Diabetes in Deutschland - BERICHT DER NATIONALEN DIABETES-SURVEILLANCE 2019

 
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BERICHT DER NATIONALEN ­D IABETES-SURVEILLANCE 2019

Diabetes in Deutschland
Diabetes in Deutschland - BERICHT DER NATIONALEN DIABETES-SURVEILLANCE 2019
Diabetes in Deutschland - BERICHT DER NATIONALEN DIABETES-SURVEILLANCE 2019
BERICHT DER NATIONALEN ­D IABETES-SURVEILLANCE 2019

Diabetes in Deutschland
Diabetes in Deutschland - BERICHT DER NATIONALEN DIABETES-SURVEILLANCE 2019
4         Robert Koch-Institut        Nationale Diabetes-Surveillance

    Inhaltsverzeichnis

                   Grußwort                                                            7
                   Vorwort                                                             9
                   Zusammenfassung                                                    10

                   Einleitung und Hintergrund                                         13
                   Was ist Diabetes mellitus?                                         13
                   Was sind die Ziele der Diabetes-­Surveillance in Deutschland?      14
                   Welche Inhalte werden in der ­Diabetes-Surveillance bearbeitet?    14
                   Welche Datenquellen werden in der Diabetes-Surveillance
                   verwendet?                                                         16
                   Was beinhaltet dieser Bericht?                                     17

                    Handlungsfeld 1
                   „Diabetesrisiko reduzieren“                                        18
                    Hintergrund                                                       19
                    Ergebnisse auf einen Blick                                        19
                    Einordnung in den gesundheits­politischen Kontext                 20
                    Nächste Schritte für die ­Diabetes-Surveillance
                    am Robert Koch-Institut                                           21
                    Faktenblätter
                    Inzidenz des dokumentierten Diabetes                              22
                    Prävalenz des Gestationsdiabetes                                  24
                   Übergewicht und Adipositas                                         26
                    Körperliche Inaktivität                                           28
                    Rauchen                                                           30

                    Handlungsfeld 2
                   „Diabetesfrüherkennung und -behandlung verbessern“                 32
                    Hintergrund                                                       33
                    Ergebnisse auf einen Blick                                        33
                    Einordnung in den gesundheits­politischen Kontext                 35
                    Nächste Schritte für die ­Diabetes-Surveillance
                    am Robert Koch-Institut                                           35
                    Faktenblätter
                    Prävalenz des bekannten und unerkannten Diabetes                  36
                    Prävalenz des dokumentierten Diabetes                             38
                   Abgestuftes HbA1c-Ziel                                             40
                    Behandlungsprofile                                                42
                    Gesundheitsbezogene Lebensqualität                                44
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 Handlungsfeld 3
„Diabeteskomplikationen reduzieren“                           46
 Hintergrund                                                  47
 Ergebnisse auf einen Blick                                   47
 Einordnung in den gesundheits­politischen Kontext            49
 Nächste Schritte für die ­Diabetes-Surveillance
 am Robert Koch-Institut                                      49
 Faktenblätter
 Depressive Symptomatik                                       50
 Kardiovaskuläre Erkrankungen                                 52
 Diabetische Nierenerkrankung                                 54
 Diabetische Polyneuropathie                                  56
 Diabetisches Fußsyndrom                                      58
 Diabetesbedingte Amputationen                                60

 Handlungsfeld 4
„Krankheitslast und Krankheitskosten senken“                  62
 Hintergrund                                                  63
 Ergebnisse auf einen Blick                                   63
 Einordnung in den gesundheits­politischen Kontext            64
 Nächste Schritte für die ­Diabetes-Surveillance
 am Robert Koch-Institut                                      65
 Faktenblätter
 Direkte Kosten                                               66
Ambulant-sensitive Krankenhausfälle                           68
 Erwerbsminderungsrente                                       70
 Mortalität                                                   72
 Gesunde Lebensjahre                                          74

Ausblick                                                      76

Glossar                                                       80
Abkürzungsverzeichnis                                         85
Referenzen                                                    86
Diabetes in Deutschland - BERICHT DER NATIONALEN DIABETES-SURVEILLANCE 2019
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Nationale Diabetes-Surveillance      Robert Koch-Institut        7

Grußwort

Rund sieben Millionen Menschen mit Diabetes
mellitus leben derzeit in Deutschland. Hochrech-
nungen sagen einen weiteren Anstieg voraus. Die-
ser Entwicklung müssen wir entschieden entge-
gentreten! Der Diabetes ist keine harmlose
Erkrankung, sondern beeinträchtigt die Lebens-
qualität der Betroffenen und kann zu schwerwie-
genden Folge­erkrankungen bis hin zu Nierenver-
sagen, Amputationen oder Erblindungen führen.
Neben nicht beeinflussbaren gibt es auch verschie-
dene, vermeidbare Risikofaktoren für den häufi-
gen Typ-2-Diabetes. Es ist daher wichtig – ohne zu
stigmatisieren – die Gesundheitskompetenz in der Mit dem Aufbau der Nationalen Diabetes-Surveil-
Bevölkerung im Hinblick auf Prävention und lance wurde für Deutschland erstmals ein verläss-
einen gesunden Lebensstil zu stärken.              liches und umfassendes Instrument geschaffen,
     Für die wirksame und zielgruppengerechte das eine regelmäßige, auf aussagekräftige Kenn-
Verbesserung von Prävention und Versorgung zahlen gestützte Diabetesberichterstattung bietet
sind Gesundheitspolitik, Gesundheitsforschung, und dabei nach Alter, Geschlecht, regionaler Ver-
Krankenversorgung und Public-Health-Praxis auf teilung unterscheidet sowie Zeitverläufe abbildet.
verlässliche Daten und Fakten angewiesen, wie sie       Mein Dank gilt allen, die an dem Aufbau der
der Bericht „Diabetes in Deutschland“ beziehungs- Nationalen Diabetes-Surveillance und explizit an
weise die Nationale Diabetes-Surveillance am der Erstellung des Berichts „Diabetes in Deutsch-
Robert Koch-Institut liefern: Wie viele Betroffene land – Bericht der Nationalen Diabetes-Surveil-
gibt es? Wie werden sich die Diabeteshäufigkeit lance 2019“ mitgewirkt haben. Danken möchte ich
und die Zahl der jährlichen Neuerkrankungen ent- aber auch den Kooperationspartnerinnen und
wickeln? Wie viele Menschen haben ein erhöhtes -partnern, die wichtige Beiträge zur Sicherstellung
Diabetesrisiko? Hat sich die Versorgung durch externer Datenquellen geleistet haben. Sehr herz-
spezifische Behandlungsprogramme verbessert? lich danke ich den Mitgliedern des Fachbeirats zur
Wie oft treten die unterschiedlichen Folgeerkran- Nationalen Diabetes-Surveillance für ihre umfas-
kungen auf? Welche Kosten gehen mit Diabetes sende wissenschaftliche und fachliche Beratung
einher?                                            und Unterstützung.

                                                    Jens Spahn
                                                    Bundesminister für Gesundheit
                                                    Mitglied des Deutschen Bundestags
Diabetes in Deutschland - BERICHT DER NATIONALEN DIABETES-SURVEILLANCE 2019
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Nationale Diabetes-Surveillance       Robert Koch-Institut           9

