen, sich nicht erholen und keine anderen           gedacht. Fahrten mit dem öffentlichen
Länder besuchen. In einer demokratischen            Nahverkehr dauern oft lang und sind
Gesellschaft muss Mobilität daher für alle          kompliziert. Die Ticketsysteme sind
gleichermaßen möglich sein. Der tech-               unübersichtlich, uneinheitlich und nur
nische Fortschritt im vergangenen Jahr-             wenige Schalter mit persönlichen An-
hundert hat nicht dazu geführt, dass der            sprechpersonen vorhanden. In Bussen
Zugang zu Mobilität gerecht verteilt ist. Der       und Bahnen entstehen Konflikte, weil
Staat hat aber im Rahmen der öffentlichen           sie zu Stoßzeiten oft überfüllt sind und
Daseinsvorsorge die Aufgabe, diskriminie-           es zudem zu wenig Platz für Rollstühle
rungsfreien Zugang zu lebensnotwendigen             und Rollatoren, Fahrräder und Kinder-
Gütern und Dienstleistungen zur Verfügung           wagen gibt.
zu stellen. Dazu gehört auch der öffentli-
che Verkehr. Um dieser Aufgabe gerecht          •   Der Fußverkehr wird nicht ausreichend
zu werden, müssen die notwendigen Maß-              als eigenständige Verkehrsart wahr-
nahmen getätigt und die finanziellen Mittel         genommen. Fußwege sind häufig nur
bereitgestellt werden. In den vergangenen           die Restgröße von Straßen, Radwegen
Jahrzehnten stand der Straßenverkehr im             oder Parkplätzen. Sie sind oft zu schmal
Mittelpunkt der Verkehrspolitik. Das muss           und uneben. Ampelschaltungen sind zu
sich ändern.                                        kurz und nicht auf Fußgängerinnen und
                                                    Fußgänger ausgerichtet.
Aktuelle Situation: Nicht
alle Menschen haben                             •   Ein flächendeckendes Netz sicherer
Zugang zu attraktiver                               Radwege ist nicht vorhanden. Gerade
klimafreundlicher Mobilität.                        für längere (Pendel-)Strecken not-
                                                    wendige kreuzungsfreie und getrennte
Der Umweltverbund aus Rad-, Fuß- und                Wege sind selten. Viele Radfahrende
öffentlichem Verkehr ist nicht attraktiv            fühlen sich im fließenden Autoverkehr
genug.                                              unsicher.

•   Der öffentliche Verkehr soll die flächen-
    deckende Versorgung sicherstellen.

