Diabetes in Deutschland - BERICHT DER NATIONALEN DIABETES-SURVEILLANCE 2019
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4 Robert Koch-Institut Nationale Diabetes-Surveillance Inhaltsverzeichnis Grußwort 7 Vorwort 9 Zusammenfassung 10 Einleitung und Hintergrund 13 Was ist Diabetes mellitus? 13 Was sind die Ziele der Diabetes-Surveillance in Deutschland? 14 Welche Inhalte werden in der Diabetes-Surveillance bearbeitet? 14 Welche Datenquellen werden in der Diabetes-Surveillance verwendet? 16 Was beinhaltet dieser Bericht? 17 Handlungsfeld 1 „Diabetesrisiko reduzieren“ 18 Hintergrund 19 Ergebnisse auf einen Blick 19 Einordnung in den gesundheitspolitischen Kontext 20 Nächste Schritte für die Diabetes-Surveillance am Robert Koch-Institut 21 Faktenblätter Inzidenz des dokumentierten Diabetes 22 Prävalenz des Gestationsdiabetes 24 Übergewicht und Adipositas 26 Körperliche Inaktivität 28 Rauchen 30 Handlungsfeld 2 „Diabetesfrüherkennung und -behandlung verbessern“ 32 Hintergrund 33 Ergebnisse auf einen Blick 33 Einordnung in den gesundheitspolitischen Kontext 35 Nächste Schritte für die Diabetes-Surveillance am Robert Koch-Institut 35 Faktenblätter Prävalenz des bekannten und unerkannten Diabetes 36 Prävalenz des dokumentierten Diabetes 38 Abgestuftes HbA1c-Ziel 40 Behandlungsprofile 42 Gesundheitsbezogene Lebensqualität 44
Nationale Diabetes-Surveillance Robert Koch-Institut 5 Handlungsfeld 3 „Diabeteskomplikationen reduzieren“ 46 Hintergrund 47 Ergebnisse auf einen Blick 47 Einordnung in den gesundheitspolitischen Kontext 49 Nächste Schritte für die Diabetes-Surveillance am Robert Koch-Institut 49 Faktenblätter Depressive Symptomatik 50 Kardiovaskuläre Erkrankungen 52 Diabetische Nierenerkrankung 54 Diabetische Polyneuropathie 56 Diabetisches Fußsyndrom 58 Diabetesbedingte Amputationen 60 Handlungsfeld 4 „Krankheitslast und Krankheitskosten senken“ 62 Hintergrund 63 Ergebnisse auf einen Blick 63 Einordnung in den gesundheitspolitischen Kontext 64 Nächste Schritte für die Diabetes-Surveillance am Robert Koch-Institut 65 Faktenblätter Direkte Kosten 66 Ambulant-sensitive Krankenhausfälle 68 Erwerbsminderungsrente 70 Mortalität 72 Gesunde Lebensjahre 74 Ausblick 76 Glossar 80 Abkürzungsverzeichnis 85 Referenzen 86
Nationale Diabetes-Surveillance Robert Koch-Institut 7 Grußwort Rund sieben Millionen Menschen mit Diabetes mellitus leben derzeit in Deutschland. Hochrech- nungen sagen einen weiteren Anstieg voraus. Die- ser Entwicklung müssen wir entschieden entge- gentreten! Der Diabetes ist keine harmlose Erkrankung, sondern beeinträchtigt die Lebens- qualität der Betroffenen und kann zu schwerwie- genden Folgeerkrankungen bis hin zu Nierenver- sagen, Amputationen oder Erblindungen führen. Neben nicht beeinflussbaren gibt es auch verschie- dene, vermeidbare Risikofaktoren für den häufi- gen Typ-2-Diabetes. Es ist daher wichtig – ohne zu stigmatisieren – die Gesundheitskompetenz in der Mit dem Aufbau der Nationalen Diabetes-Surveil- Bevölkerung im Hinblick auf Prävention und lance wurde für Deutschland erstmals ein verläss- einen gesunden Lebensstil zu stärken. liches und umfassendes Instrument geschaffen, Für die wirksame und zielgruppengerechte das eine regelmäßige, auf aussagekräftige Kenn- Verbesserung von Prävention und Versorgung zahlen gestützte Diabetesberichterstattung bietet sind Gesundheitspolitik, Gesundheitsforschung, und dabei nach Alter, Geschlecht, regionaler Ver- Krankenversorgung und Public-Health-Praxis auf teilung unterscheidet sowie Zeitverläufe abbildet. verlässliche Daten und Fakten angewiesen, wie sie Mein Dank gilt allen, die an dem Aufbau der der Bericht „Diabetes in Deutschland“ beziehungs- Nationalen Diabetes-Surveillance und explizit an weise die Nationale Diabetes-Surveillance am der Erstellung des Berichts „Diabetes in Deutsch- Robert Koch-Institut liefern: Wie viele Betroffene land – Bericht der Nationalen Diabetes-Surveil- gibt es? Wie werden sich die Diabeteshäufigkeit lance 2019“ mitgewirkt haben. Danken möchte ich und die Zahl der jährlichen Neuerkrankungen ent- aber auch den Kooperationspartnerinnen und wickeln? Wie viele Menschen haben ein erhöhtes -partnern, die wichtige Beiträge zur Sicherstellung Diabetesrisiko? Hat sich die Versorgung durch externer Datenquellen geleistet haben. Sehr herz- spezifische Behandlungsprogramme verbessert? lich danke ich den Mitgliedern des Fachbeirats zur Wie oft treten die unterschiedlichen Folgeerkran- Nationalen Diabetes-Surveillance für ihre umfas- kungen auf? Welche Kosten gehen mit Diabetes sende wissenschaftliche und fachliche Beratung einher? und Unterstützung. Jens Spahn Bundesminister für Gesundheit Mitglied des Deutschen Bundestags
Nationale Diabetes-Surveillance Robert Koch-Institut 9 Vorwort Das Robert Koch-Institut (RKI) trägt als nationales wegs- und psychischen Erkrankungen im Fokus Public-Health-Institut Verantwortung für den internationaler Aktionspläne der WHO zur Schutz und die Förderung der Gesundheit der Bekämpfung nichtübertragbarer Krankheiten. gesamten Bevölkerung (Public Health) in Deutsch- Vor diesem Hintergrund hat das Bundesmi- land. Dazu zählen sowohl die Abwendung akuter nisterium für Gesundheit (BMG) das RKI mit dem gesundheitlicher Gefahren durch Infektionskrank- Aufbau einer Diabetes-Surveillance für Deutsch- heiten als auch die Förderung von Maßnahmen land im Rahmen eines Forschungsvorhabens zum Schutz vor gravierenden nichtübertragbaren beauftragt. Ziel war die systematische Zusammen- Krankheiten. Grundlage für diese Aufgabe ist die führung von Informationen zu Diabetes aus ver- fortlaufende Analyse von gesundheitlichen Ent- fügbaren Datenquellen, um die Krankheitsdyna- wicklungen und Gefahren in der Bevölkerung auf mik wiederkehrend abzubilden. Bei den genutzten Basis von verlässlichen Datenquellen. Die dabei Datenquellen wurde auf eine zeitnahe und verste- gewonnenen Informationen sollen der Gesund- tigte Nutzbarkeit geachtet, sodass eine kontinuier- heitspolitik als Entscheidungsgrundlage für die liche Berichterstattung möglich ist. Planung und Umsetzung nachhaltiger Maßnah- Zum Ende der ersten Projektphase liegt nun men dienen. Die Weltgesundheitsorganisation der Bericht zur Diabetes-Surveillance in Deutsch- (WHO) bezeichnet diese grundlegende Aufgabe land vor. Dieser bildet in