Vorwort

Das Robert Koch-Institut (RKI) trägt als nationales    wegs- und psychischen Erkrankungen im Fokus
Public-Health-Institut Verantwortung für den           internationaler Aktionspläne der WHO zur
Schutz und die Förderung der Gesundheit der            Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten.
gesamten Bevölkerung (Public Health) in Deutsch-            Vor diesem Hintergrund hat das Bundesmi-
land. Dazu zählen sowohl die Abwendung akuter          nisterium für Gesundheit (BMG) das RKI mit dem
gesundheitlicher Gefahren durch Infektionskrank-       Aufbau einer Diabetes-Surveillance für Deutsch-
heiten als auch die Förderung von Maßnahmen            land im Rahmen eines Forschungsvorhabens
zum Schutz vor gravierenden nichtübertragbaren         beauftragt. Ziel war die systematische Zusammen-
Krankheiten. Grundlage für diese Aufgabe ist die       führung von Informationen zu Diabetes aus ver-
fortlaufende Analyse von gesundheitlichen Ent-         fügbaren Datenquellen, um die Krankheitsdyna-
wicklungen und Gefahren in der Bevölkerung auf         mik wiederkehrend abzubilden. Bei den genutzten
Basis von verlässlichen Datenquellen. Die dabei        Datenquellen wurde auf eine zeitnahe und verste-
gewonnenen Informationen sollen der Gesund-            tigte Nutzbarkeit geachtet, sodass eine kontinuier-
heitspolitik als Entscheidungsgrundlage für die        liche Berichterstattung möglich ist.
Planung und Umsetzung nachhaltiger Maßnah-                  Zum Ende der ersten Projektphase liegt nun
men dienen. Die Weltgesundheitsorganisation            der Bericht zur Diabetes-Surveillance in Deutsch-
(WHO) bezeichnet diese grundlegende Aufgabe            land vor. Dieser bildet in anschaulicher Weise die
als „Public-Health-Surveillance“.                      Entwicklung des Krankheitsgeschehens und die
      Im vergangenen Jahrhundert haben sich das        Verbreitung von Risikofaktoren ab. Auch versor-
Krankheitsspektrum und die gesundheitlichen            gungsrelevante Aspekte sowie Begleit- und Fol-
Gefahren für die Bevölkerung grundlegend gewan-        geerkrankungen werden betrachtet. Der Bericht
delt. Von Infektionskrankheiten gehen weiterhin        wurde vom RKI in enger Zusammenarbeit mit
akute Bedrohungen aus. Jedoch zählen nichtüber-        einem interdisziplinären wissenschaftlichen Fach-
tragbare Krankheiten weltweit zu den häufigsten        beirat erarbeitet. Ergänzt wird der Bericht durch
Krankheiten und Todesursachen im Erwachsenen-          eine interaktive Webseite ( diabsurv.rki.de).
alter. Veränderte Lebensgewohnheiten und Lebens­            Ein wichtiger Meilenstein für die Public-­
bedingungen sowie die Zunahme der Lebenser-            Health-Berichterstattung zu Diabetes ist erreicht.
wartung spielen hierbei eine wichtige Rolle.           Und wie geht es jetzt weiter? Als Public-Health-­
      Diabetes gehört in Deutschland und in vielen     Institut wollen wir unser Surveillance-System für
anderen Ländern zu den wichtigsten nichtüber-          weitere wichtige Public-Health-Herausforderun-
tragbaren Krankheiten und damit zu den großen          gen ausbauen. Gut etabliert am RKI ist bereits die
Public-Health-Herausforderungen. Trotz verbes-         Surveillance von Infektionskrankheiten und Krebs­
serter Früherkennung und Behandlung ist die            erkrankungen. Unser Ziel ist es, auch für weitere
Erkrankung weiterhin für einen Teil der Betroffe-      wichtige Krankheiten wie beispielsweise Herz-
nen mit schwerwiegenden Komplikationen ver-            Kreislauf- oder Lungenerkrankungen, aber auch
bunden. Dazu zählen Herzinfarkt und Schlagan-          psychische Erkrankungen wie Depressionen, alle
fall, Amputationen, Erblindung und Dialysepflicht.     relevanten Daten zu analysieren und bereitzustel-
Die weitaus häufigste Form von Diabetes ist der        len. Damit schaffen wir die Informationen, auf
Typ-2-Diabetes. Er tritt meist im höheren Erwach-      deren Grundlage wir gemeinsam mit der Politik
senenalter auf. Körperliche Inaktivität, Rauchen       und den Akteurinnen und Akteuren des Gesund-
und starkes Übergewicht zählen zu den wesentli-        heitswesens Strategien entwickeln wollen, damit
chen bekannten und potenziell beeinflussbaren          möglichst viele Menschen in Deutschland ein lan-
Risikofaktoren. Sie korrelieren stark mit psychoso-    ges Leben in guter Gesundheit führen können.
zialen Belastungen und benachteiligenden Lebens-
lagen. Diabetes steht daher folgerichtig zusammen      Prof. Dr. Lothar H. Wieler
mit Herz-Kreislauf-, Krebs-, chronischen Atem-         Präsident des Robert Koch-Instituts
Diabetes in Deutschland - BERICHT DER NATIONALEN DIABETES-SURVEILLANCE 2019
10            Robert Koch-Institut         Nationale Diabetes-Surveillance

     Zusammenfassung

     Diabetes ist eine chronische Erkrankung, die eine
     große Herausforderung für die öffentliche
     Gesundheit in Deutschland und auch weltweit dar-
     stellt. Vor diesem Hintergrund fördert das Bundes-        Handlungsfeld 1 „Diabetesrisiko reduzieren“
     ministerium für Gesundheit (BMG) den Aufbau
     einer Diabetes-Surveillance für Deutschland am            Wesentliche Risikofaktoren des Typ-2-Diabetes
     Robert Koch-Institut (RKI). Die Diabetes-Surveil-         ­zeigen unterschiedliche zeitliche Entwicklun-
     lance hat zum Ziel, wesentliche Informa­tionen             gen sowie erhebliche soziale Unterschiede.
     zum Diabetesgeschehen anhand von definierten
     Indikatoren (Kennzahlen) aus verfügbaren Daten-
     quellen zusammenzuführen und für die Gesund-            ▶▶ Derzeit erkranken gemäß Versorgungdaten aller
     heitspolitik, Gesundheitsforschung, Krankenver-            gesetzlich Krankenversicherten jährlich mehr
     sorgung und Public-Health-Praxis zeitnah und               als 500.000 Erwachsene neu an Diabetes (Fakten­
     handlungsorientiert aufzubereiten. Hierzu erfolgt          blatt „Inzidenz des dokumentierten Diabetes“).
     ein enger Austausch mit der Bundeszentrale für          ▶▶ Der Gestationsdiabetes erhöht das Risiko für

     gesundheitliche Aufklärung (BZgA), die derzeit             Schwangerschaftskomplikationen und die spätere
     eine Aufklärungs- und Kommunikationsstrategie              Entwicklung eines Typ-2-Diabetes bei Müttern.
     zur Prävention des Diabetes und seiner Folgeer-            Aktuell weisen auf Basis der Dokumentation im
     krankungen entwickelt.                                     Mutterpass 5,9 % der Frauen mit statio­närer
          Innerhalb der ersten Projektphase (2015–2019)         Entbindung einen Gestationsdiabetes auf (Fak-
     wurde ein wissenschaftliches Rahmenkonzept für             tenblatt „Prävalenz des Gestationsdiabetes“).
     eine Diabetes-Surveillance mit vier Handlungsfel-       ▶▶ Die Prävalenz von Übergewicht (einschließlich

     dern und 40 zentralen Indikatoren beziehungs-              Adipositas), einem weiteren wesentlichen Risiko­
     weise Indikatorengruppen in einem strukturierten           faktor für die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes,
     Konsensprozess erarbeitet. Im nächsten Schritt             zeigt sich in der 18- bis 79-jährigen Bevölkerung
     wurden Datenquellen zur Abbildung der Indikato-            auf Basis der RKI-Surveys im Zeitraum 1998 bis
     ren erschlossen und erste Formate für die Bericht-         2010 mit 60 % konstant. Jedoch hat bei Männern
     erstattung entwickelt.                                     der Anteil von Adipositas zugenommen (Fakten-
          Der vorliegende Bericht stellt erste Ergebnisse       blatt „Übergewicht und Adipositas“).
     der Diabetes-Surveillance vor und wird durch eine       ▶▶ Körperliche Inaktivität und Rauchen sind verhal-

     Webseite ergänzt ( diabsurv.rki.de). Ein weiterer          tensbedingte Risikofaktoren für die Entwick-
     Ausbau der Datengrundlagen und die Weiterent-              lung eines Typ-2-Diabetes. Auf Basis eines
     wicklung der Analysen und der Berichterstattung            RKI-Surveys erreicht im Jahr 2014 etwas mehr
     sind Gegenstand einer zweiten Projektphase bis             als die Hälfte der Erwachsenen nicht die Emp-
     Ende 2021. Erste Ergebnisse zum Diabetesgesche-            fehlung der Weltgesundheitsorganisation zur
     hen in Deutschland lassen sich für die vier Hand-          wöchentlichen Ausdaueraktivität und gibt fast
     lungsfelder wie folgt zusammenfassen:                      ein Viertel der Erwachsenen an, täglich oder
                                                                gelegentlich zu rauchen (Faktenblatt „Körperli-
                                                                che Inaktivität“ und Faktenblatt „Rauchen“). Für
                                                                Rauchen lässt sich jedoch im Zeitverlauf von
                                                                2003 bis 2014 eine Abnahme feststellen.
                                                             ▶▶ Für die betrachteten Risikofaktoren zeigen sich

                                                                deutliche soziale Unterschiede. Personen aus
                                                                der unteren Bildungsgruppe weisen deutlich
                                                                höhere Prävalenzen der Risikofaktoren auf
                                                                ( diabsurv.rki.de).
Nationale Diabetes-Surveillance        Robert Koch-Institut          11

 Handlungsfeld 2 „Diabetesfrüherkennung                   Handlungsfeld 3 „Diabeteskomplikationen
 und ­-behandlung ­verbessern“                            reduzieren“

 Die Anzahl der Personen, deren Diabetes dia­             Nicht nur der Diabetes selbst, sondern auch
 gnostiziert ist und durch Eingang in das Versor-         seine Begleit- und Folge­erkrankungen bedeu-
 gungssystem behandelt wird, steigt an.                   ten eine erhöhte individuelle Belastung.