                                                                                               19
•     Mobilität wird nicht als integriertes                                Die Prioritäten in der Finanzierung von
           System geplant. Stattdessen werden                                   Mobilität sind falsch gesetzt.
           parallele Angebote und neue Mobilitäts-
           dienstleistungen geschaffen, die den                                 •    Der Bundesverkehrswegeplan ist das
           Umweltverbund derzeit nicht sinnvoll                                      zentrale Instrument für die Verkehrs-
           ergänzen und ihm zum Teil sogar zuwi-                                     wegeplanung. Ein wesentlicher Teil der
           derlaufen.                                                                dort vorgesehenen Investitionen für den
                                                                                     Neubau ist für Autobahnen und Bun-
     •     Sharing- und Pooling-Angebote sind                                        desstraßen eingeplant.8, v Zudem werden
           nicht flächendeckend und oft nicht                                        Straßenverkehr und Flugverkehr über
           barrierefrei zugänglich. Meist enden                                      Subventionen und Finanzinstrumen-
           die Nutzungszonen am Rand der In-                                         te massiv unterstützt. Derweil wurde
           nenstädte. Gleichzeitig sind Parkplät-                                    der öffentliche Personenverkehr in den
           ze billig. Das Autofahren wirkt daher                                     vergangenen Jahrzehnten einem harten
           komfortabler und günstiger. Die Folge                                     Sparkurs unterworfen und Schienenin-
           sind zugeparkte Innenstädte und Park-                                     frastruktur abgebaut.
           suchverkehre. Gleichzeitig werden neue
           Mobilitätsangebote in Innenstädten                                   •    Es besteht hoher Finanzbedarf und
           parallel zur guten ÖPNV-Struktur ange-                                    Investitionsstau im ÖPNV, Schienenper-
           boten und erhöhen so unnötigerweise                                       sonenfern- sowie Schienengüterver-
           das Verkehrsaufkommen.iv                                                  kehr. Auch fehlen die Planungskapazi-
                                                                                     täten in Verwaltungen, um Bahn-, Bus-,
     •     Der für eine flächendeckende und                                          Rad- und Fußverkehrsinfrastruktur in
           klimagerechtere Mobilität notwendige                                      der notwendigen Geschwindigkeit und
           qualitative und quantitative Ausbau                                       Qualität bauen zu können.
           des ÖPNV droht zu scheitern, weil das
           Personal fehlt. Das liegt auch an den                                Der Zugang zu Mobilität und
           unattraktiven Arbeitsbedingungen:                                    gesellschaftlicher Teilhabe ist
           geringe Gehälter, Schichtdienst, lange                               ungerecht verteilt.
           Arbeitszeiten und Wochenendarbeit
           ohne angemessenen Ausgleich.                                         •    Das unzureichende Angebot des öffent-
                                                                                     lichen Personennahverkehrs hat eine
                                                                                     dramatische Folge: Derzeit gibt es im
                                                                                     bundesweiten Durchschnitt 1,1 Pkw pro
                                                                                     Haushalt.vi Insgesamt sind in Deutsch-
                                                                                     land 47,7 Millionen Pkw zugelassen,

     8		   Vom Gesamtvolumen des BVWP 2030 (Neubau & Erhalt) entfallen auf den Verkehrsträger Straße 49,3 Prozent, auf die Schiene 41,6 Prozent und
     		    auf die Wasserstraße 9,1 Prozent der Mittel. Für Aus- und Neubauprojekte (2016 bis 2030) beträgt der Anteil der Straße 53,6 Prozent, der
           Schiene 42,1 Prozent und der Wasserstraße von 4,3 Prozent. [Bundesverkehrswegeplan 2030, Seite IV]

20
das sind 575 Pkw auf 1.000 Personen.vii        von 14,8 Kilometer im Jahr 2000 auf
    Besonders erschreckend ist, dass diese         16,9 Kilometer im Jahr 2018 verlängert.
    Zahl kontinuierlich ansteigt. 2010 waren       Inzwischen pendeln hierzulande statt
    es noch 511 Pkw auf 1.000 Personen.            14,9 Millionen (2000) schon 19,3 Millio-
    Das macht einen Anstieg von rund 12,5          nen Personen (2018).x
    Prozent innerhalb von zehn Jahren.viii
                                               •   Für Kinder und Jugendliche sind Rad-
•   Viele Menschen auf dem Land können             fahren und zu Fuß gehen oft gefährlichxi
    ihre Einkäufe nicht mehr im Ortskern           Ohne Bus und Bahn bleiben sie lange
    erledigen, sondern nur noch am Orts-           auf ihre Eltern oder Freunde mit Führer-
    rand oder in Nachbarorten. Ein eigener         schein angewiesen.
    Pkw ist für eine selbstbestimmte Teilha-
    be zu oft unverzichtbar. Menschen, die     Vielfältige Barrieren erschweren den
    nicht oder nicht mehr Auto fahren oder     Zugang zu Mobilität.
    sich keinen eigenen Pkw leisten können,
    haben oft keinen Zugang zu Nahversor-      •   Der Ausbau des ÖPNV und des regiona-
    gung, ärztlicher Versorgung, Kultur und        len Schienenverkehrs ist unzureichend.
    Bildung.                                       Teilweise werden Angebote trotz not-
                                                   wendiger Mobilitätswende sogar abge-
•   Falsche Prioritäten haben dieses Pro-          baut. Strecken werden nicht ausgebaut,
    blem verstärkt. Seit der Bahnreform            Verkehrszeiten sind begrenzt, die Tak-
    1994 wurden rund 2.700 Kilometer               tung sowie die Barrierefreiheit der An-
    Schienen für den Personenverkehr               gebote nicht gegeben. Auch wenn das
    und rund 6.000 Kilometer für den Gü-           Angebot nicht verbessert wird, steigen
    terverkehr abgebautix. Viele ländliche         die Preise jedes Jahr weiter an.
    Regionen sind vom Schienennetz ab-
    geschnitten. Neue Mobilitätsangebote       •   Mobilität ist für viele Menschen mit
    fehlen hier meist gänzlich. Die Spaltung       hohem Aufwand verbunden. Fahrzeuge,
    zwischen städtischen und ländlichen            (Bus-)Bahnhöfe und Internetangebote
    Räumen verstärkt sich.                         sind voller Barrieren. Es fehlen ebener-
                                                   dige Einstiege und Blindenleitsysteme.
•   Innerhalb der Städte setzt sich diese          Fahrstühle sind kaputt, Bordsteinabsen-
    Spaltung fort. Steigende Mieten ver-           kungen zugeparkt, Gehwege blockiert.
    drängen immer mehr Menschen aus                Es gibt kaum Taxis, die einen Rollstuhl
    den Innenstadtvierteln an die Stadt-           mitnehmen können. Hinzu kommen
    ränder, in Siedlungen mit oft unzurei-         komplizierte Ticketsysteme, schwer
    chendem ÖPNV-Anschluss. Hohes                  verständliche Fahrgastinformationen
    Verkehrswachstum ist die Folge. Die            und selten persönliche Ansprechperso-
    Pendelstrecken haben sich im Schnitt           nen. Die Nutzung von Umsteigehilfen an