anschaulicher Weise die als „Public-Health-Surveillance“. Entwicklung des Krankheitsgeschehens und die Im vergangenen Jahrhundert haben sich das Verbreitung von Risikofaktoren ab. Auch versor- Krankheitsspektrum und die gesundheitlichen gungsrelevante Aspekte sowie Begleit- und Fol- Gefahren für die Bevölkerung grundlegend gewan- geerkrankungen werden betrachtet. Der Bericht delt. Von Infektionskrankheiten gehen weiterhin wurde vom RKI in enger Zusammenarbeit mit akute Bedrohungen aus. Jedoch zählen nichtüber- einem interdisziplinären wissenschaftlichen Fach- tragbare Krankheiten weltweit zu den häufigsten beirat erarbeitet. Ergänzt wird der Bericht durch Krankheiten und Todesursachen im Erwachsenen- eine interaktive Webseite ( diabsurv.rki.de). alter. Veränderte Lebensgewohnheiten und Lebens Ein wichtiger Meilenstein für die Public- bedingungen sowie die Zunahme der Lebenser- Health-Berichterstattung zu Diabetes ist erreicht. wartung spielen hierbei eine wichtige Rolle. Und wie geht es jetzt weiter? Als Public-Health- Diabetes gehört in Deutschland und in vielen Institut wollen wir unser Surveillance-System für anderen Ländern zu den wichtigsten nichtüber- weitere wichtige Public-Health-Herausforderun- tragbaren Krankheiten und damit zu den großen gen ausbauen. Gut etabliert am RKI ist bereits die Public-Health-Herausforderungen. Trotz verbes- Surveillance von Infektionskrankheiten und Krebs serter Früherkennung und Behandlung ist die erkrankungen. Unser Ziel ist es, auch für weitere Erkrankung weiterhin für einen Teil der Betroffe- wichtige Krankheiten wie beispielsweise Herz- nen mit schwerwiegenden Komplikationen ver- Kreislauf- oder Lungenerkrankungen, aber auch bunden. Dazu zählen Herzinfarkt und Schlagan- psychische Erkrankungen wie Depressionen, alle fall, Amputationen, Erblindung und Dialysepflicht. relevanten Daten zu analysieren und bereitzustel- Die weitaus häufigste Form von Diabetes ist der len. Damit schaffen wir die Informationen, auf Typ-2-Diabetes. Er tritt meist im höheren Erwach- deren Grundlage wir gemeinsam mit der Politik senenalter auf. Körperliche Inaktivität, Rauchen und den Akteurinnen und Akteuren des Gesund- und starkes Übergewicht zählen zu den wesentli- heitswesens Strategien entwickeln wollen, damit chen bekannten und potenziell beeinflussbaren möglichst viele Menschen in Deutschland ein lan- Risikofaktoren. Sie korrelieren stark mit psychoso- ges Leben in guter Gesundheit führen können. zialen Belastungen und benachteiligenden Lebens- lagen. Diabetes steht daher folgerichtig zusammen Prof. Dr. Lothar H. Wieler mit Herz-Kreislauf-, Krebs-, chronischen Atem- Präsident des Robert Koch-Instituts
10 Robert Koch-Institut Nationale Diabetes-Surveillance Zusammenfassung Diabetes ist eine chronische Erkrankung, die eine große Herausforderung für die öffentliche Gesundheit in Deutschland und auch weltweit dar- stellt. Vor diesem Hintergrund fördert das Bundes- Handlungsfeld 1 „Diabetesrisiko reduzieren“ ministerium für Gesundheit (BMG) den Aufbau einer Diabetes-Surveillance für Deutschland am Wesentliche Risikofaktoren des Typ-2-Diabetes Robert Koch-Institut (RKI). Die Diabetes-Surveil- zeigen unterschiedliche zeitliche Entwicklun- lance hat zum Ziel, wesentliche Informationen gen sowie erhebliche soziale Unterschiede. zum Diabetesgeschehen anhand von definierten Indikatoren (Kennzahlen) aus verfügbaren Daten- quellen zusammenzuführen und für die Gesund- ▶▶ Derzeit erkranken gemäß Versorgungdaten aller heitspolitik, Gesundheitsforschung, Krankenver- gesetzlich Krankenversicherten jährlich mehr sorgung und Public-Health-Praxis zeitnah und als 500.000 Erwachsene neu an Diabetes (Fakten handlungsorientiert aufzubereiten. Hierzu erfolgt blatt „Inzidenz des dokumentierten Diabetes“). ein enger Austausch mit der Bundeszentrale für ▶▶ Der Gestationsdiabetes erhöht das Risiko für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), die derzeit Schwangerschaftskomplikationen und die spätere eine Aufklärungs- und Kommunikationsstrategie Entwicklung eines Typ-2-Diabetes bei Müttern. zur Prävention des Diabetes und seiner Folgeer- Aktuell weisen auf Basis der Dokumentation im krankungen entwickelt. Mutterpass 5,9 % der Frauen mit stationärer Innerhalb der ersten Projektphase (2015–2019) Entbindung einen Gestationsdiabetes auf (Fak- wurde ein wissenschaftliches Rahmenkonzept für tenblatt „Prävalenz des Gestationsdiabetes“). eine Diabetes-Surveillance mit vier Handlungsfel- ▶▶ Die Prävalenz von Übergewicht (einschließlich dern und 40 zentralen Indikatoren beziehungs- Adipositas), einem weiteren wesentlichen Risiko weise Indikatorengruppen in einem strukturierten faktor für die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes, Konsensprozess erarbeitet. Im nächsten Schritt zeigt sich in der 18- bis 79-jährigen Bevölkerung wurden Datenquellen zur Abbildung der Indikato- auf Basis der RKI-Surveys im Zeitraum 1998 bis ren erschlossen und erste Formate für die Bericht- 2010 mit 60 % konstant. Jedoch hat bei Männern erstattung entwickelt. der Anteil von Adipositas zugenommen (Fakten- Der vorliegende Bericht stellt erste Ergebnisse blatt „Übergewicht und Adipositas“). der Diabetes-Surveillance vor und wird durch eine ▶▶ Körperliche Inaktivität und Rauchen sind verhal- Webseite ergänzt ( diabsurv.rki.de). Ein weiterer tensbedingte Risikofaktoren für die Entwick- Ausbau der Datengrundlagen und die Weiterent- lung eines Typ-2-Diabetes. Auf Basis eines wicklung der Analysen und der Berichterstattung RKI-Surveys erreicht im Jahr 2014 etwas mehr sind Gegenstand einer zweiten Projektphase bis als die Hälfte der Erwachsenen nicht die Emp- Ende 2021. Erste Ergebnisse zum Diabetesgesche- fehlung der Weltgesundheitsorganisation zur hen in Deutschland lassen sich für die vier Hand- wöchentlichen Ausdaueraktivität und gibt fast lungsfelder wie folgt zusammenfassen: ein Viertel der Erwachsenen an, täglich oder gelegentlich zu rauchen (Faktenblatt „Körperli- che Inaktivität“ und Faktenblatt „Rauchen“). Für Rauchen lässt sich jedoch im Zeitverlauf von 2003 bis 2014 eine Abnahme feststellen. ▶▶ Für die betrachteten Risikofaktoren zeigen sich deutliche soziale Unterschiede. Personen aus der unteren Bildungsgruppe weisen deutlich höhere Prävalenzen der Risikofaktoren auf ( diabsurv.rki.de).