▶▶ 7,2 % der 18- bis 79-jährigen Bevölkerung haben      ▶▶ Eine depressive Symptomatik liegt gemäß
   gemäß RKI-Survey im Jahr 2010 einen bekann-             RKI-Survey im Jahr 2014 bei etwa 15 % der Per-
   ten Diabetes; weitere 2,0 % sind von einem bis-         sonen mit Diabetes vor und ist bei Personen mit
   lang unerkannten Diabetes betroffen. Während            Diabetes etwa doppelt so häufig wie bei Perso-
   die Prävalenz des bekannten Diabetes im Ver-            nen ohne Diabetes (Faktenblatt „Depressive
   gleich zum Jahr 1998 über alle Bildungsgruppen          Symptomatik“).
   hinweg angestiegen ist, zeigt sich für den uner-     ▶▶ Kardiovaskuläre Begleiterkrankungen liegen bei

   kannten Diabetes eine zeitgleiche und größen-           45- bis 79-jährigen Personen mit Typ-2-Diabetes
   mäßig ähnliche Prävalenzabnahme (Faktenblatt            deutlich häufiger vor als bei Personen ohne Dia-
  „Prävalenz des bekannten und unerkannten Dia-            betes. Zwischen 1998 und 2010 zeigt sich in
   betes“).                                                RKI-Surveys vor allem für Frauen mit Typ-2-Dia­
▶▶ Versorgungsdaten aller gesetzlich Krankenversi-         betes ein Rückgang in der Prävalenz (Fakten-
   cherten reflektieren erhebliche regionale Unter-        blatt „Kardiovaskuläre Erkrankungen“).
   schiede in der Prävalenz des dokumentierten          ▶▶ Langfristig kann der Diabetes zur Schädigung

   Diabetes (Faktenblatt „Prävalenz des dokumen-           von kleinen Gefäßen und Nerven und so zu dia-
   tierten Diabetes“).                                     betesspezifischen Folgeerkrankungen führen.
▶▶ Etwa 80 % der 45- bis 79-jährigen Personen mit          Auswertungen von Versorgungsdaten aller
   bekanntem Typ-2-Diabetes erreichen im Jahr              gesetzlich Krankenversicherten zeigen für das
   2010 auf Grundlage der RKI-Surveys das emp-             Jahr 2013 bei mehr als 15 % der Versicherten
   fohlene HbA1c-Ziel, welches vorliegende Fakto-          mit Diabetes eine dokumentierte Nierenfunkti-
   ren wie Alter und Begleiterkrankungen berück-           onseinschränkung und bei mehr als 13 % eine
   sichtigt. Dies ist ein deutlicher Anstieg im            dokumentierte Polyneuropathie (Faktenblätter
   Vergleich zum Jahr 1998 (Faktenblatt „Abgestuf-        „Diabetische Nierenerkrankung“ und „Diabeti-
   tes HbA1c-Ziel“).                                       sche Polyneuropathie“).
▶▶ Mit etwa 70 % ist der Anteil der 45- bis 79-jähri-   ▶▶ Das Vorliegen einer Polyneuropathie erhöht das

   gen Personen mit bekanntem Typ-2-Diabetes,              Risiko für ein diabetisches Fußsyndrom, das im
   die medikamentös behandelt werden, zwischen             Fall von therapeutisch nicht beherrschbaren
   1998 und 2010 nahezu unverändert geblieben.             Infektionen eine Amputation erfordern kann. So
   Analysen der RKI-Surveys zeigen, dass dabei die         weisen mehr als 6 % der gesetzlich Krankenver-
   Anteile einer Metformin-Monotherapie oder               sicherten mit Diabetes im Jahr 2013 ein doku-
   einer Kombinationstherapie von Insulin und              mentiertes diabetisches Fußsyndrom auf.
   oralen Antidiabetika zugenommen haben (Fak-             Zudem liegen im Jahr 2017 bezogen auf 100.000
   tenblatt „Behandlungsprofile“).                         Einwohner etwa 11 Amputationsfälle oberhalb
▶▶ Die gesundheitsbezogene Lebensqualität ist bei          des Sprunggelenks bei Personen mit Diabetes
   Personen mit Diabetes im Vergleich zu Perso-            entsprechend der fallpauschalenbezogenen
   nen ohne Diabetes geringer. Hierbei zeigt sich          Krankenhausstatistik vor (Faktenblätter „Diabe-
   im Jahr 2010 auf Basis der RKI-Surveys keine            tisches Fußsyndrom“ und „Diabetesbedingte
   Veränderung gegenüber 1998 (Faktenblatt                 Amputationen“).
  „Gesundheitsbezogene Lebensqualität“).
12            Robert Koch-Institut        Nationale Diabetes-Surveillance

                                                               Fazit und Ausblick

                                                               In Anbetracht eines prognostizierten Anstiegs
       Handlungsfeld 4 „Krankheitslast und                     der Prävalenz des bekannten Diabetes 1 bleibt
      ­Krankheitskosten senken“                                die Herausforderung für die öffentliche
                                                               Gesundheit zur Prävention und Versorgung
      Diabetes reduziert die in Gesundheit verbrachte          des Diabetes auch in Zukunft bestehen. Daher
      Lebenszeit deutlich und ist mit hohen Gesund-            ist es wichtig, das Diabetesrisiko in der Bevöl-
      heitskosten verbunden.                                   kerung durch verhaltens- und verhältnisba-
                                                               sierte Maßnahmen weiter zu reduzieren.
                                                               Da­rüber hinaus ergibt sich aufgrund einer
     ▶▶ Die Krankheitskosten für die Versorgung des            erhöhten Sterblichkeit, eines häufigeren Vor-
        Diabetes betragen laut Krankheitskostenrech-           liegens von Begleiterkrankungen und einer
        nung des Statistischen Bundesamtes 7,4 Milliar-        niedrigeren Lebensqualität von Personen mit
        den Euro für das Jahr 2015. Schätzungen unter          Diabetes im Vergleich zu Personen ohne Dia-
        Einbezug der Begleit- und Folgeerkrankungen            betes die Notwendigkeit, die Versorgung einer
        aus dem Jahr 2009 beziffern die Kosten für Dia-        Diabeteserkrankung weiter zu verbessern.
        betes auf circa 21 Milliarden Euro im Jahr (Fak-            Ziel der Diabetes-Surveillance ist es, in
        tenblatt „Direkte Kosten“).                            der nächsten Projektphase die Datengrund-
     ▶▶ Die Anzahl der stationären Behandlungsfälle            lage im Hinblick auf eine zukünftige Surveil-
        mit einem Diabetes als dokumentierte Hauptbe-          lance nichtübertragbarer Erkrankungen zu
        handlungsdiagnose ist für beide Geschlechter           stärken. Weiterhin sollen spezifische Ziel-
        zwischen 2015 und 2017 auf Datenbasis der fall-        gruppen sowie alle Lebensphasen berücksich-
        pauschalenbezogenen Krankenhausstatistik               tigt werden, um die Entwicklung zielgerichte-
        gesunken, wobei Frauen im Vergleich zu Män-            ter Public-Health-­Maßnahmen zu fördern.
        nern niedrigere Raten aufweisen. Die regionale
        Verteilung dieser sogenannten ambulant-sensi-
        tiven Krankenhausfälle folgt der regionalen Ver-
        teilung der Diabetesprävalenz (Faktenblatt
       „Ambulant-sensitive Krankenhausfälle“).
     ▶▶ Für die Erwerbsminderungsrente aufgrund

        eines Diabetes ist unter aktiv Versicherten der
        Deutschen Rentenversicherung ein abnehmen-
        der Trend zwischen 2013 und 2016 ersichtlich.
        Die Rate weist deutliche regionale Unterschiede
        auf, die ebenfalls mit der Diabetesprävalenz der
        Bundesländer assoziiert sind (Faktenblatt
       „Erwerbsminderungsrente“).
     ▶▶ Die Sterberate für Personen ab 30 Jahren mit

        dokumentiertem Diabetes liegt insgesamt um
        etwa 50 % höher als bei Personen gleichen
        Alters ohne Diabetes (Faktenblatt „Mortalität“).
     ▶▶ Die zu erwartende Anzahl gesunder Lebens-

        jahre ist bei Personen mit Diabetes geringer als
        bei Personen ohne Diabetes. Der Verlust an ver-
        bleibender gesunder Lebenszeit beträgt abhän-
        gig von der Altersgruppe bis zu 12 Jahre (Fakten-
        blatt „Gesunde Lebensjahre“).
Nationale Diabetes-Surveillance              Robert Koch-Institut                13

Einleitung und Hintergrund

Was ist Diabetes mellitus?                             den die hohe Public-Health-Relevanz des Typ-2-
                                                       Dia­betes 8–10.