                                                                                              21
Bahnhöfen ist kompliziert. Bei Zugaus-                                      deutlich stärker gestiegen als für den
           fällen fehlen barrierefreie Informationen                                   Autoverkehr.xv Trotzdem wird das Auto-
           und Hilfestellungen.                                                        fahren weiter steuerlich gefördert, zum
                                                                                       Beispiel durch das Dienstwagenprivileg
     •     Diese Barrieren betreffen sehr vie-                                         oder verbilligten Dieselkraftstoff.
           le Menschen. So lebten Ende 2019 in
           Deutschland rund 7,9 Millionen Schwer-                                 •    Finanzielle Ausgleiche für die Nutzung
           behinderte, 58 Prozent davon mit einer                                      von Mobilität wie die Pendlerpauschale
           körperlichen Behinderung, 4 Prozent                                         sind nicht für alle Menschen gleich zu-
           davon sehbehindert oder blind.xii 18,1                                      gänglich. Menschen mit geringem Ein-
           Millionen Menschen waren 65 Jah-                                            kommen haben darauf keinen Zugriff.9,xvi
           re und älter, also rund 21 Prozent der
           Gesamtbevölkerung.xiii Auch gibt es in                                 •    Lärm und Abgase belasten vor allem
           Deutschland rund 2,3 Millionen Kinder,                                      arme Menschen gesundheitlich, da sie
           die drei Jahre oder jünger sind und von                                     häufiger an viel befahrenen Straßen
           vielen der Barrieren direkt betroffen.xiv                                   wohnen.xvii Gleichzeitig sind sie für we-
                                                                                       niger Emissionen verantwortlich.xviii Sie
     Mobilität ist teuer und die negativen                                             leiden deshalb gleich mehrfach unter
     Auswirkungen sind ungleich verteilt.                                              vom Verkehr verursachten negativen
                                                                                       Auswirkungen.
     •     Mobilität ist für Menschen mit geringem
           Einkommen oft zu teuer, ein eigenes                                    Was jetzt zu tun ist
           Auto unerschwinglich. Die regulären
           Ticketpreise für den öffentlichen Nah-                                 Allen Menschen klimafreundliche
           verkehr sind teuer, Sozialtickets nicht                                Mobilität ermöglichen
           überall verfügbar und teils teurer als
           das in der Grundsicherung für Mobilität                                •    Regelsätze in den Sozialleistungen
           vorgesehene Budget. Der Fernverkehr                                         erhöhen: Die aktuell in den Sozial-
           ist für viele Menschen mit wenig Geld                                       leistungen vorgesehenen Regelsätze
           nur über komplizierte Sparpreise und                                        für Mobilität sind zu niedrig. Sie rei-
           Sonderaktionen mit Zugbindung be-                                           chen nur in wenigen Kommunen für
           zahlbar. Normalpreise auf der anderen                                       ein Sozialticket, geschweige denn für
           Seite sind teuer.                                                           die Anschaffung eines Fahrrads oder
                                                                                       die Nutzung von Carsharing. Maßstab
     •     Die Preise für den öffentlichen Verkehr                                     muss zukünftig sein, welcher Betrag für
           sind in den vergangenen Jahren                                              die Teilhabe am Leben und den Zugang