Nationale Diabetes-Surveillance Robert Koch-Institut 11 Handlungsfeld 2 „Diabetesfrüherkennung Handlungsfeld 3 „Diabeteskomplikationen und -behandlung verbessern“ reduzieren“ Die Anzahl der Personen, deren Diabetes dia Nicht nur der Diabetes selbst, sondern auch gnostiziert ist und durch Eingang in das Versor- seine Begleit- und Folgeerkrankungen bedeu- gungssystem behandelt wird, steigt an. ten eine erhöhte individuelle Belastung. ▶▶ 7,2 % der 18- bis 79-jährigen Bevölkerung haben ▶▶ Eine depressive Symptomatik liegt gemäß gemäß RKI-Survey im Jahr 2010 einen bekann- RKI-Survey im Jahr 2014 bei etwa 15 % der Per- ten Diabetes; weitere 2,0 % sind von einem bis- sonen mit Diabetes vor und ist bei Personen mit lang unerkannten Diabetes betroffen. Während Diabetes etwa doppelt so häufig wie bei Perso- die Prävalenz des bekannten Diabetes im Ver- nen ohne Diabetes (Faktenblatt „Depressive gleich zum Jahr 1998 über alle Bildungsgruppen Symptomatik“). hinweg angestiegen ist, zeigt sich für den uner- ▶▶ Kardiovaskuläre Begleiterkrankungen liegen bei kannten Diabetes eine zeitgleiche und größen- 45- bis 79-jährigen Personen mit Typ-2-Diabetes mäßig ähnliche Prävalenzabnahme (Faktenblatt deutlich häufiger vor als bei Personen ohne Dia- „Prävalenz des bekannten und unerkannten Dia- betes. Zwischen 1998 und 2010 zeigt sich in betes“). RKI-Surveys vor allem für Frauen mit Typ-2-Dia ▶▶ Versorgungsdaten aller gesetzlich Krankenversi- betes ein Rückgang in der Prävalenz (Fakten- cherten reflektieren erhebliche regionale Unter- blatt „Kardiovaskuläre Erkrankungen“). schiede in der Prävalenz des dokumentierten ▶▶ Langfristig kann der Diabetes zur Schädigung Diabetes (Faktenblatt „Prävalenz des dokumen- von kleinen Gefäßen und Nerven und so zu dia- tierten Diabetes“). betesspezifischen Folgeerkrankungen führen. ▶▶ Etwa 80 % der 45- bis 79-jährigen Personen mit Auswertungen von Versorgungsdaten aller bekanntem Typ-2-Diabetes erreichen im Jahr gesetzlich Krankenversicherten zeigen für das 2010 auf Grundlage der RKI-Surveys das emp- Jahr 2013 bei mehr als 15 % der Versicherten fohlene HbA1c-Ziel, welches vorliegende Fakto- mit Diabetes eine dokumentierte Nierenfunkti- ren wie Alter und Begleiterkrankungen berück- onseinschränkung und bei mehr als 13 % eine sichtigt. Dies ist ein deutlicher Anstieg im dokumentierte Polyneuropathie (Faktenblätter Vergleich zum Jahr 1998 (Faktenblatt „Abgestuf- „Diabetische Nierenerkrankung“ und „Diabeti- tes HbA1c-Ziel“). sche Polyneuropathie“). ▶▶ Mit etwa 70 % ist der Anteil der 45- bis 79-jähri- ▶▶ Das Vorliegen einer Polyneuropathie erhöht das gen Personen mit bekanntem Typ-2-Diabetes, Risiko für ein diabetisches Fußsyndrom, das im die medikamentös behandelt werden, zwischen Fall von therapeutisch nicht beherrschbaren 1998 und 2010 nahezu unverändert geblieben. Infektionen eine Amputation erfordern kann. So Analysen der RKI-Surveys zeigen, dass dabei die weisen mehr als 6 % der gesetzlich Krankenver- Anteile einer Metformin-Monotherapie oder sicherten mit Diabetes im Jahr 2013 ein doku- einer Kombinationstherapie von Insulin und mentiertes diabetisches Fußsyndrom auf. oralen Antidiabetika zugenommen haben (Fak- Zudem liegen im Jahr 2017 bezogen auf 100.000 tenblatt „Behandlungsprofile“). Einwohner etwa 11 Amputationsfälle oberhalb ▶▶ Die gesundheitsbezogene Lebensqualität ist bei des Sprunggelenks bei Personen mit Diabetes Personen mit Diabetes im Vergleich zu Perso- entsprechend der fallpauschalenbezogenen nen ohne Diabetes geringer. Hierbei zeigt sich Krankenhausstatistik vor (Faktenblätter „Diabe- im Jahr 2010 auf Basis der RKI-Surveys keine tisches Fußsyndrom“ und „Diabetesbedingte Veränderung gegenüber 1998 (Faktenblatt Amputationen“). „Gesundheitsbezogene Lebensqualität“).
12 Robert Koch-Institut Nationale Diabetes-Surveillance Fazit und Ausblick In Anbetracht eines prognostizierten Anstiegs Handlungsfeld 4 „Krankheitslast und der Prävalenz des bekannten Diabetes 1 bleibt Krankheitskosten senken“ die Herausforderung für die öffentliche Gesundheit zur Prävention und Versorgung Diabetes reduziert die in Gesundheit verbrachte des Diabetes auch in Zukunft bestehen. Daher Lebenszeit deutlich und ist mit hohen Gesund- ist es wichtig, das Diabetesrisiko in der Bevöl- heitskosten verbunden. kerung durch verhaltens- und verhältnisba- sierte Maßnahmen weiter zu reduzieren. Darüber hinaus ergibt sich aufgrund einer ▶▶ Die Krankheitskosten für die Versorgung des erhöhten Sterblichkeit, eines häufigeren Vor- Diabetes betragen laut Krankheitskostenrech- liegens von Begleiterkrankungen und einer nung des Statistischen Bundesamtes 7,4 Milliar- niedrigeren Lebensqualität von Personen mit den Euro für das Jahr 2015. Schätzungen unter Diabetes im Vergleich zu Personen ohne Dia- Einbezug der Begleit- und Folgeerkrankungen betes die Notwendigkeit, die Versorgung einer aus dem Jahr 2009 beziffern die Kosten für Dia- Diabeteserkrankung weiter zu verbessern. betes auf circa 21 Milliarden Euro im Jahr (Fak- Ziel der Diabetes-Surveillance ist es, in tenblatt „Direkte Kosten“). der nächsten Projektphase die Datengrund- ▶▶ Die Anzahl der stationären Behandlungsfälle lage im Hinblick auf eine zukünftige Surveil- mit einem Diabetes als dokumentierte Hauptbe- lance nichtübertragbarer Erkrankungen zu handlungsdiagnose ist für beide Geschlechter stärken. Weiterhin sollen spezifische Ziel- zwischen 2015 und 2017 auf Datenbasis der fall- gruppen sowie alle Lebensphasen berücksich- pauschalenbezogenen Krankenhausstatistik tigt werden, um die Entwicklung zielgerichte- gesunken, wobei Frauen im Vergleich zu Män- ter Public-Health-Maßnahmen zu fördern. nern niedrigere Raten aufweisen. Die regionale Verteilung dieser sogenannten ambulant-sensi- tiven Krankenhausfälle folgt der regionalen Ver- teilung der Diabetesprävalenz (Faktenblatt „Ambulant-sensitive Krankenhausfälle“). ▶▶ Für die Erwerbsminderungsrente aufgrund eines Diabetes ist unter aktiv Versicherten der Deutschen Rentenversicherung ein abnehmen- der Trend zwischen 2013 und 2016 ersichtlich. Die Rate weist deutliche regionale Unterschiede auf, die ebenfalls mit der Diabetesprävalenz der Bundesländer assoziiert sind (Faktenblatt „Erwerbsminderungsrente“). ▶▶ Die Sterberate für Personen ab 30 Jahren mit dokumentiertem Diabetes liegt insgesamt um etwa 50 % höher als bei Personen gleichen Alters ohne Diabetes (Faktenblatt „Mortalität“). ▶▶ Die zu erwartende Anzahl gesunder Lebens- jahre ist bei Personen mit Diabetes geringer als bei Personen ohne Diabetes. Der Verlust an ver- bleibender gesunder Lebenszeit beträgt abhän- gig von der Altersgruppe bis zu 12 Jahre (Fakten- blatt „Gesunde Lebensjahre“).