Diabetes mellitus ist eine nichtübertragbare Krank-    Tabelle 1. Darstellung der häufigsten Diabetestypen 4, 12
heit, die durch chronisch erhöhte Blutzuckerspiegel
                                                       Typ-1-Diabetes
gekennzeichnet ist. Schwerwiegende und multiple
Organkomplikationen können als Krankheitsfol-          ▶▶   Krankheitsentstehung
gen auftreten und gehen auf Schädigungen der                Absoluter Insulinmangel aufgrund Zerstörung der insulin­
                                                            produzierenden ß-Zellen der Bauchspeicheldrüse
kleinen Blutgefäße und der Nerven zurück. Hier-        ▶▶   Ursache
durch ist die Lebenserwartung ebenso wie die ver-           Meist immunologisch vermittelt
bleibende Lebenszeit ohne gesundheitliche Beein-       ▶▶   Behandlung
trächtigungen von Personen mit Diabetes im                  Immer mit Insulin
Vergleich zu Gleichaltrigen ohne die Erkrankung
verringert 2, 3.                                       Typ-2-Diabetes
     Es lassen sich verschiedene Diabetesformen        ▶▶  Krankheitsentstehung
unterscheiden (Tabelle 1) 4. Im Erwachsenenalter ist       Relativer Insulinmangel infolge von Insulinresistenz
der Typ-2-Diabetes die häufigste Diabetesform 5.           und teilweise ­verminderte Insulinproduktion
Neben nicht beeinflussbaren Faktoren wie einem         ▶▶ Ursache

höheren Lebensalter und genetischen Aspekten              Zusammenspiel aus verschiedenen Risikofaktoren, darun­
                                                           ter Alter, Genetik, ­Adipositas und körperliche Inaktivität
sind viele Risikofaktoren des Typ-2-Diabetes prin-     ▶▶ Behandlung
zipiell beeinflussbar, was Ansätze für verhaltens-         Je nach Ausprägung durch Lebensstiländerungen, orale
und verhältnisbezogene Präventionsmaßnahmen               ­Antidiabetika, ­GLP-1-Analoga oder Insulin
bietet. Diese Präventionsmaßnahmen sollten evi-
denzbasiert sein und bei noch nicht erbrachtem         Gestationsdiabetes
Nachweis ihrer Wirksamkeit begleitend wissen-          ▶▶ Krankheitsentstehung
schaftlich evaluiert werden. Über den Typ-2-Diabe-        Tritt erstmals in der Schwangerschaft durch eine gestei­
tes hinaus haben alle diese Risikofaktoren auch            gerte ­Insulinresistenz in der zweiten Schwangerschafts­
Bedeutung für die Entstehung anderer wichtiger             hälfte auf
                                                       ▶▶ Ursachen
nichtübertragbarer Erkrankungen, von denen viele          Ähnlich dem Typ-2-Diabetes ein Zusammenspiel aus
zu den häufigen Begleiterkrankungen des Diabe-             genetischen Faktoren und gesundheitsbezogenem
tes zählen. Demografischer Wandel und gesell-             Lebensstil
                                                       ▶▶ Behandlung
schaftliche Veränderungen haben seit Mitte der
                                                          Primär durch Lebensstiländerungen; sofern diese nicht
1960er Jahre zu einer tiefgreifenden Veränderung          ­erfolgreich sind, wird eine Insulintherapie empfohlen
des in der Bevölkerung beobachteten Krankheits-
spektrums mit einer zunehmenden Häufigkeit
von nichtübertragbaren Krankheiten geführt. In         Es gibt zudem weitere, vergleichsweise selten auf-
dieser Zeit haben Prävalenz (Häufigkeit der            tretende und von den Krankheitsursachen völlig
Erkrankten bezogen auf die Bevölkerung in einem        unterschiedliche Diabetesformen. Wichtig ist hier
definierten Zeitraum) und Inzidenz (Häufigkeit         insbesondere der Typ-1-Diabetes als zweite Haupt-
der Neuerkrankten bezogen auf die Bevölkerung          form des Diabetes. Dieser tritt zumeist bereits im
ohne vorherigen Diabetes in einem definierten          Kindes- und Jugendalter auf und erfordert eine
Zeitraum) von Typ-2-Diabetes in Deutschland und        lebenslange Insulintherapie. Dies geht mit großen
auch weltweit zugenommen 6, 7. Häufigkeit, Krank-      Belastungen für die erkrankten Personen einher
heitsfolgen und das Präventionspotenzial im Hin-       und stellt hohe Anforderungen an die Qualität der
blick auf individuelle und umweltassoziierte Risi-     medizinischen Versorgung. Zusätzlich existieren
kofaktoren sowie die enge Verknüpfung mit              eine Reihe seltener Diabetesformen im Zusam-
anderen nichtübertragbaren Krankheiten begrün-         menhang mit angeborenen oder erworbenen
14            Robert Koch-Institut       Nationale Diabetes-Surveillance

     Grundkrankheiten 5. Der Typ-2-Diabetes stellt bei     krankungen“, ehemals Geschäftsstelle „Nationale
     Kindern und Jugendlichen im Gegensatz zu              Aufklärungs- und Kommunikationsstrategie zu
     Erwachsenen eine seltene Erkrankung dar 11.           Diabetes mellitus“ der Bundeszentrale für gesund-
         Ein besonderer Diabetestyp ist der Gestations-    heitliche Aufklärung (BZgA). Das Ziel der Strate-
     diabetes (Schwangerschaftsdiabetes), eine Stoff-      gie der BZgA ist die Entwicklung eines zielgrup-
     wechselstörung, die erstmals in der Schwanger-        pengerechten, umfassenden, qualitätsgesicherten
     schaft auftritt und als häufige Ursache für           und evidenzbasierten Aufklärungs- und Informa-
     Schwangerschaftskomplikationen gilt 4, 5 . Ein        tionsangebots für alle Phasen der Erkrankung.
     Gestationsdiabetes erhöht zudem das Risiko der        Durch das „Diabetesnetz“ der BZgA werden beste-
     betroffenen Mütter, später an Typ-2-Diabetes zu       hende Aufklärungs-, Informations- und Kommu-
     erkranken 5.                                          nikationsmaßnahmen zur Diabetesprävention
                                                           und -bekämpfung gebündelt und systematisiert
                                                           sowie neue Angebote entwickelt und gefördert 16 .
                                                           Dazu zählt unter anderem das vom Deutschen
     Was sind die Ziele der Diabetes-­                     Diabetes-Zentrum (DDZ), dem Deutschen Zent-
     Surveillance in Deutschland?                          rum für Diabetesforschung (DZD) und dem
                                                           Helmholtz Zentrum München entwickelte Diabe-
                                                           tesinformationsportal 17. Eine erste Bestandsauf-
     Unter Surveillance wird im Bereich der öffentli-      nahme zu den Informationsbedarfen von Erwach-
     chen Gesundheit (Public Health) eine systemati-       senen in Deutschland mit und ohne Diabetes
     sche, fortlaufende und problemorientierte Zusam-      wurde im Jahr 2017 durch Zusammenarbeit des
     menführung und Analyse von Gesundheitsdaten           RKI und der BZgA auf Basis eines bevölkerungs-
     verstanden. Das Ziel ist, wichtige Informationen      bezogenen Befragungssurveys vorgenommen 18 .
     zeitnah und adressatengerecht für entscheidende       Zudem kann auf die langjährige Erfahrung der
     Akteurinnen und Akteure im Gesundheitswesen           Gesundheitsberichterstattung der Länder zurück-
     bereitzustellen, um die Planung, Umsetzung und        gegriffen werden. Zukünftig sollen die Ergebnisse
     Evaluation von Public-Health-Maßnahmen zu             im Rahmen der Diabetes-Surveillance möglichst
     unterstützen 13, 14 . Ursprünglich im Bereich der     regionalisiert dargestellt werden und so die
     Infektionskrankheiten und des Infektionsschutzes      Berichterstattung auf Länderebene unterstützen 19.
     angewandt, gewinnt Surveillance zunehmend an
     Bedeutung für die Prävention und Eindämmung
     nichtübertragbarer Krankheiten 13. Dies zeigt sich
     auch in internationalen Aktionsplänen der Weltge- Welche Inhalte werden in der
     sundheitsorganisation (WHO) 15.                      ­Diabetes-Surveillance bearbeitet?
          Aufgrund der hohen Public-Health-Relevanz
     des Diabetes wurde 2015 am Robert Koch-Institut
     (RKI) im Rahmen eines vom Bundesministerium Innerhalb der ersten Projektphase (2015 – 2019)
     für Gesundheit (BMG) geförderten Projekts mit der Diabetes-Surveillance wurde zunächst ein wis-
     dem Aufbau einer Diabetes-Surveillance in senschaftliches Rahmenkonzept entwickelt. In
     Deutschland begonnen. Das Projekt wird durch einem mehrstufigen Konsensprozess wurden ins-
     einen interdisziplinären wissenschaftlichen Fach- gesamt 40 gesundheitspolitisch relevante Indika-
     beirat begleitet ( diabsurv.rki.de). Mit der Diabe- toren (Kennzahlen) beziehungsweise Indikatoren-
     tes-Surveillance soll eine transparente, stetige und gruppen zur Abbildung des Krankheits- und
     umfassende Daten- und Informationsgrundlage Versorgungsgeschehens definiert und vier Hand-
     zum Krankheits- und Versorgungsgeschehen im lungsfeldern zugeordnet (Abbildung 1) 20. Während
     Zusammenhang mit Diabetes in Deutschland das erste Handlungsfeld „Diabetesrisiko reduzie-
     geschaffen werden, die sich an Akteurinnen und ren“ die Prävalenz beeinflussbarer Risikofaktoren
     Akteure in Gesundheitspolitik, Forschung und von Typ-2-Diabetes und die Diabetesinzidenz
     Praxis richtet. Zu diesem Zweck erfolgt ein enger behandelt, fokussiert das zweite Handlungsfeld
     Austausch mit dem Referat „Prävention des Diabe- „Diabetesfrüherkennung und -behandlung verbes-
     tes mellitus, seiner Risikofaktoren und Folgeer- sern“ auf die Prävalenz des diagnostizierten und
Nationale Diabetes-Surveillance             Robert Koch-Institut    15