     9		   Die Pendlerpauschale wird auf das zu versteuernde Einkommen angesetzt. Dadurch profitieren Menschen mit hohem Verdienst – und hoher
           Steuerlast – deutlich mehr von dieser Möglichkeit. Wer wenige oder keine Steuern zahlt, erhält hingegen auch keine finanziellen Vorteile und
           trägt die Kosten des Pendelns allein.

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zu klimafreundlicher Mobilität notwen-                              Buchungen per Telefon und der klassi-
     dig ist. Auch für Menschen, die an der                              sche Ticketkauf am Automaten, Schal-
     Armutsgrenze leben und dennoch keine                                ter oder beim Servicepersonal müssen
     Regelleistungen beziehen, muss hier                                 weiterhin möglich sein.
     eine unbürokratische Lösung gefunden
     werden.                                                        •    Mobilität mit weniger Verkehr ermög-
                                                                         lichen und emissionsfreie Teilhabe
•    Barrierefreiheit überall mitdenken und                              sichern: Auch Freizeit und Erholung
     Nachteilsausgleiche garantieren: Die                                sowie der Zugang zu Kultur und Bildung
     Mobilitätswende muss mögliche Aus-                                  sind wichtig für ein gutes Leben. Ver-
     wirkungen für Menschen mit Behinde-                                 meidbare Wege müssen reduziert oder
     rungen und Mobilitätseinschränkungen                                klimafreundlicher zurückgelegt werden.
     mitdenken. An der Umsetzung sind die                                Beispielhaft zu nennen sind Kurzstre-
     Betroffenen zwingend zu beteiligen.                                 ckenflüge oder mehr Videokonferenzen
     Dabei geht es um die Infrastruktur und                              statt Dienstreisen. Gleichzeitig soll
     um barrierefreie Fahrzeuge sowie Mit-                               gesellschaftliche Teilhabe emissionsfrei
     nahmemöglichkeiten für Kinderwagen,                                 möglich und für alle bezahlbar sein.
     Rollstühle, Rollatoren. Auch Gepäck
     muss barrierefrei transportiert werden                         Wege verringern und Versorgung und gutes
     können. Alle öffentlichen und privaten                         Leben ermöglichen
     Verkehrsanbieter müssen gesetzlich zu
     Barrierefreiheit verpflichtet und durch                        •    Kurze Wege ermöglichen: Bei der Pla-
     staatliche Stellen überprüft werden. Be-                            nung und Genehmigung neuer Sied-
     stehende Nachteilsausgleiche müssen                                 lungsstrukturen muss der Anschluss
     erhalten bleiben.10 Wo Nachteilsaus-                                an den öffentlichen Verkehr Vorausset-
     gleiche fehlen, müssen diese ergänzt                                zung sein. Eine gestärkte Stadt- und
     werden.                                                             Regionalplanung muss das Ziel verfol-
                                                                         gen, dass das Leben in Quartieren mit
•    Preise verständlicher und die Buchung                               gemischter Nutzung sowie mit kurzen
     von Tickets einfacher gestalten: Alle                               Wegen zwischen Wohnen, Arbeiten, Ver-
     Dienstleister müssen Ticketkäufe und                                sorgen und Erholen für alle Einkommen
     Buchungen auf verschiedenen Wegen                                   bezahlbar wird.
     ermöglichen. Digitale Angebote wie
     Webseiten und Apps müssen durch In-                            •    Erzwungene Mobilität verringern:
     formationskampagnen und Schulungen                                  Erzwungene Mobilität muss durch
     zugänglicher werden. Aber auch                                      dezentrale Zugänge zu Ämtern,