Nationale Diabetes-Surveillance Robert Koch-Institut 13 Einleitung und Hintergrund Was ist Diabetes mellitus? den die hohe Public-Health-Relevanz des Typ-2- Diabetes 8–10. Diabetes mellitus ist eine nichtübertragbare Krank- Tabelle 1. Darstellung der häufigsten Diabetestypen 4, 12 heit, die durch chronisch erhöhte Blutzuckerspiegel Typ-1-Diabetes gekennzeichnet ist. Schwerwiegende und multiple Organkomplikationen können als Krankheitsfol- ▶▶ Krankheitsentstehung gen auftreten und gehen auf Schädigungen der Absoluter Insulinmangel aufgrund Zerstörung der insulin produzierenden ß-Zellen der Bauchspeicheldrüse kleinen Blutgefäße und der Nerven zurück. Hier- ▶▶ Ursache durch ist die Lebenserwartung ebenso wie die ver- Meist immunologisch vermittelt bleibende Lebenszeit ohne gesundheitliche Beein- ▶▶ Behandlung trächtigungen von Personen mit Diabetes im Immer mit Insulin Vergleich zu Gleichaltrigen ohne die Erkrankung verringert 2, 3. Typ-2-Diabetes Es lassen sich verschiedene Diabetesformen ▶▶ Krankheitsentstehung unterscheiden (Tabelle 1) 4. Im Erwachsenenalter ist Relativer Insulinmangel infolge von Insulinresistenz der Typ-2-Diabetes die häufigste Diabetesform 5. und teilweise verminderte Insulinproduktion Neben nicht beeinflussbaren Faktoren wie einem ▶▶ Ursache höheren Lebensalter und genetischen Aspekten Zusammenspiel aus verschiedenen Risikofaktoren, darun ter Alter, Genetik, Adipositas und körperliche Inaktivität sind viele Risikofaktoren des Typ-2-Diabetes prin- ▶▶ Behandlung zipiell beeinflussbar, was Ansätze für verhaltens- Je nach Ausprägung durch Lebensstiländerungen, orale und verhältnisbezogene Präventionsmaßnahmen Antidiabetika, GLP-1-Analoga oder Insulin bietet. Diese Präventionsmaßnahmen sollten evi- denzbasiert sein und bei noch nicht erbrachtem Gestationsdiabetes Nachweis ihrer Wirksamkeit begleitend wissen- ▶▶ Krankheitsentstehung schaftlich evaluiert werden. Über den Typ-2-Diabe- Tritt erstmals in der Schwangerschaft durch eine gestei tes hinaus haben alle diese Risikofaktoren auch gerte Insulinresistenz in der zweiten Schwangerschafts Bedeutung für die Entstehung anderer wichtiger hälfte auf ▶▶ Ursachen nichtübertragbarer Erkrankungen, von denen viele Ähnlich dem Typ-2-Diabetes ein Zusammenspiel aus zu den häufigen Begleiterkrankungen des Diabe- genetischen Faktoren und gesundheitsbezogenem tes zählen. Demografischer Wandel und gesell- Lebensstil ▶▶ Behandlung schaftliche Veränderungen haben seit Mitte der Primär durch Lebensstiländerungen; sofern diese nicht 1960er Jahre zu einer tiefgreifenden Veränderung erfolgreich sind, wird eine Insulintherapie empfohlen des in der Bevölkerung beobachteten Krankheits- spektrums mit einer zunehmenden Häufigkeit von nichtübertragbaren Krankheiten geführt. In Es gibt zudem weitere, vergleichsweise selten auf- dieser Zeit haben Prävalenz (Häufigkeit der tretende und von den Krankheitsursachen völlig Erkrankten bezogen auf die Bevölkerung in einem unterschiedliche Diabetesformen. Wichtig ist hier definierten Zeitraum) und Inzidenz (Häufigkeit insbesondere der Typ-1-Diabetes als zweite Haupt- der Neuerkrankten bezogen auf die Bevölkerung form des Diabetes. Dieser tritt zumeist bereits im ohne vorherigen Diabetes in einem definierten Kindes- und Jugendalter auf und erfordert eine Zeitraum) von Typ-2-Diabetes in Deutschland und lebenslange Insulintherapie. Dies geht mit großen auch weltweit zugenommen 6, 7. Häufigkeit, Krank- Belastungen für die erkrankten Personen einher heitsfolgen und das Präventionspotenzial im Hin- und stellt hohe Anforderungen an die Qualität der blick auf individuelle und umweltassoziierte Risi- medizinischen Versorgung. Zusätzlich existieren kofaktoren sowie die enge Verknüpfung mit eine Reihe seltener Diabetesformen im Zusam- anderen nichtübertragbaren Krankheiten begrün- menhang mit angeborenen oder erworbenen
14 Robert Koch-Institut Nationale Diabetes-Surveillance Grundkrankheiten 5. Der Typ-2-Diabetes stellt bei krankungen“, ehemals Geschäftsstelle „Nationale Kindern und Jugendlichen im Gegensatz zu Aufklärungs- und Kommunikationsstrategie zu Erwachsenen eine seltene Erkrankung dar 11. Diabetes mellitus“ der Bundeszentrale für gesund- Ein besonderer Diabetestyp ist der Gestations- heitliche Aufklärung (BZgA). Das Ziel der Strate- diabetes (Schwangerschaftsdiabetes), eine Stoff- gie der BZgA ist die Entwicklung eines zielgrup- wechselstörung, die erstmals in der Schwanger- pengerechten, umfassenden, qualitätsgesicherten schaft auftritt und als häufige Ursache für und evidenzbasierten Aufklärungs- und Informa- Schwangerschaftskomplikationen gilt 4, 5 . Ein tionsangebots für alle Phasen der Erkrankung. Gestationsdiabetes erhöht zudem das Risiko der Durch das „Diabetesnetz“ der BZgA werden beste- betroffenen Mütter, später an Typ-2-Diabetes zu hende Aufklärungs-, Informations- und Kommu- erkranken 5. nikationsmaßnahmen zur Diabetesprävention und -bekämpfung gebündelt und systematisiert sowie neue Angebote entwickelt und gefördert 16 . Dazu zählt unter anderem das vom Deutschen Was sind die Ziele der Diabetes- Diabetes-Zentrum (DDZ), dem Deutschen Zent- Surveillance in Deutschland? rum für Diabetesforschung (DZD) und dem Helmholtz Zentrum München entwickelte Diabe- tesinformationsportal 17. Eine erste Bestandsauf- Unter Surveillance wird im Bereich der öffentli- nahme zu den Informationsbedarfen von Erwach- chen Gesundheit (Public Health) eine systemati- senen in Deutschland mit und ohne Diabetes sche, fortlaufende und problemorientierte Zusam- wurde im Jahr 2017 durch Zusammenarbeit des menführung und Analyse von Gesundheitsdaten RKI und der BZgA auf Basis eines bevölkerungs- verstanden. Das Ziel ist, wichtige Informationen bezogenen Befragungssurveys vorgenommen 18 . zeitnah und adressatengerecht für entscheidende Zudem kann auf die langjährige Erfahrung der Akteurinnen und Akteure im Gesundheitswesen Gesundheitsberichterstattung der Länder zurück- bereitzustellen, um die Planung, Umsetzung und gegriffen werden. Zukünftig sollen die Ergebnisse Evaluation von Public-Health-Maßnahmen zu im Rahmen der Diabetes-Surveillance möglichst unterstützen 13, 14 . Ursprünglich im Bereich der regionalisiert dargestellt werden und so die Infektionskrankheiten und des Infektionsschutzes Berichterstattung auf Länderebene unterstützen 19. angewandt, gewinnt Surveillance zunehmend an Bedeutung für die Prävention und Eindämmung