unerkannten Diabetes sowie verschiedene Aspekte                tretens von Folge- und Begleiterkrankungen. Im
der Prozess- und Ergebnisqualität im Rahmen der                vierten Handlungsfeld „Krankheitslast und Krank-
Früherkennung und Behandlung von Diabetes.                     heitskosten senken“ werden Aspekte der individu-
Das dritte Handlungsfeld „Diabeteskomplikatio-                 ellen und gesellschaftlichen Krankheitslast im
nen reduzieren“ beinhaltet die Häufigkeit des Auf-             Zusammenhang mit Diabetes zusammengefasst.

Abbildung 1. Konsentiertes Indikatorenset der Nationalen Diabetes-Surveillance 21

  Handlungsfeld 1                                              Handlungsfeld 3
  Diabetesrisiko reduzieren                                    Diabeteskomplikationen reduzieren
  Kernindikatoren                                              Kernindikatoren
  ▶▶ Inzidenz dokumentierter Diabetes                          ▶▶ Depressive Symptomatik
  ▶▶ Prävalenz Gestationsdiabetes                              ▶▶ Kardiovaskuläre Erkrankungen

  ▶▶ Übergewicht und Adipositas                                ▶▶ Diabetische Augenerkrankung

  ▶▶ Körperliche Inaktivität                                   ▶▶ Diabetische Nierenerkrankung

  ▶▶ Rauchen                                                   ▶▶ Nierenersatztherapie bei Diabetes

  ▶▶ Soziale Deprivation                                       ▶▶ Diabetische Polyneuropathie

                                                               ▶▶ Diabetisches Fußsyndrom
  Zusatzindikatoren
                                                               ▶▶ Diabetesbedingte Amputationen
  ▶▶ Prädiabetes
                                                               ▶▶ Häufigkeit schwerer Hypoglykämien
  ▶▶ Zuckerhaltige Erfrischungsgetränke

  ▶▶ Absolutes Diabetesrisiko                                  Zusatzindikatoren
  ▶▶ Kontextfaktoren                                           ▶▶ Risiko kardiovaskuläres Ereignis
                                                               ▶▶ Schwangerschaftskomplikationen

   Handlungsfeld 2                                              Handlungsfeld 4
   Diabetesfrüherkennung und                                    Krankheitslast und Krankheits-
  ­-behandlung ­verbessern                                     ­kosten ­senken
  Kernindikatoren                                              Kernindikatoren
  ▶▶ Prävalenz bekannter/dokumentierter ­Diabetes              ▶▶ Direkte Kosten
  ▶▶ Prävalenz unerkannter Diabetes                            ▶▶ Ambulant-sensitive Krankenhausfälle

  ▶▶ DMP-Teilnahmequote                                        ▶▶ Erwerbsminderungsrente

  ▶▶ DMP-Qualitätszielerreichung                               ▶▶ Mortalität

  ▶▶ Versorgungsqualität des Typ-2-Diabetes                    ▶▶ Verlorene Lebensjahre (YLL)

  ▶▶ Behandlungsprofile                                        ▶▶ Gesunde Lebensjahre (HLY)

  ▶▶ Gesundheitsbezogene Lebensqualität
                                                               Zusatzindikatoren
  ▶▶ Screening Gestationsdiabetes
                                                               ▶▶ In Einschränkung verbrachte ­Lebensjahre (YLD)
  ▶▶ Alter bei Diagnose
                                                               ▶▶ Disability-adjusted life years (DALY)

  Zusatzindikatoren
  ▶▶ Gesundheits-Check-up
  ▶▶ Patientenzufriedenheit
16            Robert Koch-Institut        Nationale Diabetes-Surveillance

     Welche Datenquellen werden in der                      ten DaTraV-Daten, aber auch die fallpauschalenbe-
     Diabetes-Surveillance verwendet?                       zogene Krankenhausstatistik (DRG-Statistik) des
                                                            Statistischen Bundesamtes, die Rentengewäh-
                                                            rungsdiagnosen auf eine Erwerbsminderungs-
     Zur Abbildung der Indikatoren der Diabetes-Sur-        rente der Deutschen Rentenversicherung, die
     veillance werden verschiedene Datenquellen ver-        Daten der Qualitätssicherung Geburtshilfe auf
     wendet (Abbildung 2). Diese lassen sich unterteilen    Basis der Perinatalstatistik der Länder sowie die
     in Primär- und Sekundärdatenquellen. Unter Pri-        Dokumentationsdaten der Disease-Manage-
     märdaten versteht man Daten, die anhand im Vor-        ment-Programme (DMP).
     feld festgelegter Fragestellungen gezielt erhoben
     werden. Sekundärdaten sind Daten, die ursprüng-        Abbildung 2. Aktuelle Datenquellen der N
                                                                                                   ­ ationalen
     lich für einen anderen Zweck oder eine andere Fra-     Diabetes-Surveillance 22
     gestellung erhoben oder dokumentiert wurden.
          Die in der Diabetes-Surveillance verwendeten             RKI-Gesundheits-             Krankheits-
     Primärdaten umfassen insbesondere die Daten der                   surveys                    register
     bevölkerungsrepräsentativen Befragungs- und
     Unter­suchungssurveys des RKI (Bundes-Gesund­
     heits­survey 1998, BGS98; Studie zur Gesundheit
     Erwachsener in Deutschland, DEGS1; Gesundheit
     in Deutschland aktuell, GEDA).