10   Menschen mit Behinderungen erhalten Nachteilsausgleiche, um Aufwände und Nachteile, die mit der Einschränkung einhergehen,
     auszugleichen. Im Bereich der Mobilität gehören dazu z. B. die Nutzung von Bussen und Bahnen im Nahverkehr mittels einmalig
		   erwerbbarer Wertmarken oder die Nutzung von Behindertenparkplätzen.

                                                                                                                                     23
die wohnortnahe Ansiedelung von                 Rahmen erforderlich. Co-Working-
         Supermärkten und Ärzten, aber auch              Spaces, auch im ländlichen Raum,
         durch Versorgung mit bezahlbarem                sorgen nicht nur für weniger Verkehr, sie
         Wohnraum und Gewerbeflächen ver-                können diese Regionen insgesamt stär-
         ringert werden. Wo die lokale Versor-           ken. Zentral ist flächendeckend schnel-
         gung (auch digital) gesichert und kli-          les Internet mit Glasfaser-Standard.
         mafreundliche Mobilität vorhanden ist,
         sollten zuerst Maßnahmen zur Redukti-       Infrastruktur für Fuß- und Radverkehr im
         on des Pkw-Verkehrs getroffen werden.       ganzen Land ausbauen
         Gerade urbane Gebiete können hier
         vorangehen.                                 •   Fußverkehr als eigenständige Verkehrs-
                                                         art stärken: Es braucht eine bundeswei-
     •   Neue Ideen für die regionale Versor-            te Strategie für sichere und barrierefreie
         gung umsetzen: In vielen kleineren              Gehwege. Sowohl in städtischen als
         Gemeinden fehlt die Grundversorgung.            auch in ländlichen Räumen muss mehr
         Ein Ansatz ist die Bündelung öffentli-          für den Fußverkehr getan werden. Geh-
         cher und privater Angebote für Mobilität        wege müssen breit genug und gera-
         und Versorgung an Knotenpunkten mit             de auf vielbefahrenen Strecken vom
         ÖPNV-Anschluss (z. B. Bahnhöfe). Dort           Radverkehr getrennt sein. Sie müssen
         können Postdienste, regionale Lebens-           ergänzt werden um fußgängerfreund-
         mittelversorgung, Co-Working-Spaces,            liche Ampelschaltungen, damit es für
         Ämter, ärztliche und therapeutische             alle möglich ist, die Fahrbahn sicher zu
         Versorgung und Sharing-Angebote an              überqueren. Während es in der Stadt oft
         einem Ort zusammengebracht werden.              Konflikte um die Nutzung des öffentli-
         Diese analogen Versorgungsknoten-               chen Raums gibt, steht auf dem Land
         punkte sollten um barrierefreie digitale        mehr Sicherheit, z. B. durch ausreichen-
         Angebote ergänzt werden, zum Beispiel           de Beleuchtung, im Vordergrund.
         für Behördengänge oder ärztliche Re-
         zepte. Mobilitäts- und Regionalplanung      •   Radverkehrsnetz überall ausbauen:
         sollten mit der Wirtschaftsförderung in-        Damit mehr Menschen das Fahr-
         tegrierte Ansätze verfolgen. Auch Frei-         rad nutzen, braucht es Radwege,
         zeiteinrichtungen für unterschiedliche          auf denen sich alle sicher fühlen
         Altersgruppen müssen für Menschen               und es auch sind. Sichere, baulich
         ohne Auto erreichbar sein.                      vom motorisierten Verkehr getrenn-
                                                         te Radwege, beleuchtete und sichere
     •   Arbeit von zu Hause ermöglichen: Für            Radabstellflächen/-anlagen, Fahrrad-
         gutes Arbeiten im Homeoffice ist nicht          parkhäuser und Ladesäulen für E-Bikes
         nur Infrastruktur (Arbeitsplatz, stabiles       an Knotenpunkten des ÖPNV stärken
         Netz), sondern auch ein rechtlicher             die Verknüpfung des Umweltverbunds.