nichtübertragbarer Krankheiten 13. Dies zeigt sich auch in internationalen Aktionsplänen der Weltge- Welche Inhalte werden in der sundheitsorganisation (WHO) 15. Diabetes-Surveillance bearbeitet? Aufgrund der hohen Public-Health-Relevanz des Diabetes wurde 2015 am Robert Koch-Institut (RKI) im Rahmen eines vom Bundesministerium Innerhalb der ersten Projektphase (2015 – 2019) für Gesundheit (BMG) geförderten Projekts mit der Diabetes-Surveillance wurde zunächst ein wis- dem Aufbau einer Diabetes-Surveillance in senschaftliches Rahmenkonzept entwickelt. In Deutschland begonnen. Das Projekt wird durch einem mehrstufigen Konsensprozess wurden ins- einen interdisziplinären wissenschaftlichen Fach- gesamt 40 gesundheitspolitisch relevante Indika- beirat begleitet ( diabsurv.rki.de). Mit der Diabe- toren (Kennzahlen) beziehungsweise Indikatoren- tes-Surveillance soll eine transparente, stetige und gruppen zur Abbildung des Krankheits- und umfassende Daten- und Informationsgrundlage Versorgungsgeschehens definiert und vier Hand- zum Krankheits- und Versorgungsgeschehen im lungsfeldern zugeordnet (Abbildung 1) 20. Während Zusammenhang mit Diabetes in Deutschland das erste Handlungsfeld „Diabetesrisiko reduzie- geschaffen werden, die sich an Akteurinnen und ren“ die Prävalenz beeinflussbarer Risikofaktoren Akteure in Gesundheitspolitik, Forschung und von Typ-2-Diabetes und die Diabetesinzidenz Praxis richtet. Zu diesem Zweck erfolgt ein enger behandelt, fokussiert das zweite Handlungsfeld Austausch mit dem Referat „Prävention des Diabe- „Diabetesfrüherkennung und -behandlung verbes- tes mellitus, seiner Risikofaktoren und Folgeer- sern“ auf die Prävalenz des diagnostizierten und
Nationale Diabetes-Surveillance Robert Koch-Institut 15 unerkannten Diabetes sowie verschiedene Aspekte tretens von Folge- und Begleiterkrankungen. Im der Prozess- und Ergebnisqualität im Rahmen der vierten Handlungsfeld „Krankheitslast und Krank- Früherkennung und Behandlung von Diabetes. heitskosten senken“ werden Aspekte der individu- Das dritte Handlungsfeld „Diabeteskomplikatio- ellen und gesellschaftlichen Krankheitslast im nen reduzieren“ beinhaltet die Häufigkeit des Auf- Zusammenhang mit Diabetes zusammengefasst. Abbildung 1. Konsentiertes Indikatorenset der Nationalen Diabetes-Surveillance 21 Handlungsfeld 1 Handlungsfeld 3 Diabetesrisiko reduzieren Diabeteskomplikationen reduzieren Kernindikatoren Kernindikatoren ▶▶ Inzidenz dokumentierter Diabetes ▶▶ Depressive Symptomatik ▶▶ Prävalenz Gestationsdiabetes ▶▶ Kardiovaskuläre Erkrankungen ▶▶ Übergewicht und Adipositas ▶▶ Diabetische Augenerkrankung ▶▶ Körperliche Inaktivität ▶▶ Diabetische Nierenerkrankung ▶▶ Rauchen ▶▶ Nierenersatztherapie bei Diabetes ▶▶ Soziale Deprivation ▶▶ Diabetische Polyneuropathie ▶▶ Diabetisches Fußsyndrom Zusatzindikatoren ▶▶ Diabetesbedingte Amputationen ▶▶ Prädiabetes ▶▶ Häufigkeit schwerer Hypoglykämien ▶▶ Zuckerhaltige Erfrischungsgetränke ▶▶ Absolutes Diabetesrisiko Zusatzindikatoren ▶▶ Kontextfaktoren ▶▶ Risiko kardiovaskuläres Ereignis ▶▶ Schwangerschaftskomplikationen Handlungsfeld 2 Handlungsfeld 4 Diabetesfrüherkennung und Krankheitslast und Krankheits- -behandlung verbessern kosten senken Kernindikatoren Kernindikatoren ▶▶ Prävalenz bekannter/dokumentierter Diabetes ▶▶ Direkte Kosten ▶▶ Prävalenz unerkannter Diabetes ▶▶ Ambulant-sensitive Krankenhausfälle ▶▶ DMP-Teilnahmequote ▶▶ Erwerbsminderungsrente ▶▶ DMP-Qualitätszielerreichung ▶▶ Mortalität ▶▶ Versorgungsqualität des Typ-2-Diabetes ▶▶ Verlorene Lebensjahre (YLL) ▶▶ Behandlungsprofile ▶▶ Gesunde Lebensjahre (HLY) ▶▶ Gesundheitsbezogene Lebensqualität Zusatzindikatoren ▶▶ Screening Gestationsdiabetes ▶▶ In Einschränkung verbrachte Lebensjahre (YLD) ▶▶ Alter bei Diagnose ▶▶ Disability-adjusted life years (DALY) Zusatzindikatoren ▶▶ Gesundheits-Check-up ▶▶ Patientenzufriedenheit
16 Robert Koch-Institut Nationale Diabetes-Surveillance Welche Datenquellen werden in der ten DaTraV-Daten, aber auch die fallpauschalenbe- Diabetes-Surveillance verwendet? zogene Krankenhausstatistik (DRG-Statistik) des Statistischen Bundesamtes, die Rentengewäh- rungsdiagnosen auf eine Erwerbsminderungs- Zur Abbildung der Indikatoren der Diabetes-Sur- rente der Deutschen Rentenversicherung, die veillance werden verschiedene Datenquellen ver- Daten der Qualitätssicherung Geburtshilfe auf wendet (Abbildung 2). Diese lassen sich unterteilen Basis der Perinatalstatistik der Länder sowie die in Primär- und Sekundärdatenquellen. Unter Pri- Dokumentationsdaten der Disease-Manage- märdaten versteht man Daten, die anhand im Vor- ment-Programme (DMP). feld festgelegter Fragestellungen gezielt erhoben werden. Sekundärdaten sind Daten, die ursprüng- Abbildung 2. Aktuelle Datenquellen der N ationalen lich für einen anderen Zweck oder eine andere Fra- Diabetes-Surveillance 22 gestellung erhoben oder dokumentiert wurden. Die in der Diabetes-Surveillance verwendeten RKI-Gesundheits- Krankheits- Primärdaten umfassen insbesondere die Daten der surveys register bevölkerungsrepräsentativen Befragungs- und Untersuchungssurveys des RKI (Bundes-Gesund heitssurvey 1998, BGS98; Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland, DEGS1; Gesundheit in Deutschland aktuell, GEDA). Vorteile der RKI-Gesundheitssurveys ▶▶ Beinhalten Messdaten und Laborparameter und ermöglichen damit beispielsweise die Abrechnungs- und Amtliche Bestimmung eines bis dato unerkannten Versorgungsdaten Statistiken Diabetes ▶▶ Beinhalten subjektive Aspekte der Gesund- heit, verhaltensbedingte und soziale Risiko- Vorteile der Abrechnungs- und faktoren und ermöglichen damit beispiels- Versorgungsdaten weise die Identifizierung von besonders betroffenen Bevölkerungsgruppen in Abhän- ▶▶ Meist hohe Fallzahlen, welche unter ande- gigkeit vom Sozialstatus rem differenzierte Analysen nach Region und detaillierte Auswertungen zur Abschät- zung der Folge- und Begleiterkrankungen Limitationen der RKI-Gesundheitssurveys ermöglichen ▶▶ Zeitlich engmaschig realisierbare Analysen ▶▶ Bisher relativ lange zeitliche Abstände der Datenerhebung, insbesondere bei Surveys mit Untersuchungsteil Limitationen der Abrechnungs- und ▶▶ Eingeschränkte Repräsentativität der Ergeb- Versorgungsdaten nisse für bestimmte Bevölkerungsgruppen wie schwer kranke, hochaltrige oder in Pfle- ▶▶ Die Qualität der zu Leistungs- und Abrech- geheimen wohnende Personen sowie Men- nungszwecken dokumentierten Daten hängt schen mit nicht ausreichenden Deutsch- von der Kodierpraxis ab, welche sich auf die kenntnissen Vollständigkeit und Validität der Angaben auswirkt Zu den verwendeten Sekundärdaten zählen insbe- ▶▶ Daten einzelner GKVen sind nicht repräsen- sondere die routinemäßig dokumentierten tativ für alle gesetzlich Krankenversicherten Abrechnungs- und Versorgungsdaten der Gesetz- und enthalten keine Informationen zu privat lichen Krankenversicherung (GKV), die sogenann- Krankenversicherten