      Vorteile der RKI-Gesundheitssurveys

      ▶▶ Beinhalten Messdaten und Laborparameter
          und ermöglichen damit beispielsweise die                 Abrechnungs- und              Amtliche
         Bestimmung eines bis dato unerkannten                     Versorgungsdaten             Statistiken
         ­Diabetes
      ▶▶ Beinhalten subjektive Aspekte der Gesund-

          heit, verhaltensbedingte und soziale Risiko-         Vorteile der Abrechnungs- und
          faktoren und ermöglichen damit beispiels-           ­Versorgungsdaten
          weise die Identifizierung von besonders
          betroffenen Bevölkerungsgruppen in Abhän-           ▶▶ Meist hohe Fallzahlen, welche unter ande-
          gigkeit vom Sozialstatus                               rem differenzierte Analysen nach Region
                                                                 und detaillierte Auswertungen zur Abschät-
                                                                 zung der Folge- und Begleiterkrankungen
      Limitationen der RKI-Gesundheitssurveys                    ­ermöglichen
                                                              ▶▶ Zeitlich engmaschig realisierbare Analysen

      ▶▶ Bisher relativ lange zeitliche Abstände der
         Datenerhebung, insbesondere bei Surveys
         mit Untersuchungsteil                                 Limitationen der Abrechnungs- und
      ▶▶ Eingeschränkte Repräsentativität der Ergeb-          ­Versorgungsdaten
         nisse für bestimmte Bevölkerungsgruppen
         wie schwer kranke, hochaltrige oder in Pfle-         ▶▶ Die Qualität der zu Leistungs- und Abrech-
         geheimen wohnende Personen sowie Men-                   nungszwecken dokumentierten Daten hängt
         schen mit nicht ausreichenden Deutsch-                  von der Kodierpraxis ab, welche sich auf die
         kenntnissen                                             Vollständigkeit und Validität der Angaben
                                                                 auswirkt
     Zu den verwendeten Sekundärdaten zählen insbe-           ▶▶ Daten einzelner GKVen sind nicht repräsen-

     sondere die routinemäßig dokumentierten                     tativ für alle gesetzlich Krankenversicherten
     Abrechnungs- und Versorgungsdaten der Gesetz-               und enthalten keine Informationen zu privat
     lichen Krankenversicherung (GKV), die sogenann-             Krankenversicherten
Nationale Diabetes-Surveillance   Robert Koch-Institut   17

Außerdem werden die Daten der bundesweiten
Diabetes-Patienten-Verlaufsdokumentation (DPV)
sowie die Daten der regionalen epidemiologischen
Diabetesregister für die Diabetes-Surveillance her-
angezogen. Diese Registerdaten spielen insbeson-
dere für den eher seltenen Typ-1-Diabetes und den
ebenfalls seltenen Typ-2-Diabetes bei Kindern und
Jugendlichen eine wichtige Rolle. Zur Berechnung
benötigen einzelne Indikatoren auch Angaben aus
amtlichen Statistiken wie beispielweise der Todes-
ursachenstatistik des Statistischen Bundesamtes.

  Was beinhaltet dieser Bericht?

  Der vorliegende erste Bericht zur Diabe-
  tes-Surveillance in Deutschland fasst die
  wesentlichen Ergebnisse zum Abschluss der
  ersten Projektphase zusammen. Der Bericht
  gliedert sich in vier Kapitel – eines für jedes
  Handlungsfeld. In jedem Kapitel werden die
  Ergebnisse für das jeweilige Handlungsfeld
  zunächst zusammenfassend beschrieben.
  Daran anschließend werden für jedes Hand-
  lungsfeld etwa fünf Kernindikatoren, die nach
  Rücksprache mit dem wissenschaftlichen Bei-
  rat sowie unter Berücksichtigung der Daten-
  verfügbarkeit ausgewählt wurden, in einem
  Faktenblatt, das heißt einer kurzen zweiseiti-
  gen Darstellung, vorgestellt. Je nach Datenver-
  fügbarkeit werden die Indikatoren in ihrem
  zeitlichen Verlauf abgebildet sowie stratifi-
  ziert nach Geschlecht, Alter, Bildung oder
  Region dargestellt.
       Die hier in Berichtsform vorliegenden
  ersten Ergebnisse der Diabetes-Surveillance
  werden durch ein Online-Format der Bericht-
  erstattung ergänzt ( diabsurv.rki.de). Hier
  finden sich neben ausführlichen Methodenbe-
  schreibungen auch die Ergebnisse der Indika-
  toren, die in diesem Bericht nicht als Fakten-
  blatt präsentiert werden. Zusätzlich werden
  für alle Indikatoren, sofern möglich, die
  Ergebnisse altersstandardisiert berichtet. Eine
  periodisch wiederkehrende Berichterstattung
  im Druckformat ist ebenfalls geplant. Dabei
  sollen die Berichtsformate in enger Abspra-
  che mit den jeweiligen Nutzergruppen adres-
  satengerecht weiter ausdifferenziert und wei-
  terentwickelt werden.
18        Robert Koch-Institut   Nationale Diabetes-Surveillance

     Handlungsfeld 1
     „Diabetesrisiko reduzieren“
Diabetesrisiko reduzieren              Handlungsfeld 1            19

Hintergrund                                                 Vor diesem Hintergrund wurden die Inzidenz des
                                                            Diabetes und die Prävalenz wesentlicher bekannter,
                                                            gesundheitspolitisch beeinflussbarer verhaltens-
In verschiedenen Szenarien zur Hochrechnung                 beziehungsweise verhältnis­basierter Einflussfakto-
der zukünftigen Fallzahlen für Typ-2-­Diabetes              ren für das Handlungsfeld 1 „Diabetesrisiko redu-
zeigt sich übereinstimmend eine erwartete zuneh-            zieren“ der Diabetes-Surveillance ausgewählt und
mende Anzahl der Personen mit einer Diabetes­               mit Indikatoren hinterlegt. Unter den zehn ausge-
erkrankung. Wie stark der vorhergesagte Fall-               wählten Indikatoren wurden im strukturierten
zahlanstieg ausfallen wird, hängt insbesondere              Konsensprozess sechs Indikatoren als Kern­
von der zeitlichen Entwicklung der Neuerkran-               indikatoren und die weiteren vier Indikatoren als
kungsrate und damit der zeitlichen Entwicklung              Zusatzindikatoren in diesem Handlungsfeld ein-
entscheidender Risikofaktoren für Typ-2-Diabetes            gestuft (Abbildung 3). In den folgenden Faktenblät-
ab 1. Wie für andere nichtübertragbare Krankhei-            tern dieses Kapitels werden die aktuelle Datenlage
ten mit hoher Public-Health-Relevanz zählen                 und – soweit möglich – die zeitliche Entwicklung
hierzu potenziell beeinflussbare Faktoren wie               für fünf Kernindikatoren vorgestellt.
gesundheitsrelevante Verhaltensweisen sowie
Lebens- und Umwelt­bedingungen 23.

Abbildung 3. Indikatoren des Handlungsfeldes 1
Kernindikatoren                                             Zusatzindikatoren
▶▶   Inzidenz dokumentierter Diabetes                       Prädiabetes
▶▶   Prävalenz Gestationsdiabetes                           Zuckerhaltige Erfrischungsgetränke
▶▶   Übergewicht und Adipositas                             Absolutes Diabetesrisiko
▶▶   Körperliche Inaktivität                                Kontextfaktoren
▶▶   Rauchen
     Soziale Deprivation

Die in dieser Ausgabe in Faktenblättern vorgestellten Indikatoren sind farbig markiert.
Ergebnisse zu den anderen Indikatoren des Handlungsfeldes 1 sowie I­ nformationen zur verwendeten Methodik und den
Datenquellen finden Sie auf der Webseite der Diabetes-­Surveillance unter diabsurv.rki.de.

Ergebnisse auf einen Blick                                  men ist 24. Der in der Diabetes-Surveillance basie-
                                                            rend auf den DaTraV-­Daten definierte Indikator
                                                            der Inzidenz des dokumentierten Diabetes bildet
Zur Inzidenz des Diabetes liegen in Deutschland             die Grundlage für eine zukünftig zeitlich engma-
nur vereinzelte Studien vor, die jedoch insgesamt           schige Weiterbeobachtung der Inzidenz. Entspre-
betrachtet einen deutlichen Anstieg der Neuer-              chend einer ­ersten Analyse für das Jahr 2012
krankungsrate über die letzten Dekaden in                   erkranken insgesamt mehr als 500.000 Personen
Deutschland zeigen 6. Neben ungünstigeren                   beziehungsweise 1,2 % der erwachsenen Bevölke-
Lebens- und Verhaltensweisen haben dazu verän-              rung pro Jahr neu an Diabetes (Fakten­blatt „Inzi-
derte Diagnosekriterien sowie eine verbesserte              denz des dokumentierten Diabetes“) 25.
Diabetesdiagnostik beigetragen. Jedoch deuten                    Ein besonderer Typ des Diabetes ist der Gesta-
Ergebnisse einer aktuellen Analyse vertragsärztli-          tionsdiabetes, der vorübergehend in der
cher Abrechnungsdaten durch das Zentral­institut            Schwanger­schaft auftreten kann und einen Risiko-
für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland           faktor für Schwangerschaftskomplikationen und
(Zi) darauf hin, dass es bei Erwachsenen ab 40 Jah-         die spätere Entwicklung eines Typ-2-Diabetes dar-
ren zwischen 2012 und 2014 zu einem leichten                stellt 26. Über die Qualitätssicherung Geburtshilfe
Rückgang der Inzidenz des Typ-2-Diabetes gekom-             wird auf Basis der Perinatalstatistik unter anderem
20            Robert Koch-Institut         Nationale Diabetes-Surveillance