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Kreuzungen müssen umgestaltet wer-           •   Erreichbarkeit verbessern und Taktung
    den, Abbiege-Assistenten für große               erhöhen: Die Anbindung dünn besiedel-
    Fahrzeuge müssen Pflicht sein und es             ter Gebiete an das Netz des öffentlichen
    muss gewährleistet werden, dass Autos            Personenverkehrs muss Priorität haben.
    und Lkw beim Abbiegen in Schrittge-              Es braucht bundesweite Bedienstan-
    schwindigkeit fahren und beim Überho-            dards für sämtliche Buslinien und Bah-
    len den erforderlichen Abstand einhalten.        nen aller Art in allen Regionen, ähnlich
                                                     dem Deutschlandtakt im Fernverkehr
Qualität und Angebot des öffentlichen                der Bahn. Dazu gehören Pünktlichkeit,
Personenverkehrs verbessern                          Taktung, Komfort und Platzangebot.

•   Öffentlichen Personennahverkehr und          •   Ehrenamt wertschätzen und das öffent-
    neue Mobilität im ganzen Land verfügbar          liche Angebot erweitern: Das ÖPNV-Li-
    machen: Mit einer besseren Infrastruktur         niennetz muss stärker mit regional und
    muss der öffentliche Personennahver-             lokal angepassten Lösungen verknüpft
    kehr überall im Land eine echte Alternati-       werden. Ehrenamtliche Fahrdienste
    ve werden. Neue Mobilitätsprodukte wie           und Mitfahrbörsen können in Gebieten
    Bike-, Ride- oder Car-Sharing, die den           mit sehr wenigen Einwohnerinnen und
    öffentlichen Verkehr ergänzen, müssen            Einwohnern den ÖPNV ergänzen. Er-
    insbesondere im ländlichen Raum ver-             forderlich ist ein verbindlicher Rechts-
    fügbar sein.                                     rahmen, um die ehrenamtlich Aktiven
                                                     abzusichern. Die Kommunen dürfen
•   Schienenpersonenfernverkehr deutlich             solche Modelle jedoch nicht zum Anlass
    ausbauen: Damit die Schiene auch auf             nehmen, ihre Pflicht zur Bereitstellung
    der langen Strecke zu einer leistungsfä-         von Mobilitätsangeboten zu vernachläs-
    higen Alternative wird und eine relevante        sigen.
    Verlagerung von Verkehren realisiert
    wird, braucht es ein leistungsfähigeres      •   Neue Mobilitätskonzepte in den öffent-
    Schienennetz. Investitionen in den Erhalt,       lichen Verkehr integrieren: In städti-
    Neu- und Ausbau und auch in die Reak-            schen Räumen sollten neue Konzepte
    tivierung von Strecken und Bahnhöfen             vor allem in Randzeiten die Anbindung
    müssen vorangetrieben werden, damit              der Vororte und schlecht erschlossener
    der Deutschlandtakt schnell Realität             Viertel übernehmen. In ländlichen Räu-
    wird. Zudem gilt es, die Wettbewerbs-            men sind Zubringer zu den Routen des
    nachteile der Schiene durch eine Entlas-         öffentlichen Verkehrs gefragt. Kommu-
    tung des Schienenverkehrs von Steuern            nale Steuerungsinstrumente müssen
    und Abgaben und die Förderung der                dafür sorgen, dass weder zusätzlicher
    Trassen-, Stations- und Anlagenpreise            Verkehr erzeugt noch parallel zu bereits
    abzubauen.                                       bestehenden Linien gefahren wird.

                                                                                                25
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