Nationale Diabetes-Surveillance Robert Koch-Institut 17 Außerdem werden die Daten der bundesweiten Diabetes-Patienten-Verlaufsdokumentation (DPV) sowie die Daten der regionalen epidemiologischen Diabetesregister für die Diabetes-Surveillance her- angezogen. Diese Registerdaten spielen insbeson- dere für den eher seltenen Typ-1-Diabetes und den ebenfalls seltenen Typ-2-Diabetes bei Kindern und Jugendlichen eine wichtige Rolle. Zur Berechnung benötigen einzelne Indikatoren auch Angaben aus amtlichen Statistiken wie beispielweise der Todes- ursachenstatistik des Statistischen Bundesamtes. Was beinhaltet dieser Bericht? Der vorliegende erste Bericht zur Diabe- tes-Surveillance in Deutschland fasst die wesentlichen Ergebnisse zum Abschluss der ersten Projektphase zusammen. Der Bericht gliedert sich in vier Kapitel – eines für jedes Handlungsfeld. In jedem Kapitel werden die Ergebnisse für das jeweilige Handlungsfeld zunächst zusammenfassend beschrieben. Daran anschließend werden für jedes Hand- lungsfeld etwa fünf Kernindikatoren, die nach Rücksprache mit dem wissenschaftlichen Bei- rat sowie unter Berücksichtigung der Daten- verfügbarkeit ausgewählt wurden, in einem Faktenblatt, das heißt einer kurzen zweiseiti- gen Darstellung, vorgestellt. Je nach Datenver- fügbarkeit werden die Indikatoren in ihrem zeitlichen Verlauf abgebildet sowie stratifi- ziert nach Geschlecht, Alter, Bildung oder Region dargestellt. Die hier in Berichtsform vorliegenden ersten Ergebnisse der Diabetes-Surveillance werden durch ein Online-Format der Bericht- erstattung ergänzt ( diabsurv.rki.de). Hier finden sich neben ausführlichen Methodenbe- schreibungen auch die Ergebnisse der Indika- toren, die in diesem Bericht nicht als Fakten- blatt präsentiert werden. Zusätzlich werden für alle Indikatoren, sofern möglich, die Ergebnisse altersstandardisiert berichtet. Eine periodisch wiederkehrende Berichterstattung im Druckformat ist ebenfalls geplant. Dabei sollen die Berichtsformate in enger Abspra- che mit den jeweiligen Nutzergruppen adres- satengerecht weiter ausdifferenziert und wei- terentwickelt werden.
18 Robert Koch-Institut Nationale Diabetes-Surveillance Handlungsfeld 1 „Diabetesrisiko reduzieren“
Diabetesrisiko reduzieren Handlungsfeld 1 19 Hintergrund Vor diesem Hintergrund wurden die Inzidenz des Diabetes und die Prävalenz wesentlicher bekannter, gesundheitspolitisch beeinflussbarer verhaltens- In verschiedenen Szenarien zur Hochrechnung beziehungsweise verhältnisbasierter Einflussfakto- der zukünftigen Fallzahlen für Typ-2-Diabetes ren für das Handlungsfeld 1 „Diabetesrisiko redu- zeigt sich übereinstimmend eine erwartete zuneh- zieren“ der Diabetes-Surveillance ausgewählt und mende Anzahl der Personen mit einer Diabetes mit Indikatoren hinterlegt. Unter den zehn ausge- erkrankung. Wie stark der vorhergesagte Fall- wählten Indikatoren wurden im strukturierten zahlanstieg ausfallen wird, hängt insbesondere Konsensprozess sechs Indikatoren als Kern von der zeitlichen Entwicklung der Neuerkran- indikatoren und die weiteren vier Indikatoren als kungsrate und damit der zeitlichen Entwicklung Zusatzindikatoren in diesem Handlungsfeld ein- entscheidender Risikofaktoren für Typ-2-Diabetes gestuft (Abbildung 3). In den folgenden Faktenblät- ab 1. Wie für andere nichtübertragbare Krankhei- tern dieses Kapitels werden die aktuelle Datenlage ten mit hoher Public-Health-Relevanz zählen und – soweit möglich – die zeitliche Entwicklung hierzu potenziell beeinflussbare Faktoren wie für fünf Kernindikatoren vorgestellt. gesundheitsrelevante Verhaltensweisen sowie Lebens- und Umweltbedingungen 23. Abbildung 3. Indikatoren des Handlungsfeldes 1 Kernindikatoren Zusatzindikatoren ▶▶ Inzidenz dokumentierter Diabetes Prädiabetes ▶▶ Prävalenz Gestationsdiabetes Zuckerhaltige Erfrischungsgetränke ▶▶ Übergewicht und Adipositas Absolutes Diabetesrisiko ▶▶ Körperliche Inaktivität Kontextfaktoren ▶▶ Rauchen Soziale Deprivation Die in dieser Ausgabe in Faktenblättern vorgestellten Indikatoren sind farbig markiert. Ergebnisse zu den anderen Indikatoren des Handlungsfeldes 1 sowie I nformationen zur verwendeten Methodik und den Datenquellen finden Sie auf der Webseite der Diabetes-Surveillance unter diabsurv.rki.de. Ergebnisse auf einen Blick men ist 24. Der in der Diabetes-Surveillance basie- rend auf den DaTraV-Daten definierte Indikator der Inzidenz des dokumentierten Diabetes bildet Zur Inzidenz des Diabetes liegen in Deutschland die Grundlage für eine zukünftig zeitlich engma- nur vereinzelte Studien vor, die jedoch insgesamt schige Weiterbeobachtung der Inzidenz. Entspre- betrachtet einen deutlichen Anstieg der Neuer- chend einer ersten Analyse für das Jahr 2012 krankungsrate über die letzten Dekaden in erkranken insgesamt mehr als 500.000 Personen Deutschland zeigen 6. Neben ungünstigeren beziehungsweise 1,2 % der erwachsenen Bevölke- Lebens- und Verhaltensweisen haben dazu verän- rung pro Jahr neu an Diabetes (Faktenblatt „Inzi- derte Diagnosekriterien sowie eine verbesserte denz des dokumentierten Diabetes“) 25. Diabetesdiagnostik beigetragen. Jedoch deuten Ein besonderer Typ des Diabetes ist der Gesta- Ergebnisse einer aktuellen Analyse vertragsärztli- tionsdiabetes, der vorübergehend in der cher Abrechnungsdaten durch das Zentralinstitut Schwangerschaft auftreten kann und einen Risiko- für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland faktor für Schwangerschaftskomplikationen und (Zi) darauf hin, dass es bei Erwachsenen ab 40 Jah- die spätere Entwicklung eines Typ-2-Diabetes dar- ren zwischen 2012 und 2014 zu einem leichten stellt 26. Über die Qualitätssicherung Geburtshilfe Rückgang der Inzidenz des Typ-2-Diabetes gekom- wird auf Basis der Perinatalstatistik unter anderem