     der Anteil der stationären Entbindungen mit im           lung der Risikolage kann eine zusammenfassende
     Mutterpass dokumentiertem Gestationsdiabetes             Betrachtung bekannter Risikofaktoren des Diabe-
     bezogen auf alle stationären Entbindungen in             tes anhand von Risiko­scores für die Entwicklung
     einem gegebenen Jahr erfasst 27, 28. Demnach hat         eines Typ-2-Diabetes sowie die Erfassung von
     die Prävalenz des Gestations­diabetes im Zeitraum        Diabetes­vorstufen durch im Labor gemessene
     von 2002 bis 2011 von unter 2 % bis auf über 4 %         Werte des Zuckerstoffwechsels hilfreich sein. So
     zugenommen und ist im weiteren Zeitverlauf –             weisen Analysen zu den Indikatoren absolutes
     seit Einführung eines universellen Screenings auf        Diabetesrisiko 36 und Prädiabetes 37 auf eine leichte
     Gestations­diabetes im Jahr 2012 – bis auf 5,9 % im      Verbesserung der Risikolage im Zeitraum von
     Jahr 2017 angestiegen (Faktenblatt „Prävalenz des        1998 bis 2010 hin.
     Gestationsdiabetes“). Dabei ist zu berücksichtigen,           Auswahl und Operationalisierung von gesund-
     dass die so geschätzte Prävalenz des Gestationsdia­      heitspolitisch relevanten verhältnisbasierten
     betes vom Dokumentationsverhalten im Mutter-             Risiko­faktoren (Indikatorengruppen soziale Depri-
     pass abhängt. Analysen aus anderen Datenquellen          vation und Kontextfaktoren) konnten für diesen
     weisen darauf hin, dass die Prävalenz des Gestati-       ersten Bericht noch nicht bearbeitet werden.
     onsdiabetes auf Grundlage der Perinatalstatistik         Hierzu sind Bestandsaufnahmen der wissen-
     derzeit vermutlich unterschätzt wird 29, 30. Doku-       schaftlichen Evidenz notwendig. Die Ergebnisse
     mentationslücken beim Eintrag in den Mutterpass          zu verhältnisbasierten Risikofaktoren werden
     könnten zu einer Untererfassung beitragen 31.            einen zentralen Bestandteil der Weiterentwick-
            Zur zeitlichen Entwicklung der Prävalenz          lung und Vervollständigung von Indikatoren der
     wesentlicher verhaltensassoziierter Risikofaktoren       Diabetes-Surveillance darstellen.
     des Typ-2-Diabetes liefern die bundesweiten
     Gesundheitssurveys des RKI die Datengrundlage.
     So ist die Prävalenz von Übergewicht (einschließ-
     lich Adipositas) zwischen 1998 und 2010 mit              Einordnung in den gesundheits­
     60,0 % bei 18- bis 79-Jährigen insgesamt unverän-        politischen Kontext
     dert geblieben (Faktenblatt „Übergewicht und Adi-
     positas“). Die Prävalenz der körperlichen Inaktivi-
     tät 32, 33 und die Prävalenz des Rauchens 34, 35 haben   Da viele der bekannten Risikofaktoren des über-
     in den letzten Jahren insgesamt abgenommen.              wiegend vorkommenden Typ-2-Diabetes sowie des
     Dennoch erreicht über die Hälfte aller Erwachse-         Gestationsdiabetes beeinflusst werden können,
     nen nicht die WHO-Empfehlung von mindestens              liegt hier ein Potenzial für die Primär­prävention
     2,5 Stunden Ausdaueraktivität pro Woche (Fakten-         von Diabetes vor. Darüber hinaus teilen der
     blatt „Körperliche Inaktivität“), und fast ein Viertel   Typ-2-Diabetes und andere wichtige nichtübertrag-
     aller Erwachsenen raucht täglich oder gelegentlich       bare Krankheiten (Herz-Kreislauf-Erkrankungen,
     (Faktenblatt „Rauchen“). Mit deutlich höheren Prä-       Krebs, chronische Lungenerkrankungen) bedeut-
     valenzen bei sozial benachteiligten Gruppen zeigt        same vermeidbare Risikofaktoren wie körperliche
     sich nach wie vor eine ausgeprägte Ungleichheit          Inaktivität, Rauchen und Adipositas. Hieraus
     in der Verbreitung der genannten verhaltensba-           ergibt sich eine gesellschaftliche Verantwortung
     sierten Risikofaktoren. Ebenso sind regionale            für die Umsetzung von verhältnis­bezogenen und
     Unterschiede für die Indikatoren zu beobachten           setting-orientierten Präventionsansätzen, um alle
     ( diabsurv.rki.de).                                      gesellschaftlichen Gruppen zu erreichen. Die Prä-
            Informationen für weitere drei der zehn Indi-     ventionsmaßnahmen sollten sensibel gegenüber
     katoren (Prädiabetes, zuckerhaltige Erfrischungs-        Stigmatisierungseffekten und evidenzbasiert sein
     getränke und absolutes Diabetesrisiko) finden sich       und bei noch nicht erbrachtem Wirksamkeitsnach-
     auf der Webseite diabsurv.rki.de der Diabetes-­          weis begleitend wissenschaftlich evaluiert werden.
     Surveillance. Demnach ist der häufige Konsum                  Wichtige primärpräventive Ziele und Maß-
     zuckerhaltiger Getränke über die letzten Dekaden         nahmen sind unter anderem im Globalen Aktions-
     angestiegen. Aktuell werden diese von etwa jedem         plan der WHO zur Prävention und Kontrolle nicht-
     sechsten 18- bis 79-Jährigen mindestens einmal           übertragbarer Krankheiten 15, den Nationalen
     täglich konsumiert. Für eine umfassende Beurtei-         Gesundheitszielen „Diabetes mellitus Typ 2“,
Diabetesrisiko reduzieren           Handlungsfeld 1            21

„Gesundheit rund um die Geburt“, „Gesund auf-            Nächste Schritte
 wachsen“ und „Gesund älter werden“ 38 sowie der         für die ­Diabetes-Surveillance
 Nachhaltigkeitsstrategie der Bundes­regierung 39
 und dem Nationalen Aktionsplan „IN FORM“ 40
                                                         am Robert Koch-Institut
 verankert. Tabaksteuererhöhungen und gesetzlich
 geregelter Nichtraucherschutz 41 haben als bevölke-     1. Weiterentwicklung stratifizierter Analysen
 rungsweite Maßnahmen bereits Erfolg in Form                unter Einschluss der gesamten Lebens-
 von rückläufigen Raucherquoten gezeigt. Aller-             spanne (einschließlich Kinder und Jugend-
 dings bestehen weiterhin soziale Unterschiede in           licher sowie Hochaltriger) und zur Identi­
 der Prävalenz verhaltens- und verhältnisassoziier-         fizierung von Unterschieden in der Vertei-
 ter Risikofaktoren. Eine bestehende Herausforde-           lung der Risikofaktoren nach Region, sozi-
 rung für die Zukunft ist daher die Etablierung des         aler Lage und Migrationshintergrund.
„Health in all Policies“-­Ansatzes und die Durchfüh-
 rung von Public-Health-Maßnahmen in besonders           2. Operationalisierung von gesundheits­
 gefährdeten Gruppen der Bevölkerung – auf kom-             politisch ­relevanten verhältnis­basierten
 munaler oder regionaler Ebene und in bestimm-              ­Risiko­faktoren und Maß­nahmen (Indikato-
 ten Settings (wie Kita, Schule, Arbeitsumfeld).            rengruppen soziale Deprivation und
 Ebenso eröffnet der Kontakt mit Akteurinnen und             ­Kontextfaktoren).
 Akteuren im Gesundheitswesen ein wichtiges
 Fenster für gezielte Beratung und Unterstützung         3. Differenzierung von Diabetestypen bezüg-
 zur Gesundheitsförderung (beispielsweise in der            lich der Inzidenz des Diabetes in Anknüp-
 Phase von Schwangerschaft und Geburt), welches             fung an bisherige Analysen von Koopera­
 für wissenschaftlich begleitete Beratungspro-              tionsprojekten zwischen der Diabetes-Sur-
 gramme genutzt werden könnte.                              veillance und den r­ egionalen Diabetesregis-
                                                            tern sowie der bundesweiten Diabetes-
                                                            Patien­ten-Verlaufsdokumentation (DPV)42.
22                       Faktenblatt                  Handlungsfeld 1 „Diabetesrisiko reduzieren“
Faktenblätter