20 Robert Koch-Institut Nationale Diabetes-Surveillance der Anteil der stationären Entbindungen mit im lung der Risikolage kann eine zusammenfassende Mutterpass dokumentiertem Gestationsdiabetes Betrachtung bekannter Risikofaktoren des Diabe- bezogen auf alle stationären Entbindungen in tes anhand von Risikoscores für die Entwicklung einem gegebenen Jahr erfasst 27, 28. Demnach hat eines Typ-2-Diabetes sowie die Erfassung von die Prävalenz des Gestationsdiabetes im Zeitraum Diabetesvorstufen durch im Labor gemessene von 2002 bis 2011 von unter 2 % bis auf über 4 % Werte des Zuckerstoffwechsels hilfreich sein. So zugenommen und ist im weiteren Zeitverlauf – weisen Analysen zu den Indikatoren absolutes seit Einführung eines universellen Screenings auf Diabetesrisiko 36 und Prädiabetes 37 auf eine leichte Gestationsdiabetes im Jahr 2012 – bis auf 5,9 % im Verbesserung der Risikolage im Zeitraum von Jahr 2017 angestiegen (Faktenblatt „Prävalenz des 1998 bis 2010 hin. Gestationsdiabetes“). Dabei ist zu berücksichtigen, Auswahl und Operationalisierung von gesund- dass die so geschätzte Prävalenz des Gestationsdia heitspolitisch relevanten verhältnisbasierten betes vom Dokumentationsverhalten im Mutter- Risikofaktoren (Indikatorengruppen soziale Depri- pass abhängt. Analysen aus anderen Datenquellen vation und Kontextfaktoren) konnten für diesen weisen darauf hin, dass die Prävalenz des Gestati- ersten Bericht noch nicht bearbeitet werden. onsdiabetes auf Grundlage der Perinatalstatistik Hierzu sind Bestandsaufnahmen der wissen- derzeit vermutlich unterschätzt wird 29, 30. Doku- schaftlichen Evidenz notwendig. Die Ergebnisse mentationslücken beim Eintrag in den Mutterpass zu verhältnisbasierten Risikofaktoren werden könnten zu einer Untererfassung beitragen 31. einen zentralen Bestandteil der Weiterentwick- Zur zeitlichen Entwicklung der Prävalenz lung und Vervollständigung von Indikatoren der wesentlicher verhaltensassoziierter Risikofaktoren Diabetes-Surveillance darstellen. des Typ-2-Diabetes liefern die bundesweiten Gesundheitssurveys des RKI die Datengrundlage. So ist die Prävalenz von Übergewicht (einschließ- lich Adipositas) zwischen 1998 und 2010 mit Einordnung in den gesundheits 60,0 % bei 18- bis 79-Jährigen insgesamt unverän- politischen Kontext dert geblieben (Faktenblatt „Übergewicht und Adi- positas“). Die Prävalenz der körperlichen Inaktivi- tät 32, 33 und die Prävalenz des Rauchens 34, 35 haben Da viele der bekannten Risikofaktoren des über- in den letzten Jahren insgesamt abgenommen. wiegend vorkommenden Typ-2-Diabetes sowie des Dennoch erreicht über die Hälfte aller Erwachse- Gestationsdiabetes beeinflusst werden können, nen nicht die WHO-Empfehlung von mindestens liegt hier ein Potenzial für die Primärprävention 2,5 Stunden Ausdaueraktivität pro Woche (Fakten- von Diabetes vor. Darüber hinaus teilen der blatt „Körperliche Inaktivität“), und fast ein Viertel Typ-2-Diabetes und andere wichtige nichtübertrag- aller Erwachsenen raucht täglich oder gelegentlich bare Krankheiten (Herz-Kreislauf-Erkrankungen, (Faktenblatt „Rauchen“). Mit deutlich höheren Prä- Krebs, chronische Lungenerkrankungen) bedeut- valenzen bei sozial benachteiligten Gruppen zeigt same vermeidbare Risikofaktoren wie körperliche sich nach wie vor eine ausgeprägte Ungleichheit Inaktivität, Rauchen und Adipositas. Hieraus in der Verbreitung der genannten verhaltensba- ergibt sich eine gesellschaftliche Verantwortung sierten Risikofaktoren. Ebenso sind regionale für die Umsetzung von verhältnisbezogenen und Unterschiede für die Indikatoren zu beobachten setting-orientierten Präventionsansätzen, um alle ( diabsurv.rki.de). gesellschaftlichen Gruppen zu erreichen. Die Prä- Informationen für weitere drei der zehn Indi- ventionsmaßnahmen sollten sensibel gegenüber katoren (Prädiabetes, zuckerhaltige Erfrischungs- Stigmatisierungseffekten und evidenzbasiert sein getränke und absolutes Diabetesrisiko) finden sich und bei noch nicht erbrachtem Wirksamkeitsnach- auf der Webseite diabsurv.rki.de der Diabetes- weis begleitend wissenschaftlich evaluiert werden. Surveillance. Demnach ist der häufige Konsum Wichtige primärpräventive Ziele und Maß- zuckerhaltiger Getränke über die letzten Dekaden nahmen sind unter anderem im Globalen Aktions- angestiegen. Aktuell werden diese von etwa jedem plan der WHO zur Prävention und Kontrolle nicht- sechsten 18- bis 79-Jährigen mindestens einmal übertragbarer Krankheiten 15, den Nationalen täglich konsumiert. Für eine umfassende Beurtei- Gesundheitszielen „Diabetes mellitus Typ 2“,
Diabetesrisiko reduzieren Handlungsfeld 1 21 „Gesundheit rund um die Geburt“, „Gesund auf- Nächste Schritte wachsen“ und „Gesund älter werden“ 38 sowie der für die Diabetes-Surveillance Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung 39 und dem Nationalen Aktionsplan „IN FORM“ 40 am Robert Koch-Institut verankert. Tabaksteuererhöhungen und gesetzlich geregelter Nichtraucherschutz 41 haben als bevölke- 1. Weiterentwicklung stratifizierter Analysen rungsweite Maßnahmen bereits Erfolg in Form unter Einschluss der gesamten Lebens- von rückläufigen Raucherquoten gezeigt. Aller- spanne (einschließlich Kinder und Jugend- dings bestehen weiterhin soziale Unterschiede in licher sowie Hochaltriger) und zur Identi der Prävalenz verhaltens- und verhältnisassoziier- fizierung von Unterschieden in der Vertei- ter Risikofaktoren. Eine bestehende Herausforde- lung der Risikofaktoren nach Region, sozi- rung für die Zukunft ist daher die Etablierung des aler Lage und Migrationshintergrund. „Health in all Policies“-Ansatzes und die Durchfüh- rung von Public-Health-Maßnahmen in besonders 2. Operationalisierung von gesundheits gefährdeten Gruppen der Bevölkerung – auf kom- politisch relevanten verhältnisbasierten munaler oder regionaler Ebene und in bestimm- Risikofaktoren und Maßnahmen (Indikato- ten Settings (wie Kita, Schule, Arbeitsumfeld). rengruppen soziale Deprivation und Ebenso eröffnet der Kontakt mit Akteurinnen und Kontextfaktoren). Akteuren im Gesundheitswesen ein wichtiges Fenster für gezielte Beratung und Unterstützung 3. Differenzierung von Diabetestypen bezüg- zur Gesundheitsförderung (beispielsweise in der lich der Inzidenz des Diabetes in Anknüp- Phase von Schwangerschaft und Geburt), welches fung an bisherige Analysen von Koopera für wissenschaftlich begleitete Beratungspro- tionsprojekten zwischen der Diabetes-Sur- gramme genutzt werden könnte. veillance und den r egionalen Diabetesregis- tern sowie der bundesweiten Diabetes- Patienten-Verlaufsdokumentation (DPV)42.
22 Faktenblatt Handlungsfeld 1 „Diabetesrisiko reduzieren“ Faktenblätter Inzidenz des dokumentierten Diabetes Definition Die Rate der Neuerkrankungen (Inzidenz) und auch die dar- Der Indikator Inzidenz des dokumen- aus folgende absolute Zahl der Neuerkrankten stellen für die tierten Diabetes ist definiert als Anteil der Neuerkrankungen des dokumen- Einschätzung der Krankheitsdynamik entscheidende Kennzahlen tierten Diabetes an allen erwachsenen dar. Die Inzidenz beeinflusst die zukünftige Entwicklung der Präva- gesetzlich Krankenversicherten eines lenz und der zu erwartenden Anzahl von Erkrankten 1. Die Inzidenz Jahres ohne dokumentierte Diabetes hängt ihrerseits von der zeitlichen Entwicklung wesentlicher Diabe- diagnose im Vorjahr. Eine Neuerkran- kung wird als das Vorliegen mindes- tesrisikofaktoren ab 43. tens einer stationär dokumentierten Diagnose oder mindestens zweier am- Die Inzidenz des dokumentierten Diabetes in Deutschland bulant gesichert dokumentierter Dia beträgt für gesetzlich krankenversicherte Erwachsene im Jahr gnosen (E10.- bis E14.-) in vier Quarta- len definiert. 2012 1,2 % (Frauen: 1,1 %; Männer: 1,3 %), was 560.762 Personen entspricht. Die Betrachtung über die Altersgruppen zeigt, dass Datenquelle sowohl bei Frauen als auch bei Männern die Inzidenz mit dem Alter Versorgungsdaten aller circa 70 Millio- ansteigt und im Altersbereich ab 80 Jahren den höchsten Wert nen gesetzlich Krankenversicherten annimmt (Abbildung 4). (DaTraV-Daten). Datenqualität Insgesamt zeigt sich eine mit steigendem Alter deutlich zuneh- Es handelt sich um Leistungs- und mende Anzahl an dokumentierten Neuerkrankungen. Grund- Abrechnungsdaten der GKV, deren sätzlich ist die in die Diabetes-Surveillance aufgenommene Darstel- Qualität von der Dokumentations lung der Inzidenz geeignet, um zukünftig zeitliche Änderungen im praxis abhängt. Erkrankungsrisiko einzuschätzen. Aktuelle Ergebnisse deuten auf eine Inzidenzabnahme des dokumentierten Typ-2-Diabetes hin 24. • Im Jahr 2012 erkranken etwa 560.000 gesetzlich krankenversicherte Erwach- sene neu an Diabetes. • Die Inzidenz steigt mit dem Alter an und zeigt für Perso- nen ab 80 Jahren den höchs- ten Wert.
Inzidenz des dokumentierten Diabetes Faktenblatt 23 Abbildung 4. Inzidenz des dokumentierten Diabetes bei gesetzlich krankenversicherten Erwachsenen in % nach Alter und Geschlecht im Jahr 2012. Quelle: DaTraV-Daten; nach Schmidt et al. 25 0,13 Gesamt Frauen 18–34 Jahre 0,16 Männer 0,10 0,56 35–49 Jahre 0,46 0,68 1,6 50–64 Jahre 1,3 1,9 2,7 65–79 Jahre 2,5 3,0 3,0 ≥80 Jahre 2,9 3,2 1,2 Alle Altersgruppen 1,1 1,3 Hintergrund Ergebnisse Fazit
24 Faktenblatt Handlungsfeld 1 „Diabetesrisiko reduzieren“ Prävalenz des Gestationsdiabetes Definition Beim Gestationsdiabetes handelt es sich um eine erstmals in Der Indikator Prävalenz des Gestations diabetes ist definiert als Anteil der der Schwangerschaft diagnostizierte Blutzuckerstörung. Diese Frauen mit stationärer Entbindung bildet sich bei den meisten Frauen nach der Entbindung zurück, (einschließlich Totgeburten) in einem erhöht aber das Risiko für Geburtskomplikationen für Mutter und gegebenen Jahr, bei denen die Dia gnose eines Gestationsdiabetes im Kind sowie das Risiko der Mutter, später an einem Typ-2-Diabetes zu Mutterpass dokumentiert ist. erkranken. Datenquelle Insgesamt wurde im Jahr 2017 bei 44.907 von 761.176 Frauen Qualitätssicherung Geburtshilfe mit stationärer Entbindung in Deutschland ein Gestationsdia- auf Basis der Perinatalstatistik der Länder27, 28. betes dokumentiert (5,9 %). Seit dem Jahr 2002 ist dieser Anteil kon- tinuierlich angestiegen (Abbildung 5). Die Prävalenz des dokumentier- Datenqualität ten Gestationsdiabetes ist regional unterschiedlich (Abbildung 6). Aufgrund der unvollständigen Doku- mentation des Gestationsdiabetes im Es zeigt sich ein Anstieg der Prävalenz des Gestationsdiabetes, Mutterpass ist derzeit von einer Unter- schätzung der P rävalenz auszugehen. der durch verschiedene Faktoren beeinflusst sein kann. Zum einen hat bei Müttern das durchschnittliche Alter bei der Geburt und die Häufigkeit von Adipositas, welche Risikofaktoren des Gestations- diabetes darstellen, zugenommen 28, 44. Zum anderen wurde im Jahr 2012 die Leitlinie für Gestationsdiabetes geändert und ein Screening als Kassenleistung eingeführt, was zu einer Zunahme der Diagnos- tik und Dokumentation geführt haben kann. Studien aus anderen Etwa 45.000 schwangere Datenquellen zeigen höhere Schätzungen zum Gestations diabetes 29, 30. Dies unterstreicht die Notwendigkeit für Studien zur • Frauen sind im Jahr 2017 von Gestationsdiabetes Verbesserung der Datenqualität, zum Beispiel zur Überprüfung von betroffen. möglichen Dokumentationslücken. • Basierend auf Daten der Perinatalstatistik zeigt die stationäre Qualitätssicherung Geburtshilfe seit 2002 einen kontinuierlichen Anstieg der Entbindungen mit Gestationsdiabetes. • Angesichts stark variierender Schätzungen und deutlicher regionaler Unterschiede ist eine Überprüfung der Datenqualität notwendig.
Prävalenz des Gestationsdiabetes Faktenblatt 25 Abbildung 5. Zeitlicher Verlauf des Anteils der Frauen mit stationärer Entbindung in %, bei denen ein Gestationsdiabetes dokumentiert ist. Quelle: aQua-Institut, IQTIG Geburtshilfe 27, 28 Geänderte Leitlinie 5,9 Gestationsdiabetes 5,4 5,0 4,4 4,3 4,4 4,5 3,7 3,4 3,4 2,7 2,2 2,3 2,4 1,8 1,5 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Abbildung 6. Anteil der Frauen mit stationärer Entbindung in %, bei denen ein Gestationsdiabetes dokumentiert ist, nach Region im Jahr 2017. Quelle: Qualitätssicherung der Länder; eigene Berechnung Mecklenburg- Vorpommern 5,2 Nordwest 5,5 Berlin und Brandenburg Sachsen- Anhalt 6,1 Nordrhein- 7,3 Westfalen 7,4 Thüringen Sachsen Hessen 5,4 5,3 5,4 Rheinland-Pfalz Nordwest bestehend aus: 6,8 • Niedersachsen • Schleswig-Holstein Bayern • Bremen Saarland 6,5 5,0 • Hamburg Baden- ≤ 5,4 % Württemberg 5,4 – 5,9 % 4,9 5,9 – 6,4 % 6,4 – 6,9 % ≥ 6,9 % Hintergrund Ergebnisse Fazit
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