         Inzidenz des dokumentierten Diabetes

         Definition                                         Die Rate der Neuerkrankungen (Inzidenz) und auch die dar-
         Der Indikator Inzidenz des dokumen-                aus folgende absolute Zahl der Neuerkrankten stellen für die
         tierten Diabetes ist definiert als Anteil
         der Neuerkrankungen des dokumen-
                                                     Einschätzung der Krankheitsdynamik entscheidende Kennzahlen
         tierten Diabetes an allen erwachsenen       dar. Die Inzidenz beeinflusst die zukünftige Entwicklung der Präva-
         gesetzlich Krankenversicherten eines        lenz und der zu erwartenden Anzahl von Erkrankten 1. Die Inzidenz
         Jahres ohne dokumentierte Diabetes­         hängt ihrerseits von der zeitlichen Entwicklung wesentlicher Diabe-
         diagnose im Vorjahr. Eine Neuerkran-
         kung wird als das Vorliegen mindes-
                                                     tesrisikofaktoren ab 43.
         tens einer stationär dokumentierten
         Diagnose oder mindestens zweier am-               Die Inzidenz des dokumentierten Diabetes in Deutschland
         bulant gesichert dokumen­tierter Dia­             beträgt für gesetzlich krankenversicherte Erwachsene im Jahr
         gnosen (E10.- bis E14.-) in vier Quarta-
         len definiert.
                                                     2012 1,2 % (Frauen: 1,1 %; Männer: 1,3 %), was 560.762 Personen
                                                     entspricht. Die Betrachtung über die Altersgruppen zeigt, dass
         Datenquelle                                 sowohl bei Frauen als auch bei Männern die Inzidenz mit dem Alter
         Versorgungsdaten aller circa 70 Millio-     ansteigt und im Altersbereich ab 80 Jahren den höchsten Wert
         nen gesetzlich Krankenversicherten          annimmt (Abbildung 4).
         (DaTraV-Daten).

         Datenqualität                                      Insgesamt zeigt sich eine mit steigendem Alter deutlich zuneh-
         Es handelt sich um Leistungs- und                  mende Anzahl an dokumentierten Neuerkrankungen. Grund-
         ­Abrechnungsdaten der GKV, deren            sätzlich ist die in die Diabetes-Surveillance aufgenommene Darstel-
          Qualität von der Dokumentations­           lung der Inzidenz geeignet, um zukünftig zeitliche Änderungen im
          praxis abhängt.
                                                     Erkrankungsrisiko einzuschätzen. Aktuelle Ergebnisse deuten auf
                                                     eine Inzidenzabnahme des dokumentierten Typ-2-Diabetes hin 24.

     •   Im Jahr 2012 erkranken
         etwa 560.000 gesetzlich
         krankenversicherte Erwach-
         sene neu an ­Diabetes.

     •   Die Inzidenz steigt mit dem
         Alter an und zeigt für Perso-
         nen ab 80 Jahren den höchs-
         ten Wert.
Inzidenz des dokumentierten Diabetes                  Faktenblatt             23

Abbildung 4. Inzidenz des dokumentierten Diabetes bei gesetzlich krankenversicherten Erwachsenen in % nach Alter
und Geschlecht im Jahr 2012. Quelle: DaTraV-Daten; nach Schmidt et al. 25

                      0,13                                               Gesamt
                                                                         Frauen
      18–34 Jahre      0,16
                                                                         Männer
                      0,10
                                0,56
      35–49 Jahre             0,46
                                  0,68

                                                   1,6
      50–64 Jahre                           1,3
                                                         1,9
                                                                       2,7
      65–79 Jahre                                                2,5
                                                                              3,0
                                                                               3,0
         ≥80 Jahre                                                           2,9
                                                                                     3,2
                                           1,2
Alle Altersgruppen                       1,1
                                             1,3

 Hintergrund          Ergebnisse         Fazit
24                        Faktenblatt               Handlungsfeld 1 „Diabetesrisiko reduzieren“

         Prävalenz des Gestationsdiabetes

         Definition                                      Beim Gestationsdiabetes handelt es sich um eine erstmals in
         Der Indikator Prävalenz des Gestations­
         diabetes ist definiert als Anteil der           der Schwangerschaft diagnostizierte Blutzuckerstörung. Diese
         Frauen mit stationärer Entbindung         bildet sich bei den meisten Frauen nach der Entbindung zurück,
         (einschließlich Totgeburten) in einem     erhöht aber das Risiko für Geburtskomplikationen für Mutter und
         gegebenen Jahr, bei denen die Dia­
         gnose eines Gesta­tions­diabetes im
                                                   Kind sowie das Risiko der Mutter, später an einem Typ-2-Diabetes zu
         Mutterpass dokumentiert ist.              erkranken.

         Datenquelle                                     Insgesamt wurde im Jahr 2017 bei 44.907 von 761.176 Frauen
          Qualitätssicherung Geburtshilfe                mit stationärer Entbindung in Deutschland ein Gestationsdia-
          auf Basis der Perinatalstatistik der
         ­Länder27, 28.
                                                   betes dokumentiert (5,9 %). Seit dem Jahr 2002 ist dieser Anteil kon-
                                                   tinuierlich angestiegen (Abbildung 5). Die Prävalenz des dokumentier-
         Datenqualität                             ten Gestationsdiabetes ist regional unterschiedlich (Abbildung 6).
         Aufgrund der unvollständigen Doku-
         mentation des Gestations­diabetes im            Es zeigt sich ein Anstieg der Prävalenz des Gestationsdiabetes,
         Mutterpass ist derzeit von einer Unter-
         schätzung der P
                       ­ rävalenz auszugehen.
                                                         der durch verschiedene Faktoren beeinflusst sein kann. Zum
                                                   einen hat bei Müttern das durchschnittliche Alter bei der Geburt und
                                                   die Häufigkeit von Adipositas, welche Risikofaktoren des Gestations-
                                                   diabetes darstellen, zugenommen 28, 44. Zum anderen wurde im Jahr
                                                   2012 die Leitlinie für Gestationsdiabetes geändert und ein Screening
                                                   als Kassen­leistung eingeführt, was zu einer Zunahme der Diagnos-
                                                   tik und Dokumentation geführt haben kann. Studien aus anderen
         Etwa 45.000 schwangere                    Datenquellen zeigen höhere Schätzungen zum Gestations­
                                                   diabetes 29, 30. Dies unterstreicht die Notwendigkeit für Studien zur
     •

         Frauen sind im Jahr 2017
         von Gestationsdiabetes                    Verbesserung der Datenqualität, zum Beispiel zur Überprüfung von
         betroffen.                                möglichen Dokumentationslücken.

     •   Basierend auf Daten der
         ­Perinatalstatistik zeigt die
          ­stationäre ­Qualitäts­sicherung
           Geburtshilfe seit 2002 einen
           kontinuierlichen Anstieg der
           Entbindungen mit
           ­Gestations­diabetes.

     •   Angesichts stark variierender
         Schätzungen und ­deutlicher
         regionaler Unterschiede ist
         eine Überprüfung der
         ­Datenqualität notwendig.
Prävalenz des Gestationsdiabetes                               Faktenblatt                 25

Abbildung 5. Zeitlicher Verlauf des Anteils der Frauen mit stationärer Entbindung in %, bei denen ein Gestationsdiabetes
dokumentiert ist. Quelle: aQua-Institut, IQTIG Geburtshilfe 27, 28

                                                                                  Geänderte Leitlinie                               5,9
                                                                                  Gestationsdiabetes                         5,4
                                                                                                                      5,0
                                                                                     4,4     4,3        4,4    4,5
                                                                            3,7
                                                       3,4      3,4
                                              2,7
                   2,2     2,3       2,4
           1,8
 1,5

2002      2003    2004    2005    2006       2007      2008    2009     2010         2011    2012       2013   2014   2015   2016   2017

Abbildung 6. Anteil der Frauen mit stationärer Entbindung in %, bei denen ein Gestationsdiabetes dokumentiert ist, nach
Region im Jahr 2017. Quelle: Qualitätssicherung der Länder; eigene Berechnung

                                               Mecklenburg-
                                               Vorpommern
                                                       5,2
                           Nordwest
                               5,5                              Berlin und
                                                               Brandenburg
                                            Sachsen-
                                             Anhalt                   6,1
       Nordrhein-                              7,3
       Westfalen
            7,4                            Thüringen
                                                              Sachsen
                         Hessen              5,4                5,3
                           5,4
Rheinland-Pfalz                                                                         Nordwest bestehend aus:
       6,8                                                                              • Niedersachsen
                                                                                        • Schleswig-Holstein
                                            Bayern                                      • Bremen
 Saarland
    6,5                                      5,0                                        • Hamburg

                     Baden-                                                                 ≤ 5,4 %
                   Württemberg                                                              5,4 – 5,9 %
                         4,9                                                                5,9 – 6,4 %
                                                                                            6,4 – 6,9 %
                                                                                            ≥ 6,9 %

  Hintergrund            Ergebnisse            Fazit
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